Landschaft als Erholungsort - Forschung und Praxis erschliessen neues Wissen - DORA 4RI
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Forum für Wissen 2021: 7–12 7 Landschaft als Erholungsort – Forschung und Praxis erschliessen neues Wissen Felix Kienast, Matthias Buchecker und Marcel Hunziker Eidg. Forschungsanstalt WSL, Zürcherstrasse 111, CH-8903 Birmensdorf, felix.kienast@wsl.ch Das Thema «Landschaft als Erholungsort» zeigt gut wie Forschung und Praxis ge- individuelle und kulturelle Erfahrun- meinsam neues Wissen generieren können. Die Kultur der Co-Produktion von gen und Bedeutungen dazu, dass Land- Wissen erleichtert es, die «Einbahnstrasse des Wissens» von der Forschung zur schaften individuell und kollektiv an- Praxis zu überwinden. Die Erfahrung zeigt, dass diese Kultur mithilft, theoretisch geeignet und gedeutet werden (Kühne gut untermauerte, tragfähige Lösungen zu realisieren. Verschiedene nationale und 2017). Diese Wertezuordnung führt im internationale Organisationen, in denen sich die WSL aktiv einbringt, pflegen das nächsten Schritt zu Verhaltensweisen, Konzept der Wissensgemeinschaften, so zum Beispiel das FoLAP, die IALE , und was sich schliesslich in Landnutzung IFLA aber auch die Europäische Landschaftskonvention. Der vorliegende Artikel und erwünschten Landschaftsverän- gibt einen groben Überblick über dieses gemeinsame Wissen zu den im «Forum derungen manifestieren. Übereinstim- für Wissen 2021» ausgewählten Themen. Er erhebt nicht den Anspruch, ein breit mend mit diesen theoretischen Über abgestützter Review-Artikel zu sein. Vielmehr schöpft er aus dem reichen Fundus legungen erhebt LABES – als eines der von Wissen, den die WSL zusammen mit ihren Partnern aus Forschung und Praxis wenigen Landschaftsbeobachtungspro- in den letzten Jahrzehnten erarbeitet hat. gramme weltweit – Aspekte sowohl der physischen als auch der wahrge- nommenen und gedeuteten Landschaft (Kienast et al. 2019; Rey et al. 2017). 1 Die Landschaft rückt in und einen gedeuteten Raum gibt. Nach den Fokus der Erholungs- heutigem Kenntnisstand weiss man, forschung dass die Deutungen von Orten eine sehr wichtige Rolle in der Aneignung 2 Welche Landschaft gefällt? Bereits Rachel und Stephen Kap- von Landschaft spielen (Salak et al. lan haben in den 1980er Jahren ver- 2021). Bazrafshan et al. (2021) konnte Bezüglich der wissenschaftlichen Ana- sucht, mit der «Attention Restoration zum Beispiel anhand von Interviews lyse der Landschaftswahrnehmung Theory» (Kaplan und Kaplan 1989) mit Flüchtlingen in städtischen Parks wurde an der WSL Pionierarbeit ge- die Brücke zwischen psychchologi- zeigen, dass physisch unterschiedliche leistet. So konnte unter anderem für al- scher Forschung und der Landschaft Elemente, die aber die gleiche Bedeu- pine Gebiete gezeigt werden, dass bei zu schlagen. In dieser Theorie wurde tung und Funktion wie im Herkunfts- einer Sukzession von offenem Land zu erstmals überzeugend dargelegt, wel- gebiet der Befragten haben, eine Orts- Wald ein mittlerer Grad an Gebüsch- che Landschaftseigenschaften menta- bindung am neuen Ort erleichtern. und Offenwaldstrukturen am positivs- ler Erschöpfung entgegenwirken kön- Die erwähnten theoretischen Über- ten wahrgenommen wird, allerdings nen. Die Kaplan’schen Erkenntnisse legungen sind nicht l’art pour l’art son- mit beträchtlichen Abweichungen zwi- waren lange richtungsweisend in der dern wichtige konzeptionelle Grundla- schen Einheimischen und Touristen, Forschung zur Rolle der Landschaft gen für angewandte Projekte zur Rolle welche u.a. auf die unterschiedlichen bezüglich Erholung, aber auch in der der Landschaft bei der Erholung oder Bedeutungen des Verwilderungspro- Landschaftswahrnehmung. Die Argu- zur Landschaftsbeobachtung (Kienast zesses zurückzuführen sind (Hunzi- mente, dass physische Eigenschaften et al. 2013). Als Beispiel sei das schwei- ker 1995; Hunziker und Kienast 1999; der Landschaft bis zu einem gewissen zerische Landschafts-Monitoringpro- Hunziker et al. 2008). Dass diese all- Grad die Landschaftswahrnehmung gramm LABES erwähnt, das die WSL gemeinen Erkenntnisse zum Gefallen bestimmen, wurden von Tuan (1977) in zusammen mit dem BAFU konzipiert, einer Landschaft auch in der Naher- seinem Buch «Space and Place – The durchführt und forschungsmässig be- holungsforschung wichtig sind und ihre Perspective of Experience» in ersten gleitet. Nebst vielen anderen Themen Gültigkeit haben, zeigen zum Beispiel Ansätzen thematisiert, von Bourassa’s erhebt LABES auch wichtige Erho- die Arbeiten von Buchecker und De- Mettatheorie (Bourassa 1991) auf- lungsaspekte der Landschaft. LABES genhardt (2015), Bögli et al. (2016) genommen und von Hunziker et al. stützt sich unter anderem auf das Kon- oder Degenhardt et al. (2010). Sie (2007) mit neuen Erkenntnissen aus zept, dass physische Landschaften – mündeten in qualitative und quantita- der Umweltpsychologie ergänzt. Da- entsprechend der Kaplan’schen Theo- tive Modelle, in denen Landschaftsei- mit steht heute ein theoretisch gut ab- rie der physiologischen Informations- genschaften mit dem Aufsuchen von gestütztes Konzept zur Verfügung, das verarbeitung des Gehirns – in einem Orten für die Naherholung verknüpft davon ausgeht, dass es einen physi- ersten Schritt wahrgenommen wer- wurden. Diese mit vielen Probanden schen, einen direkt wahrgenommenen den. In einem zweiten Schritt führen geeichten, räumlich expliziten Modelle WSL Berichte, Heft 115, 2021
8 Forum für Wissen 2021 aufgesucht werden (Komossa et al. 2021). Doch will tatsächlich niemand dort sein? Vermutlich gibt es nur sehr wenige Unorte der Erholung, wo der Stress, sich dort aufzuhalten, gross ist – beispielsweise gross-städtische Parks, wo man sich vor Kriminalität fürchten muss (Sreetheran und Van den Bosch 2014), oder Orte mit gesundheitsschä- digendem Lärm. Zu diesem Thema ist kürzlich das Nationalsfonds-Projekt RESTORE (Restorative potential of green spaces in noise-polluted environ- ments) angelaufen, in dem die WSL zu- sammen mit der EMPA untersucht, ob und wie stark urbanes Grün das Lärm- empfinden zu beeinflussen vermag. Erste Hinweise legen nahe, dass alltäg- liches urbanes Grün das Lärmempfin- den um bis zu 6 dB reduzieren kann (Schäffer et al. 2020). Abb. 1. Hügel sind Anziehungspunkte für die Naherholung, da sie die Besucher Fernsicht Umfragen in funktionalen Alltags- und Weite erleben lassen (Foto: M. Buchecker). landschaften belegen, dass diese – trotz ihrer Alltäglichkeit – für die lokale Be- völkerung sehr bedeutsame Orte sein können (Felber Rufer 2006). Sie kön- nen auch durchaus technische An- lagen aufweisen, die eigentlich stö- ren müssten; wenn diese aber positiv konnotiert sind, werden sie akzeptiert oder gar begrüsst. Wir kennen die- ses Phänomen auch aus der Platzie- rung von Energieanlagen. Salak et al. (2021) konnten zum Beispiel zeigen, dass die Akzeptanz von Energieanla- gen sehr stark davon abhängt, welche Bedeutung die Energieinfrastruktur für die Bevölkerung hat. Ähnliche Re- sultate findet man an kleinen Gewäs- sern, zum Beispiel entlang der oberen Glatt (ZH) oder der unteren Wigger (AG) in mit Strassen und Infrastruk- tur extrem belasteten Gebieten. Trotz der Beeinträchtigungen sind diese Ge- biete für die Bewohnerinnen und Be- wohner bedeutsam und Hotspots der Abb. 2. Naherholung am revitalisierten Gewässer (Foto: B. Junker). Erholungsnutzung (Buchecker 2015; Müller et al. 2017). Vergleiche zwi- waren richtungsweisend in der quan- len: Erstens gibt es viel individuelle Va- schen revitalisierten und nicht-revitali- titativen Erfassung der Naherholung: riation, und zweitens legt die konstruk- sierten Abschnitten zeigen zudem, dass Wasser, Aussicht, reich strukturierte tivistische Weltsicht nahe, dass vieles kleine Aufwertungsmassnahmen ei- Landschaften und Wald bekommen – weitgehend auch die Landschaft – ge- nen grossen Effekt hinsichtlich wahr- eine hohe Zustimmung durch die Be- sellschaftliche und individuelle Konst- genommener Attraktivität und Nut- völkerung und einen hohen Erlebnis- ruktionen sind und dass die Verknüp- zungsintensität haben (van den Born wert. Die Erkenntnisse findet man für fung von physischen Eigenschaften mit et al., im Druck). Dies scheint gene- die Praxis gut aufgearbeitet in einem dem Verhalten nicht absolut probabi- rell für Aufwertungen von stark be- Merkblatt der WSL (Buchecker et al. listisch interpretiert werden darf. Dies einträchtigten Landschaften zu gelten, 2013). gilt auch für die von den Modellen vor- in denen kleinste Aufwertungen einen Es ist aber auch Vorsicht geboten ausgesagten Hot- und Coldspots. Letz- maximalen Mehrwert für die Erho- mit solch geo-deterministischen Model- tere sind Orte, die nach Modell kaum lungswirkung haben (Santoleri et al. WSL Berichte, Heft 115, 2021
Forum für Wissen 2021 9 2021). Diese Alltagslandschaften sind – wie das Landschaftsbeobachtungspro- gramm LABES zeigt – für 60 Prozent der Befragten in weniger als fünf Mi- nuten erreichbar. Gemäss Befragung nehmen die Menschen in der Schweiz dieses Angebot in über 190 Tagen im Jahr wahr (LABES Erhebung 2020, in Vorbereitung). Die LABES-Erhebung hat aber auch gezeigt, dass Bewohne- rinnen und Bewohner ihre Wohnumge- bung sehr gut beobachten können. Ihre Landschaftscharakterisierung ist oft so akkurat, dass wir von einem äusserst wertvollen Urteil der Bevölkerung aus- gehen können, ein Wissensreservoir, das in der Landschaftsbeobachtung oder in der konkreten Planung von er- holsamen Landschaften unbedingt bei- gezogen werden sollte. Aber auch der Wald ist ein Erho- lungsort erster Wahl. Wir wissen aus Abb. 3. Glatt-Stettbach (Foto: S. Tobias). dem Waldmonitoring soziokulturell (WaMos), dass mehr als die Hälfte der Schweizer Bevölkerung den Wald von mit ihren Forschungen zu Gesundheit raum sehr bewusst ist, diese unter den Frühling bis Herbst mindestens zwei und Landschaft massgeblich zu einer pandemiebedingten Einschränkungen Mal pro Woche zu Erholungszwecken Differenzierung der pauschalen Aus- vermehrt nutzt(e) und sich der Natur- aufsucht. Im Durchschnitt verweilen sage beigetragen, dass Landschaftsge- vielfalt bewusst wurde (Egeter et al. sie zudem lange, nämlich 90 Minuten nuss per se gesundheits-förderlich ist 2020). Noch etwas genauer untersuchte (Zahlen von 2020; WaMos3-Daten sind (z. B. Bauer et al. 2016; Bauer et al. die WSL die Waldbesuche: Es gab Ver- in Vorbereitung), während die Anreise- 2021). Heute zeigen eine Vielzahl von änderungen der Waldbesuche in zwei zeit mit durchschnittlich 13,5 Minuten Publikationen, dass Grünflächen, eine Richtungen. Dabei fiel auf, dass sich kurz ausfällt. Kein Wunder ist die Zu- Wanderung im Wald oder entlang von die Häufigkeit der Waldbesuche polari- friedenheit mit dem Waldbesuch sehr Wasserflächen mithelfen, Arbeitsbelas- sierte; einerseits gingen sehr viele Per- hoch, gefällt er den Leuten ausseror- tungen zu kompensieren, den Stress zu sonen deutlich seltener in den Wald, dentlich gut und trägt er zu ihrer Ent- vermindern und das Wohlbefinden zu viele aber auch deutlich häufiger. «Ge- spannung bei (Hunziker et al. 2012). erhöhen (Martens et al. 2011; Degen- legentliche» Waldbesuche fanden we- Dabei ist die wahrgenommene Quali- hardt und Buchecker 2012). Diese niger häufig statt, sie waren kürzer und tät des Waldes wiederum sowohl von Erkenntnisse haben unter anderem erfolgten näher zum Wohnort als üb- seinen physischen Eigenschaften als im Landschaftskonzept Schweiz und lich (Wunderlich et al. 2021). Aus ei- auch von den ihm zugewiesenen Be- in der gesundheitspolitischen Strate- ner polnischen Untersuchung entneh- deutungen abhängig (Hegetschweiler gie des Bundesrates 2020–2030 ihren men wir, dass unmittelbar nach dem et al. 2017, 2020). Niederschlag gefunden, wo auf die Be- Lockdown das Bedürfnis nach natur- deutung einer hohen Landschaftsqua- nahem urbanem Grün wie zum Bei- lität für die Erholung und Gesundheit spiel urbanen Wäldern oder renaturier- hingewiesen wird (Landschaftskonzept ten Parkanlagen grösser war als nach 3 Macht uns die Landschaft Schweiz, Ziele 3.A-C, zitiert in BAFU sehr gepflegten Parkanlagen (Grzyb gesund? 2020). et al. 2021). Und wie steht es nun mit der Rolle Eigentlich hätte man sich ob so Leider kann diese Frage nicht pauschal der Landschaft in der epidemiologi- viel nachgefragter Naherholung seitens mit Ja oder Nein beantwortet werden. schen Ausnahmesituation von Co- Landschaftspolitik die Hände reiben Landschaft ist zwar häufig die Bühne, vid-19? Wenn die Gesellschaft in ein können: Was über Jahre die Botschaft auf der körperliche Bewegung oder paar Jahren gelernt hat, mit diesem Vi- war, nämlich das energieintensive in Kontemplation stattfindet, aber sie rus umzugehen, wird man die Auswir- die Ferne schweifen zu reduzieren und bleibt Bühne und ist vermutlich nicht kungen auf das Naherholungsverhal- die Naherholungsgebiete vermehrt der kausale Grund für die Gesundheit, ten abschliessend würdigen können. zu nutzen, traf mit der Covid-Pande- eher schon eine Einladung zur Selbst- Vorerst stehen uns ein paar Untersu- mie ein. Und man war erstaunt, dass heilung (Lee und Maheswaran 2011). chungen zur Verfügung, die nahelegen, nun auch in der Schweiz von Crow- Nicht weniger wichtig ist es aber, diese dass sich die Bevölkerung der Land- ding (Gedränge) die Rede war (Boldt Bühne zu pflegen, und so hat die WSL schaftsqualitäten im Naherholungs- 2021), was punktuell sicher zutraf aber WSL Berichte, Heft 115, 2021
10 Forum für Wissen 2021 hauptsächlich auf die Hotspots redu- flikte nicht primär objektiv-sachlicher nal beachtet und implementiert wird. ziert blieb. In der Alltagslandschaft, wo Natur sind, sondern Ausdruck von auf- Jedes Forschungsprojekt und jede Ta- Naherholung weitgehend stattfindet, einanderprallenden, gegensätzliche gung führt zu neuen Fragen, und auch fand Crowding kaum statt. Dass streng Bedeutungen oder Einstellungen zu die Praxis trägt neue Anregungen und geschützte Naturschutzgebiete Schutz Landschaft und Natur. Damit stellen Anliegen an die Landschaftsforschung – auch vor der Bevölkerung – benöti- wir Besuchermanagement unter das heran. Aus der Tagung «Forum für Wis- gen, macht Sinn. Aber wir sehen seitens grössere Thema «Mensch-Natur-Ver- sen» kristallisieren sich folgende Fra- vieler Schutzorganisationen und auch hältnis». Wir fragen uns also nicht pri- genkomplexe heraus, die unserer Mei- von Kommunen Bestrebungen, die mär, wie Besucherinnen und Besucher nung nach erforscht werden sollten: Naherholungssuchenden auch von we- möglichst effizient zu «lenken» sind, 1. Wie beeinflussen Lebensstile, die niger schützenswerten Gebieten fern sondern versuchen zu verstehen, was sich dauernd verändern, die Land- zu halten. Dies zeigt, dass wir gesell- die Einstellungen gegenüber der Natur schaft und was von ihr erwartet schaftlich einen besseren Umgang mit sind und die Motivationen, sich darin wird? Momentan deckt LABES als den Landschaftsnutzerinnen und -nut- zu bewegen. Rein und Schuler (2019) Monitoringprogramm diese Frage zern entwickeln müssen. Durch den ho- unterscheiden dabei vier an die Cultu- gut und in einem Zyklus von 6–10 hen Stellenwert der Landschaft in der ral Theory von Thompson et al. (2018) Jahren ab. Aber wie steht es mit der Schweizer Wohnbevölkerung (Kienast angelehnte Haltungen zur Natur: Früherkennung von künftigen Le- et al. 2004) wird der schonungsvolle 1. die «strapazierfähige Natur», die bensstilen, und werden die Kantone Umgang mit Landschaft bereits in den eigentlich immer wieder ins Gleich- mit den sich laufend verändernden Schulen geübt und es war lange kaum gewicht kommt, Ansprüchen fertig, angesichts des nötig, ausgereifte Besucherlenkungen 2. die «empfindliche Natur», die, wenn Umstandes, dass die Kantone be- zu haben. Wir können uns deshalb vor- sie einmal aus dem Gleichgewicht reits mit dem Finden von instituti- stellen, dass die Schweiz bezüglich Be- gerät, nicht mehr dorthin zurück onellen Arrangements für die jetzi- sucherlenkung einen Nachholbedarf finden kann, gen Bedürfnisse ausgelastet sind? hat. Es besteht die Hoffnung, dass die- 3. die «in Grenzen tolerante Natur», 2. Wie gelingt es, die Gesundheits- ses Forum für Wissen Gelegenheiten die Eingriffe bis zu einem gewissen leistung der Landschaft mit öko- schafft, im transdisziplinären Dialog Masse toleriert, und nomisch akzeptierten Methoden entsprechende Forschungslücken auf- 4. die «unberechenbare Natur», von als wichtige Landschaftsleistung zudecken. der man überhaupt nicht weiss, in zu quantifizieren und in gesund- welche Richtung sie sich entwickelt. heitsökonomische Modelle einflies- sen zu lassen? Dies wäre eine Vor- Nur eine geringe Anzahl Leute (aus aussetzung, damit Erholung in der 4 Wann kommt es zu Deutschland) sind gemäss Rein und Raum- und Regionalentwicklung Konflikten? Schuler (2019) von einer «strapazier- als vollwertige und nicht nur «nice fähigen Natur» überzeugt. Die meis- to have» Landschaftsleistung aner- Die grössten und offensichtlichsten ten halten sie für «in Grenzen tolerant» kannt würde. Vielleicht helfen die Konflikte entstehen sicherlich dort, wo oder «unberechenbar». Diese Einstel- in der Covid-19-Pandemie durchge- Beeinträchtigungen der Sicherheit oder lungsstudie, von der Rein und Schu- führten Erhebungen bei einer um- der Natur vorkommen, also zum Bei- ler (2019) berichten, ist zwar über 20 weltökonomischen Quantifizierung spiel Bikerinnen gegen Wanderer, oder Jahre alt, und doch zeigt sie wie neuere dieser Leistung. Outdoor-Sporttreibende gegen die Na- Studien auch (z. B. Hunziker und Hub- 3. Wie lässt sich eine an schweizeri- tur in designierten Naturschutzgebie- schmid 2018), dass das Freizeitverhal- sche Gegebenheiten angepasste Be- ten. Eine gute Besucherlenkung ist da- ten in der Natur primär über die Ein- sucherlenkung erreichen, welche her essentiell, wie die Vorträge am Fo- stellung und Bedeutung gesteuert wird. das Verhalten über die Einstellun- rum für Wissen oder auch verschiedene Diese können durch Kampagnen weit gen steuert? Der hohe Stellenwert Begleituntersuchungen zu Kampagnen effektiver beeinflusst werden als durch der Landschaft in der Wohnbevöl- zeigen (bspw. Biker-Hiker, Wintersport Verbote. kerung der Schweiz sollte als Mo- und Wildtiere oder neuerdings SUPs mentum für eine Bildungsoffen- und Gewässerschutz [siehe z. B. Hun- sive «Landschaft und Natur» aus- ziker und Hubschmid 2018; Hunzi- genutzt werden, um zusammen mit ker et al. 2021]). Viele Gebiete haben 5 Ausgewählte Wissens- und den Schulen die Kenntnisse über auch gute Erfahrungen mit Rangern Umsetzungslücken die Schönheiten von Landschaften, gemacht, die sehr oft als Umweltbild- aber auch ihrer Vulnerabilität, zu nerinnen und Umweltbildner wahrge- Wie bereits erwähnt, blickt die WSL stärken. nommen werden und weniger als Na- und generell die Schweizer Land- 4. Welchen Nutzen haben Erholungs- turschutzpolizei (Kanton Aargau 2021). schaftsforschung auf fruchtbare Jahr- landschaften für die Gesellschaft, Doch kehren wir zurück zu den in zehnte der Forschung zu Erholungs- der über die reine Erholung hin- dieser Einleitung gemachten Kommen- landschaften zurück. Zusammen mit ausgeht? Wie bereits erwähnt, ha- taren über die Bedeutung von Land- der Praxis wurde und wird Wissen ge- ben wir viele Hinweise darauf, dass schaften. Wir vermuten, dass viele Kon- schaffen, das international und natio- Landschaften im Allgemeinen und WSL Berichte, Heft 115, 2021
Forum für Wissen 2021 11 Erholungslandschaften im Speziel- Buchecker, M.; Degenhardt, B., 2015: The Hunziker, M., 1995: The spontaneous re- len gute Integratoren über kultu- effects of urban inhabitants’ nearby out- afforestation in abandoned agricultural relle Grenzen hinweg sind. In ihnen door recreation on their well-being and lands: perception and aesthetic assess- spielt die Nationalität keine Rolle, their psychological resilience. J. Out- ment by locals and tourists. Landsc. Ur- und sie ermöglichen ein inklusives door Recreat. Tour. 10: 55–62, https://doi. ban Plan. 31: 399–410. Miteinander. Zu wenig wissen wir, org/10.1016/j.jort.2015.06.007 https://doi.org/10.1016/0169-2046(95)93251-J wie Erholungslandschaften in Zu- Buchecker, M.; Kienast, F.; Degenhardt, Hunziker, M.; Kienast, F., 1999: Potential kunft ausgestattet werden sollten, B.; Widmer, S.; Moritzi, M., 2013: Naher- impacts of changing agricultural activities um möglichst inklusiv zu wirken, holung räumlich erfassen. 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12 Forum für Wissen 2021 Kienast, F.; Frick, J.; Steiger, U., 2013: Neue Müller, S.; Buchecker, M.; Gaus, R.; Bu- Schäffer, B.; Brink, M.; Schlatter, F.; Vi- Ansätze zur Erfassung der Landschafts- ser, T.; Bestel, M.; Hackl, S.; Bächli, enneau, D.; Wunderli, J.M., 2020: Re- qualität. Zwischenbericht Landschafts- D.; Kräuchi, N., 2017: Wie soll die Wig- sidential green is associated with redu- beobachtung Schweiz (LABES). Um- ger in der Region Zofingen in der Zu- ced annoyance to road traffic and railway welt-Wissen: 1325. Bern, Bundesamt für kunft gestaltet werden? Sozialräumliche noise but increased annoyance to aircraft Umwelt (BAFU); Birmensdorf, Eidg. Optimierung des planerischen Leitbilds noise exposure. Environ. Int. 143. Forschungsanstalt WSL. durch eine Bevölkerungsbefragung. Was- https://doi.org/10.1016/j.envint.2020.105885 Kienast, F.; Wartmann, F.; Zaugg, A.; Hun- ser Energ. Luft 3: 181–189. 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Abstract Landscape as a place of recreation – research and practice develop new knowledge Over the past 20 years WSL has significantly pushed the research agenda on what makes up recreational landscapes. On the one hand this is visible in peer reviewed articles for the scientific community, on the other hand a considerable effort has been made to initiate knowledge co-production projects with practice. Thanks to these efforts, we know exactly what inhabitants expect from the landscape while recreating: Vista, proximity to water bodies, richly structured landscapes and forest. But not only visual featues play a decisive role for recreation and a bonding to a place: noise and sounds, the smell of nature and – what has been suggested in recent research – the meaning of places determines largely how well we are able to relax and feel at home. These meanings are frequently independent of extra-ordinary landscapes: surveys of functional everyday landscapes show that – despite their quotidian nature – they can be significant places of recreation for the local population, if they are able to attach meanings to them. In highly functional landscapes, visitor management is less of a problem than in extra- ordinary high-quality landscapes or nature protection zones. Fortunately research shows that recreational behavior in nature is primarily controlled by attitude and meaning-and this can be influenced far more effectively by campaigns than by rigid restrictions. Key words: recreation landscapes, perception, health, visitor management, landscape meanings WSL Berichte, Heft 115, 2021
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