Lateinamerika vor dem Klimagipfel von Cancún - Gemeinsame Herausforderungen, unterschiedliche Positionen - Bibliothek ...
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PERSPEKTIVE Lateinamerika vor dem Klimagipfel von Cancún Gemeinsame Herausforderungen, unterschiedliche Positionen CLAUDIA DETSCH November 2010 n Der unmittelbar bevorstehende UN-Klimagipfel im mexikanischen Cancún wird wie- der einmal die verhärteten Fronten zwischen Industrieländern einerseits und Schwel- len- und Entwicklungsländern andererseits zutage bringen. Doch auch innerhalb dieser Ländergruppen treten Meinungs- und Interessengegensätze immer stärker zutage. n Die lateinamerikanischen Staaten werden auch bei diesem Klimagipfel keine gemein- same Position vertreten. Brasilien sieht sich als Wortführer der Region und weist auf die geringe Leistungsfähigkeit der Entwicklungs- und Schwellenländer hin. Deshalb dürfen die vereinbarten Maßnahmen keinesfalls das Wirtschaftswachstum sowie die damit einhergehende Verringerung der Armut gefährden, so das Credo des Lan- des. Mexiko sieht sich in der Rolle des Vermittlers zwischen Industriestaaten und Schwellen- und Entwicklungsländern. Die Mitgliedstaaten des ALBA wiederum se- hen in den internationalen Klimaverhandlungen in erster Linie eine geostrategische Möglichkeit, die Schwellen- und Entwicklungsländer zu einen und eine Abkehr vom kapitalistischen System durchzusetzen. n In der Region ist man sich einig, dass die historische Verantwortung der Indus trienationen die Ausgangslage eines jeden Klimaabkommens darstellen muss. Auch besteht weitgehend Konsens darüber, dass Entwicklungsländer sich anders als In- dustriestaaten nicht auf völkerrechtlich bindende Reduktionsziele einlassen müssen. Stark umstritten ist in Lateinamerika der Einsatz von marktbasierten Mechanismen bei der Bekämpfung des Klimawandels. Während die eher marktliberal orientierten Regierungen Kolumbiens, Chiles, Mexikos und Perus auf Marktmechanismen setzen, möchte Argentinien daneben einen Großteil der Finanztransfers über den öffentli- chen Sektor der Industriestaaten realisiert sehen. Die ALBA-Staatengruppe hingegen lehnt Marktmechanismen zur Bekämpfung des Klimawandels ab.
CLAUDIA DETSCH | LATEINAMERIKA VOR DEM KLIMAGIPFEL VON CANCÚN Der nächste UN-Klimagipfel steht unmittelbar bevor – Mexiko ist Mitglied der sogenannten Environmental und seine Erfolgsaussichten gelten bereits im Vorfeld als Integrity Group (der außerdem die Schweiz, Südkorea, gering. Entsprechend bescheiden geben sich das UN- Liechtenstein und Monaco angehören). Zudem gehören Klimasekretariat und viele Regierungen. Die epochale die Karibik-Staaten auch der Allianz Kleiner Insel-Staaten Herausforderung des Klimawandels und das nahende an (SIDS); Haiti ist zusätzlich Mitglied der Gruppe der Auslaufen des Kyoto-Protokolls verlangen zwar nach am wenigsten entwickelten Staaten (LDC). Auch in der weitaus größeren Ambitionen, die geostrategischen G77 wird inzwischen verbreitet das Prinzip der gemein- Interessen geben indes derzeit nicht mehr her. Auch samen Verantwortung aller Staaten bei der Bekämpfung die mexikanische Regierung als Gastgeber ist bemüht, des Klimawandels anerkannt. Dies schließt allerdings die Erwartungen an den Gipfel in Cancún möglichst eine differenzierte Lastenverteilung ausdrücklich ein. gering zu halten. Sie möchte keinesfalls Gefahr laufen, Damit aber stoßen die Gemeinsamkeiten bereits an ihre für ein Scheitern verantwortlich gemacht zu werden. Grenzen – die Positionen innerhalb der G77 fallen je Der Imageschaden, den die dänische Regierung durch nach Ausgangslage und ideologischer Ausrichtung sehr den chaotischen Verlauf und letztendlich das Scheitern unterschiedlich aus. Lateinamerika stellt hier keine Aus- des Kopenhagen-Gipfels hinnehmen musste, ist den nahme dar. So werden die lateinamerikanischen Staaten Mexikanern warnendes Beispiel. Kopenhagen hatte le- beim kommenden Klimagipfel keine gemeinsame Posi- diglich eine Absichtserklärung ohne rechtlich bindende tion vertreten können – zu weit liegen Ideologien und Verpflichtungen hervorgebracht. Diese »Copenhagen- Interessen auseinander. Accord« betitelte Erklärung basierte zudem nicht auf den Ergebnissen der zahlreichen Arbeitsgruppen – die zugegebenermaßen häufig die Entscheidungsfindung Die Wortführer der Region wegen inhaltlicher Diskrepanzen auf die Konferenz in Mexiko verschoben hatten –, sondern war Ergebnis International positionieren konnten sich aus der Region informeller Verhandlungen zwischen den Staatschefs in den letzten Jahren Brasilien, Mexiko, Costa Rica und großer Volkswirtschaften und den Repräsentanten re- die ALBA-Mitgliedstaaten; aber auch die Karibikstaaten gionaler Gruppen. Maßgeblich ausgehandelt wurde der gewinnen als Mitglieder der besonders gefährdeten »Copenhagen-Accord« schlussendlich zwischen den Inselstaaten (SIDS) in der internationalen Klimadebatte USA, Brasilien, Südafrika, Indien und China. Dies führte zunehmend an Beachtung. Brasilien hat sich zu einem bei zahlreichen Entwicklungsländern, gerade auch aus zentralen Akteur von erheblichem Gewicht entwickelt. Lateinamerika, zu heftiger Kritik. Als Wortführer des Südens weist das Land auf die gerin- gere Leistungsfähigkeit der Entwicklungs- und Schwel- In Cancún wird es nun darum gehen, verloren gegange- lenländer bei der Bekämpfung des Klimawandels hin. nes Vertrauen wiederherzustellen, den UN-Prozess der Die vereinbarten Maßnahmen dürften keinesfalls ein Klimaverhandlungen überhaupt am Leben zu erhalten nachhaltiges Wirtschaftswachstum sowie die Verrin- und in Teilbereichen wie dem Waldschutz Fortschritte gerung der Armut im Süden gefährden, so das Credo zu erzielen. Die Fronten zwischen Industrieländern ei- des Landes. Gleichzeitig aber hat die brasilianische Re- nerseits und Schwellen- und Entwicklungsländern ande- gierung ein nationales Klimagesetz verabschiedet und rerseits gelten als verhärtet. Doch auch innerhalb dieser ambitionierte eigene Reduktionsziele vorgestellt. Auch Gruppen treten Meinungs- und Interessengegensätze im Tropenwaldschutz erzielt Brasilien Erfolge. Der Ama- immer stärker zutage. zonasstaat übernimmt so international Verantwortung. Zentrale Referenz aber sind weder die lateinamerikani- Die Staaten Lateinamerikas bilden in ihren Forderungen schen Nachbarn noch die Europäer – Brasilien strebt eine und Politikansätzen nahezu die gesamte Bandbreite an enge Abstimmung mit den aufstrebenden Schwellenlän- Positionen von Schwellen- und Entwicklungsländern dern China, Indien, Südafrika sowie Russland an. weltweit ab. Vertreten sind sie in den internationalen Klimaverhandlungen in der sogenannten »G77 plus Auch Mexiko entwickelte sich zu einem zentralen Akteur China«, einer Staatengruppe der Schwellen- und Ent- und dies nicht nur, weil es Gastgeber der nächsten UN- wicklungsländer, die weit über 100 Länder umfasst. Klimakonferenz sein wird. Die mexikanische Regierung Eine Ausnahme stellt das OECD-Mitglied Mexiko dar; sieht sich in der Rolle des Vermittlers zwischen Industrie- 2
CLAUDIA DETSCH | LATEINAMERIKA VOR DEM KLIMAGIPFEL VON CANCÚN staaten und Entwicklungs- und Schwellenländern. Auf- fels. Weitere Forderungen waren die Einrichtung eines merksamkeit rief Mexikos Vorschlag zur Einrichtung ei- internationalen Klima- und Umwelttribunals, ein welt- nes Grünen Fonds hervor, in den alle Nationen einzahlen weites Referendum über geeignete Maßnahmen zur und der für Emissionsreduktionsprojekte weltweit die- Bekämpfung des Klimawandels sowie der bedingungs- nen könnte – bei überproportionaler Berücksichtigung lose Finanztransfer der Industriestaaten in die Entwick- der ärmsten Länder. Aber die mexikanische Regierung lungsländer in Höhe von bis zu sechs Prozent ihres BIPs; macht auch klar, dass ihrer Ansicht nach die Länder des dies zusätzlich zur herkömmlichen Entwicklungszusam- Südens selbst Verantwortung beim Klimaschutz über- menarbeit. Nach Ansicht der ALBA-Staaten sollten die nehmen müssen. Entwicklungs- und Schwellenländer den »Copenhagen- Accord« gemeinsam zurückweisen. Diese Position aber Neben den beiden regionalen Schwergewichten haben ist auch in Lateinamerika nicht mehrheitsfähig. Tatsäch- auch kleinere lateinamerikanische Länder mit Strategien lich finden sich unter den mehr als 120 Ländern, die ihre zum Klimawandel auf sich aufmerksam gemacht. Hier Unterstützung für den »Copenhagen Accord« beim In- ist insbesondere Costa Rica zu nennen, das bis zum Jahr ternationalen Klimasekretariat in Bonn schriftlich einge- 2021 als erstes Land weltweit CO2-neutral sein möch- reicht haben, neben den großen internationalen Playern te. Die zentralamerikanischen Staaten – ebenso wie die wie China, Indien, Indonesien und Südafrika auch zahl- Inselstaaten der Karibik – widmen dem Klimawandel reiche lateinamerikanische Staaten. Argentinien, Brasili- bereits weitaus mehr Aufmerksamkeit als die meisten en, Costa Rica, Mexiko und Peru haben zudem nationale ihrer südamerikanischen Nachbarn, sind sie doch von Maßnahmen zur Emissionsminderung eingereicht. den Folgen des Klimawandels schon jetzt unmittelbar betroffen. Ihr Abstimmungsverhalten in Kopenhagen hat den AL- BA-Mitgliedstaaten durchaus Zustimmung in Teilen der Die Mitgliedstaaten des Integrationsbündnisses ALBA Zivilgesellschaft eingebracht. Viele Entwicklungsländer um Venezuelas Präsidenten Hugo Chávez wiederum se- dagegen kritisierten die Blockadehaltung als unsolida- hen in den internationalen Klimaverhandlungen in ers- risch. Kritiker weisen darauf hin, dass die drei größten ter Linie eine geostrategische Möglichkeit, die Entwick- Mitgliedstaaten Venezuela, Ecuador und Bolivien haus- lungs- und Schwellenländer gegen die Industriestaaten haltspolitisch in hohem Maße von der Ausbeutung ihrer zu einen und eine Abkehr vom kapitalistischen System natürlichen Ressourcen abhängig sind. durchzusetzen. Der Kampf gegen den Klimawandel gilt ihnen als Kampf gegen Kapitalismus und Imperialismus. Die ALBA-Staaten waren am letzten Verhandlungstag Regionaler Konsens zur Ursache – in Kopenhagen maßgeblich daran beteiligt, dass der Dissens zu den Maßnahmen »Copenhagen-Accord« nicht angenommen, sondern lediglich zur Kenntnis genommen wurde (die Annahme Die im Rahmen der UN-Klimaverhandlungen bearbei- hätte nur einstimmig erfolgen können). Sie warfen der teten Kernthemen – nationale Maßnahmen zur Emis- dänischen Konferenzführung Unfähigkeit sowie eine sionsminderung, die Reduktion von Emissionen aus intransparente und undemokratische Verhandlungsfüh- Entwaldung und der Schädigung von Wäldern (REDD), rung vor. Anpassung an den Klimawandel, Finanzierung, Techno- logietransfer sowie der Umgang mit Marktmechanismen Als Reaktion auf den gescheiterten Gipfel von Kopenha- – sind für Lateinamerika allesamt relevant. Gegenstand gen lud Boliviens Präsident Evo Morales Ende April zur kontroverser Diskussionen ist neben dem bereits er- »Weltkonferenz der Völker über den Klimawandel und wähnten Umgang mit dem »Copenhagen-Accord« ins- die Rechte der Mutter Erde« nach Cochabamba ein. Das besondere der Einsatz von Marktmechanismen. Abschlussdokument der Konferenz ruft zu einem radika- len Systemwechsel auf, da anders der Klimawandel nicht Übereinstimmung besteht in der Region darüber, dass zu stoppen sei. Der globale Kapitalismus beruhe auf der die historische Verantwortung der Industrienationen die Ausbeutung der Naturressourcen und müsse daher als Ausgangslage eines jeden Klimaabkommens darstellen eigentliche Ursache des Klimawandels überwunden muss. Diese Verantwortung für den Klimawandel und werden, so die zentrale Botschaft des alternativen Gip- seine desaströsen Folgen müsse daher in umfangrei- 3
CLAUDIA DETSCH | LATEINAMERIKA VOR DEM KLIMAGIPFEL VON CANCÚN che Finanz- und Technologietransfers resultieren. Auch – kurz REDD – gilt als Schlüssel bei der Bekämpfung des besteht weitestgehend Konsens darüber, dass Entwick- Klimawandels. 20 bis 25 Prozent der vom Menschen lungsländer sich anders als die Industriestaaten nicht produzierten Treibhausgase sind auf die Emissionen auf völkerrechtlich bindende Reduktionsziele einlassen aus Entwaldung und Waldschädigung zurückzuführen. müssen. Zudem sollen nach verbreiteter Überzeugung Dem Schutz der Wälder als globaler Kohlenstoffspeicher allenfalls solche Reduktionsmaßnahmen internationaler kommt daher in einem internationalen Klimaabkommen Kontrolle unterliegen, die direkte finanzielle Unterstüt- eine zentrale Funktion zu. Lateinamerika ist hier von be- zung der internationalen Gemeinschaft erhalten. Mit sonderer Bedeutung, resultiert doch der größte Anteil Sorge wird die prioritäre Behandlung besonders vulne- an Emissionen nicht aus dem Energiesektor, sondern aus rabler Staaten bei der Verteilung entsprechender Gelder landwirtschaftlicher Produktion und der Abholzung von gesehen. Für die kurzfristige Hilfe zur Anpassung an den Tropenwäldern zur Ausweitung von Anbau- und Wei- Klimawandel stellten die Industriestaaten in Kopenha- deflächen. Die Bedeutung des Waldschutzes wird auch gen 30 Milliarden US-Dollar für die Jahre 2010 bis 2012 in Lateinamerika und der Karibik nicht infrage gestellt; in Aussicht. Ab 2020 sollen sie dann jährlich 100 Milli- wohl aber bestehen erhebliche Meinungsunterschiede arden US-Dollar für die Entwicklungsländer aufbringen. in Fragen der praktischen Ausgestaltung. Es wird darum Als besonders anfällig für den Klimawandel stehen hier gerungen, wie die Finanzmittel zu erbringen sind (über insbesondere die am wenigsten entwickelten Länder, marktbasierte Zertifikate, über internationale Fonds die afrikanischen Staaten sowie kleine Inselstaaten im oder über eine Kombination aus beiden). Auch zum Fokus. Damit gelten in der Region lediglich die karibi- Einbezug von landwirtschaftlichen Aktivitäten in den schen Staaten als prioritär. Dies wird – angesichts der REDD-Mechanismus (REDD plus) oder zur Berücksichti- Verwundbarkeit Lateinamerikas – verbreitet als unange- gung von REDD-basierten Aktivitäten in den nationalen messen empfunden. Auch ein möglicher Wettkampf un- Reduktionsplänen gibt es keinen regionalen Konsens. ter Entwicklungsländern um die Anpassungsfonds sorgt Zudem sehen insbesondere linke Kräfte in Lateiname- für Unbehagen. Viele Lateinamerikaner fürchten zudem rika eine rein monetäre Evaluierung des Schutzes von eine Vernachlässigung der Anpassungsfonds zugunsten Ökosystemen und Wäldern mit Unbehagen. Ähnliches der finanziellen Unterstützung kohlenstoffarmer Ent- gilt für die Rechte und die Selbstbestimmung von in den wicklungspfade. Wäldern lebenden indigenen Gemeinschaften. Sie sind wichtige Protagonisten bei der praktischen Ausgestal- Stark umstritten ist in Lateinamerika der Einsatz von tung von REDD. Allerdings läuft es ihren traditionellen marktbasierten Mechanismen bei der Bekämpfung des Überzeugungen häufig zuwider, ihren Wald finanziell in Klimawandels. Die eher marktliberal orientierten Regie- Wert zu setzen. Dissens besteht auch in der Frage, ob rungen Kolumbiens, Chiles, Mexikos und Perus etwa entsprechende Maßnahmen zum Waldschutz national setzen bei der Bewältigung des Klimawandels auch auf oder subnational ausgewiesen werden sollen. Marktmechanismen. Argentinien schließt diese ebenfalls nicht aus, möchte aber den Großteil der Finanztransfers über den öffentlichen Sektor der Industriestaaten rea- Die Anpassung an den Klimawandel lisiert sehen. Die Staatengruppe ALBA hingegen lehnt als gemeinsame Herausforderung Marktmechanismen bei der Bekämpfung des Klimawan- dels wie bereits erwähnt ab. Aber auch viele zivilgesell- Zivilgesellschaftliche Gruppen in Lateinamerika fürchten, schaftliche Organisationen fürchten, dass ein globaler dass bei den Debatten um die Bedeutung marktbasier- Kohlenstoffmarkt spekulative Anreize bieten und in der ter Mechanismen und die Vorleistungen der Industrie- Folge instabil sein könnte – zu den durch den Klimawan- staaten die Rolle des eigenen Staates in den Hintergrund del entstehenden Risiken für die Region würden sich da- treten könnte. Inzwischen mehren sich die Stimmen, mit im Krisenfall zusätzliche finanzielle Risiken ergeben. die Reduktions- und Anpassungsmaßnahmen unab- hängig von Marktmechanismen und Transferleistungen Wie ein globaler Finanzausgleich zu regeln ist, wird beim der Industrienationen auf den Weg gebracht sehen Gipfel in Cancún beispielsweise im Bereich des Wald- wollen. Dies umso mehr, da zahlreiche Industrieländer schutzes debattiert werden. Die Reduktion von Emissi- seit Kopenhagen bereits Wortbruch begangen haben. onen aus Entwaldung und der Schädigung von Wäldern So sind 2010 die kurzfristigen Finanzierungshilfen nicht 4
CLAUDIA DETSCH | LATEINAMERIKA VOR DEM KLIMAGIPFEL VON CANCÚN im angekündigten Umfang erfolgt; zudem wurden hier gang mit Klimaphänomenen; ein Austausch auch auf Mittel der herkömmlichen Entwicklungszusammenar- regionaler Ebene könnte hier sehr wertvoll sein. Noch beit schlicht umgewidmet. Dies könnte in zahlreichen fehlt es allerdings an der nötigen Kommunikation und Entwicklungs- und Schwellenländern dazu führen, dass an Vorbereitungsstrategien auf lokaler, nationaler und eigene Anstrengungen als nicht angemessen betrachtet regionaler Ebene. Zivilgesellschaft, Privatwirtschaft und werden. Wissenschaft sind nicht ausreichend in die Prozesse von Mitigation und Adaptation eingebunden; allerdings mel- In Lateinamerika wächst aber auch die Überzeugung, deten diese Sektoren sich bislang auch eher verhalten dass Maßnahmen zur Anpassung an den Klimawandel zum Klimawandel zu Wort. Gleiches gilt für die Bear- und zur Minderung der Emissionen einer nachhaltigen beitung des Themas durch PolitikerInnen abseits des Entwicklung und der Bekämpfung der Armut dienlich Regierungsapparates. Insbesondere wird verbreitet noch sind. Dies umso mehr, da die Folgen der Erderwärmung nicht anerkannt, dass es sich hier nicht um einen reinen die wirtschaftlichen und sozialen Errungenschaften der Umweltaspekt handelt, sondern die wirtschaftliche und letzten Jahre zunichtemachen könnten. Unmittelbar soziale Entwicklung in ihren Grundfesten berührt ist. So gefährdet sind von Überflutung bedrohte Inseln und verharrt die Debatte bislang nahezu ausschließlich auf Küstenstriche am pazifischen und atlantischen Ozean der Experten- und Regierungsebene. Dies allerdings lässt sowie in der Karibik, durch die Erwärmung des Meeres sich nicht nur für Lateinamerika konstatieren – es stellt bedrohte Korallengebiete in der Karibik, die abschmel- ein globales Phänomen dar. zenden Gletscher der Anden sowie die von Versteppung beeinträchtigten Amazonas-Regenwälder. Zwar ändern sich die absoluten Niederschlagsmengen über längere Grüne Wirtschaft Zeiträume betrachtet zumeist nicht, Phasen andauernder und heftiger Niederschläge, gefolgt von anhaltenden Durch die mageren Erfolgsaussichten für Cancún richten Dürreperioden, stellen die Region aber bereits heute vor sich die Hoffnungen der internationalen Gemeinschaft große Herausforderungen. Ernteausfälle, Überschwem- bereits auf Rio+20, die Folgekonferenz zum Erdgipfel mungen, Erdrutsche und Tropenstürme treten signifi- von 1992. Nach dem Willen der UN-Generalversamm- kant häufiger auf als noch vor einigen Jahren. lung werden die Staats- und Regierungschefs in Rio 2012 schwerpunktmäßig drei Themen diskutieren: die Ent- Die einzigartige Biodiversität ist ebenso gefährdet wie wicklung einer »grünen« Wirtschaft, den Kampf gegen Ernährungssicherheit und Wasserversorgung. Die land- die Armut sowie den nötigen institutionellen Rahmen wirtschaftliche Nutzung weiter Gebiete insbesondere im für nachhaltige Entwicklung. Die durch die Vereinten Nordosten Brasiliens und in Teilen Zentralamerikas dürf- Nationen vorangetriebene Debatte um eine industrielle te sehr schwierig werden. Neben der Landwirtschaft Revolution hin zu kohlenstoffarmen, grünen Volkswirt- werden weitere Schlüsselindustrien wie Bergbau und schaften wird in Lateinamerika bislang eher argwöhnisch Fischfang in Mitleidenschaft gezogen – mit allen voraus- verfolgt. Viele Regierungen wollen Entwicklungshemm- sehbaren Konsequenzen für den Arbeitsmarkt. Die Ener- nisse und Nachteile für ihre heimischen Produkte auf gieversorgung der Region ist durch den Wassermangel dem Weltmarkt vermeiden. Zudem sind die nötigen Re- ebenfalls betroffen. Auch eine massive Zunahme von formen – etwa der Abbau von Subventionen für fossile Infektionskrankheiten steht zu befürchten. Bestehende Energieträger oder die Erhöhung klimarelevanter Steu- gesellschaftliche Herausforderungen wie inner- und zwi- ern – in der Bevölkerung schwer durchsetzbar. schenstaatliche Migration sowie Konflikte um Anbauflä- chen und Wasser werden sich in der Folge verschärfen. Die bisherigen Entwicklungspfade der Region weisen entsprechend in eine andere Richtung. Egal, ob es sich Die Anpassung an den Klimawandel stellt somit für die um eine der wenigen verbliebenen konservativen Regie- Region eine essentielle Herausforderung dar. Bei der rungen handelt, um eine eher sozialdemokratisch aus- Diskussion um geeignete Strategien muss die lokale Be- gerichtete Regierung oder um eine dem Lager des »So- völkerung noch stärker involviert werden. So verfügen zialismus des 21. Jahrhunderts« zugehörige Regierung lokale Gemeinschaften über wertvolles Wissen zum Um- – ihre wirtschaftlichen Erfolge basieren auf dem Handel 5
CLAUDIA DETSCH | LATEINAMERIKA VOR DEM KLIMAGIPFEL VON CANCÚN mit Rohstoffen und Agrargütern. Durch den Preisboom Wirtschaftsmodell dar. Eine kohärente klimapolitische in diesen Sektoren war der Region in den vergangenen Strategie Lateinamerikas verlangt weitaus mehr als die Jahren ein veritables Wachstum vergönnt. Die Diversi- Anpassung einiger Stellschrauben. Die Region muss sich fizierung der Außen- und Wirtschaftsbeziehungen hin intensiv mit ihren entwicklungspolitischen Paradigmen zu Ländern wie China, Indien und Russland hat diesen auseinandersetzen, sich neu erfinden. Dieses Schicksal Trend noch verstärkt. Doch gerade der Klimawandel aber teilt Lateinamerika angesichts der Herausforderun- selbst stellt die größte Herausforderung für ein solches gen des Klimawandels mit dem Rest der Welt. 6
Über die Autorin Impressum Claudia Detsch ist Landesvertreterin der Friedrich-Ebert-Stif- Friedrich-Ebert-Stiftung tung in Ecuador und Leiterin des Regionalprojekts »Klima und Referat Lateinamerika und Karibik Energie« in Lateinamerika. Hiroshimastraße 17 | 10785 Berlin | Deutschland Verantwortlich: Dörte Wollrad, Leiterin des Referats Lateinamerika und Karibik Tel.: ++49-30-26935-7484 | Fax: ++49-30-26935-9253 http://www.fes.de/lateinamerika Bestellungen / Kontakt: info-lak@fes.de Die in dieser Publikation zum Ausdruck gebrachten Ansichten ISBN 978-3-86872-568-1 sind nicht notwendigerweise die der Friedrich-Ebert-Stiftung.
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