LEISTBARES WOHNEN VERBAND WIENER WOHNUNGSLOSENHILFE - Arbeiter-Samariter-Bund Österreichs

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LEISTBARES WOHNEN VERBAND WIENER WOHNUNGSLOSENHILFE - Arbeiter-Samariter-Bund Österreichs
LEISTBARES WOHNEN
    VERBAND WIENER
WOHNUNGSLOSENHILFE
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LEISTBARES WOHNEN VERBAND WIENER WOHNUNGSLOSENHILFE - Arbeiter-Samariter-Bund Österreichs
Impressum
Herausgeber: Verband Wiener Woh-       Fotos: Christopher Glanzl
nungslosenhilfe
                                       Layout: Kurt Riha, Florian Walch
Redaktionsteam: Roswitha Harner,
Georg Kehrer, Bernhard Litschauer-     Anschrift des Herausgebers: Schlacht-
Hofer, Verena Steinbauer, Erich        hausgasse 41a, 1030 Wien
Steurer
                                       Druck: print24
Autor_innen: Clarissa Böck, Roland
Gombots, Roswitha Harner, Lorenz       Erscheinungsort: Wien, September
Lederer, Georg Kehrer, Bernhard Lit-   2015
schauer, Verena Steinbauer, Thomas
Wiesinger, Christian Zahrhuber

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LEISTBARES WOHNEN VERBAND WIENER WOHNUNGSLOSENHILFE - Arbeiter-Samariter-Bund Österreichs
Inhalt
Wohnungslosenhilfe – Ein Auftrag zur Mitgestaltung (Vorwort) 				   4

Vom Wohnen und der Armut 									                                  6

Wohnen muss leistbar sein 									 10

Unterstützungsleistungen für Wohnen 							 14

Städtische Wohnungsvergabe für mehr soziale Durchmischung 				 18

Zu wenige Wohnungen für wohnungslose Menschen 					 22

Delogierungsprävention als Maßnahme gegen Wohnungslosigkeit 				 26

Wer hat Anspruch, wer hat keinen und wer sollte Anspruch haben 				 30

Angebote für EU-Bürger_innen 								 34

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Vorwort
    Liebe Leserin,
    lieber Leser!
Die gute Nachricht zuerst: Die     Darauf können sowohl die            Doch wie kommt es dazu, dass
Wiener Wohnungslosenhilfe          Stadt Wien als auch die Orga-       so viele Menschen auf einmal
kann vieles.                       nisationen stolz sein. Zu Selbst-   ohne Wohnung leben müssen –
                                   zufriedenheit sollten wir uns       ohne Schlafplatz, ohne Rück-
Es gibt ein breit gefächertes
                                   aber nicht verführen lassen.        zugsort? Und was müsste man
Spektrum an Angeboten, diffe-
                                   Denn: Es gibt noch viel zu tun.     tun, um das zu ändern?
renziert nach Unterstützungs-
bedarf und Zielgruppe, das die     In Wien sind etwa 10.000 woh-       In diesem Bericht wird ver-
unterschiedlichen Bedürfnisla-     nungslose Menschen im Sys-          sucht auf diese Frage eine
gen der Klient_innen abzude-       tem der Wohnungslosenhilfe          Antwort zu geben.
cken sucht.                        erfasst. Die Dunkelziffer liegt
                                                                       Menschen verlieren ihren
                                   noch einmal deutlich höher.
Ob das nun Startwohnungen                                              Wohnraum. Eine Trennung,
                                   Das Bild von wohnungslosen
für Familien, Übergangswohnen                                          eine psychische Krise, eine
                                   Menschen in der Öffentlichkeit
für Männer in Notlagen, sozial                                         finanzielle Notlage, das Ende
                                   ist ein veraltetes.
betreutes Wohnen für psychisch                                         einer Befristung – Es gibt viele
kranke Frauen, zahnärztliche       Neben den älteren, alleinste-       Ursachen. Ein ganz wesentli-
Versorgung, Winternothilfe oder    henden Männern, die man             cher Grund für Delogierungen
die Begleitung beim selbstän-      im Kopf hat, wenn man an            und Wohnungslosigkeit sind die
digen Wohnen in der eigenen        Obdachlosigkeit denkt, sind         exorbitanten Mieten, prekäre
Wohnen durch Housing First ist     auch viele Männer, die nicht in     Arbeitsverhältnisse, sinkende
– die Palette ist breit und viel   dieses klassische Bild passen,      Einkommen und der fehlende
Erfahrung, Fachkompetenz und       Frauen, Familien und jüngere        Zugang zu günstigem Wohn-
Engagement sind in ihre Ent-       Menschen von Wohnungsver-           raum.
wicklung geflossen.                lust betroffen.

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Wohnungslosenhilfe
– Ein Auftrag zur Mitgestaltung

Zahllose Menschen wohnen         Rahmenbedingungen schaffen,        für uns auf der Tagesordnung
prekär bei Freund_innen oder     sodass mehr günstige Wohnun-       stehen.
Partner_innen. Angesichts der    gen gebaut werden können.
                                                                    Und wir müssen die politischen
ständig steigenden Mieten ist
                                 Die Rolle der Wohnungslosen-       Entscheidungsträger_innen in
nicht davon auszugehen, dass
                                 hilfe in diesem Zusammenhang       die Pflicht nehmen, mit ihnen
die Zahl prekär wohnender
                                 ist es, Sprachrohr für die be-     diskutieren, sie überzeugen
Menschen kleiner wird.
                                 troffenen wohnungslosen oder       und unbequem sein.
Die Wohnungslosenhilfe kann      von Wohnungslosigkeit bedroh-
                                                                    Dieser Bericht ist ein erster
zwar Wohnraum zur Verfügung      ten Menschen zu sein und diese
                                                                    Schritt in diese Richtung und
stellen, allerdings ist dieser   auch sichtbar zu machen.
                                                                    liefert eine Grundlage für wei-
für die Klient_innen sowohl
                                 Wir dürfen dabei aber nicht        tere Diskussionsprozesse.
zahlenmäßig als auch zeitlich
                                 nur auf die bestehenden Pro-
begrenzt.
                                 bleme aufmerksam machen,
Aus der Entwicklung in der       sondern müssen auch Lösungs-
Wohnungslosenhilfe und der       vorschläge anbieten und unsere
Situation am Wohnungsmarkt       Expertise einbringen.
kann man schließen, dass
                                 Kooperationen mit der Woh-
allgemein mehr Wohnraum
                                 nungswirtschaft, der Wohn-
notwendig ist – leistbar und
                                 bauforschung, Architektur-
dauerhaft.
                                 verbänden sowie anderen
Die Politik muss die gesetz-     Bereichen der Sozialarbeit (z.B.
lichen und wirtschaftlichen      Behindertenbereich) müssen

                                                                                                      5
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Vom Wohnen
und der Armut
 Menschen, die im Rahmen der Wiener
 Wohnungslosenhilfe (WWH) betreut werden,
 haben eines gemeinsam: Sie sind durch die
 Bank manifest arm.
Fakten                        Problem                       Forderungen
• Manifest arm nach           • Ohne ausreichende, den      • Eine Grundsicherung, die
EU-SILC 2014 bei:             Marktpreisen angepasste,      zum Leben reicht.
1.161 Euro pro Monat          finanzielle Mittel verarmen
                                                            • Hoheitsrechtlich organi-
                              immer mehr Wiener_innen,
• Mindeststandard nach                                      sierter Zugang zur Wiener
                              mit der Gefahr, obdachlos
Wiener Mindestsicherungs-                                   Wohnungslosenhilfe.
                              zu werden.
gesetz 2014 inklusive Miet-
beihilfe bei Ausschöpfung
der Obergrenze:
913 Euro pro Monat
• Armutslücke (Differenz
zwischen „manifest arm“
und Mindeststandard):
248 Euro pro Monat

                                                                                         7
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Sie müssen nicht nur mit          Armutslücke und kein              dass keine unerwarteten Zah-
einem niedrigen Einkommen         Rechtsanspruch                    lungen auf sie zukommen.Eine
das Auslagen finden, sondern                                        Betriebskostenabrechnung mit
                                  Die Armutslücke zeigt dras-
mit ganz konkreten, finanziell                                      einer Nachforderung der Haus-
                                  tisch, worum es geht: Zwischen
bedingten Einschränkungen in                                        verwaltung kann hier schon zu
                                  den Mitteln, die Bezieher_in-
der alltäglichen Lebensführung                                      beträchtlichen Schwierigkeiten
                                  nen der Bedarfsorientierten
zurechtkommen.                                                      führen.
                                  Mindestsicherung (BMS) zur
Und das vielfach ohne Pers-       Verfügung stehen und „mani-       Sollten diese Schwierigkeiten
pektive auf einen nachhaltigen    fester Armut“ existiert immer     in die Obdachlosigkeit führen,
Ausstieg. Daran wird sich auch    noch eine Differenz.              ist die WWH nicht automatisch
nichts geändert haben, wenn                                         die notwendige Hilfe. Erstens
                                  Wer BMS bezieht, der/dem
sie einen finalen Wohnplatz                                         muss die betroffene Person an-
                                  fehlten 2014 155 Euro pro Mo-
gefunden haben werden. Weder                                        spruchsberechtigt (mehr dazu
                                  nat um „amtlich“ arm zu sein.
Beziehungsarbeit noch Schul-                                        ab Seite 31) sein.
                                  Denn die Armutsgrenze liegt in
denregulierung werden ihre
                                  Wien genau um diesen Betrag       Das sind in der Regel nur
Armut beenden.
                                  höher als die BMS-Auszahlun-      Menschen mit österreichischem
Will die WWH langfristig          gen.                              Reisepass und einem dauerhaft
nachhaltige Wirkung entfalten,                                      nachweisbarem Aufenthalt in
                                  Damit eine Wohnung in Wien,
bietet das Thema Armut einen                                        Wien. Weiters muss seit der
                                  bei der aktuellen Preisentwick-
zentralen Ansatzpunkt.                                              Einführung der BMS neben der
                                  lung am Wohnungsmarkt, zu
                                                                    Obdach- bzw. Wohnungslosig-
 Neben der impliziten Themati-    erhalten, ist für immer mehr
                                                                    keit auch eine Notlage vorliegen
sierung – Stichwort „Leistbarer   Menschen schwierig. Der vor-
                                                                    und außerdem Unterstützungs-
Wohnraum“ – und den Bemü-         gesehene Betrag für Wohnen
                                                                    bedarf bestehen.
hungen, armutsbetroffenen         von aktuell 304,22 Euro reicht
Menschen Teilhabe, in diesem      in der Regel nicht aus, eine      Festgeschrieben ist dies in den
Fall im Bereich Wohnen, zu        Single-Wohnung am Wiener          Förderrichtlinien des Fonds
sichern, bedarf es auch der Ar-   Wohnungsmarkt zu mieten.          Soziales Wien (FSW). Dieser
beit am Hilfe- und Rechtssys-                                       ist im Rahmen der Privat-
                                  Betroffene reagieren in der
tem und ein Sichtbarmachen                                          wirtschaftsverwaltung dafür
                                  Regel darauf, indem sie Mittel,
von Armut und ihren Auswir-                                         zuständig. Wird von Seiten des
                                  die für Nahrung, Kleidung oder
kungen.                                                             FSW zum Beispiel kein Unter-
                                  Gesundheit vorgesehen sind,
                                                                    stützungsbedarf festgestellt,
                                  für Mietzahlungen zu verwen-
                                                                    ist die WWH keine Option auf
                                  den. Und sie müssen hoffen,
                                                                    Hilfe mehr.

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Ist die Entscheidung, dass kein   sparen müssen, wenn sie ihre       Quellen:
Anspruch auf Hilfe besteht,       Miete zahlen wollen.               • http://www.statistik.at/web_de/sta-
einmal getroffen, kann kein                                          tistiken/menschen_und_gesellschaft/
                                  Diese Grundsicherung muss
Einspruch dagegen erhoben                                            soziales/armut_und_soziale_eingliede-
                                  auf Grund eines Warenkorbs,
werden. Denn in der Privat-                                          rung/index.html
                                  der die relevanten Lebensfüh-
wirtschaftsverwaltung gibt es                                        • http://www.wien.gv.at/recht/landes-
                                  rungskosten abdeckt, basieren.
keine Rechtsansprüche. Die                                           recht-wien/rechtsvorschriften/html/
                                  Hier stellen Referenzbudgets,
Rechtmäßigkeit dieser Vor-                                           s0400100.htm
                                  wie von den Schuldnerberatun-
gangsweise ist mittlerweile
                                  gen erstellt, eine brauchbare      • http://www.schuldenberatung.at/
auch gerichtlich bestätigt.
                                  Basis dar.                         fachpublikum/projekte.php
Vor dem Hintergrund der                                              • http://www.fsw.at/downloads/
                                  Ebenfalls notwendig – Stich-
Deklaration „Wien - Stadt der                                        foerderwesen_anerkennung/foerder-
                                  wort: Partizipation – ist ein
Menschenrechte“, ist diese                                           richtlinien/spezifisch/Spez_FRL_Un-
                                  rechtsstaatliches Verfahren,
Handhabung beim Rechts-                                              terstuetzung_obdach_bzw_wohnungs-
                                  dass wohnungslos gewordenen
zugang für armutsbetroffene                                          loser_Menschen.pdf
                                  Menschen die Möglichkeit gibt,
Menschen auffällig. Die Dekla-                                       • https://www.ris.bka.gv.at/Doku-
                                  ihre Würde zu bewahren, in-
ration benennt unter anderem                                         mente/Lvwg/LVWGT_WI_20140326_
                                  dem sie mitbestimmen können,
auch ein „Recht auf soziale                                          VGW_141_002_23711_2014_00/
                                  welche Art von Unterstützung
Grundsicherung und Wohnen“.                                          LVWGT_WI_20140326_
                                  sie in Anspruch nehmen. Eine
                                  Leistungszuerkennung ohne          VGW_141_002_23711_2014_00.pdf
                                  Mitsprache und Einspruchs-
Eine Grundsicherung,
                                  möglichkeit erfüllt diesen
die zum Leben reicht
                                  Zweck nicht.
Was es also dringend braucht,
                                  Und es braucht eine WWH,
ist eine wirkliche Grundsi-
                                  die diese Veränderungen im
cherung, die es armutsbetrof-
                                  Rechts- und Hilfesystem auch
fenen Menschen ermöglicht
                                  einfordert. Wenn immer mehr
ohne Einschränkungen in der
                                  Menschen auf Grund von Ar-
alltäglichen Lebensführung
                                  mut ihre Wohnungen verlieren,
zurechtkommen. Es braucht
                                  ist dies mit Sicherheit für alle
eine Grundsicherung, die die
                                  die denkbar schlechteste Ent-
realen Wohnkosten zur Gänze
                                  wicklung: für die Betroffenen,
abdeckt, und Menschen nicht
                                  das Hilfesystem und für das
dazu zwingt, an Nahrung
                                  gesamte Gemeinwesen.

                                                                                                             9
10
Wohnen muss
leistbar sein
 Die Stadt Wien wächst. Im Jahr 2029 werden
 mehr als zwei Millionen Menschen in Wien
 wohnen. Während die Wohnkosten seit
 mehreren Jahren stark steigen, bleiben die
 Einkommen weitgehend konstant.
Fakten                       Problem                   Forderungen
• Die Kosten von Mietwoh-    • Viele Menschen können   • Reform des Mietrechtsge-
nungen sind von 2001 bis     sich die eigene Wohnung   setzes.
2015 um 15 % gestiegen       nicht mehr leisten.
                                                       • Mehr Initiativen für die
– um fünf Prozentpunkte
                             • Wohnen ist zu teuer.    Errichtung von leistbarem
stärker als das allgemeine
                                                       Wohnraum.
Preisniveau.
                                                       • Zugang zum geförderten
                                                       Wohnbau ohne große finan-
                                                       zielle Hürden.

                                                                                    11
Diese Entwicklung stellt eine      einer starken Zunahme befris-        Der kommunale Wohnbau stellt
Herausforderung für Wohn-          teter Mietverträge gekennzeich-      nach wie vor den günstigsten
und Sozialpolitik dar, die ge-     net.                                 Wohnraum in Wien dar. Ge-
währleisten muss, dass qualita-                                         meindewohnungen werden in
                                   Die Kosten von Mietwohnungen
tiv hochwertiges und leistbares                                         der Regel unbefristet vergeben
                                   sind in Wien von 2001 bis 2011
Wohnen für alle Bevölkerungs-                                           und bieten daher langfristige
                                   um 15 Prozent – und damit um
gruppen langfristig möglich ist.                                        Sicherheit und Stabilität. Die
                                   fünf Prozentpunkte stärker als
Nur so können prekäre Wohn-                                             Vormerkungen für eine Gemein-
                                   das allgemeine Preisniveau –
verhältnisse und Obdachlosig-                                           dewohnung steigen und stehen
                                   gestiegen. Besonders teuer sind
keit vermieden werden.                                                  einem derzeit konstanten bzw.
                                   neu vermietete Wohnungen;
                                                                        leicht sinkenden Angebot gegen-
Die Entwicklungen der letzten      aktuelle online-Wohnungsange-
                                                                        über, da seit 2004 keine weiteren
Jahre zeigen, dass dies nur        bote liegen bei rund zwölf Euro je
                                                                        Bauten errichtet wurden. Durch
unzureichend gelingt: Immer        Quadratmeter.
                                                                        die angekündigten „Gemein-
mehr Haushalte sind von einem
                                   Diese werden darüber hinaus          dewohnungen Neu“ sollen in
zu hohen Wohnkostenanteil
                                   immer häufiger befristet ver-        den kommenden Jahren wieder
betroffen.
                                   geben. Die Anzahl befristeter        zusätzliche kommunale Woh-
Rund fünf Prozent der Haus-        Hauptmietverhältnisse ist in         nungen entstehen.
halte haben wohnbezogene Zah-      Wien von 2009 bis 2012 um 56
                                                                        Der gemeinnützige Wohnbau stellt
lungsschwierigkeiten. Gleich-      Prozent gestiegen, wobei der
                                                                        neben dem kommunalen den
zeitig ist die Inanspruchnahme     vorgeschriebene Abschlag von
                                                                        günstigsten Wohnraum bereit.
von Leistungen der Wohnungs-       25 Prozent zumeist nicht einge-
                                                                        Die Miethöhe ist durch das Woh-
losenhilfe in Wien zwischen        halten wird.
                                                                        nungsgemeinnützigkeitsgesetz
2010 und 2013 um nahezu 20
                                   Personen, die ihren Wohnort          (WGG) begrenzt und Mietverträ-
Prozent gestiegen.
                                   häufig wechseln oder einen           ge werden nahezu ausschließlich
                                   gänzlich neuen Wohnsitz grün-        unbefristet vergeben. Derzeit ist
                                   den – wie insbesondere junge         der gemeinnützige Wohnungsbau
Steigende Wohnkosten und                                                für armutsgefährdete Haushalte
                                   Erwachsene oder wohnungslose
befristete Mietverhältnisse                                             oder Personen, die von Woh-
                                   Menschen – sind von diesen
Eine Ursache stellen – neben       Entwicklungen besonders be-          nungslosigkeit betroffen sind,
der Arbeitsmarktsituation – die    troffen.                             jedoch nur sehr unzureichend
Entwicklungen der Wohnungs-                                             zugänglich. Gründe dafür sind
                                   Zwischen dem kommunalen,
wirtschaft dar. Die Wiener                                              die zum Teil sehr hohen Eigen-
                                   dem gemeinnützigen und dem
Wohnungswirtschaft ist von                                              mittelbeträge sowie die Ausge-
                                   privaten Wohnungssegment
steigenden Wohnkosten und                                               staltung der Wohnungsvergabe.
                                   zeigen sich starke Unterschiede:

12
Im privaten Wohnungssegment          rungs- und Quadratmeterkosten       zulässigen Mietzins unverhält-
sind sowohl die Zunahme be-          aus. Auch bei den „Gemeinde-        nismäßig, wirken einer sozialen
fristeter Mietverträge als auch      wohnungen Neu“ sowie bei Woh-       Durchmischung klar entgegen
der Preisanstieg besonders stark     nungen, die in den Anwendungs-      und stellen einen Anreiz zur
ausgeprägt: Bei 25,1 Prozent der     bereich des Mietrechtsgesetzes      Befristung von Mietverträgen
privaten Hauptmietwohnungen          (MRG) oder des Wohnungsge-          dar. Befristete Mietverträge
wurde der Mietvertrag befristet      meinnützigkeitsgesetzes (WGG)       führen zu einem erheblichen
vergeben – Tendenz steigend.         fallen, ist die Leistbarkeit des    Mehrkostenaufwand und einer
Wohnungen privater Vermie-           Wohnraumes langfristig anzu-        zusätzlichen Prekarisierung der
ter_innen – vor allem befristet      nehmen. Bei Bauinitiativen, die     Lebensbedingungen.
vergebene – sind mit Abstand         auf eine langfristige Mietpreis-
die teuersten Wohnungen in           regulierung verzichten, ist dies
Wien.                                nicht gewährleistet. Sie sind       Quellen:
                                     daher kritisch zu hinterfragen.     • Gutheil-Knopp-Kirchwald, Gerlinde
                                                                         / Kadi, Justin (2014): Gerechte Stadt
                                     Die Bereitstellung von Wohn-
Mehr Wohnungen,                                                          – Gerechte Wohnungspolitik? In: Der
                                     raum für armutsgefährdete
die leistbar sind                                                        öffentliche Sektor. Vol. 40. S. 11-31
                                     Haushalte ist über das gesam-
                                     te Stadtgebiet und von allen        • Harner, Roswitha/Hammer, Eli-
Die Wohnpolitik ist gefordert,
                                     Wohnungssegmenten zu fordern.       sabeth/Reiter, Markus (2015): Leist-
dem rasanten Bevölkerungs-
                                     Demnach ist der gemeinnüt-          bares Wohnen für armutsgefährdete
wachstum eine ausreichend hohe
                                     zige Wohnbau gefordert, die         Menschen – dringend gesucht. In: Der
Bauleistung gegenüberzustellen.
                                     Zugänglichkeit für diese Bevöl-     Mieter. Fachzeitschrift der Mieterverei-
In diesem Sinne sind die Be-
                                     kerungsgruppe zu verbessern.        nigung Österreich. Heft 1. S. 4-8.
mühungen der Stadt Wien, die
Bauleistung durch zusätzliche        Um die Leistbarkeit im privaten     • MA 24 (2012): Wiener Sozialbericht
Initiativen weiter zu erhöhen, zu    Wohnungsmarkt zu erreichen,         2012.
begrüßen.                            bedarf es vor allem einer Novelle   • MA 24 (2015): Wiener Sozialbericht
                                     des Mietrechtsgesetzes. Zentral     2015.
Wesentlich ist darüber hinaus,
                                     sind hier die Ausweitung des        • Schinnagl, Michaela / Schmid, Mar-
dass diese errichteten Wohnun-
                                     Anwendungsbereiches sowie           tin (2014): Österreichisches Mietrecht
gen leistbar sind. Positiv hervor-
                                     eine transparente und durch-        im Wandel der Zeit – Geschichte und
zuheben ist diesbezüglich das
                                     setzbare Mietpreisobergrenze.       Perspektiven. In: Wippel, Jörg (Hrsg.):
SMART-Wohnungsprogramm.
                                     Darüber hinaus sind Möglich-        Wohnbaukultur in Österreich. Studien-
SMART-Wohnungen zeichnen
                                     keiten der Lagezuschläge und        Verlag.
sich durch einen kompakten und
                                     der Befristung abzuschaffen:
durchdachten Grundriss und                                               • http://www.immopreise.at/Wien/Woh-
                                     Lagezuschläge erhöhen den
besonders niedrige Finanzie-                                             nung/Miete [23.06.2015]

                                                                                                                 13
14
Unterstützungs-
leistungen für
Wohnen
 „Günstige Garçonnière in Wien dringend
 gesucht (bis 300 €).“
 „Jungfamilie sucht ruhige Wohnung
 (1 oder 2 Zimmer) bis 400 €“
 „Neu! Helle Ein-Zimmer-Wohnung (38m2), 12.
 Bezirk, 490 €, Befristung 3 Jahre.“
Fakten                     Problem                   Forderungen
• In Österreich sind       • Das System der Unter-   • Zusammenführen unter-
39 Prozent der armutsge-   stützungsleistungen ist   schiedlicher Leistungen zu
fährdeten Menschen mit     intransparent und nicht   einer Transferleistung.
unzumutbaren Wohnkosten    armutsfest.
                                                     • Abschluss der Verhand-
konfrontiert.
                                                     lungen zwischen MA 40 und
                                                     MA 50, Orientierung an
                                                     tatsächlichen Wohnkosten.

                                                                                  15
Zwei Wohnungssuchende, ein         anderen Ausgaben bleiben ihr       schwelle, das durchschnittliche
Angebot. Wie zahllose andere       damit monatlich 439,89 Euro.       Einkommen armutsgefährdeter
liegt es weit außerhalb der en-                                       Wiener_innen liegt mit nur 839
                                   Immerhin wurde ihr für den
gen finanziellen Grenzen. Auch                                        Euro sogar deutlich darunter.
                                   Bezug der Wohnung die finan-
für Karin. Sie ist aber trotzdem
                                   zielle Unterstützungsleistung      In Österreich sind 39 Prozent
froh über die Zusage; immerhin
                                   „Hilfe in besonderen Lebensla-     – und damit in europäischen
für drei Jahre. Zu viele Ver-
                                   gen“ durch die MA 40 gewährt.      Vergleich überdurchschnitt-
mieter_innen hatten sie schon
                                   Ansonsten wären die hohen An-      lich viele – armutsgefährdete
abgelehnt. Karin arbeitet seit
                                   fangskosten eine unüberwind-       Menschen mit unzumutbaren
Kurzem und erhält dazu eine
                                   bare Hürde für sie gewesen.        Wohnkosten konfrontiert. Der
Ergänzungsleistung durch die
                                   Glücklicherweise – Rechtsan-       Wiener Sozialbericht zeigt, dass
Bedarfsorientierte Mindestsi-
                                   spruch gibt es nämlich keinen.     die Wohnkostenbelastung in
cherung (BMS).
                                                                      Wien besonders hoch ist und
Von den 827,82 Euro die ihr                                           kontinuierlich steigt. 80% der
monatlich zur Verfügung stehen     Wohnkostenbelastung steigt         armutsgefährdeten Haushalte
sind 25 Prozent – also 206,96      – trotz finanzieller Beihilfen     gaben an, dass Wohnkosten für
Euro – für die Deckung des                                            sie eine finanzielle Belastung
                                   Wohnen und genug zum Leben
Wohnbedarfs vorgesehen. Weil                                          darstellen. Besonders heraus-
                                   haben: Angesichts steigender
die Miete mit 490 Euro höher                                          fordernd werden Wohnkosten
                                   Mieten und sinkender Ein-
ist, erhält sie außerdem Miet-                                        erlebt, wenn der Mietvertrag
                                   kommen geht sich das für viele
beihilfe. Insgesamt stehen ihr                                        befristet ist.
                                   Menschen nicht mehr aus. Ursa-
nun 309 Euro für Wohnen zur
                                   chen dafür sind nicht nur stetig   In der österreichischen Woh-
Verfügung. Auch Wohnbeihilfe
                                   steigende Wohnkosten – son-        nungspolitik stellt – neben dem
hat sie beantragt. Leider ohne
                                   dern auch die andere Seite von     Mietrecht – die Wohnbauförde-
Erfolg: Karin konnte das gefor-
                                   „Leistbarkeit“: Die Einkommen      rung ein wesentliches Instru-
derte Mindesteinkommen von
                                   halten mit der Entwicklung der     ment dar. Die Wohnbauförde-
827,82 Euro nicht nachweisen.
                                   Mieten schon lange nicht mehr      rung liegt in der Kompetenz der
Die Bedarfsorientierte Min-        Schritt.                           Länder und legt einen starken
destsicherung wird von der                                            Fokus auf die Förderung der Er-
                                   Viele Menschen sind von Ar-
MA 50 nämlich nicht mehr als                                          richtung von leistbarem Wohn-
                                   beitslosigkeit betroffen oder
Einkommen berücksichtigt. Die                                         raum. Durch die Errichtung von
                                   verrichten schlecht bezahlte
zusätzlichen Mietkosten von                                           leistbarem Wohnraum sollen
                                   Tätigkeiten. 394.000 Menschen
181 Euro zahlt sie vom Betrag                                         für die Mieter_innen weniger
                                   leben in Wien von Einkommen
für den Lebensunterhalt. Für                                          monetäre Leistungen notwendig
                                   unter der Armutsgefährdungs-
die Energierechnungen und alle                                        sein.

16
Ein Blick auf die Lage in Wien        Informationsmaterialien und        der Wohnungssicherung und der
zeigt:                                Beantragungsformulare, un-         Wohnungslosenhilfe festgelegt
                                      terschiedliche „Schienen“ und      werden.
Die Ausgaben für wohnbezoge-
                                      Berechnungsarten sowie die
ne Transferleistungen steigen,                                           Darüber hinaus braucht es
                                      Inkompatibilität von Wohn- und
wobei es zu einer Verschiebung                                           eine stärkere Berücksichtigung
                                      Mietbeihilfe machen eine Ver-
von Personen mit niedrigem                                               armutsgefährdeter Haushal-
                                      besserung dringend notwendig.
Einkommen in Richtung der                                                te in der Vergabe geförderter
Leistungen im Rahmen der                                                 Wohnungen und einen Rechts-
BMS kommt. Summiert man                                                  anspruch auf die „Hilfe in
                                      Transferleistungen armutsfest
die Wohnbeihilfe-Ausgaben                                                besonderen Lebenslagen“, durch
                                      gestalten
und die wohnrelevanten Ausga-                                            welche Delogierungen abgewen-
ben in der BMS, zeigt sich im         Als Schnittstellenthema kann       det und finanzielle Hürden bei
Zeitraum von 2011 bis 2013 ein        die Wohnproblematik nicht von      einem Neubezug überwunden
Anstieg von 193 Mio. Euro auf         einem Bereich alleine gelöst       werden können.
219 Mio. Euro.                        werden. Eine Verbesserung
                                      erfordert enge Zusammenarbeit
Das bestehende System kann
                                      und ein effektives Ineinander-
aber dennoch nicht als armuts-                                           Quellen:
                                      greifen von Wohnungs- und
fest bezeichnet werden. Die ho-                                          • Wolfgang Amann, Alexis Mundt
                                      Sozialpolitik.
hen Mieten sind oft trotz Beihilfen                                      (2015): Leistbares Wohnen – Bestands-
nicht finanzierbar. Die zusätzli-     Der Verband der Wiener             aufnahme von monetären Leistungen
chen Wohnkosten müssen folg-          Wohnungslosenhilfe fordert         für untere Einkommensgruppen zur
lich aus Mitteln bezahlt werden,      daher die ressortübergreifende     Deckung des Wohnbedarfs (IIBW, im
die eigentlich zur Deckung des        Zusammenführung der unter-         Auftrag BMASK). Wien.
Lebensunterhalts benötigt wer-        schiedlichen Leistungen zu einer   • MA 24 (2015): Wiener Sozialbericht
den. Diese sind dadurch – wie         Transferleistung für Wohnen, die   2015. Wien.
bei Karin – von einem niedrigen       für Anspruchsberechtigte nach-
                                                                         • Rechnungshof (2014): Bericht des
auf ein bedenkliches Niveau           vollziehbar und unkompliziert
                                                                         Rechnungshofes. Reihe Einkommen.
verkürzt.                             zu beantragen ist. Laufende
                                                                         Wien.
                                      Verhandlungen in Richtung ei-
Wien hat im Bundesländer-                                                • Statistik Austria (2013): Studie zu
                                      nes solchen „Wohngelds“ sollten
vergleich das „mit Abstand                                               Armut und sozialer Eingliederung in
                                      ehestmöglich zu einer Umset-
komplexeste Regelwerk für                                                den Bundesländern 2011. Wien.
                                      zung führen. Die Höhe muss
subjektseitige Wohnkostenun-
                                      sich an tatsächlichen Wohnkosten   • Statistik Austria (2014): EU-Silc
terstützungen“ (vgl. Mundt/
                                      in Wien orientieren und unter      2013. Einkommen. Armut und Lebens-
Amann 2015: 100). Komplizierte
                                      Einbezug von Vertreter_innen       bedingungen. Wien.

                                                                                                                 17
18
Städtische Wohnungs-
vergabe für mehr
soziale Durchmischung
 Sozialer Durchmischung wird in Wien ein
 hoher Stellenwert beigemessen. Dass man von
 der Wohnadresse in der Regel nicht auf die
 Herkunft oder das Einkommen eines Menschen
 schließen kann, gilt als wesentlicher Erfolg der
 städtischen Wohnungspolitik.
Fakten                       Problem                      Forderungen
• 62 Prozent der 11.000      • Die Dringlichkeit des      • 50 Prozent der neu gebau-
freigewordenen Gemein-       Wohnbedarfes wird in der     ten geförderten Wohnungen
debauwohnungen vergab        Reihung nicht berücksich-    muss die Stadt vergeben.
Wiener Wohnen 2013 über      tigt.
                                                          • Die Dringlichkeit des
die offizielle Warteliste.
                             • Die Voraussetzung durch-   Wohnbedarfes muss bei der
• 17 Prozent gingen an die   gehender Meldung ist für     Vergabe stärker berücksich-
„soziale Wohnungsvergabe“.   prekär wohnende Menschen     tigt werden; etwa durch ein
                             ein Ausschlussgrund vom      Punktesystem.
                             sozialen Wohnbau.

                                                                                    19
Doch während Wissenschaf-         62 Prozent der freigewordenen       Eine wesentliche Zugangsvor-
ter_innen den schleichenden       Wohnungen vergab Wiener             aussetzung liegt in mindestens
Verlust dieser Besonderheit       Wohnen über die offizielle War-     zweijähriger Meldezeit in Wien;
Wiens zu bedenken geben, wird     teliste an vorgemerkte Haus-        neu zugezogene Personen wer-
die Durchmischung derzeit vor     halte. Die übrigen 17 Prozent       den vom sozialen Wohnungsseg-
allem zur Legitimation weite-     gingen über eine Sonderver-         ment grundsätzlich ausgeschlos-
rer Zugangsverengungen für        gabeschiene an Menschen, die        sen.
marginalisierte Bevölkerungs-     in einer betreuten Wohnform
                                                                      Hohes Einkommen stellt
gruppen zum sozialen Wohn-        leben oder von Obdachlosigkeit
                                                                      hingegen in der Regel keine Zu-
bau herangezogen.                 betroffen sind.
                                                                      gangshürde dar. Die zulässigen
                                  Auch abseits des kommunalen         Grenzen wurden 2010 stark
                                  Wohnbaus hat die Stadt Ein-         erhöht und liegen nunmehr
Einfluss der Stadt auf die Woh-
                                  fluss auf die Vergabe geförderter   über dem doppelten Medianein-
nungsvergabe
                                  Wohnungen. Im Neubau kann           kommen.
Mit 220.000 Gemeindewohnun-       sie mindestens ein Drittel selbst
                                                                      Für Gemeindewohnungen und
gen sowie 200.000 geförderten     vergeben. Hinzu kommen ältere
                                                                      bestimmte geförderte Modelle
Wohnungen umfasst der sozi-       Wohnungen zur Wiederver-
                                                                      muss außerdem ein begrün-
ale Wohnbau in Wien etwa 60       mietung und ein Teil der mit
                                                                      deter Wohnbedarf (wie Haus-
Prozent aller Wohnungen. Die      Fördermitteln sanierten Woh-
                                                                      haltsgründung oder Überbelag)
Stadt hat starken Einfluss auf    nungen - 2012 insgesamt 2.748
                                                                      nachgewiesen werden.
dieses Segment. Unter anderem     Wohnungen, deren Vergabe
gestaltet sie die Vergabe eines   durch das Wohnservice Wien          Zusätzlich wird die Wohnungs-
Großteils dieser Wohnungen.       über ein online-System gesteu-      vergabe über eine Reihung
                                  ert wurde.                          der angemeldeten Personen
2013 wurden rund 11.000 Ge-
                                                                      gestaltet, bisher aufgrund des
meindewohnungen neu verge-
                                                                      Datums ihrer Vormerkung. Seit
ben. Ein Fünftel davon durch
                                  Voraussetzungen und Reihung         Juli 2015 wird diese Warteliste
die Mieter_innen selbst, etwa
                                                                      durch einen „Bonus“ durch-
über ein Weitergaberecht an       Im Juli 2015 wurde die Vergabe
                                                                      brochen: Wer eine langjährige
Familienangehörige. Es wird       von somit jährlich über 11.000
                                                                      Hauptwohnsitzmeldung in
angenommen, dass durch diese      Wohnungen bei einer Stelle - der
                                                                      Wien nachweisen kann, rückt
Möglichkeit tendenziell ein-      „Wohnberatung Wien“ - gebün-
                                                                      vor.
kommensstärkere Haushalte         delt und stärker vereinheitlicht.
Wohnungen übernehmen und          Über Vergabekriterien legt die      Die Dringlichkeit des Wohn-
so stärkere Durchmischung         Stadt fest, wer in diesen Woh-      bedarfes bleibt hingegen nicht
erreicht werden kann.             nungen leben kann und soll.         nur auf wenige definierte

20
Gründe beschränkt, sie wirkt      gedeckt. Weil Erhebungen sie       ale Durchmischung. Durch eine
sich auch nicht auf die Reihung   aber als Ursache für die Kon-      Berücksichtigung der Dring-
aus. Starker Bedarf aufgrund      zentration mehrfach belasteter     lichkeit in der Reihung werden
von Obdachlosigkeit, einer        Mieter_innen in einzelnen          prekäre Wohnverhältnisse und
Unterbringung in einer institu-   Häusern ausmachen, gerät die       Wohnungslosigkeit vermie-
tionellen Einrichtung, massiver   Sondervergabe zunehmend un-        den. Den Zugang hingegen an
Wohnkostenbelastung, einer        ter Druck. Durch eine kürzli-      eine mehrjährige Meldezeit in
bevorstehenden Delogierung,       che Verschärfung der Zugangs-      Wien zu knüpfen, schließt neu
einer Trennung oder Gewal-        kriterien werden daher künftig     zugezogene ebenso wie prekär
terfahrungen in der derzeiti-     sogar noch weniger Wohnungen       wohnende Personen aus und ist
gen Wohnung sowie das Ende        über diese Schiene vergeben.       kritisch zu hinterfragen.
eines befristeten Mietvertrages
werden durch die allgemeine
Vergabe nicht berücksichtigt.Leistbares Wohnen für
                             Menschen in prekären Wohn-
                             verhältnissen oder Wohnungs-
Sondervergabeschiene „Sozia- losigkeit sicherstellen
le Wohnungsvergabe“
                                  Um größeren Einfluss auf die
Für Menschen, die in einer        Vergabe zu haben, sollen – wie     Quellen:
                                                                     • Gutheil-Knopp-Kirchwald, Gerlinde
betreuten Wohnform leben oder     schon bei SMART-Wohnungen
                                                                     / Kadi, Justin (2014): Gerechte Stadt
von Obdachlosigkeit betroffen     umgesetzt – mindestens 50
                                                                     – Gerechte Wohnungspolitik? In: Der
sind, wurde eine Sonderverga-     Prozent der geförderten Woh-
                                                                     öffentliche Sektor. Vol. 40. S. 11-31
be von Gemeindewohnungen          nungen durch die Stadt selbst
eingerichtet. Diese Wohnungen     vergeben werden.                   • Stadtrechnungshof Wien (2014):
sind vergleichsweise günstig,                                        Wohnservice Wien Ges.m.b.H. Prü-
                                  Ein einheitliches Vergabesys-
durch einen unbefristeten                                            fung der Wohnungsvergabe.
                                  tem für kommunale und
Vertrag bieten sie ihren von                                         • Ludwig, Michael (2013): Leistbares
                                  geförderte Wohnungen ist
Armut betroffenen Mieter_in-                                         Wohnen – eine Frage sozialer Fair-
                                  grundsätzlich zu begrüßen. In
nen langfristige Sicherheit                                          ness. In: Die Zukunft. Ausgabe 3.
                                  der Reihung sollte – etwa durch
und ermöglichen ihnen wieder                                         • Europäische Großstädte (2014):
                                  ein Punktesystem – neben der
eigenständiges Wohnen.                                               Resolution für den sozialen Wohnbau
                                  Wartezeit auch die Dringlich-
Der Bedarf an Wohnungen für       keit angemessen berücksichtigt     in Europa.
Menschen in akuten Notlagen       werden. Die Berücksichtigung       • Korab, Robert / Romm, Thomas /
wird durch diese „soziale Woh-    der Wartezeit sowie weite Zu-      Schönfeld, Annika (2010): Einfach.
nungsvergabe“ bei weitem nicht    gangskriterien fördern die sozi-   Sozialer. Wohnbau.

                                                                                                             21
22
Zu wenige Wohnungen
für wohnungslose
Menschen
 Nach wie vor leben in den Städten die meisten
 Menschen zur Miete. In Wien beträgt der
 Anteil der Hauptmiethaushalte an den 850.000
 Hauptwohnsitzwohnungen ca. 75 Prozent.
 Für die Wohnungslosenhilfe in Wien stellt sich
 die Situation besonders prekär dar.
Fakten                     Problem                    Forderungen
• Die Wohnungslosenhilfe   • Momentan gibt es viel    • Mehr leistbare Wohnun-
kann nur funktionieren,    zu wenige Wohnungen für    gen für Klient_innen der
wenn genug Wohnungen       wohnungslose Menschen.     Wohnungslosenhilfe.
für die Klient_innen zur   Es fehlen mindestens 700
                                                      • Kontingent an geförderten
Verfügung stehen.          Wohnungen jährlich.
                                                      Wohnungen für wohnungslo-
                                                      se Menschen.
                                                      • Rücknahme der Verschär-
                                                      fungen im Zugang zur
                                                      sozialen Wohnungsvergabe
                                                      von Wiener Wohnen.
                                                                                 23
Wohnungslosigkeit ist vor           Ein Großteil der etwa 10.000    meindewohnungen werden über
allem ein Strukturproblem und       Menschen in der Wiener Woh-     die Soziale Wohnungsvergabe
zu ihrer Verhinderung und           nungslosenhilfe würde gerne     der MA 50 vergeben. So wird
Beseitigung sind sozial- und        unmittelbar in einer eigenen    sichergestellt, dass anspruchs-
vor allem wohnungspolitische        Wohnung wohnen. Doch genau      berechtigte Personen in akuten
Maßnahmen gefragt.                  an diesen Wohnungen mangelt     Notlagen schnell eine Wohnung
                                    es in Wien seit Jahren. Aber    bekommen.
                                    nur mit einer ausreichenden
                                                                    Im Juli diesen Jahres wurden
Eigenständiges Wohnen als           Anzahl an Wohnungen kann
                                                                    die ohnehin schon sehr stren-
oberste Priorität                   die Wohnungslosenhilfe ihre
                                                                    gen Kriterien verschärft. Das
                                    Aufgabe erfüllen.
Dass ihre Klient_innen wieder                                       bedeutet, dass immer weniger
eigenständig wohnen, hat für        Die individuelle Konsequenz     Menschen über die Soziale
die Wohnungslosenhilfe oberste      für die Klient_innen ist ein    Wohnungsvergabe an eine
Priorität. Davor stellen ihnen      längerer Aufenthalt in Wohn-    Gemeindewohnung kommen.
verschiedene Einrichtungen          angeboten der Wohnungslosen-    Zahlreichen Klient_innen wird
Wohnplätze zur Verfügung. In        hilfe und damit einhergehend    damit die Perspektive nach ei-
fast allen Fällen gehen diese       auch Probleme wie Stigma-       genständigem Wohnen zerstört.
Plätze mit einer sozialarbeiteri-   tisierung, Ausgrenzung und
                                                                    Betrachtet man die Situation
schen Unterstützung einher.         Traumatisierung. Ein normaler
                                                                    im geförderten Wohnbau zeigt
                                    Alltag ist dadurch oft nicht
Auf institutioneller Ebene wer-                                     sich ein noch schlimmeres Bild.
                                    möglich.
den die Klient_innen in einem                                       In den von der Stadt Wien
Drei-Stufen-Modell so lange         Für den Fonds Soziales Wien     geförderten Wohnbauprojekten
unterstützt bis sie in eine eige-   (FSW), der die Wohnungslo-      haben wohnungslose Menschen
ne Wohnung ziehen können. Im        senhilfe aus den Mitteln des    praktisch keinen Zugang.
deinstitutionalisierten Bereich     Sozialressorts finanziert be-
                                                                    Nur etwa 1,5 Prozent der
bietet beispielsweise Housing       deuten längere Aufenthalte in
                                                                    Klient_innen haben überhaupt
First die Möglichkeit, dass von     Wohnangeboten der Wohnungs-
                                                                    die Möglichkeit eine Genossen-
Wohnungslosigkeit betroffene        losenhilfe eine zunehmende
                                                                    schaftswohnung zu beziehen.
Menschen sofort eine eigene         finanzielle Belastung.
                                                                    Hohe Eigenmittelanteile, nicht
Wohnung beziehen können,
                                    Mit 85 Prozent ziehen die       erfüllte Zugangskriterien und
dabei inkludiert ist ebenfalls
                                    meisten Klient_innen am         die Organisation der Verga-
sozialarbeiterische Unterstüt-
                                    Ende ihres Aufenthalts in der   be verunmöglichen in diesem
zung.
                                    Wohnungslosenhilfe in eine      Wohnungssegment den Einzug
                                    Gemeindewohnung. Diese Ge-      in die eigene Wohnung.

24
Im privaten Sektor sind recht-    Zum anderen muss der Zugang       Zusammengefasst kann festge-
liche Zugangshürden zwar kein     zum geförderten Wohnbau           halten werden, dass es in Wien
Problem, jedoch stellen die       für wohnungslose Menschen         zu wenige Wohnungen für Kli-
Willkür vieler Vermieter_in-      erleichtert werden. Hohe Ein-     ent_innen der Wohnungslosen-
nen, hohe Einstiegskosten         stiegskosten und Zugangshür-      hilfe gibt. Die Stadtregierung
(Kaution, Provision) sowie die    den müssen fallen. So kann        ist hier gefordert und muss die
horrenden Mietpreise eine Bar-    dem Mangel an Wohnungen am        Rahmenbedingungen im Sinne
riere dar.                        besten entgegengewirkt werden.    sozial benachteiligter Gruppen
                                                                    ändern. Mehr leistbarer Wohn-
Den gesamten Wohnungs-            Konkret plädiert die Wohnungs-
                                                                    raum führt zu weniger woh-
markt betrachtet, gibt es neben   losenhilfe für ein Kontingent
                                                                    nungslosen Menschen, was nur
der Gemeindewohnung keine         an geförderten Wohnungen, die
                                                                    im Sinne der Stadtregierung
Wohnmöglichkeit, die von          ausschließlich an wohnungslose
                                                                    sein kann.
einem Großteil der wohnungs-      Menschen vergeben werden.
losen Menschen in Betracht        Sowohl im Bestand als auch im
gezogen werden kann.              Neubau sollen 20 Prozent der
                                  Wohnungen für die Klient_in-
                                  nen reserviert werden. Dazu
Lösungsansatz                     muss die Stadtregierung die
                                  Wohnbauträger durch das Wie-
Aus Sicht der Wohnungslo-
                                  ner Wohnbauförderungsgesetz
senhilfe gibt es aktuell zwei
                                  verpflichten.
Maßnahmen, die rasch er-
griffen werden können und zu      Wie weiter oben schon beschrie-
einer Entspannung beitragen       ben, benötigen sowohl institu-
können.                           tionalisierte als auch deinsti-
                                  tutionalisierte Angebote mehr
Zum einen sind die im Juli
                                  Wohnungen für ihre Klient_in-
2015 vorgenommenen Ver-
                                  nen. Der Dachverband Wiener
schärfungen in der Sozialen
                                  Sozialeinrichtungen bezifferte
Wohnungsvergabe zurückzu-
                                  den Mehrbedarf im April 2013
nehmen. Da die Gemeindewoh-
                                  mit 500 Wohnungen pro Jahr.
nungen momentan die beste
                                  Mittlerweile kann man davon
Perspektive für wohnungslose
                                  ausgehen, dass zumindest 700
Menschen ist, darf man diese
                                  zusätzliche Wohnungen benö-
nicht zerstören, sondern muss
                                  tigt werden.
sie erhalten.

                                                                                                 25
26
Delogierungsprävention
als Maßnahme gegen
Wohnungslosigkeit
 Kundencenter von Wiener Wohnen. Eine
 junge Frau steht am Serviceschalter, an der
 Hand ein Kinderwagen mit ihrem Sohn. Sie
 erkundigt sich beim Mitarbeiter wie viel Miete
 sie schuldig ist. „2.500 Euro“, sagt dieser,
 mehr könne er ihr nicht sagen. Die Frau wirkt
 entsetzt, hilflos und orientierungslos. Sie geht.
Fakten                     Problem                     Forderungen
• 11270 Mieter_innen von   • Betroffene Personen       • Mehr Ressourcen für
Gemeindewohnungen wur-     werden nur mittels eines    Delogierungsprävention.
den 2014 wegen Räumungs-   Briefes kontaktiert. Nur
                                                       • Wahrnehmen delogie-
verfahren und Räumungs-    wenige Personen reagieren
                                                       rungspräventiver Betreu-
terminen kontaktiert.      auf diesen.                 ung als Aufgabe von
• 2.361 Räumungen wurden                               Wiener Wohnen.
vollzogen.

                                                                                 27
Ortswechsel: Ein Bezirksge-       dieser 2.361 Haushalte nicht      hohe gesellschaftliche Folge-
richt in Wien. Fünf Personen      nur ohne Heimat und Lebens-       kosten produzieren. Präventive
sind wegen Räumungsklagen         mittelpunkt, sondern auch mit     Maßnahmen haben also nicht
auf Grund von Mietrückstän-       Mietrückständen, Gerichts-,       nur einen Wert im Sinne des
den hier. Die nächsten warten     Verfahrens- und Räumungskos-      individuellen Schutzes, sondern
schon vor dem Verhandlungs-       ten und vor allen Dingen: ohne    sind auch von gesamtgesell-
saal. Alle bekommen trotz         Wohnmöglichkeit.                  schaftlichem Interesse.
Anwesenheit Versäumungsur-
                                  Der Verlust einer Wohnung         In Wien sind für die Delogie-
teile. Raten solle man mit dem
                                  bedeutet für Betroffene unsäg-    rungsprävention in Gemeinde-
Vermieter direkt vereinbaren.
                                  liches persönliches Leid und      wohnungen die Magistratsab-
Sie alle gehen mit hohen Miet-    Traumatisierung. Im Hinter-       teilung 40 und bei betroffenen
schulden und ohne Ratenplan       grund liegen meist massive so-    minderjährigen Kindern die
aber mit einem Exekutionstitel,   ziale Problemlagen wie Armut,     Magistratsabteilung 11 zu-
durch den bei weiterem Zah-       zu hohe Mieten, Krankheit,        ständig. FAWOS (Fachstel-
lungsverzug sofort die Räu-       Arbeitslosigkeit, Trennung,       le für Wohnungssicherung,
mung beantragt werden kann,       Überschuldung und Unwissen-       Volkshilfe) kümmert sich um
wieder. Die Richterin wirkt       heit.                             Mieter_innen von Privat- und
mehr bemüht, die Vielzahl an                                        Genossenschaftswohnungen.
                                  Delogierung und darauf folgen-
Akten abzuarbeiten, als ver-
                                  de Wohnungslosigkeit können       Sie erhält eine verpflichtende
mittelnd zur Existenzsicherung
                                  zu Stigmatisierung und Aus-       Meldung über alle Räumungs-
beizutragen.
                                  grenzungsprozessen führen         verfahren und Kündigungen
Diese auf realen Begebenhei-      bzw. bisherige Schwierigkeiten    und informiert die Betroffenen
ten basierenden Fallbeispiele     verstärken.                       per Brief über die zuständigen
zeigen, dass eine persönliche,                                      Institutionen. In ihrer Existenz
fachlich fundierte Beratung                                         gefährdete Menschen befinden
über Räumungsverfahren und        Delogierungsprävention als        sich aber oftmals in einer Art
deren Konsequenzen sowie          gesamtgesellschaftliches          Schockstarre. Briefe erleben sie
über Möglichkeiten eines Woh-     Interesse                         oft als Bedrohung, weil diese
nungserhalts fehlt.                                                 meist schlechte Neuigkeiten
                                  Diese zunächst als individuelle
                                                                    beinhalten.
2014 wurden in Wien 2.361         Probleme wirkenden Effekte
Räumungen vollzogen. Auf          von Wohnungsverlust haben         So haben 2014 nur etwa 23
die Straße entlassen sind die     aber auch strukturelle Ursa-      Prozent der angeschriebenen
Alleinstehenden, Paare, Fa-       chen und vor allem sozialpo-      Mieter_innen von Privat – und
milien und Alleinerziehenden      litische Auswirkungen, da sie     Genossenschaftswohnungen

28
Kontakt zu FAWOS aufgenom-        Betreuungsangebot muss als        Quellen:
men. Nur ca. 30 Prozent der       Aufgabengebiet der Wohnungs-      • Sonderauswertung zu Kündigungen,
kontaktierten Gemeindewoh-        losenhilfe wahrgenommen und       Räumungen, Räumungs- und Forde-
nungshaushalte haben 2014 fi-     installiert werden, weil der      rungsexekutionen, Verfahrensautoma-
nanzielle Unterstützung durch     Aufenthalt in stationären, viel   tion Justiz 2014
die MA 40 bekommen.               teureren Angeboten verhindert     • http://www.bawo.at/de/content/woh-
                                  wird.                             nungslosigkeit/delogierung.html

                                  Ein Anknüpfungspunkt könn-        • Kittel, Freiwilligkeit versus Zwang,
Individuelle Beratung und
                                  ten die Angebote der Mobilen      S. 69f; vgl. FAWOS Jahresbericht
Betreuung
                                  Wohnbetreuung sein, die ehe-      2013, S. 8
Um Betroffene zu erreichen,       mals wohnungslose Menschen        • MA24 Sozialbericht 2012, S. 178
braucht es daher Delogierungs-    beim Erhalt ihrer Wohnungen       • FAWOS Jahresbericht 2014
prävention in Form von aufsu-     unterstützen. Eine Zusammen-
chender individueller, sozial-    arbeit zwischen der Wohnungs-
arbeiterischer Beratung und       losenhilfe und den bestehenden
Betreuung. Diese kann derzeit     Einrichtungen der Delogie-
von den bestehenden Institu-      rungsprävention ist dringend
tionen aus Ressourcenmangel       zu forcieren.
nicht angeboten werden, der
                                  Es muss auf allen politischen
Fokus liegt eher auf finanziel-
                                  und institutionellen Ebenen
ler Hilfe.
                                  das erklärte Ziel sein, alles
In solch existenziellen Krisen    dafür zu tun, dass Menschen
muss Sozialarbeit nieder-         in ihren Wohnungen verbleiben
schwellig und aufklärend sein.    können, nicht nur um Folge-
Sie kann Mietrückständen,         kosten zu sparen, sondern weil
unleidlichem Verhalten oder       es eine gesellschaftspolitische
sanitärem Übelstand frühzeitig    Pflicht den Betroffenen persön-
begegnen, nachhaltige Absiche-    liches Leid, Stigmatisierung
rung der Betroffenen in ihren     und gesellschaftliche Ausgren-
Wohnungen erwirken und so         zungsprozesse zu ersparen.
Delogierungen verhindern.
Es braucht daher eine Verstär-
kung personeller und finanziel-
ler Ressourcen. Ein präventives

                                                                                                        29
30
Wer hat Anspruch,
wer hat keinen und wer
sollte Anspruch haben
 Die Nutzer_innen der Wiener
 Wohnungslosenhilfe, kurz WWH, werden
 basierend auf dem Wiener Sozialhilfegesetz
 unterteilt in anspruchsberechtigte Menschen
 und nichtanspruchsberechtigte Menschen.
 Die einen können auf ihre Ansprüche pochen
 und die anderen nicht.
Fakten                       Problem                        Forderungen
• Es gibt anspruchsberech-   • Die Entscheidung, ob je-     • Offenlegung der Ent-
tigte Menschen und Perso-    mand anspruchsberechtigt       scheidungen des bzWO.
nen, die keinen Anspruch     ist oder nicht erscheint oft
                                                            • Klare und transparente
auf Leistungen der Woh-      willkürlich, da nicht alle
                                                            Kriterien für Förderbewil-
nungslosenhilfe haben.       Kriterien transparent sind.    ligungen/Ablehnungen.
                             Es besteht kein Rechtsan-
                             spruch.                        • Unabhängige Expert_in-
                                                            nenkommission oder
                                                            Rechtsweg bei strittigen
                                                            Entscheidungen.

                                                                                       31
Die Nutzer_innen der Wiener       WWH aber bedeutend mehr als        Leistung zuzuerkennen. In der
Wohnungslosenhilfe, kurz          nur Tageszentren und Notquar-      Praxis werden aber zusätzliche
WWH, werden basierend auf         tiere anbietet, verlassen wir      Entscheidungskriterien wie
dem Wiener Sozialhilfegesetz      nun das Übungsbecken, und          „Lebensmittelpunkt in Wien“,
unterteilt in anspruchsberech-    tauchen ein in das weite Meer      „Unterstützungsbedarf“ und
tigte Menschen (z.B.: österrei-   der Praxis.                        „Bereitschaft zur Mitarbeit“
chische Staatsbürger_innen                                           berücksichtigt.
                                  Die unergründlichen Wege zur
oder rechtlich gleichgestellte
                                  Entscheidungsfindung               So kann es vorkommen, dass
Personen, die in Wien obdach-
                                                                     der Antrag eines 19 Jahre jun-
los geworden sind) und nichtan-   Die Inanspruchnahme einer
                                                                     gen, frisch vom Familienver-
spruchsberechtigte Menschen       subjektgeförderten Leistung
                                                                     band ausgeschlossenen Mannes
(z.B.: Personen, deren letzter    (also aller betreuten Wohnan-
                                                                     abgelehnt wird, weil er abge-
Wohnsitz in einem Bundesland      gebote) ist an einen Förderan-
                                                                     sehen von seiner Arbeits- und
war oder EU-Bürger_innen,         trag beim und ein Gespräch im
                                                                     Wohnungslosigkeit im Erstge-
denen der Anspruch verwehrt       Beratungszentrum Wohnungs-
                                                                     spräch keinen Unterstützungs-
wird). Die einen können auf       losenhilfe geknüpft. Dort wird
                                                                     bedarf erwähnt.
ihre Ansprüche pochen und die     von Casemanager_innen über
anderen nicht.                    die Erfüllung der Anspruchs-        So kann es aber auch vorkom-
                                  voraussetzungen und über die       men, dass eine 21-jährige Frau,
Diese Unterscheidung zieht
                                  Förderung spezifischer Leis-       die jahrelang bei ihrer Schwes-
sich durch das gesamte System
                                  tungen entschieden.                ter wohnen konnte, nach einem
der WWH. Ausnahmen sind
                                                                     Streit ausziehen musste, eine
niederschwellige Beratungs-       Nun könnte man meinen,
                                                                     Förderbewilligung bekommt,
und Tagesaufenthaltsmöglich-      dass eine Einschätzung nach
                                                                     eben weil sie noch nie eigen-
keiten, die beiden Gruppen        Förderwürdigkeit aufgrund
                                                                     ständig gewohnt hat und den
zugänglich sind, so wie das       der vorliegenden Fakten leicht
                                                                     Eindruck vermittelt, dass sie
Notquartiersangebot während       möglich ist. Jemand, der bei-
                                                                     Unterstützung dabei braucht.
der Wintermonate.                 spielsweise Mindestsicherung
                                  bezieht, Dokumente vorlegen        Und so kann es vorkommen,
Der Anspruch, den die Stadt
                                  kann und über keine ausrei-        dass ein 45-jähriger Mann,
Wien im Winter an sich stellt,
                                  chenden finanziellen oder sozia-   der sich jahrelang ohne Sozi-
ist vorbildhaft, im europäi-
                                  len Ressourcen verfügt, um die     alleistungen zu beziehen auf
schen Vergleich einzigartig
                                  akute Wohnungslosigkeit selb-      der Donauinsel und in Parks
und nur durch die gute Zusam-
                                  ständig zu überwinden, ist in      durchgeschlagen hat, keine
menarbeit des FSW mit den
                                  einem simplen Verständnis von      Förderbewilligung bekommt,
verschiedenen Trägereinrich-
                                  Anspruchsberechtigung eine         weil er nicht im zentralen Mel-
tungen möglich. Nachdem die

32
deregister (ZMR) aufscheint       werden. In der Regel mit wenig      Es bedarf einer kontinuierli-
und somit der Lebensmittel-       Aussicht auf Erfolg.                chen Reflexion und eines offe-
punkt in Wien nicht nachvoll-                                         nen Diskurses zum Thema der
                                  Natürlich erreicht die WWH
ziehbar ist.                                                          Anspruchsberechtigung in der
                                  eine große Anzahl von Men-
                                                                      WWH und der Ansprüche an
Oder dass eine 30-jährige Frau,   schen, sorgt für eine Ange-
                                                                      die WWH, um Lücken im Sys-
die in einem kleinen Ort in       botspalette, die sehr vielen
                                                                      tem schließen und neue Wege
Oberösterreich aufgewachsen       Problemlagen begegnet und
                                                                      erschließen zu können.
ist, nach Beendigung einer        Bedürfnisse berücksichtigt und
Gewaltbeziehung nun aber be-      natürlich ist sie als Angebot für
reits seit mehr als zwei Jahren   Menschen verstehen, die sich
prekär – und somit auch ohne      selbst nicht aus ihrer Notlage
Hauptwohnsitzmeldung – in         herausmanövrieren können.
Wien wohnt, ebenfalls wegen
                                  Die WWH muss sich aber auch
mangelnder Nachweise im
                                  vor Augen führen, dass es zu
ZMR abgelehnt wird.
                                  einer Schieflage in der Wahr-
Rechtsanspruch als Absiche-       nehmung kommen kann, wenn
rung                              durch Intransparenz nicht
                                  nachvollziehbare Entscheidun-
All diese Fallgeschichten haben
                                  gen getroffen werden. Es bedarf
eines gemeinsam: sie vermit-
                                  einer Präzisierung des Begrif-
teln auf Grund der unpräzisen
                                  fes Anspruchsberechtigung,
Begrifflichkeiten und des gro-
                                  was nicht bedeutet, dass es hier
ßen Interpretationsspielraums
                                  eine Verengung geben darf.
den Eindruck einer willkür-
lichen Entscheidungsfindung       Viel eher sollten schwammi-
und einer Bringschuld der         ge gesetzliche Bestimmun-
Klient_innen.                     gen näher bestimmt werden.
                                  Außerdem bedarf es einer
Ein zusätzlicher Nachteil für
                                  Möglichkeit, unabhängige
die Betroffenen ist, dass es
                                  Entscheidungsgremien zur
keinen Rechtsanspruch auf
                                  Beeinspruchung von Ablehnun-
Unterbringung gibt und somit
                                  gen einbeziehen zu können, sei
keine Anfechtung der Entschei-
                                  das durch einen Rechtsweg,
dung möglich ist. Im besten
                                  oder beispielsweise durch eine
Fall kann ein neuer Antrag
                                  Expert_innenkommission.
auf Förderbewilligung gestellt

                                                                                                  33
34
Angebote für
EU-Bürger_innen
 Christina (29), italienische Staatsbürgerin, war
 vier Jahre lang in einem Krankenhaus in Rom
 beschäftigt, bevor dieses geschlossen wurde
 und sie ihre Arbeit verlor. Mehr als ein Jahr
 versucht sie tagtäglich eine andere Anstellung
 zu finden. Vergebens. Das wenige Ersparte ist
 aufgebraucht, die Transferleistungen genügen
 nicht, um die Miete zu begleichen.
Fakten                          Problem                       Forderung
• EU-Bürger_innen haben         • Es gibt zwar im Winter      • Ganzjähriges Angebot an
Zugang zum Arbeitsmarkt,        Versorgungsangebote wie       Notquartiersplätzen.
sind aber oft von Sozialleis-   Tageszentren und Notquar-
tungen ausgeschlossen.          tiere, diese fehlen aber im
                                Sommer.

                                                                                     35
„Es ist unerträglich“, sagt sie   angemeldet war. Eine Verket-       Notquartier und zum ersten
„in dem Viertel in dem ich ge-    tung aus prekären Wohnver-         Mal seit langer Zeit fühlt er
wohnt habe, ging es vielen so.    hältnissen, längere Phasen         sich sicher, kommt zur Ruhe
Es gibt immer mehr Menschen,      ohne Job, keine Ansprüche          und schafft es, Unterstüt-
die sich aus purer Verzweiflung   auf staatliche Leistungen und      zungsangebote in Anspruch zu
umbringen.“ Christina sucht       kaum soziale Ressourcen führ-      nehmen.
einen anderen Weg. Vor einem      ten Daniel zu der Situation, in
                                                                     Diese Menschen und ihre Ge-
Jahr lässt sie ihre zwei Töch-    der er sich heute befindet:
                                                                     schichten könnten unterschied-
ter bei ihrer Schwester zurück
                                  Ein 54 Jahre alter Mann, der       licher kaum sein und dennoch
und macht sich auf den Weg.
                                  seit fünf Jahren obdachlos und     führten sie zu Situationen mit
Ihr Ziel: Eine neue Existenz.
                                  alkoholkrank ist, keinerlei        wesentlichen Gemeinsamkeiten:
Ein Leben ohne Verzweiflung.
                                  Einkommen und keine Versi-         Sie sind EU-Bürger_innen in
Wien.
                                  cherung hat und jeglichen Kon-     Wien, sie sind obdachlos, eine
Der Bulgare Plamen ist seit       takt zu seinem Herkunftsland       Rückkehr ins Herkunftsland
zwei Jahren in Wien. Er arbei-    verlor.                            bietet keine Perspektive und sie
tete in Sofia als Handwerker.                                        alle sind „Nicht anspruchsbe-
                                  Peter (37) ist deutscher Staats-
Sein Einkommen von knapp                                             rechtigt“.
                                  bürger und wird verfolgt. Er
200 Euro reichte aber nicht
                                  weiß nicht, warum ihn seine        Dieser Terminus vereinheitlicht
aus, um seine Familie zu
                                  Regierung nicht einfach in         eine heterogene Gruppe, deren
versorgen, die Medikamente
                                  Ruhe lässt, aber der Bundes-       soziale Problemlage politisch
für seine kranke Mutter zu
                                  nachrichtendienst lässt ihn        weitestgehend ignoriert wird.
bezahlen und die Wohnung zu
                                  nicht unbeobachtet. Er ver-        Wenn von „Nicht Anspruchsbe-
heizen. In Wien arbeitet er un-
                                  sucht zu entkommen und zieht       rechtigten“ die Rede ist, handelt
dokumentiert rund 40 Stunden
                                  von einer Stadt in die nächste.    es sich dabei um EU-Bürger_in-
pro Woche und bekommt dafür
                                  Seine Vorstellungen sind nicht     nen die zwar unbeschränkten
500 Euro. Er weiß, dass er
                                  real, seine Ängste und seine       Zugang zum österreichischen
ausgebeutet wird und schämt
                                  Leiden durchaus. Einen festen      Arbeitsmarkt haben, jedoch
sich dafür. „Aber was soll ich
                                  Wohnsitz hat er schon seit Jah-    keine Anmeldebescheinigung
tun? Ich kann meine Familie
                                  ren nicht mehr. Er ist getrie-     nachweisen können. Sie sind
versorgen. Nur ich kann davon
                                  ben, muss immer wieder weg,        von Gesundheits- und Sozial-
nicht leben.“
                                  taucht unter.                      leistungen ausgeschlossen und
Fast fünfzehn Jahre ist es her,                                      sie werden keine Förderbewilli-
                                  Im Dezember 2014 führt ihn
dass Daniel von Polen nach                                           gung für eine Wohneinrichtung
                                  sein Weg nach Wien. Er be-
Wien zog und Geld am Bau                                             der Wiener Wohnungslosenhilfe
                                  kommt einen Platz in einem
verdiente, wo er nur sporadisch                                      erhalten.

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Angebote für Nichtanspruchs-      kommt einer Demütigung der
berechtigte ausbauen              Hilfesuchenden gleich. In einer
                                  Stadt deren Geschichte ohne
Seit 2009 und „Uni brennt“
                                  Migration nicht denkbar ist
stellt der FSW Basisangebote
                                  und die sich auf ihre humani-
für diese Zielgruppe zur Ver-
                                  täre Tradition beruft, gibt es
fügung. Sozialberatung, Un-
                                  derzeit keinen leistbaren Wohn-
terstützung bei Rückkehr und
                                  raum für einkommensschwache
Notquartiersplätze können im
                                  Menschen.
Rahmen der Winterhilfe auch
von EU-Bürger_innen genutzt       Es ist nicht die Aufgabe der
werden.                           Stadt Wien sein, die Armut-
                                  sprobleme Europas zu lösen,
Von Anfang November bis Ende
                                  aber es sollte ihre Aufgabe
April sollen alle Menschen bei
                                  sein, den in Wien lebenden
Bedarf über einen Schlafplatz
                                  obdachlosen Menschen ganz-
verfügen. Dafür wurden etwa
                                  jährig Schutz und Unterkunft
600 zusätzliche Schlafplätze im
                                  zu bieten. Eine Weltstadt im
Winter 2014/15 geschaffen. Die
                                  Zentrum Europas sollte es
Etablierung der Wintermaß-
                                  schaffen, für diese Zielgruppe
nahmen ist eine gute und wich-
                                  ein reguläres, differenziertes,
tige Maßnahme, aber es kann
                                  ganzjähriges und soziale In-
nur ein erster Schritt sein.
                                  klusion förderndes Angebot zu
So können Menschen zwar           schaffen. Ein Schlafplatz bietet
vor dem Erfrieren geschützt,      schließlich nicht nur Wärme,
aber keine sozialen Probleme      sondern auch Schutz, Ruhe und
gelöst werden. Stabilisierung     Würde.
und Inklusion von armutsbe-
                                  All das wird vielen Menschen
troffenen, marginalisierten
                                  nicht zuteil: Christina kann
Menschen wird ohne ganz-
                                  noch einige Wochen unange-
jährige und differenzierte
                                  meldet bei einer Bekannten
Angebote nicht funktionieren.
                                  bleiben. Plamen schläft in ei-
Den bedürftigsten Menschen
                                  nem überteuerten Massenquar-
unserer Gesellschaft im April
                                  tier. Daniel nächtigt im Park.
mitzuteilen, dass sie am 1. Mai
                                  Der Aufenthaltsort von Peter
ihren Schlafplatz verlieren,
                                  ist unbekannt.

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