Zeitschrift der Lebenshilfe Wien - Wohnen wie Du und Ich - Leben in Garconnieren

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Zeitschrift der Lebenshilfe Wien - Wohnen wie Du und Ich - Leben in Garconnieren
Zeitschrift der Lebenshilfe Wien

                                                               Sommer 2020

                                                         www.lebenshilfe.wien
    Das
  große
Intervie        Wohnen wie Du und Ich –
        w
               Leben in Garconnieren

  Corona: Und plötzlich war alles anders Seite 4
  Das 2-Säulen-Modell der Lebenshilfe Seite 22
Zeitschrift der Lebenshilfe Wien - Wohnen wie Du und Ich - Leben in Garconnieren
Vor.wort

Liebe Leserin! Lieber Leser!
In dieser aktuellen Phase können wir erleichtert    Sie haben sich trotz dienstlicher, wirtschaft-
zurückblicken: Mit viel Einsatz und ein bisschen    licher Erschwernisse und der Sorge um die
Glück konnten wir die vergangenen turbulen-         eigene Gesundheit und Zukunft weit über das
ten Monate sicher meistern. Wir sind dankbar,       Normalmaß hinaus engagiert. Ihren Teil dazu
dass weder auf MitarbeiterInnen- noch auf           beigetragen, dass unsere Organisation jetzt im
KundInnenseite jemand bis zum heutigem              Juli zu einem Normalbetrieb zurückfinden kann.
Zeitpunkt an Covid-19 erkrankt ist. Das soll so     Die Wiedersehensfreude ist groß! Es gebührt
bleiben. Wir wünschen Ihnen und Ihren Lieben        Ihnen ein großes Dankeschön. Dafür, dass Sie
weiterhin von Herzen Gesundheit.                    geholfen haben, dass Abläufe und somit unser
                                                    Betrieb weiter funktionieren konnte, dass Sie
Sie alle haben sehr viel dazu beigetragen, dass     Verantwortung übernommen haben, sich Um-
diese schwierige Zeit der Isolation und             sicht, Ruhe und Zuversicht behalten haben, un-
Einschränkung gut bewältigt werden konnte.          terstützt haben an allen Ecken und Enden, alles
Haben zu Hause bei Ihren Familien, im Home-         daran gesetzt haben, den Trennungsschmerz
office, in der Kurzarbeit, in unserem Notbetrieb,   kleiner zu halten und geschaut haben, dass wir
in den Wohnhäusern, in der Begleitung unserer       untereinander in Kontakt bleiben, für Spaß und
KundInnen in eigenen Wohnungen alles gege-          Abwechslung gesorgt haben und vieles mehr.
ben. Sie haben auf sich selbst geachtet, die
notwendigen Sicherheits- und Abstandsregeln         Die Ungewissheit, wie es mit diesem Virus
eingehalten und damit unsere Gesellschaft und       weitergeht, bleibt und somit auch die schma-
vor allem schützenwerte Personengruppen,            le Gratwanderung zwischen Sicherheit und
zu denen auch viele Menschen mit Behin-             Freiheit. Doch wir sind uns sicher, gemeinsam
derungen zählen, unversehrt durch die Krise         schaffen wir das auch weiterhin!
gebracht.
                                                    Ihr Redaktionsteam
Zeitschrift der Lebenshilfe Wien - Wohnen wie Du und Ich - Leben in Garconnieren
Inhalt
Mittendrin
 4 Corona: Und plötzlich war alles anders
 7 Wenn einem die Decke auf den Kopf fällt
10 Angehörige in Corona-Zeiten
                                                                               Herr Eder ist richtig happy in
Das große Interview                                                            seiner ersten eigenen Wohnung
                                                                               in der Braunhubergasse.
11 Wohnen wie Du und Ich                                                       Foto: Ritchy Pobaschnig
14 Ein weiteres Wohnprojekt ist im Werden
                                                                               MITMACHEN Sommer 2020
Fort- und Weiterbildung                                                        Impressum und Offenlegung

15	Persönliche Zukunftsplanung: Im Vordergrund stehen                         Herausgeber/Verleger:
    die Wünsche und Träume                                                     Lebenshilfe Wien, Verein für Menschen
                                                                               mit intellektueller Beeinträchtigung
                                                                               ZVR 870109504
                                                                               Brehmstraße 12/12, 1110 Wien
Aus den Werkstätten                                                            Tel.: 01 - 812 26 35
17 Aufträge gesucht                                                            Fax: 01 - 812 26 35 - 30
                                                                               E-Mail: office@lebenshilfe.wien
17 Besteckkisten für Gastro                                                    www.lebenshilfe.wien
18	Die Bienen der Lebenshilfe Wien
                                                                               Redaktion:
19	Bienen-Wissen 1. Teil                                                      Nicole Reiter
                                                                               Mag. Bernhard Schmid

Zivildienst                                                                    Grafisches Konzept:
                                                                               HG-CROSSMEDIA.COM
20	Der Filmemacher in der Hubergasse
                                                                               Druck:
                                                                               Gerin Druck GmbH, 2120 Wolkersdorf
Geld und Recht
22 Eigenes Geld und gute Unterstützung                                         Vorstand:
                                                                               Präsident DI Stefan Sedlitz
25 Neues Mindestsicherungsgesetz für Wien seit 1. Mai in Kraft                 Vizepräsidentin Brigitta Weiss
                                                                               Vizepräsidentin Isabelle Bosse
                                                                               Kassier Wolfgang J. Kraus
Wien inklusiv                                                                  Schriftführerin Renate Neubauer
                                                                               sowie Hanns-Christoph Brunotte,
26 Literaturpreis Ohrenschmaus sucht neue Schreibtalente                       Silvia Janisch, Rosa Prinz,
26 Beratungsstelle der Lebenshilfe Wien                                        Univ.-Prof. Dr. Meinhard Regler
27 ORF – Nachrichten in einfacher Sprache                                      Vereinzweck:
27 Inklusionspreis 2020 ausgeschrieben                                         Der Verein, dessen Tätigkeit überkon-
                                                                               fessionell, überparteilich und nicht auf
                                                                               Gewinn gerichtet ist, bezweckt den
                                                                               Schutz und die Förderung der sozialen,
                                                                               wirtschaftlichen, beruflichen, gesund-
 Wir sind für Sie da!                                                          heitlichen und kulturellen Interessen der
                                                                               Menschen mit intellektueller Beein-
 Carina Altenhofer, BSc, Assistentin der Geschäftsführung, vereinbart          trächtigung; sowie der Interessen der
                                                                               von dieser Beeinträchtigung mitbetrof-
 für Sie gerne persönliche Gesprächstermine:                                   fenen Angehörigen, außer diese sind
   mit unserem Präsidenten DI Stefan Sedlitz                                  mit den Interessen des Menschen mit
                                                                               intellektueller Beeinträchtigung nicht
    mit unserem Geschäftsführer Mag. Joachim Mair                             vereinbar.
     mit unserer fachlichen Leitung Mag.a Karin Gerbautz
      mit unserer Beraterin über Wohn- u. Werkstattplätze Mag.a Ingrid Wick   Blattlinie und Erscheinungsweise:
                                                                               Die Zeitschrift MITMACHEN erscheint
       mit unserem Generalsekretär Mag. Bernhard Schmid                       zwei Mal jährlich und enthält aktuelle
 Telefon: 01 - 812 26 35, E-Mail: office@lebenshilfe.wien                      Informationen rund um Arbeit und
                                                                               Services der Lebenshilfe Wien sowie
 Spendenkonto Lebenshilfe Wien:                                                sozialpolitische Themen für Menschen
                                                                               mit intellektueller Beeinträchtigung
 Bank Austria, IBAN: AT29 1200 0006 0139 9942, BIC: BKAUATWW                   und ihre Angehörigen.
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MIT.MACHEN              GESUNDHEIT

                                                                                                  Visiere bieten

Corona: Und plötzlich
                                                                                                  Schutz und sind
                                                                                                  recht angenehm
                                                                                                  zu tragen.

war alles anders
 Von der Inklusion hin zur Isolation, von Krisenplänen und deren Praxistest, von
 Ausnahmesituationen in unserer Organisation bis hin zu Auswirkungen
 im Familienverbund. Die Covid-19-Pandemie hat unser aller Leben stark verändert.

                                       Als Mitte März dieses Jahres das    MitarbeiterInnen der geschlosse-
                                       Geschäfts- und Gesellschaftsle-     nen Werkstätten unterstützten
                                       ben in Österreich schlagartig he-   die KollegInnen in den Wohn-
                                       runtergefahren wurde, mussten       häusern, die jetzt sieben Tage 24
                                       auch wir uns in der Lebenshilfe     Stunden für die Menschen mit
                                       Wien in kürzester Zeit auf völlig   Behinderungen im Einsatz waren.
„Die Freunde                           neue Bedingungen einstellen.        Es wurden Arbeitsaufgaben
                                       Die sechs Werkstätten wurden        organisiert und viele individuelle
gehen mir schon                        geschlossen und ein Notdienst       Aktivitäten, wie Spaziergänge,
sehr ab!“                              untertags für eine Handvoll Kun-    Kontaktpflege zu FreundInnen
                                       dInnen eingerichtet, die nicht zu   und Angehörigen über Videotele-
Noch mehr als seine tägliche           Hause begleitet werden konnten.     fonie, musisch-kreative Angebote
Arbeit fehlen dem alleinwohnenden      Der Großteil der Menschen mit       und vieles mehr ermöglicht.
Christoph Navratil der Austausch       Behinderungen blieb aber ab
und die gemeinsamen Freizeit-          diesem Zeitpunkt in den eigenen     Das Etablieren notwendiger
aktivitäten mit seinen Freunden.       Wohnungen, Wohngemeinschaf-         Schutzvorkehrungen, Richtlinien
                                       ten oder bei Angehörigen. Die       zur Prävention und das Erstellen

   4
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MITTENDRIN      MIT.MACHEN

                                                                             „Wann sehen wir
„Macht endlich die                                                           uns wieder?“
Werkstätten wieder auf!“
                                                                             Nach 4 Wochen Heimisolation hörte
Josef Korosek teilt sich mit seiner Frau das                                 Sarah Primos auf, diese Frage per
Familien-Management im Home-Office;                                          Telefon an ihre Eltern zu stellen.
Lange geht das weder für die Familie noch
für die Arbeit gut.

                                                         „Es ist wie Urlaub zu Hause!“
                                                         Robert Zauner kann der Schließung seiner Werkstätte
                                                         auch Positives abgewinnen.

                                               Auch die Angst vor Erkrankungen       Teilhabemöglichkeiten mehr für
                                               und damit verbundener Quaran-         Menschen mit Behinderungen.
                                               täne begleitete uns“, beschreibt      Der Gleichheitsgrundsatz, der
                                               Mag.a Karin Gerbautz, fachliche       uns in unserer Arbeit sonst leitet,
                                               Leiterin der Lebenshilfe Wien, die    war völlig aus den Fugen geraten.
                                               Situation.
                                                                                     Mit der stufenweisen Öffnung
                                               Die Inklusion hat(te)                 erobern wir uns jetzt schön lang-
                                               Pause                                 sam die Normalität und unsere
                                               Aufgrund des Lockdowns kam es         Rechte zurück. Bestimmt wird
                                               zur totalen Reduktion von Sozial-     es noch seine Zeit dauern, bis
                                               kontakten, es gab keine Form von      die Wunden, die diese Pandemie
    Mit den KundInnen zu Hause wird
    über Videotelefonie Kontakt gehalten.

     von Einsatzplänen beschäftigte
     uns rund um die Uhr. Ständig gab
     es neue Verordnungen und Emp-
     fehlungen seitens der Bundesre-
     gierung, die rasch zu interpretie-
     ren und umzusetzen waren.
     „Vor allem zu Beginn der Krise
     war vieles unklar, gesetzliche                                                                       Wir setzen in der
     Rahmenbedingungen fehlten.                                                                           Arbeit auf Sicher-
                                                                                                          heitsabstand und
     Keiner wusste, was auf uns                                                                           das Tragen eines
     zukommen würde, wie lange                                                                            Mund-Nasen-
                                                                                                          Schutzes.
     die Krise dauern würde.

                                                                                                                      5
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MIT.MACHEN             MITENDRIN

                                                                                        Neue Wege in der
                                                                                        Kommunikation:
                                                                                        Die Standortleitungen
                                                                                        tauschen sich
                                                                                        regelmäßig über
                                                                                        Videokonferenz aus.

hinterlassen hat, heilen. Auch die      die fachliche Leiterin. In Zu-     ken und den Austausch, wenn
Sorge, dass eine zweite Covid-          kunft gilt es, noch mehr auf die   man ihn braucht, zu erleichtern.
19-Welle auf uns hereinbricht,          Mitsprache von Menschen mit        Auch die Vernetzung mit ande-
und Inklusion und Teilhabe auf die      Behinderungen zu setzen, gerade    ren Trägern in Wien ist wichtig,
Wartebank rücken, bleibt.               in Krisenzeiten muss auch die      um branchenweit schneller zu
                                        Führungsebene hören, was un-       einheitlichen Vorgangsweisen zu
Jede Krise ist auch                     sere KundInnen brauchen und sie    kommen. Denn nur gemeinsam
eine Chance                             informiert halten. Eine stärkere   werden wir den Spagat zwischen
„Wir hatten Glück, niemand ist          Digitalisierung in unserm Verein   notwendigen Schutzmaßnahmen
erkrankt bisher und wir standen         und eine Aufrüstung von tech-      und dem Erhalt der Grundrechte
gemeinsam wirklich Schwieriges          nischen Möglichkeiten können       von Menschen mit Behinderun-
durch. Auf diesen Zusammenhalt          dabei helfen, die Kommunikation    gen und allen, die ihnen nahe
können wir stolz sein“, betont          nach innen und außen zu stär-      stehen, schaffen.

                                                                     e                        n
                                                  Veranstaltungsabsag
                                                 Aus gegebenen Anlass haben wir uns schweren
                                                 Herzens dazu entschlossen, unsere geplanten
                                                 Veranstaltungen abzusagen:

                                                    8. August 2020: Ausflug in den Donaupark
                                                   2
                                                   25. Oktober 2020: Konzert auf der Schmelz
                                                    27. November 2020: Vernissage Rueppgasse

                                                 Wir holen vieles nach, wenn es genau wieder so
                                                 stattfinden kann, wie wir es alle lieben!

Alles wird gut, daran glauben alle. –            Alle Informationen finden sich dann rechtzeitig auf
Frau Engelbrechtslehner hat einen
                                                 unserer Internetseite: www.lebenshilfe.wien
Regenbogen als Zeichen der Hoffnung
gezeichnet.

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MITTENDRIN      MIT.MACHEN

Wenn einem die Decke
auf den Kopf fällt
Wie ist es Menschen mit Lernschwierigkeiten in Zeiten der Isolation gegangen?
Wie haben sie ihre Tage zu Hause verbracht? Was hat alles gefehlt?
Was ist jetzt nach ihrer Rückkehr in die Arbeit alles anders?

Erfahrungsberichte von Mitgliedern unseres Mitsprache-Teams (Gruppe MiT):

                                              Ich habe mich gefreut, als ich meinen
                                              Papa in Niederösterreich wieder besuchen
                                              konnte.
                                              Ich freue mich, wenn das Kaffeehaus vom
                                              teilbetreuten Wohnen wieder aufmacht.
                                              Dort treffen wir uns normalerweise jeden
                                              Mittwoch. Leider hat es momentan noch
                                              nicht offen. Ich freue mich schon wieder
                                              aufs Bowling spielen und aufs Walken ge-
                                              hen. Ich freue mich auf den Kochkurs, den
                                              ich gemacht hätte. Er konnte leider nicht
                                              mehr stattfinden. Ich tät mich freuen, wenn
                                              ich im Herbst meinen Job als Co-Kursleiter
                                              antreten könnte.
 Josef Hochmeister: Mir ist es sehr gut
 gegangen. Mir ist aber schon die Decke
 auf den Kopf gefallen. Ich bin immer eine    Julius Szebeni: Gesundheit-
 Runde spazieren gegangen. Ich bin dort       lich ist es mir gut gegangen,
 gegangen, wo wenige Leute waren. Ich         aber das Problem ist, dass mir
 habe immer saubergemacht. Ich bin erst       langweilig war. Das war schon
 spät aufgestanden. Ich habe auch gekocht.    blöd, von meiner Warte aus.
 Ich bin auch mit meiner Betreuerin einkau-   Am Anfang der Corona-Krise
 fen gegangen. Meine Betreuerin aus dem       bin ich einmal spazieren ge-
 teilbetreuten Wohnen hat aber Kurzarbeit.    gangen, aber da hat mich mein
 Deshalb hat sie leider nicht so viel Zeit    Bruder angerufen und gefragt,
 gehabt.                                      wo ich bin und mir gesagt, ich
                                              soll wieder nach Hause kom-
 Ich habe mich gefreut, wie meine Betreu-     men. Meine Mutter hat mir
 erin angerufen hat, dass wir am 18.Mai       Vorwürfe gemacht, wieso ich
 wieder in der MiT-Gruppe (dem Mitsprache     spazieren gegangen bin, weil
 Team der Lebenshilfe Wien) starten.          sie in der Risikogruppe ist.
 Ich freue mich, dass man wieder              Ich habe 2 Monate lang die Wohnung
 Freunde treffen kann. Ich habe mich          nicht verlassen, weil meine Mutter
 gefreut, dass die Kaffeehäuser am            Angst hatte, dass ich sie anstecke.
 15. Mai wieder aufgesperrt haben.            Ich bin nur einkaufen gegangen und danach

                                                                                            7
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MIT.MACHEN              MITTENDRIN

                   wieder nach Hause. Ich habe auch mit            um sich die Matches anzuschauen. Ich tät
                   meinen Freunden telefoniert. Ich habe mich      mich freuen, wenn die Kinos wieder auf-
                   erkundigt, wie es ihnen geht und was sie        machen, damit ich wieder mit Freunden ins
                   machen. Es hat sich herausgestellt, dass es     Kino gehen kann. Ich wünsche mir auch mal
                   ihnen auch nicht anders ergangen ist wie        wieder mit meinem Bruder ins Kino gehen
                   mir. Sie durften auch nicht so viel machen.     zu können. Ich freue mich auf meine Kurse in
                   Sie durften sich auch nicht mit ihrer Familie   der Volkshochschule. Wenn es wahr ist, star-
                   treffen oder Geburtstag feiern. Für sie war     ten sie im Herbst, wenn nicht dann nächstes
                   es genauso schwer auszuhalten und zu            Jahr 2021. Ich habe gehört, dass das Donau-
                   ertragen wie für mich. Die meisten haben        inselfest im Herbst stattfinden wird. Darüber
                   entweder Play Station 4 gespielt oder           würde ich mich sehr freuen, wenn das wahr
                   ferngesehen und DVD-Filme angesehen.            wird.
                   Das habe ich auch gemacht. Ich habe auch
                   Spiele auf meinem Handy gespielt.
                   Meine Freunde und ich konnten nach einer
                   gewissen Zeit das Wort Corona nicht mehr
                   hören. Es war überall in der Zeitung, im
                   Fernsehen und in der Werbung und ist uns
                   schon auf die Nerven gegangen. Es war
                   für alle eine schwierige Zeit. Leicht war es
                   nicht. Viele sind es nicht gewohnt, so lange
                   isoliert zu sein. Das ist für jeden schwer.
                   Ich durfte mit meiner Mutter nicht ihren
                   Geburtstag feiern und auch nicht den von
                   meinem Bruder. Meinen Geburtstag am
                   12. Mai konnten wir dann schon wieder            Robert Saugspier: Gesundheitsmä-
                   gemeinsam feiern. Vorher war das nicht           ßig ist es mir gut ergangen. Um 6 Uhr
                   möglich. Ab und zu habe ich Wäsche gewa-         habe ich jeden Tag das Frühstück ge-
                   schen oder geputzt. Einmal in der Woche          macht. Danach haben meine Lebens-
                   habe ich einen Großputz gemacht. Ich habe        gefährtin und ich besprochen, was zu
                   lange geschlafen.                                machen ist. Am Montag ging ich zwi-
                                                                    schen 8 und 8:30 Uhr zur Apotheke, um
                   Ich habe mich auf die Arbeit gefreut. Ich        die Medikamente für meine Lebensge-
                   freue mich, dass ich wieder Freunde tref-        fährtin zu holen. Danach habe ich einen
                   fen darf und dass man sich seit 15. Mai          Tag zum Beispiel Staub gesaugt und die
                   auch wieder im Kaffeehaus treffen darf,          Sachen für das Mittagessen vorbereitet,
                   um einen Kaffee zu trinken. Ich wünsche          während meine Lebensgefährtin Tests
                   mir, dass man wieder ganz normal ins             bei ihrem Aquarium gemacht hat und
                   Fußballstadion in Hütteldorf gehen kann,         das Wasser beim Aquarium gewechselt
                                                                    hat. Manchmal habe ich Rätsel aufge-
                                                                    löst, Berichte geschrieben für die Arbeit
                                                                    und auch gewisse Sachen mir aus dem
„Hast du mich vergessen?“                                           Internet über Mitsprache durchgelesen.
                                                                    Am Nachmittag habe ich mir meistens
Rudi Berger weint zum ersten Mal in seinem Leben,
                                                                    alte Filme im Fernsehen angesehen
weil er glaubt, seine Familie nie wieder sehen zu können.
                                                                    oder mir im Sportarchiv auf ORF Sport
                                                                    Plus irgendwelche Sachen angesehen.

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MITTENDRIN         MIT.MACHEN

Manchmal habe ich auch alle Fußböden                    „Ich habe große Angst
aufgewaschen. Meine Lebensgefährtin
und ich haben auch alle Kästen und Regale               vor Ansteckung!“
saubergemacht. Einen Tag habe ich den
Keller ausgeräumt, um mir in der Wohnung                Maria Scholansky ist erst vor kurzem aus dem Kranken-
anzusehen, was kaputt ist. Wir hatten näm-              haus entlassen worden; sie möchte auf gar keinen Fall
lich einen Rohrbruch im Keller. Dann habe               ihr Leben aufs Spiel setzen und will nicht, dass ihr Kind
ich wieder alles hinuntergetragen und die               wieder in die Werkstatt geht.
kaputten Sachen entsorgt.
Uns ist nie fad gewesen. Wir haben
                                               dass es am 18. Mai wieder in der MiT-
immer eine Beschäftigung gefunden.             Gruppe losgeht. Mich hat gefreut, wie ich
Manchmal habe ich auch Spiele auf mei-         nach langer Zeit meine Mutter wieder das
nem Laptop gespielt oder Karten aufgelegt.     erste Mal gesehen habe. Mich hat gefreut,
                                               wie ich gehört habe, dass es wieder Sport-
Ich habe mich gefreut, wie es geheißen         veranstaltungen und Musikveranstaltungen
hat, dass Schönbrunn wieder aufsperrt. Ich     gibt. Mich würde freuen, wenn man auch
habe mich gefreut, wie mich meine Unter-       bald wieder in die Generali Arena am Vertei-
stützerin angerufen hat und mir gesagt hat,    lerkreis gehen kann.

Worauf müssen wir jetzt in der Arbeit achten?
Wir müssen 2 Mal                              Wenn außenste-                                  Wir freuen uns,
am Tag Fieber                                 hende Leute wie                                 wenn das wieder
messen, einmal                                zum Beispiel                                    gehen wird.
in der Früh und                               Arbeiter zu uns                                 Wir freuen uns,
einmal vor dem                                in die Gruppe                                   dass unsere
Heimgehen.            Wir müssen, wo          kommen müssen          Zurzeit dürfen keine     Kolleginnen und
                      es geht, einen bis      sie ihre Daten         Besucher und             Kollegen wieder
                      eineinhalb Meter        angeben und            Angehörige zu            zurück in der
                      Abstand einhal-         bestätigen, dass sie   uns in die Firma         Arbeit sind.
                      ten. Wo es nicht        gesund sind.           kommen. Wir dür-
                      geht, müssen wir        Wir mussten auch       fen auch innerhalb
                      eine Maske auf-         ein Formular aus-      der Lebenshilfe
Wir müssen mit        setzen. Das kann        füllen. Wir mussten    Wien keine ande-
Seife Hände           eine Stoffmaske         bestätigen, dass       ren Werkstätten
waschen, wenn         sein, eine Einweg-      wir in den letzten     besuchen. Es gibt
wir in die Arbeit     Maske oder eine         2 Wochen gesund        ein Besuchsverbot.
kommen. Wir           Plexiglas-Maske.        waren und keinen       Wie lange das noch
müssen in die         Wir müssen eine         Kontakt mit            so geht wissen wir
Ellbogen nießen       Maske tragen,           Personen mit           nicht. Wir hoffen,
oder in ein           wenn Arbeiter zu        Corona hatten.         dass sich bis
Taschentuch.          uns in die Gruppe                              Herbst die Situation
                      kommen.                                        ändern wird.

                                                                                                              9
Zeitschrift der Lebenshilfe Wien - Wohnen wie Du und Ich - Leben in Garconnieren
MIT.MACHEN                                    MITTENDRIN

      Angehörige in Corona-Zeiten
      Kein persönlicher Kontakt zu den Liebsten oder die Übernahme einer 24-Stunden-Betreuung zu
      Hause – die Corona-Krise hat auch das Leben für Angehörige beträchtlich verändert.

      Die Schließung der Tagesstruk-
      turen, die Ausgangs- und Be-
      suchssperren in vollbetreuten                                   „Lange halte ich es nicht mehr aus!“
      Wohngemeinschaften stellte
      auch Angehörige vor neue Tatsa-                                 Seit Claudia Dostal als alleinerziehende Mutter eines Schulkindes
      chen. Schnell musste man eine                                   ihren erwachsenen Sohn mit Behinderung in Heimbetreuung hat,
      Untertagsbetreuung zu Hause                                     führt sie die wochenlange Mehrbelastung an ihre Grenzen.
      organisieren bzw. von einem Tag
      auf den anderen in Kauf nehmen,
      dass es keinen persönlichen Kon-                           Die neugewonnene gemeinsame           Einige Familien haben ihre Ange-
      takt mehr zu den Liebsten in den                           Zeit und die Entschleunigung des      hörigen nach Hause genommen
      Wohngemeinschaften gab.                                    Alltags wurden von allen Famili-      und eine 24-Stunden-Betreuung
      Während sich die einen nach                                enmitgliedern überwiegend als         und -Beschäftigung eingerichtet.
                                                                 Bereicherung erlebt. Deutlich         Das hat manche an ihre Belas-
      einiger Zeit trotz starker
                                                                 gemischter waren die Erfahrun-        tungsgrenzen gebracht. Aber
      Einschränkungen an das neue                                gen schon in größeren Familien        auch wenn die Angehörigen mit
      Miteinander zu Hause gut                                   und mit beengteren Platzverhält-      Behinderung weiterhin in vollbe-
      eingelebt haben, ist es für                                nissen. Dazu kam noch, dass           treuten Wohngemeinschaften
                                                                 Menschen mit Beeinträchtigun-         verblieben, war die wochenlange
      andere zu einer immer größe-
                                                                 gen immer mehr der Kontakt mit        Trennung auf beiden Seiten psy-
      ren Belastung geworden.                                    ArbeitskollegInnen und FreundIn-      chisch zum Teil kaum auszuhal-
      Am besten erging es Eltern in                              nen sowie gewohnte Außenak-           ten. Nicht immer waren Video-
      Pension oder im Homeoffice –                               tivitäten abgegangen sind. Das        konferenzen als Ersatz technisch
      ohne weitere Aufsichtspflichten                            führte natürlich zu psychischen       möglich bzw. konnten Menschen
      für Schulkinder. Sie konnten sich                          Belastungen und innerfamiliären       mit Beeinträchtigungen über-
      in der Betreuung abwechseln.                               Spannungen.                           haupt damit etwas anfangen.

                                                                                                       Umso wichtiger war es daher,
                                                                                                       dass die allgemeinen Lockerun-
                                                                                                       gen der Covid-19-Maßnahmen
                                                                                                       durch die Regierung eine
                                                                                                       schrittweise Wiedereröffnung
                                                                                                       der Werkstätten ab Mitte Mai
                                                                                                       zuließen. Diese führte zu einer
                                                                                                       Entlastung der Familien und zu
                       Foto: iStock vlada_maestro

    Endlich wieder
                                                                                                       einem ersten Wiederaufleben der
       Kontakt mit
 Angehörigen nach
                                                                                                       Sozialkontakte der Menschen
     wochenlanger                                                                                      mit Behinderung, wenn auch
    Isolation in der                                                                                   unter strengen Sicherheitsvor-
Wohngemeinschaft.                                                                                      kehrungen.

       10
Herr Gerstl, der perfekte
                          Hausmann in seinen
                          eigenen vier Wänden.
Foto: Ritchy Pobaschnig

                           Wohnen wie Du und Ich
                            Das Recht, selbstbstimmt zu wohnen, das haben Menschen mit Behinderungen, unabhängig von
                            ihrem Unterstützungsbedarf, gleich wie alle anderen Personen. Im Gesetz ist diese
                            Gleichstellung in der UN-Konvention verankert, in der Lebenshilfe Wien ist sie mit dem
                            Pilotprojekt „Garconnierenwohnen“ im Bezirk Simmering möglich geworden.

                                               Nicole Reiter, Kommunikationsbeauftragte         zwei verschiedene Dienstarten
                                               der Lebenshilfe Wien im Gespräch mit             haben. Zum einem haben wir
                                               Felix Wanger, BA, der das Garconnieren-          Standortdienste, wo der Fokus
                                               wohnen in der Braunhubergasse in                 auf standortgebundene Aufga-
                                               Wien-Simmering leitet.                           ben, wie etwa die direkte Pfle-
                            Felix Wanger                                                        ge ist, zum anderen haben wir
                                                                                                Assistenzdienste, wo eins zu eins
                            Unser neues Wohnmodell in        selbstbestimmt in ihrer eigenen    mit unseren KundInnen gearbei-
                            der Braunhubergasse, wie         Wohnung (Garconniere) leben.       tet wird. Wir verwenden dafür
                            würdest du es beschreiben?       Viele unserer KundInnen haben      personenzentrierte und sozial-
                            Das Garconnierenwohnen könn-     jahrzehntelange Erfahrung in       raumorientierte Methoden. Ziel
                            te man als Brücke zwischen       Wohngemeinschaften. Deshalb        ist es, tragfähige Netzwerke im
                            teil- und vollbetreutem Wohnen   schätzen sie die gewonnene         Sozialraum aufzubauen, um die
                            sehen. Menschen mit Behinde-     Privatsphäre in den eigenen vier   Lebensqualität unserer KundIn-
                            rungen können unabhängig von     Wänden. Was uns zusätzlich         nen zu erhöhen.
                            ihrem Unterstützungsbedarf,      besonders macht, ist, dass wir

                                                                                                                              11
MIT.MACHEN           DAS GROSSE INTERVIEW

                                                                                                     tur. Jede Person hat eine selbst
                                                                                                     ausgestattete Wohnung mit einer
                                                                                                     kleinen Küchenzeile, eigenem
                                                                                                     Bad und WC. Zum anderen, wie
                                                                                                     bereits erwähnt, das individuelle
                                                                                                     Betreuungskonzept, das durch
                                                                                                     eine Kombination zwischen
                                                                                                     Assistenz- und Standortdienste
                                                                                                     umgesetzt wird.

                                                                                                     Kannst du uns mehr über das
                                                                                                     Betreuungskonzept in der
                                                                                                     Braunhubergasse berichten?
                                                                                                     Unsere Arbeit startet symbolisch
                                                                                                     bei der Schlüsselübergabe in
                                                                                                     der leeren Wohnung der Kun-
                                                                                                     dInnen. Wir schauen uns genau
                                                                                                     an, was möchte, braucht jede,
                                                                                                     jeder Einzelne. Das beginnt mit
Fotos: Ritchy Pobaschnig

                                                                                                     dem Einrichten und Gestalten der
                                                                                                     Wohnung, der Organisation der
                                                                                                     individuellen Pflege bis hin zur
                                                                                                     Gestaltung des Alltags und der
                                                                                                     Freizeit. So bauen wir personen-
                                                                                                     zentriert unsere Assistenz auf.
                           Das Konzept „Garconnierenwohnen“ in einem modernen
                           öffentlichen Wohnbau ermöglicht Menschen mit Behinderungen                In zweiter Linie geht es dann
                           ein selbstbestimmtes Leben.
                                                                                                     um den Sozialraum. Hier gilt
                                                                                                     es Netzwerke zu spannen, die
                                                                                                     unseren KundInnen gute Lebens-
                           Wie viele KundInnen der              tentInnen gesendet wird. Somit       qualität bringen. Es gilt sukzessi-
                           Lebenshilfe Wien wohnen in           ist die tägliche Pflege gewähr-      ve professionelle Kräfte zurück-
                           der Braunhubergasse?                 leistet, ohne dass AssistentInnen    zunehmen und durch wertvolle,
                           Insgesamt leben 18 KundInnen         im Dienst ständig nachfragen         unentgeltliche Beziehungen im
                           inmitten der Genossenschafts-        müssen.                              Umfeld zu ersetzen. Das können
                           wohnanlage. In unmittelbarer                                              zum Beispiel VereinskollegInnen
                           Nähe befindet sich eine Art Stütz-   Wie viele MitarbeiterInnen           sein, um miteinander einem
                           punkt, wo AssistentInnen rund        sind im Einsatz?                     Hobby nachzugehen oder auch
                           um die Uhr für unsere KundInnen      16 AssistentInnen, eine Person       eine gleichaltrige Person, um
                           da sind. Durch die Installation      für die gesamte Administration       ordentlich feiern zu gehen. Um
                           eines Notfallsystems ist es uns      und ich als Leiter bilden das Team   hier für alle ein gutes Kontakt-
                           gelungen, den Spagat zwischen        in der Braunhubergasse.              netz aufbauen zu können, haben
                           Privatsphäre und Pflege zu schaf-                                         meine MitarbeiterInnen zeitlich
                           fen. Beispielsweise können Kun-      Was unterscheidet das                flexible Assistenzstunden, in
                           dInnen mit Hilfe eines „Buzzers“     Garconnierenwohnen von               denen sie ganz individuell an dem
                           einen Alarm auslösen, der direkt     einem Wohnhaus?                      Aufbau solcher UnterstützerIn-
                           an die Mobiltelefone der Assis-      Zum einen einmal die Architek-       nenkreise arbeiten können. Einer

                           12
DAS GROSSE INTERVIEW           MIT.MACHEN

unserer Bewohner konnte so           für sich sammeln. Menschen            unsere KundInnen zusammen
beispielsweise wieder an einem       mit Behinderungen sind seit           und auch ein Mehr an Sozialkon-
Schwimmverein andocken, ein          Jahrzehnten sozialisiert in starren   takten.
anderer tauscht sich regelmäßig      Systemen, von heute auf morgen
mit einem Studenten aus und sie      kann man aus diesen Verhaltens-       Das Garconnierenwohnen gibt
unternehmen etwas zu zweit und       mustern nicht ausbrechen, das         es jetzt seit mehr als einem
einer konnte sein herkömmliches      braucht Zeit.                         Jahr. Was waren so die
Tagebuch gegen einen Laptop                                                größten Herausforderungen
eintauschen und weiß diesen          Wie läuft die Zusammenarbeit          in dieser Zeit?
jetzt auch zu bedienen.              mit den Angehörigen?                  Das Garconnierenwohnen in der
                                     Wir sind ein offener Raum, es         Braunhubergasse war und ist
Wie geht es den BewohnerIn-          herrscht ein ständiges Kommen         nach wie vor Projektarbeit, in der
nen mit diesem Konzept?              und Gehen. Wir sehen die Ange-        der Auftrag darin besteht, ge-
Viele unserer KundInnen haben        hörigen als ExpertInnen. Sie brin-    wohnte Wohn- und Betreuungs-
das erste Mal in ihrem Leben         gen gute Ideen ein, die wertvoll      konzepte zu verlassen. Zu Beginn
eine eigene Wohnung. Sie             für die Weiterentwicklung unse-       galt es neue Ansätze umzuset-
kommen zum Teil direkt von           res Projektes sind. An manchen        zen, neue KundInnen zu unter-
Angehörigen oder aus vollbetreu-     Tagen kochen wir gemeinsam im         stützen und ein komplett neues
ten Wohnformen. Jetzt können         Aufenthaltsraum oder plaudern         MitarbeiterInnen-Team aufzustel-
sie in ihren Garconnieren alleine    einfach. Dabei konnte ich die         len. Zwei der ursprünglichen Mie-
entscheiden, ob sie den ganzen       Erfahrung machen, dass Angehö-        terInnen sind ausgezogen, für die
Tag fernsehen, wann sie schlafen     rige in der Behindertenhilfe gut      war die selbstständige Wohnform
gehen möchten, haben keine           vernetzt sind. Auf diese Ressour-     einfach nicht die richtige Wahl.
Besuchsregeln, können jederzeit      ce konnte ich schon mehrmals          Wir mussten auch in der Nach-
ausgehen etc. Das ist für unsere     als Leiter oder auch in der direk-    barschaft sensibilisieren, Ängste
KundInnen, aber auch für uns         ten Arbeit mit unseren KundInnen      und Unsicherheiten beseitigen
als Fachkräfte, etwas komplett       zurückgreifen. Man erfährt zum        und es dauerte seine Zeit, bis
Neues und somit für alle Beteilig-   Beispiel von einem Vater einer        sich das Zusammenleben in der
ten ein wertvoller Lernprozess.      Kundin, dass er Landwirt ist          Wohnanlage harmonisiert hat.
Wir sind deshalb jeden Tag aufs      und wie wichtig es wäre, dass         Wir hatten auch mit einer hart-
Neue dazu angehalten, unsere         es endlich wieder mal regnet.         näckigen Infektionskrankheit
KundInnen dabei zu unterstützen      Das Schöne dabei ist, dass man        zu kämpfen. Die Hygiene- und
und zu motivieren, dass sie selbst   gleich eine Einladung für einen       Sicherheitsvorkehrungen, die wir
lernen und wertvolle Erfahrungen     Hofbesuch bekommt. Das bringt         damals setzen mussten, helfen

                                                                                    Technische Hilfsmittel,
                                                                                    wie dieser Türöffner im
                                                                                    Bild, erleichtern Herrn
                                                                                    Eder das Leben in seiner
                                                                                    ersten Kleinwohnung und
                                                                                    garantieren ihm höchste
                                                                                    Privatheit und Hilfestellung,
                                                                                    dann, wenn er sie wirklich
                                                                                    benötigt.

                                                                                                             13
MIT.MACHEN            DAS GROSSE INTERVIEW

                                                                            wie wir alle und sollen auch so
                                                                            gesehen und behandelt werden.
                                                                            Sie bestimmen selbst ihr Leben
                                                                            und sind auch demzufolge für das
                                                                            Einhalten von Hausregeln, Müll
                                                                            entsorgen und das Pflegen von
                                                                            Nachbarschaftskontakten etc.
                                                                            verantwortlich. Denn keiner von
                                                                            uns weiß ja wirklich, was sich
                                                                            hinter den verschlossenen Türen
                                                           Home Sweet       in unserer Stadt abspielt, was
                                                           Home heißt es
                                                                            jede Person zu einem guten Le-
                                                           auch für Herrn
                                                                            ben benötigt, wie z.B. Heimhilfe,
                                                           Mladenka.
                                                                            Therapie, sonstige Hilfestellung.
                                                                            Wir allen brauchen Rückzugs-
                                                                            möglichkeit, Privatheit, das gilt
uns jetzt allerdings in der Bewälti-   schöne Aufgabe und bringt vielen     ebenso für Menschen mit Behin-
gung der Corona-Zeit.                  einen Profit. Das Ziel ist, unsere   derungen!
                                       KundInnen mit ihren individuellen
Was ist dir persönlich in deiner       Ressourcen in den Mittelpunkt        Wenn mir zum Beispiel einer un-
Arbeit wichtig, welche Ziele           zu stellen, nicht die Lebenshilfe    serer BewohnerInnen kommuni-
hast du dir gesteckt?                  Wien als Organisation oder uns       ziert, ich will nicht, dass ihr mich
Die Gleichstellung für Menschen        als „allwissende BetreuerInnen“.     ständig fragt, ob ich etwas brau-
mit Behinderungen auch im              Wir als Fachkräfte sind dazu an-     che, sondern signalisiert, dass
Wohnbereich sicherzustellen,           gehalten, unsere KundInnen dazu      er/sie selbst auf uns zukommt,
das treibt mich jeden Tag an. Die      zu befähigen, selbst Entschei-       wenn er/sie Unterstützung benö-
Umsetzung des inklusiven Wohn-         dungen für sich zu treffen und       tigt, dann weiß ich, dass wir mit
ansatzes, konform der UN-Kon-          uns in gewisser Weise überflüs-      unserem Konzept am richtigen
vention, verlangt allen Beteiligten    sig zu machen. Menschen mit          Weg sind.
viel ab, aber es ist eine sehr         Behinderungen sind MieterInnen

Ein weiteres
Wohnprojekt ist
im Werden!
Felix Wanger übernimmt auch die Leitung des
zweiten Garconnierenwohnen mit insgesamt
18 Kleinwohnungen in der Mautner-Markhof-
Gasse, ebenfalls in Wien-Simmering. Das
                                                                                                                   Foto: Wien Süd

Haus befindet sich derzeit noch in Bau und
ist aller Voraussicht nach ab November 2020
bezugsfertig.

 14
FORT- UND WEITERBILDUNG            MIT.MACHEN

                                                                                        Persönliche
                                                                                        Zukunftsplanung:
                                                                                        Im Vordergrund
                                                                                        stehen die
Foto: Gerd Altmann – pixabay

                                                                                        Wünsche und
                                                                                        Träume
                               Mag. Matthias Papst, stellvertretender Leiter der Wohngemeinschaft der Lebenshilfe Wien
                               in Wien-Ottakring, berichtet über seine Zusatzausbildung und wie er das neue Wissen
                               in unsere Organisation einbringt.

                               Was versteht man unter Persönlicher
                               Zukunftsplanung?
                               Persönliche Zukunftsplanung (PZP) basiert
                               auf personenzentriertem Arbeiten. Damit
                               ist gemeint, dass die Person, um die es
                               sich handelt, im Mittelpunkt steht. Sie ist
                               die Hauptperson und der/die HauptakteurIn.                                                         Papst hat Herrn
                                                                                                                                  Türkmen bei
                               Diejenigen, die der Person dabei helfen,
                                                                                                                                  seiner Persönlichen
                               ihre Zukunft zu planen, müssen sich auf                                                            Zukunftsplanung
                               sie einlassen. Im Vordergrund stehen die                                                           begleitet.
                               Wünsche und Träume der Person, dabei
                               gilt: Alles ist möglich, es gibt kein Aber. Ein-
                               gebracht werden ausschließlich die Stärken         stützerInnenkreis, der ihm dabei hilft, seine
                               und die Interessen der planenden Person.           Wünsche für die Zukunft zu verwirklichen.
                                                                                  Damit ist gemeint, dass mehrere Personen
                               Wann kommt PZP zum Einsatz?                        zusammenkommen, die aus möglichst
                               Eine persönliche Zukunftsplanung wird im-          unterschiedlichen Bereichen kommen. Sie
                               mer dann gemacht, wenn eine Veränderung            bringen ihr Wissen, ihre Fähigkeiten und so-
                               ansteht oder etwas feststeckt. Also zum            zialen Kontakte ein, damit XY auf möglichst
                               Beispiel: Person XY wohnt bei seinen Eltern        breiter Basis geholfen werden kann. Um
                               und möchte ausziehen. Oder: XY gefällt es          eine Zukunftsplanung erfolgreich durchzu-
                               nicht mehr in der Werkstatt und würde ger-         führen, gibt es unterschiedliche Methoden,
                               ne einer „normalen“ Arbeit nachgehen. Da-          sowohl für die Vorbereitung der Planung
                               mit XY seine Wünsche verwirklichen kann,           als auch für das Treffen selbst, bei dem alle
                               braucht er einen möglichst bunten Unter-           zusammenkommen.

                                                                                                                                             15
MIT.MACHEN   FORT- UND WEITERBILDUNG

                                                                                   PZP ist nicht auf Personen mit Beeinträchti-
                                                                                   gungen beschränkt, sondern kann von allen
                                                                                   in Anspruch genommen werden.
                                                                                   Es ist wichtig zu betonen, dass PZP an sich
                                                                                   keine Methode ist, sondern eine Haltung,
                                                                                   ein Prozess. Es geht um die innere Ein-
                                                                                   stellung, um das Werden und Entstehen.
                                                                                   PZP kann man nicht von heute auf morgen
                                                                                   „machen“- es muss wachsen.

                                                                                   Persönliche Zukunftsplanung innerhalb
                                                                                   der Lebenshilfe Wien
                                                                                   Peter Mitschitczek, ein Mitarbeiter der
                                                                                   Lebenshilfe Wien in der Tagesstruktur
                                                                                   Rueppgasse, und ich haben den Lehrgang
                                                                                   Persönliche Zukunftsplanung in Graz absol-
                                                                                   viert und den Abschluss zum Moderator
                                                                                   PZP gemacht. D.h. wir können ab sofort
                                                                                   Zukunftsplanungen innerhalb und außerhalb
                                                                                   der Lebenshilfe moderieren; denn um ein
                                                                                   Planungstreffen gut über die Bühne
                                                                                   zu bringen, braucht man eine Moderation,
Illustration: Wiebke Kühl

                                                                                   die durch das Programm führt und auch
                                                                                   eine Co-Moderation, die die Planung, also
                                                                                   den Prozess, visuell begleitet (auf Plakaten
                                                                                   oder Flipchart).

                                                                                   Wir haben bereits während der Ausbildung
                                                                                   eine Planung durchgeführt und zwar für
                                                                                   Herrn Türkmen in der Wohngemeinschaft
                                    Persönliche Zukunftsplanung,                   in der Hubergasse. Dabei war Peter der
                                    Individuelle Entwicklungsplanung (IEP)         Moderator und ich selbst im Unterstützer-
                                    – was ist denn da der Unterschied?             Innenkreis. Gemeinsam mit Herrn Türk-
                                    Nicht zu verwechseln ist PZP mit der IEP:      men und seinen Gästen haben wir uns
                                    PZP wird nicht regelmäßig durchgeführt,        angeschaut, wie wir ihn dabei unterstützen
                                    sondern immer nur dann, wenn sie erfor-        können, dass er sich noch wohler bei uns
                                    derlich ist. Außerdem dient sie nicht wie      fühlt bzw. was dazu noch fehlt.
                                    die IEP als Leistungsnachweis für unseren
                                    Fördergeber, dem Fonds Soziales Wien.          Zur Zeit wird gerade überlegt, in welcher
                                    Sie wird gemacht, weil es die Person           Form wir als ModeratorInnen innerhalb der
                                    braucht. PZP ist immer überinstitutionell zu   Lebenshilfe Wien zum Einsatz kommen.
                                    denken, daher sollen auch möglichst viele      Aber natürlich kann man auch viele kleinere
                                    Personen mithelfen, die nicht im Behin-        Methoden, die wir beim Lehrgang gelernt
                                    dertenbereich oder in der Sozialarbeit tätig   haben, schon jetzt in die alltägliche Arbeit
                                    sind, einfach auch, um einen Blick von         als BetreuerIn einbauen.
                                    außen zu gestatten.

                            16
AUS DEN WERKSTÄTTEN           MIT.MACHEN

                                                                                     Aufträge
                                                                                     gesucht
Foto: Matthias Heisler

                                                                                     Arbeiten, die innerhalb der Tagesstruktur
                                                                                     von Menschen mit Behinderungen und
                                                                                     ihren fachlichen BegleiterInnen erledigt
                                                                                     werden können, sind derzeit sehr begehrt.

                         Zu unseren Angeboten zählen                weggebrochen und jetzt, wo wir unsere          Ansprechpartner für
                            erpackungs- & Versandtätigkeiten,
                           V                                        Werkstätten wieder Schritt für Schritt         Auftragsarbeiten:
                                                                    öffnen, sind sinnstiftende, praxisnahe Ar-     Mag.a Christine
                            roduktsortiments komplettieren,
                           P                                                                                       Sommer-Treutlein
                                                                    beitsaufgaben Mangelware“, beschreibt
                           sortieren & etikettieren oder                                                           Fachliche Assistenz
                                                                    Christine Sommer-Treutlein, Fachliche
                             uvertieren.
                            K                                       Assistenz in der Lebenshilfe Wien,             Lebenshilfe Wien
                         Das sehr schleppende Wiederhochfahren      die Situation. „Wir können aus Sicher-         Brehmstraße 12/12,
                         der Wirtschaft stellt auch Menschen mit    heitsgründen derzeit noch nicht zu den         1110 Wien
                         Behinderungen und ihr Betreuungsperso-     Betrieben kommen, aber alle Arbeiten           Tel: (01) 812 26 35-24
                         nal vor neue Herausforderungen. „Viele     innerhalb unserer Werkstätten erledigen        E-Mail: c.sommer@
                         Aufträge unserer Partnerunternehmen sind   und auch für den Transport sorgen.             lebenshilfe.wien

                             Gut BESTECKt
                             Das trendige Café Francais und das italienische Restaurant
                             Francesco in Grinzing setzen zukünftig in Sachen Besteckaufbewahrung
                             auf Holz und Design aus der Lebenshilfe Wien.

                                                                                            Die 50 bestellten Besteckboxen wur-
                                                                                            den von den Mitgliedern der Holzgrup-
                                                                                            pe der Lebenshilfe Wien in der Schot-
                                                                                            tengasse in Wien-Innere Stadt aus
                                                                                            Buchen-Sperrholz geschliffen und mit
                                                                                            Leinöl eingelassen. Mit einem Auftrag
                                                                                            wie diesem können wir Fertigkeiten
                                                                                            trainieren, Neues lernen und erhalten
                                                                                            Kontakte hinaus in die Wirtschaft.

                                                                                              Mehr Informationen und weitere
                                                                                              Bespiele unserer einzigARTigen
                                                                                              Produkte finden Sie im Internet unter
                                                                                              www.lebenshilfe.wien/einzigartig

                                                                                                                                      17
Die Bienen der Lebenhilfe Wien
    In der Tagesstruktur in der Schuhfabrikgasse setzen wir uns mit unseren
    neuen Bienenstöcken für den Erhalt von Insekten ein.

    „Es gilt den Kollaps der              Geschäftsführung dafür stark
    Ökosysteme aufzuhalten.               gemacht, dass die Werkstatt
                                          ein eigenes Bienenprojekt be-
    Dabei spielen Bienen eine             kommt und ist damit auf großen
    große Rolle. Denn ohne ihre           Zuspruch gestoßen. 2019 hat er
    Bestäubungsleistung gäbe es           sich die Grundkenntnisse des Im-
                                          kerns bei einem Kursbesuch im
    nahezu keine Blumen und               Wiener Landesverband für Bie-
    kein Obst und Gemüse“,                nenzucht angeeignet. Mittlerwei-     Nektar geholt. Diesen haben
                                          le ist ihm seine Kollegin Magda-     wir zwei Tage später im Garten
    betont Robert Jez. Er ist seit mehr   lena Hiessmanseder gefolgt. Mit      „eingeschlagen“, was so viel wie
    als 20 Jahren fachlicher Begleiter    Frau Kainz haben die beiden eine     einquartieren bedeutet. Die Jung-
    in der Lebenshilfe in Wien-Liesing,   passionierte Imkerin als Patin zur   bienen sind mit Zuckerwasser
    glühender Klimaschützer und Fan       Seite (paradisgenuss.at).            gefüttert worden.
    des Superorganismus Biene.
                                          Dank einer Spende der Raiff-         Robert Jez und Magdalena Hiess-
    Der Garten der Werkstatt ist          eisenlandesbank NÖ-Wien ist          manseder sorgen gemeinsam mit
    weitläufig und so hat er sich         das Team in der Tagesstruktur        dem KollegInnen-Team und mit
    bei der Standortleitung und           kostenlos zu einem Bienenvolk,       Menschen mit Beeinträchtigung
                                          -stock, Zubehör und Fachliteratur    für die Bienenvölker. Dabei kön-
                                          gekommen. Eine Unterstützung,        nen alle sinnvolle Arbeit leisten
                                          die über das Projekt 2028 der        und erfahren viel über die Zusam-
                                          Bienenplattform Hektar Nektar        menhänge der Natur.
                                          zustande gekommen ist. Ziel
                                          dieser Initiative ist, dass es bis   Das Team der Schuhfabrikgasse
                                          zum Jahr 2028 um zehn Prozent        plant, möglichst viele Menschen
                                          mehr Bienen in Österreich und        für das Artenschutz-Projekt zu
                                          Deutschland gibt.                    begeistern und zusammenzu-
                                                                               bringen. So stehen zum Beispiel
                                          Ende April ist dann das erste        Workshops rund um die Bienen-
                                          Bienenvolk gekommen und              zucht, das gemeinsame Gewin-
Mag. Robert Jez und Mag.a Magdalena       Anfang Juni haben wir von der        nen von Honig, das Weiterver-
Hiessmanseder sind stolz auf die          Imkerei Biezen in Gänserndorf        arbeiten von Wachs und einiges
Bienenvölker im Garten der Werkstatt.     den Schwarm von Hektar               mehr am Programm.

    18
AUS DEN WERKSTÄTTEN    MIT.MACHEN

Bienen                     Wissen 1. Teil
                            Hier seht ihr Robert Jez mit seiner
                            Imkerbluse mit Schleier:
                            Die schützt ihn vor Bienenstichen.

                            Links hält er den Smoker.
                            Damit kann er Rauch erzeugen.
                            Die Bienen werden dadurch ruhiger
                            und er kann leichter arbeiten.

                            Rechts hat er einen Abkehrbesen
                            in der Hand. Den braucht er zum
                            Abkehren der Bienen von den
                            Waben, wenn er den Honig
                            entnehmen möchte.

Das ist eine Beute.
Die Behausung der Biene.    Karl Busch begutachtet eines der
Sie besteht aus Boden,      Rähmchen. Dieses wird in die Beute
zwei Zargen mit Rähmchen    eingehängt. Hier bauen dann die Bienen
und Deckel.                 mit Hilfe von Bienenwachs ihre Waben.

                                                                     19
MIT.MACHEN   ZIVILDIENST
Fotos: Simon Allmer

                                                                                                           Peter Mitschitczek ist

                              Der Filmemacher
                                                                                                           federführend in der
                                                                                                           Komposition, dem Text
                                                                                                           und Gesang.

                              in der Hubergasse
                              Simon Allmer musste während der Corona-Krise seinen Zivildienst verlängern.
                              Nicht nur, dass er uns damit im Wohnhaus in der Hubergasse in Wien-Ottakring
                              in allen Belangen unterstützt hat, verdanken wir ihm und seinem Talent auch
                              zwei außergewöhnliche Musikvideos.

                              Filme, mehr als eine                        zuspielen, damit die Illusion des Sprunges
                              Leidenschaft                                entsteht. Die Folge: ein erster Kurzfilm und
                              Simon Allmer war schon immer Filmfan        Spitalsaufenthalt.
                              und träumte davon, einmal selbst Filme zu   Der Actionfilm MILLION YEAR MAN ist
                              machen. Im Alter von zwölf Jahren ver-      diesen Juni exklusiv auf der Website Simo-
                              suchte er auf eine Mauer hinaufzuspringen   nAllmer.com erschienen. Der Film handelt
                              und dies mit der Kamera seines Bruders      von dem Geheimagenten John Collins (ge-
                              festzuhalten. Leider war die Mauer drei     spielt von ihm), der zeigt, dass es wert ist,
                              Meter hoch. Dann hatte er die Idee sich     für manche Sachen im Leben zu kämpfen.
                              von oben nach unten hinunterfallen zu
                              lassen und dies im Schnitt rückwärts ab-    Zivildienst in der Lebenshilfe
                                                                          Wien
                                                                          „Das Faszinierende an den Klientinnen
                                                                          und Klienten ist, dass jede/jeder von ihnen
                                                                          die Welt mit eigenen Augen sieht. Dies
                                                                          mag selbstverständlich klingen, jedoch
                                                  „Film ist nicht         versuchen wir uns oft an soziale Normen
                                                                          anzupassen, um in der Anonymität der
                                                  mein Vollzeit-Job
                                                                          Gruppe zu versinken. Ein Autist wie Mar-
                                                  sondern mein            kus Schlesinger, der immer Ausschau nach
                                                  Vollzeit-Leben“,        versteckten Schlümpfen hält oder Alfred
                                                                          Huger, ein charmanter Kuchenbäcker, der
                                                  sagt Simon Allmer.
                                                                          nur Wörter ausspricht, die es phonetisch
                                                                          wert sind, zeigen uns neue Sichtweisen auf

                      20
ZIVILDIENST    MIT.MACHEN

                                                                                         Die Musikvideos:
                                                                                         Schlumpflied und
                                                                                         Wandgruppe gibt es
                                                                                         auf der YouTube Seite
                                                                                         der Lebenshilfe Wien
                                                                                         zu sehen. Sie dürfen
                                                                                         gerne geteilt werden!

das Leben. Der Triumph des Individuums           wirken mochten und mit dem Schlumpflied
über das Kollektiv ist auch ein Thema, das       und der Wandgruppe musikalisch-kreative
in meinen Filmen vorkommt. Es ist schön          Statements für sich selbst und ihren
zu sehen, wie man durch das Einbringen           KollegInnen in allen Einrichtungen gesetzt.
der eigenen Persönlichkeit eine Beziehung
zu den Menschen aufbauen kann. Die Le-
benshilfe bietet Sinn stiftende Arbeit, die in
unserer dystopischen Roboter-Apokalypse
unersetzlich bleibt. Auch wenn der Zivil-
dienst durch den breiten Zuständigkeitsbe-
reich anstrengend oder sogar überfordernd
werden kann, entsteht die größte persön-
liche Entwicklung nur in solchen Zeiten.“,
lautet die Empfehlung auf Simon Allmerisch
sozusagen für einen Zivildienst in unserer
Organisation.

Kreatives Meistertreffen
Die herausfordernden Tage in den Pande-
miezeiten brachten jede Menge kreative
Kräfte zum Wallen. Peter Mitschitczek, der
normalerweise als fachlicher Begleiter in
der Werkstätte Rueppgasse arbeitet, half
einige Wochen im Wohnhaus in Wien-
Ottakring aus. Er ist ausgebildeter Bariton,
mitreißend, stark im Texten und Impro-
visieren. Die Schlümpfe und Figuren von
Markus Schlesinger, einem autistischen
Bewohner, haben ihn somit gleich in ihren            Ansprechpartner für einen Zivildienst bei der
Bann gezogen, und so machte er sich ans              Lebenshilfe Wien:
Komponieren und Texten. Gut, dass dann               Mag. (FH) Christoph Ster, BSc
noch Simon Allmer und sein filmisches                E-Mail: c.ster@lebenshilfe.wien
Können da waren. Die kreativen „Leidens-             Die nächsten Turnusse starten im November 2020
gefährten“ aus der WG haben sich somit               und Februar 2021, auch Wechsler sind willkommen!
zusammengetan, alle eingebunden, die mit-

                                                                                                        21
MIT.MACHEN     GELD UND RECHT

Eigenes Geld und gute Unterstützung
Das 2-Säulen-Modell der Lebenshilfe – Existenz- und Bedarfssicherung
für Menschen mit Lernschwierigkeiten.
In einfacher Sprache

Menschen mit Behinderungen wollen ein möglichst selbstbestimmtes Leben
führen und gleichberechtigt an der Gesellschaft teilhaben. Das gilt besonders
auch für die Arbeitswelt.
Derzeit arbeiten viele Menschen mit intellektuellen Behinderungen in
Werkstätten von Behinderteneinrichtungen. Sie bekommen dafür nur ein
Taschengeld. Nur wenige finden passende Arbeitsplätze in der Wirtschaft.
Zusätzlich bekommen sie zur Unterstützung Geld von verschiedenen Stellen:
z.B. Behindertenhilfe, Familienbeihilfe, Pflegegeld, Mindestsicherung,
Waisenpension. Sie müssen langwierige und schwer verständliche Anträge an
verschiedenen Stellen einreichen und sich immer wieder begutachten lassen,
damit sie das Geld für ihre Unterstützungsleistungen bekommen.

Die Lebenshilfe möchte all dies ändern und schlägt ein sogenanntes
2-Säulen-Modell vor:

                                 2-Säulen-Modell

               Wohnen                                                Assistenz

                               1                    2
                 Essen                                               Hilfsmittel
              Kleidung                                               Pflege
               Freizeit
            Gesundheit
              Mobilität

                          Existenzsicherung   Bedarfssicherung
                           Erwerbslohn         Persönliches Budget
                           Grundsicherung      Pflegegeld

22
„Was brauche ich                           „Welche Unterstützung
zum Leben?“                                brauche ich?“
Für ein gutes Leben brauche ich            Aufgrund meiner Beeinträchtigungen
Geld zum Wohnen, zum Essen, für            brauche ich zusätzlich Unterstützung,
Kleidung, usw. Dieses Geld möchte          damit ich am Leben in der
ich als eigenen Lohn für meine             Gesellschaft gleichberechtigt und
Arbeit selbst verdienen. In einer          aktiv teilnehmen kann. Zum Beispiel
Werkstatt oder bei einer Firma.            für Assistenz und Begleitung, für
Wenn mir dies gar nicht möglich ist,       Hilfsmittel oder für Pflegeleistungen.
soll ich mit einer Grundsicherung          Das Geld dafür kann aus dem
abgesichert sein. Ich möchte selbst        Pflegegeld, von einem Persönlichen
bestimmen, für was und bei wem             Budget oder aus Förderungen für
ich mein Geld ausgebe.                     Leistungen und Hilfsmittel kommen.
Das ist die erste Säule des Modells.       Das ist die zweite Säule des
Sie nennt sich                             Modells. Sie nennt sich
„Existenzsicherung“.                       „Bedarfssicherung“.

Existenzsicherung
Zur eigenständigen Absicherung des Lebensunterhaltes gibt es einen
angemessenen Werkstatt-Lohn oder ein Gehalt am Arbeitsmarkt mit Urlaubs-
und Weihnachtsgeld. Die Person hat Anspruch auf eine eigene Pension, auf
Arbeitslosenversicherung, auf bezahlten Urlaub und auf Krankenstand.

Jeder Mensch mit Behinderung gilt von vornherein grundsätzlich als arbeitsfähig.
Nur wenn jegliche Arbeitsanstrengung nicht möglich ist, soll die Person statt mit
Erwerbslohn mit einer Grundsicherung ihr Einkommen verdienen.

Dieser Lohn oder die Grundsicherung finanzieren sich durch Lohnkosten-
zuschüsse und durch Wegfall bestehender Leistungen wie Familienbeihilfe oder
Mindestsicherung. Angehörige von Menschen mit Behinderungen haben keine
lebenslange Unterhaltsverpflichtung mehr.

Der Arbeitsmarkt wird so gestaltet, dass die beschäftigten Menschen
je nach den momentanen Fähigkeiten jederzeit wechseln können zwischen
einem Arbeitsplatz am freien Arbeitsmarkt, einer Mitarbeit bei einer

                                                                               23
MIT.MACHEN     GELD UND RECHT

Arbeitskräfteüberlassung, einem Arbeitsplatz in einem geschützten Betrieb oder
in einer geschützten Tagesstruktur.

Bedarfssicherung
Damit der Unterstützungsbedarf genau passend abgedeckt werden kann, muss
die Person mit Behinderung vom Anfang bis Ende im Zentrum stehen.

Die Begutachtung und Einschätzung des Unterstützungsbedarfs muss einheitlich
erfolgen an nur einer einzigen Anlaufstelle, nahe am Wohnort. Die Begutachtung
richtet sich nach dem Bedarf und nach den Chancen der Person, also nach dem
sogenannten „sozialen Modell der Behinderung“. Im sozialen Modell werden
Hindernisse beseitigt. Die Stärken und der Wille der Person werden in den
Vordergrund gestellt.

Das Ergebnis der Begutachtung ist ein persönlich passender Unterstützungs-
bedarf mit Rechtsanspruch auf ausreichende Bezahlung.

Vorteile des Modells
Erwachsene Menschen mit Behinderungen sind keine Hilfeempfänger mit
„Kind-Status“ mehr. Sie verdienen ihr eigenes Geld und haben Anspruch auf
eine eigene Pension. Sie können frei über ihr Geld entscheiden und ein
selbstbestimmteres Leben führen.

Der Unterstützungsbedarf wird einheitlich an nur einer Stelle ermittelt.
Die Menschen mit Behinderungen kommen leichter zu den Unterstützungs-
leistungen, die sie wirklich brauchen, und die Verwaltung hat weniger Arbeit.

Weitere Vorgangweise
Die Lebenshilfe hat mit Hilfe von Rechts-ExpertInnen ein umfangreiches Do-
kument erstellt, in dem genau erklärt wird, was man mit dem 2-Säulen-Modell
erreichen will, und welche Gesetze davon betroffen sind. Dieses Dokument
wurde dem Sozialministerium übergeben. Bis Herbst wird eine Arbeitsgruppe
vom Ministerium eingerichtet, die einen Umsetzungsplan für das 2-Säulenmodell
erarbeiten soll. Menschen mit intellektuellen Behinderungen und die Lebenshilfe
werden dabei aktiv eingebunden sein und mitarbeiten.

24
GELD UND RECHT       MIT.MACHEN

Neues Mindestsicherungsgesetz
für Wien seit 1. Mai in Kraft
Lesen Sie hier, was sich alles für Menschen mit intellektueller Behinderung und
deren Angehörige ändert und was gleichbleibt.

Die Mindestsicherung ist für Familien von Men-         Eltern oder Großeltern zusammenleben. Das heißt:
schen mit intellektueller Beeinträchtigung eine we-    Das Haushaltseinkommen aller Familienmitglie-
sentliche Einkommensquelle. Nach heftigen Diskus-      der muss nun nicht mehr in die Bemessungs-
sionen um die sogenannte „Sozialhilfe Neu“, die bis    grundlage hineingerechnet werden, der befristet
zum Verfassungsgerichtshof ausgetragen wurden,         arbeitsunfähige Mensch mit Behinderung unter 25
wurde die Landesumsetzung in Wien schon mit            Jahren kann selbst einen eigenen Antrag stellen!
Spannung erwartet. Was bedeutet nun die geänder-
te Fassung des Wiener Mindestsicherungsgesetzes        Behindertenzuschlag statt
konkret für Menschen mit intellektueller Beeinträch-   Sonderzahlungen
tigung?                                                Neu ist ab 1. Mai ein monatlicher Zuschlag
                                                       auf die Mindestsicherung für Menschen mit
Befristet oder dauerhaft arbeitsunfähig                Behinderung:
   Ein wesentliches Kriterium, um die vollen 100%     Diesen bekommt, wer einen gültigen Behinderten-
    des Mindestsicherungssatzes zuerkannt zu           pass mit einem Behinderungsgrad von mind. 50%
    bekommen, war bisher, dass die antragstellende     vorweisen kann. Dieser Behindertenzuschlag ersetzt
    Person eine DAUERHAFTE Arbeitsunfähigkeit          die bisherige 13. und 14. Sonderzahlung („Dauerleis-
    beschieden bekommen hat. Daran ändert sich         tung“). Bestehende DauerleistungsbezieherInnen
    auch ab dem 1. Mai nichts, und zwar für alle       können unter Vorweis ihres Behindertenpasses die
    alleinstehenden Menschen ab 18 Jahren!             Umstellung von 13./14. Sonderzahlung auf Behin-
    E
     benso 100% zuerkannt bekommen Menschen           dertenzuschlag beantragen, was in Summe etwas
    mit BEFRISTETER Arbeitsunfähigkeit, wenn sie       mehr Geld bringt. Wer keinen gültigen Behinder-
    zumindest 25 Jahre alt sind.                       tenpass hat, kann diesen bei der Landesstelle Wien
Wenn Sie allerdings 18 bis 25 Jahre alt und befristet  des Sozialministeriumsservice beantragen. Wer
arbeitsunfähig sind, gilt Folgendes:                   dauerhaft arbeitsunfähig ist, hat auch ohne gültigen
    Sie erhalten 100%, wenn Sie in einer eigenen      Behindertenpass weiterhin Anspruch auf die 13. und
     Wohnung leben.                                    14. Sonderzahlung!
     Sie erhalten 75%, wenn Sie noch mit ihren Eltern
      oder Großeltern leben.                           Aktuelle Sätze für das Jahr 2020
                                                       Die folgenden Sätze werden monatlich ab
Eigene Bedarfsgemeinschaft                             Leistungsbeginn ausbezahlt:
Ab 1. Mai bilden alleinstehende Menschen mit             1
                                                          00% Mindeststandard 917,35 €
intellektueller Beeinträchtigung unter 25 Jahren auch    7
                                                          5% Mindeststandard 688,00 €
dann eine eigene Bedarfsgemeinschaft, wenn sie mit       B
                                                          ehindertenzuschlag  165,12 €

 Antragstellung
 Wenden Sie sich bitte an das zuständige Sozialzentrum am Wohnort der Antragstellerin oder des An-
 tragstellers. Eine Liste aller Sozialzentren sowie aktuelle Covid-19-Regeln im KundInnenverkehr finden
 Sie im Internet unter: https://www.wien.gv.at/gesundheit/leistungen/servicestelle.html#Sozialzentrum.

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MIT.MACHEN          WIEN INKLUSIV

              Literaturpreis Ohrenschmaus
              sucht neue Schreibtalente
Bis zum 26. August 2020 können Menschen mit Lernschwierigkeiten
wieder ihre Texte für den Schreibwettbewerb einreichen!

Welche Texte kann man schicken?
Jede Person kann maximal einen (1) Text einreichen.
Man kann über alles schreiben.
  Beispiele: Gedichte, Geschichten und Lebensberichte
  Auch kürzere Geschichten sind willkommen
  Nicht mehr als 3 Seiten
  Schriftgröße: Arial 12pt
  A4-Format
  Getippte Texte
  Keine Zeichnungen oder Fotos mitschicken

Das Einreichformular und mehr Informationen findet man unter:
https://www.ohrenschmaus.net

 Beratungsstelle der Lebenshilfe Wien
 Wollen Sie sich genau informieren, was Ihnen zusteht?
 Haben Sie Fragen zur Antragstellung oder behördlichen Bescheiden?
 Brauchen Sie Hilfe beim Verstehen von Gesetzen und Vorschriften?

 Dann wenden Sie sich doch an uns, wir beraten Sie gerne telefonisch, schriftlich
 oder in einem persönlichen Gespräch!
                                                                                       Bernhard Schmid
 Für Rückfragen zur Mindestsicherung, Familienbeihilfe, Pflegegeld und anderen
 finanziell-rechtlichen Fragen für Menschen mit intellektueller Beeinträchtigung stehe ich gerne
 zur Verfügung:
 Mag. Bernhard Schmid, Tel.: 01 – 812 26 35 -47, b.schmid@lebenshilfe.wien

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WIEN INKLUSIV   MIT.MACHEN

Nachrichten in einfacher Sprache
Gut informiert zu sein und zu bleiben, ist für Menschen mit einer
Leseschwäche wichtig. Darum hat auch der ORF sein Nachrichtenangebot
im Zusammenarbeit mit der APA (Austria Presse Agentur) und
der Inklusiven Lehrredaktion von Jugend am Werk ausgebaut.

             Im Radio:
             Der Wochenrückblick „Einfach! Wichtig!“ in einfacher Sprache ist
             jeden Sonntag zu folgenden Zeiten auf Radio Wien zu hören:
             8.30 Uhr und 9.30 Uhr sowie 13.30 Uhr und 14.30 Uhr

             Im Internet:
             Auf der Internetseite ORF.at gibt es jetzt das Infofenster „Einfache
             Sprache“: Dieses kann man sich am Fuß der Nachrichtenanzeige
             einschalten und so das Wichtigste des Tages leicht verständlich
             erfassen.

             Im Fernsehen:
             Auf dem Sender ORF III gibt es jeden Wochentag um 19:25 Uhr
             Nachrichten in Einfacher Sprache zu sehen.

 Inklusionspreis 2020                                                            2020
 ausgeschrieben
 Der Inklusionspreis der Lebenshilfe geht in Kooperation mit
 den Österreichischen Lotterien in die 5. Runde. Der diesjährige
 Schwerpunkt ist „Bildung und Kultur”. Doch auch Projekte aus
 anderen Bereichen, die Menschen mit Behinderungen ein
 inklusives Leben ermöglichen und unsere Gesellschaft ein Stück
 vielfältiger gestalten, sind gesucht.

 Informationen gibt es unter: www.inklusionspreis.at. Eingereicht werden kann bis 30. August 2020.
 Die Verleihung findet am 19. November 2020 im Studio 44 der Österreichischen Lotterien in Wien statt.

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