LEITLINIEN SEELSORGE ALS SPEZIALISIERTE SPIRITUAL CARE IN PALLIATIVE CARE - Auflage 2019 - palliative ch
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LEITLINIEN SEELSORGE ALS SPEZIALISIERTE SPIRITUAL CARE IN PALLIATIVE CARE 1. Auflage 2019
LEITLINIEN | SEELSORGE ALS SPEZIALISIERTE SPIRITUAL CARE IN PALLIATIVE CARE Einleitung.......................................................................................................................................................................................................4 Hintergrund und Kontext........................................................................................................................................................................4 Zielsetzung....................................................................................................................................................................................................4 Adressatinnen und Adressaten............................................................................................................................................................. 5 Vorlagen.......................................................................................................................................................................................................... 5 Hinweise auf die Terminologie im Dokument................................................................................................................................ 5 Grundlagen.................................................................................................................................................................................................... 7 Seelsorgeverständnis................................................................................................................................................................................ 7 Kompetenzen der Fachpersonen in Theologie und Seelsorge................................................................................................. 7 A. Begleitung von Patientinnen und Patienten sowie An- und Zugehörigen..................................................................9 Leitlinie 1: Präsenz in der Beziehung....................................................................................................................................................9 Leitlinie 2: Klärung und Auftrag .........................................................................................................................................................10 Leitlinie 3: Begleitung..............................................................................................................................................................................10 Leitlinie 4: Kulturelle Sensitivität und Diversität.......................................................................................................................... 11 Leitlinie 5: Schnittstellen und K ontinuität.......................................................................................................................................12 B. Interprofessionelle Zusammenarbeit.........................................................................................................................................13 Leitlinie 6: Zusammenarbeit im interprofessionellen Team....................................................................................................13 Leitlinie 7: Zugang zu Information und Dokumentierung der Betreuung..................................................................................13 Leitlinie 8: Schweigepflicht................................................................................................................................................................... 14 C. Mitarbeitende und Organisation/Institution.........................................................................................................................15 Leitlinie 9: Begleitung, Beratung und Weiterbildung von Mitarbeitenden.......................................................................15 Leitlinie 10: Werte/Mitwirkung in der Organisation....................................................................................................................15 D. Qualitätsentwicklung und Qualitätssicherung..................................................................................................................... 16 Leitlinie 11: Ethikkodex............................................................................................................................................................................. 16 Leitlinie 12: Aus- und Weiterbildung . ............................................................................................................................................... 16 Leitlinie 13: Forschung und Q ualitätsentwicklung.......................................................................................................................17 Anhang.......................................................................................................................................................................................................... 18 I. Literatur .................................................................................................................................................................................................... 18 II. Mitglieder der Steuerungsgruppe Fachgruppe Seelsorge von palliative ch................................................................ 18 III. Autorenschaft....................................................................................................................................................................................... 19 3
Einleitung Hintergrund und Kontext meinsam um die Bedürfnisse von Schwerkranken und deren Umfeld.2 Seit der Gründung von Hospizen für unheilbar Kranke durch Klöster und christliche Orden im frühen In der Folge wurde 1984 von der WHO eine ganzheit- Mittelalter steht die Sorge um die Bedürfnisse von liche Sicht der Gesundheitsversorgung entwickelt, schwerkranken und sterbenden Menschen im Fokus die auch die spirituelle Dimension einbezieht. seelsorglichen Handels und Daseins. Seelsorge hat Die Fachpersonen der Seelsorge in der Schweiz sind sich stets mit den wechselnden Zeitumständen diesem ganzheitlichen Ansatz in der Palliative Care auseinandergesetzt und gewandelt. Dabei hat sie verpflichtet. Als Spezialistinnen und Spezialisten für ihr Selbstverständnis immer wieder vertieft und Spiritual Care3 beteiligen sie sich an Spiritual Care erweitert. als der gemeinsamen Sorge der verschiedenen Ge- In jüngerer Vergangenheit war der Beginn der klini- sundheitsberufe um spirituelle Bedürfnisse, Ressour- schen Seelsorgeausbildung in den USA im Jahr 1925 cen und Anliegen von Patientinnen und Patienten (Clinical Pastoral Education) ein bedeutender Meilen- bzw. ihren An- und Zugehörigen. Sie bringen ihre stein. Sie integrierte insbesondere Impulse aus der spezialisierten Kenntnisse und Kompetenzen für die klientenzentrierten Psychotherapie und der huma- existentielle und religiös-spirituelle Begleitung ins nistischen Psychologie nach Carl Rogers. Diese interprofessionelle Team ein. Sie definieren seel- professionalisierte, klinisch orientierte interprofes- sorgliche Begleitung in der Palliative Care und in der sionelle Seelsorgeausbildung erreichte Europa um interprofessionellen Zusammenarbeit als «speziali- 1960 und wurde in Gemeinden, Spitälern, Gefäng- sierte Spiritual Care». nissen und in der Psychiatrie eingeführt. In der Folge wandelte sich das Verständnis der seelsorglichen Begleitung u.a. von der mehrheitlich religiös-sakra- Zielsetzung mentalen Versorgung bis hin zum Einschluss einer Gegenstand der vorliegenden Leitlinien ist der spezi- beratenden, therapeutischen Beziehung. fische Beitrag der Seelsorge in der gemeinsamen Sorge um die spirituellen Bedürfnisse von Betroffe- Ein weiterer Markstein war die Hospizbewegung. nen als Dimension der Palliative Care. Dabei wird Sie wurde in den 1950er Jahren von der Pionierin im vorliegenden Papier das seelsorgliche Handeln Cicely Saunders, einer im christlichen Glauben ver- in Bezug auf verschiedene Tätigkeitsfelder von wurzelten und von interreligiösem Respekt über- Seelsorge in der Palliative Care systematisch be- zeugten Ärztin, Pflegefachfrau und Sozialarbeiterin, schrieben und mit Kriterien ergänzt. sowie von weiteren Persönlichkeiten aus Medizin, Pflege, Seelsorge und Sozialarbeit im anglo-amerika- Durch die Systematik und Praxisrelevanz der Leit- nischen Raum initiiert. 1967 gründete Cicely Saunders linien soll die Arbeit von Seelsorge als spezialisierter mit dem St. Christopher’s Hospice in London das Spiritual Care in Palliative Care seelsorgeintern so- erste moderne Hospiz. Die sich aus dieser Bewegung wie für andere Berufsgruppen transparent kommu- heraus entwickelnde Palliative Care basiert auf niziert werden. einem ganzheitlichen Menschenbild. Spirituelle Die Darstellung der Leitlinien ist idealtypisch zu Bedürfnisse und Ressourcen werden ebenso be- verstehen sowohl was die einzelnen Teilschritte als rücksichtigt wie körperliche, psychische und soziale auch die Gesamtheit der dargestellten Elemente Aspekte.1 Daher ist Palliative Care klar interprofes- betrifft. sionell ausgerichtet: Fachpersonen aus Medizin, Pflege, Seelsorge und dem psychosozialen Bereich Diese Idealgestalt kann die Praxis nicht voraus kümmern sich im gegenseitigen Austausch ge- nehmen, weil Seelsorge immer Beziehungsgesche- 4
LEITLINIEN | SEELSORGE ALS SPEZIALISIERTE SPIRITUAL CARE IN PALLIATIVE CARE hen ist. Patientinnen und Patienten sind immer nisch fortschreitenden Krankheiten. Sie wird vor- auch Mitgestaltende der seelsorgerlichen Prozesse. 4 ausschauend miteinbezogen, ihr Schwerpunkt liegt aber in der Zeit, in der die Kuration der Krank- Die vorliegenden Leitlinien werden im Sinn der heit als nicht mehr möglich erachtet wird und Qualitätssicherung und -entwicklung fortlaufend kein primäres Ziel mehr darstellt. Patientinnen und überprüft und weiterentwickelt. Patienten wird eine ihrer Situation angepasste optimale Lebensqualität bis zum Tode gewährleis- Adressatinnen und Adressaten tet und die nahestehenden Bezugspersonen werden angemessen unterstützt. Die Palliative Die Leitlinien richten sich in erster Linie an Fach Care beugt Leiden und Komplikationen vor. Sie personen der allgemeinen und spezialisierten Pallia- schliesst medizinische Behandlungen, pflegerische tive Care, gemäss den Vorgaben der vorhandenen Interventionen sowie psychologische, soziale Strukturen. Darüber hinaus informieren sie Ent- und spirituelle Unterstützung mit ein.»9 scheidungsträgerinnen und -träger und Fachper sonen des Gesundheitswesens und der Kirchen – Seelsorgliche Begleitung wird in den vorliegenden sowie Interessierte darüber, wie Fachpersonen der Leitlinien als religiös-spirituelle Begleitung um- Seelsorge in Palliative Care arbeiten. schrieben und schliesst existenzielle, psychische, soziale und biographische Aspekte mit ein. Vorlagen – Unter Religion wird eine Gemeinschaft verstan- den, welche bestimmte Traditionen, Rituale/ 1. Die vorliegenden Leitlinien wurden in enger Zu- Sakramente und Texte teilt (Christentum, Juden- sammenarbeit und fortlaufender inhaltlicher/ tum, Islam, Hinduismus, Buddhismus u.a.) in formaler Abstimmung mit der «Task Force Spiri- jeweils unterschiedlichen konfessionellen und tual Care» (palliative ch) und ihrem Grundlage- kulturellen Ausprägungen. papier «Spiritual Care in Palliative Care - Leitlinien zur interprofessionellen Praxis» erarbeitet.5 Sie verstehen sich als professionelle Ausgestaltung der dort beschriebenen interprofessionellen Aufgabe durch die Seelsorge. 2. Sie orientieren sich am Grundlagenpapier: «Stan- dards of Practice for Professional Chaplains in 1 Vgl. World Health Organisation (WHO) 2002. 2 Vgl. BAG/GDK 2016 Hospice and Palliative Care» der amerikanischen 3 Vgl. Puchalski 2009. In: Journal of Palliative Medicine 12, 2009, 885-904. «Association of professional chaplains».6 Vgl. palliative ch 2018 4 Vgl. Timmermann/Baart 2016. In: Conradi/Vosman (Hg.), 189-208. In den Leitlinien werden nationale und internatio- 5 palliative ch 2018 6 Association of Professional Chaplains 2014. nale Vorgaben für Palliative Care (WHO/EAPC) be- 7 Bundesamt für Gesundheit BAG, Schweizerische Konferenz der kantonalen rücksichtigt, insbesondere die Grundlagenpapiere Gesundheitsdirektorinnen und -direktoren GDK: Nationale Strategie Palliative des BAG.7 Care 2010-2012, Bern 2010; http://www.bag.admin.ch/themen/medi- zin/06082. Bundesamt für Gesundheit BAG/Schweizerische Konferenz der kantonalen Hinweise auf die Terminologie im Gesundheitsdirektorinnen und -direktoren GDK: Nationale Leitlinien Palliative Care, Bern 2010; http://www.bag.admin.ch/themen/medizin/06082. Dokument8 Palliative ch, Schweizerische Gesellschaft für Palliative Medizin, Pflege und Begleitung, BIGORIO 2008, Empfehlungen zu Palliative Care und Spiritualität, – Basierend auf den Nationalen Leitlinien Palliative Konsens zur «best practice» für Palliative Care in der Schweiz, Bigorio 2008. Bundesamt für Gesundheit BAG/Schweizerische Konferenz der kantonalen Care verstehen die Autorinnen und Autoren der Gesundheitsdirektorinnen und -direktoren GDK: Das interprofessionelle Team vorliegenden Leitlinien Palliative Care als «die Be- in der Palliaitve Care, Grundlagen einer bedürfnisorientierten Betreuung und Behandlung am Lebensende, Bern 2016. treuung und die Behandlung von Menschen mit 8 Vgl. palliative ch 2018 unheilbaren, lebensbedrohlichen und/oder chro- 9 BAG/GDK 2010b, 8. 5
– Religiosität meint über die institutionelle Reli gionszugehörigkeit hinaus eine persönliche Ge- staltung und Lebenspraxis von Religion. – Spiritualität wird verstanden als Verbundenheit einer Person mit dem, was ihr Leben trägt, inspi- riert und integriert sowie die damit verbundenen Überzeugungen, Werthaltungen, Erfahrungen und Praktiken, die religiöser oder nicht-religiöser Art sein können.10 6
LEITLINIEN | SEELSORGE ALS SPEZIALISIERTE SPIRITUAL CARE IN PALLIATIVE CARE Grundlagen Seelsorgeverständnis Ausrichtung sowie eine Weiterbildung in Palliative Care absolviert. «Seelsorge im Sinne von spirituell-religiöser Be gleitung umfasst fünf Dimensionen; diese sind: In der Regel sind sie kirchlich beauftragt und Mit- glied einer Seelsorgevereinigung. Insgesamt elf 1. Seelsorge als Beziehung, Kompetenzen zeichnen die Fachpersonen der Seel- 2. ihre personale Vermittlung, sorge aus. 3. ihre thematische Strukturierung, 4. ihre kontextuelle Einbettung, 1. Pastoralpsychologische Kompetenz: Fachliche, 5. Seelsorge als ein Geschehen mit Transzendenz- ganzheitliche Trauer- Sterbe- und Krisenbe bezug.»11 gleitung unter Einbeziehung der körperlichen, psychischen, sozialen und spirituellen Ebene.13 «Sie ist die aufsuchende Zuwendung mit dem An- gebot der Präsenz und des Zuhörens, des Dialogs 2. Kommunikative Kompetenz: Beziehungen her- und des prozesshaften Begleitens in existentiellen, stellen, mit Respekt und Freiheit gestalten. spirituellen und systemischen Kontexten von Ein- Emotionale, persönliche und konflikthafte Inhalte zelpersonen, Paaren, Familien, Gruppen und Gemein- begleiten.14 schaften im Alltag, in Krisen und an Übergängen 3. Religiös-spirituelle Kompetenz: Fähigkeit, Men- durch Begegnung, Gespräch, Gebet, Segen, symboli- schen mit unterschiedlichen religiösen Orientie- schen, rituellen und sakramentalen Handlungen.»12 rungen spirituell zu begleiten. Wahrnehmung Dabei beteiligt sich die Seelsorge an der gemeinsa- der vorhandenen Werte und Prägungen, Normen men Aufgabe aller Gesundheitsberufe, existentielle und Bräuche, unabhängig von kirchlicher Mit- und religiös-spirituelle Themen und Fragestellungen gliedschaft. Die spirituelle Dimension erfahrbar von Patientinnen und Patienten sowie von An- und werden lassen. Fachwissen über Religionen, Zugehörigen wahrzunehmen und qualifiziert zu Konfessionen, Kulturen, Spiritualität, Werte und begleiten. Philosophien. Vernetzung mit und Triage zu Religionsvertretenden.15 Die Seelsorge orientiert sich an einem christlich- humanistischen Menschenbild, das die körperliche, 4. Rituelle und liturgische Kompetenz: Neue und psychische, soziale und spirituelle Dimension eines traditionelle Abschiedsrituale individuell und ad- Menschen im Blick hat. Sie anerkennt die unverlier- ressatenzentriert vorbereiten und durchführen.16 bare persönliche Würde als unbedingten Wert jedes 5. Ethische Kompetenz: Beratung und Unter Menschen, unabhängig von Fähigkeiten oder Eigen- stützung in der Entscheidungsfindung, bei schaften, in Anknüpfung an das biblische Verständ- ethischen Dilemmata und Fragen.17 nis vom Menschen als Ebenbild Gottes. 10 Die European Association for Palliative Care (EAPC) definiert Spiritualität als Kompetenzen der Fachpersonen in «die dynamische Dimension menschlichen Lebens, die sich darauf bezieht, wie Theologie und Seelsorge Personen (individuell und in Gemeinschaft) Sinn, Bedeutung und Transzen- denz erfahren, ausdrücken und/oder suchen, und wie sie in Verbindung stehen mit der Gegenwart, sich selbst und anderen, der Natur, dem Bedeutsamen Die Fachpersonen der Seelsorge in Palliative Care und/oder dem Heiligen.» (Nolan et al., 2011). haben eine universitäre Ausbildung in Theologie 11 Morgenthaler 2009, 24. 12 Tschanz Cooke 2013, 179. oder einen äquivalenten Abschluss, eine Weiter 13 Klessmann 2008, 263ff. bildung in klinischer, systemischer oder lösungs- 14 Ziemer, Jürgen (2004): Seelsorgelehre, Göttingen, 2. Aufl., 183. 15 Ebd., 184; Morgenthaler 2009, 25/28. orientierter Seelsorge mit pastoralpsychologischer 16 Klessmann 2008, 155ff. 17 Klessmann 2008, 300ff. 7
6. Systemische Kompetenz: Verständnis für kom- plexe Prozesse im Familiensystem, sozialen Umfeld und in der interprofessionellen Zusam- menarbeit.18 7. Kontext-Kompetenz: Vernetzung und interpro- fessionelle Zusammenarbeit mit Fachpersonen, Familien- und Nachbarschaftshilfen, Gemein- deangeboten, Freiwilligen.19 8. Hermeneutische Kompetenz: Umgang mit Freud, Leid und Übergängen. Adäquates Verstehen und Sinnerschliessung. Lebensbezüge, Deutungen und Ressourcen finden in Bezug darauf, was dem Gegenüber Hoffnung, Halt, Trost, Vertrauen und Zuversicht gibt.20 9. Persönlichkeitskompetenz: Integrität, Authen tizität, Grundvertrauen, Konfliktfähigkeit, Belastbarkeit. Beheimatung in einer religiös- spirituellen Praxis.21 10. Theorie-Kompetenz: Kritische Sachkundigkeit in wissenschaftlichen Theorieansätzen. Das eigene seelsorgliche Handeln konzeptualisieren und kommunizierbar machen.22 11. Gesellschaftsanalytische Kompetenz: Beteiligt sich am kritischen Diskurs einer strukturellen Verortung von Palliative Care in der Gesellschaft.23 8
LEITLINIEN | SEELSORGE ALS SPEZIALISIERTE SPIRITUAL CARE IN PALLIATIVE CARE A. Begleitung von Patientinnen und Patienten sowie An- und Zugehörigen Leitlinie 1: Präsenz in der Beziehung Handeln Grundlage Die Fachperson der Seelsorge Religiös-spirituelle Begleitung ist geprägt durch die gegenseitige Beziehung zu sich selbst, zum anderen – stellt sich zur Verfügung und lässt sich ein. und zur Transzendenz.24 – gestaltet die Beziehung achtsam und empathisch. Beziehung im seelsorglichen Setting ist geprägt – versetzt sich in die Lebenswelt des anderen durch drei verschiedene Ebenen: hinein und anerkennt sie. a) durch Präsenz25 in der Begegnung – bewertet die Erzählung des anderen nicht, b) durch die mit der Fachperson Seelsorge in die sondern erkennt, was für den anderen «auf Gesprächssituation eingebrachte Rolle26 dem Spiel steht». c) und die damit verbundene spirituell-religiöse Dimension.27 – öffnet sich der Gesprächsperson und lässt sich selbst berühren/betreffen. Auf der Grundlage von Achtsamkeit, radikaler Orientierung an der Lebenswelt der Patientin oder – reflektiert die angesprochenen Themen, spiegelt des Patienten und der Bereitschaft, sich von ihren sie in der eigenen Wahrnehmung zurück. Bedürfnissen berühren zu lassen, knüpft die seel- – erlaubt dem oder der anderen, die Art und Weise sorgliche Präsenz an die Verwundbarkeit und Be- zu bestimmten, in der er oder sie Unterstützung dürftigkeit der anderen Person an und lässt sich in wünscht. der Beziehungsgestaltung davon leiten.28 – nimmt sich Zeit und gibt Zeit. In der Begegnung zeichnen sich Unterscheidungen ab, woraus sich Themen für die seelsorgliche Be- – sorgt für Verlässlichkeit. gleitung entwickeln: – durch das in der Begegnung veränderte Selbst- 18 Morgenthaler 2014, 59ff. erleben des Patienten oder der Patientin. 19 Morgenthaler 2009, 25. 20 Ziemer 2004,183. – durch die Interaktion zwischen den Gesprächs- 21 Vgl. ebd., 182. partnern (als zwei Individuen in den aktuellen 22 Ebd., 185. 23 Vgl. Nauer 2014, 311. Rollen «Patientin oder Patient»/«Fachperson der 24 vgl. Konsensusdefinition von palliative.ch: «Spiritualität wird erlebt in der Be- Seelsorge»). ziehung zu sich selber, zu anderen und zum Transzendenten», BIGORIO 2008, Empfehlungen zu Palliative Care und Spiritualität. – durch thematische Unterscheidungen, welche 25 «Entscheidend für eine präsentische Herangehensweise ist der Anschluss an die Lebenswelt und den Lebenslauf, der eher rekonstruktiv aufgefasst wird, die in der aktuellen Situation und Begegnung also aus der Innenperspektive heraus, statt gefühlsbetont oder erklärend.» relevanten Themen sichtbar machen: «dieses Timmermann/Baart 194. konkrete Thema – statt alle möglichen anderen» 26 Vgl. Martin Buber: «Der Zweck der Beziehung ist ihr eigenes Wesen, das ist: die Berührung des Du. Denn durch die Berührung jedes Du rührt ein Hauch des (Krankheit-Gesundheit/Leben-Endlichkeit, usw.). ewigen Lebens uns an.» Buber 2002, 61. In einer spirituell-religiösen Kommunikation ist 27 «Die präsentische Sorgebeziehung ist eine Beziehung, in welcher der andere in der Gegenwart der Fachkraft zugleich ungleich und gleichwertig sein kann.» «dieses erste konkrete Thema» sowohl Ergebnis Timmermann/Baart 2016, 204. wie auch zukünftige Ressource im sich abzeichnen- 28 Kennzeichnend für die Beziehungsgestaltung im seelsorglichen Setting «ist .... den spirituellen Prozess der daran Beteiligten. ein bewusster Perspektivenwechsel und die Bereitschaft, sich der Lebenswelt der Betroffenen ‚auszusetzen‘ (exposure)». Timmermann/Baart 196. 9
Kriterien – identifiziert Zugänge und Ressourcen aber auch – Die Fachperson der Seelsorge bietet ihre Präsenz Hindernisse und Risiken für eine wirksame spiri- niederschwellig an – das Angebot kann von Patien- tuelle, religiöse und existenzielle Begleitung und tinnen und Patienten gewählt oder auch abge- respektiert, was noch nicht benennbar ist. wählt werden. – klärt die Anliegen und Zielsetzungen für die Be- – Die Fachperson der Seelsorge beobachtet die gleitung zusammen mit den Patientinnen und geäusserten Themen, verbindet sie mit der aktu- Patienten beziehungsweise deren An- und Zuge- ellen Situation und schafft Bezüge zur spirituell- hörigen. religiösen Dimension. Kriterien – Die Fachperson der Seelsorge bietet einen Rück- – Ein erster Kontakt findet innerhalb der in der blick auf den gemeinsamen Gesprächsgang an jeweiligen Einrichtung festgelegten Form und (gemeinsame Prozessanalyse). Zeitspanne statt. – Die Abklärung wird fortlaufend aktualisiert. Leitlinie 2: Klärung und Auftrag – Die Religiosität und Spiritualität, die Kultur und Grundlage Werte der Patientinnen und Patienten und deren Der Prozess des Verstehens und der Klärung ist ein An- und Zugehörigen werden anerkannt und fundamentaler Vorgang der Praxis der Seelsorge. respektiert. Die Kommunikation ist patienten Effektive Betreuung erfordert, dass Seelsorgeper orientiert gestaltet. sonen die Situation wie auch die Bedürfnisse der – Die für die interprofessionelle Zusammenarbeit Patientinnen und Patienten abklären, um die Unter- relevanten Informationen werden so dokumen- stützung und Begleitung entsprechend gestalten tiert, dass sie für das interprofessionelle Team zu können. Die Wahrnehmung von Patientinnen zugänglich sind. und Patienten beziehungsweise deren An- und Zu gehörigen im Umfeld von Palliative Care erfordert das Berücksichtigen relevanter körperlicher, psycho- Leitlinie 3: Begleitung sozialer sowie spirituell-religiöser Faktoren, ein- schliesslich das Berücksichtigen der Hoffnungen Grundlage und Ressourcen. Dabei findet besondere Be Auf der Grundlage einer wertschätzenden, authen- achtung, dass sich spirituelle und religiöse Nöte, tischen, auf Respekt und Vertrauen basierenden Ressourcen und Anliegen in ganz unterschiedlichen Beziehung zu Patientinnen und Patienten bezie- Vorstellungen und Bildern ausdrücken können. hungsweise deren An- und Zugehörigen begleiten die Fachpersonen der Seelsorge diese im Gespräch, Handeln in achtsamer Präsenz oder falls gewünscht durch Die Fachperson der Seelsorge Rituale (z.B. Segen, Gebet, Krankensalbung). Dass darin eine spirituelle Dimension zum Tragen kommt, – sammelt und evaluiert im Sinne einer umfassen- entzieht sich der Machbarkeit und schliesst ein den spirituellen Wahrnehmung Informationen Moment der Unverfügbarkeit ein, mit welchem über die spirituellen, religiösen, psychischen und Seelsorge rechnet. sozialen Schmerzen, Bedürfnisse, Hoffnungen und Ressourcen der Patientinnen und Patienten Die Fachperson der Seelsorge trägt innerhalb des und deren An- und Zugehörigen. Betreuungsteams die Verantwortung für die spirituell- religiöse Begleitung von Patientinnen und Patienten – nutzt bei Bedarf dafür anerkannte Assessment- und deren An- und Zugehörigen. Sie entwickelt, in Instrumente. engem Bezug auf die Weltanschauung und Werte 10
LEITLINIEN | SEELSORGE ALS SPEZIALISIERTE SPIRITUAL CARE IN PALLIATIVE CARE der Betroffenen und im Austausch mit dem inter- auf die Stärkung von individuellen Ressourcen professionellen Team, ein Konzept für die spirituell- sowie auf die Unterstützung der Beziehungen religiöse Begleitung. von Patientinnen und Patienten zu sich selbst, ihrem Umfeld, ihren Werten und zur Transzen- Damit fördert sie das umfassende Wohlbefinden denz. der Patientinnen und Patienten beziehungsweise derer An- und Zugehörigen und sichert die Konti- – Die Fachperson der Seelsorge ist geschult in nuität in der Begleitung. klinischer Gesprächsführung und bringt eine breite, spirituell-religiöse Ritualkompetenz mit. Handeln – Die Fachperson der Seelsorge ist in Bezug auf die Die Fachperson der Seelsorge Gestaltung der spirituell-religiösen Begleitung – nimmt im Sinne der aufsuchenden Seelsorge und im kontinuierlichen Gespräch mit den Patientin- auf Anfrage (durch Patientinnen und Patienten, nen und Patienten beziehungsweise deren An- Behandlungsteam) mit den Patientinnen und und Zugehörigen und nach Möglichkeit mit den Patienten und/oder den An- und Zugehörigen Mitgliedern des Behandlungsteams. Kontakt auf. – Die Fachperson der Seelsorge sichert gemäss – begleitet Patientinnen und Patienten durch den in der Einrichtung vorhandenen Einsatz Präsenz, Gespräche und Rituale im Prozess der plänen Pikett für die seelsorgliche Begleitung. Abschiedsbewältigung, der stärkenden spiri tuellen Verortung, der Lebenswürdigung und der Versöhnung mit sich selbst und der Mitwelt. Leitlinie 4: Kulturelle Sensitivität und Diversität – nimmt psychische, soziale und spirituell-religiöse Schmerzen in Trauer, Krankheit, Krisen, Sterben Grundlage und Tod wahr und begleitet Patientinnen und Die Vielfalt kultureller, spiritueller und religiöser Patienten bzw. ihr An- und Zugehörigen bedürf- Traditionen ist in der gegenwärtigen Gesellschaft nis- und ressourcenorientiert. eine Selbstverständlichkeit. – reflektiert jeweils die Begegnung und schafft Dieser Diversität von kulturellen, spirituell-religiösen damit eine Grundlage für die weiterführende und auch biographischen Prägungen begegnet das Begleitung. interprofessionelle Behandlungsteam mit Respekt und Wertschätzung. Die Fachperson der Seelsorge – arbeitet aktiv mit dem interprofessionellen unterstützt das interprofessionelle Team in dieser Behandlungsteam zusammen. Sensibilität und stellt dafür ihr Fachwissen zur Ver- – berät und begleitet Patientinnen und Patienten fügung. beziehungsweise An- und Zughörige wie auch das interprofessionelle Team in ethischen Ent- Handeln scheidungsprozessen. Die Fachperson der Seelsorge – orientiert sich in der Begleitung und Unter Kriterien stützung schwerkranker Menschen an deren – Die spirituell-religiöse Begleitung basiert auf kulturellen, spirituell-religiösen und biogra einer umfassenden spirituellen Wahrnehmung phischen Prägung. und baut eine tragfähige und vertrauensvolle Beziehung auf. – fördert im interprofessionellen Team die Sen sibilität gegenüber dieser Vielfalt. Sie bringt ihr – Die spirituell-religiöse Begleitung zielt auf die Fachwissen über unterschiedliche kulturelle, Begleitung von Bedürfnissen und Symptomen, 11
r eligiöse und spirituelle Vorstellungen und Tradi- vertrauensvoll gewachsenen, religiös-spirituellen tionen ein. Beziehung. – ist im Gespräch mit Patientinnen und Patienten – vermittelt bei Bedarf Fachpersonen mit beson- und deren An- und Zugehörigen aufmerksam deren Kenntnissen. für besondere persönliche, kulturelle, soziale und – kontaktiert bei einer Verlegung in eine andere spirituell-religiöse Bedürfnisse und Anliegen Institution auf Wunsch die dort verantwortliche und zieht auf Wunsch auch Vertreterinnen und Fachperson der Seelsorge und übermittelt ihr, Vertreter anderer Konfessionen oder Religionen nach Absprache mit den Patientinnen und Patien- bei. ten, die relevanten Informationen. Kriterien – begleitet beim Versterben von Patientinnen und – Die Fachperson der Seelsorge verfügt über Grund- Patienten während des Institutionsaufenthaltes lagenkenntnisse zum kulturspezifischen Ge- auf Wunsch die An- und Zugehörigen bei der sundheits- und Krankheitsverständnis sowie zu Trauerbewältigung mithilfe von Gesprächen und Themen der interkulturellen Begleitung. Ritualen. – Die Verortung der Fachperson der Seelsorge in Kriterien der christlichen Tradition ist transparent. – Die Kontakte innerhalb des institutionsinternen Teams der Fachpersonen der Seelsorge sowie Leitlinie 5: Schnittstellen und mit Pfarreien, Kirchgemeinden und religiösen oder Kontinuität weltanschaulichen Gemeinschaften ausserhalb der Institution sind gesichert. Grundlage – Ein Verzeichnis mit den Kontaktdaten unter- Während des Begleitprozesses (Kontaktaufnahme, schiedlicher Konfessionen, Religionen und Welt Begleitung und Abschluss) sichert die Fachperson anschauungen sowie weiterer Fachpersonen der Seelsorge ein sorgfältiges Schnittstellenmanage- ist vorhanden. ment. Dieses gewährleistet die Kontinuität der existenziell-spirituell-religiösen Begleitung und die Unterstützung der An- und Zugehörigen bei der Verlust- und Trauerbewältigung. Die Fachperson der Seelsorge plant alle Interventionen nach sorgfältiger Abklärung und im Einverständnis mit den Patien- tinnen und Patienten beziehungsweise den An- und Zugehörigen und orientiert sich dabei an deren persönlichen Wünschen und Bedürfnissen. Die Inter- ventionen sind mit dem Team abgestimmt. Handeln Die Fachperson der Seelsorge – erfasst zu Beginn der Begleitung mögliche, bereits bestehenden Beziehungen zu religiös-spirituellen Bezugspersonen. – übernimmt auf Wunsch die Kontaktaufnahme mit den spitalexternen Fachpersonen der Seel- sorge und sichert damit die Kontinuität einer 12
LEITLINIEN | SEELSORGE ALS SPEZIALISIERTE SPIRITUAL CARE IN PALLIATIVE CARE B. Interprofessionelle Zusammenarbeit Leitlinie 6: Zusammenarbeit im Kriterien interprofessionellen Team – Seelsorge ist als spezialisierte Spiritual Care in die Organisationsstruktur der Institution und in Grundlage die Abläufe der Zusammenarbeit integriert. Die interprofessionelle Zusammenarbeit ist Voraus- – Seelsorge trägt damit auch Mitverantwortung an setzung der Palliative Care. Die Fachperson der Seel- der strukturellen Verankerung von Angeboten sorge ist als Spezialistin der Spiritual Care ein in in Fort- und Weiterbildung sowohl im Bereich der tegriertes Mitglied des interprofessionellen Teams allgemeinen als auch der spezialisierten Spiritual (Ärzte, Pflege, Soziale Arbeit, Psychologie, Seelsorge, Care. Physiotherapie, Ergotherapie, Ernährungsberatung, Pharmazie, Kunsttherapie, Musiktherapie, Komple- mentärmedizin u.a.)29. Die spirituelle Dimension ist Leitlinie 7: Zugang zu Information eine Grunddimension des gemeinsamen Handelns. und Dokumentierung der Betreuung Die Fachperson der Seelsorge trägt die primäre Ver antwortung für das Wahrnehmen und Begleiten Grundlage von spirituell-religiösen Aspekten in der Betreuung Als Mitglied des Behandlungsteams hat die Fach- von Patientinnen und Patienten sowie ihrer An- person der Seelsorge Zugang zu Informationen, und Zugehörigen. die ihr die Anpassung ihres Konzepts der spirituell- religiösen Begleitung an den interdisziplinären Be- Sie trägt diesen Fokus in den formellen und infor- handlungsplan ermöglicht. Gleichermassen teilt sie mellen Austausch im interprofessionellen Team dem Team ihre eigenen Beobachtungen, Einschät- hinein. Damit trägt sie wesentlich zu einer ganz- zungen und Fragestellungen sowie ihre Vorschläge heitlichen und mehrdimensionalen Kultur der für die spirituelle Begleitung mit. Ein solcher Aus- Palliative Care bei. tausch setzt zum einen ein Vertrauensverhältnis im Team und zum anderen die Wahrung der Vertraulich- Handeln keit und der Schweigepflicht voraus. Die Fachperson der Seelsorge Der formelle und/oder informelle Informationsaus- – unterstützt das Team im Sinne der Ganzheitlich- tausch trägt zur Stärkung des Teamgeists und einer keit in der Wahrnehmung und Begleitung von positiven Kultur innerhalb des Behandlungsteams existentiellen und spirituell-religiösen Fragen, Be- bei. dürfnissen und Ressourcen der Patientinnen und Patienten und deren An- und Zugehörigen. Handeln – engagiert sich in verschiedenen interprofessio- Die Fachperson der Seelsorge nellen Arbeitsgruppen. – informiert sich anhand der Patientendokumen- – kommuniziert im interprofessionellen Team ihre tation bzw. im Gespräch mit dem Behandlungs- seelsorgliche Haltung, ihre Werte, Kompetenzen team zu sachdienlichen Patientendaten. und Arbeitsweise. – informiert die Patientinnen und Patienten über – nimmt regelmässig an interprofessionellen die Art und Weise, wie sie mit dem interprofessio- Rapporten, Rundtischgesprächen und Fallbespre- nellen Team Informationen austauscht und chungen teil und leitet diese gegebenenfalls. weist die Patientinnen und Patienten auf das 29 Vgl. BAG/GDK 2016, 6. 13
Recht hin, die Weitergabe von Informationen zu Handeln untersagen. Die Fachperson der Seelsorge – erfasst in dem für die Seelsorge vorgesehenen – kommuniziert transparent, dass sie Mitglied des Teil der elektronischen Patientenakte mit Zu- interprofessionellen Teams ist im Sinne Art. 321 stimmung der Patientin oder des Patienten In- des StGB. formationen, die für deren interprofessionelle – sichert den Patientinnen und Patienten und Begleitung von Bedeutung sind. Hierzu zählen deren An- und Zugehörigen zu, dass geäusserte insbesondere: Inhalte im Sinne des Seelsorgegeheimnisses als – Elemente, die psychosoziale und spirituell- verschwiegen behandelt werden. religiöse Nöte betreffen, – informiert das Behandlungsteam über die Be- – Elemente, die psychosoziale und spirituell- deutung des Seelsorgegeheimnisses als Teil des religiöse Ressourcen betreffen, seelsorglichen und interprofessionellen Handelns. – Elemente, die den Kontakt zu den An- und Kriterium Zugehörigen betreffen, – Die Fachperson der Seelsorge hat Kenntnis von – je nach Religionszugehörigkeit konkretere Inhalt und seelsorgespezifischer Umsetzung der rituelle Bedürfnisse. gesetzlichen und kirchlichen Grundlagen zur Schweigepflicht. Kriterien – Die elektronische Patientenakte sieht einen Platz für spirituelle/religiöse Elemente vor. – Die Elemente der elektronischen Patientenakte sind für alle beteiligten Fachpersonen einsehbar. – Die Fachperson der Seelsorge steht im Kontakt mit dem interprofessionellen Team. Leitlinie 8: Schweigepflicht Grundlage Die Fachperson der Seelsorge beachtet die Schweige- pflicht wie sie gemäss der Gesetzgebung auf Kantons- und Bundesebene sowie in den offiziellen kirchlichen Gesetzen und Regelungen festgehalten ist. Das betrifft die Informationen aller Quellen, von Patientinnen und Patienten und deren An- und Zu- gehörigen, von Mitgliedern des interprofessionellen Teams und weiteren Fach- und Betreuungspersonen sowie medizinische Dokumentationen. Die Schweigepflicht dient dem Schutz der Privat- sphäre der Patientinnen und Patienten und deren An- und Zugehörigen. Eine Verletzung der Schweige- pflicht kann strafrechtliche Folgen nach sich ziehen (Art. 321 des StGB). 14
LEITLINIEN | SEELSORGE ALS SPEZIALISIERTE SPIRITUAL CARE IN PALLIATIVE CARE C. Mitarbeitende und Organisation/Institution Leitlinie 9: Begleitung, Beratung Leitlinie 10: Werte/Mitwirkung in und Weiterbildung von Mitarbei- der Organisation tenden Grundlage Grundlage Die Fachperson der Seelsorge wird in das Team der Die Fachperson der Seelsorge bietet Begleitung, Be- Palliative Care und damit im weiteren Sinne in die ratung und Weiterbildung an. Sie ist Ansprech Behandlungseinrichtung, in der sie tätig ist, integ- person für religiöse, spirituelle und lebensgeschicht- riert. Damit nimmt sie am allgemeinen Reflexions- liche Fragestellungen der Mitarbeitenden – in prozess der Einrichtung über Werte oder Ethik beruflicher oder persönlicher Hinsicht. Sie unter- sowie über sämtliche anderen institutionellen The- stützt so die stärkende und vorbeugende Wirkung men teil. Sie ist Ansprechpartnerin für spirituelle spiritueller und religiöser Ressourcen für die körper- und religiöse Fragen und trägt dazu bei, dass diese liche und seelische Gesundheit der Mitarbeiten- in die Behandlungsphilosophie und ins Handeln den (Empowerment und Prävention). integriert werden. Sie absolviert auch entsprechende Fortbildungen in diesen Gebieten. Darüber hinaus Handeln ist sie Ansprechpartnerin für den Ort der Besinnung Die Fachperson der Seelsorge (oder die Kapelle) innerhalb der Institution. Sie wirkt aktiv am Aufbau der institutionellen Kultur mit, – macht die Angebote der Seelsorge den Mitar in der sie Anliegen im Kontext eines umfassenden, beitenden bekannt (u.a. Fallbesprechung, Inter nicht nur nach ökonomischen Kriterien reduzier vision, Defusing). Die Fachperson der Seelsorge baren, vierdimensionalen Menschenbildes unter- stellt ihre Dienste regelmässig vor und weist die stützt. Schliesslich verkörpert sie im Namen der Mitarbeitenden auf die Möglichkeit eines per- Einrichtung und darüber hinaus die Philosophie von sönlichen Gesprächs hin. Palliative Care und den Ort der spirituellen Dimen- – berät bei spirituellen, religiösen und ethischen sion. So trägt sie zur Wahrnehmung der Einrichtung Fragestellungen und bringt ihr Fachwissen in in der Öffentlichkeit bei. entsprechende Weiter- und Fortbildungen ein. Handeln – lädt die Mitarbeitenden ein, ihre eigenen spirituell- Die Fachperson der Seelsorge religiösen Verortungen zu reflektieren und stärkt sie in ihrer Kompetenz der spirituellen Begleitung. – arbeitet nach Möglichkeit in Facharbeitsgruppen und Ethikkommissionen mit. – bietet Unterstützung an in Fragen nach Sinn, Orientierung und spiritueller Beheimatung. – nimmt an der Teamsupervision teil. – übernimmt Verantwortung in der Abschieds Kriterien kultur. Sie begleitet die Mitarbeitenden in Fragen – Die Fachperson der Seelsorge wirkt in verschie- des Sterbens und Abschiednehmens und gestal- denen Arbeitsgruppen der Einrichtung mit. tet Gedenk- und Abschiedsfeiern. – Die Fachperson der Seelsorge ist dafür besorgt, Kriterium dass der Ort der Besinnung den Patientinnen – Das Angebot der Seelsorge ist für Mitarbeitende und Patienten, ihren An- und Zugehörigen und bekannt. den Mitgliedern des Behandlungsteams offen- steht und unterschiedliche spirituelle und religi- öse Prägungen darin willkommen sind. 15
D. Qualitätsentwicklung und Qualitätssicherung Leitlinie 11: Ethikkodex – Die Fachperson der Seelsorge nimmt an Inter vision und Fortbildungen teil, um das Verständnis Grundlage der Diversität zu vertiefen. Die Fachperson der Seelsorge untersteht den be- – Ein standardisiertes Vorgehen mit klaren Ver rufs- und standesethischen Richtlinien der sie antwortlichkeiten kommt bei Beanstandungen beauftragenden und anstellenden Behörden. Ziel von Patientinnen und Patienten, von An- und der ethischen Richtlinien ist der Respekt und die Zugehörigen sowie von Mitarbeitenden zur An- Anerkennung kultureller, spirituell-religiöser sowie wendung. gesellschaftlicher und persönlicher Diversität. Die ethischen Richtlinien bilden die Basis für Leitlinie 12: Aus- und Weiterbildung – das Respektieren von Glaubensvorstellungen, Werten, Religion und Kultur von Patientinnen Grundlage und Patienten und deren An- und Zugehörigen. Die Fachperson der Seelsorge bringt eine universitäre theologische Ausbildung (Master- oder Bachelor- – die Wahrung von Grenzen innerhalb der pro stufe in Theologie) oder eine andere als gleichwertig fessionellen Beziehung im spirituellen, religiösen, anerkannte theologische Ausbildung mit. Zudem kulturellen und sozialen Handeln. verfügt sie über Weiterbildungen in Seelsorge und – die Haltung des vorbehaltlosen Respektes vor Pastoralpsychologie (CAS/DAS/MAS)30 oder äquiva- der Integrität des Gegenübers. lente Weiterbildungen und sie hat einen Basis- oder Vertiefungskurs31 in Palliative Care absolviert. Handeln Die Fachperson der Seelsorge ist, in Absprache mit Die Fachperson der Seelsorge ihrer Anstellungsbehörde, dafür verantwortlich, – drückt in ihrer Haltung jederzeit Respekt vor sich weiterzubilden und weiterzuentwickeln. Das der Würde und Entscheidungsfreiheit von Patien- beinhaltet neben regelmässiger fachlicher Super- tinnen und Patienten und deren An- und Zuge- vision und Intervision, dass sie sich mit den neusten hörigen aus und legt darum besonderen Wert auf Erkenntnissen in Theorie und Praxis der Seelsorge eine respektvolle Beziehungsgestaltung. und Pastoralpsychologie, Spiritual Care und Palliative Care auseinandersetzt. – enthält sich jeglicher Übergriffe sowohl in der Haltung als auch in Wort und Tat. Das schliesst Handeln ideologisch gefärbte Beurteilungen, Beeinflus- Die Fachperson der Seelsorge sung und Manipulation mit ein. – besucht jährlich Weiterbildungen im Gebiet – setzt sich im Wissen um die besondere Vulne Palliative Care, Spiritual Care, Seelsorge und/oder rabilität von schwerkranken und sterbenden Pastoralpsychologie (Richtwert 25 h bei 100 % Menschen innerhalb der Strukturen der Einrich- Anstellung) und setzt sich mit Fachliteratur aus- tung für deren Bedürfnisse und Rechte ein. einander. Kriterien – reflektiert und evaluiert ihr eigenes Handeln – Die Fachperson der Seelsorge nimmt Supervision (z. B. Supervision, Intervision, weitere Austausch- in Anspruch, um die unbewussten Dimensionen gespräche). der Beziehungsgestaltung zu verstehen und ge- gebenenfalls zu verändern. 16
LEITLINIEN | SEELSORGE ALS SPEZIALISIERTE SPIRITUAL CARE IN PALLIATIVE CARE – vernetzt sich und nimmt nach Möglichkeit an Handeln regionalen und nationalen Kongressen und Ver- Die Fachperson der Seelsorge anstaltungen teil. – fördert innerhalb der Institution ein gemein – pflegt und reflektiert ihre persönliche Spiritualität. sames Verständnis der spirituellen Dimension in der interprofessionellen Begleitung sowie Kriterien des Beitrags von Seelsorge als Spiritual Care. – Die Fachperson der Seelsorge besucht die oben – prägt die Entwicklung von Qualitätskonzepten definierten, jährlichen Fortbildungen. und Best Practice-Modellen in der jeweiligen – Die Fachperson der Seelsorge nimmt regel Institution mit. mässig an Supervision, Intervision und Aus- – trägt zu einer gemeinsamen Haltung und Kultur tauschgesprächen teil. der Palliative Care in der jeweiligen Institution bei. – Die Fachperson der Seelsorge hat Kenntnis – informiert sich über aktuelle Studien im Bereich der entsprechenden Fachstellen für Konflikt Seelsorge/Spiritual Care. beratung und Krisenintervention. – beteiligt sich nach Möglichkeit an Weiterbildungs- aktivitäten des Teams. Leitlinie 13: Forschung und Qualitätsentwicklung – bietet Weiterbildung, innerhalb und/oder ausser- halb der Institution, an. Grundlage – initiiert oder unterstützt Forschungsvorhaben Die Fachperson der Seelsorge beteiligt sich an der zu ihrem Tätigkeitsfeld. Qualitätsentwicklung von Palliative Care, insbe sondere im Blick auf die vierte, spirituelle Dimension. Kriterien Im diesem Kontext soll zudem die seelsorgliche – Die Fachperson der Seelsorge arbeitet konzept Praxis wissenschaftlich begründet, ausgewiesen orientiert und weist sich innerhalb der Palliative und weiterentwickelt werden. Care Konzepte der Institution als integrierter Die Spiritualitäts- und Seelsorgeforschung be- Bestandteil aus. dient sich sowohl hermeneutischer und qualitativ- – Die Fachperson der Seelsorge und ihre Angebote empirischer wie auch evidenzbasierter und quan sind in der Institution verankert und dement- titativer Forschungsansätze. Sie macht, je nach sprechend in der Organisationsstruktur und den Untersuchungsgegenstand, von diesen Ansätzen Prozessen integriert. Gebrauch. – Die spirituelle Dimension in den Konzepten Die Fachperson der Seelsorge setzt sich für die fort- und Handlungsleitsätzen der Institution wird laufende Sicherung und Weiterentwicklung der durch die Seelsorge laufend evaluiert und Qualität der professionellen Seelsorgearbeit wie weiterentwickelt. auch der Integration der spirituellen Dimension in die palliative Versorgung ein. Nach Möglichkeit beteiligt sich die Fachperson der Seelsorge an Forschungsprojekten. 30 CPT (Clinical Pastoral Training)/SYSA (Systemische Seelsorge)/LOS (Lösungs orientierte Seelsorge) auf Stufe CAS/DAS/MAS. 31 Gemäss aktuellem Stand des Bildungssystems (bisherig: A2-B2). 17
Anhang I. Literatur palliative ch, Schweizerische Gesellschaft für Palliative Medizin, Pflege und Begleitung (2008): Empfehlun- Association of Professional Chaplains (2014): gen zu Palliative Care und Spiritualität, Konsens zur Standards of Practice for Professional Chaplains in «best practice» für Palliative Care in der Schweiz: Hospice and Palliative: http://www.palliative.ch/fileadmin/user_upload/ http://www.professionalchaplains.org/files/profes- palliative/fachwelt/E_Standards/E_12_1_bigo- sional_standards/standards_of_practice/stan- rio_2008_Spiritualitaet_de.pdf dards_of_practice_hospice_palliative_care.pdf palliative ch, Schweizerische Gesellschaft für Palliative Buber M (2002): Ich und Du (11. Auflage), Stuttgart. Medizin, Pflege und Begleitung, Task Force Spiritual Bundesamt für Gesundheit BAG, Schweizerische Care (2018): Spiritual Care in Palliative Care. Leitlinien Konferenz der kantonalen Gesundheitsdirektorinnen zur interprofessionellen Praxis, Bern. und -direktoren GDK (2010a): Nationale Strategie Timmermann G/Baart A (2016): Präsentische Praxis Palliative Care 2010-2012, Bern: und Theorie der Präsenz. In: Conradi E/Vosman F http://www.bag.admin.ch/themen/medizin/06082 (Hg.), Praxis der Achtsamkeit. Schlüsselbegriffe der Bundesamt für Gesundheit/Schweizerische Kon Care-Ethik. Frankfurt am Main. ferenz der kantonalen Gesundheitsdirektorinnen Tschanz Cooke K: (2013) Hoffnungsorientierte Syste- und -direktoren GDK (2010b): Nationale Leitlinien mische Seelsorge, Stuttgart. Palliative Care, Bern: http://www.bag.admin.ch/themen/medizin/06082 World Health Organisation (WHO): Definition of Palliative Care Bundesamt für Gesundheit/Schweizerische Kon http://www.who.int/cancer/palliative/definition/en/ ferenz der kantonalen Gesundheitsdirektorinnen und -direktoren GDK (2016): Das interprofessionelle Ziemer J (2004): Seelsorgelehre (2. Auflage), Göttingen. Team in der Palliative Care. Grundlagen einer be- dürfnisorientierten Betreuung und Behandlung am Lebensende, Bern. II. Mitglieder der Steuerungs gruppe Fachgruppe Seelsorge von Klessmann M (2008): Seelsorge, Neukirchen-Vluyn. palliative ch Morgenthaler C (2009): Seelsorge. Lehrbuch Prakti- (Stand: 1.1.2019) sche Theologie Bd. 3, Gütersloh. Renata Aebi, Seelsorgerin, Beauftragte für Seelsorge Morgenthaler, C (2014): Systemische Seelsorge in Palliative Care, Evangelisch-reformierte Kirche des (5. Auflage), Stuttgart. Kantons St. Gallen (Co-Leitung) Nauer D (2014): Seelsorge (3. Auflage), Stuttgart. Lisa Palm, Seelsorgerin Universitätsspital Zürich, Beauftragte für Palliative Care, Katholische Kirche Nolan S, Saltmarsch P and Leget C (2011): Spiritual im Kanton Zürich (Co-Leitung) care in palliative care: Working towards EAPC Task Force. European Journal of Palliative Care Susanne Cappus, Dr. phil., Diakonin Baselland, 18(2):86-89. Palliativbeauftragte Christkatholische Kirche Schweiz Puchalski C (2009): Improving the quality of spiri- Matthias Fischer, Seelsorger, Beauftragter für Seel- tual care as a dimension of Palliative Care. Journal sorge in Palliative Care, Evangelisch-reformierte Kirche of Palliative Medicine 12, 885-904. des Kantons Zürich 18
LEITLINIEN | SEELSORGE ALS SPEZIALISIERTE SPIRITUAL CARE IN PALLIATIVE CARE Karin Kaspers-Elekes, Seelsorgerin Kantonsspital Karin Tschanz Cooke Thurgau, Präsidentin palliative ostschweiz Simon Peng-Keller Andreas Zimmermann Jeanine Kosch, Theologin, Fachbeauftragte Palliative Daniel Zubler Care Schweizerische Bischofskonferenz Claudia Kohli-Reichenbach, Dr. theol., Aus- und Weiterbildung in Seelsorge (AWS), Universität Bern Annette Mayer, Seelsorgerin CHUV Lausanne, Beauftragte für Palliative Care Katholische Kirche des Kantons Waadt Susanna Meyer Kunz, Seelsorgerin und Leiterin reformierte Spitalseelsorge am Universitätsspital Zürich, Präsidentin Deutschweizerische Seelsorge- vereinigung Pascal Mösli, Seelsorger und Supervisor IAP, Beauftragter für Spezialseelsorge und Palliative Care, Reformierte Kirchen Bern-Jura-Solothurn François Rosselet, Seelsorger und Koordinator Spital- und Klinikseelsorge, Evangelisch-reformierte Kirche des Kantons Waadt Simone Rüd, Seelsorgerin Zuger Kantonsspital, Fach- stelle Ökumenische Seelsorge Palliative Care Zug Karin Tschanz Cooke, Dr. theol., Seelsorgerin Hirslanden Klinik Aarau, Leitung Palliative Care und Ausbildung Reformierte Landeskirche Aargau, Vize präsidentin palliative ch Daniel Zubler, Seelsorger Kantonsspital Glarus und psychologische Beratungsstelle, kirchlicher Be- auftragter im PC-Forum Kanton Glarus III. Autorenschaft Renata Aebi Lisa Palm Susanne Cappus Matthias Fischer Karin Kaspers-Elekes Jeanine Kosch Claudia Kohli-Reichenbach Pascal Mösli François Rosselet Simone Rüd 19
LEITLINIEN | SEELSORGE ALS SPEZIALISIERTE SPIRITUAL CARE IN DER PALLIATIVE CARE Impressum palliative ch Bubenbergplatz 11 3011 Bern info@palliative.ch www.palliative.ch Spenden Die Fachgesellschaft palliative ch fördert Palliative Care in der Schweiz. palliative ch setzt sich ein für einen gerechten Zugang Betroffener und Angehöriger zu Palliative Care, für eine flächendeckende Versor- gung, eine bestmögliche Qualität der Angebote sowie für Bildung und Forschung in Palliative Care. Als Non-Profit-Organisation ist palliative ch auf Spenden angewiesen, um die zahlreichen Aktivitäten finan- zieren zu können. Unsere Zahlungsverbindung Zusatzinformationen für Ihre Spende via eBanking: – IBAN CH94 0900 0000 8529 3109 4 – IBAN Bank-Adresse – Die Schweizerische Post, PostFinance, Nordring 8, 3030 Bern – IBAN Empfänger-Adresse – palliative ch – Schweiz. Gesellschaft für Medizin, Pflege und Begleitung, Bubenbergplatz 11, 3011 Bern – BIC (SWIFT) POFICHBEXXX Herzlichen Dank für Ihre Spende! © palliative ch 2019. Jede Verwendung dieses Dokuments ohne ausdrückliche Genehmigung des Urhebers verstösst gegen den Schutz des Urheberrechts und ist untersagt. 20
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