Leonardo da Vinci Ist das Kunst oder kann das weg? - Billaud, Boris

 
WEITER LESEN
Leonardo da Vinci Ist das Kunst oder kann das weg? - Billaud, Boris
MONATSSERIE

                  Leonardo da Vinci
                 TEIL 3

                            Ist das Kunst oder
                            kann das weg?

14            Nr. 20/2019
Leonardo da Vinci Ist das Kunst oder kann das weg? - Billaud, Boris
Gegen 25 000 Menschen! Pro Tag! Schauen sich im Louvre in Paris
die «Mona Lisa» von Leonardo da Vinci an. Und sind zunächst vor
allem erstaunt darüber, wie klein das Gemälde ist, nämlich kleiner
als ein A2-Blatt. Sind diese Besuchermassen durch die künstlerische
Qualität des Bildes gerechtfertigt oder gibt es für diesen «Overtou-
rism» vielmehr ganz andere Gründe?                    von Christine Schnapp

                                                                              Foto: Keystone/AP Photo/Markus Schreiber

                                                        Nr. 20/2019    15
Leonardo da Vinci Ist das Kunst oder kann das weg? - Billaud, Boris
Foto: Keystone/Martial Trezzini
Die Mona Lisa Fondation, eine nicht profitorientierte Organisation in Zürich, präsentierte am 14. November 2013 eine zehn Jahre frühere
Version des berühmten Gemäldes der Mona Lisa, das im Le Louvre in Paris hängt. Historische und vergleichende wissenschaftliche Beweise
kommen zum Schluss, das auch dieses Bild von Leonardo Da Vinci stammt.

                           B
                                   ei den Löhnen sogenannter Wirtschafts-          nardo da Vincis und einem der berühmtesten Bil-
                                   kapitäne ist man sich ausserhalb der Ma-        der der Welt, gibt es punkto Echtheit Spekulatio-
                                   nagergilde einig, dass sie ab einer gewissen    nen ohne Ende. Es gibt von diesem Bild schlicht
                           Höhe nicht mehr als adäquater Gegenwert für ge-         zu viele Kopien und natürlich Fälschungen, als
                           leistete Arbeit angesehen werden können, son-           dass noch zweifelsfrei bestätigt werden könnte,
                           dern zur reinen Perversion verkommen. Und wie           dass die «Mona Lisa», die im Louvre in Paris
                           ist es in der Kunst? Sind 450 Millionen Dollar –        hängt, die echte ist. Trotzdem schätzt die Alt-
                           der höchste je bezahlte Betrag für ein Kunstwerk –      meister-Expertin des Auktionshauses Christie’s,
                           gerechtfertigt oder handelt es sich hierbei um          Anke Held, das unverkäufliche Werk auf einen
                           eine blosse kapitalistische Potenzshow? Von 450         fiktiven Marktwert von einer Milliarde Euro.
                           Millionen Dollar könnte eine durchschnittliche
                           vierköpfige Familie in der Schweiz problemlos            Die perfekte Image-Kampagne
                           3800 Jahre leben. Kann ein einzelnes Bild tatsäch-         Es ist sicher nicht falsch zu behaupten, dass sol-
                           lich so viel mehr wert sein? Andererseits, welchen       che Beträge eine Art religiöse Dimension haben.
                           Massstab will man anwenden, wenn sich Irritati-          Ihnen wohnt nicht nur eine rationale Marktana-
                           on einstellt ob der Summen, die auf dem Kunst-           lyse inne, sondern auch sehr viel Glaube und
                           markt – der ja zu einem guten Teil der Geldwä-           Hoffnung. Dabei lupft der Glaube den realen Wert
                           scherei dient – hin und her geschoben werden?            ins Reich der Hoffnung. Der Vergleich mit dem
                           Wer kann denn mit welchem Grund einwenden,               internationalen Fussballmarkt soll an dieser Stel-
                           dass das Gemälde «Salvator Mundi» von Leonar-            le, an der es um die sogenannte Hochkultur geht,
                           do da Vinci nicht die erwähnten 450 Millionen            gestattet sein. So hat die katarische Investoren-
                           Dollar wert ist?                                         gruppe Qatar Sports Investments (QSI) der fran-
                             Selbst die Tatsache, dass die Echtheit des Werks       zösischen Ligue-1-Mannschaft Paris Saint-Ger-
                           nicht endgültig bestätigt ist – u. a. weil da Vinci      main (PSG) seit 2011 Unsummen zur Verfügung
                           seine Gemälde nicht signierte –, hat den unbe-           gestellt, mit denen der Club einige der besten
                           kannten Käufer nicht abgeschreckt. Auch bei der          Spieler der Welt kaufte, weil die Katarer sich Ti-
                           «Mona Lisa», dem berühmtesten Gemälde Leo-               tel wünschten. Allein, diese blieben aus – die In-

16         Nr. 20/2019
Leonardo da Vinci Ist das Kunst oder kann das weg? - Billaud, Boris
vestoren sind offenbar auf dem Absprung. Die               sogar Eintritt, um im Louvre die leere Stelle an
Hoffnung, dass sich mit viel Geld Ruhm erkaufen            der Wand sehen zu können. Als das Gemälde zwei
lässt, hat sich zerschlagen.                               Jahre später wieder dort zu hängen kam, hatte die
  Zwei, die sich Gedanken gemacht haben, wie es            Geschichte es längst zum Kult gemacht – durch
dazu kommen kann, dass ein bestimmtes Werk                 seine blosse Abwesenheit. Fortan wollten alle es
Kult wird und ein anderes nicht, sind die Kunst-           sehen. Verstärkend wirkt dabei die Tatsache der
historikerin Francesca Bonazzoli und der Kura-             Herdenmentalität grosser Touristenmassen.
tor und Kunstkritiker Michele Robecchi. In ih-             Hinzu kommt nicht zuletzt, dass Paris günstig
rem Buch: «Da Vinci bei den Simpsons» gehen sie            gelegen ist. Nach Paris reist fast jeder gute Tou-
den Geschichten nach, anhand derer etwa die                rist einmal in seinem Leben, da kann man auch
«Mona Lisa», das «Mädchen mit dem Perlenohr-               gleich noch im Louvre ein paar Stunden anstehen.
ring» (Jan Vermeer) oder «Der Kuss» (Gustav                Die «Dame mit dem Hermelin» hingegen, ein
Klimt) von sich reden machten. Dabei wird klar,            weiteres von vier Frauenporträts, die da Vinci
dass jede der Geschichten, die diese Kunstwerke            malte, wird hauptsächlich von «richtigen» Kunst-
umranken, einzigartig ist, es aber grundsätzliche          interessierten besucht, denn sie hängt in Krakau –
Faktoren gibt, die sich stets wiederholen. France-         und damit abseits der grossen Touristenströme.
sca Bonazzoli: «Vereinfacht gesagt sind vier nö-
tig. Was wird von ihnen erzählt? Wer redet über            Mona-Lisa-Effekt?
sie? Wie tut er es? Wo ist das Werk zu sehen?» Die           Bei diesem ganzen Drumherum und den vielen,
«Mona Lisa» war bis 1911 zwar eine Ikone der Re-           widersprüchlichen fachlichen Erklärungen kann
naissance-Malerei und eine Rarität, weil Leonar-           man ob der künstlerischen Bedeutung der «Mona
do da Vinci nur knapp ein Dutzend Porträts mal-            Lisa» schnell mal den Überblick verlieren. Ist ihr
te, trotzdem blieb niemand länger als nötig vor            Lächeln heiter entrückt oder verdecken ihre Lip-
ihr stehen im Pariser Louvre. Doch dann wurde              pen einen zahnlosen Mund? Sind die Augenbrau-
sie vom Italiener Vincenzo Peruggia gestohlen              en einfach ausgebleicht oder vom Künstler be-
und blieb zwei Jahre lang verschollen. Fast täg-           wusst weggelassen zwecks geheimer Botschaft?
lich berichteten die Medien in dieser Zeit über            Folgen einem die Augen der Mona Lisa durch den
den Fall. Hinzu kam das nationalistische Motiv             ganzen Raum, in dem sie hängt, oder trifft dieses
für den Raub, das Anfang des 20. Jahrhunderts              Phänomen, dem sie den Namen gegeben hat, aus-
auf fruchtbaren Boden fiel. Die «Mona Lisa» er-            gerechnet bei ihr selber nicht zu? Blickt sie statt-
hielt so viel Publizität, dass heutige Social-Media-       dessen in einem Winkel von 15,4 Grad am Be-
Influencer vor Neid tagelang auf ihren Smartpho-           trachter vorbei, wie Forscher der Universität Bie-
nes herumtrampeln würden. Die Leute bezahlten              lefeld kürzlich entdeckt haben wollen? Dass die

 Der Diebstahl der Mona Lisa
 War der Italiener Vincenzo Perug-    bei geholfen. Wenige Tage nach      einen Brief von einem Leonardo,    Diebes wurden viele Stimmen
 gia von nationalistischen Gefüh-     dem Diebstahl geriet Pablo Picas-   der schrieb, er wolle die «Mona    laut, die «Mona Lisa» müsse in
 len geleitet oder einfach von        so in Verdacht, das Verschwinden    Lisa» Italien zurückgeben – ge-    Italien bleiben. Die italienische
 Geldgier? Der 29-Jährige, der im     der «Mona Lisa» organisiert zu      gen einen Unkostenbeitrag von      Regierung sicherte jedoch eine
 August 1911 im Louvre als Gastar-    haben. Denn ein Freund des Dich-    500 000 Lire. Bei der Abschaf-     Rückerstattung zu, verlangte
 beiter Wände strich, versteckte      ters Guillaume Apollinaire hatte    fung der Lira 2002 entsprach das   aber, das Gemälde von Leonardo
 sich im Museum in einem Schrank      ausgesagt, Picasso gestohlene       noch 400 Schweizer Franken. Es     da Vinci zuvor in Florenz, Rom
 und löste in der Nacht des 21. Au-   Skulpturen verkauft zu haben,       kam zu einem Treffen mit Geri      und Mailand auszustellen. Perug-
 gusts das damals schon berühm-       was der Wahrheit entsprach. Mit     und dem Direktor der Florentiner   gia wurde zu lediglich sieben Mo-
 teste Gemälde des Louvre aus         dem Diebstahl des Porträts der      Uffizien, bei dem Peruggia das     naten Gefängnis verurteilt und in
 dem Rahmen. Am Tag darauf            Mona Lisa hatte er jedoch, wie      Gemälde zeigte. Die Experten er-   Italien zum Star, der die «Mona
 brachte er das Werk von Leonar-      die Ermittlungen ergaben, nichts    kannten sofort, dass es sich um    Lisa» zurückgeholt hatte. Dank
 do da Vinci, wahrscheinlich auf-     zu tun. Von dem Bild fehlte wäh-    die echte «Mona Lisa» handelte.    des Diebstahls war das Gemälde
 gerollt unter seinem Kittel, aus     rend zweier Jahre jede Spur. Im     Sie versprachen Peruggia, das      bei seiner Rückkehr in den Louvre,
 dem Museum. Später heisst es,        Dezember 1913 erhielt der Floren-   Geld zu holen, riefen jedoch die   die als Staatsakt vollzogen wurde,
 ihm habe ein Sanitärarbeiter da-     tiner Kunsthändler Alfredo Geri     Polizei. Nach der Verhaftung des   weltberühmt geworden.             ala

                                                                                                                      Nr. 20/2019           17
Foto: Keystone/EPA/Yoan Valat
Das Modehaus Louis Vuitton präsentierte am 11. April 2017 eine neu Taschenkollektion im Louvre-Museum in Paris. Hier eine
vom amerikanischen Künstler Jeff Koons enworfene Tasche mit dem Mona-Lisa-Motiv.

                           «Mona Lisa» ein Meilenstein in der Kunstge-             ne Zeit hinaus strahlen wird? Es bleibt eine Spe-
                           schichte ist und der Titel dieses Beitrags reine Po-    kulation. Entscheidend für die Qualität der
                           lemik, soll allerdings keinesfalls bestritten wer-     ‹Mona Lisa› ist demnach weniger die Maltechnik
                           den. Wir lassen deshalb abschliessend für eine          als vielmehr die Zusammenstellung von neuarti-
                           professionelle Einordnung des Gemäldes den              gen oder nicht üblichen malerischen Gepflogen-
                           Kunstmaler Boris Billaud zu Wort kommen:                heiten hinsichtlich Komposition und Darstellung
                            «Das auf Holz gemalte 77 cm x 53 cm grosse Bild-       zugunsten eines Wurfs, der möglicherweise – es
                           nis einer Dame aus Florenz war technisch zu sei-        ist auch hier eine Spekulation – die Biederkeit der
                           ner Zeit eine Ausnahmeerscheinung, und des-             damaligen Auftragsmalerei – die Zurschaustel-
                           halb gilt da Vinci zu Recht als Begründer der           lung von Pracht, Schönheit oder Erhabenheit –
                           Technik des ‹Sfumato›. Nur was bedeutet das?            durchbrechen sollte. Es passt technisch und his-
                           Aus heutiger Sicht ist die Debatte, wer als Erster      torisch zusammen. Die provinziellen Maler in
                           irgendetwas gemacht hat, etwas altmodisch und           ganz Europa malten noch nach Strich und Faden
                           kindisch, auch wenn auf dem Kunstmarkt immer           (Pinselstrichen) entlang eines vorgegebenen
                           noch mit solch banalen Attributen Werbung ge-           Schemas, indem die meisterliche Hand alles
                           macht wird. Es wäre wohl auch beschämend für            nachvollziehbar ausführte. Da Vinci fand durch
                           da Vinci, würde man seine malerischen Fähigkei-         seine Experimentierfreudigkeit eine göttliche
                           ten darauf reduzieren. Technisch gesehen ist der        und mystische Inspiration und löste so die Kunst
                           Trick/Vorgang, den er anwendete, heute an jeder         vom bäuerlich anmutenden Tafelbild. Vorher
                           Zeichen- und Malschule verbreitet und fast alle,        machte das Diffuse den Leuten noch Angst – von
                           die sich an ihren Zeichenunterricht erinnern,           nun an sollte es eine Versprechung für die Zu-
                           dürften Verschmieren oder Abwedeln kennen.              kunft sein.»                                     ■
                           Andere kennen den Effekt von der Herstellung
                           von Batikstoffen oder als Hilfsmittel des Photo-
                           shop-Programms. Ob es sich Leonardo da Vinci
                           damit einfach machen wollte – wie viele Schüle-                               In der nächsten Ausgabe:
                           rinnen oder Hobbykünstler, oder ob er in der neu-                          Wofür Leonardo da Vinci alles
                           en Methode ein Potenzial sah, das weit über sei-                               den Kopf hinhalten muss.

18        Nr. 20/2019
Sie können auch lesen