Leseforum Schweiz Forum suisse sur la lecture

 
WEITER LESEN
Leseforum       Forum
Schweiz     suisse sur
            la lecture
Impressum
Leseforum Schweiz Informationsbulletin
Herausgegeben vom Leseforum Schweiz
© Copyright 1997 by Leseforum Schweiz, Zürich
Die veröffentlichten Beiträge bleiben Eigentum der Autoren
Redaktion: Barbara Helbling, Zürich, und A n n a Katharina Ulrich,
Basel
Gestaltung/Produktion: Vera Honegger, Pestalozzianum Verlag
Zürich
Umschlaggestaltung unter Verwendung einer Illustration von
M a x Caflisch, Bitstream Amerigo von Gerhard Unger (aus:
Typographische Monatsblätter 3/1989)
ISSN Nr. 1420-0643

Das Bulletin Leseforum Schweiz erscheint einmal jährlich. Es
geht als Mitteilungsblatt an die Mitglieder des Leseforum
Schweiz. Die Mitgliedschaft ist allen an Fragen des Lesens Inter-
essierten offen. Auskünfte und A n m e l d u n g e n beim Sekretariat
Leseforum Schweiz, c/o Schweizerisches Jugendbuch-Institut,
Zeltweg 11, C H - 8 0 3 2 Zürich, Tel. 01 261 9 0 44 / Fax 01 261
91 4 5
Beiträge f ü r künftige N u m m e r n (möglichst mit Diskette zusätz-
lich z u m Manuskript) sind w i l l k o m m e n beim Schweizerischen
Jugendbuch-Institut, zuhanden Leseforum Schweiz.
Nächster Redaktionsschluss: 2 0 . Juni 1998.

Leseforum Schweiz

Das Leseforum Schweiz versteht sich als interdisziplinäre
Kontaktstelle f ü r alle Personen und Institutionen, die an Fragen
des Lesens, der Alphabetisierung, der Leseförderung und der
Schriftlichkeit (litéralité, literacy) interessiert sind. Durch Veran-
staltungen und mit der Herausgabe des jährlich erscheinenden
Informationsbulletins sucht es die oft weit auseinanderliegen-
den Forschungs- und Praxisgebiete im Zusammenhang mit
Lesen/Iiteracy miteinander zu verknüpfen. Im schweizerischen
Rahmen setzt es sich ein für interregionale Kontakte. A u f inter-
nationaler Ebene pflegt und fördert es den Informationsaus-
tausch mit den angrenzenden Ländern. Als Schweizer Sektion
der International Reading Association (IRA) gewährleistet es
Verbindungen mit der europäischen und der internationalen
Szene.

Die Mitgliedschaft steht allen an Fragen des Lesens interessier-
ten Einzelpersonen und Institutionen offen.

Mitgliederbeiträge 1998 (inkl. Bulletin 6/1997):
Einzelmitglieder Fr. 50.-
Studierende/Mitglieder in Ausbildung Fr. 25.-
Institutionen Fr. 2 0 0 . -

Vorstand: Andrea Bertschi-Kaufmann (Präsidentin), Heinz
Bonfadelli, Marta Böni, Rudolf Groner, Peter Gyr, Barbara
Helbling, Alfred Messerli, Philipp Notter, Marco Rüegg, Verena
Rutschmann, Denise von Stockar, Francois Stoll, Rosmarie
Tschirky, A n n a Katharina Ulrich, Hanspeter Züst

Geschäftsstelle: Leseforum Schweiz c/o Schweizerisches Jugend-
buch-Institut, Zeltweg 11, C H - 8 0 3 2 Zürich, Tel. 01 261 9 0 4 4 /
Fax 01 261 91 4 5 / E-mail SJI @ active, eh
Inhalt

2            Editorial                                                                         Beiträge

                                                                                               18   J o s i a n e C e t l i n : " L a p a r o l e q u e les livres n o u s

Forschung                                                                                           d o n n è r e n t ne sera jamais reprise..."

3    François Stoll: I m m i g r a n t e n k i n d e r              und das Lesen-             21   Liz S u t t e r : L e s e m a g a z i n S p i c k ?

     lernen                                                                                    22   Yvonne Steinemann: Goesh

4    Horst Sitta/Andrea Bertschi-Kaufmann:                                     Literaiität     23   Ina K a y s e r : W a s w i r z u m S c h r e i b e n b r a u c h e n
     im m e d i a l e n       Umfeld                                                           26   Hans-Peter W i l l b e r g : H i n w e i s e z u Schrift                 und
5    M a d e l e i n e S a a d a - R o b e r t : Présentation d u travail                           T y p o g r a p h i e in B ü c h e r n
     de recherches                                                                             31   Peter Attinger: Der C o m p u t e r k o m m t zur Schule
5    R o g e r G i r o d : L ' i l l e t t r i s m e d a n s les p a y s i n d u s t r i a -   34   Alfred Messerli: "...können den größten theyl
     lisés                                                                                          schreiben und lesen"
6    Clairelise B o n n e t : A p p r e n d r e à écrire e n 6 e

6    C h r i s t i a n S u l s e r : E i n S c h u l v e r s u c h in S a m e d a n            39   A n n a K a t h a r i n a U l r i c h : H e i m a t in d e r S c h r i f t
     1996-2000

7    Corinna Henning: Neurolinguistisches Program-                                             Publikationen
     mieren
                                                                                               42   Jahrbuch Kinder- und                    Jugendliteraturforschung
8    C o r n e l i a Rosebrock: Lesen f ü r die Schule u n d                                        1996/97
     s e i n e F u n k t i o n in d e r l i t e r a r i s c h e n S o z i a l i s a t i o n
                                                                                               42   Kinderliteratur           im     Unterricht
     Jugendlicher
                                                                                               43   D a s F r e m d e in d e r K i n d e r - u n d         Jugendliteratur

                                                                                               43   P e t r a W i e l e r : V o r l e s e n in d e r F a m i l i e
Legasthenie, Leseschwierigkeiten
                                                                                               43   Kinderliteratur,           literarische Sozialisation u n d
8    Evi G r a f :      Lese-Rechtschreib-Schwäche                                                  Schule
9    Barbara Riedi-Brüesch: Funktionaler A n a l p h a b e -                                   44   Lesen u n d Schreiben aus Leidenschaft
     tismus u n d die Didaktik der K e r n i d e e n
                                                                                               44   Lesezeichen
11   S u s a n n e B e r t s c h i n g e r : L e g a s t h e n i e (Dyslexie)                  44   Ilona K a t h a r i n a S c h n e i d e r : E i n s c h u l u n g s e r l e b n i s s e
                                                                                                    im 2 0 . Jahrhundert

Lesen und Schreiben f ü r Erwachsene                                                           45   Brigitte B u s c h : L e p e n a . Ein D o r f m a c h t S c h u l e

12   Silvia H e r d e g : " L e s e n u n d s c h r e i b e n l e r n e n a m                  45   G u c k mal ü b e r n Tellerrand
     Bildschirm"                                                                               46   Blaubuch          1997/98
13   Eliane Niesper: Der Lernkiosk
                                                                                               Termine
14   Schweizerisches Arbeiterlnnenhilfswerk                                   SAH,
     Flüchtlingsdienst Zürich: "Lesen und Schreiben                                            46   Jahresversammlung Leseforum Schweiz

     für kurdische Frauen"                                                                     46   11th European Conference on Reading

Leseanimation
15   "Lis avec m o i ! "

17   "Livres d u         monde"

17   Die Basler Eule

                                                                                                                                                                                         1
Editorial
    Das Informationsbulletin 1997 des Leseforum        medialen Leseunterricht untersuchen, während Pe-
Schweiz liegt vor Ihnen, in gewohnter Aufma-           ter Attinger die ersten praktischen Erfahrungen sei-
chung, doch mit einer wesentlichen Änderung. Die       ner Schüler im Umgang mit Lernprogrammen am
Beteiligung aus der französischsprachigen Schweiz      Computer schildert und Silvia Herdeg zeigt, welche
an der laufenden wissenschaftlich wie praktisch        Hilfe eine Einführung in das Schreiben am Bild-
ausgerichteten Diskussion rund um das Thema Le-        schirm Erwachsenen bringen kann, die unter funk-
sen war von Beginn an wichtig und gewichtig. Nun       tionalem Analphabetismus leiden. Zu diesem
soll sie auch im Titel "Forum suisse sur la lecture"   Schwerpunktthema, die Problematik schlechter Le-
Ausdruck finden.                                       sefähigkeit, gibt Roger Girods Beitrag "L'illettrisme
    Diskussion über Sprachgrenzen hinweg und um        dans les pays industrialisés" einen weiteren Aspekt.
Probleme der Sprachgrenzen: Wie gestalten sie sich         Neue Lernprogramme, neue didaktische Kon-
für Kinder und Erwachsene in fremdsprachlichem         zepte - neue Anforderungen im Umgang mit Medi-
Umfeld, beim Spracherwerb zwischen den Kultu-          en auch für die Lehrkräfte aller Stufen. Zudem wird
ren? Um Möglichkeiten der Hilfestellungen geht es      von ihnen, noch spezifischer und anspruchsvoller,
in mehreren Beiträgen dieses Heftes. Peter Rüeschs     Innovation und Sensibilität verlangt im Umgang mit
Forschungsresultate zu den Lernschwierigkeiten         den Lernschwächen ihrer Schüler. Welche Richtung
von Immigrantenkindern finden ein schönes, positiv     hier die Weiterbildung einschlagen müsste, zeigt
unterlegtes Pendant in Yvonne Steinemanns Bericht      besonders Barbara Riedi-Brütschs Arbeit.
" G o e s h " . Der Schulversuch der Gemeinde Same-       Dies führt zu dem Themenkomplex, der uns be-
dan entspricht dagegen der spezifischen Situation      sonders wichtig und auch in diesem Bulletin wieder
des Engadins und möchte dem Romanischen neben          gut vertreten ist: Lesen als Zugang zu Geschichten,
dem unentbehrlichen Deutsch mehr Geltung ver-          Schlüssel zu neuen Welten und zur Entdeckung ei-
schaffen. Wie der Zugang zur Schriftlichkeit direkt    gener Sprache. Anregungen geben die Berichte
aus einem spezifischen Kulturverständnis heraus-       über Leseanimationen wie "Lis avec m o i " und die
wächst, davon spricht der Beitrag "Heimat in der       "Basler Eule". Liz Sutter, Redaktorin des "schlauen
Schrift" über die deutsch-jüdische Jugendliteratur.    Schülermagazins" Spick, gibt einen Einblick in ihre
In die zeitliche Dimension, über 200 Jahre zurück,     Werkstatt, und auf Interesse dürfte auch die
führt Alfred Messeriis Arbeit zu den Anfängen der      Schreibwerkstatt in einer Hamburger Grundschule
Alphabetisierung in der Schweiz.                       stossen, über die Ina Kayser berichtet. "La parole
    Zu einem neuen thematischen Schwerpunkt sind       que les livres nous donnèrent ne sera jamais repri-
in diesem Heft die Beiträge über "neue Medien und      se" nennt Josiane Cetlin ihren Beitrag - wir w ü n -
Lesen" angewachsen: Das Forschungsprojekt von          schen Ihnen Spass beim Lesen.
Horst Sitta und Andrea Bertschi-Kaufmann wird die
Interferenzen zwischen den Lese- und Schreibent-
wicklungen von Heranwachsenden in einem multi-                     Barbara Helbling, Anna Katharina    Ulrich

2
bulletin 2/1993 S. 8f). Im Rah-

Informationen                                     men dieser Studie sind neben
                                                  der Lesekompetenz weitere Da-
                                                  ten zum familiären Hintergrund
                                                  sowie zum schulischen Umfeld
                                                  der Schüler erhoben worden.
                                                  Dies ermöglicht die gleichzeitige
                                                  Analyse familiärer und schuli-
            François Stoll
Forschung   Immigrantenkinder und das Le-
                                                  scher Hintergrundvariablen in
                                                  ihren Wechselwirkungen auf die
            senlernen                             schulische Performanz von Kin-
            Zur Dissertation v o n Peter          dern. Die definitive Stichprobe
            Ruesch: "Spielt die Schule e i -      der vorliegenden Arbeit umfasst
            ne R o l l e ? "                      2003 Schülerinnen und Schüler
                                                  aus 109 Schulklassen des dritten
            Problembewusst, mit bester me-        Schuljahres aus der deutschen
            thodischer Kompetenz, hinter-         Schweiz.
            fragt Ruesch in seiner Dissertati-        In methodischer Hinsicht
            on einige brisante Themen einer       musste Ruesch die hierarchische
            Volksschule, die bei uns immer        Struktur der vorliegenden Studie
            mehr zur Völkerschule geworden        berücksichtigen. Dies äussert sich
            ist.                                  zunächst auf der Ebene der Da-
                Wenn heute Fragen der sozia-      ten, indem die Untersuchungs-
            len Ungleichheit im Bildungssy-       stichprobe aus Schülern grup-
            stem diskutiert werden, so sind -     piert in Schulklassen zusammen-
            in den meisten Ländern der            gesetzt ist. Konzeptionell zeigt
            OECD - die schlechten Bildungs-       sich die hierarchische Struktur
            chancen von Immigranten bereits       darin, dass eine Mikro-Ebene
            eine Banalität. Zur Erklärung des     individueller Merkmale von
            gehäuften schulischen Misserfol-      Schülern in bezug gesetzt wird
            ges von Immigranten werden in         zu einer Makro-Ebene von Merk-
            der Fachliteratur besonders zwei      malen der Lernumwelt der Schul-
            Gruppen von Faktoren herange-         klasse. Dies muss durch ein adä-
            zogen: Merkmale der Person der        quates statistisches Modell abge-
            Schüler selbst und Merkmale           bildet werden: Deshalb erfolgte
            ihrer Familie. Faktoren, die inner-   in der vorliegenden Arbeit die
            halb der Schule angesiedelt sind,     statistische Analyse nach dem
            werden dagegen weniger beach-         Verfahren der «Mehr-Ebenen-
            tet. Rüeschs Untersuchung weist       Analyse», bzw. nach dem soge-
            - korrigierend - auf die Bedeu-       nannten «Hierarchisch Linearen
            tung von innerschulischen Deter-      Modell (HLM)».
            minanten der ungleichen Bil-              Nach einem komplexen, akri-
            dungschancen von eingewander-         bisch durchgeführten Parcours
            ten Schülern hin.                     durch die vorhandenen Daten
                Als empirische Grundlage zu       zieht der Autor folgende Bilanz
            seiner Untersuchung wurden            (wobei zu vermerken ist, dass
            Schweizer Daten aus der interna-      diese im Kontext der Gesamtun-
            tionalen Studie «Reading-Liter-       tersuchung weniger apodiktisch
            acy-Study» der International As-      wirkt als in dieser Zusammenfas-
            sociation for the Evaluation of       sung):
            Educational Achievement (IEA)         1. Auch bei vergleichbarem so-
            verwendet (vgl. Ruesch et al. in      zioökonomischem Status erzielen
            Leseforum Schweiz Informations-       Immigrantenkinder schwächere
Leseleistungen als ihre einheimi-    Lage sind, ihren Unterricht genü-    Medien und Politik, Zukunft der
schen Mitschüler. Die Schul-         gend auf die spezifische soziale     Schriftmedien.
schwierigkeiten von Immigranten      Zusammensetzung ihrer Schul-             Das Projekt "Literaiität im me-
können deshalb nicht auf ein         klasse abzustimmen.                  dialen Umfeld" konzentriert sich
schichtspezifisches Problem redu-       Das anspruchsvolle Vorgehen       auf Kinder und Jugendliche und
ziert werden.                        des Autors wird sehr klar - fast     fragt nach den Interferenzen
2. Die unterdurchschnittlichen       didaktisch - erläutert, und seine    zwischen den Lese- und Schreib-
Leseleistungen von Immigranten-      bedeutungsvollen Schlussfolge-       entwicklungen der Heranwach-
schülern, aber auch von einhei-      rungen werden unverblümt dar-        senden in einem multimedial ein-
mischen Schülern aus unteren         gestellt.                            gerichteten Leseunterricht. Fol-
Sozialschichten sind jedoch nicht                                         gende Fragen sollen dabei vor al-
allein das Ergebnis individueller                                         lem untersucht werden:
Merkmale dieser Kinder. Die                                                   Wie verlaufen Lese- und
Grösse ihres Leistungsrückstan-      Horst Sitta/Andrea Bertschi-         Schreibentwicklungen im Kon-
des ist zu einem wesentlichen        Kaufmann                             text der Nutzung von Print- und
Teil davon abhängig, welche          Literaiität im medialen Umfeld       Bildschirmmedien, und wie wer-
Schulklasse sie besuchen und         Ein Forschungsprojekt                den Medientextstrukturen für die
von welchem Lehrer sie unter-                                             Erweiterung der Lese- und
richtet werden.                      Die Studie ist integriert in das     Schreibfähigkeit verwertet? Wel-
3. Nicht nur in bezug auf die        vom Schweizerischen National-        che Wirkungen haben Unter-
Chancengleichheit, sondern           fonds eingerichtete Schwer-          richtsanlagen mit einem offenen
auch in bezug auf das allgemei-      punktprogramm "Zukunft               Angebot an Bildschirm- und
ne Leistungsniveau aller Schüler     Schweiz", das vor allem zwei         Printtexten ( C D - R O M , Internet
liegen erhebliche Unterschiede       Ziele verfolgt: die Förderung        und Bücherregale im Klassenzim-
zwischen den untersuchten            theorieorientierter Forschung auf    mer) sowie entsprechende Auf-
Schulklassen vor. Fazit: Die Schu-   Projektbasis und strukturelle        gabenstellungen für die Aktivitä-
le spielt eine Rolle!                Massnahmen zur Stärkung der          ten und die Lernentwicklungen
4. Die Unterschiede zwischen         Sozialwissenschaften in der          in den Bereichen Lesen und
den Schuklassen in bezug auf         Schweiz. Das Schwerpunktpro-         Schreiben? Welche Nutzungsmu-
Leistungsniveau und Chancen-         gramm will damit einerseits zum      ster bringen Kinder und Jugend-
gleicheit können zu einem be-        besseren Verständnis des sozia-      liche in den Raum Schule mit
deutenden Teil durch die soziale     len, kulturellen, politischen und    und welche Voraussetzungen er-
Zusammensetzung der Klasse er-       wirtschaftlichen Wandels der         geben sich daraus für die Ent-
klärt werden. Es ergeben sich        schweizerischen Gesellschaft bei-    wicklung und die Förderung von
zwar keine Hinweise darauf, dass     tragen und strebt andererseits ei-   Lese- und Schreibkompetenzen
ein hoher Anteil anderssprachi-      ne Verbesserung unterentwickel-      im Rahmen einer umfassenden
ger Schüler in einer Klasse das      ter Forschungs- und Datenstruk-      Medienkompetenz?
Leistungsniveau nach unten           turen an. Zur Verstärkung von            In einer zweijährigen Projekt-
«drückt». Aber ein hoher Anteil      Synergien und interdisziplinären     phase werden in insgesamt 20
an Schülern aus bildungsarmen        Kooperationen sind die einzel-       Schulklassen Lese- und Schreib-
Familien wirkt sich ungünstig auf    nen Projekte in Forschungsver-       entwicklungen im Rahmen multi-
die Leistungen in einer Klasse       bünden zusammengefasst.              medialer Förderanlagen in Lese-
aus.                                     Ausgangspunkt für den Ver-       journalen dokumentiert und un-
5. Die soziokulturelle Zusammen-     bund "Kommunikation in der           tersucht. In Ergänzung zur Doku-
setzung der Schülerschaft ist je-    modernen Informationsgesell-         mentenanalyse werden M o d a -
doch kein unbeeinflussbarer          schaft: Neue Herausforderungen       litäten des Medien-Lesens und
Standortfaktor einer Schule, son-    für Produktion und Rezeption"        des Verstehens medial vermittel-
dern allenfalls ein Risikofaktor.    ist der Wandel hin zur "Informa-     ter Texte zudem in Fallbeispielen
Wie er sich schlussendlich auf       tionsgesellschaft" in den Gebie-     beschrieben. Von der Exploration
das Lernen der Schüler auswirkt,     ten Journalismus, "Inszenierung"     der Rezeptionsprozesse und der
ist wesentlich vom einzelnen         von Kommunikation, Funktion          Beobachtung der Lernentwick-
Lehrer abhängig. Es stellt sich      von Meinungsumfragen, Verbrei-       lungen erwarten wir Orientierun-
nun die Frage, ob Lehrer in der      tung kontroverser Themen in          gen und Grundlagen für die Be-
4
wältigung neuer fachdidakti-                                    qui est pratiquée à la Maison des      cherche, menée en situation
scher Aufgaben: eine schulische                                 Petits, école publique rattachée à     d'apprentissage scolaire, permet-
Leseförderung, die zum einen                                    la Faculté de psychologie et des       tra de contribuer au débat.
den Voraussetzungen, den Inter-                                 sciences de l'éducation. Une pu-       Les p u b l i c a t i o n s de l'équipe p e u v e n t
essen und Nutzungsgewohnhei-                                    blication est en cours à ce sujet.     être o b t e n u e s sur d e m a n d e à l'adresse
                                                                                                       des c h e r c h e u r s précités, FPSE, Univer-
ten der Heranwachsenden Rech-                                       Une recherche menée en             sité de Genève, 9 route de Drize,
nung trägt und zum andern ge-                                   collaboration avec le professeur       CH-1227 Carouge/GE.
zielt Kompetenzen entwickeln                                    L. Allai (Genève), avec D. Bétrix
hilft, die Voraussetzung sind für                               Köhler (CVRP à Lausanne) et
eine eigenständige Nutzung des                                  avec E. Wegmuller (DER
laufend sich erweiternden M e -                                 Genève), financée par le FNRS, a       Roger Girod
dienangebots (Projektdauer:                                     porté sur l'apprentissage scolaire     L'illettrisme dans les pays indu-
1997-1999).                                                     de l'orthographe, lorsque cet ap-      strialisés
A d r e s s e n : D e u t s c h e s S e m i n a r der U n i -   prentissage spécifique est intégré
versität Zürich, Schönberggasse 9,                              en production textuelle, par di-       Un ouvrage qui fait la synthèse
C H - 8 0 0 1 Zürich • Höhere Pädagogi-
                                                                stinction d'un apprentissage ef-       des connaissances et des discus-
sche Lehranstalt (HPL) des K a n t o n s
Aargau, C H - 4 8 0 0 Zofingen                                  fectué en mémorisation de listes       sions actuelles sur l'illettrisme,
Kontaktperson: A n d r e a Bertschi-Kauf-                       de mots, en exercices et en dic-       phénomène touchant de larges
m a n n , e-mail b e r t s c h i k a u f @ a c c e s s . c h
                                                                tées. Les résultats sont en cours      segments de la population dans
                                                                de traitement.                         les pays industrialisés vient de
                                                                    Un nouveau projet de recher-       sortir dans la collection «Que
                                                                che va démarrer à la Maison des        sais-je» des Presses universitaires
Madeleine        Saada-Robert                                   Petits en automne 1997. Il vise        de France. L'auteur soutient que
Présentation du travail de re-                                  deux buts:                             le phénomène s'explique, du
cherches                                                        1. compléter la démarche d'en-         moins partiellement, par dif-
menées par l'équipe d e L. Rie-                                 trée dans l'écrit pratiquée en         férents facteurs.
b e n et M . S a a d a - R o b e r t à                          classe, par une situation didac-        1. La baisse de la valeur symboli-
l'Université d e Genève (Fpse)                                  tique de lecture/écriture qui per-     que des connaissances de base:
                                                                met aux enfants de 4 ans (1 ère        si, à l'époque de la mise en place
Depuis plusieurs années, l'équipe                               année enfantine) d'aborder ac-         de l'instruction publique, les con-
s'intéresse aux débuts de l'ap-                                 tivement les propriétés du systè-      naissances de base (lire, écrire,
prentissage de la lecture / écritu-                             me de la langue écrite française       calculer) étaient considérées
re, chez les jeunes enfants de 5                                2. comprendre, du point de vue         comme la marque d'un progrès
et 6 ans. Nous avons travaillé es-                              de la recherche, quelle est l'évo-     en dignité et en indépendance
sentiellement dans les écoles                                   lution des stratégies de lecture et    d'esprit, elles ne retiennent au-
avec des enseignantes, dans une                                 d'écriture dites "émergentes".         jourd'hui plus beaucoup l'attenti-
perspective à la fois d'enseigne-                               En situation interactive avec l'a-     on. Cette dernière se focalise sur
ment et de recherche. Après                                     dulte, les enfants de cet âge          le bac et les études universitaires;
avoir élaboré des situations di-                                peuvent déjà "lire" des livres illu-   les connaissances de base sont
dactiques correspondantes à une                                 strés, en faisant des hypothèses       censées aller de soi et être
démarche large de cet apprentis-                                aussi bien sur le contenu et le        maîtrisées par tout le monde,
sage, l'équipe a mis en évidence                                sens de l'histoire que sur les         dès l'enfance.
les stratégies de lecture et d'écri-                            composantes lexicales et du code       2. Le degré limité de l'utilité pra-
ture que les enfants construisent                               alphabétique. Les enfants de cet       tique du savoir lire et écrire pour
et utilisent dans les situations.                               âge peuvent également "écrire"         une large partie de la populati-
Puis elle a récemment analysé les                               des textes brefs, leur "écriture"      on: beaucoup d'activités, profes-
interventions de l'enseignant, in-                              progressant des traces graphi-         sionnelles ou, à plus forte raison,
terventions interactives de dif-                                ques vers des orthographes de          de loisirs ne présupposent pas de
férents types et guidés par quel-                               plus en plus normées.                  compétences en la matière.
ques principes fondamentaux.                                        Les relations entre acquisition    3. Le fait que beaucoup d'adul-
L'équipe est actuellement oc-                                   de la lecture et de l'écriture don-    tes arrivent facilement à cacher
cupée à mettre au point l'explici-                              nent lieu à des travaux de plus         leur illettrisme.
tation de la démarche didactique                                en plus nombreux, et cette re-         4. La facilité avec laquelle il sem-
                                                                                                                                                           5
ble possible aujourd'hui de con-                       cherches pédagogiques (CVRP).                                 sche Gebietssprache in den letz-
tourner les obstacles découlant                        La recherche a procédé selon la                               ten Jahren zur Minderheitsspra-
de l'illettrisme.                                      méthode «prétest - intervention                               che geworden. Trotz dieser be-
5. Un manque de motivation,                            - posttest»; trois classes du mê-                             reits vor Jahren eingeleiteten Ent-
conséquence de la baisse du pre-                       me degré, situées dans un autre                               wicklung hat die Gemeinde bis
stige social dont bénéficiaient                        établissement scolaire, ont servi                             jetzt am "romanischen Kinder-
autrefois ces compétences.                             de groupes témoins.                                           garten" und an der "romani-
    Dans ses conclusions, l'auteur                         Le présent rapport, qui s'a-                              schen Volksschule" festgehalten.
souligne que la lutte contre l'il-                     dresse en priorité aux enseig-                                    Einerseits wird mit der roma-
lettrisme n'est porteuse de                            nants du secondaire et à leurs                                nischen Schule durchaus eine Er-
succès que si elle parvient à mo-                      formateurs, relate les résultats de                           ziehung hin zur Zweisprachigkeit
tiver les personnes, si possible                       cette expérience. Il présente les                             der Schülerinnen und Schüler
dès l'âge scolaire, pour la lecture:                   activités et les démarches entre-                             angestrebt. Andererseits werden
selon lui, dans un pays industria-                     prises dans les classes con-                                  aber oft vermeintliche oder tat-
lisé (dans le Tiers Monde, les                         cernées, un bilan du savoir écrire                            sächliche Mängel bei der sprach-
choses sont évidemment dif-                            des élèves de 6e année secondai-                              lichen Entwicklung der Kinder
férentes), un enfant ou un adulte                      re, l'analyse des productions et                              der romanischen Schule ange-
qui a le ferme désir de savoir ce                      des progressions de 15 élèves, et                             lastet. In den vergangenen Jahr-
qui se cache derrière les messa-                       enfin une typologie des progrès                               zehnten haben sich Lehrperso-
ges et les textes écrits ne sera                       qu'il est possible de susciter à ce                           nen und Sprachkenner wieder-
pas un illettré.                                       degré. Il montre comment les                                  holt mit der Frage der Unter-
Quelle: Information Bildungsfor-                       élèves tirent profit d'un enseig-                             richtssprache in den Oberengadi-
schung, Aarau                                          nement de l'écrit bien structuré,                             ner Volksschulen kritisch ausein-
G i r o d , Roger. L'illettrisme. Paris: Pres-         tout en soulignant la difficulté                              andergesetzt. Bisher wurde aber
ses universitaires de France, 1 9 9 7 , 127
                                                       qu'il y a à mener un tel enseig-                              keine Lösung gefunden, die für
p. ( Q u e sais-je)
                                                       nement dans les classes où les                                die Schülerinnen und Schüler
R o g e r G i r o d est professeur h o n o r a i r e
d e s o c i o l o g i e à l'Université d e Genève      compétences des élèves sont très                              bessere Bedingungen hätte
9 R o u t e d e Drize, C H - 1 2 2 7 C a r o u -       hétérogènes.                                                  schaffen können.
ge/GE
                                                       Q u e l l e : Information B i l d u n g s f o r -                 Mit der vierjährigen Erpro-
                                                       schung, Aarau                                                 bung einer gezielten Förderung
                                                       O n t pris part à la recherche: Clairelise                    der romanisch-deutschen Zwei-
                                                       B o n n e t , c h e r c h e u s e ; N a t a c h a Huser, J.
Clairelise Bonnet                                                                                                    sprachigkeit wird nun eine ganz-
                                                       B a r h o u m i , F. Russi, e n s e i g n a n t e s
Apprendre à écrire en 6e                                                                                             heitliche Lösung angestrebt, die
                                                       P u b l i c a t i o n : B o n n e t , Clairelise; Huser,
U n e expérience d ' e n s e i g n e -                 N a t a c h a . A p p r e n d r e à écrire en 6e.             alle Stufen vom Kindergarten bis
m e n t intensif de l'expression                       L a u s a n n e : CVRP, 1 9 9 6 , 9 9 + XLVI p.               zur Volksschuloberstufe einbe-
                                                       (CVRP 96.4).
écrite                                                                                                               zieht. Durch die Förderung der
                                                       A d r e s s e : C e n t r e v a u d o i s de recherches
                                                                                                                     romanisch-deutschen Zweispra-
                                                       p é d a g o g i q u e s (CVRP), rue M a r t e r e y
Pendant cinq mois et dans le mê-                       5 6 , C H - 1 0 0 5 L a u s a n n e , t é l . 021 / 3 1 6     chigkeit im Kindergarten und in
me établissement scolaire, trois                       36 36                                                         der Volksschule sollen die Eltern
enseignantes ont mené, sur l'in-                                                                                     den Wert der Mehrsprachigkeit
stigation d'une d'entre elles, une                                                                                   für die Entwicklung und Bildung
expérience d'enseignement in-                                                                                        ihrer Kinder erkennen und sie in
tensif de l'expression écrite dans                     Christian Sulser                                              ihrer Lernsituation unterstützen
leurs classes de 6e secondaire                         Ein Schulversuch in Samedan                                   können.
(une classe de la division termi-                      1996-2000                                                         Unabhängig von ihrer Erst-
nale, une autre de la division                         Förderung der romanisch-                                      sprache sollen alle Kinder die
supérieure et une enfin de la di-                      d e u t s c h e n Z w e i s p r a c h i g k e i t in          Mehrsprachigkeit als eine Berei-
vision prégymnasiale, chaque fi-                       der V o l k s s c h u l e u n d im K i n -                    cherung erleben dürfen. Es soll
lière du degré secondaire I vau-                       dergarten von Samedan.                                        bei ihnen ein fortgeschrittenes
dois étant donc représentée), ac-                                                                                    Sprachverständnis geweckt wer-
ceptant que l'expérience soit ob-                      Wie in mehreren Gemeinden des                                 den, das durch eine einsprachige
servée et analysée par une cher-                       Oberengadins ist auch in Same-                                Schulbildung nur schwer zu er-
cheuse du Centre vaudois de re-                        dan die angestammte romani-                                   reichen ist. A m Ende der obliga-
6
torischen Schulpflicht dürfte eine         In der Primarschule wird in-                           welche die Autorin in ihrer Dis-
ausgewogene Mehrsprachig-             nerhalb einer einzelnen Lektion                             sertation zu beantworten sucht,
keitskompetenz den Jugendli-          nur eine Unterrichtssprache ge-                             sind folgende: Wie ist das NLP-
chen gute Bildungschancen in ei-      sprochen. Das Fach Mathematik                               Strategiekonzept im Vergleich
nem mehrsprachigen Land eröff-        wird ausschliesslich in romani-                             zur kognitivistischen Lernstrate-
nen.                                  scher Sprache erteilt. Alle Kinder                          gieforschung zu beurteilen?
    Im Schulprojekt sollen folgen-    erhalten vier bis fünf Wochenlek-                           Und, konkreter: Wie unterschei-
de Prinzipien gelten:                 tionen Romanischunterricht. In                              den sich erfolgreiche und nicht
1. Für den Erwerb der roma-           der ersten bis dritten Klasse er-                           erfolgreiche Textverarbeiter, die
nisch-deutschen Zweisprachig-         halten alle Kinder ein bis zwei                             ein NLP-Training absolviert ha-
keit nach dem Prinzip der Immer-      Wochenlektionen, ab der vierten                             ben, beim verstehenden Lesen
sion - wonach in verschiedenen        Klasse drei bis vier Wochenlektio-                          von Texten hinsichtlich ihrer Lern-
Fächern die Fremdsprache als          nen Deutschunterricht. Der A n -                            strategien?
Unterrichtssprache verwendet          teil an romanischer Unterrichts-                                In ihren Überlegungen zur er-
wird - steht die gesamte Dauer        sprache in den Fächern Sachun-                              sten Frage postuliert die Autorin
des Kindergartens und der Volks-      terricht, Heimatkunde, Realien,                             unter anderem die Notwendig-
schule zur Verfügung.                 Zeichnen, Schreiben, Singen, Tur-                           keit, dass sich NLP bezüglich sei-
2. Der Erwerb der Mehrsprachig-       nen und Handarbeit liegt zwi-                               ner prioritären Ausrichtung am
keit schliesst die Pflege der Erst-   schen 6 0 % und 7 5 % .                                     Nützlichkeitsprinzip Gedanken
sprache mit ein.                         In der Oberstufe wird der ro-                            machen müsste; falls das Kon-
3. Die mehrsprachige Schulung         manische Sprachunterricht wei-                              zept in Zukunft auch in wissen-
wird bei der Leistungsbewertung       tergeführt und der Unterrichts-                             schaftlichen Kreisen auf Aner-
berücksichtigt.                       stoff vorwiegend zweisprachig                               kennung stossen wolle, müsse
4. Im Unterricht wird durch fle-      vermittelt.                                                 NLP theoretischen Fragestellun-
xible Gestaltung, Binnendifferen-     K o n t a k t a d r e s s e : C h r i s t i a n Sulser,     gen mehr Platz einräumen und
zierung und ausgeprägte Schüle-       Pädagogische Arbeitsstelle des Erzie-                       sich vergleichenden Evaluationen
                                      h u n g s - , Kultur- u n d U m w e l t s c h u t z d e -
rinnen- und Schülerbezogenheit                                                                    öffnen. Es scheint auch, dass un-
                                      p a r t e m e n t s G r a u b ü n d e n , Quaderstr.
auf die unterschiedliche Sprach-      17, C H - 7 0 0 0 Chur, Tel. 081 2 5 7 2 7 13               genügend ausgebildete Personen
entwicklung der einzelnen Kin-                                                                    unter dem NLP-Label Dinge tun,
der Rücksicht genommen.                                                                           welche das Konzept diskreditie-
5. Die mehrsprachige Schule ist                                                                   ren. Hier müsste entweder mehr
bezüglich des unterschiedlichen       Corinna Henning                                             Kontrolle durch ein zu imple-
Leistungsvermögens der Kinder         Neurolinguistisches Program-                                mentierendes NLP-Gremium
integrativ angelegt.                  mieren                                                      stattfinden oder der Zugang zu
6. Die Entwicklung des zweispra-      Lernstrategien unter besonde-                               NLP-Ausbildungen selektiver ge-
chigen Unterrichts im Kindergar-      rer Berücksichtigung des ver-                               staltet werden.
ten und in der Schule wird durch      s t e h e n d e n Lesens                                        Was die zweite Frage betrifft,
gezielte Fort- und Weiterbildung                                                                  so hat die Untersuchung der
der Lehrkräfte unterstützt.           Das Neurolinguistische Program-                             NLP-Strategien am gewählten
7. Kindergarten, Schule und           mieren (NLP) war ursprünglich                               Beispiel die Ergebnisse der kogni-
Eltern unterstützen sich gegen-       vor allem ein psychotherapeuti-                             tivistischen Lernstrategiefor-
seitig in der mehrsprachigen Er-      scher Ansatz; im Verlauf der letz-                          schung im wesentlichen be-
ziehung der Kinder.                   ten Jahre ist es aber mehr und                              stätigt. Erfolgreiche Textverarbei-
8. Das Schulprojekt wird durch        mehr in den pädagogischen Be-                               ter unterschieden sich von den
eine wissenschaftliche Beglei-        reich eingedrungen. Die vorlie-                             nicht erfolgreichen stark da-
tung abgestützt.                      gende Dissertation* an der                                  durch, dass sie sich bedeutend
                                      Hochschule St. Gallen stellt dar,                           mehr innere Bilder machten. Ein
   Der Aufbau des Schulver-           was NLP ist, beschreibt die wich-                           für die Schule interessantes Er-
suchs:                                tigsten Begriffe und Vorgehens-                             gebnis ist, dass die sogenannte
   Im Kindergarten werden die         weisen und vergleicht NLP mit                               Subvokalisation (d. h. das Mit-
verschiedenen Erstsprachen, so-       den gebräuchlichen Lernstrategi-                            sprechen des zu lesenden Textes,
wie die romanische und deut-          en auf kognitivistischer Grundla-                           wobei dieses Sprechen auch
sche Konversation gefördert.          ge. Die beiden Hauptfragen,                                 bloss in unhörbaren Bewegun-
                                                                                                                                    7
gen der Sprechmuskulatur beste-                                   Cornelia Rosebrock                     Daten werden Fallstudien zum
hen kann) für das Verstehen of-                                   Lesen für die Schule und seine         Verhältnis von Lektüreerfahrung
fensichtlich hinderlich ist. Mit an-                              Funktion in der literarischen So-      und Literaturunterricht erstellt
deren Worten ist das Lautlesen                                    zialisation Jugendlicher               und ausgewertet, aus denen die
im Unterricht also nicht dazu an-                                 Ein Forschungsprojekt des Le-          relevanten Fragenhorizonte und
getan, das Leseverständnis zu                                     s e z e n t r u m s an der Pädagogi-   Hypothesen zum Status des insti-
fördern.                                                          schen Hochschule H e i d e l b e r g   tutionell angeleiteten Lesens in
Quelle: Information Bildungsfor-                                                                         den Prozessen literarischer Sozia-
schung, Aarau                                                     Das Lesezentrum plant ein For-         lisation in der Mediengesellschaft
* H e n n i n g , Corinna: Neurolinguisti-                        schungsprojekt zum Thema "Le-          gewonnen werden. Untersucht
sches P r o g r a m m i e r e n u n d Lernstrate-
                                                                  sen für die Schule und seine           werden soll dabei auch, inwie-
gien unter b e s o n d e r e r Berücksichti-
g u n g v o n Lernstrategien b e i m verste-                      Funktion in der literarischen So-      fern die Wechselwirkung zwi-
h e n d e n Lesen - ein Vergleich u n d eine                      zialisation Jugendlicher." In sei-     schen Freizeitlesen und schuli-
e m p i r i s c h e A n a l y s e . St. G a l l e n : H o c h -                                          schem Lesen durch die G e -
                                                                  nem Rahmen sollen bei Schülern
s c h u l e St. G a l l e n f ü r W i r t s c h a f t s - ,
Rechts- u n d S o z i a l w i s s e n s c h a f t e n ,           und Schülerinnen der 8. Klasse         schlechtsspezifik beeinflusst ist
1 9 9 5 , 3 9 2 S. (Diss. St. G a l l e n ; 1737)                 Daten zu ihrer Lektüreerfahrung        und welche Bedeutung dem Le-
Adresse: Corinna Walser-Henning,                                  mit einem ausgewählten Jugend-         sen im gesamten Ensemble der
Forchstrasse 2 4 , C H - 8 7 0 4 Herrliberg,                      buch, zu ihrer Lese- und Medien-       Medienrezeption zukommt.
Tel. 01 / 91 5 3 4 3 0
                                                                  sozialisation, zu ihren Lese- und         Das Projekt soll im Frühjahr
                                                                  Lernprozessen bei der Behand-          98 mit der empirischen Arbeit
                                                                  lung des Buches im Literaturun-        beginnen und eine Laufzeit von
                                                                  terricht und zur Modifikation ih-      etwa drei Jahren umfassen.
                                                                  rer Primärrezeption durch den Li-      A d r e s s e : L e s e z e n t r u m an der Pädago-
                                                                  teraturunterricht erhoben wer-         gischen H o c h s c h u l e H e i d e l b e r g , K e p -
                                                                                                         lerstr. 8 7 , D - 6 9 1 2 0 H e i d e l b e r g
                                                                  den. Auf der Grundlage dieser

                                                                  Evi Graf                               der Schriftsprache aufweisen. Sie
Legasthenie,                                                      Lese-Rechtschreib-Schwäche             beziehen sich auf die Verarbei-

Leseschwierig-                                                    Ein prozessanalytischer A n s a t z    tung von einzelnen Wörtern (die
                                                                                                         Satz- und Textebene wird ver-

keiten                                                            Die Suche nach brauchbaren A n -
                                                                  sätzen für Diagnostik und Thera-
                                                                                                         nachlässigt).
                                                                                                             Aus den heute vorliegenden
                                                                  pie im Bereich der Lese-Recht-         Untersuchungen an Kindern und
                                                                  schreib-Schwäche (LRS) erweist         Jugendlichen mit einer LRS las-
                                                                  sich oft als sehr unbefriedigend.      sen sich allerdings keine eindeu-
                                                                  Dies ist zurückzuführen auf das        tigen Hinweise auf neurologische
                                                                  Fehlen eines Ansatzes, der so-         Ausfälle als Ursache ableiten. Es
                                                                  wohl ausreichende theoretische         wird nachgewiesen, dass die A n -
                                                                  Grundlagen als auch praktische         wendung der Prozessmodelle der
                                                                  Relevanz aufweist.                     kognitiven Neuropsychologie im
                                                                      In meinem Buch wird gezeigt,       Entwicklungsbereich dennoch ei-
                                                                  dass die Prozessmodelle der ko-        nen geeigneten theoretischen
                                                                  gnitiven Neuropsychologie einen        Ansatz darstellt. Allerdings sind
                                                                  geeigneten theoretischen und           wesentliche Ergänzungen not-
                                                                  empirischen Ansatz darstellen.         wendig, d.h. es müssen weitere
                                                                  Diese sind aus der Arbeit mit Pa-      funktionelle Komponenten, wie
                                                                  tienten entstanden, die als Folge      insbesondere das Arbeitsge-
                                                                  einer erworbenen Hirnschädi-           dächtnis, einbezogen werden.
                                                                  gung Schwierigkeiten im Bereich        Damit lassen sich nicht nur die

8
Prozesse beim Lesen und Schrei-                              Barbara    Riedi-Brüesch               funktionalen Analphabetismus,
ben, sondern auch phonologi-                                 Funktionaler Analphabetismus           die Möglichkeiten der Didaktik
sche und visuelle Verarbeitungs-                             und die Didaktik der Kernideen         der Kernideen sowie das Trans-
prozesse untersuchen, die als                                Eine A n a l y s e mit Hilfe des       aktionsmodell von HERZOG als
Voraussetzung für den erfolgrei-                             Transaktionsmodells von                Arbeitsinstrument.
chen Schriftspracherwerb gelten.                             HERZOG*                                    Dieses Transaktionsmodell be-
    Daneben gehe ich besonders                                                                      ruht auf einer neueren Sicht von
ein auf die verschiedenen im                                 Wir leben in einer Gesellschaft,       Entwicklung, die sich wesentlich
englischen Sprachraum postulier-                             in der die Weitergabe von Tradi-       unterscheidet von den her-
ten Entwicklungsmodelle des Le-                              tion und Wissen, sowie ein gros-       kömmlichen phasengenormten
sens und Schreibens. Die beiden                              ser Teil der Kommunikation im          Entwicklungstheorien. Es ist der
eben genannten theoretischen                                 privaten und im öffentlichen Be-       Ansatz des " C o p i n g M a n " , der
Ansätze weisen auf die enge                                  reich in schriftlicher Form erfolgt.   gestützt auf die biologischen
Verknüpfung von Lesen und                                    Daraus ergibt sich die gesell-         Forschungserkenntnisse PIAGETs
Schreiben hin, die von Praktikern                            schaftliche Anforderung an das         das Lebewesen als aktiven Orga-
oft festgestellt wird, aber nicht                            Individuum, Lesen und Schreiben        nismus und Subjekt seiner Ent-
näher erklärt werden kann.                                   zu beherrschen, um vollumfäng-         wicklung sieht. Entwicklung fin-
    Im Gegensatz zu früheren A n -                           lich am kulturellen und sozialen       det dann statt, wenn eine situati-
sätzen, die sich auf sogenannte                              Leben teilnehmen zu können.            ve Störung oder Forderung er-
legasthenietypische Fehler (z.B.                                Als Hilfestellung zum Erlernen      folgreich bewältigt werden kann.
Verwechslung von visuell ähnli-                              dieser in einer Industriegesell-           Das Modell strukturiert den
chen Buchstaben) konzentriert                                schaft so wichtigen Kulturtechni-      Entwicklungsvorgang, indem es
haben, wird hier eine differen-                              ken hat die Gemeinschaft die           die transaktionale Beziehung
zierte Analyse der komplexen                                 pädagogische Institution Schule        zwischen den situativen Gege-
Prozesse vorgeschlagen, die das                              geschaffen. Lange Zeit bestand         benheiten und den individuellen
Lesen und Schreiben erst ermög-                              überhaupt kein Zweifel, dass die       Strategien der Person in einem
lichen. Dies erfolgt aufgrund der                            Schule diese Aufgabe erfülle,          modalen Zeitverständnis auf-
im "neutralen Prozessmodell"                                 und dass nur minderbegabte             zeigt.
postulierten kognitiven Kon-                                 Kinder nicht imstande seien, Le-          Innerhalb dieser Dimensionen
strukte, die für verschiedene                                sen und Schreiben zu lernen.           möchte ich meine Fragestellung
funktionelle Komponenten ste-                                    Erst in den letzten fünfzehn       diskutieren: Kann die Didaktik
hen. Es wird gezeigt, dass spezi-                            Jahren zeigte sich immer deutli-       der Kernideen dazu beitragen,
fische Aufgabentypen, die die                                cher und auch unübersehbar,            funktionalen Analphabetismus
phonologischen und visuellen                                 dass es eine beachtliche Zahl von      zu vermeiden?
Verarbeitungsprozesse sowie Le-                              funktionalen Analphabeten gibt:            Der funktionale Analphabetis-
sen und Schreiben repräsentieren                             Männer und Frauen, welche die          mus ist ein Phänomen, das unse-
bzw. erfassen, nur dann gelöst                               obligatorischen Volksschulklas-        re Gesellschaft eher zurückhal-
werden können, wenn die postu-                               sen absolviert haben und trotz-        tend und verglichen mit andern
lierten Komponenten im Lauf der                              dem nur mangelhaft oder über-          Ländern zeitlich verzögert wahr-
Entwicklung aufgebaut wurden                                 haupt nicht lesen und schreiben        nimmt. Zwar ist in den letzten
und verfügbar sind. In der Folge                             können. Wie kommt das?                 Jahren auch bei uns ein breites
ist es möglich, gezielte Aussagen                                Wer hat hier versagt, die          Spektrum von Literatur zum The-
über individuelle Stärken und                                Schule oder das Individuum?            ma erschienen. Von verschiede-
Schwächen von Kindern mit ei-                                    In meiner Lizentiatsarbeit ha-     nen Standpunkten her wurden
ner LRS zu machen, woraus Hin-                               be ich versucht herauszufinden,        Studien durchgeführt und Theo-
weise auf die Förderung abgelei-                             w o in diesem Zusammenspiel            rien erarbeitet. Ich habe mich auf
tet werden können.                                           von Individuum, Schule und si-         Literatur beschränkt, in der die
Evi Graf : Lese-Rechtschreib-Schwäche.                       tuativen Gegebenheiten ange-           verschiedenen Erscheinungsfor-
Ein prozessanalytischer A n s a t z . B e r n ,              setzt werden könnte oder müs-          men und die Komplexität der Ur-
1 9 9 4 : L a n g . 3 8 2 Seiten.
                                                             ste, um funktionalen Analphabe-        sachen im Zentrum der Untersu-
A d r e s s e : PD Dr. phil. E. Graf, A . Gress-
ly-Str. 2 7 , C H - 4 5 0 0 S o l o t h u r n , Tel. G . :
                                                             tismus zu vermeiden.                   chungen stehen.
0 3 2 / 6 2 2 2 2 21                                             Die Arbeit hat drei Schwer-            Wegen der immensen Bedeu-
                                                             punkte: die Problematik des            tung, welche die Kulturtechniken
                                                                                                                                         9
Lesen und Schreiben in unserer        tion Schule ein wesentlicher Fak-     die Autoren grundsätzlich ab
Gesellschaft haben, sind funktio-     tor in diesem Problemkreis ist. Es    vom segmentierten Unterricht,
nale Analphabeten weitgehend          ist nötig, dass die Schule das        von der Sicht, die Lernenden sei-
ausgeschlossen von der Teilnah-       Phänomen wahrnimmt und sich           en ein leeres Gefäss, das portio-
me an der gesellschaftlichen          bemüht, das ihr Mögliche zu           nenweise gefüllt werden müsse,
Kommunikation; ihre beruflichen       tun, damit das Entstehen von          wobei immer nur ein kleiner Teil
Möglichkeiten sind sehr einge-        funktionalem Analphabetismus          des zu erarbeitenden Stoffes zu
schränkt; sie leben in dauernder      vermieden wird.                       sehen ist. Dem Lernenden fehlt
Angst vor "Entdeckung" (Presti-           Eine solche von mir vermutete     die Übersicht aufs Ganze. Wissen
geverlust) und sind im Bereich        Möglichkeit ist die Didaktik der      wird so einfach aufsummiert und
des öffentlichen Lebens auf Hilfe     Kernideen. Ich habe sie stellver-     soll dann bei Abruf in der einge-
von andern angewiesen. Die Ent-       tretend für all jene Unterrichts-     gebenen Form reproduziert wer-
stehungsbedingungen von funk-         theorien gewählt, bei denen das       den. Bei Schwierigkeiten liegt
tionalem Analphabetismus sind         'Lernen auf eigenen Wegen' im         das Versagen eindeutig beim Ler-
sehr komplex. Meistens ist es ein     Zentrum steht. Ich stütze mich        nenden, weil die Norm das ge-
Zusammentreffen von verschie-         dabei auf den Text "Sprache und       eichte, mit Laborexperimenten
denen Faktoren, die sich gegen-       Mathematik in der Schule" von         'bewiesene' Programm ist. GAL-
seitig potenzieren. Die Erfor-        GALLIN und RUF (1990). Sie se-        LIN und RUF bezeichnen diese
schung der Ursachen ist ein noch      hen den Menschen als Subjekt          Art von Unterricht als 'inhuman',
laufender Prozess. Nach der Lek-      seiner Erkenntnis. Erkenntnisge-      weil sie den Lernenden das Recht
türe einer umfangreichen Litera-      winnung setzt dort an, w o Neu-       auf ihre individuellen Denk- und
tur zu objektiv wie subjektiv er-     es als Unstimmigkeit mit den bis-     Handlungsstrukturen verweigert.
forschten Ursachen kristallisieren    herigen Erfahrungen wahrge-              In welcher Weise könnte ein
sich zwei hauptsächliche Schwer-      nommen wird und zur Folge hat,        Unterricht in der Art der Didaktik
punkte heraus: erstens Armut          dass das bisherige Wissen um-         der Kernideen vorbeugende Wir-
und Randständigkeit und zwei-         strukturiert wird, wobei das          kung haben in Bezug auf den
tens entwicklungs- und entfal-        Neue eingegliedert ist. Damit das     funktionalen Analphabetismus?
tungshemmende Strukturen in           neue subjektive Wissen als allge-         Überträgt man einerseits die
Familie und Schule.                   mein gilt, objektiv anerkannt         hauptsächlichsten Verursa-
    Verlernen als Ursache ist nicht   wird, bedarf es der sozialen Dis-     chungsfaktoren (Unterschichts-
sehr einleuchtend. Wirklich Le-       kussion. Irrtümer und deren Kor-      sprache, Fremdsprachigkeit,
sen und Schreiben können              rektur sind dem Erkenntnispro-        mangelnde emotionale Zuwen-
scheint mir vergleichbar mit Velo-    zess inhärent.                        dung und Achtung der Persön-
fahren oder Schwimmen kön-                 Das Selbstbild der Lehrkraft     lichkeit, Randständigkeit etc.)
nen. M a n kann wohl aus der          ist hier nicht mehr das einer hier-   wie auch die Hauptmerkmale der
Übung kommen, aber die Fähig-         archisch höherstehenden Person,       Didaktik der Kernideen (Umkehr
keit an sich verschwindet da-         die den Lehrstoff nach den ihr ei-    der Verstehenspflicht, Respektie-
durch nicht und kann wieder ak-       genen Denkstrukturen so seg-          rung und Gleichwertigkeit der
tiviert werden.                       mentiert, wie er ihrer Meinung        individuellen Denk- und Hand-
    Es gibt auch Autoren, die als     nach für Schülerinnen und             lungsstrukturen des Kindes,
Ursachen organische Defekte se-       Schüler fass- und nachvollziehbar     grosszügig bemessener Zeitraum
hen. Sie mögen in vielen Fällen       ist. Die Lehrkraft muss die Per-      um eine Mindestanforderung zu
als Faktor eine Rolle spielen und     spektive der Lernenden einneh-        bewältigen) auf das Modellraster,
es ist gut, dass auch Forschun-       men können, deren individuellen       so ist ersichtlich, dass diese Berei-
gen in diesem Bereich stattfin-       Denk- und Handlungsstrukturen         che in einen sich positiv beein-
den.                                  als gleichwertig respektieren und     flussenden Zusammenhang
    Lange hat die Pädagogik die       ihnen auf ihrem eigenen Weg           gebracht werden können.
Auseinandersetzung mit dem            zur Erkenntnis punktuelle Hilfe           Lesen und Schreiben lernen
funktionalen Analphabetismus in       leisten. Nicht die Lernenden          ist eine normative Entwicklungs-
den Bereich der Sonder- oder          müssen die Sprache des Lehren-        aufgabe unserer Gesellschaft.
Heilpädagogik verwiesen. Immer        den verstehen, sondern die Ver-       Damit das Kind diese Forderung
deutlicher aber zeigt sich, dass      stehenspflicht wird der Lehrkraft     bewältigen kann, gilt es in erster
auch die gesellschaftliche Institu-   übertragen. Damit grenzen sich        Linie keine Stresssituation auf-

10
kommen zu lassen, sondern eine        fürs l e r n e n auf eigenen W e g e n '                  hinter sich. Sie hatte drei Jahre
Atmosphäre zu schaffen, in der        entscheiden!                                              lang gelitten, und wir mit ihr. Ihr
sich die individuellen Strategien     * D i e Lizentiatsarbeit v o n Barbara Rie-               Selbstvertrauen hatte sie gründ-
(kognitive, emotionale, soziale       di-Brüesch w u r d e 1 9 9 4 bei Prof. Dr.                lich verloren, sie war depressiv
                                      W a l t e r H e r z o g a m Pädagogischen In-
Werthaltungen) des Kindes frei                                                                  geworden und hatte sich in sich
                                      stitut der Universität Zürich e i n g e -
entfalten können. Sie sind die        reicht. Die A u t o r i n arbeitet freiberuf-             selbst zurückgezogen. Vor ihren
notwendige motivationale Unter-       lich in der L e h r k r ä f t e b e r a t u n g u n d -   Schulkollegen hatte sie Angst
                                      fortbildung.
stützung, welche die Bewälti-                                                                   und fürchtete jeden neuen
                                      A d r e s s e : Barbara Riedi-Brüesch,
gung der Anforderung ermögli-                                                                   Schultag. Zur Ruhe kam sie ei-
                                      Segantinistr. 2 2 , C H - 7 0 0 0 C h u r .
chen. W e n n die individuelle                                                                  gentlich nur an den Wochenen-
Sprache des Kindes (gleich wel-                                                                 den und während der Ferien. Um
cher Schicht) der Schulsprache                                                                  so schlimmer waren die Abende,
gleichwertig ist und die Verste-      Susanne           Bertschinger                            bevor sie am nächsten Tag wie-
henspflicht bei der Lehrkraft         Legasthenie (Dyslexie)                                    der in die Schule musste. Sie
liegt, wird es nicht resignieren      A u s w i r k u n g e n auf d e n A l l t a g             weinte, musste häufig erbrechen
und verstummen. Es wird die           eines K i n d e s                                         und hatte starke Kopfschmerzen.
Möglichkeit nutzen, die Aufgabe                                                                 In der Freizeit musste sie die glei-
mit seinen (bewährten) individu-      Der Verband Dyslexie Schweiz ist                          che Rolle spielen wie in der
ellen Strategien und in seinem        eine Non-Profit    Organisation,                          Schule, denn ihre Klassenkame-
ihm möglichen Tempo anzuge-           welche die Interessen von le-                             raden waren unsere Nachbars-
hen und zu lösen (vgl. SCHUPPLI,      gasthenischen und dyskalkuli-                             kinder. "Viola ist dumm und ver-
Leseforum 1996.S.45 ff).              schen Menschen vertritt. - Über                           steht nichts". Ein ideales Opfer,
   So kann ich meine Fragestel-       das Phänomen "Legasthenie"                                um alle möglichen Aggressionen
lung positiv beantworten: die Di-     ("Dyslexie" im internationalen                            daran auszulassen.
daktik der Kernideen wäre eine        Sprachgebrauch) wird in ver-                                  Wir wollten ihr, so gut es
Möglichkeit, das Entstehen von        schiedenen Fachkreisen disku-                             ging, mit dem Eintritt in die Mit-
funktionalem Analphabetismus          tiert. Die Ansichten über Ursa-                           telstufe zu einer neuen Chance
zu vermeiden!                         chen und geeignete      Therapiefor-                      verhelfen. Sie sollte zu einem
    So weit so gut. Es gibt meiner    men klaffen weit auseinander. Ei-                         Lehrer kommen, der über sehr
Erfahrung nach doch ein Aber.         nige Experten gehen sogar so                              viel pädagogisches Fingerspitzen-
Dieses bezieht sich auf die U m -     weit, zu behaupten, so etwas                              gefühl verfügte und für das Pro-
setzung in die Praxis dieser theo-    wie "Legasthenie" existiere nicht.                        blem "Legasthenie" viel Ver-
retisch aufgearbeiteten Erkennt-      Sicher ist, dass eine Fülle von Ele-                      ständnis aufbrachte. (Sein eige-
nis. Aus meiner langjährigen          menten dafür verantwortlich ge-                           ner Sohn kämpfte damit!)
praktischen Arbeit weiss ich um       macht werden kann. Im Grunde                                  Sie sollte einen totalen Neu-
die enormen Schwierigkeiten,          hat jede Legasthenikerin und je-                          anfang machen können und
Einstellungsänderungen an ei-         der Legastheniker eine individu-                          kam als einzige aus ihrer Unter-
nem beruflichen Selbstbild zu         elle Form dieser Lese/ Recht-                             stufenklasse in dieses Schulhaus.
bewirken. Zudem wird in der           schreibschwäche. Für Betroffene                           Während der Sommerferien be-
wissenschaftlichen Pädagogik die      ist es jedoch völlig gleichgültig,                        kam sie einen neuen Schulthek
cartesianische Subjekt/Objekt-        ob sich Fachleute über den Be-                            mit Etui und Turnsack, alles in
Trennung als Metatheorie noch         griff "Legasthenie" einig sind                            ihren Lieblingsfarben. Sie freute
nur selten hinterfragt.               oder nicht. Sie leiden zum Teil ihr                       sich riesig! Dazu kam noch ein
    Andrerseits bin ich aber trotz-   ganzes Leben lang unter den Fol-                          neuer Füller, der viel besser
dem zuversichtlich, dass immer        gen dieser Schwäche und vor al-                           schreiben würde als ihr alter. So-
mehr Lehrkräfte, gezwungen            lem darunter, wie die Gesell-                             gar neue Schulschuhe wurden
durch die zunehmenden berufli-        schaft damit umgeht. Sie erwar-                           angeschafft, da ihre Füsse nun
chen Belastungen, sich grund-         ten Hilfe und Verständnis.                                einen neuen W e g gehen wür-
sätzlich mit Sinn und Art ihres                                                                 den.
Unterrichts auseinandersetzen         Zum Beispiel V i o l a                                        A m letzten Ferientag gab es
und sich vermehrt im Interesse                                                                  noch eine kleine Feier, ähnlich
ihrer Schülerinnen und Schüler        Unsere Tochter Viola hatte eine                           der, die wir vor ihrem Schulein-
wie auch im eigenen Interesse         traumatische Unterstufenzeit                              tritt vor drei Jahren veranstaltet

                                                                                                                                  11
hatten. A m Abend schlief sie oh-                                   Silvia Herdeg
ne ihre sonstigen psychosomati-                     Lesen und       "Lesen und schreiben lernen am
schen Störungen ein, aufgeregt
und neugierig.
                                                    Schreiben für   Bildschirm"
                                                                    Ein Projekt f ü r Erwerbslose
   Inzwischen liegen auch diese
drei Jahre Mittelstufe hinter uns.
                                                    Erwachsene      Wenn die Arbeitslosenzahlen
Unsere Hoffnungen von damals,                                       steigen und die verfügbaren Ar-
dass sie durch einen Neuanfang                                      beitsplätze abnehmen, trifft es
auch eine neue Chance erhalten                                      neben den Jugendlichen zuerst
würde, haben sich erfüllt.                                          jene Erwachsene, deren Kennt-
    Rückblickend muss ich sagen,                                    nisse und Fähigkeiten besonders
dass wir noch sehr viel lernen                                      schwach sind. Unter diesen wie-
mussten, vor allem Geduld zu                                        derum sehr schwierig vermittel-
haben. Viola kam zwar in ein                                        bar sind die funktionalen Anal-
neues Klassengefüge und konnte                                      phabeten, die nie richtig lesen
ihre verhasste Rolle zum Teil ab-                                   und schreiben lernten oder deren
legen, aber es gab immer wieder                                     Kenntnisse verkümmert sind und
auch starke Rückschläge. Ihre                                       bei denen entsprechende Ar-
Leistungen besserten sich nur                                       beitsanforderungen Angst und
sehr langsam, dafür aber stetig.                                    Scham erzeugen. Um dieser Not-
    In dieser Klasse war Legas-                                     situation entgegenzuwirken, bie-
thenie einfach kein Thema, Dik-                                     tet der "Verein Lesen und Schrei-
tate wurden nicht mit dem Rot-                                      ben für Erwachsene" Zürich in
stift korrigiert und bei einigen                                    Zusammenarbeit mit dem
Kindern am Anfang auch nicht                                         "Schweizerischen Arbeiterlnnen-
benotet. Gezählt wurden die                                         hilfswerk" seit Herbst 1994 Kur-
richtigen Wörter, so dass sie stolz                                 se an, die von den Arbeitslosen-
verkünden konnte : "Ich habe                                        kassen finanziert werden. Diese
von 60 Wörtern 35 richtig ge-                                       Kurse sollen den Teilnehmerin-
schrieben ! " Auf diese Art wurde                                   nen helfen, ihre Ängste und
ein gewaltiger Druck von ihr ge-                                    Schwierigkeiten zu überwinden,
nommen und damit auch von                                           sich elementare Fähigkeiten im
uns als Familie. Mit dem Anstieg                                    schriftlichen Ausdruck anzueig-
ihrer Leistungen kehrte auch ihr                                    nen und das Leseverständnis zu
Selbstvertrauen allmählich wie-                                     steigern. So unterschiedlich Vor-
der zurück. A m Ende der 6. Klas-                                   bildung und Motivation der Teil-
se gehörte sie zum besten Viertel                                   nehmenden sind, so sehr sie sich
der Klasse, jedoch ist sie immer                                    in ihren ausgeübten Berufen un-
noch starken Stimmungs- und                                         terscheiden, so vielfältig ihre so-
Leistungsschwankungen unter-                                        ziale Herkunft und ihr Umfeld ist,
worfen. Ihre Legasthenie hat sie                                    so weit gestreut sind auch die
nicht überwunden, aber sie hat                                      Gründe, die zu den meist psy-
gelernt damit umzugehen. Wir                                        chisch bedingten Schreibblocka-
wissen, dass sie in den nächsten                                    den führen.
Jahren auch weiterhin ganz stark                                       Für jeden Teilnehmenden be-
spüren muss, dass wir sie unter-                                    darf es daher einer auf die per-
stützen und auf ihrer Seite ste-                                    sönlichen Verhältnisse zuge-
hen.                                                                schnittenen Betreuung und eines
A d r e s s e : S u s a n n e Bertschinger, Ver-                    individuell strukturierten Lernpro-
b a n d Dyslexie S c h w e i z , Postfach 1 2 7 0
                                                                    gramms. Dieses wird in enger
C H - 8 0 2 1 Zürich
                                                                    Zusammenarbeit zwischen den
                                                                    Kursleiterinnen und den Teilneh-
                                                                    menden in Gruppen- und Einzel-
12
gesprächen erarbeitet, wobei viel           Mit der Preissumme haben          problembeladenen Schreiben ei-
Eigenverantwortung bei der Ge-          wir in unserem Kurs zwei Bild-        ne neue Leichtigkeit, die motivie-
staltung des persönlichen Ar-           schirmarbeitsplätze eingerichtet.     rend wirkt.
beitsprogramms gewährt wird.            Wir führen in die Arbeit am               Die positive Erfahrung, etwas
Wir Kursleiterinnen übernehmen          Computer ein. In der vertrauten       zu lernen, das die meisten sich
in erster Linie beratende Funktio-      Atmosphäre der Kleingruppe            nie zugetraut hätten, gibt Mut
nen, stellen entsprechendes             kann die Angst vor dem PC ab-         und eröffnet ganz allgemein
Lernmaterial bereit, motivieren         gebaut und die Bereitschaft für       neue Perspektiven, hilft aber
und unterstützen bei Bedarf. Hil-       die Arbeit am Bildschirm aufge-       auch gezielt in einem Bereich,
fe zur Selbsthilfe gilt als Leitmotiv   baut werden, als Vorbereitung         der die Arbeitswelt immer mehr
im Kursgeschehen.                       auf einen regulären, berufsbezo-      bestimmt. So kann der Eindruck,
    Während unserer Arbeit ha-          genen Computerkurs. Natürlich         ausgegrenzt zu sein - eine
ben Rita Emmenegger und ich             möchten wir mit der Arbeit am         Grundstimmung, die vielen von
die Erfahrung gemacht, dass zur         PC auch die Lese-und Schreib-         unseren Kursteilnehmerinnen ge-
Alphabetisierung heutzutage             kompetenz fördern. Besonders          meinsam ist - durch eine ganz
auch die Schulung am Computer           geeignet ist das Erstellen von Le-    persönliche neue Erfahrung revi-
gehört. In verschiedenen Berufen        bensläufen und Bewerbungsun-          diert werden.
(z.B. Magaziner, Spritzlackierer,       terlagen am PC, denn es macht         A d r e s s e : Silvia H e r d e g , M i n e r v a s t r a s s e
Kassiererin, Servicemitarbeiterin)      die Teilnehmerinnen unabhängig        4 6 , C H - 8 0 3 2 Zürich

ist der Arbeitsalltag stark durch       von Hilfe im Familien-und Be-
die Tätigkeit am Computer be-           kanntenkreis.
stimmt. Wir stellten fest, dass die         In unserem diesjährigen Früh-
Kursteilnehmerinnen mit ent-            lingskurs haben wir nun erste Er-     Eliane Niesper
sprechenden Berufen ohne C o m -        fahrungen mit unserem Projekt         Der Lernkiosk
puterkenntnisse kaum Chancen            gemacht. Mehr als die Hälfte der      Ein Projekt des V e r e i n s Lesen
hatten, eine neue Stelle zu fin-        Teilnehmerinnen hatte noch nie        u n d Schreiben f ü r E r w a c h s e n e
den. Wir erlebten auch, dass ge-        an einem PC gearbeitet. Nach          (VLSE)
rade unsere Zielgruppe beson-           anfänglichen Widerständen ver-
ders grosse Ängste hat, am PC           suchten sie ihren persönlichen        Seit über zehn Jahren sind der
zu arbeiten, und sich infolgedes-       Lebenslauf mittels eines von uns      Verein Lesen und Schreiben für
sen nicht zutraut, einen regulä-        speziell vorbereiteten Rasters ein-   Erwachsene (VLSE) und die wel-
ren Computerkurs zu besuchen.           zugeben, mit unserer Hilfe oder       sche Schwesterorganisation As-
    Diese Beobachtungen moti-           mit der Hilfe von schon compu-        sociation Lire et Ecrire (ALE) in
vierten uns, ein Projekt für den        tererfahrenen Kurskolleginnen.        der Grundausbildung für Er-
vom Schweizerischen Komitee             Das gelang gut und motivierte         wachsene tätig.
zur Bekämpfung des funktiona-           zu weiteren Versuchen. Nun wer-           Aber da ja Lesen in unserem
len Analphabetismus (Nationale          den Musterbewerbungen ge-             Bereich " n u r " der Anfang ist,
schweizerische UNESCO-Kom-              schrieben; es wird gelernt, diese     wurden wir immer wieder von
mission) ausgeschriebenen Wett-         dem jeweiligen Inserat anzupas-       Privatpersonen und Institutionen
bewerb " A L P H A 9 6 " einzurei-      sen. Die Teilnehmerinnen ma-          nach weiteren Bildungsmöglich-
chen. Das Ziel dieses Wettbe-           chen die Erfahrung, dass das          keiten für Lernungewohnte und
werbs war die Förderung von Bil-        Schreiben am PC leichter geht als     ungenügend qualifizierte Er-
dungsprogrammen für Erwerbs-            mit der oft verkrampften Hand-        wachsene angefragt. Dies brach-
lose, die aufgrund ihrer Lese-          schrift. Auch ist es einfacher, die   te uns auf den Lernkiosk - ein
und Rechtschreibprobleme nur            Wortbilder am PC auf ihre Rich-       Projekt, das sich dank der Wei-
mit grosser Mühe die Wiederein-         tigkeit zu prüfen als bei der oft     terbildungsoffensive des BIGA
gliederung ins Berufsleben schaf-       schwer leserlichen Handschrift.       realisieren liess.
fen. Zu unserer Freude fand sich        Mit einem neuen Medium                    Der Lernkiosk sammelt A n g a -
unter den zwei ausgezeichneten          Schreiberfahrungen zu machen          ben über Aus- und Weiterbil-
Projekten neben einer Arbeit aus        lässt Angst und Hemmungen in          dungsmöglichkeiten für Erwach-
Genf auch unser Projekt "Lesen          den Hintergrund treten. Das           sene mit mangelhaften Grund-
und schreiben lernen am Bild-           Spielerische beim Computer-           qualifikationen und gibt sie wei-
schirm".                                schreiben gibt dem meist sehr         ter. Dabei fängt es natürlich wie-
                                                                                                                                           13
Sie können auch lesen