Leseforum Schweiz Forum suisse sur la lecture
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
Leseforum Forum Schweiz suisse sur la lecture
Impressum Leseforum Schweiz Informationsbulletin Herausgegeben vom Leseforum Schweiz © Copyright 1997 by Leseforum Schweiz, Zürich Die veröffentlichten Beiträge bleiben Eigentum der Autoren Redaktion: Barbara Helbling, Zürich, und A n n a Katharina Ulrich, Basel Gestaltung/Produktion: Vera Honegger, Pestalozzianum Verlag Zürich Umschlaggestaltung unter Verwendung einer Illustration von M a x Caflisch, Bitstream Amerigo von Gerhard Unger (aus: Typographische Monatsblätter 3/1989) ISSN Nr. 1420-0643 Das Bulletin Leseforum Schweiz erscheint einmal jährlich. Es geht als Mitteilungsblatt an die Mitglieder des Leseforum Schweiz. Die Mitgliedschaft ist allen an Fragen des Lesens Inter- essierten offen. Auskünfte und A n m e l d u n g e n beim Sekretariat Leseforum Schweiz, c/o Schweizerisches Jugendbuch-Institut, Zeltweg 11, C H - 8 0 3 2 Zürich, Tel. 01 261 9 0 44 / Fax 01 261 91 4 5 Beiträge f ü r künftige N u m m e r n (möglichst mit Diskette zusätz- lich z u m Manuskript) sind w i l l k o m m e n beim Schweizerischen Jugendbuch-Institut, zuhanden Leseforum Schweiz. Nächster Redaktionsschluss: 2 0 . Juni 1998. Leseforum Schweiz Das Leseforum Schweiz versteht sich als interdisziplinäre Kontaktstelle f ü r alle Personen und Institutionen, die an Fragen des Lesens, der Alphabetisierung, der Leseförderung und der Schriftlichkeit (litéralité, literacy) interessiert sind. Durch Veran- staltungen und mit der Herausgabe des jährlich erscheinenden Informationsbulletins sucht es die oft weit auseinanderliegen- den Forschungs- und Praxisgebiete im Zusammenhang mit Lesen/Iiteracy miteinander zu verknüpfen. Im schweizerischen Rahmen setzt es sich ein für interregionale Kontakte. A u f inter- nationaler Ebene pflegt und fördert es den Informationsaus- tausch mit den angrenzenden Ländern. Als Schweizer Sektion der International Reading Association (IRA) gewährleistet es Verbindungen mit der europäischen und der internationalen Szene. Die Mitgliedschaft steht allen an Fragen des Lesens interessier- ten Einzelpersonen und Institutionen offen. Mitgliederbeiträge 1998 (inkl. Bulletin 6/1997): Einzelmitglieder Fr. 50.- Studierende/Mitglieder in Ausbildung Fr. 25.- Institutionen Fr. 2 0 0 . - Vorstand: Andrea Bertschi-Kaufmann (Präsidentin), Heinz Bonfadelli, Marta Böni, Rudolf Groner, Peter Gyr, Barbara Helbling, Alfred Messerli, Philipp Notter, Marco Rüegg, Verena Rutschmann, Denise von Stockar, Francois Stoll, Rosmarie Tschirky, A n n a Katharina Ulrich, Hanspeter Züst Geschäftsstelle: Leseforum Schweiz c/o Schweizerisches Jugend- buch-Institut, Zeltweg 11, C H - 8 0 3 2 Zürich, Tel. 01 261 9 0 4 4 / Fax 01 261 91 4 5 / E-mail SJI @ active, eh
Inhalt 2 Editorial Beiträge 18 J o s i a n e C e t l i n : " L a p a r o l e q u e les livres n o u s Forschung d o n n è r e n t ne sera jamais reprise..." 3 François Stoll: I m m i g r a n t e n k i n d e r und das Lesen- 21 Liz S u t t e r : L e s e m a g a z i n S p i c k ? lernen 22 Yvonne Steinemann: Goesh 4 Horst Sitta/Andrea Bertschi-Kaufmann: Literaiität 23 Ina K a y s e r : W a s w i r z u m S c h r e i b e n b r a u c h e n im m e d i a l e n Umfeld 26 Hans-Peter W i l l b e r g : H i n w e i s e z u Schrift und 5 M a d e l e i n e S a a d a - R o b e r t : Présentation d u travail T y p o g r a p h i e in B ü c h e r n de recherches 31 Peter Attinger: Der C o m p u t e r k o m m t zur Schule 5 R o g e r G i r o d : L ' i l l e t t r i s m e d a n s les p a y s i n d u s t r i a - 34 Alfred Messerli: "...können den größten theyl lisés schreiben und lesen" 6 Clairelise B o n n e t : A p p r e n d r e à écrire e n 6 e 6 C h r i s t i a n S u l s e r : E i n S c h u l v e r s u c h in S a m e d a n 39 A n n a K a t h a r i n a U l r i c h : H e i m a t in d e r S c h r i f t 1996-2000 7 Corinna Henning: Neurolinguistisches Program- Publikationen mieren 42 Jahrbuch Kinder- und Jugendliteraturforschung 8 C o r n e l i a Rosebrock: Lesen f ü r die Schule u n d 1996/97 s e i n e F u n k t i o n in d e r l i t e r a r i s c h e n S o z i a l i s a t i o n 42 Kinderliteratur im Unterricht Jugendlicher 43 D a s F r e m d e in d e r K i n d e r - u n d Jugendliteratur 43 P e t r a W i e l e r : V o r l e s e n in d e r F a m i l i e Legasthenie, Leseschwierigkeiten 43 Kinderliteratur, literarische Sozialisation u n d 8 Evi G r a f : Lese-Rechtschreib-Schwäche Schule 9 Barbara Riedi-Brüesch: Funktionaler A n a l p h a b e - 44 Lesen u n d Schreiben aus Leidenschaft tismus u n d die Didaktik der K e r n i d e e n 44 Lesezeichen 11 S u s a n n e B e r t s c h i n g e r : L e g a s t h e n i e (Dyslexie) 44 Ilona K a t h a r i n a S c h n e i d e r : E i n s c h u l u n g s e r l e b n i s s e im 2 0 . Jahrhundert Lesen und Schreiben f ü r Erwachsene 45 Brigitte B u s c h : L e p e n a . Ein D o r f m a c h t S c h u l e 12 Silvia H e r d e g : " L e s e n u n d s c h r e i b e n l e r n e n a m 45 G u c k mal ü b e r n Tellerrand Bildschirm" 46 Blaubuch 1997/98 13 Eliane Niesper: Der Lernkiosk Termine 14 Schweizerisches Arbeiterlnnenhilfswerk SAH, Flüchtlingsdienst Zürich: "Lesen und Schreiben 46 Jahresversammlung Leseforum Schweiz für kurdische Frauen" 46 11th European Conference on Reading Leseanimation 15 "Lis avec m o i ! " 17 "Livres d u monde" 17 Die Basler Eule 1
Editorial Das Informationsbulletin 1997 des Leseforum medialen Leseunterricht untersuchen, während Pe- Schweiz liegt vor Ihnen, in gewohnter Aufma- ter Attinger die ersten praktischen Erfahrungen sei- chung, doch mit einer wesentlichen Änderung. Die ner Schüler im Umgang mit Lernprogrammen am Beteiligung aus der französischsprachigen Schweiz Computer schildert und Silvia Herdeg zeigt, welche an der laufenden wissenschaftlich wie praktisch Hilfe eine Einführung in das Schreiben am Bild- ausgerichteten Diskussion rund um das Thema Le- schirm Erwachsenen bringen kann, die unter funk- sen war von Beginn an wichtig und gewichtig. Nun tionalem Analphabetismus leiden. Zu diesem soll sie auch im Titel "Forum suisse sur la lecture" Schwerpunktthema, die Problematik schlechter Le- Ausdruck finden. sefähigkeit, gibt Roger Girods Beitrag "L'illettrisme Diskussion über Sprachgrenzen hinweg und um dans les pays industrialisés" einen weiteren Aspekt. Probleme der Sprachgrenzen: Wie gestalten sie sich Neue Lernprogramme, neue didaktische Kon- für Kinder und Erwachsene in fremdsprachlichem zepte - neue Anforderungen im Umgang mit Medi- Umfeld, beim Spracherwerb zwischen den Kultu- en auch für die Lehrkräfte aller Stufen. Zudem wird ren? Um Möglichkeiten der Hilfestellungen geht es von ihnen, noch spezifischer und anspruchsvoller, in mehreren Beiträgen dieses Heftes. Peter Rüeschs Innovation und Sensibilität verlangt im Umgang mit Forschungsresultate zu den Lernschwierigkeiten den Lernschwächen ihrer Schüler. Welche Richtung von Immigrantenkindern finden ein schönes, positiv hier die Weiterbildung einschlagen müsste, zeigt unterlegtes Pendant in Yvonne Steinemanns Bericht besonders Barbara Riedi-Brütschs Arbeit. " G o e s h " . Der Schulversuch der Gemeinde Same- Dies führt zu dem Themenkomplex, der uns be- dan entspricht dagegen der spezifischen Situation sonders wichtig und auch in diesem Bulletin wieder des Engadins und möchte dem Romanischen neben gut vertreten ist: Lesen als Zugang zu Geschichten, dem unentbehrlichen Deutsch mehr Geltung ver- Schlüssel zu neuen Welten und zur Entdeckung ei- schaffen. Wie der Zugang zur Schriftlichkeit direkt gener Sprache. Anregungen geben die Berichte aus einem spezifischen Kulturverständnis heraus- über Leseanimationen wie "Lis avec m o i " und die wächst, davon spricht der Beitrag "Heimat in der "Basler Eule". Liz Sutter, Redaktorin des "schlauen Schrift" über die deutsch-jüdische Jugendliteratur. Schülermagazins" Spick, gibt einen Einblick in ihre In die zeitliche Dimension, über 200 Jahre zurück, Werkstatt, und auf Interesse dürfte auch die führt Alfred Messeriis Arbeit zu den Anfängen der Schreibwerkstatt in einer Hamburger Grundschule Alphabetisierung in der Schweiz. stossen, über die Ina Kayser berichtet. "La parole Zu einem neuen thematischen Schwerpunkt sind que les livres nous donnèrent ne sera jamais repri- in diesem Heft die Beiträge über "neue Medien und se" nennt Josiane Cetlin ihren Beitrag - wir w ü n - Lesen" angewachsen: Das Forschungsprojekt von schen Ihnen Spass beim Lesen. Horst Sitta und Andrea Bertschi-Kaufmann wird die Interferenzen zwischen den Lese- und Schreibent- wicklungen von Heranwachsenden in einem multi- Barbara Helbling, Anna Katharina Ulrich 2
bulletin 2/1993 S. 8f). Im Rah- Informationen men dieser Studie sind neben der Lesekompetenz weitere Da- ten zum familiären Hintergrund sowie zum schulischen Umfeld der Schüler erhoben worden. Dies ermöglicht die gleichzeitige Analyse familiärer und schuli- François Stoll Forschung Immigrantenkinder und das Le- scher Hintergrundvariablen in ihren Wechselwirkungen auf die senlernen schulische Performanz von Kin- Zur Dissertation v o n Peter dern. Die definitive Stichprobe Ruesch: "Spielt die Schule e i - der vorliegenden Arbeit umfasst ne R o l l e ? " 2003 Schülerinnen und Schüler aus 109 Schulklassen des dritten Problembewusst, mit bester me- Schuljahres aus der deutschen thodischer Kompetenz, hinter- Schweiz. fragt Ruesch in seiner Dissertati- In methodischer Hinsicht on einige brisante Themen einer musste Ruesch die hierarchische Volksschule, die bei uns immer Struktur der vorliegenden Studie mehr zur Völkerschule geworden berücksichtigen. Dies äussert sich ist. zunächst auf der Ebene der Da- Wenn heute Fragen der sozia- ten, indem die Untersuchungs- len Ungleichheit im Bildungssy- stichprobe aus Schülern grup- stem diskutiert werden, so sind - piert in Schulklassen zusammen- in den meisten Ländern der gesetzt ist. Konzeptionell zeigt OECD - die schlechten Bildungs- sich die hierarchische Struktur chancen von Immigranten bereits darin, dass eine Mikro-Ebene eine Banalität. Zur Erklärung des individueller Merkmale von gehäuften schulischen Misserfol- Schülern in bezug gesetzt wird ges von Immigranten werden in zu einer Makro-Ebene von Merk- der Fachliteratur besonders zwei malen der Lernumwelt der Schul- Gruppen von Faktoren herange- klasse. Dies muss durch ein adä- zogen: Merkmale der Person der quates statistisches Modell abge- Schüler selbst und Merkmale bildet werden: Deshalb erfolgte ihrer Familie. Faktoren, die inner- in der vorliegenden Arbeit die halb der Schule angesiedelt sind, statistische Analyse nach dem werden dagegen weniger beach- Verfahren der «Mehr-Ebenen- tet. Rüeschs Untersuchung weist Analyse», bzw. nach dem soge- - korrigierend - auf die Bedeu- nannten «Hierarchisch Linearen tung von innerschulischen Deter- Modell (HLM)». minanten der ungleichen Bil- Nach einem komplexen, akri- dungschancen von eingewander- bisch durchgeführten Parcours ten Schülern hin. durch die vorhandenen Daten Als empirische Grundlage zu zieht der Autor folgende Bilanz seiner Untersuchung wurden (wobei zu vermerken ist, dass Schweizer Daten aus der interna- diese im Kontext der Gesamtun- tionalen Studie «Reading-Liter- tersuchung weniger apodiktisch acy-Study» der International As- wirkt als in dieser Zusammenfas- sociation for the Evaluation of sung): Educational Achievement (IEA) 1. Auch bei vergleichbarem so- verwendet (vgl. Ruesch et al. in zioökonomischem Status erzielen Leseforum Schweiz Informations- Immigrantenkinder schwächere
Leseleistungen als ihre einheimi- Lage sind, ihren Unterricht genü- Medien und Politik, Zukunft der schen Mitschüler. Die Schul- gend auf die spezifische soziale Schriftmedien. schwierigkeiten von Immigranten Zusammensetzung ihrer Schul- Das Projekt "Literaiität im me- können deshalb nicht auf ein klasse abzustimmen. dialen Umfeld" konzentriert sich schichtspezifisches Problem redu- Das anspruchsvolle Vorgehen auf Kinder und Jugendliche und ziert werden. des Autors wird sehr klar - fast fragt nach den Interferenzen 2. Die unterdurchschnittlichen didaktisch - erläutert, und seine zwischen den Lese- und Schreib- Leseleistungen von Immigranten- bedeutungsvollen Schlussfolge- entwicklungen der Heranwach- schülern, aber auch von einhei- rungen werden unverblümt dar- senden in einem multimedial ein- mischen Schülern aus unteren gestellt. gerichteten Leseunterricht. Fol- Sozialschichten sind jedoch nicht gende Fragen sollen dabei vor al- allein das Ergebnis individueller lem untersucht werden: Merkmale dieser Kinder. Die Wie verlaufen Lese- und Grösse ihres Leistungsrückstan- Horst Sitta/Andrea Bertschi- Schreibentwicklungen im Kon- des ist zu einem wesentlichen Kaufmann text der Nutzung von Print- und Teil davon abhängig, welche Literaiität im medialen Umfeld Bildschirmmedien, und wie wer- Schulklasse sie besuchen und Ein Forschungsprojekt den Medientextstrukturen für die von welchem Lehrer sie unter- Erweiterung der Lese- und richtet werden. Die Studie ist integriert in das Schreibfähigkeit verwertet? Wel- 3. Nicht nur in bezug auf die vom Schweizerischen National- che Wirkungen haben Unter- Chancengleichheit, sondern fonds eingerichtete Schwer- richtsanlagen mit einem offenen auch in bezug auf das allgemei- punktprogramm "Zukunft Angebot an Bildschirm- und ne Leistungsniveau aller Schüler Schweiz", das vor allem zwei Printtexten ( C D - R O M , Internet liegen erhebliche Unterschiede Ziele verfolgt: die Förderung und Bücherregale im Klassenzim- zwischen den untersuchten theorieorientierter Forschung auf mer) sowie entsprechende Auf- Schulklassen vor. Fazit: Die Schu- Projektbasis und strukturelle gabenstellungen für die Aktivitä- le spielt eine Rolle! Massnahmen zur Stärkung der ten und die Lernentwicklungen 4. Die Unterschiede zwischen Sozialwissenschaften in der in den Bereichen Lesen und den Schuklassen in bezug auf Schweiz. Das Schwerpunktpro- Schreiben? Welche Nutzungsmu- Leistungsniveau und Chancen- gramm will damit einerseits zum ster bringen Kinder und Jugend- gleicheit können zu einem be- besseren Verständnis des sozia- liche in den Raum Schule mit deutenden Teil durch die soziale len, kulturellen, politischen und und welche Voraussetzungen er- Zusammensetzung der Klasse er- wirtschaftlichen Wandels der geben sich daraus für die Ent- klärt werden. Es ergeben sich schweizerischen Gesellschaft bei- wicklung und die Förderung von zwar keine Hinweise darauf, dass tragen und strebt andererseits ei- Lese- und Schreibkompetenzen ein hoher Anteil anderssprachi- ne Verbesserung unterentwickel- im Rahmen einer umfassenden ger Schüler in einer Klasse das ter Forschungs- und Datenstruk- Medienkompetenz? Leistungsniveau nach unten turen an. Zur Verstärkung von In einer zweijährigen Projekt- «drückt». Aber ein hoher Anteil Synergien und interdisziplinären phase werden in insgesamt 20 an Schülern aus bildungsarmen Kooperationen sind die einzel- Schulklassen Lese- und Schreib- Familien wirkt sich ungünstig auf nen Projekte in Forschungsver- entwicklungen im Rahmen multi- die Leistungen in einer Klasse bünden zusammengefasst. medialer Förderanlagen in Lese- aus. Ausgangspunkt für den Ver- journalen dokumentiert und un- 5. Die soziokulturelle Zusammen- bund "Kommunikation in der tersucht. In Ergänzung zur Doku- setzung der Schülerschaft ist je- modernen Informationsgesell- mentenanalyse werden M o d a - doch kein unbeeinflussbarer schaft: Neue Herausforderungen litäten des Medien-Lesens und Standortfaktor einer Schule, son- für Produktion und Rezeption" des Verstehens medial vermittel- dern allenfalls ein Risikofaktor. ist der Wandel hin zur "Informa- ter Texte zudem in Fallbeispielen Wie er sich schlussendlich auf tionsgesellschaft" in den Gebie- beschrieben. Von der Exploration das Lernen der Schüler auswirkt, ten Journalismus, "Inszenierung" der Rezeptionsprozesse und der ist wesentlich vom einzelnen von Kommunikation, Funktion Beobachtung der Lernentwick- Lehrer abhängig. Es stellt sich von Meinungsumfragen, Verbrei- lungen erwarten wir Orientierun- nun die Frage, ob Lehrer in der tung kontroverser Themen in gen und Grundlagen für die Be- 4
wältigung neuer fachdidakti- qui est pratiquée à la Maison des cherche, menée en situation scher Aufgaben: eine schulische Petits, école publique rattachée à d'apprentissage scolaire, permet- Leseförderung, die zum einen la Faculté de psychologie et des tra de contribuer au débat. den Voraussetzungen, den Inter- sciences de l'éducation. Une pu- Les p u b l i c a t i o n s de l'équipe p e u v e n t essen und Nutzungsgewohnhei- blication est en cours à ce sujet. être o b t e n u e s sur d e m a n d e à l'adresse des c h e r c h e u r s précités, FPSE, Univer- ten der Heranwachsenden Rech- Une recherche menée en sité de Genève, 9 route de Drize, nung trägt und zum andern ge- collaboration avec le professeur CH-1227 Carouge/GE. zielt Kompetenzen entwickeln L. Allai (Genève), avec D. Bétrix hilft, die Voraussetzung sind für Köhler (CVRP à Lausanne) et eine eigenständige Nutzung des avec E. Wegmuller (DER laufend sich erweiternden M e - Genève), financée par le FNRS, a Roger Girod dienangebots (Projektdauer: porté sur l'apprentissage scolaire L'illettrisme dans les pays indu- 1997-1999). de l'orthographe, lorsque cet ap- strialisés A d r e s s e n : D e u t s c h e s S e m i n a r der U n i - prentissage spécifique est intégré versität Zürich, Schönberggasse 9, en production textuelle, par di- Un ouvrage qui fait la synthèse C H - 8 0 0 1 Zürich • Höhere Pädagogi- stinction d'un apprentissage ef- des connaissances et des discus- sche Lehranstalt (HPL) des K a n t o n s Aargau, C H - 4 8 0 0 Zofingen fectué en mémorisation de listes sions actuelles sur l'illettrisme, Kontaktperson: A n d r e a Bertschi-Kauf- de mots, en exercices et en dic- phénomène touchant de larges m a n n , e-mail b e r t s c h i k a u f @ a c c e s s . c h tées. Les résultats sont en cours segments de la population dans de traitement. les pays industrialisés vient de Un nouveau projet de recher- sortir dans la collection «Que che va démarrer à la Maison des sais-je» des Presses universitaires Madeleine Saada-Robert Petits en automne 1997. Il vise de France. L'auteur soutient que Présentation du travail de re- deux buts: le phénomène s'explique, du cherches 1. compléter la démarche d'en- moins partiellement, par dif- menées par l'équipe d e L. Rie- trée dans l'écrit pratiquée en férents facteurs. b e n et M . S a a d a - R o b e r t à classe, par une situation didac- 1. La baisse de la valeur symboli- l'Université d e Genève (Fpse) tique de lecture/écriture qui per- que des connaissances de base: met aux enfants de 4 ans (1 ère si, à l'époque de la mise en place Depuis plusieurs années, l'équipe année enfantine) d'aborder ac- de l'instruction publique, les con- s'intéresse aux débuts de l'ap- tivement les propriétés du systè- naissances de base (lire, écrire, prentissage de la lecture / écritu- me de la langue écrite française calculer) étaient considérées re, chez les jeunes enfants de 5 2. comprendre, du point de vue comme la marque d'un progrès et 6 ans. Nous avons travaillé es- de la recherche, quelle est l'évo- en dignité et en indépendance sentiellement dans les écoles lution des stratégies de lecture et d'esprit, elles ne retiennent au- avec des enseignantes, dans une d'écriture dites "émergentes". jourd'hui plus beaucoup l'attenti- perspective à la fois d'enseigne- En situation interactive avec l'a- on. Cette dernière se focalise sur ment et de recherche. Après dulte, les enfants de cet âge le bac et les études universitaires; avoir élaboré des situations di- peuvent déjà "lire" des livres illu- les connaissances de base sont dactiques correspondantes à une strés, en faisant des hypothèses censées aller de soi et être démarche large de cet apprentis- aussi bien sur le contenu et le maîtrisées par tout le monde, sage, l'équipe a mis en évidence sens de l'histoire que sur les dès l'enfance. les stratégies de lecture et d'écri- composantes lexicales et du code 2. Le degré limité de l'utilité pra- ture que les enfants construisent alphabétique. Les enfants de cet tique du savoir lire et écrire pour et utilisent dans les situations. âge peuvent également "écrire" une large partie de la populati- Puis elle a récemment analysé les des textes brefs, leur "écriture" on: beaucoup d'activités, profes- interventions de l'enseignant, in- progressant des traces graphi- sionnelles ou, à plus forte raison, terventions interactives de dif- ques vers des orthographes de de loisirs ne présupposent pas de férents types et guidés par quel- plus en plus normées. compétences en la matière. ques principes fondamentaux. Les relations entre acquisition 3. Le fait que beaucoup d'adul- L'équipe est actuellement oc- de la lecture et de l'écriture don- tes arrivent facilement à cacher cupée à mettre au point l'explici- nent lieu à des travaux de plus leur illettrisme. tation de la démarche didactique en plus nombreux, et cette re- 4. La facilité avec laquelle il sem- 5
ble possible aujourd'hui de con- cherches pédagogiques (CVRP). sche Gebietssprache in den letz- tourner les obstacles découlant La recherche a procédé selon la ten Jahren zur Minderheitsspra- de l'illettrisme. méthode «prétest - intervention che geworden. Trotz dieser be- 5. Un manque de motivation, - posttest»; trois classes du mê- reits vor Jahren eingeleiteten Ent- conséquence de la baisse du pre- me degré, situées dans un autre wicklung hat die Gemeinde bis stige social dont bénéficiaient établissement scolaire, ont servi jetzt am "romanischen Kinder- autrefois ces compétences. de groupes témoins. garten" und an der "romani- Dans ses conclusions, l'auteur Le présent rapport, qui s'a- schen Volksschule" festgehalten. souligne que la lutte contre l'il- dresse en priorité aux enseig- Einerseits wird mit der roma- lettrisme n'est porteuse de nants du secondaire et à leurs nischen Schule durchaus eine Er- succès que si elle parvient à mo- formateurs, relate les résultats de ziehung hin zur Zweisprachigkeit tiver les personnes, si possible cette expérience. Il présente les der Schülerinnen und Schüler dès l'âge scolaire, pour la lecture: activités et les démarches entre- angestrebt. Andererseits werden selon lui, dans un pays industria- prises dans les classes con- aber oft vermeintliche oder tat- lisé (dans le Tiers Monde, les cernées, un bilan du savoir écrire sächliche Mängel bei der sprach- choses sont évidemment dif- des élèves de 6e année secondai- lichen Entwicklung der Kinder férentes), un enfant ou un adulte re, l'analyse des productions et der romanischen Schule ange- qui a le ferme désir de savoir ce des progressions de 15 élèves, et lastet. In den vergangenen Jahr- qui se cache derrière les messa- enfin une typologie des progrès zehnten haben sich Lehrperso- ges et les textes écrits ne sera qu'il est possible de susciter à ce nen und Sprachkenner wieder- pas un illettré. degré. Il montre comment les holt mit der Frage der Unter- Quelle: Information Bildungsfor- élèves tirent profit d'un enseig- richtssprache in den Oberengadi- schung, Aarau nement de l'écrit bien structuré, ner Volksschulen kritisch ausein- G i r o d , Roger. L'illettrisme. Paris: Pres- tout en soulignant la difficulté andergesetzt. Bisher wurde aber ses universitaires de France, 1 9 9 7 , 127 qu'il y a à mener un tel enseig- keine Lösung gefunden, die für p. ( Q u e sais-je) nement dans les classes où les die Schülerinnen und Schüler R o g e r G i r o d est professeur h o n o r a i r e d e s o c i o l o g i e à l'Université d e Genève compétences des élèves sont très bessere Bedingungen hätte 9 R o u t e d e Drize, C H - 1 2 2 7 C a r o u - hétérogènes. schaffen können. ge/GE Q u e l l e : Information B i l d u n g s f o r - Mit der vierjährigen Erpro- schung, Aarau bung einer gezielten Förderung O n t pris part à la recherche: Clairelise der romanisch-deutschen Zwei- B o n n e t , c h e r c h e u s e ; N a t a c h a Huser, J. Clairelise Bonnet sprachigkeit wird nun eine ganz- B a r h o u m i , F. Russi, e n s e i g n a n t e s Apprendre à écrire en 6e heitliche Lösung angestrebt, die P u b l i c a t i o n : B o n n e t , Clairelise; Huser, U n e expérience d ' e n s e i g n e - N a t a c h a . A p p r e n d r e à écrire en 6e. alle Stufen vom Kindergarten bis m e n t intensif de l'expression L a u s a n n e : CVRP, 1 9 9 6 , 9 9 + XLVI p. zur Volksschuloberstufe einbe- (CVRP 96.4). écrite zieht. Durch die Förderung der A d r e s s e : C e n t r e v a u d o i s de recherches romanisch-deutschen Zweispra- p é d a g o g i q u e s (CVRP), rue M a r t e r e y Pendant cinq mois et dans le mê- 5 6 , C H - 1 0 0 5 L a u s a n n e , t é l . 021 / 3 1 6 chigkeit im Kindergarten und in me établissement scolaire, trois 36 36 der Volksschule sollen die Eltern enseignantes ont mené, sur l'in- den Wert der Mehrsprachigkeit stigation d'une d'entre elles, une für die Entwicklung und Bildung expérience d'enseignement in- ihrer Kinder erkennen und sie in tensif de l'expression écrite dans Christian Sulser ihrer Lernsituation unterstützen leurs classes de 6e secondaire Ein Schulversuch in Samedan können. (une classe de la division termi- 1996-2000 Unabhängig von ihrer Erst- nale, une autre de la division Förderung der romanisch- sprache sollen alle Kinder die supérieure et une enfin de la di- d e u t s c h e n Z w e i s p r a c h i g k e i t in Mehrsprachigkeit als eine Berei- vision prégymnasiale, chaque fi- der V o l k s s c h u l e u n d im K i n - cherung erleben dürfen. Es soll lière du degré secondaire I vau- dergarten von Samedan. bei ihnen ein fortgeschrittenes dois étant donc représentée), ac- Sprachverständnis geweckt wer- ceptant que l'expérience soit ob- Wie in mehreren Gemeinden des den, das durch eine einsprachige servée et analysée par une cher- Oberengadins ist auch in Same- Schulbildung nur schwer zu er- cheuse du Centre vaudois de re- dan die angestammte romani- reichen ist. A m Ende der obliga- 6
torischen Schulpflicht dürfte eine In der Primarschule wird in- welche die Autorin in ihrer Dis- ausgewogene Mehrsprachig- nerhalb einer einzelnen Lektion sertation zu beantworten sucht, keitskompetenz den Jugendli- nur eine Unterrichtssprache ge- sind folgende: Wie ist das NLP- chen gute Bildungschancen in ei- sprochen. Das Fach Mathematik Strategiekonzept im Vergleich nem mehrsprachigen Land eröff- wird ausschliesslich in romani- zur kognitivistischen Lernstrate- nen. scher Sprache erteilt. Alle Kinder gieforschung zu beurteilen? Im Schulprojekt sollen folgen- erhalten vier bis fünf Wochenlek- Und, konkreter: Wie unterschei- de Prinzipien gelten: tionen Romanischunterricht. In den sich erfolgreiche und nicht 1. Für den Erwerb der roma- der ersten bis dritten Klasse er- erfolgreiche Textverarbeiter, die nisch-deutschen Zweisprachig- halten alle Kinder ein bis zwei ein NLP-Training absolviert ha- keit nach dem Prinzip der Immer- Wochenlektionen, ab der vierten ben, beim verstehenden Lesen sion - wonach in verschiedenen Klasse drei bis vier Wochenlektio- von Texten hinsichtlich ihrer Lern- Fächern die Fremdsprache als nen Deutschunterricht. Der A n - strategien? Unterrichtssprache verwendet teil an romanischer Unterrichts- In ihren Überlegungen zur er- wird - steht die gesamte Dauer sprache in den Fächern Sachun- sten Frage postuliert die Autorin des Kindergartens und der Volks- terricht, Heimatkunde, Realien, unter anderem die Notwendig- schule zur Verfügung. Zeichnen, Schreiben, Singen, Tur- keit, dass sich NLP bezüglich sei- 2. Der Erwerb der Mehrsprachig- nen und Handarbeit liegt zwi- ner prioritären Ausrichtung am keit schliesst die Pflege der Erst- schen 6 0 % und 7 5 % . Nützlichkeitsprinzip Gedanken sprache mit ein. In der Oberstufe wird der ro- machen müsste; falls das Kon- 3. Die mehrsprachige Schulung manische Sprachunterricht wei- zept in Zukunft auch in wissen- wird bei der Leistungsbewertung tergeführt und der Unterrichts- schaftlichen Kreisen auf Aner- berücksichtigt. stoff vorwiegend zweisprachig kennung stossen wolle, müsse 4. Im Unterricht wird durch fle- vermittelt. NLP theoretischen Fragestellun- xible Gestaltung, Binnendifferen- K o n t a k t a d r e s s e : C h r i s t i a n Sulser, gen mehr Platz einräumen und zierung und ausgeprägte Schüle- Pädagogische Arbeitsstelle des Erzie- sich vergleichenden Evaluationen h u n g s - , Kultur- u n d U m w e l t s c h u t z d e - rinnen- und Schülerbezogenheit öffnen. Es scheint auch, dass un- p a r t e m e n t s G r a u b ü n d e n , Quaderstr. auf die unterschiedliche Sprach- 17, C H - 7 0 0 0 Chur, Tel. 081 2 5 7 2 7 13 genügend ausgebildete Personen entwicklung der einzelnen Kin- unter dem NLP-Label Dinge tun, der Rücksicht genommen. welche das Konzept diskreditie- 5. Die mehrsprachige Schule ist ren. Hier müsste entweder mehr bezüglich des unterschiedlichen Corinna Henning Kontrolle durch ein zu imple- Leistungsvermögens der Kinder Neurolinguistisches Program- mentierendes NLP-Gremium integrativ angelegt. mieren stattfinden oder der Zugang zu 6. Die Entwicklung des zweispra- Lernstrategien unter besonde- NLP-Ausbildungen selektiver ge- chigen Unterrichts im Kindergar- rer Berücksichtigung des ver- staltet werden. ten und in der Schule wird durch s t e h e n d e n Lesens Was die zweite Frage betrifft, gezielte Fort- und Weiterbildung so hat die Untersuchung der der Lehrkräfte unterstützt. Das Neurolinguistische Program- NLP-Strategien am gewählten 7. Kindergarten, Schule und mieren (NLP) war ursprünglich Beispiel die Ergebnisse der kogni- Eltern unterstützen sich gegen- vor allem ein psychotherapeuti- tivistischen Lernstrategiefor- seitig in der mehrsprachigen Er- scher Ansatz; im Verlauf der letz- schung im wesentlichen be- ziehung der Kinder. ten Jahre ist es aber mehr und stätigt. Erfolgreiche Textverarbei- 8. Das Schulprojekt wird durch mehr in den pädagogischen Be- ter unterschieden sich von den eine wissenschaftliche Beglei- reich eingedrungen. Die vorlie- nicht erfolgreichen stark da- tung abgestützt. gende Dissertation* an der durch, dass sie sich bedeutend Hochschule St. Gallen stellt dar, mehr innere Bilder machten. Ein Der Aufbau des Schulver- was NLP ist, beschreibt die wich- für die Schule interessantes Er- suchs: tigsten Begriffe und Vorgehens- gebnis ist, dass die sogenannte Im Kindergarten werden die weisen und vergleicht NLP mit Subvokalisation (d. h. das Mit- verschiedenen Erstsprachen, so- den gebräuchlichen Lernstrategi- sprechen des zu lesenden Textes, wie die romanische und deut- en auf kognitivistischer Grundla- wobei dieses Sprechen auch sche Konversation gefördert. ge. Die beiden Hauptfragen, bloss in unhörbaren Bewegun- 7
gen der Sprechmuskulatur beste- Cornelia Rosebrock Daten werden Fallstudien zum hen kann) für das Verstehen of- Lesen für die Schule und seine Verhältnis von Lektüreerfahrung fensichtlich hinderlich ist. Mit an- Funktion in der literarischen So- und Literaturunterricht erstellt deren Worten ist das Lautlesen zialisation Jugendlicher und ausgewertet, aus denen die im Unterricht also nicht dazu an- Ein Forschungsprojekt des Le- relevanten Fragenhorizonte und getan, das Leseverständnis zu s e z e n t r u m s an der Pädagogi- Hypothesen zum Status des insti- fördern. schen Hochschule H e i d e l b e r g tutionell angeleiteten Lesens in Quelle: Information Bildungsfor- den Prozessen literarischer Sozia- schung, Aarau Das Lesezentrum plant ein For- lisation in der Mediengesellschaft * H e n n i n g , Corinna: Neurolinguisti- schungsprojekt zum Thema "Le- gewonnen werden. Untersucht sches P r o g r a m m i e r e n u n d Lernstrate- sen für die Schule und seine werden soll dabei auch, inwie- gien unter b e s o n d e r e r Berücksichti- g u n g v o n Lernstrategien b e i m verste- Funktion in der literarischen So- fern die Wechselwirkung zwi- h e n d e n Lesen - ein Vergleich u n d eine zialisation Jugendlicher." In sei- schen Freizeitlesen und schuli- e m p i r i s c h e A n a l y s e . St. G a l l e n : H o c h - schem Lesen durch die G e - nem Rahmen sollen bei Schülern s c h u l e St. G a l l e n f ü r W i r t s c h a f t s - , Rechts- u n d S o z i a l w i s s e n s c h a f t e n , und Schülerinnen der 8. Klasse schlechtsspezifik beeinflusst ist 1 9 9 5 , 3 9 2 S. (Diss. St. G a l l e n ; 1737) Daten zu ihrer Lektüreerfahrung und welche Bedeutung dem Le- Adresse: Corinna Walser-Henning, mit einem ausgewählten Jugend- sen im gesamten Ensemble der Forchstrasse 2 4 , C H - 8 7 0 4 Herrliberg, buch, zu ihrer Lese- und Medien- Medienrezeption zukommt. Tel. 01 / 91 5 3 4 3 0 sozialisation, zu ihren Lese- und Das Projekt soll im Frühjahr Lernprozessen bei der Behand- 98 mit der empirischen Arbeit lung des Buches im Literaturun- beginnen und eine Laufzeit von terricht und zur Modifikation ih- etwa drei Jahren umfassen. rer Primärrezeption durch den Li- A d r e s s e : L e s e z e n t r u m an der Pädago- teraturunterricht erhoben wer- gischen H o c h s c h u l e H e i d e l b e r g , K e p - lerstr. 8 7 , D - 6 9 1 2 0 H e i d e l b e r g den. Auf der Grundlage dieser Evi Graf der Schriftsprache aufweisen. Sie Legasthenie, Lese-Rechtschreib-Schwäche beziehen sich auf die Verarbei- Leseschwierig- Ein prozessanalytischer A n s a t z tung von einzelnen Wörtern (die Satz- und Textebene wird ver- keiten Die Suche nach brauchbaren A n - sätzen für Diagnostik und Thera- nachlässigt). Aus den heute vorliegenden pie im Bereich der Lese-Recht- Untersuchungen an Kindern und schreib-Schwäche (LRS) erweist Jugendlichen mit einer LRS las- sich oft als sehr unbefriedigend. sen sich allerdings keine eindeu- Dies ist zurückzuführen auf das tigen Hinweise auf neurologische Fehlen eines Ansatzes, der so- Ausfälle als Ursache ableiten. Es wohl ausreichende theoretische wird nachgewiesen, dass die A n - Grundlagen als auch praktische wendung der Prozessmodelle der Relevanz aufweist. kognitiven Neuropsychologie im In meinem Buch wird gezeigt, Entwicklungsbereich dennoch ei- dass die Prozessmodelle der ko- nen geeigneten theoretischen gnitiven Neuropsychologie einen Ansatz darstellt. Allerdings sind geeigneten theoretischen und wesentliche Ergänzungen not- empirischen Ansatz darstellen. wendig, d.h. es müssen weitere Diese sind aus der Arbeit mit Pa- funktionelle Komponenten, wie tienten entstanden, die als Folge insbesondere das Arbeitsge- einer erworbenen Hirnschädi- dächtnis, einbezogen werden. gung Schwierigkeiten im Bereich Damit lassen sich nicht nur die 8
Prozesse beim Lesen und Schrei- Barbara Riedi-Brüesch funktionalen Analphabetismus, ben, sondern auch phonologi- Funktionaler Analphabetismus die Möglichkeiten der Didaktik sche und visuelle Verarbeitungs- und die Didaktik der Kernideen der Kernideen sowie das Trans- prozesse untersuchen, die als Eine A n a l y s e mit Hilfe des aktionsmodell von HERZOG als Voraussetzung für den erfolgrei- Transaktionsmodells von Arbeitsinstrument. chen Schriftspracherwerb gelten. HERZOG* Dieses Transaktionsmodell be- Daneben gehe ich besonders ruht auf einer neueren Sicht von ein auf die verschiedenen im Wir leben in einer Gesellschaft, Entwicklung, die sich wesentlich englischen Sprachraum postulier- in der die Weitergabe von Tradi- unterscheidet von den her- ten Entwicklungsmodelle des Le- tion und Wissen, sowie ein gros- kömmlichen phasengenormten sens und Schreibens. Die beiden ser Teil der Kommunikation im Entwicklungstheorien. Es ist der eben genannten theoretischen privaten und im öffentlichen Be- Ansatz des " C o p i n g M a n " , der Ansätze weisen auf die enge reich in schriftlicher Form erfolgt. gestützt auf die biologischen Verknüpfung von Lesen und Daraus ergibt sich die gesell- Forschungserkenntnisse PIAGETs Schreiben hin, die von Praktikern schaftliche Anforderung an das das Lebewesen als aktiven Orga- oft festgestellt wird, aber nicht Individuum, Lesen und Schreiben nismus und Subjekt seiner Ent- näher erklärt werden kann. zu beherrschen, um vollumfäng- wicklung sieht. Entwicklung fin- Im Gegensatz zu früheren A n - lich am kulturellen und sozialen det dann statt, wenn eine situati- sätzen, die sich auf sogenannte Leben teilnehmen zu können. ve Störung oder Forderung er- legasthenietypische Fehler (z.B. Als Hilfestellung zum Erlernen folgreich bewältigt werden kann. Verwechslung von visuell ähnli- dieser in einer Industriegesell- Das Modell strukturiert den chen Buchstaben) konzentriert schaft so wichtigen Kulturtechni- Entwicklungsvorgang, indem es haben, wird hier eine differen- ken hat die Gemeinschaft die die transaktionale Beziehung zierte Analyse der komplexen pädagogische Institution Schule zwischen den situativen Gege- Prozesse vorgeschlagen, die das geschaffen. Lange Zeit bestand benheiten und den individuellen Lesen und Schreiben erst ermög- überhaupt kein Zweifel, dass die Strategien der Person in einem lichen. Dies erfolgt aufgrund der Schule diese Aufgabe erfülle, modalen Zeitverständnis auf- im "neutralen Prozessmodell" und dass nur minderbegabte zeigt. postulierten kognitiven Kon- Kinder nicht imstande seien, Le- Innerhalb dieser Dimensionen strukte, die für verschiedene sen und Schreiben zu lernen. möchte ich meine Fragestellung funktionelle Komponenten ste- Erst in den letzten fünfzehn diskutieren: Kann die Didaktik hen. Es wird gezeigt, dass spezi- Jahren zeigte sich immer deutli- der Kernideen dazu beitragen, fische Aufgabentypen, die die cher und auch unübersehbar, funktionalen Analphabetismus phonologischen und visuellen dass es eine beachtliche Zahl von zu vermeiden? Verarbeitungsprozesse sowie Le- funktionalen Analphabeten gibt: Der funktionale Analphabetis- sen und Schreiben repräsentieren Männer und Frauen, welche die mus ist ein Phänomen, das unse- bzw. erfassen, nur dann gelöst obligatorischen Volksschulklas- re Gesellschaft eher zurückhal- werden können, wenn die postu- sen absolviert haben und trotz- tend und verglichen mit andern lierten Komponenten im Lauf der dem nur mangelhaft oder über- Ländern zeitlich verzögert wahr- Entwicklung aufgebaut wurden haupt nicht lesen und schreiben nimmt. Zwar ist in den letzten und verfügbar sind. In der Folge können. Wie kommt das? Jahren auch bei uns ein breites ist es möglich, gezielte Aussagen Wer hat hier versagt, die Spektrum von Literatur zum The- über individuelle Stärken und Schule oder das Individuum? ma erschienen. Von verschiede- Schwächen von Kindern mit ei- In meiner Lizentiatsarbeit ha- nen Standpunkten her wurden ner LRS zu machen, woraus Hin- be ich versucht herauszufinden, Studien durchgeführt und Theo- weise auf die Förderung abgelei- w o in diesem Zusammenspiel rien erarbeitet. Ich habe mich auf tet werden können. von Individuum, Schule und si- Literatur beschränkt, in der die Evi Graf : Lese-Rechtschreib-Schwäche. tuativen Gegebenheiten ange- verschiedenen Erscheinungsfor- Ein prozessanalytischer A n s a t z . B e r n , setzt werden könnte oder müs- men und die Komplexität der Ur- 1 9 9 4 : L a n g . 3 8 2 Seiten. ste, um funktionalen Analphabe- sachen im Zentrum der Untersu- A d r e s s e : PD Dr. phil. E. Graf, A . Gress- ly-Str. 2 7 , C H - 4 5 0 0 S o l o t h u r n , Tel. G . : tismus zu vermeiden. chungen stehen. 0 3 2 / 6 2 2 2 2 21 Die Arbeit hat drei Schwer- Wegen der immensen Bedeu- punkte: die Problematik des tung, welche die Kulturtechniken 9
Lesen und Schreiben in unserer tion Schule ein wesentlicher Fak- die Autoren grundsätzlich ab Gesellschaft haben, sind funktio- tor in diesem Problemkreis ist. Es vom segmentierten Unterricht, nale Analphabeten weitgehend ist nötig, dass die Schule das von der Sicht, die Lernenden sei- ausgeschlossen von der Teilnah- Phänomen wahrnimmt und sich en ein leeres Gefäss, das portio- me an der gesellschaftlichen bemüht, das ihr Mögliche zu nenweise gefüllt werden müsse, Kommunikation; ihre beruflichen tun, damit das Entstehen von wobei immer nur ein kleiner Teil Möglichkeiten sind sehr einge- funktionalem Analphabetismus des zu erarbeitenden Stoffes zu schränkt; sie leben in dauernder vermieden wird. sehen ist. Dem Lernenden fehlt Angst vor "Entdeckung" (Presti- Eine solche von mir vermutete die Übersicht aufs Ganze. Wissen geverlust) und sind im Bereich Möglichkeit ist die Didaktik der wird so einfach aufsummiert und des öffentlichen Lebens auf Hilfe Kernideen. Ich habe sie stellver- soll dann bei Abruf in der einge- von andern angewiesen. Die Ent- tretend für all jene Unterrichts- gebenen Form reproduziert wer- stehungsbedingungen von funk- theorien gewählt, bei denen das den. Bei Schwierigkeiten liegt tionalem Analphabetismus sind 'Lernen auf eigenen Wegen' im das Versagen eindeutig beim Ler- sehr komplex. Meistens ist es ein Zentrum steht. Ich stütze mich nenden, weil die Norm das ge- Zusammentreffen von verschie- dabei auf den Text "Sprache und eichte, mit Laborexperimenten denen Faktoren, die sich gegen- Mathematik in der Schule" von 'bewiesene' Programm ist. GAL- seitig potenzieren. Die Erfor- GALLIN und RUF (1990). Sie se- LIN und RUF bezeichnen diese schung der Ursachen ist ein noch hen den Menschen als Subjekt Art von Unterricht als 'inhuman', laufender Prozess. Nach der Lek- seiner Erkenntnis. Erkenntnisge- weil sie den Lernenden das Recht türe einer umfangreichen Litera- winnung setzt dort an, w o Neu- auf ihre individuellen Denk- und tur zu objektiv wie subjektiv er- es als Unstimmigkeit mit den bis- Handlungsstrukturen verweigert. forschten Ursachen kristallisieren herigen Erfahrungen wahrge- In welcher Weise könnte ein sich zwei hauptsächliche Schwer- nommen wird und zur Folge hat, Unterricht in der Art der Didaktik punkte heraus: erstens Armut dass das bisherige Wissen um- der Kernideen vorbeugende Wir- und Randständigkeit und zwei- strukturiert wird, wobei das kung haben in Bezug auf den tens entwicklungs- und entfal- Neue eingegliedert ist. Damit das funktionalen Analphabetismus? tungshemmende Strukturen in neue subjektive Wissen als allge- Überträgt man einerseits die Familie und Schule. mein gilt, objektiv anerkannt hauptsächlichsten Verursa- Verlernen als Ursache ist nicht wird, bedarf es der sozialen Dis- chungsfaktoren (Unterschichts- sehr einleuchtend. Wirklich Le- kussion. Irrtümer und deren Kor- sprache, Fremdsprachigkeit, sen und Schreiben können rektur sind dem Erkenntnispro- mangelnde emotionale Zuwen- scheint mir vergleichbar mit Velo- zess inhärent. dung und Achtung der Persön- fahren oder Schwimmen kön- Das Selbstbild der Lehrkraft lichkeit, Randständigkeit etc.) nen. M a n kann wohl aus der ist hier nicht mehr das einer hier- wie auch die Hauptmerkmale der Übung kommen, aber die Fähig- archisch höherstehenden Person, Didaktik der Kernideen (Umkehr keit an sich verschwindet da- die den Lehrstoff nach den ihr ei- der Verstehenspflicht, Respektie- durch nicht und kann wieder ak- genen Denkstrukturen so seg- rung und Gleichwertigkeit der tiviert werden. mentiert, wie er ihrer Meinung individuellen Denk- und Hand- Es gibt auch Autoren, die als nach für Schülerinnen und lungsstrukturen des Kindes, Ursachen organische Defekte se- Schüler fass- und nachvollziehbar grosszügig bemessener Zeitraum hen. Sie mögen in vielen Fällen ist. Die Lehrkraft muss die Per- um eine Mindestanforderung zu als Faktor eine Rolle spielen und spektive der Lernenden einneh- bewältigen) auf das Modellraster, es ist gut, dass auch Forschun- men können, deren individuellen so ist ersichtlich, dass diese Berei- gen in diesem Bereich stattfin- Denk- und Handlungsstrukturen che in einen sich positiv beein- den. als gleichwertig respektieren und flussenden Zusammenhang Lange hat die Pädagogik die ihnen auf ihrem eigenen Weg gebracht werden können. Auseinandersetzung mit dem zur Erkenntnis punktuelle Hilfe Lesen und Schreiben lernen funktionalen Analphabetismus in leisten. Nicht die Lernenden ist eine normative Entwicklungs- den Bereich der Sonder- oder müssen die Sprache des Lehren- aufgabe unserer Gesellschaft. Heilpädagogik verwiesen. Immer den verstehen, sondern die Ver- Damit das Kind diese Forderung deutlicher aber zeigt sich, dass stehenspflicht wird der Lehrkraft bewältigen kann, gilt es in erster auch die gesellschaftliche Institu- übertragen. Damit grenzen sich Linie keine Stresssituation auf- 10
kommen zu lassen, sondern eine fürs l e r n e n auf eigenen W e g e n ' hinter sich. Sie hatte drei Jahre Atmosphäre zu schaffen, in der entscheiden! lang gelitten, und wir mit ihr. Ihr sich die individuellen Strategien * D i e Lizentiatsarbeit v o n Barbara Rie- Selbstvertrauen hatte sie gründ- (kognitive, emotionale, soziale di-Brüesch w u r d e 1 9 9 4 bei Prof. Dr. lich verloren, sie war depressiv W a l t e r H e r z o g a m Pädagogischen In- Werthaltungen) des Kindes frei geworden und hatte sich in sich stitut der Universität Zürich e i n g e - entfalten können. Sie sind die reicht. Die A u t o r i n arbeitet freiberuf- selbst zurückgezogen. Vor ihren notwendige motivationale Unter- lich in der L e h r k r ä f t e b e r a t u n g u n d - Schulkollegen hatte sie Angst fortbildung. stützung, welche die Bewälti- und fürchtete jeden neuen A d r e s s e : Barbara Riedi-Brüesch, gung der Anforderung ermögli- Schultag. Zur Ruhe kam sie ei- Segantinistr. 2 2 , C H - 7 0 0 0 C h u r . chen. W e n n die individuelle gentlich nur an den Wochenen- Sprache des Kindes (gleich wel- den und während der Ferien. Um cher Schicht) der Schulsprache so schlimmer waren die Abende, gleichwertig ist und die Verste- Susanne Bertschinger bevor sie am nächsten Tag wie- henspflicht bei der Lehrkraft Legasthenie (Dyslexie) der in die Schule musste. Sie liegt, wird es nicht resignieren A u s w i r k u n g e n auf d e n A l l t a g weinte, musste häufig erbrechen und verstummen. Es wird die eines K i n d e s und hatte starke Kopfschmerzen. Möglichkeit nutzen, die Aufgabe In der Freizeit musste sie die glei- mit seinen (bewährten) individu- Der Verband Dyslexie Schweiz ist che Rolle spielen wie in der ellen Strategien und in seinem eine Non-Profit Organisation, Schule, denn ihre Klassenkame- ihm möglichen Tempo anzuge- welche die Interessen von le- raden waren unsere Nachbars- hen und zu lösen (vgl. SCHUPPLI, gasthenischen und dyskalkuli- kinder. "Viola ist dumm und ver- Leseforum 1996.S.45 ff). schen Menschen vertritt. - Über steht nichts". Ein ideales Opfer, So kann ich meine Fragestel- das Phänomen "Legasthenie" um alle möglichen Aggressionen lung positiv beantworten: die Di- ("Dyslexie" im internationalen daran auszulassen. daktik der Kernideen wäre eine Sprachgebrauch) wird in ver- Wir wollten ihr, so gut es Möglichkeit, das Entstehen von schiedenen Fachkreisen disku- ging, mit dem Eintritt in die Mit- funktionalem Analphabetismus tiert. Die Ansichten über Ursa- telstufe zu einer neuen Chance zu vermeiden! chen und geeignete Therapiefor- verhelfen. Sie sollte zu einem So weit so gut. Es gibt meiner men klaffen weit auseinander. Ei- Lehrer kommen, der über sehr Erfahrung nach doch ein Aber. nige Experten gehen sogar so viel pädagogisches Fingerspitzen- Dieses bezieht sich auf die U m - weit, zu behaupten, so etwas gefühl verfügte und für das Pro- setzung in die Praxis dieser theo- wie "Legasthenie" existiere nicht. blem "Legasthenie" viel Ver- retisch aufgearbeiteten Erkennt- Sicher ist, dass eine Fülle von Ele- ständnis aufbrachte. (Sein eige- nis. Aus meiner langjährigen menten dafür verantwortlich ge- ner Sohn kämpfte damit!) praktischen Arbeit weiss ich um macht werden kann. Im Grunde Sie sollte einen totalen Neu- die enormen Schwierigkeiten, hat jede Legasthenikerin und je- anfang machen können und Einstellungsänderungen an ei- der Legastheniker eine individu- kam als einzige aus ihrer Unter- nem beruflichen Selbstbild zu elle Form dieser Lese/ Recht- stufenklasse in dieses Schulhaus. bewirken. Zudem wird in der schreibschwäche. Für Betroffene Während der Sommerferien be- wissenschaftlichen Pädagogik die ist es jedoch völlig gleichgültig, kam sie einen neuen Schulthek cartesianische Subjekt/Objekt- ob sich Fachleute über den Be- mit Etui und Turnsack, alles in Trennung als Metatheorie noch griff "Legasthenie" einig sind ihren Lieblingsfarben. Sie freute nur selten hinterfragt. oder nicht. Sie leiden zum Teil ihr sich riesig! Dazu kam noch ein Andrerseits bin ich aber trotz- ganzes Leben lang unter den Fol- neuer Füller, der viel besser dem zuversichtlich, dass immer gen dieser Schwäche und vor al- schreiben würde als ihr alter. So- mehr Lehrkräfte, gezwungen lem darunter, wie die Gesell- gar neue Schulschuhe wurden durch die zunehmenden berufli- schaft damit umgeht. Sie erwar- angeschafft, da ihre Füsse nun chen Belastungen, sich grund- ten Hilfe und Verständnis. einen neuen W e g gehen wür- sätzlich mit Sinn und Art ihres den. Unterrichts auseinandersetzen Zum Beispiel V i o l a A m letzten Ferientag gab es und sich vermehrt im Interesse noch eine kleine Feier, ähnlich ihrer Schülerinnen und Schüler Unsere Tochter Viola hatte eine der, die wir vor ihrem Schulein- wie auch im eigenen Interesse traumatische Unterstufenzeit tritt vor drei Jahren veranstaltet 11
hatten. A m Abend schlief sie oh- Silvia Herdeg ne ihre sonstigen psychosomati- Lesen und "Lesen und schreiben lernen am schen Störungen ein, aufgeregt und neugierig. Schreiben für Bildschirm" Ein Projekt f ü r Erwerbslose Inzwischen liegen auch diese drei Jahre Mittelstufe hinter uns. Erwachsene Wenn die Arbeitslosenzahlen Unsere Hoffnungen von damals, steigen und die verfügbaren Ar- dass sie durch einen Neuanfang beitsplätze abnehmen, trifft es auch eine neue Chance erhalten neben den Jugendlichen zuerst würde, haben sich erfüllt. jene Erwachsene, deren Kennt- Rückblickend muss ich sagen, nisse und Fähigkeiten besonders dass wir noch sehr viel lernen schwach sind. Unter diesen wie- mussten, vor allem Geduld zu derum sehr schwierig vermittel- haben. Viola kam zwar in ein bar sind die funktionalen Anal- neues Klassengefüge und konnte phabeten, die nie richtig lesen ihre verhasste Rolle zum Teil ab- und schreiben lernten oder deren legen, aber es gab immer wieder Kenntnisse verkümmert sind und auch starke Rückschläge. Ihre bei denen entsprechende Ar- Leistungen besserten sich nur beitsanforderungen Angst und sehr langsam, dafür aber stetig. Scham erzeugen. Um dieser Not- In dieser Klasse war Legas- situation entgegenzuwirken, bie- thenie einfach kein Thema, Dik- tet der "Verein Lesen und Schrei- tate wurden nicht mit dem Rot- ben für Erwachsene" Zürich in stift korrigiert und bei einigen Zusammenarbeit mit dem Kindern am Anfang auch nicht "Schweizerischen Arbeiterlnnen- benotet. Gezählt wurden die hilfswerk" seit Herbst 1994 Kur- richtigen Wörter, so dass sie stolz se an, die von den Arbeitslosen- verkünden konnte : "Ich habe kassen finanziert werden. Diese von 60 Wörtern 35 richtig ge- Kurse sollen den Teilnehmerin- schrieben ! " Auf diese Art wurde nen helfen, ihre Ängste und ein gewaltiger Druck von ihr ge- Schwierigkeiten zu überwinden, nommen und damit auch von sich elementare Fähigkeiten im uns als Familie. Mit dem Anstieg schriftlichen Ausdruck anzueig- ihrer Leistungen kehrte auch ihr nen und das Leseverständnis zu Selbstvertrauen allmählich wie- steigern. So unterschiedlich Vor- der zurück. A m Ende der 6. Klas- bildung und Motivation der Teil- se gehörte sie zum besten Viertel nehmenden sind, so sehr sie sich der Klasse, jedoch ist sie immer in ihren ausgeübten Berufen un- noch starken Stimmungs- und terscheiden, so vielfältig ihre so- Leistungsschwankungen unter- ziale Herkunft und ihr Umfeld ist, worfen. Ihre Legasthenie hat sie so weit gestreut sind auch die nicht überwunden, aber sie hat Gründe, die zu den meist psy- gelernt damit umzugehen. Wir chisch bedingten Schreibblocka- wissen, dass sie in den nächsten den führen. Jahren auch weiterhin ganz stark Für jeden Teilnehmenden be- spüren muss, dass wir sie unter- darf es daher einer auf die per- stützen und auf ihrer Seite ste- sönlichen Verhältnisse zuge- hen. schnittenen Betreuung und eines A d r e s s e : S u s a n n e Bertschinger, Ver- individuell strukturierten Lernpro- b a n d Dyslexie S c h w e i z , Postfach 1 2 7 0 gramms. Dieses wird in enger C H - 8 0 2 1 Zürich Zusammenarbeit zwischen den Kursleiterinnen und den Teilneh- menden in Gruppen- und Einzel- 12
gesprächen erarbeitet, wobei viel Mit der Preissumme haben problembeladenen Schreiben ei- Eigenverantwortung bei der Ge- wir in unserem Kurs zwei Bild- ne neue Leichtigkeit, die motivie- staltung des persönlichen Ar- schirmarbeitsplätze eingerichtet. rend wirkt. beitsprogramms gewährt wird. Wir führen in die Arbeit am Die positive Erfahrung, etwas Wir Kursleiterinnen übernehmen Computer ein. In der vertrauten zu lernen, das die meisten sich in erster Linie beratende Funktio- Atmosphäre der Kleingruppe nie zugetraut hätten, gibt Mut nen, stellen entsprechendes kann die Angst vor dem PC ab- und eröffnet ganz allgemein Lernmaterial bereit, motivieren gebaut und die Bereitschaft für neue Perspektiven, hilft aber und unterstützen bei Bedarf. Hil- die Arbeit am Bildschirm aufge- auch gezielt in einem Bereich, fe zur Selbsthilfe gilt als Leitmotiv baut werden, als Vorbereitung der die Arbeitswelt immer mehr im Kursgeschehen. auf einen regulären, berufsbezo- bestimmt. So kann der Eindruck, Während unserer Arbeit ha- genen Computerkurs. Natürlich ausgegrenzt zu sein - eine ben Rita Emmenegger und ich möchten wir mit der Arbeit am Grundstimmung, die vielen von die Erfahrung gemacht, dass zur PC auch die Lese-und Schreib- unseren Kursteilnehmerinnen ge- Alphabetisierung heutzutage kompetenz fördern. Besonders meinsam ist - durch eine ganz auch die Schulung am Computer geeignet ist das Erstellen von Le- persönliche neue Erfahrung revi- gehört. In verschiedenen Berufen bensläufen und Bewerbungsun- diert werden. (z.B. Magaziner, Spritzlackierer, terlagen am PC, denn es macht A d r e s s e : Silvia H e r d e g , M i n e r v a s t r a s s e Kassiererin, Servicemitarbeiterin) die Teilnehmerinnen unabhängig 4 6 , C H - 8 0 3 2 Zürich ist der Arbeitsalltag stark durch von Hilfe im Familien-und Be- die Tätigkeit am Computer be- kanntenkreis. stimmt. Wir stellten fest, dass die In unserem diesjährigen Früh- Kursteilnehmerinnen mit ent- lingskurs haben wir nun erste Er- Eliane Niesper sprechenden Berufen ohne C o m - fahrungen mit unserem Projekt Der Lernkiosk puterkenntnisse kaum Chancen gemacht. Mehr als die Hälfte der Ein Projekt des V e r e i n s Lesen hatten, eine neue Stelle zu fin- Teilnehmerinnen hatte noch nie u n d Schreiben f ü r E r w a c h s e n e den. Wir erlebten auch, dass ge- an einem PC gearbeitet. Nach (VLSE) rade unsere Zielgruppe beson- anfänglichen Widerständen ver- ders grosse Ängste hat, am PC suchten sie ihren persönlichen Seit über zehn Jahren sind der zu arbeiten, und sich infolgedes- Lebenslauf mittels eines von uns Verein Lesen und Schreiben für sen nicht zutraut, einen regulä- speziell vorbereiteten Rasters ein- Erwachsene (VLSE) und die wel- ren Computerkurs zu besuchen. zugeben, mit unserer Hilfe oder sche Schwesterorganisation As- Diese Beobachtungen moti- mit der Hilfe von schon compu- sociation Lire et Ecrire (ALE) in vierten uns, ein Projekt für den tererfahrenen Kurskolleginnen. der Grundausbildung für Er- vom Schweizerischen Komitee Das gelang gut und motivierte wachsene tätig. zur Bekämpfung des funktiona- zu weiteren Versuchen. Nun wer- Aber da ja Lesen in unserem len Analphabetismus (Nationale den Musterbewerbungen ge- Bereich " n u r " der Anfang ist, schweizerische UNESCO-Kom- schrieben; es wird gelernt, diese wurden wir immer wieder von mission) ausgeschriebenen Wett- dem jeweiligen Inserat anzupas- Privatpersonen und Institutionen bewerb " A L P H A 9 6 " einzurei- sen. Die Teilnehmerinnen ma- nach weiteren Bildungsmöglich- chen. Das Ziel dieses Wettbe- chen die Erfahrung, dass das keiten für Lernungewohnte und werbs war die Förderung von Bil- Schreiben am PC leichter geht als ungenügend qualifizierte Er- dungsprogrammen für Erwerbs- mit der oft verkrampften Hand- wachsene angefragt. Dies brach- lose, die aufgrund ihrer Lese- schrift. Auch ist es einfacher, die te uns auf den Lernkiosk - ein und Rechtschreibprobleme nur Wortbilder am PC auf ihre Rich- Projekt, das sich dank der Wei- mit grosser Mühe die Wiederein- tigkeit zu prüfen als bei der oft terbildungsoffensive des BIGA gliederung ins Berufsleben schaf- schwer leserlichen Handschrift. realisieren liess. fen. Zu unserer Freude fand sich Mit einem neuen Medium Der Lernkiosk sammelt A n g a - unter den zwei ausgezeichneten Schreiberfahrungen zu machen ben über Aus- und Weiterbil- Projekten neben einer Arbeit aus lässt Angst und Hemmungen in dungsmöglichkeiten für Erwach- Genf auch unser Projekt "Lesen den Hintergrund treten. Das sene mit mangelhaften Grund- und schreiben lernen am Bild- Spielerische beim Computer- qualifikationen und gibt sie wei- schirm". schreiben gibt dem meist sehr ter. Dabei fängt es natürlich wie- 13
Sie können auch lesen