LESEN LERNEN MIT BILDERBÜCHERN UND ANLAUTSCHRIFTEN ALS ERGÄNZUNG ZU HERKÖMMLICHEN LESELERNVERFAHREN - PAEDALOGIS
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Aus Gründen der einfacheren Lesbarkeit wird auf geschlechtsspezifisch differenzierende Formu- lierungen (z.B. der Lehrer/die Lehrerin) verzichtet. Die verwendete männliche Form gilt im S inne der Gleichbehandlung grundsätzlich für Frauen wie Männer gleichermaßen. KARIN REBER, MÜNCHEN Lesen lernen mit Bilderbüchern und Anlautschriften als Ergänzung zu herkömmlichen Leselernverfahren Abstract: Als Ergänzung zur Anlauttabelle für den Bereich Schreiben wer- sen: Gerade wenn in Zeiten der Inklusion den im Beitrag Anlautschriften für den Bereich Lesen vorgestellt: Diese un- terstützen die Kinder bei der Ausbildung der Graphem-Phonem-Korrespon- Lerngruppen immer denz und ermöglichen es, im Unterricht bereits zu Beginn der 1. Klasse heterogener werden, einfache Bilderbücher oder Arbeitsaufträge zu lesen. Beispielhaft wird zumüssen Lehrer ver- einem Fibellehrgang eine ergänzende Bilderbuchauswahl für den Anfangs- mehrt statt des gleich- unterricht vorgeschlagen. Didaktische Einsatzmöglichkeiten der Anlaut- schrittigen Frontalun- schriften werden aufgezeigt. Erste Forschungsergebnisse sprechen für den terrichts offene Unter- Einsatz von Anlautschriften im Unterricht. richtsformen wählen, um den individuellen SCHLÜSSELBEGRIFFE: Anlautschriften, Anlauttabelle, Bilderbuch, Fibel, Lernwegen der Kinder Leselernverfahren, Graphem-Phonem-Korrespondenz, Sprachförderung gerecht zu werden. Materialien zum ei- 1 Motivation genaktiven Lernen wie Arbeitshefte und Ar- beitsblätter gewinnen an Bedeutung. Lässt In fast allen methodisch-didaktischen Kon- man individuelle Lernwege bereits ab Klasse 1 zepten für die 1. Klasse (Fibelwerke, Spracher- zu, müssen die Kinder sich auch Arbeitsan- fahrungsansatz nach BRÜGELMANN/BRINK- weisungen selbst erlesen. Hier beginnt die MANN 2001 bzw. BRINKMANN 2011 oder Krux: Nicht alle können dies zu Beginn! Trotz- „Lesen durch Schreiben“ nach REICHEN dem finden sich in beinahe allen Arbeitshef- 2001) ist derzeit eine Anlauttabelle fester ten, sogar bei Vorkursen zum Buchstabenlehr- Werkbestandteil, teilweise neben weiteren gang, schriftliche Arbeitsanweisungen. Medien und Vorgehensweisen, teilweise als Das Problem setzt sich in den Fibellehrwerken Leitmedium. Sobald die Kinder das zugrunde fort: Da das Buchstabeninventar nur langsam liegende Prinzip verstanden haben, können anwächst, findet man besonders zu Beginn sie bereits vor Abschluss des Buchstabenlehr- der Lehrgänge dadaistische Auswüchse: un- gangs eigene Wörter und kleine Geschichten übliche Namensgebungen (z.B. Fibel „Fara verfassen. und Fu“, Schroedel Verlag 2011), unüblichen Wortschatz relativ früh sowie starre Wortfol- Problematischer gestaltet sich der Bereich Le- gen (z.B. „Mo holt Tap“, „Mi holt Lotta“: 4/12 31
Beiträge „Löwenzahn und Pusteblume“, Schroedel Idealerweise sollten das genau diejenigen An- Verlag 2008) und wenig spannende Texte lautbilder sein, die auch in der im Unterricht bzw. kaum echte Kinderliteratur. Dies lässt verwendeten Anlauttabelle abgebildet sind. sich im Sinne dieser Fibelkonzeptionen aller- Gerade für Risikokinder lassen sich so Syner- dings fast nicht vermeiden, wenn man auf gieeffekte erzielen. Mehrgliedrige Buchstaben große ganzheitliche Leseanteile verzichten (Mehrgraphe wie oder ) sollten möchte, was besonders für schwächere Schü- nicht als Einzelbilder, sondern gemeinsam ler oder Kinder mit Migrationshintergrund durch ein Bild repräsentiert sein. Eine zusätzli- wichtig ist (HERFF 1993). che Kennzeichnung durch einen Bogen dar- unter hilft Erstlesern beim Finden der Gra- Sich damit zu behelfen, den Kindern für das phemgrenzen. Orthographische Besonderhei- Lesen die Anlauttabelle als Hilfestellung anzu- ten und Laute, die im Wort nicht im Anlaut bieten, muss aus zweierlei Gründen scheitern: enthalten sind, werden durch Denkblasen von Das Verlassen des aktuellen Lesewortes für echten Anlauten unterschieden. Mit Hilfe der einen mehr oder weniger kurzen Blick auf die Schriftfarben lassen sich zusätzlich Silben in Anlauttabelle stört den Leseprozess und ist Wörtern kennzeichnen. mit einem zu großen Aufwand verbunden. Kinder nutzen die Anlauttabelle nicht zum Le- sen. Sie würden vielmehr die Anlautbilder gleich oberhalb des entsprechenden Buchsta- bens benötigen. Abb. 1: Anlautschrift passend zur Reichen-Laut tabelle 2D ie Anlautschrift als Ergänzung zur Anlauttabelle Eine erste Erprobung mit Kindern zeigte, dass es nicht sinnvoll ist, z.B. bei Vokalen mehrere Aus dieser praktischen Not heraus sowie in Bilder für die verschiedenen Sprechweisen zu Anlehnung an Vorgehensweisen aus der Un- präsentieren: Dies störte die visuelle Anord- terstützten Kommunikation (zusammenfas- nung der Bilder, belastete das Arbeitsgedächt- send KAISER-MANTEL 2012) entstand im nis und lenkte eher vom Leseprozess ab. Rahmen einer Dissertation an der Ludwig- Komfortabel lassen sich Anlautschriften am Maximilians-Universität München, Lehrstuhl Computer in Form von „Schriftarten“ (Fonts) Sprachheilpädagogik und Sprachtherapie, die umsetzen: Schriftarten können in jeder Text- Idee, in Ergänzung zur Anlauttabelle für den verarbeitung (z.B. Word, OpenOffice) ge- Bereich Schreiben beim Lesen mit einer An- nutzt werden. Wählt man statt der üblichen lautschrift zu arbeiten (Vierfeldermodell nach Schuldruckschrift eine „Anlautschrift“ und REBER 2009; vgl. auch „Viersäulen-Modell tippt einen Buchstaben (z.B. H), erscheint da- nach BRINKMANN 2011: Säule „Lesen von rüber automatisch das Anlautbild. Die Mehr- Kinderliteratur“). graphe erhält man über Sonderzeichen (z.B. Eine Anlautschrift präsentiert neben dem Gra- über das „
Karin REBER ■ Lesen lernen mit Bilderbüchern und Anlautschriften als Ergänzung zu herkömmlichen Leselernverfahren mit entsprechenden Buchstaben-Bild-Zuord- ten ergänzen: Bei bekannten Buchstaben nungen entwickelt (REBER/STEIDL 2012). ohne Anlautschriften, bei unbekannten mit Auf diese Weise ist es möglich, schnell und Anlautschriften. Später können sie zusätzlich effizient Lese-Wortkarten (Abb. 2) oder auch verwendet werden, um bei einzelnen Kindern kurze Lesetexte mit Hilfe von Anlautschriften Phonem-Graphem-Korrespondenzregeln ver- am Computer zu erstellen. Einfache Anwei- tieft zu sichern und Buchstabenverwechslun- sungen werden für die Kinder lesbar, auch gen zu überwinden (z.B. b – d). wenn einzelne Buchstaben noch unbekannt oder unsicher sind (Abb. 3). 3 Theoretische Grundlagen Anlautschriften unterstützen Kinder, einzel- nen Buchstaben das entsprechende Phonem zuzuordnen. Dies lässt sich mit Hilfe des Lese- Abb. 2: Anlautschrift & Lesekrokodil, hier Anlaut- bilder passend zur Fibel „Frohes Lernen“ (Klett prozessmodells nach COLTHEART (2007) er- Verlag 2007) klären: Gemäß dieses Modells sehen die Kin- der beim Lesen ein Wort und analysieren es auf visuelle Merkmalseinheiten hin, um Buch- staben zu identifizieren. Nun gibt es zwei Wege: Zum einen den ganzheitlichen Lese- weg (der zu Beginn des Lesenlernens in der alphabetischen Phase eine untergeordnete Rolle spielt, da noch nicht genügend Einträge im orthographischen Eingangslexikon vorhan- Abb. 3: Lesearbeitsblatt inkl. einfacher Arbeitsan- weisung (erstellt mit zabulo, REBER/STEIDL 2011) den sind), zum anderen den einzelheitlichen Leseweg: Hier werden einzelnen Graphemen Werden Wörter, Sätze oder Texte mit noch auf der Basis bekannter Graphem-Phonem- nicht eingeführten Buchstaben gelesen, ist für Korrespondenzregeln Phoneme zugeordnet. das Finden der Graphem-Phonem-Zuordnung Ist die Erkennung des Graphems aufgrund kein umständliches Nachsehen auf der An- fehlender visueller Merkmale nicht möglich lauttabelle mehr nötig: Die Kinder finden direkt ober- Anlautschriften unterstützen Kinder, einzelnen Buch- halb des Graphems das ih- staben das entsprechende Phonem zuzuordnen. nen bereits aus der Anlaut- tabelle bekannte Anlautbild. oder noch keine Graphem-Phonem-Korres- Bei Wörtern oder Texten, die nur bereits be- pondenzregel vorhanden, stockt diese einzel- kannte Buchstaben enthalten, sollte man da- heitliche bottom-up-Vorgehensweise. gegen die Anlautschrift nicht verwenden, da- Mit Anlautschriften sind die Kinder dagegen mit die Kinder sich an den Graphemen orien- nicht allein auf visuelle Merkmale des Gra- tieren. Das bedeutet: Im Unterricht sollten phems angewiesen (im Modell: visuelle Merk- sich Leseaufgaben mit und ohne Anlautschrif- malseinheiten, Buchstaben), sondern können 4/12 33
Beiträge zusätzlich auf die Anlautbilder zurückgreifen. Bewusstheit in den Unterricht zu integrieren Gleichzeitig unterstützen die Anlautbilder die (u.a. WEINERT/SCHNEIDER 1986; SKOW- Zuordnung des Lautes (im Modell: Graphem- RONEK/MARX 1989), z.B. mit Hilfe eines Phonem-Korrespondenzregeln). Dies ist be- Trainingsprogramms wie „Leichter lesen und sonders für unbekannte Buchstaben von Be- schreiben lernen mit der Hexe Susi“ (FORS- deutung, für die es im Modell sonst keinen TER/MARTSCHINKE 2008). Parallel gilt es, alternativen, einzelheitlichen bottom-up-Zu- die Anlauttabelle schrittweise einzuführen (in ordnungsweg gäbe: Hier könnten die Kinder Anlehnung an ECKL et al. 2004). Daran kann nur auf oft fehlerbehaftete top-down-Prozes- sich die Erarbeitung der Anlautschriften an- se ausweichen und über die im Wort bekann- schließen: ten Buchstaben das Wort erraten (semanti- sches Priming) (zur visuellen Worterkennung 4.1 Stufe 1: Klären der Begriffe auf der vgl. LUPKER 2007). Anlauttabelle Zusätzlich könnten Priming-Effekte eine Rolle Gerade mit sprachbehinderten oder mehr- bei der Graphem-Phonem-Zuordnung spie- sprachigen Kindern müssen im Unterricht zu- len: Wenn die Anlautbilder bereits vorab im nächst die Benennungen der Anlauttabellen- Unterricht erarbeitet sind (vgl. Abschnitt 4) bilder erarbeitet werden. Das gilt besonders und somit den Kindern bekannt sind, assoziie- für phonologisch (z.B. Überholverbot) oder ren sie z.B. zum Anlautbild „Maus“ automa- semantisch (z.B. Ofen) schwierige Begriffe so- tisch „m wie Maus“. wie seltene (z.B. Yak) bzw. uneindeutige (z.B. Rabe und Vogel auf einer Anlauttabelle). Im Folgenden soll es um praktische Einsatz- Ziel: Hochfrequentes Benennen der Bilder, möglichkeiten der Anlautschriften mit dem Elaboration und Abruf der Begriffe (vgl. RE- Medium Bilderbuch gehen. Abschnitt 4 zeigt, BER/SCHÖNAUER-SCHNEIDER 2011, Bau- wie man Anlautschriften parallel zur Anlautta- stein „Wortschatz“). belle in den ersten Schuljahreswochen in Klas- Übungsformen: Bilder benennen; Rätsel zu se 1 einführt. In Abschnitt 5 werden Ideen den Bildern stellen (z.B. „Ich denke mir ein zum Lesenlernen mit Bilderbüchern im Über- Tier. Es kann fliegen. Ich muss zweimal klat- blick dargestellt. Der letzte Abschnitt konkre- schen (vormachen). ...“); Memory mit den tisiert die Überlegungen an einem praktischen Anlautbildern; Dalli-Klick am Projektor mit Beispiel, dem Bilderbuch „Das Ei“ (VAN ZE- einzelnen Bildern; Suchspiele im Klassenzim- VEREN 2011). mer; Begriffe reimen und klatschen; ... 4.2 Stufe 2: Orientierung auf der Tabelle 4U nterrichtsmethodik: Einführung Die Anlauttabelle wird den Kindern präsen- von Anlauttabelle und Anlautschrift – tiert. Training der phonologischen Ziel: Im Rahmen verschiedener Suchspiele sol- Bewusstheit len die Kinder lernen, sich auf der Anlautta- belle zu orientieren Zu Beginn des Schuljahres empfiehlt es sich, Übungsformen: Lehrkraft stellt Rätsel zu den Übungen zum Training der phonologischen Bildern oder erzählt eine Fantasiegeschichte 34 4/12
Karin REBER ■ Lesen lernen mit Bilderbüchern und Anlautschriften als Ergänzung zu herkömmlichen Leselernverfahren dazu, die Schüler legen Muggelsteine auf der bildern Buchstaben malen (Abb. 4), Anlaut- Anlauttabelle ab; einzelne Felder am Projektor klammerkarten, ... abdecken und fragen „Wer hat sich ver- Wichtig ist, dass auf dieser Stufe zum Abhö- steckt?“; ... ren noch keine nicht auf der Anlauttabelle be- findlichen Wörter verwendet werden, son- 4.3 Stufe 3: Sicherung der Anlaute dern nur das Begriffsmaterial der Anlauttabel- Im Sinne einer phonologi- schen Bewusstheit im enge- Gerade mit sprachbehinderten oder mehrsprachigen ren Sinn (Anlaute abhören) Kindern müssen im Unterricht zunächst die Benen- werden nun die Bilder mit nungen der Anlauttabellenbilder erarbeitet werden. den Anlauten verknüpft. Pa- rallel sollten die Konzepte „Anfang“, „Mitte“ le. So kann der Schwierigkeitsgrad kleinschrit- und „Ende“ eines Wortes geklärt werden tig gesteigert werden. (z.B. Visualisierung durch die Namensschilder der Kinder: Martin, welchen Laut hörst du bei dir am Anfang?). Ziel: Die Kinder sollen zu jedem Begriff auf der Anlauttabelle den Anlaut abhören können und idealerweise diesen in Form „m wie Maus“, „l wie Löwe“ nennen können (lautie- ren, nicht buchstabieren, evtl. ist vertiefte El- ternarbeit nötig). Abb. 4: Zu Bildern der Anlauttabelle Buchstaben Übungsformen: Rätsel (z.B. „Ich suche das „malen“ Tier, das mit r beginnt“) und Legen von Mug- gelsteinen; Jedes Kind erhält ein Bild der An- 4.5 Stufe 5: Abhören anderer Wörter auf den lauttabelle, Spiel „Mein rechter, rechter Platz Anlaut ist frei, da wünsch ich mir das p wie Pinguin Die Anlaute bzw. der Wortanfang ist für Kin- herbei“); Memory mit Versprachlichung „m der am besten abhörbar (vgl. Repräsentation wie Maus“; Domino, Würfelspiele, ... mit Ver- von Wörtern im mentalen Lexikon: „Bade- sprachlichung. wanneneffekt“, AITCHISON 1997). Daher wird mit der initialen Wortposition begonnen: 4.4 Stufe 4: Herstellen der Phonem- Ziel: Lautgetreue Wörter auf ihren Anlaut hin Graphem-Zuordnung abhören und den dazugehörigen Buchstaben Ziel: Die Kinder ordnen einem Laut einen mit Hilfe des Spruchs (z.B. „Mama beginnt Buchstaben zu, indem Sie ihn mit Hilfe der bei mit mmm ... ach ja, „m wie Maus“) auf der Schritt 3 memorierten „Sprüche“ auf ihrer Anlauttabelle suchen und abmalen (zunächst Anlauttabelle suchen. gedehnt gesprochene Kontinuenten, dann Übungsformen: Schreiben von Buchstaben auch kurz gesprochene Plosive). nach Diktat („schreibe m wie Maus“, später Übungsformen: Schatzkiste mit Bildern (auf „schreibe m“), Domino (Bild ist gegeben, der Rückseite könnte der Anfangsbuchstabe Buchstabe muss gesucht werden), zu Anlaut- als Lösung stehen), Guckkasten mit Gegen- 4/12 35
Beiträge ständen, Würfelpläne mit Bildern (Buchstaben nen, Buchstaben in Namensschildern suchen zum Anlaut aufschreiben), ... und benennen, Buchstaben in Zeitungen und im Klassenzimmer suchen und benennen (je- 4.6 Stufe 6: Abhören anderer Wörter auf den weils ohne und mit Anlautschrift), ... End- und Inlaut Ziel: Wie in 5., zunächst im End- (höhere 4.9 Stufe 9: Anbahnung der Synthesefähig- Wortaufmerksamkeit), dann im Inlaut keit Übungsformen: vgl. oben, nun mit Schwer- Man sollte mit dehnbaren Lauten sowie laut- punkt End- und Inlaut. getreuen Wörtern ohne Mehrgraphe begin- nen. Die Wörter sollten kurz sein, um das Ar- 4.7 Stufe 7: Schreiben einfacher, lautgetreu- beitsgedächtnis der Kinder nicht zu überlasten er Wörter mit Hilfe der Anlauttabelle (z.B. Mama, Oma, Mami, Mimi, Mia; evtl. zu Nach einiger Zeit können auch schwächere Beginn nur Großbuchstaben verwenden). Kinder mit der Anlauttabelle so gut umgehen, Eine Handpuppe könnte die Sprechweise vor- dass sie einfache Wörter lautgetreu verschrif- machen (z.B. eine Schnecke: „Schneckenspra- ten können. Ideal sind kontinuierliche Laute in che“, „Kaugummisprache“). einsilbigen Wörtern (z.B. Oma) oder Wörter Ziel: Anbahnung der Synthesefähigkeit beim mit begrenztem Buchstabenmaterial (z.B. Lesen Mama, Mami). Haben die Kinder Übung, Übungsform: Lesen mit dem Lesekrokodil und kann man immer freiere Schreibphasen in den Wörtern in Anlautschrift (allein, Kleingruppe, Unterricht einplanen. Klasse). Die Lehrkraft verdeckt die Wortkarte zunächst komplett mit dem Gute Schüler beginnen erfahrungsgemäß schnell, Lesekrokodil und sichert die sowohl die Anlauttabelle als auch die Anlautschrift Aufmerksamkeit der Kinder. kreativ für sich zu nutzen. Nun wird das Krokodil lang- sam in Leserichtung wegge- Für den Umgang mit Anlautschriften sollte zogen, wobei alle Kinder gedehnt mitspre- man parallel ab Stufe 4 auch die umgekehrten chen (mit dem nächsten Buchstaben warten, Prozesse schrittweise üben (also die Gra- bis alle Kinder den vorherigen artikulieren). phem-Phonem-Zuordnung: die Zuordnung Dann melden sich die Kinder, um das gelese- des Lautwerts zum gegebenen Buchstaben): ne Wort zu benennen. 4.8 Stufe 8: Herstellen der Graphem- Gute Schüler beginnen erfahrungsgemäß Phonem-Zuordnung schnell, sowohl die Anlauttabelle als auch die Ziel: Die Kinder ordnen einem gegebenen Anlautschrift kreativ für sich zu nutzen. Den Buchstaben den Laut zu, indem Sie den Buch- Unterricht zugunsten von Anlautschriften und staben auf der Anlauttabelle suchen. Viel ein- Bilderbüchern an dieser Stelle vollständig zu facher gestaltet sich das, wenn das Bild be- öffnen und auf einen systematischen Buchsta- reits oberhalb des Buchstabens zu finden ist benlehrgang zu verzichten, dürfte jedoch (in Form der Anlautschrift). nicht sinnvoll sein: Forschungsergebnisse zum Übungsformen: Buchstabenkärtchen benen- Schriftspracherwerb zeigen, dass gerade 36 4/12
Karin REBER ■ Lesen lernen mit Bilderbüchern und Anlautschriften als Ergänzung zu herkömmlichen Leselernverfahren schwächere Schüler bzw. Kinder mit Migrati- sen sich einfache Werke der Kinderliteratur so onshintergrund zusätzlich einen strukturierten gestalten, dass Erstleser sie entweder schon Buchstabenlehrgang benötigen (vgl. zusam- im Ganzen (gute Schüler) oder in Teilen (ein- menfassend SCHRÜNDER-LENZEN 2009). zelne Wörter oder Sätze) erlesen können. Für Hinweise zu dem klassischen Vorgehen bei Buchstaben- Forschungsergebnisse zum Schriftspracherwerb zei- einführungen finden sich bei gen, dass gerade schwächere Schüler bzw. Kinder mit SCHENK 2007 sowie in Leh- Migrationshintergrund zusätzlich einen strukturierten rerhandbüchern zu Fibel- Buchstabenlehrgang benötigen. werken (z.B. „Frohes Ler- nen“: ECKL/JUNG/KEMPER 2004), zu die ersten Buchstaben eignen sich aufgrund sprachheilpädagogischen Aspekten bei REBER der Unterstützung durch Bilder v.a. Bilderbü- 2009 und REBER/SCHÖNAUER-SCHNEIDER cher. 2011. 5.1 Vorgehen im Unterricht Im Folgenden werden schwerpunktmäßig di- Ausgehend von der Buchstabenreihenfolge daktische Vorgehensweisen zum Einsatz der des Lehrgangs, der im Unterricht verwendet Anlautschriften beim Lesen von Kinderlitera- wird, begibt man sich auf die Suche nach ge- tur thematisiert. eigneten Erzählungen, Märchen und vor al- lem Bilderbüchern. Beispielhaft soll dies für die Fibel „Frohes Lernen“ (Klett Verlag 2007) 5 Lesen lernen mit Bilderbüchern und dargestellt werden. Diese verwendet folgende Anlautschriften Buchstabenreihenfolge: M, I, A, O, S, U, R, T, N, E, D, Ei usw. Welche Werke der Kinderlite- Fragt man Kinder am ersten Schultag, was sie ratur eignen sich nun für Erstleser? Für die in der Schule lernen möchten, dann antwor- Auswahl sollten neben allgemeinpädagogi- ten fast alle mit „lesen, schreiben und rech- schen (HOLLENSTEIN/SONNENMOSER nen“. Kinder sind motiviert, sie wollen lernen, 2006), sprachheilpädagogischen (ETTEN- sie wollen lesen. Dabei gilt das Interesse nicht REICH-KOSCHINSKY 2004; TROSSBACH- unbedingt einer klassischen „Fibel“, sondern NEUNER 1999; RIEHEMANN 2006) und lese- meist echten „Geschichten“ bzw. Kinderlite- technischen (DAHRENDORT 1998) folgende ratur. Einige Gattungen (LANGE 2011) eignen Kriterien gelten: sich aufgrund ihrer Textlänge, ihrer Beliebtheit – In den häufig im Buch vorkommenden in der Altersstufe sowie ihres Text-Bild-Ver- Wörtern sollten idealerweise nur bereits im hältnisses besonders für den Einsatz in der 1. Lehrgang erworbene Buchstaben vorkom- Klasse: Bilderbücher, Märchen und Comics. men. Kinderlyrik eignet sich zum Training der pho- – Die im Werk häufig verwendeten Wörter nologischen Bewusstheit (Reimen) eher für sollten möglichst lautgetreu sein, so dass sie den mündlichen Sprachgebrauch. Kinderro- mit den Anlautschriften gut erlesbar sind. mane haben für die ersten Lesemonate noch – Die Handlung sollte mit einfachen, idealer- zu viel Text. Mit Hilfe der Anlautschriften las- weise lautgetreuen Wörtern beschreibbar 4/12 37
Beiträge sein. Ideal sind sich wiederholende, nicht zu nach auch Klassiker der Kinderliteratur ken- komplexe Handlungselemente, die mit kur- nen lernen könnten. zen Sätzen beschrieben werden können. Zur Fibel „Frohes Lernen“ (Klett Verlag 2007) – Lesetechnische Aspekte sollten beachtet wären demnach folgende Bilderbücher als sein (überschaubar und prägnante Texte, Rahmenhandlung und/oder Leseanlass denk- kurze Wörter, gut lesbarer Satz etc.). bar (Tab. 1) (vgl. weiterhin HOLLENSTEIN/ – Die Geschichte sollte für die Kinder interes- SONNENMOSER 2006; dgs o.J.): sant und motivierend sein. Aus zeitlichen Gründen ist es in der Regel – Schön wäre es, wenn die Kinder nach und nicht möglich, zu jedem Buchstaben ein Bil- Buchstabe Bilderbuch zum Lesen (Adaption Bilderbuch zum Vorlesen und zur der Texte notwendig) Sprachförderung Phonolog. „Der Hase mit der roten Nase“ Bew. (HEINE 2004) (Reimen) M, A, I „Mia und Mama & Mia und Oma“ (BAUMBACH/WESTPHAL 2008a) (Thema Familie: Mama, Mami, Mia, am, im, ...) O, evtl. P „Mia und Papa & Mia und Opa“ (BAUMBACH/WESTPHAL 2008b) (Thema Familie: Papa, Oma, Opa, ...) S Lesetext frei nach MAAR (2011) „Sam pflanzt Sonnenblumen“ zum „Sams“ (Thema: Wochentage, (PETTY/SCHEFFLER 2004) Farben) (Sigmatismus) Evtl. S „Rosi saust los“ (KNEFEL/ „Rosi pflanzt Radieschen“ (PETTY/ U, R, T LEYKAMM 2007) SCHEFFLER 1998) (Rhotazismus) (Thema: Fahrzeuge, Funktionswör- ter: im, am, um; ist ...) Evtl. N „Der kleine Nerino“ (GALLER „Der kleine Nino“ (SYMES/JULIAN 1968) (Thema: anders/besonders 2010) (Thema: Dinosaurierer, Wort- sein) schatz Adjektive) N, E „Ente! Hase!“ (KROUSE ROSENTHAL/LICHTENHELD 2010) (Thema: Sozialerziehung) Tab. 1: Bilderbücher zum ersten Lesen zur Buchstabenfolge aus „Frohes Lernen“ (Klett Verlag 2007) 38 4/12
Karin REBER ■ Lesen lernen mit Bilderbüchern und Anlautschriften als Ergänzung zu herkömmlichen Leselernverfahren derbuch zu lesen oder vorzulesen. Praktikabel Unterricht schon vorgestellt oder in Teilen ist es vielmehr, mehrere Buchstaben in einem erlesen wurde. Idealerweise wurden die dafür ausführlicheren Bilderbuchprojekt zu- Texte lesetechnisch vereinfacht, in Anlaut- sammenzufassen (z.B. nach den Buchstaben- schrift geschrieben und im Original über- einführungen von , und das Bil- klebt (vgl. Abb. 5). derbuch „Mia und Mama“ (BAUMBACH/WESTPHAL Mit Hilfe der Anlautschriften lassen sich einfache 2008a) als Zwischensiche- Werke der Kinderliteratur so gestalten, dass Erstleser rung und Wiederholung sie entweder schon im Ganzen (gute Schüler) oder in (vor)lesen). Teilen (einzelne Wörter oder Sätze) erlesen können. Folgende Umsetzungsmög- lichkeiten sind bei der Einbindungen von Kin- – Lesen des Ganzwerks, aber als vereinfach- derliteratur in den Unterricht denkbar (mit te, gekürzte Version (an die Kinder gege- absteigender Komplexität): ben als Lesetexte, das Originalbilderbuch – Lesen des Originals, ungekürzt und ohne steht in der Klassenbücherei zur Verfü- Anlautschriften: Dieses Vorgehen eignet gung): Die Kinder lesen alleine, wobei nach sich nur gegen Ende der 1. Klasse und nur Leseniveau differenzierte Textlängen zu für gute Schüler. Das Bilderbuch muss im empfehlen sind. Der Lehrer arbeitet mit den Klassensatz vorhanden sein oder die Kinder schwächeren Schülern. Leseaufträge si- lesen in verschiedenen Büchern (z.B. inner- chern das Leseverständnis. halb freier Lesezeiten). – Selbstständiges Lesen von Ausschnitten: – Lesen des abgeklebten Original-Bilder- ein Bilderbuch wird gemeinsam in der Klas- buchs: Innerhalb freier Lesezeiten lesen die se gelesen bzw. erzählt. Einen Abschnitt er- Kinder im Original-Bilderbuch, das evtl. im halten die Schüler (möglichst auch nach Abb. 5: Bilderbuch „Rosi saust los“ (KNEFEL/LEYKAMM 2007), ergänzt mit Anlautschriften-Texten 4/12 39
Beiträge Leseniveaus differenziert) als Blatt oder Le- einzelner Sprechblasen können die Kinder sebüchlein. Die Sicherung des Leseverste- selbst überlegen, wer bei der nächsten hens erfolgt entweder in der Einzelarbeit Runde Schlange steht (z.B. nur Tiere zu ei- durch Leseaufträge oder nach dem Lesen nem bestimmten Buchstaben). gemeinsam (oder kombiniert). – „Die Schlange Sansibar“ (BUCKLEY/CARLE – Gemeinsames Lesen einzelner Wörter oder 1985) oder „Die Raupe Nimmersatt“ (CAR- kurzer Sätze zum Buch in Form von Wort- LE 1972): Die Raupe frisst sich durch die oder Satzkarten, der Rest des Bilderbuchs verschiedensten Dinge, genauso die wird erzählt (vgl. Abschnitt 6: Praxisbei- Schlange. Beide können auch Buchstaben- spiel). Tage einlegen: Zuerst Wortkarten zum neu- – Vorlesen eines Bilderbuchs durch die Lehr- en Buchstaben in Anlautschrift erlesen, kraft oder fortgeschrittene Schüler (auch als dann dürfen die Kinder noch selbst Dinge Bilderbuchkino): Diese Methode eignet sich finden und im Buchstabenheft aufschrei- besonders, wenn komplexere Inhalte des ben. Buchs thematisiert werden sollen. Gerade im Rahmen von Bilderbüchern lassen Des Weiteren gibt es Bilderbuchformate, in sich leicht auch kreative Schreibanlässe ein- die sich mit ein bisschen Ideenreichtum die bauen, je nach Lernstand der einzelnen Schü- verschiedensten Buchstaben zum Lesen und ler auf Wort-, Satz- oder Textebene. Dazu freien Schreiben einbetten lassen: benutzen die Kinder die Anlauttabelle. – Wimmelbilderbücher oder Wimmelbilder: Die Kinder lesen Wort- oder Satzkarten und 5.2 Vereinfachung der Bilderbuchtexte versuchen, das Beschriebene auf dem Bild Nur selten kann man die Originaltexte der zu finden. Alternativ kann man auch Dinge Bücher einfach übernehmen, meist muss man zu einem bestimmten Laut suchen und auf- sie sowohl nach sprachheilpädagogischen als schreiben, z.B. „Hier stimmt ja fast gar auch nach schriftsprachlichen Gesichtspunk- nichts!“ (BUTSCHKOW 2012). ten verändern (REBER/SCHÖNAUER- – „Was ist das?“ (DAMM 2006): Auf einer SCHNEIDER 2011) (Tab. 2). Doppelseite ist das Foto eines Alltagsge- genstandes mit der Frage „Was ist das?“ 5.3 Kombination des Bilderbuchs mit Buch- abgebildet (z.B. ein auf der Wiese liegender stabeneinführungen Gartenschlauch). Die Kinder überlegen, Bilderbücher eignen sich hervorragend, um in was das sein könnte. Nach dem Umblättern Buchstabeneinführungen erarbeitete Graphe- erscheint die Auflösung (der Garten- me bzw. Phonem-Graphem-Korrespondenz- schlauch ist als Schlange verziert). Fotogra- regeln lese- und schreibtechnisch zu sichern. fiert man Alltagsgegenstände, können Rät- Vorab müssen aber im Rahmen von Buchsta- sel zu Buchstaben entstehen. beneinführungen je nach Schwierigkeit des – „Bitte anstellen“ (OHMURA 2012): 50 Tie- Graphems bestimmte Grundlagen gelegt wer- re haben sich in einer Schlange angestellt den. und warten auf etwas ... Nach dem An- Eine klassische Buchstabeneinführung (opti- schauen des Bilderbuchs und dem Erlesen sche, akustische, taktil-kinästhetische, gra- 40 4/12
Karin REBER ■ Lesen lernen mit Bilderbüchern und Anlautschriften als Ergänzung zu herkömmlichen Leselernverfahren Lesetechnische Syntaktisch-morphologische Semantisch-lexikalische Vereinfachungen: Vereinfachungen: Vereinfachungen: • Lautgetreues, einfaches • Präsens statt Imperfekt • Unbekannte Wörter durch Wortmaterial verwenden bekanntere Wörter erset- • Lesetechnisch schwierige • Personalpronomen durch zen Wörter durch Bilder erset- Eigennamen ersetzen • Konkrete statt abstrakte zen oder ergänzen • Parataktische statt hypo- Begriffe verwenden • Lesetechnische Hilfen ein- taktischer Satzkonstruk • Vorsicht bei Metaphern setzen: Silben in Graustufen tionen nutzen (wenig und Redewendungen mit kennzeichnen, mehrgliedri- Nebensätze) übertragener Bedeutung: ge Grapheme durch Bögen • Aktive Satzkonstruktionen Sprachbehinderte Kinder markieren statt passiver verwenden tendieren zu einer wört • Ausreichende Schriftgröße, • Genitiv durch Dativ er lichen Interpretation Schulschriftart und Zeilen- setzen, Dativ evtl. durch • Unterstützung durch Bilder umbrüche an geeigneter Akkusativ Stelle (nach Phrasen) zur • Direkte, wörtliche Rede Unterstützung der Sinnent- statt indirekter Rede ein nahme einsetzen, keine Sil- setzen bentrennung, evtl. Zeilen- • Bevor-/nachdem-Konstruk- angaben tion vermeiden, bei denen • Angemessene Länge des die Reihenfolge der Nen- Textes herstellen nung nicht der Reihenfolge der Umsetzung entspricht (z.B. „Bevor Max nach Hause geht, kauft er noch ein. Was macht Max zu- erst?) Tab. 2: Sprachheilpädagogische Gesichtspunkte zur Vereinfachung von Lesetexten (REBER/SCHÖNAUER- SCHNEIDER 2009) phomotorische Analyse) genügt bei einfachen (Lautanbahnung) und/oder Rechtschreibele- Graphemen: mente (Regelwissen zu Phonem-Graphem- – Einfache Grapheme: Grapheme, die aus ei- Korrespondenzen) ergänzt werden: nem Buchstabenzeichen bestehen, die re- – Mehrgraphe: Grapheme, die aus mehreren lativ eindeutige Phonem-Graphem-Korres- Buchstabenzeichen bestehen (z.B. ). pondenzregeln haben und artikulatorisch – Grapheme, deren Aussprache schwer ist: einfach sind (z.B. , ). Diese Gra- Grapheme zu Lauten, die im Spracherwerb pheme sind ideal für den Lernbeginn. relativ spät erworben werden und die die Andere Grapheme beinhalten eine oder meh- Kinder der Klasse noch fehlerhaft bilden rere Besonderheiten. Dadurch muss die klassi- (z.B. , , ). sche Einführung um sprachheilpädagogische – Grapheme, für deren Einsatz man bereits 4/12 41
Beiträge phonologisches Rechtschreibwissen benö- men („Ich spreche „ai“, ich schreibe “) tigt (z.B. : ich spreche „kw“, ich (Unterrichtseinheit 2). Erst dann kann das schreibe ; : ich spreche „scht“, Graphem mit Hilfe eines Bilderbuchs in den ich schreibe ). Lese- und Schreibprozess integriert werden – Grapheme, die mehrere lautliche Entspre- (Unterrichtseinheit 3). chungen haben: z.B. die Vokale (lange und kurze Sprechweise), als [x] oder [ç]). 6.1 Unterrichtseinheit 1: Buchstaben – Grapheme, denen Phoneme zugeordnet einführung zum sind, die auditiv schwer zu unterscheiden Die klassischen Aspekte der Buchstabenein- sind (z.B. die Plosive). führung (optisch, taktil-kinästhetisch, gra- – Grapheme, die motorisch komplex zu ver- phomotorisch) können beim relativ schriften sind (z.B. ). knapp gehalten werden, da die Kinder die Je nach Schwierigkeit, die der Buchstabe also Einzelbuchstaben und schon be- graphemisch und/oder phonematisch bildet, herrschen. Artikulatorisch ist das eben- sollte man unterschiedliche Schwerpunkte in falls nicht schwer: Es wird im Schulalter zu der Buchstabeneinführung setzen. 100% richtig gebildet (GROHNFELDT 1980), weswegen keine Lautanbahnung im Unter- richt erfolgen muss. Besonders hervorzuhe- 6P raxisbeispiel : Buchstabenein- ben sind jedoch die akustische Analyse im führung, Rechtschreiben und Lesen Rahmen einer Rechtschreibstunde sowie die eines Bilderbuchs Integration in den Lese- und Schreibprozess (vgl. die beiden folgenden Abschnitte). Da sich Buchstabeneinführungen mit Schwer- punkt Lautanbahnung im Rahmen von Bilder- 6.2 Unterrichtseinheit 2: Rechtschreiben: büchern bereits in der Literatur finden (RE- „Ich spreche „ai“, ich schreibe “ BER/SCHÖNAUER-SCHNEIDER 2011: Laut Vorab sollten bereits die Kategorien Mit- „sch“ – Bilderbuch „Der Regenbogenfisch“ sprech- (Handpuppe „Schnecke Lulu“, Am- nach PFISTER 1995; REBER 2009: Laut „r“ – pelfarbe grün), Nachdenk- (Handpuppe Märchen „Rotkäppchen“), wird für die fol- „Wurmi“, Farbe orange) und Merkwörter genden Ausführungen ein lese- und schreib- (Handpuppe „Uhu Schuhu“, Farbe rot) ein- technisch anspruchsvolles Graphem gewählt: geführt sein (vgl. REBER 2007/2009). Anhand Das . von Lernwörtern mit wird den Kindern Die Buchstabeneinführung zum „ei“ ist kom- der Rechtschreibfall präsentiert, die Besonder- plex: Das ist ein Mehrgraph und wird heit entdeckt (alle Wortkarten haben ein von Kindern zu Beginn der alphabetischen ) und die Besonderheit erarbeitet. Die Phase intuitiv als statt geschrieben Schnecke schreibt es falsch: Sie spricht sich (z.B. Eis: ). Neben der Einführung des ein Beispielwort vor und schreibt es genauso, Graphems (Unterrichtseinheit 1) sollte also wie sie es spricht. Es wird sichtbar durchge- ein weiterer Schwerpunkt auf der Phonem- strichen. Daraufhin leiten die Kinder die Regel Graphem-Korrespondenz liegen und die pho- ab: „Ich spreche „ai“, aber ich schreibe “. nologische Regelhaftigkeit in den Fokus neh- Der Wurmi erhält eine Regelkarte für seine 42 4/12
Karin REBER ■ Lesen lernen mit Bilderbüchern und Anlautschriften als Ergänzung zu herkömmlichen Leselernverfahren Sammlung bzw. für die Seitentafel. Die Regel lich nur noch der kleine Frosch übrig bleibt, wird an weiteren Wörtern erprobt: Die Kinder der es dann behalten darf. Aber oh Schreck: diktieren der Schnecke weitere Wörter mit Heraus schlüpft ein Krokodil, das den Frosch , die Schnecke schreibt wieder falsch, ein sieht und froh ruft: „Das ist meins!“ Kind mit Handpuppe Wurmi nennt jeweils die Regel und Je nach Schwierigkeit, die der Buchstabe also graphe- verbessert das Wort. misch und/oder phonematisch bildet, sollte man un- Schließlich wird die Regel in Form eines Arbeitsblattes im terschiedliche Schwerpunkte in der Buchstabeneinfüh- Schreibtrickheft festgehal- rung setzen. ten (Abb. 6), die Lernwörter werden darunter aufgeschrieben (Besonder- In der Geschichte tauchen viele wiederkeh- heiten dabei farblich kennzeichnen: Nach- rende Lese- und Sprechanlässe mit „ei“ auf, denkstellen orange, Merkstellen rot). besonders wenn man den Text leicht verän- dert. Einfache Wörter sind , , , , und , schwe- rer sind und . Beginnen könnte man mit einem Hörbild zu Dschungelgeräuschen (http://sound-effects- library.com/) und Vermutungen der Schüler: „Vielleicht sind wir im Schwimmbad“ (Provo- kation, Inversion). Dann wird gemeinsam das Bilderbuch Seite für Seite betrachtet, wobei verschiedene Abb. 6: Auszug Schreibtrickheft: „Ich spreche „ai“, Hilfsmittel eingesetzt werden (Abb. 7): eine ich schreibe “ Frosch-Handpuppe (als Hauptfigur), ein Ei (als Schlüsselwort), ein Abdeckblatt für die 6.3 Unterrichtseinheit 3: Integration in den nächste Seite des Bilderbuchs (Vermutungen Lese- und Schreibprozess mit dem Bilder- über den Fortgang der Geschichte anstellen), buch „Das Ei“ (VAN ZEVEREN 2011) eine Lupe (um Details, z.B. Mimiken, im Bil- Nun folgt die Integration des bisher Gelernten derbuch hervorzuheben), verschiedene Wort- in den Lese- und Schreibprozess. Ein klar ge- karten, Satzstreifen und Sprechblasen zum zeichnetes, lustiges Bilderbuch ist „Das Ei“ (VAN ZEVEREN 2011): Die Tiere im Dschun- gel entdecken ein Ei und behaupten nachein- ander alle „Nein, das ist mein Ei!“: Zuerst der Frosch, dann die Schlange, der Adler und schließlich der Waran. Es gibt Streit und das Ei fällt dem Elefanten auf den Kopf, der alle Tie- re der Reihe nach befragt: „Ist das dein Ei?“ Abb. 7: Hilfsmittel zur Betrachtung und zum Lesen Aus Angst leugnen das alle Tiere, bis schließ- des Bilderbuchs 4/12 43
Beiträge Lesen für die Kinder in großer Schrift und ein 7 Weitere Ideen Lesekrokodil. Zum Nacherzählen der Ge- schichte eignen sich Stabfiguren (hier nicht Die Verwendung von Anlautschriften be- abgebildet). schränkt sich nicht auf Lektüren im Deutsch- unterricht, sondern macht es möglich, das Le- Mögliche Leseanlässe im Rahmen des Bilder- sen von Anfang an als zentrale Arbeitstechnik buchs könnten sein: sowie als spannende Aktivität im Klassenzim- – Wortebene: Ei, Frosch, Schlange, Waran mer zu etablieren: (Wortschatz-Klärung!), Elefant, Adler, Kro- – Arbeitsblätter mit kurzen Anweisungen in kodil, nein, mein, dein Anlautschrift: Arbeitsaufträge für verschie- – Phrasen: „ein Ei“, „ein Frosch“, „eine dene Fächer erlesen (zentrale Arbeitstech- Schlange“, usw.; „mein Ei“, „dein Ei“, ... nik ab Klasse 1). – Satzebene: „Das ist mein Ei.“, „Alle strei- – Plakate, Wort- und Satzkarten in verschie- ten.“, „Gehört dir das Ei?“, „Das ist meins!“ denen Unterrichtsfächern: Lesen mit dem Lesekrokodil als kurzer Einschub in ver- Die zu erlesenden Wörter, Phrasen bzw. Sätze schiedensten Lernbereichen, Lesen wird sollten groß als Wortkarten, Satzstreifen oder Mittel zum Zweck. Sprechblasen ausgedruckt werden, so dass – Die Klassenbücherei enthält sowohl gele- alle Kinder mitlesen können. Außerdem könn- sene als auch neue Bilderbücher: Teilweise ten sich kurze nacherzählende Schreibphasen sind die ursprünglichen Texte durch Anlaut- anschließen: Die Kinder erhalten z.B. ein Ar- schriftentexte ersetzt (überklebt), teilweise beitsblatt (Abb. 8), auf dem sie festhalten, werden beide Schriftversionen parallel an- was der Elefant und die Tiere gesagt haben geboten. (Elefant: Waran etc.: – Mit Hilfe der Anlautschriften-Version „Nur ). Alternativ könnten die Bilder“ lassen sich Geheimschriften erzeu- Kinder während der Bilderbuchbetrachtung gen, mit Hilfe der Handzeichenschrift auch schon Vermutungen über den Handlungsfort- die Handzeichen (REBER/STEIDL 2012, gang aufschreiben („Ich vermute, dass ...“, Abb. 9). Die gewählten Handzeichen orien- Nebensatzbildung). tieren sich u.a. am Phonembestimmten Manualsystem nach SCHLENKER-SCHUL- TE/SCHULTE (1996), an KAISER-MANTEL (2012) sowie an SCHULTE-MÄTER (2010). Abb. 9: Anlautschrift nur Bild, Handzeichenschrift, Handzeichenschrift nur Bild (REBER/STEIDL 2012) 8 Ausblick Abb. 8: Arbeitsblatt zum Nacherzählen eines Dia- Im Rahmen einer Pilotstudie wurde das kom- logs aus dem Bilderbuch binierte Arbeiten von Fibel und Bilderbüchern 44 4/12
Karin REBER ■ Lesen lernen mit Bilderbüchern und Anlautschriften als Ergänzung zu herkömmlichen Leselernverfahren mit Anlautschriften im Rahmen des Gesamt- chologischen Aspekten zu untersuchen. Auch konzepts (REBER 2009) mit einer Förderschul- eine kontrollierte Studie zum Lesenlernen mit klasse (n=9) erprobt. Die Ergebnisse waren und ohne Anlautschriften wäre interessant. vielversprechend: Obwohl alle Kinder Risikokinder für Die Verwendung von Anlautschriften beschränkt sich den Schriftspracherwerb nicht auf Lektüren im Deutschunterricht, sondern waren (teilweise Mehr- macht es möglich, das Lesen von Anfang an als zen- fachrisiken: 67% ADS, 44% Probleme in der phonologi- trale Arbeitstechnik sowie als spannende Aktivität im schen Bewusstheit, 44% Klassenzimmer zu etablieren. phonetische Störungen, 44% phonologische Störungen, 11% seman- Praktische Beobachtungen zur Lesemotiva- tisch-lexikalische Störungen, 44% syntak- tion der Kinder und zu neuen Möglichkeiten tisch-morphologische Störungen, 66% bei der Einbindung von Kinderliteratur in den Sprachverständnisstörungen, 56% Mehrspra- Unterricht lassen jedoch positive Erwartungen chigkeit; IQ bei allen Kindern im bzw. knapp zu. unter dem Normbereich), erzielten am Ende des Schuljahres alle Kinder der Förderschul- klasse auf Wortebene (Würzburger Leselese- Literatur probe (WLLP, KÜSPERT/SCHNEIDER 1998): BRINKMANN, E. (2011): ABC Lernlandschaften. PR 32 bis PR 97) und Satzebene (Stolperwör- Stuttgart: Ernst Klett Verlag. ter-Lesetest (METZE 2005): PR 38 bis 96) BRÜGELMANN, H./BRINKMANN, E. (2001): Die Schrift erfinden: Beobachtungshilfen und metho- Leseleistungen im Normbereich (REBER, in dische Ideen für einen offenen Anfangsunterricht Vorbereitung). im Lesen und Schreiben. Lengwil: Libelle Verlag. Als wichtige Einflussfaktoren auf den Lese- COLTHEART, M. (2007): Modeling Reading: The lernprozess zeichneten sich Aufmerksamkeits- Dual-Route-Approach. In: SNOWLING, M.J./ und Konzentrationsstörungen ab. Sprachstö- HULME, Ch. (Hrsg.): The Science of Reading. Malden/Oxford/Victoria: Blackwell Publishing, rungen hatten bei einem Vorgehen, das gro- S. 6-23. ßen Wert auf Sprachförderung im Unterricht DAHRENDORF, M. (1998) (Hrsg.): Literatur für Ein- legte (vgl. REBER 2009), kaum negativen Ein- steiger. Leseförderung durch Erstleseliteratur. 9. fluss auf die Entwicklung der Lesefähigkeiten. Beiheft. In: Beiträge Jugendliteratur und Medien. Aufgrund der kleinen Stichprobe lassen sich Weinheim: Juventa Verlag. Deutsche Gesellschaft für Sprachheilpädagogik diese Ergebnisse jedoch nicht verallgemei- (dgs) (o.J.): SprachHeilWiki. http://www.sprach- nern. Es müssen Studien mit größeren Stich- heilwiki.de. proben folgen, die zudem die Qualifikation ETTENREICH-KOSCHINSKY, A. (2004): Arbeit mit der Lehrperson (Sprachheillehrer, Regelschul- Bilderbüchern im Rahmen eines sprachheilpäda- lehrer) sowie den Einfluss von Risikofaktoren gogisch orientierten Unterrichts – aufgezeigt am Beispiel des Bilderbuchs „Das Schaf mit dem Zi (Sprache, ADS, ...) genauer beleuchten. tronenohr“. In: GROHNFELDT, M. (Hrsg.): Lehr- Bezüglich der Anlautschriften wäre der buch der Sprachheilpädagogik und Logopädie, nächste Schritt, Worterkennungs- und Lese- Bd. 5: Bildung, Erziehung, Unterricht. Stuttgart: verarbeitungsprozesse unter kognitionspsy- Verlag W. Kohlhammer. 4/12 45
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