Straßenkinder in Brasilien

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Straßenkinder in Brasilien
Straßenkinder                                                        fussball
                                                                                  DON BO SCO

in Brasilien
                                                                     fü r st r asse nki nder
 dpa

»Für die Kinder, die tagsüber auf den Straßen arbeiten und abends
in ihre Favela-Häuser zurückkehren, für die ist das Leben rau und
unfreundlich. Für den Rest, der Tag und Nacht auf der Straße lebt,
ist das Leben gemein und ungewöhnlich kurz.«
Straßenkinder in Brasilien
Inhalt

Situation von Straßenkindern                         3
Mythos »Straßenkind«                                 3
Die Situation                                        3
Definitionen                                         4
Leben auf der Straße                                 4
Sozialisation von Straßenkindern / Meninos de Rua    5
Entwicklungsstufen                                   6
Drogenhandel                                         7
Justiz                                               8

Ursachen des Phänomens Straßenkinder                 9

Lösungsansätze                                      10
Prävention                                          10
Streetwork und Reintegration                        12

Chancen durch Sport und insbesondere Fußball        14
 Foto: Fernando Vargas, tortuga e.V.

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Straßenkinder in Brasilien
Situation von Straßenkindern

MYTHOS   »STRASSENKIND«
Sind Straßenkinder gefährliche Kriminelle, hilflose
Opfer oder heldenhafte Überlebenskünstler? Die Wahr-
heit liegt wahrscheinlich irgendwo dazwischen. Natür-
lich entwickeln diese Kinder und Jugendlichen sehr
findige Strategien, um am Leben zu bleiben. Natürlich
haben diese Strategien mit Kriminalität zu tun und na-
türlich erzeugt Gewalt Gegengewalt. Sie müssen erfinde-

                                                                                                                                               Foto: Axel Stelzner, tortuga e.V.
risch und stark sein, um zu überleben, denn überleben
ist nicht selbstverständlich. Und wer überlebt, hat in der
Regel Gesetze gebrochen. Trotzdem sind diese raubeini-
gen Kinder und Jugendlichen liebenswerte Opfer einer
Gesellschaft, die nicht imstande ist, ihnen eine unbe-
schwerte Entwicklung und eine sichere Zukunft zu bie-
ten. Straßenkinder werden nicht von einer liebevollen
Familie behütet, sondern sind der Gewalt in vielfältigen
Formen mehr oder weniger schutzlos ausgeliefert.
                                                             Scheiben wischen für ein Stück Brot

Jedes Kind hat hier seine eigene Geschichte. Jede Ge-
schichte ist eine Tragödie für sich. Mit Romantik hat
keine dieser Geschichten etwas zu tun. Vielmehr sind
es Geschichten voller Verzweiflung, Not und Hoffnungs-
losigkeit.

DIE SITUATION                                                sind die Kinder und Jugendlichen gemeint, die auf der
Schätzungen zufolge leben und arbeiten weltweit über         Straße arbeiten und abends nach Hause zurückkehren.
100 Millionen Kinder und Jugendliche auf der Straße.         Sie wohnen häufig in Haushalten, die von allein stehen-
Die Datenlage ist ausgesprochen schwierig. Kaum ein          den verarmten Frauen geführt werden. Die Kinder trei-
Straßenkind hat eine Geburtsurkunde oder ist irgendwo        ben sich den Tag über und auch häufig nachts auf den
registriert. Sie kommen aus Familien, die häufig eben-       Straßen herum, bewachen Autos, wischen Autoscheiben
falls nicht registriert oder gemeldet sind. Außerdem sind    an Straßenkreuzungen oder verkaufen dort Süßigkeiten,
Straßenkinder ständig in Bewegung und tauchen nicht          Zigaretten oder anderes, putzen Schuhe oder schleppen
an Orten auf, wo man sie verlässlich zählen könnte.          Waren.

Entsprechend schwierig ist es auch, eine exakte Zahl der     Die »Kinder der Straße« sind die, die alle Brücken hinter
brasilianischen Straßenkinder zu bestimmen. Vor zehn         sich abgebrochen haben. Ein US-amerikanischer Sozial-
Jahren ging man noch von sieben oder acht Millionen aus.     wissenschaftler bemerkt nüchtern:
Heute schätzen internationale Organisationen, dass un-
gefähr 10 Millionen Kinder zwischen fünf und achtzehn        »Für die Kinder, die tagsüber auf den Straßen arbeiten
Jahren auf der Straße leben und arbeiten. Die absoluten      und abends in ihre Favela-Häuser zurückkehren, für die
Zahlen steigen. Das Geschlechterverhältnis untereinan-       ist das Leben rau und unfreundlich. Für den Rest, der Tag
der bleibt hingegen gleich: Zwei Drittel Jungen und ein      und Nacht auf der Straße lebt, ist das Leben gemein und
Drittel Mädchen. Mädchen sind seltener auf den Straßen       ungewöhnlich kurz.«1
zu finden, weil sie eher einen Unterschlupf finden. Viele
arbeiten als Hausmädchen. So bleiben sie zwar der Straße     Diese Kinder haben ganz eigene Formen der Soziali-
fern. Die Arbeitsverhältnisse sind allerdings ausbeute-      sierung und des Umgangs miteinander entwickelt, die
risch. Gegen sexuelle Übergriffe ihrer Dienstherren sind     sich von unseren Vorstellungen von Gesellschaft krass
sie machtlos.                                                unterscheiden. Aber auch unter Straßenkindern gibt es
                                                             überraschenden Formen von Solidarität und Phantasie.
In lateinamerikanischen Ländern wird unterschieden           In Lateinamerika wächst bereits die zweite Generation
zwischen Ninos en la calle (portug. Meninos en Rua) und      auf der Straße auf.
Ninos de la calle (portug. Meninos de Rua). Mit ersteren     1
                                                                 Inciardi / Surratt 1997: Children in the streets of Brazil.

                                                                                                                    strassenkinder in brasilien / 3
Straßenkinder in Brasilien
Situation von Straßenkindern

DEFINITIONEN
Die Übergänge zwischen diesen Gruppen sind fließend.
Das eine führt häufig zum anderen. Viele Kinder liegen
irgendwo zwischen diesen Definitionen.

Der Begriff »Straßenkinder« wird viel diskutiert. Um die
Würde der Kinder und Jugendlichen nicht zu verletzen
und sie nicht zu stigmatisieren wurde der Begriff »Chil-
dren at risk – Gefährdete Kinder« oder »Kinder in Risiko-
situationen« eingeführt. Der Terminus bringt die Pro-
blemlage klar zum Ausdruck. Auf der Straße zu leben,
bedeutet ständig unter Spannung zu stehen. Straßen-
kinder haben keinen Rückzugsraum. Sie sind Gewalt,
Kriminalität und Drogen ausgesetzt.

In westeuropäischen Gesellschaften ist der Begriff
»Straßenkind« nach zahlreichen Kampagnen von Hilfs-
und Menschenrechtsorganisationen allerdings klar mit
einer bildhaften Vorstellung verbunden: mit heimatlo-
sen, schutzlosen und ausgegrenzten Kindern und Jugend-
lichen. Daher wird dieser Begriff im Weiteren verwendet.
                                                            An Straßenkreuzungen verkaufen Kinder Waren

LEBEN AUF DER STRASSE
Straßenkinder haben keinen Zugang zu Bildung, zu            Militärpolizei der Straßenkinder zu entledigen. Anfang
medizinischer Versorgung, zu ausreichender Ernährung        der 80er Jahre kamen in Brasilien die so genannten Todes-
und sauberem Trinkwasser. Das bedeutet, dass ihre Zu-       schwadronen auf. Zwischen 1984 und 1989 sind 1400
kunftsaussichten niederschmetternd sind und dass ihr        Lynchmorde registriert worden. 1993 ging das Massaker
gesundheitlicher Zustand ihnen auch kein langes Leben       von Candelaria in Rio de Janeiro durch die Presse, bei
erlaubt. Der Organsiation Brazil’s National Movement of     dem acht schlafende Kinder in der Nähe einer Kirche von
Street Children zufolge werden jeden Tag vier bis fünf      Militärpolizisten erschossen wurden. Auf internationa-
Kinder und Jugendliche auf den Straßen Brasiliens getö-     len Druck kam es schließlich zu Verurteilungen der Täter.
tet. Alle 12 Minuten wird ein Kind geschlagen. 4,5 Mio.     Die Hintermänner blieben unbehelligt. Traurige Ironie
Kinder unter 12 Jahren arbeiten. 500 000 Kinder werden      ist es, dass ausgerechnet die Polizei eine so große Bedro-
in häuslicher Arbeit ausgebeutet. In 40 Prozent aller       hung für Straßenkinder darstellt. Viele Polizisten drang-
Verbrechen sind die Opfer Kinder.                           salieren, bedrohen, vergewaltigen und quälen Straßen-
                                                            kinder. Sie nehmen ihnen das wenige Geld weg, das sie
Auch Aids wird immer mehr zum Thema. Straßenkinder          haben, verlangen Schutzgeld dafür, dass keine falsche
sind vielfach Opfer von Vergewaltigungen. Durch die         Anklage erhoben wird oder dass sie aus polizeilichem
Sehnsucht nach Nähe und Geborgenheit bilden sich aber       Gewahrsam entlassen werden. Von Mädchen verlangen
immer wieder auch kurzlebige Liebesverhältnisse zwi-        sie Sex. Immer noch werden jeden Tag vier bis fünf Stras-
schen Straßenkindern. Sexuelle Aufklärung erreicht die      senkinder von Polizisten oder Auftragskillern getötet.
Straßenkinder allerdings nicht. Sex wird daher unge-        Sehr selten werden Polizisten zur Rechenschaft gezogen.
schützt praktiziert, mit wechselnden Partnern.
                                                            Die Mitverantwortlichen sind auf allen Ebenen von
Straßenkinder sind Stadtkinder. Man trifft sie in den       Politik und Verwaltung zu finden. Sie haben allerdings
Ballungsräumen der sich industrialisierenden Drittwelt-     aus dem Massaker von Candelaria gelernt und halten
und Schwellenländer. Grund für das Phänomen ist die         sich vorsichtig bedeckt. Es werden keine Massaker mehr
wirtschaftliche Armut. Das Wohlstandsgefälle ist steiler    durchgeführt, sondern einzelne Tötungen an abgeschie-
geworden und neue Armutsregionen sind entstanden.           denen Orten.
Von der Gesellschaft werden sie diskriminiert, ausge-
grenzt und ignoriert. Vielfach versuchen sich Ladenin-
haber und Privatleute in Allianzen mit der Polizei und

4 / strassenkinder in brasilien
Straßenkinder in Brasilien
Foto: Birgitta Schwansee, tortuga e.V.

Zerrüttete Familien treiben Kinder auf die Straße                                                   Straßenjunge in Rio de Janeiro

SOZIALISATION VON STRASSENKINDERN
MENINOS DE RUA
Normalerweise erfolgt Sozialisierung eines Kindes über                                              Zur Sozialisierung eines Straßenkindes gehört auch der
die Familie, später dann auch über den Kindergarten und                                             Missbrauch von Drogen, den Straßenkinder schon sehr
die Schule, über Freunde und eine Berufsausbildung. Bei                                             früh lernen, da er tagtäglich vorgelebt wird. Drogen tragen
Straßenkindern reduzieren sich diese Stationen auf das                                              dazu bei, die Situation, insbesondere den Hunger und die
Erleben des Scheiterns in der Familie. Der Ort für die So-                                          Angst, erträglicher zu machen. Die meisten Straßenkin-
zialisation wird die Straße. Den Kindern bleibt nur die                                             der sind drogenabhängig. Die gesundheitlichen Schäden,
Solidarität mit anderen Straßenkindern. Straßenkinder-                                              die daraus entstehen, sind gravierend. Klebstoffdämpfe
banden, in Jugendromanen oft mit etwas Romantik                                                     verkleben Lungen und Atemwege und zersetzen langfri-
verbrämt,1 sind der Bezugsrahmen dieser Kinder und                                                  stig das Gehirn. Das Beruhigungsmittel Rohypnol und
Jugendlichen. Banden sind Familienersatz mit klarer                                                 das sogenannte Basuco, ein billiges Vorprodukt bei der
Schutzfunktion vor anderen Jugendbanden, vor Polizei-                                               Herstellung von Kokain, machen sehr schnell abhängig
kontrollen, früher vor den Todesschwadronen, heute vor                                              und schwächen den von Mangelernährung und Krank-
den heimlichen Einzeltätern. Eine solche Gruppe ist zu-                                             heiten ohnehin schon angegriffenen Organismus. Im
gleich Orientierungsgröße und Unterweisungsinstanz.                                                 Drogenrausch passieren viele Unfälle, vor allem auf den
Hier werden Kniffe weitergegeben, die das Überleben                                                 stark befahrenen Straßen.
erleichtern. Diese Kniffe sind Strategien, die von Erwach-
senen aus der Umgebung kopiert werden: das »Organi-
sieren« von Geld durch Diebstahl, durch Prostitution und
mitunter durch Drogenhandel. Das bringt sie immer wie-
der in gefährliche Situationen.
                                                                                                     Foto: Fernando Vargas, tortuga e.V.

In solchen Banden wird aber auch gestraft, wenn sich
Mitglieder nicht loyal verhalten. Die Strafen fallen mit-
unter drastisch aus, ebenfalls von Erwachsenen abge-
schaut. Wenn ein Mitglied einer solchen Gruppe seinen
Ausstieg thematisiert, beispielsweise um sich einem
Reintegrationsprogramm anzuschließen, muss es sich
auf eine Auseinandersetzung gefasst machen. Sein Weg-
gang schwächt die Gruppe und wird oft mit Verrat
gleichgesetzt.

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                                                                                                    Endstation Müllkippe: auf der Suche nach etwas Essbarem
    Z. B. »Die rote Zora«

Infomaterial der Don Bosco Aktion »Fußball für Straßenkinder«                                                                              strassenkinder in brasilien / 5
Straßenkinder in Brasilien
Ein Schlafplatz von Straßenkindern in Recife

ENTWICKLUNGSSTUFEN
Die Entwicklung von Straßenkindern (Meninos de Rua)         men. Sie kleiden sich betont modebewusst. Wenn sie
erfolgt in gewissen Stufen.                                 nicht gerade in Gruppen auftauchen, ist es oft nur einge-
                                                            weihten Streetworkern möglich, sie unter den anderen
Etwa drei Viertel der Straßenkinder weisen Verhaltens-      Passanten auszumachen. In Gruppen von bis zu 30 Ju-
störungen, Depressionen, Hyperaktivismus oder andere        gendlichen gehen sie durch die Innenstädte, betteln, steh-
psychosoziale Krankheiten auf.                              len, gehen ins Kino und konsumieren Rauschmittel, wie
                                                            Kokain oder Kokainpaste, Marihuana, Rohypnol und
Bis zur Pubertät, also ungefähr bis 13, streunen sie in     andere.
lockeren Zusammenschlüssen bis zu 15 Personen herum,
schnüffeln Klebstoff und betteln. Gestohlen wird unter      Noch ältere Straßenkinder ab 17 sind in der Regel körper-
Anleitung eines älteren Straßenkindes. Die Mädchen          lich wie psychisch vom jahrelangen Drogenmissbrauch
machen knapp ein Drittel aus.                               zerrüttet. Wunden sind nicht richtig ausgeheilt und haben
                                                            Behinderungen verursacht. Sie leiden an Atemwegs-,
Die 14 – 16jährigen hingegen interessieren sich stark für   Haut- und Geschlechtskrankheiten. Sie haben Straßen-
Sexualität. Das Risiko von Geschlechtskrankheiten und       kinderprogramme erfolglos hinter sich gebracht. Ihre
Aids ignorieren sie. Jungen und Mädchen leben zusam-        Aussichten sind denkbar schlecht.

6 / strassenkinder in brasilien
Straßenkinder in Brasilien
DROGENHANDEL
Das Thema »Drogenhandel« ist inzwischen eng mit dem
Leben von Straßenkindern verknüpft. Die Meninos de
Rua, die täglich aus den Favelas in die Innenstädte lau-
fen, eignen sich hervorragend als Drogenkuriere. Aber
auch Kinder, die sich bereits weiter von ihren Familien
entfernt haben, stehen im Blickpunkt der Drogenmafia.

Früher war Brasilien lediglich ein Transitland für die
Drogenhändler aus den einschlägigen Produktionsstät-
ten in Kolumbien, Bolivien und Peru. Heute rangiert
Brasilien nach den USA auf Platz Zwei im Ranking der
größten Konsumenten von Kokain. Dementsprechend
hat sich in Brasilien eine Schattenwirtschaft ausgebrei-
tet, die in den Favelas der Großstädte beheimatet ist. Die
                                                                Die engen Gassen der Favelas: ideales Versteck für Kriminelle
rechtsfreien Räume der Favelas werden von den rivalisie-
renden Gangs als Rückzugsorte benutzt und kontrolliert.1        in Auseinandersetzungen um Territorialkontrollen ver-
                                                                wickelt. Deren »Arbeitsbedingungen« werden als »ähn-
Das besondere Interesse von Leuten aus dem Drogen-              lich derer von Kindersoldaten« in Uganda und Kolumbien
geschäft an Straßenkindern rührt vom brasilianischen            beschrieben. Die Studie hebt außerdem hervor, dass in
Jugendschutzgesetz her. Das verbietet es, Jugendliche           den Favelas von Rio mehr Kinder getötet werden, als in
unter 18 Jahren zu verhaften, wenn sie nicht auf frischer       den Innenstädten. Viele dieser Kinder werden auf heim-
Tat ertappt werden. Das prädestiniert die Kinder und            lichen, versteckten Friedhöfen über ganz Rio verstreut
Jugendlichen nahezu als Boten und Kuriere. Allerdings           beerdigt. Diese Opfer waren in welcher Form auch im-
wissen manche dieser Kinder und Jugendlichen irgend-            mer in den Drogenhandel verwickelt. Ein Drogenboss
wann zu viel und werden damit zum erhöhten Risiko für           zahlt seinen Kindersoldaten im Schnitt ungefähr 400
ihre Auftraggeber. Oder sie zweigen etwas für den eige-         Reais pro Monat – nicht einmal 160 Euro. Dennoch ein
nen Bedarf ab. In beiden Fällen werden sie umgebracht.          fürstliches Gehalt im Vergleich zum durchschnittlichen
                                                                Monatseinkommen eines Brasilianers.
Kinder und Jugendliche sind in der vertikalen Hierarchie
des organisierten Verbrechens die unterste Stufe. Von rei-      Während früher viele Kinder freiwillig ins Drogenge-
nen Aufpassern in den Favelas werden sie zu Boten und           schäft einstiegen, weil sie den Lockungen des in Aussicht
schließlich zu Kurieren. Wer das überlebt kann bei den          gestellten gesellschaftlichen Aufstiegs erlagen, hat die
Kontrolleuren unterkommen, den bewaffneten Leuten               Studie erbracht, dass in jüngster Zeit immer mehr Kinder
der Drogenbarone, aber soweit kommt es oft nicht. 1998          und Jugendliche zur Mitarbeit gezwungen werden. Als
sollen jeden Tag fünf bis sechs Kinder von der Drogen-          Ursache führt er schwindende Beziehungen zwischen
mafia getötet worden sein, zwei davon in Rio.                   der Gemeinschaft und dem Drogenhandel an. Waren die
                                                                Protagonisten in den Anfängen des Drogenhandels noch
Einer englischen Studie von 2004 zufolge 2 sind allein in       die Männer aus der Nachbarschaft, die hier und da mal
Rio de Janeiro 5 000 bewaffnete Kinder und Jugendliche          aushalfen und die Bewohner vor Überfällen von Klein-
                                                                kriminellen schützten, so haben einige wenige Mächtige
                                                                inzwischen ein Gefüge errichtet, das nur noch von ihres-
                                                                gleichen erschüttert werden kann. Mit den Favela-Be-
                                                                wohnern stehen diese Syndikate kaum noch in Kontakt.
                                                                Sie nutzen den rechtsfreien Raum der unübersichtlichen
 Foto: Fernando Vargas, tortuga e.V.

                                                                Elendsviertel als Schlupfwinkel und üben dort ihre Herr-
                                                                schaft mit schrankenloser Brutalität aus.3 Die Bewohner
                                                                leben in Geiselhaft der Banditen. Eine Frau, deren zwei
                                                                Söhne irrtümlich erschossen wurden, bringt es auf den
                                                                Punkt: »Während die Mörder frei herumlaufen, sitzt die
                                                                Gesellschaft im Gefängnis.«

                                                                1
                                                                    S. Newsletter November 05
                                                                2
                                                                    Luke Downey, Children and Youth in Organized Armed Violence (COAV)
                                                                3
Schon die Kleinsten betäuben sich mit Klebstoff                     Vgl. Newsletter »Fussball für Strassenkinder« 03: »Rio de Janeiro – Favela Jacarezinho«

Infomaterial der Don Bosco Aktion »Fußball für Straßenkinder«                                                       strassenkinder in brasilien / 7
Straßenkinder in Brasilien
Situation von Straßenkindern

                                                                     dpa
Festnahmen nach einer Razzia

JUSTIZ
Zu den katastrophalen Bedingungen, in denen Kinder der
ärmsten Bevölkerungsgeschichten in nächster Nähe zur
Kriminalität aufwachsen, kommt ein nicht minder
katastrophales Strafvollzugssystem. Jugendliche werden
in Brasilien nicht in entsprechende Jugendstrafanstalten
inhaftiert, sondern gemeinsam mit erwachsenen Häft-
lingen in gewöhnlichen Gefängnissen. Die sind überfüllt.
Es wird in Schichten geschlafen, weil nicht alle gleichzei-
tig liegen können. Ein elfjähriger Häftling kommentiert
die Zustände so: »Im Gefängnis lernst du nichts Gutes. Es
ist eine Universität des Verbrechens. Du lebst mit Ver-
brechern zusammen, die noch viel schlimmer sind als du
selbst. Und die Drogen im Knast sind auch viel schlimmer
als draußen.«1
1
    Lord David Alton, Jubilee Campaign – Brazil Trip Report (2004)

8 / strassenkinder in brasilien
Straßenkinder in Brasilien
Ursachen des Phänomens Straßenkinder

Mit der Auflösung der Agrargesellschaft und der Abwan-
derung der Landlosen und entwurzelten Bauernsöhne in
die Stadt schwand die Integrationskraft der Großfamilie.
Die Entwicklung, die die europäischen Länder während
ihrer Industrialisierung im 19. Jahrhundert erlebten, fin-
det mit einiger Verzögerung nun in Lateinamerika statt.

In ganz Lateinamerika hat sich die Mehrheit der Bevölke-
rung vom Land in die Städte verlagert. Die Sozialbudgets
der lateinamerikanischen Staaten reichen nicht, um mit
der steigenden Armut fertig zu werden. Die wirtschaft-
lichen Probleme dieser Länder und die soziale Ungerech-
tigkeit liegen dem zugrunde. Korruption und mangeln-
des Interesse der einflussreichen Personen behindern die
Entwicklung. Und wo der Staat nicht regulierend ein-
greift, da tauchen die Straßenkinder auf.

Die Kluft zwischen Arm und Reich war noch nie so groß
wie heute. Nur ein kleiner Teil der brasilianischen Bevöl-
kerung profitiert von der Dynamik der Wirtschaft. Arm
sein bedeutet, ausgeschlossen sein von den Ressourcen,
die anderen zur Verfügung stehen. Das führt zu Frustra-
tion und Hoffnungslosigkeit. Straßenkinder sind in die-
sem Zusammenhang lediglich ein Symptom von weitaus
tiefer liegenden Problemen. Als Präsident Lula da Silva         Familie vor ihrer neuen Behausung in einer Favela
2003 sein Amt antrat, war an seine Person die Hoffnung
geknüpft, Korruption und Misswirtschaft zu beenden.             Jedes Kind ist eine Belastung und muss zum Unterhalt
Tatsächlich werden Stimmen laut, der Staat sei unter            beitragen, um seine Daseinsberechtigung zu behalten.
Lulas Regierung sogar noch korrupter geworden.                  Die Älteren kümmern sich um die Jüngeren. Zeit, um zur
                                                                Schule zu gehen, bleibt selten übrig.
Die Straßenkinder, ob mit oder ohne Bezug zur Familie,
kommen aus den Favelas, aus den Elendsvierteln. Überall         Die wenigsten Straßenkinder sind »verlassene« Kinder.
dort, wo Menschen aus wirtschaftlicher Not in die Städte        Die meisten haben von sich aus den Kontakt zu ihren
flüchten, ohne damit die Notsituation zu beenden, zer-          Familien abgebrochen. Allerdings nicht aus jugendlicher
brechen Familien. Der ungeheure wirtschaftliche Druck,          Unternehmungslust, sondern als Reaktion auf Gewalt
dem die Familienväter ausgesetzt sehen, die unzureichen-        und Missbrauch: Die Entscheidung eines Kindes, das
den Wohnverhältnisse und die Arbeitslosigkeit führen            keine Alternative sieht.
zu Alkoholismus und Gewalt. Die Familienstrukturen
zerfallen. Männer verlassen ihre Frauen und Kinder.             Auf die Entwicklung der ärmsten Bevölkerungsschichten
Mütter sehen sich zur Prostitution gezwungen, um ihre           setzen verschiedene Nichtregierungsorganisationen und
Kinder weiter ernähren zu könne, wenn sich keine an-            Organisationen der kirchlichen Entwicklungszusammen-
dere Möglichkeit mehr eröffnet.                                 arbeit. Gerade letzterer fällt in Brasilien eine besondere
                                                                Bedeutung zu: Die Kirche hat bei der Bevölkerung als
In Brasilien werden jährlich schätzungsweise 1 Million          neutrale Institution, die im Spannungsverhältnis eines
unerwünschter Kinder geboren. Knapp ein Drittel der             korrupten Staates und einer übermächtigen illegalen
jungen Mütter zwischen 12 und 17 Jahren weiß nicht,             Schattenwirtschaft nicht Partei ergreift, einen hohen
dass Geschlechtsverkehr zur Schwangerschaft führt.              Status. Daher haben Programme der kirchlichen Sozial-
Mütter mit bis zu sieben oder acht Kindern von ebenso           arbeit und Entwicklungszusammenarbeit einen besonde-
vielen Vätern sind kein Ausnahmefall. Sechs von zehn            ren Stellenwert bei den Menschen der Favelas.
Straßenkindern stammen aus Familien, die vom Vater
verlassen wurden. Gewalt und Missbrauch ist in diesen
instabilen und unvollständigen Familien an der Tages-
ordnung. Kinder aus früheren Beziehungen werden oft
von Stiefvätern wie selbstverständlich misshandelt.

Infomaterial der Don Bosco Aktion »Fußball für Straßenkinder«                                           strassenkinder in brasilien / 9
Straßenkinder in Brasilien
Lösungsansätze

PRÄVENTION                                                                  nissen Eltern und Kinder angesprochen. Kinder gestalten
Straßenkinder kommen aus den Favelas. Hier setzen viele                     mit Theaterstücken, Fußballturnieren, Capoeira und
Organisationen mit präventiven Programmen an. Die                           Musik das Programm.
Salesianer Don Boscos sind unter anderem in Rio de
Janeiro und in Belo Horizonte in Favelas präsent. Die                       Bei den Salesianern gelten, wie inzwischen auch in der
Basis sind Kirchengemeinden, denen hier die Bedeutung                       internationalen Entwicklungszusammenarbeit, Bildung
von zentralen Plattformen der Sozialarbeit zukommt. Von                     und Erziehung von Kindern und Jugendlichen als Schlüs-
hier aus steuern die Mitarbeiter der Gemeinden unter                        sel zur Überwindung von niedrigster Armut. Jugendliche
Leitung eines oder mehrerer Priester eine ganze Palette                     ohne Schulbildung haben keinerlei Aussichten auf Ar-
von Angeboten, die die Bildung von stabilen Gemein-                         beitsplätze jenseits des kriminellen Milieus. Jugendliche
schaften zum Ziel haben. Das umfasst Maßnahmen wie                          brauchen greifbare Alternativen, um den Lockungen von
Schulbildung für Kinder und Jugendliche, Lernbetreu-                        schnell verdientem Geld zu widerstehen.
ung, Berufsausbildung und Erwachsenenbildung. Außer-
em stehen Freizeitangebote wie Fußball oder Capoeira1                       Dahinter steckt das Prinzip des Capacity Buildings, eines
hoch im Kurs. Aber auch Musikunterricht, Basteln oder                       ganzheitlich und nachhaltig ausgelegten Vorgehens:
Kindertagesstätten sind sinnstiftende Angebote, die den                     Eine intakte Familie und ein stabiles Umfeld motiviert
Heranwachsenden Entfaltungsmöglichkeiten bieten.                            junge Menschen, ihre Zukunftsplanung auf ihre Umge-
                                                                            bung zu konzentrieren. Mit qualifiziert ausgebildeten
Bei allem steht die Familie im Mittelpunkt. Für die Ent-                    Handwerkern, Kaufleuten und Dienstleistern erweitert
wicklung von Kindern sind stabile Familienstrukturen                        sich das Humankapital, die Leistungsträger der Gesell-
unerlässlich. Eltern, vor allem arbeitslose Väter, sind häu-                schaft. Mehr Geld kommt in den Umlauf und steigert die
fig frustriert über das eigene Versagen als Familienernäh-                  lokale Wirtschaftskraft. Eltern, die am eigenen Leibe
rer. Über die Kinder sprechen die Salesianer Don Boscos                     erfahren, wie wichtig Bildung, Erziehung und Familie
die Eltern an, machen ihnen Mut, noch einmal etwas zu                       für die Zukunft von Kindern ist, achten auch bei ihren
versuchen, wie Lesen und Schreiben zu lernen oder in                        eigenen Kindern darauf. Langfristig schwächt ein wirt-
Abendschulen einen Schulabschluss oder eine Berufsaus-                      schaftlich und sozial stabiles Umfeld den Einfluss der
bildung nachzuholen. Das steigert natürlich auch deren                      Schattenwirtschaft, da ihre Angebote an Attraktivität
Chancen auf dem Arbeitsmarkt. Außerdem werden mit                           verlieren. Gebildete Menschen kennen außerdem ihre
Gemeindefesten oder ähnlichen gesellschaftlichen Ereig-                     Rechte und setzen sich auch eher auf politischer Ebene

                                                                            1
                                                                                Traditionelle Tanzform, die aus waffenlosen Kampftechniken der früheren Sklaven
                                                                                entstanden ist. Akrobatisch, dynamisch und vollkommen gewaltfrei.

                       Capoeira steht in Brasilien genauso hoch im Kurs wie Fußball

10 / strassenkinder in brasilien
Ehemalige Straßenkinder im Auffangzentrum mit dem Hl. Don Bosco   Die Maske: Ein Stück Vergangenheitsbewältigung
in ihrer Mitte

für ihre Rechte ein. Bürger mit politischem Bewusstsein           2
                                                                      Vgl. Newsletter »Fussball für Strassenkinder« 01/05 und 02/05: »Jonathan und Janaina
                                                                      machen sich fit für die Zukunft« / »Vom Limonadenverkäufer zum Softwareentwickler –
verfolgen die Aktivitäten der Regierung und lenken                    eine Erfolgsgeschichte«
damit deren Macht in demokratische Bahnen. Bildung
wirkt damit auch indirekt als Sozialkapital einer Gesell-
schaft der Korruption entgegen.

Dieser Ansatz wird unterstützt von Programmen, die Ju-
gendliche in geregelte und faire Arbeitsverhältnisse ver-
mitteln, wie zum Beispiel CESAM,2 um ihnen beim Start
ins Berufsleben behilflich zu sein. Besonders für Jugend-
liche aus Favelas und ehemalige Straßenkinder ist trotz
guter Ausbildung der Zugang zu Arbeitsplätzen noch
schwerer als sonst. Ohne Hilfestellung sind die Barrieren
durch die Herkunft zu hoch. Es zeigt sich allerdings, dass
solche Programme gerade durch die intensive Betreuung
der Jugendlichen bei Arbeitgebern hoch im Kurs stehen.

Bisher stellt die brasilianische Regierung weder ausrei-
chend ausgebildete Lehrkräfte zur Verfügung, noch ein
Curriculum, das traditionelle Werte wie Respekt vor
menschlichem Leben und Menschenwürde oder bürger-
schaftliche Verantwortung stärker betont. Zudem kann
nicht jedes Kind in Brasilien eine Schule besuchen. Der
frühere Bürgermeister von Rio de Janeiro, Luiz Conde,
äußerte einmal, es gäbe für jedes Kind in Rio einen Schul-
platz. Tatsächlich gehen viele Kinder aber nicht zur              Gruppensitzung im Straßenkinderzentrum Casa Dom Bosco, Belo Horizonte

Schule, weil diese in Gegenden liegen, die von Drogen-
banden kontrolliert werden und daher Schauplatz von
Schießereien und Machtkämpfen sind. Aber auch eine
Änderung dieser Zustände ist nicht in Sicht. Die Polizei
geht gegen Drogenhändler mit Razzien vor, die regelmä-
ßig in Schiessereien ausarten, denen immer wieder unbe-
teiligte Personen zum Opfer fallen.

Infomaterial der Don Bosco Aktion »Fußball für Straßenkinder«                                                    strassenkinder in brasilien / 11
Lösungsansätze

STREETWORK UND REINTEGRATION                                Die Wege von der Straße führen in salesianischen
Meninos de Rua – die Straßenkinder – sind ein Symptom       Einrichtungen über drei Stationen:
der Armut. Solange sie nicht überwunden wird, wird es       1. Aufbau von Vertrauensbeziehungen durch Street-
immer heimatlose Kinder und Jugendliche geben. Ihnen        worker. Straßenkinder haben ihre eigene Identität auf
zu helfen ist schwer. Die Arbeit ist mühsam, langwierig,    ihre Weise definiert, durch Verwendung bestimmter
manchmal sogar gefährlich. Nämlich dann, wenn der           Slangwörter und häufiger Verben. Wer das ignoriert und
Sozialarbeiter der Polizei oder Kriminellen in die Quere    gewaltsam versucht, seine eigenen Wertvorstellungen
kommt.                                                      unterzubringen, wird scheitern.

Während der 70er entstanden viele Projekte zur Reinte-      2. Akzeptanz eines festen Treffpunktes, des Auffang-
gration von Straßenkindern. In den 80ern stellte man        zentrums. Einhalten von wenigen, aber klaren Regeln:
jedoch fest, dass die Zahl der Straßenkinder trotzdem       Respekt, keine Gewalt, keine Drogen, kein Diebstahl.
gestiegen war. Denn ein Bett und Essen sind ein Anfang,     Ein solches Auffangzentrum ist für die Straßenkinder
aber noch kein Programm. Die Kinder brauchen Thera-         mit keinerlei Verpflichtungen verknüpft. Sie können
pie, Drogenentzug, Erziehung, eine Ausbildung und die       kommen und gehen, wie es ihnen beliebt.
Möglichkeit, Geld zu verdienen. Der Weg von der Straße
zieht sich für die Kinder und Jugendlichen oft über Jahre   3. Betreutes Wohnen in einer Einrichtung, begleitet von
hin. Zu groß sind die seelischen Schäden, die die Kinder    Schulunterricht und Therapie. Hier wird soziales Ver-
und Jugendlichen in ihrem Leben auf der Straße davon-       halten erlernt, hier werden die Erfahrungen der Kindheit
getragen haben, als dass sie ihre Vergangenheit mit einer   und Jugend aufgearbeitet. Aggressivitäten werden abge-
heißen Dusche abwaschen könnten.                            baut. Selbstbewusstsein und Lebenswille werden aufge-
                                                            baut. Hier werden aber auch klare Regelen eingehalten.
                                                            Es wird gemeinsam gegessen. Der Unterricht beginnt zu
                                                            festgesetzten Zeiten. Das Haus darf nur zu bestimmten
                                                            Zeiten verlassen werden. Die Gruppen sind klein. 12 bis
                                                            14 ehemalige Straßenkinder werden in den Häusern
                                                            außer dem pädagogischen Personal noch von einer Kö-
                                                            chin und einem Hausmeister betreut. Das Hauspersonal
                                                            und der Einrichtungsleiter sind täglich im Haus. Pädago-
                                                            gen und Psychologen kommen zu festen Zeiten.

                                                            Eine vierte Stufe ist die Integration in das Arbeitsleben.
                                                            Wie bereits beschrieben gehen die Sozialarbeiter den
                                                            Jugendlichen dabei zu Hand und begleiten sie, bis sie
                                                            ihren Weg gefunden haben.

Straßenkinder sind trotz ihrer Entwurzelung Brasilianer.
Und sie lieben Fußball!

12 / strassenkinder in brasilien
Rückkehr in die Familie ist nicht immer das Beste für
Straßenkinder, auch wenn diese Möglichkeit immer
genau geprüft wird. Wenn der Bruch noch nicht zu lange
her ist, bestehen Chancen. Aber nur dann, wenn in der
Familie auch etwas geschieht. Bleiben die Verhältnisse
beim Alten, ist niemandem geholfen. In vielen Fällen hat
es keinen Zweck, die Kinder wieder mit ihrer Familie
zusammenzubringen.

Wenn in den Materialien der Kampagne »Fussball für
Strassenkinder« hauptsächlich Jungen die Protagonisten
sind, liegt das an einer Aufgabenteilung zwischen
Salesianern Don Boscos und Don Bosco Schwestern in
Brasilien. Für Mädchen gibt es ebenso Projekte wie für
Jungen. Eine Trennung von Mädchen und Jungen ist
pädagogisch sinnvoll. In anderen Ländern, in denen die
Zusammenarbeit der beiden Orden anders organisiert ist,
kümmern sich die Salesianer auch um die Mädchen. Das
Personal der Einrichtungen ist natürlich weiblich.

Infomaterial der Don Bosco Aktion »Fußball für Straßenkinder«   strassenkinder in brasilien / 13
Chancen durch Sport und insbesondere Fußball

                                                              in Italien eröffnete, hatte er zuvor lange nach einem
                                                              Grundstück gesucht, auf dem man alle Arten von Sport
                                                              treiben konnte, auch Ballspiele. Intuitiv hatte er damals
                                                              die Chancen erkannt, die ihm der Sport für die Arbeit
                                                              mit seinen Jugendlichen bot. Er hatte dabei die Persön-
                                                              lichkeitsentwicklung und -entfaltung im Kopf. Durch
                                                              die Freude an der Bewegung, aber auch Mannschafts-
                                                              Zusammenhalt, durch erlebte Erfolge und gelebte Fair-
                                                              ness. Seitdem hat jedes salesianische Oratorium (Jugend-
                                                              zentrum) einen Sportplatz.

                                                              Sport gerät zunehmend in den Blickwinkel der Entwik-
                                                              klungspolitik. Seit kurzem gibt es mit dem ehemaligen
                                                              Schweizer Staatspräsidenten Adolf Ogi bei den Vereinten
                                                              Nationen sogar einen »Sonderberater für Sport im Diens-
                                                              te von Entwicklung und Frieden des UNO-Generalsekre-
                                                              tärs«. Der sagt: »Sport ist ein Instrument von Entwik-
                                                              klung und Konfliktlösung, von Gesundheit, Bildung,
                                                              nachhaltiger Entwicklung und Frieden, das wir bisher
Sport trägt zur Entwicklung sozialer Kompetenzen bei
                                                              noch gar nicht wirklich in seinem Wert erkannt und
Fußball bewegt die Menschen, die Brasilianer vielleicht       ausgenutzt haben.«1 Sport mit seinen klaren Regeln ist
noch mehr als die Deutschen. Und jeder brasilianische         wichtig für das Lernen von Demokratie. Beim Sport
Junge will Profi-Fußballer werden und in der National-        erlernte Fähigkeiten wie »Toleranz, Fairness, friedlicher
mannschaft spielen. Denn Star-Fußballer, das ist Glanz        Wettkampf und gegenseitiger Respekt sind für ein kon-
und Geld, das Ende aller Sorgen. Der brasilianische           struktives Konfliktverhalten von Einzelner wichtig.«2
Fußball-Star Marcelinho, der in einer Favela aufwuchs,        1
                                                                  Adolf Ogi, in: Unglaublich positive Kraft. Entwicklungspolitik 19 / 2005
schmiedete als Jugendlicher mit zwei Freunden einen           2
                                                                  Reinhold Hemker, MdB und Mitglied der Ausschüsse Sport und Wirtschaftliche
Pakt: Wer es an die Weltspitze schafft, der unterstützt die       Zusammenarbeit und Entwicklung, in: Die friedliche Seite des Sports. Ebd.
anderen beiden. Er stand zu seinem Wort und teilte groß-
zügig mit den Freunden.

Was Fußball für die Sozialarbeit in Favelas und in den
Auffangzentren für Straßenkinder so interessant macht
ist allerdings nicht die Aussicht auf eine wirtschaftliche
Absicherung ihrer Schützlinge. Als Don Giovanni Bosco
vor 150 Jahren sein erstes Straßenkinderzentrum in Turin

                                                              Regelmäßiges Training kitzelt Ehrgeiz und Durchhaltevermögen hervor

14 / strassenkinder in brasilien
Für brasilianische Straßenkinder sind genau diese As-
pekte essentiell. In ihrer Umgebung herrscht soviel Ge-
walt und Aggressivität, dass bei Streitereien um Fouls
oder andere Verstöße regelrechte Schlüsselerlebnisse
stattfinden: Spielregeln lautet das Stichwort. Wer sich
ihnen unterordnet und sie befolgt, trägt damit zum
Gelingen des Spiels, und damit zum Spaß aller, bei. Im
übertragenen Sinne funktioniert auch die Gesellschaft
nach Regeln. Wer sie beherrscht, trägt die Zivilgesell-
schaft und stärkt sie: die Basis für erfolgreiches Zusam-
menleben.

Beim Fußball lernen Kinder und Jugendliche aber auch
über sich selbst. Sie feiern Erfolge, lernen aber auch, mit
Misserfolgen umzugehen. Sie lernen, regelmäßiges Trai-
ning als Grundlage für Erfolg zu begreifen. Sie nehmen
sich in einem sozialen Kontext wahr, der modellhaft für
die Zivilgesellschaft ist. Sie definieren sich im Zusam-
menspiel mit anderen. Diese Lernziele des Sports sind
gleichzeitig Lernziele für das Zusammenleben im priva-
ten, beruflichen und politischen Bereich.

Mit Don Bosco einer Zukunft entgegen

                                                              strassenkinder in brasilien / 15
Weitere Informationen zum Thema Straßenkinder

Weitere Informationen zum Thema Straßenkinder finden Sie unter www.jugendeinewelt.at oder unter
www.tagderstrassenkinder.at

                                 Jugend Eine Welt
                                 Jugend Eine Welt fördert unter dem Motto „Bildung überwindet Armut“ Straßenkinder- und
                                 Bildungsprojekte weltweit.

                                 Doch ohne die Unterstützung der zahlreichen Spenderinnen und Spender, der Fördergeber, der
                                 ehrenamtlichen Helferinnen und Helfer und der Jugend Eine Welt Volontärinnen und Volontäre
                                 wäre dies nicht möglich.

                       Die Unterstützung für Kinder und Jugendliche aus ärmsten Verhältnissen hat viele Formen. Eine
                       Spende, Kuchenverkauf bei einem Pfarrfest, Unternehmenssponsoring, staatliche Förderungen,
ehrenamtliches Engagement bei Veranstaltungen, Volontariatseinsätze und noch vieles mehr.

Dieses Engagement und diese Unterstützung macht die Arbeit von Jugend Eine Welt erst möglich.

Um langfristig helfen zu können braucht Jugend Eine Welt die Unterstützung zahlreicher Spenderinnen und Spender.

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                       für strassenkinder

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Redaktion: Don Bosco Aktion »Fussball für Strassenkinder«, Benedict Steilmann, DON BOSCO MISSION, Claudia Moll, JUGEND DRITTE WELT,
Strässchensweg 3, 53113 Bonn, Tel: 0228 / 53 965-70, info@fussball-fuer-strassenkinder.de, www.fussball-fuer-strassenkinder.de
Koordination und Druck: Joh. van Acken GmbH u. Co. KG, Druckerei und Verlag, Magdeburger Straße 5, 47800 Krefeld
Fotografie: Picture Alliance, tortuga e.V. (Alle Schwarz-Weiß-Fotos aus dem Buch »Meninos de Rua, Straßenkinder in Brasilien, ela verlag edition
Lateinamerika«), Rest: Don Bosco Archiv
Konzept & Gestaltung: www.loewentreu.de, Kommunikationsdesign
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