Libyen: Italiens Außenminister fordert: Wir müssen den Krieg stoppen
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
Libyen: Italiens Außenminister fordert: Wir müssen den Krieg stoppen bild.de/politik/ausland/politik-ausland/libyen-italiens-aussenminister-fordert-wir-muessen-den-krieg- stoppen-68965378.bild.html Italiens Außenminister Luigi di Maio (33, „5-Sterne-Bewegung“) beobachtet das aktuelle Geschehen in Libyen mit Sorge. Im BILD-am-SONNTAG-Interview stellt er seinen Plan für die neue EU-Mission vorFoto: Domenico Stinellis / AP Photo / dpa Es ist ein dramatischer Appell, den Italiens Außenminister Luigi di Maio im BILD-am-SONNTAG- Interview an Deutschland richtet: Der Bürgerkrieg in Libyen muss beendet werden. Sonst droht Europa ein doppeltes Sicherheitsrisiko. Außerdem spricht der Minister über die Frage, wie es nach den krassen Verbalattacken von Ex-Innenminister Matteo Salvini um die deutsch- italienischen Beziehungen steht. Und welche Hoffnungsschimmer er in Italiens ewiger Finanzkrise sieht. BILD am SONNTAG: Herr Minister, bei der Libyen-Konferenz in Berlin wurde eine Waffenruhe vereinbart, aber sie wird täglich gebrochen: Diese Woche wurden z. B. der Hafen von Tripoli von Gegnern der international anerkannten Regierung beschossen. Was kann Europa beitragen, um den blutigen Konflikt zu lösen? Luigi Di Maio: „Deutschland hat, in Person von Bundeskanzlerin Angela und Außenminister Heiko Maas, bereits Bemerkenswertes geleistet: Durch die Konferenz in Berlin ist es gelungen, alle Beteiligten an einen Tisch zu bringen – Premier al-Sarradsch, General Haftar und jene Länder, die auf die beiden Einfluss haben. Letzteres ist entscheidend, weil in Libyen ein Stellvertreterkrieg tobt. Es besteht Einigkeit in der EU, dass Diplomatie der einzig richtige Weg ist, auch wenn es Rückschläge gibt. Die Straße der Diplomatie braucht nun einmal mehr Zeit als die des Krieges.“ 1/6
Seit neun Jahren kommt Libyen nicht nur Ruhe. In der Hauptstadt des Landes, Tripolis, feuert ein Kämpfer der Regierung der nationalen Einheit (GNA) auf Streitkräfte von General HaftarFoto: picture alliance/dpa Im Rahmen einer neuen EU-Mission sollen bald Marineschiffe den Waffenschmuggel nach Libyen stoppen. Befürchten Sie, dass durch die Präsenz der Schiffe die Zahl der Bootsflüchtlinge wieder steigt? Di Maio: „Um die Waffenlieferungen zu stoppen, brauchen wir eine Mission, die neben dem Einsatz von Marineschiffen auch Kontrollen aus der Luft und an Land umfasst. Viele Länder, auch Italien, sind besorgt, dass der Einsatz der Marineschiffe zu einem Anschwellen der Flüchtlingsströme führen könnte. Deshalb soll der Einsatz auf die östliche Mittelmeer-Küste, auf die Route der Waffenschmuggler, begrenzt bleiben. Es gibt eine Klausel, wonach der Marine-Einsatz abgebrochen wird, sollte durch die Schiffe dennoch ein Anreiz zur Flucht entstehen. Es ist das erste Mal, dass die EU diesen ‚Pull- Faktor‘ anerkennt, von dem wir Italiener seit Langem sprechen.“ Also schließen Sie eine neue Flüchtlingskrise aus? Di Maio: „In Libyen sind 700 000 Flüchtlinge. Die meisten davon wollen nicht nach Europa, solange sie dort in Frieden leben können und eine Perspektive haben. Aber können Sie sich vorstellen, was passiert, wenn in der Hauptstadt Straßenkämpfe ausbrechen? Für mich ist klar: Wir müssen diesen Krieg stoppen. Sonst haben wir eine neue Flüchtlingskrise. Es ist im Übrigen auch der einzige Weg, dem Terrorismus den Nährboden zu entziehen. Das Außenministerium in Tripoli gibt es nicht mehr, weil ISIS- Terroristen es in die Luft gesprengt haben. Das passiert nur 200 Kilometer von Sizilien entfernt, vor Europas Küsten.“ 2/6
Flüchtlinge verlassenen im Juli 2019 ihr Schlauchboot vor der libyschen Küste. Sie wurden vom Schiff der Rettungsorganisation Sea-Eye gerettetFoto: Fabian Heinz/Sea-Eye/dpa Ist Russland, das als Unterstützer von General Haftar gilt, der von einer Gegenregierung im Osten des Landes unterstützt wird, Teil des Problems oder Teil der Lösung? Di Maio: „Da erlaube ich mir, Kanzlerin Merkel zu zitieren: ‚Wir müssen an der Sicherheit Europas arbeiten, aber gemeinsam mit, nicht gegen Russland.‘ Die Tatsache, dass Präsident Putin zur Libyen-Konferenz nach Berlin gekommen ist, zeigt: Moskau kann und muss Teil der Lösung sein.“ 3/6
Italiens neue Regierung ist seit einem halben Jahr im Amt. Inwiefern sehen Sie es nach dem Ausscheiden von Innenminister Matteo Salvini von der rechten Lega- Partei als Ihre Aufgabe, verloren gegangenes Vertrauen zwischen Rom und Berlin wieder aufzubauen? 4/6
Di Maio: „Ich erlebe in Berlin maximale Offenheit für unsere Anliegen. Deutschland ist der natürliche Gesprächspartner für Italien, was unsere Zukunft in Europa anbelangt: Mit keinem anderen Land verbinden uns mehr Werte und Ziele. Vergessen wir nicht, welche Schwierigkeiten wir überwinden mussten beim Aufbau unserer Demokratien nach der Tragödie des Nationalsozialismus und Faschismus. Aktuell verbindet uns der Kampf gegen Extremismus jeglicher Art, besonders des Rechtsextremismus.“ Ex-Innenminister Salvini hat viel außenpolitisches Porzellan zerschlagen mit seinen Angriffen auf die EU und auf die Regierung Merkel. Nicht vergessen ist in Deutschland der Tweet, in dem er in Bezug auf die Aufnahme von Flüchtlingen schrieb, zu Kriegszeiten würde man Merkel „wegen Hochverrat den Prozess machen“. Di Maio: „Matteo Salvini hat es vorgezogen, Tweets abzusetzen, statt für die Interessen seines Landes zu arbeiten. Er hat in vielen Ländern der internationalen Gemeinschaft damit Schaden angerichtet, zum Glück aber nicht zwischen den Völkern. Salvini ist ein Mensch, der in Slogans und in Schlagzeilen denkt, nicht in Prozessen, die zu konkreten Resultaten führen. Seine Wortwahl kann dies in diesem Fall aber nicht entschuldigen.“ Das Kabinett „Conte I“ bestand aus Matteo Salvini als Innenminister, Giuseppe Conte als Ministerpräsident und Luigi Di Maio als Minister (v.l.). Das Trio war am Ende völlig zerstrittenFoto: FILIPPO MONTEFORTE / AFP Im Vorfeld der Europawahl 2019 gab es auch bitteren Streit zwischen Rom und Brüssel. Sind die ehemals Europa-begeisterten Italiener Europa-müde geworden? Di Maio: „Auch hier gilt es, den Blick nach vorn zu richten: Die Ankündigungen der neuen Kommission haben Hoffnungen und Erwartungen in Italien geweckt, im Hinblick auf den ‚Green New Deal‘ von Ursula von der Leyen, im Hinblick auf einen möglichen 5/6
europäischen Mindestlohn und dem Schutz von Arbeitnehmerrechten. Es ist wichtig, dass den Worten Taten folgen.“ Sowohl Salvini als auch Sie haben Millionen Follower in den sozialen Netzwerken. Wie groß sehen Sie die Gefahr, dass Politik nur noch für Likes und Herzchen inszeniert wird? Di Maio: „Die sozialen Medien sind ein wichtiges Mittel der Kommunikation geworden, gesellschaftlich wie politisch. Solange man verantwortungsvoll damit umgeht, dienen sie durchaus der Information der Bürger. Ich sehe das nicht so pessimistisch: Wer statt Inhalten nur Wut und Hass transportiert, wird meiner Meinung nach auf Dauer damit scheitern.“ Warum schafft es Italien nicht, einen Weg aus der Finanzkrise zu finden, wie es z. B. Spanien gelungen ist? Di Maio: „Als Exportnation treffen uns die Auswirkungen von internationalen Krisen besonders stark: der Handelsstreit zwischen den USA und China, die Sanktionen gegen Russland und den Iran, der Bürgerkrieg in Libyen. Aber weder ‚Made in Italy‘ noch ‚Made in Germany‘ stecken in der Krise, sondern unsere Absatzmärkte. Auf dem Arbeitsmarkt tragen unsere Anstrengungen bereits Früchte: Italien hat die höchste Beschäftigungsquote seit 1977 erreicht, fast 60 Prozent, überwiegend mit stabilen Arbeitsverhältnissen.“ 6/6
Sie können auch lesen