Lieferdrohnen und Flugtaxis in der Stadt? - Zwölf wissenschaftsbasierte Handlungsempfehlungen für den Verkehr der Zukunft im unteren Luftraum ...
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Lieferdrohnen und Flugtaxis in der Stadt? Zwölf wissenschaftsbasierte Handlungsempfehlungen für den Verkehr der Zukunft im unteren Luftraum
Zusammenfassung Wissenschaft im Dialog und die Technische Universität Berlin haben in den Jahren 2019 und 2020 gemeinsam das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderte Projekt „The Sky is the Limit – Die zukünftige Nutzung des urbanen Luftraums” (Sky Limits) durchgeführt. Auf Grundlage der Forschungsergeb- nisse werden die folgenden zwölf Handlungsempfehlungen zur möglichen Integration von Lieferdrohnen und Flugtaxis in den urbanen Luftraum in Deutschland formuliert: Es bedarf: 1. ... einer Versachlichung und Differenzierung der Debatte über den Einsatz von Drohnen für den Liefer- und Personentransport. 2. ... einer Berücksichtigung konkurrierender Zukunftsbilder und einer Aushandlung divergierender Vorstellungen zum Einsatz von Lieferdrohnen und Flugtaxis. 3. … einer Verbreiterung der Debatte auf die gesamtgesellschaftliche Ebene, denn Drohnenflüge sind stets öffentlich. 4. ... einer Institutionalisierung des Einbezugs der Bevölkerung, beispielsweise in Form von Bürgerräten. 5. ... einer Anerkennung der Tatsache, dass eine Einführung von Lieferdrohnen und Flugtaxis für die Auslieferung von Kon- sumgütern bzw. für die individuelle Mobilität bevölkerungsseitig derzeit nicht befürwortet wird.
6. … der Einsicht, dass eine Implementierung der Drohnentechno- logie derzeit nur im medizinischen Notfall akzeptanzfähig ist. 7. … einer Plausibilisierung konkreter Mehrwerte von Liefer- drohnen und Flugtaxis für die Bevölkerung und einer Ausrichtung der Technologieentwicklung an den Bedarfen der Bevölkerung. 8. … einer fortlaufenden und vertiefenden Technikfolgenabschät- zung eines möglichen Einsatzes von Lieferdrohnen und Flugtaxis. 9. ... eines konzeptuellen Leitbilds, das den Einsatz von Liefer- drohnen und Flugtaxis dem Paradigma eines nachhaltigen und integrativen Verkehrswesens unterstellt. 10. ... einer proaktiven Politik, die die Erarbeitung eines klaren Luftverkehrsmanagements vor der Einführung der Drohnentechno- logie vorantreibt. 11. ... einer Sensibilisierung von Kommunen und einer Stärkung ihrer Gestaltungskompetenzen für eine mögliche Einführung von Lieferdrohnen und Flugtaxis. 12. … der Entwicklung einer Charta zur gemeinwohlorientierten Luftraumraumnutzung mit Lieferdrohnen und Flugtaxis in Deutsch- land.
1. Einleitung Lieferdrohnen und Flugtaxis in der Stadt? 3 Der mögliche Einsatz unbemannter Luftfahrzeu- Sie verweisen zudem auf positive Umwelteffek- ge, meist vereinfacht als Drohnen bezeichnet, te, die sich durch den vollelektrischen Antrieb nimmt in den Diskussionen über die Zukunft ergeben sollen. Der Transport kleinerer Waren der Stadt im Allgemeinen und den städtischen von wenigen Kilogramm Gewicht wird punktuell Verkehr im Besonderen immer größeren Raum bereits praktiziert1. An zertifizierten Lösungen ein. Die zunächst exklusiv militärische Droh- für den Personentransport in sogenannten nennutzung erfuhr in den zurückliegenden Jah- Flugtaxis wird derzeit mit Hochdruck geforscht, ren eine bedeutende Erweiterung in Richtung nicht zuletzt unter starker Mitwirkung deut- ziviler Anwendungskontexte (Datensammlung, scher Technologieunternehmen. Bereits im Jahr Inspektion, Überwachung etc.). Basis dafür sind 2023 sollen, laut der Zielstellung dieser Unter- technologische Fortschritte im Bereich von nehmen2 als auch der europäischen Flugsiche- Batterien, Telematik und Materialien sowie die rungsbehörde EASA, Flugtaxis einsetzbar sein. Hoffnung möglicher Effizienzgewinne und Kos- Darüber hinaus befasst sich auch die nationale tenreduktionen. Diese Entwicklung führt aktuell Politik mit dem Einsatz von Lieferdrohnen und zur Entstehung eines neuen und stark wachsen- Flugtaxis und entwickelt auf verschiedenen Ebe- den Industrie- und Dienstleistungszweiges. nen Einschätzungs- und Regulierungsansätze, wie unter anderem im Aktionsplan der Bundes- Während Drohnen etwa im Bereich der Land- regierung für „Unbemannte Luftfahrtsysteme wirtschaft, der Bau- und Energiewirtschaft und innovative Luftfahrtkonzepte”3 zu sehen ist. oder auch seitens Behörden und Organisatio- nen mit Sicherheitsaufgaben bereits vielerorts Angesichts dieser Entwicklungen könnte der un- eingesetzt werden, steht ihre Nutzung als Ver- tere Luftraum bereits in naher Zukunft zu einer kehrsträger noch am Anfang der Entwicklung. dritten Verkehrsebene avancieren, was nichts Neben der Erschließung neuer Geschäftsfelder Geringerem als einer historischen Zäsur der öf- im Personenverkehrs- und Logistikmarkt, stellen fentlichen Raumnutzung gleichkommen würde. die treibenden Akteur*innen eines Einsatzes von Tragweite und gesellschaftliche Implikationen Transportdrohnen (Hersteller, Mobilitätsdienst- einer solchen Luftraumerschließung sind zum leister, eCommerce-Unternehmen) die Vorteile heutigen Zeitpunkt nicht vollends absehbar und einer Verkehrsentlastung und -verlagerung so- dürften zukünftig zu einem neuen (verkehrs-) wie der Reisezeitverkürzung in den Vordergrund. politischen Handlungsfeld reifen. 1 Vgl. Matternet (2020). „Matternet Launches Drone Delivery Operations at Labor Berlin in Germany” (https://mttr.net/); Merck Group (2020). „Delivery drone helps internal logistics take flight” (https://www.merckgroup.com/); Emqopter (2018). „Entwicklung zur Realisierung des autonomen Flugs der Lieferdrohne abgeschlossen” (https://www.emqopter.de/) 2 Vgl. Lilium (2019). „Lilium präsentiert neues Flugtaxi bei erfolgreichem Erstflug” (https://lilium.com/); Volocopter (2019). „Exklusiv in Stuttgart: Erster urbaner Flug des Volocopter in Europa” (https://press.volocopter.com/); Airbus (2018). „Blueprint: The roadmap for the safe integration of autonomous aircraft.” (https://airbus.com). 3 Vgl. Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (2020). „Unbemannte Luftfahrtsysteme und innovative Luftfahrtkonzepte“ (https://www.bmvi.de)
Lieferdrohnen und Flugtaxis in der Stadt? 4 Vor diesem Hintergrund verfolgte das vom auch als Katalysatoren sozialer Exklusionsdyna- Bundesministerium für Bildung und Forschung miken und Produzenten von Ungerechtigkeiten (BMBF) geförderte Projekt Sky Limits das Ziel, wirken können. Entsprechend zielen die hier die Chancen und Risiken einer Luftraumer- formulierten Empfehlungen – dem normativen schließung durch Lieferdrohnen und Flugtaxis Grundverständnis der Technikfolgenabschät- im disziplinären Schnittfeld von Technikfol- zung entsprechend – auf einen dezidiert ge- genabschätzung und sozialwissenschaftlicher meinwohlorientierten Technologieeinsatz: An- Mobilitätsforschung zu erforschen und daraus spruch sollte dabei sein, eine gerechte Verteilung Handlungsempfehlungen für die zukünftige von Nutzen und Kosten des Drohneneinsatzes Entwicklung abzuleiten. Zentrale Bausteine des zu verfolgen, Exklusionseffekten entgegenzu- von der Technischen Universität Berlin und Wis- wirken sowie Form und Breite des Technologie- senschaft im Dialog durchgeführten Projekts einsatzes nicht als Durchsetzung von Einzelinte- bildeten: ressen, sondern als Resultat eines öffentlichen Aushandlungsprozesses zu begreifen. • die systematische Aufarbeitung der interna- tionalen Forschungsdebatten, Um nachvollziehbar zu machen, aus welchen Erkenntnissen sich die zwölf hier präsentierten • die Analyse von involvierten Akteur*innen, Handlungsempfehlungen speisen, sollen im ihren Konstellationen und Prognosen, Folgenden zunächst die zentralen Forschungs- ergebnisse der Projektarbeit von Sky Limits • die Erforschung der Einstellung und Akzep- skizziert werden (2.1). Die Erläuterung der sich tanz der deutschen Bevölkerung sowie daraus ergebenden Empfehlungen schließt sich daran an (2.2). • die Identifizierung möglicher Konfliktlinien eines möglichen Einsatzes von Lieferdroh- nen und Flugtaxis. Das vorliegende Papier stellt das Kondensat der zweijährigen Projektarbeit von Sky Limits dar und versammelt zwölf Handlungsempfehlun- gen4. Diese können als ein auf wissenschaftlicher Grundlage erarbeitetes Orientierungsangebot für den zukünftigen politischen Entscheidungs- prozess gelesen werden. Sie richten sich in ers- ter Linie an (verkehrs-)politische Akteur*innen der Bundesrepublik, aber auch an Akteur*innen aus Forschung und Kommunen. Zentraler Ausgangsgedanke für die Formulie- rung dieser Empfehlungen war die techniksozio- logische Erkenntnis, dass (neue) Technologien nicht nur Mehrwerte erwarten lassen, sondern 4 Die hier formulierten Empfehlungen speisen sich neben einer Literatur- und einer Stakeholderanalyse sowie einer Einstellungserhebung in der deutschen Bevölkerung auch aus weiteren Empfehlungen und Ergebnissen, die das Projekt Sky Limits im Rahmen eines Co-Creation-Workshops und eines Comic-Workshops erarbeitet hat und die auf der Projektwebsite einzusehen sind: www.skylimits.info.
2. Projektergebnisse und Lieferdrohnen und Flugtaxis in der Stadt? 5 Handlungsempfehlungen Das im Rahmen der Innovations- und Techni- Das folgende Kapitel 2.1 bündelt das methodi- kanalyse des BMBF geförderte, zweijährige sche Vorgehen und die zentralen Erkenntnisse Forschungsprojekt Sky Limits (01/2019-12/20) der drei Arbeitsphasen, aus denen sich die in Ka- gliederte sich in drei Arbeitsphasen. Beginnend pitel 2.2 vorgestellten Handlungsempfehlungen mit einer Status- und Analysephase identifizier- speisen. te das Projekt zunächst den derzeitigen Stand der Forschung, trieb parallel dazu den Aufbau eines Expert*innennetzwerks voran und analy- sierte Positionen unterschiedlicher Stakeholder einer möglichen zukünftigen Luftraumerschlie- ßung mittels zehn Expert*inneninterviews und eines Stakeholder-Workshops. Im Anschluss daran wurde die Einstellung der Bevölkerung gegenüber der Drohnentechnologie mittels qualitativer und quantitativer Forschungs- methoden erhoben. In einer abschließenden Partizipations- und Synthesephase brachte das Projekt Expert*innen und Bürger*innen in einen kritischen Austausch und entwickelte konkrete Handlungsempfehlungen für Politik, Wirtschaft und Planung. Status- und Stakeholdereinbindung Erhebung der Parzipave Ergebnissynthese und Literaturanalyse und Netzwerk öffentlichen Meinung Beteiligung Abschlusspublikaon Stand der Forschung, Trends, Gründung eines Fokusgruppen und Co-Creaon Workshops zur Veröffentlichung aller Relaonen, Lücken Expertenbeirats und repräsentave Entwicklung von polischen Projektergebnisse, Szenarien Stakeholder-Workshop Bevölkerungsumfrage Handlungsempfehlungen und Handlungsempfehlungen Abbildung: Arbeitsphasen und Projektverlauf Sky Limits
Lieferdrohnen und Flugtaxis in der Stadt? 6 von Lieferdrohnen und Flugtaxis im Vergleich zu 2.1 Zentrale Projektergebnisse alternativen Verkehrsträgern. Literaturanalyse Stakeholderanalyse Der internationale Forschungsstand zum The- Im Rahmen der Stakeholderanalyse wurden die ma „Drohnen für Transportzwecke“ wurde im zentralen deutschen Stakeholder einer urbanen Rahmen einer umfassenden Literaturanalyse Luftraumerschließung durch Lieferdrohnen und aufgearbeitet. Mithilfe eines systematischen, Flugtaxis identifiziert, kategorisiert und in einer softwaregestützten Verfahrens wurden 111 Stakeholder-Map kartografiert. Datengrundlage themenbezogene Publikationen ausgewertet, hierfür bildeten insbesondere zehn umfassende die zwischen 2013 und 2019 von wissenschaft- Expert*inneninterviews unter Einbindung des lichen, behördlichen, privatwirtschaftlichen und projektinternen Expert*innenbeirates sowie zivilgesellschaftlichen Akteur*innen veröffent- die Ergebnisse eines Stakeholder-Workshops licht wurden. mit Teilnehmenden aus einem breiten Spektrum aus Wissenschaft, Wirtschaft, Politik und orga- Zentrale Ergebnisse der Auswertung sind: nisierter Zivilgesellschaft. Herauszustellen ist, dass sich Formen institutionalisierter Zusam- • Stark wirtschaftlich motivierte Nutzungs- menarbeit zwischen spezifischen Schlüsselak- versprechen eines möglichen Einsatzes von teur*innen einer urbanen Luftraumerschließung Lieferdrohnen und Flugtaxis treffen auf ein in Deutschland aktuell in einer nur sehr begrenz- breitgefächertes rechtliches, ethisches und ten Zahl regionaler Entwicklungscluster kon- sicherheitsbezogenes Problembewusstsein. zentrieren. Allerdings geht aus der Analyse der inhaltlichen Perspektiven und Positionen der • Vorrangig rechtliche und technische Lösun- im Projekt untersuchten Stakeholdergruppen gen werden angeführt, um individuelle und hervor, dass mitunter stark divergierende und gesellschaftliche Risikopotenziale des Tech- in Konflikt stehende Vorstellungen gegenüber nologieeinsatzes abzuschwächen. den betrachteten Einsatzszenarien von Liefer- drohnen und Flugtaxis bestehen. Es muss auch • Ein fehlender Rechtsrahmen und eine noch herausgestellt werden, dass zwar insbesondere nicht gänzlich ausgereifte Technik werden im Kreis der zivilgesellschaftlichen Akteur*innen übergreifend als die größten Einführungs- ein Problembewusstsein gegenüber der Techno- barrieren der Drohnentechnologie betrach- logie besteht. Es hat jedoch bisher überwiegend tet. weder eine vertiefte inhaltliche Auseinanderset- zung mit dem Gegenstand noch eine sichtbare Allerdings nehmen in den untersuchten Doku- Vernetzung stattgefunden. menten konkrete Fragen zur gesellschaftlichen Akzeptanz, zu Umweltfolgen und Nachhaltigkeit Einstellungsforschung sowie (stadt-)planerische und infrastrukturelle Anforderungen der möglichen Transportdroh- Die Einstellung der Bevölkerung gegenüber nennutzung zunehmend Raum ein. Auffällig ist Lieferdrohnen und Flugtaxis wurde mithilfe zudem, dass insbesondere bezüglich der gesell- eines zweistufigen Sequential-Mixed-Methods- schaftlichen Mehrwerte der Technologie oftmals Designs erhoben. Dafür wurden zunächst im Sep- nur abstrakte und allgemeine Aussagen postu- tember und Oktober 2019 fünf Fokusgruppen liert werden, die bislang keine ausreichende wis- in Berlin, Stuttgart und Erfurt durchgeführt, die senschaftliche Überprüfung bzw. Differenzie- einen qualitativen Einblick in die Positionen der rung erfahren haben. Wissenslücken bestehen Öffentlichkeit gegenüber der Drohnentechnolo- insbesondere in Hinblick auf die verkehrlichen gie ermöglichten. Als Ergebnis der Fokusgruppen und umweltbezogenen Effekte des Einsatzes zeigte sich eine differenzierte, vielschichtige und
Lieferdrohnen und Flugtaxis in der Stadt? 7 komplexe Einstellung der Teilnehmenden gegen- über Lieferdrohnen und Flugtaxis. Kategorische Ablehnung oder bedingungslose Zustimmung wurden nur selten zum Ausdruck gebracht. Viel- mehr zeigte sich, dass für die Teilnehmenden eine Reihe an objekt- (Sicherheit, Nützlichkeit, Auswirkungen auf die Lebensqualität, Nachhal- tigkeit), subjekt- (Technikinteresse) und kontext- bezogenen (etwa politische oder verkehrliche eingestellt ist. Eine Einführung dieser Technolo- Integration der Technologie) Kriterien eine Rolle gie wird überwiegend nicht befürwortet. Nur 25 spielen. Sie beeinflussen, ob und in welchem Prozent der Befragten stimmten einem Einsatz Ausmaß die Menschen den Einsatz von Liefer- von Lieferdrohnen zur Auslieferung von Kon- drohnen und Flugtaxis befürworten würden. sumgütern und Produkten zu. Einem Einsatz von Flugtaxis für den generellen Personentransport Auf den qualitativen Ergebnissen der Fokus- stimmte nur rund jede*r fünfte Befragte zu (21 gruppen aufbauend wurde eine quantitative Prozent). Im Gegensatz zur eher ablehnenden bevölkerungsrepräsentative Telefonumfrage Grundhaltung gegenüber einem generellen mit 1.000 Befragten vom 20. bis 29. Januar 2020 Einsatz, befürwortete die große Mehrheit der durchgeführt. Damit sollte systematisch die Befragten jedoch den Einsatz von Lieferdrohnen Akzeptanz der deutschen Gesamtbevölkerung (63 Prozent) und Flugtaxis (65 Prozent) in medi- gegenüber Lieferdrohnen und Flugtaxis ermit- zinischen Notfällen. telt werden. Die erhobenen Daten bieten den bis dato umfangreichsten Einblick in die Bevölke- Auch die Nutzungsbereitschaft der Bevölkerung rungseinstellung gegenüber Lieferdrohnen und fällt gering aus. So stimmten nur 21 Prozent Flugtaxis. der Befragten der Aussage zu, dass sie Liefer- drohnen zur Auslieferung von Konsumgütern Die Auswertung des Surveys macht deutlich, dass und Produkten nutzen würden. Nur 18 Prozent die Bevölkerung gegenüber dem Einsatz von Lie- konnten sich vorstellen, Flugtaxis für den indi- ferdrohnen und Flugtaxis mehrheitlich skeptisch viduellen Personentransport zu nutzen. Eine Ich persönlich würde Drohnen generell für die Lieferung von Konsumgütern nutzen. 13 8 11 22 46 Ich persönlich würde Flugtaxis generell für meine individuelle Mobilität nutzen. 11 7 10 20 52 Ich persönlich würde Drohnen nur im Noall, z. B. für eine schnelle Medikamentenlieferung, nutzen. 38 22 12 10 18 Ich persönlich würde Flugtaxis nur im Noall, z. B. für einen schnellen Transport ins Krankenhaus, nutzen. 34 23 13 12 19 smme voll und ganz zu smme eher zu teils, teils smme eher nicht zu smme nicht zu Abbildung: Persönliche Nutzungsabsicht von Lieferdrohnen und Flugtaxis. Wissenschaft im Dialog/TU Berlin/forsa | Erhe- bungszeitraum 20.-29. Januar 2020 | Basis: 1.000 Befragte | Angaben in Prozent, Rundungsdifferenzen möglich
Lieferdrohnen und Flugtaxis in der Stadt? 8 Befragten konnten hingegen individuell keinen Mehrwert in der Technologie sehen. Gleichzeitig bestanden sehr hohe Bedenken der Befragten bezüglich der Sicherheit von Lieferdrohnen und Flugtaxis im öffentlichen Raum. Die Befragten äußerten sich zudem eher kri- tisch und vermuteten zum großen Teil, dass sich mehrheitliche Nutzungsakzeptanz der Bevöl- Lieferdrohnen und Flugtaxis negativ auf die Le- kerung für Drohnenflüge zeigte sich dagegen bensqualität in Städten auswirken. Eine Umwelt- erneut im medizinischen Notfall: So stimmten freundlichkeit der Technologie wurde darüber 60 Prozent der Befragten der eigenen Nutzung hinaus von der Mehrheit der Befragten bezwei- von Lieferdrohnen innerhalb eines klar definier- felt, zugleich aber in aller Deutlichkeit (von über ten medizinischen Ausnahmefalls zu. Mehr als drei Vierteln der Befragten) eingefordert. Die jede*r zweite Teilnehmende der Befragung (57 Zuverlässigkeit der Technologieanwendungen Prozent) konnte sich vorstellen, Flugtaxis im me- war den Befragten zudem wichtiger als die Lie- dizinischen Ausnahmefall selbst zu nutzen. ferung bzw. der Transport an einen Ort oder zu einer Zeit der Wahl, die Flexibilität oder Schnel- Ausschlaggebend für die generell ablehnende ligkeit. Als besonders schlimm wurden hingegen Haltung der Bevölkerung gegenüber der Droh- die möglichen Lärm- und Stressbelastungen nentechnologie waren eine Reihe von Faktoren, sowie die eingeschränkte Sicht auf den Himmel welche sich bereits in den Fokusgruppen als bewertet. zentral erwiesen hatten. Mittels statistischer Analysen konnte ein signifikanter positiver Ein- Zudem wurde deutlich, dass bevölkerungsseitig fluss des zu erwartenden Nutzens, der zu erwar- eine Reihe von regulatorischen Anpassungen zu tenden Sicherheit und der zu erwartenden Ver- Betrieb und Implementierung von Lieferdroh- besserung der Lebensqualität auf die Akzeptanz nen und Flugtaxis in den Luftraum gewünscht der Bevölkerung hinsichtlich der Drohnentech- werden und folglich deutlicher politischer Hand- nologie nachgewiesen werden. Zwei Drittel der lungsbedarf gesehen wird. Paketlieferungen mit Drohnen hätten für mich keinen persönlichen Mehrwert. 50 16 10 11 13 1 Der Personentransport mit Flugtaxis hätte für mich keinen persönlichen Mehrwert. 50 16 10 12 12 1 Paketlieferungen mit Drohnen stelle ich mir sicher vor. 10 13 23 24 30 2 Den Personentransport mit Flugtaxis stelle ich mir sicher vor. 8 16 22 25 28 1 stimme voll und ganz zu stimme eher zu teils, teils stimme eher nicht zu stimme nicht zu weiß nicht, keine Angabe Abbildung: Persönlicher Mehrwert im Alltag und Sicherheit von Lieferdrohnen und Flugtaxis. Wissenschaft im Dialog/TU Berlin/ forsa | Erhebungszeitraum 20.-29. Januar 2020 | Basis: 1.000 Befragte | Angaben in Prozent, Rundungsdifferenzen möglich
Lieferdrohnen und Flugtaxis in der Stadt? 9 Partizipation Die Partizipationsphase des Projekts machte einerseits deutlich, dass derzeit nur unzurei- Um Einblicke in die akteursspezifischen Wahr- chende Möglichkeiten zur Einbindung der brei- nehmungen der Chancen und Risiken von Lie- ten Bevölkerung und damit auch unzureichende ferdrohnen und Flugtaxis zu gewinnen und den Möglichkeiten zur inhaltlichen Aushandlung der Einbezug gesellschaftlicher Gruppen in den Interessenlagen bestehen. Andererseits zeigte zukünftigen Gestaltungsprozess zu gewähr- sich, dass die Beteiligten sich nicht nur mit gro- leisten, realisierte das Projekt zwei ganztägige ßem Interesse, sondern auch mit immensem Workshops: In einem Comic-Workshop konn- Ideenreichtum und individuell klaren Positionen ten Kinder und Jugendliche im August 2020 dem Thema widmeten. Übergreifend wurde ihre Ideen rund um das Leben in der Stadt mit deutlich, dass der Bürger*innenbeteiligung ein Drohnen entwickeln und bildlich zum Ausdruck enormes Reflexions-, Abwägungs- und Partizipa- bringen. Dabei zeichneten sich die Erzählungen tionspotential innewohnt und dass ein stärkerer der Kinder und Jugendlichen durch eine Ambi- Einbezug der Bevölkerung in die Mitgestaltung valenz zwischen genereller Offenheit gegenüber der Luftraumnutzung gewünscht und eingefor- Nutzungspotentialen der Drohnentechnologie dert wird. einerseits und Skepsis gegenüber Sicherheits aspekten und gesellschaftlichen Auswirkungen Rechtsgutachten andererseits aus. Ein hohes Level an Reflexion gegenüber möglichen Technikfolgen auf gesamt- Zusätzlich unterstützt wird die politische und gesellschaftlicher Ebene resultierte in den Zeich- planerische Relevanz der hier vorliegenden Ab- nungen der Kinder und Jugendlichen oftmals in schlusspublikation durch ein im November 2020 einem Appell nach politischer Beteiligung und beauftragtes Rechtsgutachten, das durch die Aushandlung. Forschungsstelle Mobilitätsrecht der TU Braun- schweig erarbeitet und veröffentlicht worden Im zweiten Workshop – einem Co-Creati- ist. Gegenstand dieses Gutachtens bildet die Un- on-Workshop im Oktober 2020 – diskutierten tersuchung rechtlicher Möglichkeiten auf kom- 20 Bürger*innen und Expert*innen aus For- munaler Ebene für die Regelung eines möglichen schung, Wirtschaft und organisierter Zivilgesell- Drohnenbetriebs. Einflussmöglichkeiten kom- schaft gemeinsam über den zukünftigen Einsatz munaler Akteur*innen bestehen vorrangig im von Lieferdrohnen und Flugtaxis im urbanen nationalen Luftverkehrsrecht. Diese beschrän- Luftraum. Dabei erarbeiteten die Teilnehmen- ken sich jedoch stark auf sicherheitsrelevante den 20 Empfehlungen und Abwägungsbedarfe Aspekte und lassen bislang keine aktive Ausge- einer möglichen zukünftigen Nutzung von Lie- staltung und Integration eines Drohnenverkehrs ferdrohnen und Flugtaxis. Diese umfassten un- in örtliche Gegebenheiten zu. Das Gutachten ter anderem die Forderung nach einer zeitnahen unterstützt jedoch die Annahme, dass die Aus- Definition rechtlicher Zuständigkeiten, insbe- wirkungen eines Drohnenverkehrs in Zukunft sondere für Kommunen als legitime Interessen- Ansprüche an eine kommunale Selbstverwal- vertretung der städtischen Bevölkerung, sowie tung nach Art. 28 II 1 GG begründen könnten. das Plädoyer für eine gerechte Verteilung gesell- schaftlicher Kosten und individueller Mehrwerte einer städtischen Luftraumnutzung. Weiterhin wurde die Notwendigkeit einer fortlaufenden Technikfolgenabschätzung formuliert, die ins- besondere eine Bilanzierung von Lieferdrohnen und Flugtaxis hinsichtlich ihrer Umweltwirkun- gen gewährleistet.
Lieferdrohnen und Flugtaxis in der Stadt? 10 Modellierungen und vergleichender Ökobilan- 2.2 Handlungsempfehlungen zierungen bedarf es ebenfalls einer offenen Ab- kehr politischer Entscheidungsträger*innen von Aus den Projekterkenntnissen lassen sich zwölf simplifizierten Einsatzszenarien, wie sie von ei- Handlungsempfehlungen für Politik, Wirtschaft nigen eCommerce- und Mobilitätsunternehmen und Planung hinsichtlich einer möglichen zu- suggeriert werden. künftigen Nutzung des urbanen Luftraums durch Lieferdrohnen und Flugtaxis formulieren 2 und inhaltlich begründen. Sie sollten aus Sicht Es bedarf einer Berücksichtigung des Projekts Sky Limits umgesetzt werden, um konkurrierender Zukunftsbilder eine gemeinwohlorientierte Erschließung und und einer Aushandlung divergie- Nutzung des Luftraums als dritter Verkehrsebe- render Vorstellungen zum Einsatz ne zu ermöglichen. von Lieferdrohnen und Flugtaxis. 1 Wie aus der Stakeholderanalyse hervorgegan- Es bedarf einer Versachlichung und gen ist, existiert aktuell eine Vielzahl konkurrie- Differenzierung der Debatte render Zukunftsbilder bezüglich der Art und des über den Einsatz von Drohnen für Umfangs einer Nutzbarmachung des unteren den Liefer- und Personentransport. Luftraums. Insbesondere privatwirtschaftliche Akteur*innen streben aktiv eine möglichst frei- Die Literatur- und Stakeholderanalyse des zügige und unbeschränkte Nutzung von Liefer- Projekts hat aufgezeigt, dass Zukunftsvisionen drohnen und Flugtaxis entsprechend des tech- des Einsatzes von Lieferdrohnen und Flugtaxis nisch und wirtschaftlich Machbaren an. Es zeigt oftmals von pauschalierten Narrativen positiver sich, dass diese Zielvorstellungen den Positionen Verkehrs- und Umwelteffekte begleitet werden. anderer Stakeholdergruppen, insbesondere Diese werden insbesondere von wirtschaftlichen innerhalb der Stadtentwicklung sowie der Mobi- Akteur*innen ausgerufen. Allerdings erfahren sie litätsforschung, entgegenstehen. In Abgrenzung bislang eine nur unzureichende wissenschaftli- zu privatwirtschaftlichen Akteur*innen ist die che Validierung. So bleiben etwa die angepriese- Technologiebewertung dieser Stakeholdergrup- ne Reisezeitverkürzung durch Flugtaxis oftmals pen explizit an die Forderung geknüpft, dass rein auf die Flugzeit, der propagierte positive Drohnen in ihrer Funktion als Verkehrsträger im Umwelteffekt von Lieferdrohnen allein auf ihren öffentlichen Raum den Anforderungen der Ge- elektrischen Antrieb beschränkt. Die jeweiligen meinwohlorientierung sowie der Nachhaltigkeit Rahmenbedingungen werden nicht ganzheitlich dienen müssen und sich an die gesellschaftliche einbezogen. Die für die Gewährleistung eines Bedarfs- und Interessenlage anpassen müssen. Liefer- und Personentransports benötigten zu- Hier gilt es, existierende Zielkonflikte zwischen sätzlichen Infrastruktureinrichtungen als auch diesen Zukunftsbildern zu berücksichtigen, Gesamtenergiebilanzierungen der Drohnen- wenn die unterschiedlichen Positionen in den technologie erfahren bislang keine ausreichende aktuellen Diskurs eingebunden werden. So kann Berücksichtigung. Es bedarf daher einer stärker es auch gelingen, mögliche Schnittmengen in den faktenbezogenen und versachlichten Debatte. Interessen für zukünftige Entwicklungskorrido- Diese lässt sich nur durch eine wissenschaftliche re zu identifizieren und auszuhandeln. Überprüfung bisher postulierter gesellschaftli- cher Mehrwerte ermöglichen: Nur auf der Basis gesicherter Fakten können die Potentiale der Drohnentechnologie objektiv eingeschätzt und hinsichtlich spezifischer Einsatzformen diffe- renzierter betrachtet werden. Neben vertie- fenden Forschungsarbeiten in Form komplexer
Lieferdrohnen und Flugtaxis in der Stadt? 11 3 Bevölkerung ermöglicht eine umfassende inhalt- Es bedarf einer Verbreiterung der liche Auseinandersetzung mit einer städtischen Debatte auf die gesamtgesell- Luftraumnutzung. Diese Auseinandersetzung schaftliche Ebene, denn Drohnen- ist wichtig, um einerseits die Einstellung der flüge sind stets öffentlich. Bevölkerung auf eine sichere und informierte Basis zu stellen und sie andererseits entspre- Die Stakeholderanalyse des Projekts hat ver- chend berücksichtigen zu können. Dabei muss deutlicht, dass sich Akteur*innen aus unter- zusätzlich berücksichtigt werden, dass der Aus- schiedlichen Bereichen der Entwicklung von handlungsprozess auch zu einer grundsätzlichen Lieferdrohnen und Flugtaxis zunehmend ver- Verwehrung des Zugangs zum Luftraum führen netzen und kooperieren. Eine Einbindung der kann. Wie Einstellungsforschung und partizipa- organisierten Zivilgesellschaft und der breiten tive Formate des Projekts zeigen, haben Bür- Bevölkerung in diesen Prozess ist bislang jedoch ger*innen hierzu klare Positionen und Ideen und ausgeblieben. Mit dem Einsatz von Lieferdroh- möchten beteiligt werden. Tendenziell sind ins- nen und Flugtaxis im städtischen – und somit besondere junge Menschen gegenüber der Tech- im öffentlichen – Luftraum werden die Vorteile nologie und ihren Potentialen prinzipiell offen. und Potentiale der Technologie und die Folgen Zugleich bringen sie kritisches Reflexions- und und Risiken ihrer Nutzung zwangsläufig Gegen- Lösungsbewusstsein mit. In lösungsorientierten, stand einer öffentlichen Auseinandersetzung. dialogischen und institutionalisierten Formaten Diese Auseinandersetzung lässt sich nur unter können und müssen daher in Zukunft kontinu- Einbezug all jener Gruppen sinnvoll und zielge- ierlich und regelmäßig Diskussionsräume ge- richtet führen, die von möglichen Auswirkungen schaffen werden. In ihnen sollten Befürchtungen des Technologieeinsatzes betroffen sind. Somit und Skepsis, aber auch Gestaltungsspielräume muss die Debatte geöffnet werden: Sie darf thematisiert, eingebracht und ernst genommen nicht nur wirtschaftliche, wissenschaftliche und werden. Dies sollten in institutionalisierter Form verbandliche Perspektiven und Akteur*innen ermöglicht werden – beispielsweise in formali- berücksichtigen, sondern muss auf eine gesamt- sierten Gremien wie Bürgerräten oder begleite- gesellschaftliche Ebene gehoben werden. Dabei ten Workshops. gilt es, die in der Einstellungsforschung sichtbar gewordene kritisch-abwartende Position der 5 Bevölkerung zu thematisieren und inklusiv zu Es bedarf einer Anerkennung der diskutieren. Offene Fragen nach möglichen Tatsache, dass eine Einführung von Sicherheitsrisiken und dem konkreten Nutzen Lieferdrohnen und Flugtaxis für die der Technologie für die Allgemeinheit müssen Auslieferung von Konsumgütern ebenso berücksichtigt werden wie ethische Be- bzw. für die individuelle Mobilität denken. bevölkerungsseitig derzeit nicht befürwortet wird. 4 Es bedarf einer Institutionalisie- Eine erfolgreiche Implementierung von Lie- rung des Einbezugs der Bevölke- ferdrohnen und Flugtaxis mit den erhofften rung, beispielsweise in Form von Mehrwerten und erwarteten Erleichterungen Bürgerräten. erfordert Akzeptanz durch die Bevölkerung. Die im Projekt erhobenen Daten zur Einstel- Wie die Technikakzeptanzforschung zeigt, spielt lungsforschung machen jedoch deutlich, dass die die Einstellung der Bevölkerung mit allen Beden- deutsche Bevölkerung eine Einführung von Lie- ken und Einwänden für das Ge- oder Misslingen ferdrohnen und Flugtaxis derzeit mehrheitlich der Integration von Lieferdrohnen und Flugtaxis nicht befürwortet und eine individuelle Nutzung in den städtischen Verkehr der Zukunft eine der Technologie überwiegend ausschließt. Si- entscheidende Rolle. Ein aktiver Einbezug der cherheitsbedenken, der fehlende Alltagsnutzen
Lieferdrohnen und Flugtaxis in der Stadt? 12 und die geringe Erwartung an eine verbesserte 7 Lebensqualität sind für die negative Bewertung Es bedarf einer Plausibilisierung der Technologie und die mehrheitlich ausblei- konkreter Mehrwerte von Liefer- bende individuelle Nutzungsabsicht entschei- drohnen und Flugtaxis für die Be- dend. Die im Projekt erhobenen Daten weisen völkerung und einer Ausrichtung zudem gegenüber vorherigen Einstellungserhe- der Technologieentwicklung an bungen eine rückläufige Tendenz des allgemei- den Bedarfen der Bevölkerung. nen Akzeptanzgefüges auf. Die überwiegend ablehnende Haltung der Bevölkerung gegenüber Die in dem Projekt identifizierten, oftmals allge- dem Einsatz von Lieferdrohnen und Flugtaxis meinen und abstrakten Nutzungsversprechen kann daher die derzeit stattfindende verkehrs- der Drohnentechnologie stehen einer Vielzahl und förderpolitische Ausrichtung argumentativ pragmatischer Fragen, einer tendenziell skep- nicht begründen. Sie steht dieser vielmehr dia- tischen Grundhaltung der Bevölkerung und metral entgegen. einer stark ausgeprägten Risikowahrnehmung hinsichtlich der Sicherheit und der negativen 6 Implikationen der Technologie gegenüber. Die Es bedarf der Einsicht, dass ein Ein- Mehrwerte der Technologie erscheinen auf satz der Drohnentechnologie der- Grundlage der Literatur- und Einstellungsfor- zeit nur im medizinischen Notfall schung des Projekts weitgehend diffus, weil die akzeptanzfähig ist. gesellschaftlichen Bedarfslagen nur marginal bedient werden und die Mehrwerte keine in- Entgegen der bevölkerungsseitig skeptisch-ab- dividuelle Relevanz erfahren. Um die sensible lehnenden Haltung zu Lieferdrohnen und Flug- Entwicklung des öffentlichen Luftraums im Sin- taxis zeigt sich im Ergebnis der Einstellungsfor- ne einer Gemeinwohlorientierung und hohen schung des Projekts, dass eine ausschließliche Akzeptanzfähigkeit voranzutreiben, bedarf es Notfallnutzung der Technologie akzeptiert und daher zukünftig einer stärkeren Ausrichtung der sogar mehrheitlich begrüßt wird. Dies bedeutet, Technologieentwicklung an bevölkerungsseitige dass der Einsatz von Drohnen für medizinische Bedarfe und Erwartungen. Notfälle aktuell die größte Schnittmenge zwi- schen den vielfältigen politisch-industriellen Be- 8 strebungen einerseits und den bevölkerungssei- 8. Es bedarf einer fortlaufenden tig akzeptierten Einsatzzwecke andererseits hat. und vertiefenden Technikfolgen- Demnach sollte eine Implementierung der Tech- abschätzung eines möglichen nologie im Sinne der Akzeptanzfähigkeit nur in Einsatzes von Lieferdrohnen und definierten medizinischen Ausnahmefällen vor- Flugtaxis. angetrieben und politisch möglich gemacht wer- den. Unter Berücksichtigung und Abwägung der Wie die Literaturanalyse des Projekts zeigt, wird Risiken und verschiedentlich geäußerten mögli- die Auseinandersetzung mit Lieferdrohnen und chen Nachteile der Drohnentechnologie gilt es Flugtaxis bisher stark von technischen, wirt- hierfür jedoch den schmalen Einsatzkorridor der schaftlichen und regulatorischen Themen domi- Ausnahmefälle präzise und politisch verbindlich niert. Die Erforschung gemeinwohlorientierter zu definieren und gegenüber nicht notwendigen Potentiale von Lieferdrohnen und Flugtaxis Einsätzen abzugrenzen. wurde hingegen noch nicht ausreichend ver- folgt. Dieser Befund ist besonders im Hinblick auf die möglichen negativen Auswirkungen, wie beispielsweise Lärm, Stress, oder Unfallgefahr, zu beachten. Diese haben aufgrund des imma- nent öffentlichen und hochmobilen Charakters der Technologie auf die allgemeine Bevölkerung
Lieferdrohnen und Flugtaxis in der Stadt? 13 eine erhebliche Eingriffstiefe. Das gesellschaftli- der Drohnenverkehr entschieden dem konzep- che Konfliktpotential muss also im Hinblick auf tionellen Leitbild folgen, den Verkehrsträger immer konkreter werdende Anwendungsszena- „Drohne” zu einem a priori nachhaltigen und rien durch eine fortlaufende Technikfolgenab- sozial inkludierenden Verkehrsträger zu entwi- schätzung vertiefend untersucht und moderiert ckeln. So kann verhindert werden, dass ein neuer werden. Wenngleich sich derzeit mit dem mehr- Verkehrsträger entsteht, der im Nachhinein auf heitlich akzeptanzfähigen Einsatz von Liefer- sich bereits wandelnde gesellschaftliche Rah- drohnen und Flugtaxis für medizinische Zwecke menbedingungen angepasst werden muss. ein nur eng umgrenzter Anwendungsfall heraus- kristallisieren könnte, bedarf es insbesondere 10 hierfür der begleitenden und vorausschauenden Es bedarf einer proaktiven Politik, Betrachtung gesellschaftlicher, wirtschaftlicher die die Erarbeitung eines klaren und ökologischer Auswirkungen. Innerhalb bzw. Luftverkehrsmanagements vor der aufgrund der hochdynamischen Entwicklung des Einführung der Drohnentechno Sektors muss eine Technikfolgenabschätzung logie vorantreibt. auch über diesen konkreten Anwendungszweck hinausreichen, für mögliche Folgewirkungen Die Ergebnisse der Einstellungsforschung sensibilisieren und insgesamt in der Lage sein, zeigen, dass die Bevölkerung die Politik in der den politischen Entscheidungsträger*innen Pflicht sieht, einen möglichen Luftverkehr im zuverlässige Orientierungsangebote zur Verfü- unteren Luftraum aktiv und klar zu regeln, so gung zu stellen. dass sie negative Technikfolgen wie Lärm, Stress und Sichtbeeinträchtigungen möglichst effektiv 9 abwendet. Die Notwendigkeit einer klaren Re- Es bedarf eines konzeptionellen gulierung wird nicht nur von der Bevölkerung, Leitbilds, das den Einsatz von sondern, so zeigte die Literatur- und Stakehol- Lieferdrohnen und Flugtaxis dem deranalyse, auch wirtschaftsseitig gesehen. Auf Paradigma eines nachhaltigen und Grundlage dieser allgemein anzutreffenden integrativen Verkehrswesens un- Erwartungshaltung wird deutlich, dass der zent- terstellt. rale Akteur einer Entwicklung des Luftraums zur dritten Verkehrsebene weniger die entwickeln- Die systematische Literaturanalyse sowie die den Technologieunternehmen als vielmehr die Auswertung von Expert*inneninterviews ma- gestaltende Politik ist. Sie trägt die entscheiden- chen deutlich, dass ein durch Lieferdrohnen de Steuerungsverantwortung und muss die ver- und Flugtaxis generierter Verkehr aus verkehrs schiedenen konfligierenden, divergierenden und politischer und planerischer Perspektive dezi- dezentralen gesellschaftlichen Interessen einer diert als Teil des Gesamtverkehrsaufkommens möglichen Luftraumentwicklung in Einklang anzuerkennen ist und damit erweiterten Be- bringen und ein Luftverkehrsmanagement pro- wertungsmaßstäben – insbesondere in puncto aktiv vorantreiben. Wenngleich Lieferdrohnen Klima- und Mobilitätsgerechtigkeit – unterliegt. und Flugtaxis primär als technischer Gegenstand Im Kontext der Zielstellung, eine klimaneutrale erscheinen, sind die Rahmensetzungen für den Verkehrswende zu erreichen, bedeutet dies Technologieeinsatz zuvorderst eine Domäne etwa, Lieferdrohnen und Flugtaxis (wie auch alle staatlichen und politischen Handelns. anderen Verkehrsträger) dem Paradigma des nachhaltigen Verkehrs zu unterstellen. Ferner gilt es, im Sinne der Beförderung eines integra- tiven und inkludierenden Verkehrswesens zu bedenken, dass Lieferdrohnen und Flugtaxis nicht zur Entwicklung einer neuen exklusiven Elitenmobilität beitragen dürfen. Vielmehr sollte
Lieferdrohnen und Flugtaxis in der Stadt? 14 11 Technologiebewertung wenig Berücksichtigung. Es bedarf einer Sensibilisierung Auf Basis der vorgenannten Handlungsempfeh- von Kommunen und einer Stärkung lungen und unter Anerkennung der politischen ihrer Gestaltungskompetenzen für Entwicklung während der Projektlaufzeit be- eine mögliche Einführung von Lie- darf es daher der weiteren Ausarbeitung des ferdrohnen und Flugtaxis. bestehenden Aktionsplans. Er sollte ein klares Leitbild sein, das den langfristigen Rahmen der Wird die Nutzung des unteren Luftraums als Technologienutzung genauer definiert und kon- eine neue Verkehrsebene verfolgt, werden Kom- krete Zusagen und Kontrollmechanismen be- munen zu einem Schlüsselakteur avancieren. inhaltet. Mit der Ausarbeitung einer Charta zur Wie aus der Stakeholderanalyse und den parti- gemeinwohlorientierten Luftraumnutzung durch zipativen Projektformaten hervorgeht, besteht Lieferdrohnen und Flugtaxis in Deutschland sollten jedoch auf Gemeindeebene nur ein punktu- nun ressortübergreifend unter Einbeziehung elles Problembewusstsein für die Implikatio- aller beteiligten politischen Institutionen und nen eines solchen Vorhabens. Darüber hinaus Stakeholder sowie der Bevölkerung Zielbilder zeigt das im Rahmen des Projekts beauftragte verbindlich verfasst und konkrete Maßnahmen Rechtsgutachten, dass für Kommunen derzeit ausformuliert werden. Dabei muss die Frage kaum Gestaltungsspielraum besteht, um eine im Mittelpunkt stehen, wie die Nutzung des Integration neuer drohnenbasierter Transport- Luftraums durch Lieferdrohnen und Flugtaxis dienstleistungen in den städtischen Raum zu er- die Entwicklung einer gemeinwohlorientierten möglichen. Dies erschwert auch wirtschaftliche, und nachhaltigen Stadtgesellschaft unterstüt- ökologische und soziale Interessen mit einer zen kann. Implementierung der Technologie in Einklang zu bringen. Im Sinne vorausschauender Planung gilt es daher zeitnah einen Rahmen zu schaffen, in dem der Austausch zwischen Bund, Ländern und Kommunen über die möglichen Zuständigkeiten einer unteren Luftraumnutzung angeregt und konkrete Wege der kommunalen Mitgestaltung festgelegt werden. 12 Es bedarf der Entwicklung einer Charta zur gemeinwohlorientier- ten Luftraumraumnutzung mit Lieferdrohnen und Flugtaxis in Deutschland. Mit dem Aktionsplan der Bundesregierung für „Unbemannte Luftfahrtsysteme und innovati- ve Luftfahrtkonzepte” bekennt sich Deutsch- land zur Entwicklung von Lieferdrohnen und Flugtaxis zu regulären Verkehrsträgern. In der Gesamtschau der Arbeitsphasen des Projekts zeigte sich, dass viele Akteursgruppen mit ver- schiedenen Vorstellungen und Wissensbestän- den an der Erfüllung unterschiedlicher Zielbilder arbeiten. Zugleich finden allerdings zentrale Aspekte und Perspektiven einer ganzheitlichen
3. Fazit und Ausblick Lieferdrohnen und Flugtaxis in der Stadt? 15 Immense Fortschritte im Bereich der Drohnen- Diese sollen als Orientierungsangebot in die technologie stellen in Verbindung mit aktuellen Debatten und Entscheidungen zur Thematik Bestrebungen von Herstellern und Politik in einfließen können. Die hier formulierten zwölf Aussicht, den unteren Luftraum schon in weni- Empfehlungen zielen in ihrer inhaltlichen Di- gen Jahren zu einer dritten Verkehrsebene zu mension auf eine stärker faktenbezogene und entwickeln – und damit einen historischen Wen- versachlichte Debatte, in operativer Hinsicht depunkt der öffentlichen Raumnutzung zu errei- auf eine Eingrenzung des Drohneneinsatzes auf chen. Die Nutzung des unteren Luftraums ver- medizinische Notfälle sowie in der politischen spricht die Hebung vielfältiger wirtschaftlicher Dimension auf die zentrale Adressierung der und gesellschaftlicher Potenziale und scheint politischen Steuerungsverantwortung. Letztere dabei nicht zuletzt den alten Menschheitstraum muss ihren Ausdruck im stärkeren Einbezug vom Fliegen einmal mehr in greifbare Nähe zu der Bevölkerung und kommunaler Akteur*in- rücken. nen sowie in der Technologiebewertung unter Maßgabe von sozialen und ökologischen Nach- Gleichzeitig konfrontieren die technologischen haltigkeitszielen finden. Fortschritte und Implementierungsvorhaben die Gesellschaft jedoch mit der Problematik, die Die Drohnenthematik wird zurecht als hochdy- möglichen sozialen, ökonomischen und ökolo- namischer Innovationsprozess charakterisiert, gischen Technikfolgen eines breit angelegten der aufgrund seiner schnell fortschreitenden Einsatzes von Lieferdrohnen und Flugtaxis auf- Entwicklung die Erarbeitung politischer Ent- grund fehlender Vorerfahrungen nicht vollends scheidungsgrundlagen erschwert. In diesem abschätzen zu können. Umso mehr besteht Sinne sollen die hier formulierten Empfehlungen daher die Notwendigkeit, die wirtschaftlich eine Rahmensetzung bieten, die es ermöglicht, und politisch angestrebte Luftraumnutzung in die Potentiale der Technologie nutzbar und den Dienst eines technologie- und verkehrs den Drohneneinsatz zugleich akzeptanzfähig politisch verantwortlichen und vorausschauen- zu machen sowie ihn unter Berücksichtigung den Handelns zu stellen. Diese Notwendigkeit gesellschaftspolitisch übergreifender Zielstel- erhält zusätzliche Dringlichkeit angesichts der lungen zu gestalten. Unbenommen von diesen Tatsache, dass Lieferdrohnen und Flugtaxis, in Ausführungen bleibt dabei die Option, Liefer- Abgrenzung zu anderen innovativen Technolo- drohnen und Flugtaxis grundsätzlich den Zugang gieangeboten, primär öffentlich operieren und zum Luftraum zu verwehren. Da Drohnenflüge damit eine besonders hohe Sichtbarkeit und Ein- im unteren städtischen Luftraum und damit griffstiefe erhalten. immer im öffentlichen Raum stattfinden, muss ihr Einsatz in einer öffentlichen Debatte geklärt Vor diesem Hintergrund war es Aufgabe des werden. Die Berücksichtigung der Bevölkerung BMBF-geförderten Forschungsprojekts Sky in der Ausgestaltung und Nutzbarmachung der Limits, auf Grundlage (sozial)wissenschaftlich Technologie muss sichergestellt werden – auch erarbeiteter Erkenntnisse Handlungsempfeh wenn daraus eine Limitierung des Technologie- lungen für die Entwicklung einer gemeinwohl einsatzes resultiert. orientierten Luftraumnutzung auszusprechen.
Lieferdrohnen und Flugtaxis in der Stadt? 16 Die hier formulierten Empfehlungen sollen ein Auftakt sein, die Diskussion über die Erschlie- ßung des unteren Luftraums als Verkehrsebene im Sinne einer Gemeinwohlorientierung vor- anzutreiben. In diesem Kontext braucht es eine verbindliche Leitbildentwicklung (Charta) zur Luftraumnutzung in Deutschland. Das Projekt Sky Limits hat eine Vielzahl unterschiedlicher Leitbilder, Akteur*innen, potentieller Maßnah- men, wissenschaftlicher Leerstellen und unbe- rücksichtigter Perspektiven identifiziert, die es nun gezielt zusammenzubringen und weiter- zuentwickeln gilt. Nur so lässt sich die Nutzung einer neuen, disruptiven Technologie im Sinne des Gemeinwohls sicherstellen.
Projektveröffentlichungen Lieferdrohnen und Flugtaxis in der Stadt? 17 (Auswahl) Drohnen als Transportmedium: Literaturanalyse zu Chancen und Risiken einer städtischen Luftraumerschließung Kellermann, Biehle, Fischer (https://skylimits.info/drohnen-als-transportmedium-literaturanalyse-zu-chancen-und-risiken-ein- er-staedtischen-luftraumerschliessung/). Verkehrslösung oder Technikhype? Repräsentative Bevölkerungsumfrage zu Lieferdrohnen und Flugtaxis in Deutschland. Ergebnispräsentation Dannenberger, Schmid-Loertzer, Fischer, Schwarzbach, Kellermann, Biehle (https://skylimits.info/ergebnisbericht-umfrage/). Verkehrslösung oder Technikhype? Ergebnisbericht zur Einstellung der Bürgerinnen und Bürger gegenüber dem Einsatz von Lieferdrohnen und Flugtaxis im städtischen Luftraum in Deutschland Dannenberger, Schmid-Loertzer, Fischer, Schwarzbach, Kellermann, Biehle (https://skylimits.info/ergebnisbericht-einstellungsforschung/). Wie stellst du dir die Stadt mit Drohnen vor? Arbeitsbericht des Comic-Workshops mit Kindern und Jugendlichen Dannenberger, Schmid-Loertzer, Schwarzbach, Kellermann, Biehle (https://skylimits.info/wie-stellst-du-dir-die-stadt-mit-drohnen-vor-arbeitsbericht-des-comic- workshops-mit-kindern-und-jugendlich/). Empfehlungen und Abwägungsbedarfe zur zukünftigen Nutzung des urbanen Luftraums durch Transportdrohnen Handlungsempfehlungen Co-Creation-Workshop (https://skylimits.info/empfehlungen-und-abwaegungsbedarfe-zur-zukuenftigen-nutzung-des-ur- banen-luftraums-durch-transportdrohnen/). Zukunft der urbanen Luftraumnutzung. Perspektiven und Prognosen zum Einsatz von Liefer- drohnen und Flugtaxis aus Sicht von 10 Expert*innen Kellermann, Biehle (https://skylimits.info/wp-content/uploads/2020/12/Bericht_Experteninterviews_SkyLimits.pdf). Möglichkeiten und Grenzen für die Regelung des unbemannten Luftverkehrs durch Gemeinden Josipovic (https://skylimits.info/wp-content/uploads/2021/01/TUBS_FMR_Rechtsgutachten_Skylim- its_27.01.2021_final.pdf).
Impressum Das Projekt Sky Limits ist ein Verbund aus: Technische Universität Berlin Fachgebiet Arbeitslehre, Technik und Partizipation Cluster Mobilitätsforschung Marchstraße 23 10587 Berlin Wissenschaft im Dialog gGmbH Charlottenstraße 80 10117 Berlin Kontakt Verbundkoordination Sky Limits Robin Kellermann (TU Berlin) robin.kellermann@tu-berlin.de Projektleitung Nico Dannenberger (Wissenschaft im Dialog) nico.dannenberger@w-i-d.de Datum: 19. Februar 2021 Website www.skylimits.info Das Projekt Sky Limits wird im Rahmen der Innovations- und Technikanalyse (ITA) vom Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert. Design: Sheraz Khan
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