Macht zu gleichen Teilen - Ein Wegweiser zu Parität in der Politik Helga Lukoschat / Jana Belschner - EAF Berlin
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Macht zu gleichen Teilen Ein Wegweiser zu Parität in der Politik Helga Lukoschat / Jana Belschner
Impressum Herausgeber EAF Berlin. Diversity in Leadership Schumannstraße 5, 10117 Berlin Tel. +49 30 30 877 60-0 info@eaf-berlin.de, www.eaf-berlin.de Autorinnen Dr. Helga Lukoschat, Jana Belschner Redaktion Dr. Helga Lukoschat, Stefanie Lohaus, Paula Schweers Design und Layout I like Berlin 3., aktualisierte und überarbeitete Auflage September 2019
E Einleitung zur Neuauflage des Wegweisers 4 1 Rückschritt statt Fortschritt – Frauen und Männer in der Politik 7 Die politische Repräsentanz von Frauen und Männern in Deutschland und ihre Beteiligung an politischen Führungspositionen sind nach wie vor ungleich verteilt. In der letzten Zeit hat sich die Entwicklung hin zu mehr Frauen deutlich verlangsamt und ist sogar rückläufig. 2 Einflussfaktoren – Wahlrecht und innerparteiliche Regelungen 11 Das Wahlrecht in Bundesländern und Kommunen hat einen erheb- lichen Einfluss auf den Anteil der Frauen in Parlamenten und Gremien. Gleiches gilt für Quotenregelungen und Nominierungspraxis in verschiedenen Parteien. 3 Wege zu Parität – Modelle und Beispiele 15 Viele Länder haben bereits Regelungen zur Geschlechterrepräsentanz in den Parlamenten eingeführt. Sie unterscheiden sich jedoch in ihrer Ausgestaltung und Wirksamkeit. Deutschland kann von den Erfahrungen aus anderen Ländern lernen. 4 Dynamik in den Bundesländern – die ersten Paritätsgesetze 23 2019 wurden in Brandenburg und Thüringen Paritätsgesetze auf Landes- ebene verabschiedet. Diese Bundesländer sind nicht die einzigen, in denen das Thema auf der Agenda steht. Ob Initiativen für Paritätsgesetze letztlich erfolgreich sind, hängt jedoch von verschiedenen Faktoren ab. 5 Pro und Kontra – Parität und die Verfassung 29 Paritätsregelungen lösen juristische Kontroversen aus: Sind Paritäts- gesetze mit der Verfassung vereinbar? Ist eine Grundgesetzänderung erforderlich? Bisher – mit Stand August 2019 – ist noch keine Recht- sprechung bezüglich eines demokratisch verabschiedeten Paritäts- gesetzes erfolgt. 6 Parität und Demokratie 35 Die Auseinandersetzung um Geschlechterparität betrifft nicht zuletzt unser Demokratieverständnis. Im Mittelpunkt steht die Frage, ob Paritätsgesetze gegen die Regeln der repräsentativen Demokratie verstoßen – oder ob sie nicht vielmehr ein Gebot derselben sind. 7 Ausblick 39 Der Weg zur Geschlechterparität wurde in Deutschland gerade erst eingeschlagen. Wie kann der Forderung nach Geschlechterparität weiterhin Ausdruck verliehen werden? Welche Vorgehensweisen und strategischen Bündnisse sind sinnvoll? A Anhang 42
Einleitung zur Neuauflage des Wegweisers Der Wegweiser informiert über den aktuellen Stand der Debatte um Paritätsgesetze und gibt Anregungen, wie diese weiter- entwickelt werden können.
Einleitung zur Neuauflage des Wegweisers 5 Wodurch zeichnet sich eine lebendige Demokratie aus? Unter anderem durch ihre Fähigkeit, auf Verän- Männer und Frauen sind derungen in der Gesellschaft zu reagieren und ihre Verfahren und Institutionen weiterzuentwickeln. Der gleichberechtigt. Der Staat Wandel der Geschlechterrollen ist mit Sicherheit fördert die tatsächliche einer der größten gesellschaftlichen Veränderungs- prozesse der letzten Jahrzehnte. Durchsetzung der Gleichbe- rechtigung von Frauen und Wie also sieht eine zeitgemäße Demokratie aus, die der Gleichberechtigung von Frauen und Männern Männern und wirkt auf die Rechnung trägt? Was bedeutet dies für die politischen Beseitigung bestehender Partizipationsmöglichkeiten der Bürger*innen, für die Rolle und Aufgaben der Parteien und letztlich auch Nachteile hin. für die Ausgestaltung der Wahlsysteme und -gesetze? Grundgesetz Art. 3 Abs. 2 Die unbestreitbaren Erfolge in der politischen Par- tizipation von Frauen – eine Frau als Kanzlerin, zahl- reiche Ministerinnen in den Kabinetten von Bund prozess, der oft nur in kleinen und immer schon hart und Ländern sowie der historische Höchststand von erkämpften Schritten vorangeht. 37 Prozent weiblicher Abgeordneter im 18. Deutschen Bundestag (2013 bis 2017) – konnten darüber hinweg- Dennoch: Seit 2016, als dieser Wegweiser erstmals täuschen, dass nahezu überall in den politischen Ent- erschien, ist viel passiert. Die Debatte, ob und in wel- scheidungsgremien Männer in der Mehrheit waren cher Form Paritätsgesetze für die Politik notwendig und sind. sind, hat zwischenzeitlich erheblich an Fahrt aufge- nommen. In zwei Bundesländern – Brandenburg und Diese Mehrheit von Männern in politischen Entschei- Thüringen – wurden 2019 tatsächlich Gesetze zur dungspositionen gibt es, obwohl Frauen bereits seit paritätischen Besetzung der Wahllisten für die Land- 100 Jahren das aktive und passive Wahlrecht haben tagswahlen verabschiedet, weitere Bundesländer dis- und das Grundgesetz seit 1949 die Gleichberechti- kutieren darüber. gung von Frauen und Männern gebietet. 1994 wurde Art. 3 (2) GG um einen aktiven Gleichstellungsauftrag Wie kam es zu dieser Dynamik? Erstens hatten der ergänzt, weil zwischen der rechtlich gebotenen und Rückgang des Frauenanteils im 19. Deutschen Bun- der tatsächlichen Gleichberechtigung von Frauen und destag im Oktober 2017 auf den Stand von vor 20 Männern eine nicht zu rechtfertigende Diskrepanz be- Jahren sowie anschließend die nahezu flächende- stand. Bis heute wurde keine Gleichstellung erreicht: ckenden Rückgänge der Frauenanteile in den Landes- Ihre Durchsetzung erweist sich als ein Jahrhundert- parlamenten vor Augen geführt, dass es keinen Auto- Frauenanteil in den Parlamenten 31,3 % im Bundestag 30,6 % in den Landesparlamenten 27,0 % in den Stadt- und Gemeinderäten
6 Einleitung zur Neuauflage des Wegweisers matismus zur gleichberechtigten Repräsentanz gibt. Parité-Gesetz wurde bereits Verfassungsbeschwerde Der Handlungsbedarf wurde offensichtlich. eingereicht. Es ist davon auszugehen, dass sich über kurz oder lang auch das Bundesverfassungsgericht in Weiche Regelungen wie unverbindliche Soll-Vor- Karlsruhe damit befassen wird. schriften oder flankierende Frauenfördermaßnah- men haben sich als vergleichsweise wirkungslos er- Was die Debatte über die juristischen Fragen im en- wiesen. Auch die parteiinternen Quotenregelungen geren Sinne hinaus so spannend macht, ist, dass sie auf freiwilliger Basis reichen nicht aus, wenn Parteien zwei eminent politische Fragen berührt: Inwiefern ist wie die AfD in die Parlamente einziehen, die erstens unser Verständnis der repräsentativen Demokratie Quoten strikt ablehnen und zweitens stark männlich angesichts der permanenten Unterrepräsentanz der dominiert sind. Die freiwilligen Regelungen, die sich einen Bevölkerungshälfte (sowie gegebenenfalls wei- drei Parteien – Bündnis 90/Die Grünen, Die Linke und terer Gruppen) in einem zeitgemäßen Sinne weiter- SPD – für die alternierende Besetzung ihrer Wahllisten zuentwickeln? Und welcher Bedeutungsgehalt und mit Frauen und Männern gegeben haben, sind zwar Wirkungsgrad wird dem Gleichberechtigungsgebot in hohem Maße dafür verantwortlich, dass überhaupt zugemessen? aktuell rund 30 Prozent Frauen im Bundestag vertre- ten sind, aber auch sie stoßen an ihre Grenzen. Be- Im Kern gehe es bei dieser Diskussion, so die Bundes- stehen bleibt die Problematik der Direktmandate, wo verfassungsrichterin Doris König in einem Festvor- zu 80 Prozent männliche Kandidaten aufgestellt und trag zum Thema 100 Jahre Frauenwahlrecht, wie sehr gewählt werden. Dies betrifft in erster Linie die CDU/ häufig bei Gleichstellungsfragen um die Auflösung CSU-Fraktion. des Widerspruchs zwischen formaler und materieller Gleichheit – und damit um die Beseitigung strukturell Zweitens zeigten die Aktivitäten zum 100. Jubiläum bedingter Benachteiligung von Frauen (König 2019). des Frauenwahlrechts 2018/2019, dass das Recht von Frauen, zu wählen und gewählt zu werden, einen Mei- Die vorliegende aktualisierte Neuauflage unseres lenstein in der Demokratieentwicklung bedeutete. Die „Wegweisers zu Parität in der Politik“ informiert über politischen Rechte von Frauen waren über Jahrzehnte den aktuellen Stand und stellt die bereits verabschie- gegen erbitterte Widerstände erstritten worden; die deten Gesetze vor. Sie zeigt den weitergehenden Parallelen zur aktuellen Situation lagen auf der Hand. Handlungsbedarf und stellt mögliche Modelle für Pa- Entsprechend hoch war die mediale und öffentliche ritätsregelungen, auch unter Einbeziehung der inter- Aufmerksamkeit. Höhepunkt war der offizielle Fest- nationalen Erfahrungen, zur Diskussion. akt der Bundesregierung im November 2018, bei dem sich Kanzlerin Angela Merkel erstmals positiv zu Pari- tät in den Parlamenten äußerte und zu bedenken gab, „dass eine Kanzlerin noch keinen Sommer macht“. Drittens trug die Debatte um die Wahlrechtsreform zur Verkleinerung des Bundestags dazu bei, dass sich ein „window of opportunity“ zu öffnen schien, um Pa- ritätsregelungen auf die politische Agenda des Bun- destags zu setzen. Und nicht zuletzt sorgte eine aktive Zivilgesellschaft mit ihren Initiativen, Erklärungen und Kampagnen für öffentlichen Druck. Doch die Diskussion ist bei Weitem nicht beendet. Nach wie vor gibt es in den Parteien in unterschied- licher Ausprägung Bedenken und Widerstände gegen gesetzliche Vorgaben. Nicht nur die politische, auch die juristische Debatte wird kontrovers geführt. Mit Spannung wird die ausstehende verfassungsrecht- liche Bewertung erwartet, denn die Einschätzungen dazu, ob Paritätsgesetze verfassungskonform sind, gehen weit auseinander. Gegen das Brandenburger
Rückschritt statt Fortschritt – Frauen und Männer in der Politik Das Kapitel gibt einen Überblick über die politische Repräsentanz von Frauen und Männern in Deutschland und ihre Beteiligung an politischen Führungspositionen.
8 Rückschritt statt Fortschritt – Frauen und Männer in der Politik Die Bundesebene Im Bundestag fiel der Anteil Nach Jahrzehnten, in denen die Frauenrepräsentanz auf sehr niedrigem Niveau verharrte, gab es den ers- der weiblichen Abgeordneten ten Sprung Mitte der 1980er-Jahre. Dies ist auf allge- mit der Wahl 2017 auf den meine gesellschaftliche Veränderungen, vor allem jedoch auf die Einführung einer innerparteilichen Stand von vor 20 Jahren. Geschlechterquote bei Bündnis 90/DieGrünen und Auch in den Landesparlamen- etwas später bei der SPD zurückzuführen. Die CDU zog Mitte der 1990er-Jahre nach und verabschiedete ten sind Rückgänge zu ver- ein Quorum für die Besetzung von Ämtern, Mandaten zeichnen. und Wahllisten. Zu Recht nahmen die beiden großen Volksparteien an, dass rein oder überwiegend männ- lich besetzte Wahllisten sie künftig Stimmen kosten würden. Ein weiterer Anstieg ist nach der deutschen Frauenanteil in den Landesparlamenten Wiedervereinigung zu verzeichnen. Auch die PDS be- ziehungsweise Die Linke, die seit 1990 im Bundestag 40,7 % Thüringen vertreten ist, verfügt über eine strikte Geschlechter- 38,0 % Hamburg quote. 34,9 % Bremen 33,6 % Hessen Doch jüngst hat sich die Entwicklung deutlich ver- langsamt und ist sogar rückläufig! Im Bundestag fiel 33,3 % Saarland der Anteil der weiblichen Abgeordneten mit der Wahl 33,1 % Berlin 2017 auf 30,9 Prozent und somit auf den Stand von 31,8 % Brandenburg vor 20 Jahren. Aktuell liegt er bei 31,3 Prozent. Auch 31,7 % Rheinland-Pfalz in den Landesparlamenten sind Rückgänge zu ver- 31,5 % Schleswig-Holstein zeichnen. Dies ist vor allem dem Einzug von FDP und 27,7 % Niedersachsen AfD geschuldet. Beide Parteien lehnen Quotenrege- lungen strikt ab. 27,7 % Sachsen 27,3 % Nordrhein-Westfalen 26,8 % Bayern 25,9 % Baden-Württemberg 23,9 % Mecklenburg-Vorpommern 21,8 % Sachsen-Anhalt Entwicklung des Frauenanteils 32,8 36,3 32,8 im Deutschen Bundestag (Angaben in Prozent) 26,2 31,6 30,9 30,9 20,5 1990 1994 1998 2002 2005 2009 2013 2017
Rückschritt statt Fortschritt – Frauen und Männer in der Politik 9 Die Landesebene Die kommunale Ebene Im Durchschnitt stellen Frauen nur ein knappes Drittel Die Kommunalpolitik gilt als Fundament der Demokra- der Landtagsabgeordneten. Allerdings gibt es große tie – im Hinblick auf die gleichberechtigte politische Unterschiede zwischen den Bundesländern. So sitzen Partizipation der Geschlechter ist sie das Sorgenkind. beim Spitzenreiter Thüringen im Landtag zurzeit über Für Städte und Gemeinden mit über 10.000 Einwoh- 20 Prozentpunkte mehr Parlamentarierinnen als in ner*innen weist der Deutsche Städtetag einen durch- Baden-Württemberg. Sachsen-Anhalt, das lange Zeit schnittlichen Frauenanteil von 24 Prozent aus. einen der Spitzenplätze einnahm, ist nun das Bun- desland mit dem geringsten Frauenanteil. Dies ist vor allem auf das Wahlergebnis der AfD zurückzuführen. Zudem spielen bei den Landtags- und Kommunalwah- Je kleiner die Gemeinde, desto len die Freien Wähler und andere unabhängige Grup- pierungen eine zunehmend wichtige Rolle; in Bayern niedriger der Frauenanteil im zum Beispiel bilden die Freien Wähler aktuell eine Ko- Stadt- oder Gemeinderat. alitionsregierung mit der CSU. Innerparteiliche Rege- lungen zur Sicherung der Repräsentanz von Frauen stellen in diesen Gruppierungen eher die Ausnahme dar. An der Situation in den Landesparlamenten lässt Vor allem in kleinen, ländlich geprägten Gemeinden sich neben der Bedeutung der jeweiligen politischen gibt es allerdings immer noch Räte, in denen keine Konstellationen beziehungsweise Mehrheitsverhält- einzige Frau vertreten ist. Auch im Hinblick auf die nisse auch der beträchtliche Einfluss des Wahlrechts kommunalen Führungspositionen bleibt sehr viel zu auf die Repräsentanz von Frauen nachvollziehen. Hier tun: Während der Anteil der Landesministerinnen gilt die Faustregel: derzeit bei 41,1 Prozent liegt, beträgt der Anteil der Oberbürgermeisterinnen lediglich 8,1 Prozent! Bei den Bürgermeisterinnen stagniert der Anteil weiter- hin bei 10 Prozent.1 Je mehr Sitze im Parlament als Direktmandate vergeben 1Q uelle: eigene Berechnung (Stand: August 2019), eigene Auszählung anhand der Angaben ausgewählter Statistischer Landesämter. werden, desto niedriger ist der Frauenanteil unter den Abge- ordneten. Frauenanteile in politischen Führungspositionen 40 % 41,1 % 8,1 % Bundesministerinnen Landesministerinnen Oberbürgermeisterinnen
10 Rückschritt statt Fortschritt – Frauen und Männer in der Politik Besonderheiten der kommunalen Ebene Frauen in der Kommunal- Warum ist die männliche Überrepräsentanz in der Kommunalpolitik – sowohl bei den Mandaten als auch politik – ein statistischer bei den Führungspositionen – am ausgeprägtesten Flickenteppich und auch am hartnäckigsten? Zusätzlich zu den all- gemeinen Barrieren wirken in der Kommunalpolitik Wie viele Frauen sind in der deutschen Kom- folgende den Zugang und den Aufstieg von Frauen munalpolitik aktiv? Wie hoch ist der Anteil der besonders erschwerende Mechanismen (vgl. Luko- Bürgermeisterinnen in den Bundesländern? schat/Belschner 2014; Kletzing/Lukoschat 2010): Und welchen Parteien gehören sie an? Leider ist ein Großteil dieser Informationen noch im- Spagat hoch drei mer nicht einfach abzurufen. Zuständig für die Kommunalpolitische Mandate werden in der Regel kommunalpolitische Datenerhebung sind die ehrenamtlich ausgeübt. Daher müssen Kommunal- Statistischen Landesämter der Bundesländer, politiker*innen ihr Mandat nicht nur mit Familien- was die Vergleichbarkeit der Daten erschwert. pflichten, sondern zusätzlich noch mit der Erwerbs- Während Schleswig-Holstein beispielsweise tätigkeit vereinbaren. Besonders wenn eine Karriere für Kommunalwahlen lediglich das aggregierte als hauptamtliche*r Bürgermeister*in angestrebt Landesergebnis nach Parteien ausweist, fin- wird, muss einer der Lebensbereiche, oft die Fa- den sich in der bayerischen Statistik sowohl für milie, zurückstehen oder an den/die Partner*in de- Rats- als auch für Bürgermeisterwahlen jeweils legiert werden. Da Frauen immer noch überpropor- Aufschlüsselungen nach Geschlecht. Häufig tional viel Familienverantwortung übernehmen, ist werden in der Literatur Daten des Deutschen es für sie schwieriger, in die Kommunalpolitik ein- Städtetags zitiert; dieser erhebt Daten jedoch zusteigen und so viel Zeit zu investieren, dass auch erst für Gemeinden ab einer Größe von 10.000 ein Aufstieg in eine Führungsposition möglich ist. Einwohner*innen. Von den 11.313 deutschen Gemeinden ist aber die große Mehrheit (circa Mangelhafte Umsetzung von Quoten 80 Prozent) kleiner und die Unterrepräsentanz Auch wenn Frauen sich in der Kommunalpolitik von Frauen dort noch dazu besonders stark engagieren, werden sie deutlich seltener aktiv aus (Lukoschat/Belschner 2014, 17). Parteien und Netzwerken angesprochen und zu ei- ner Kandidatur für ein Mandat oder Amt motiviert. Da kommunalpolitische Mandate aufgrund der Eh- renamtlichkeit oft weniger attraktiv sind, werden parteiinterne Quotenvorgaben auf der kommuna- Gute Beispiele für die systematische Erhebung len Ebene meist nicht erreicht – aus Mangel an Kan- von Daten und ihre Darstellung sind didatinnen, heißt es dann oft. das Bayerische Landesamt für Statistik Intransparente Nominierungsprozesse Für Landrats- und Bürgermeisterämter werden Frauen sehr selten nominiert – und wenn, dann und das österreichische Projekt Genderatlas deutlich häufiger als „Verlegenheitskandidatin- nen“, also in Situationen, in denen ein Wahlsieg der Partei unwahrscheinlich erscheint. Während bei der Vergabe von Direktkandidaturen auf Landes- und Bundesebene offizielle Nominierungskommis- sionen gebildet und die Frauenorganisationen der Parteien einbezogen werden (müssen), ist das Pro- zedere auf kommunaler Ebene oft intransparent.
Einflussfaktoren – Wahlrecht und innerparteiliche Regelungen Ein Blick in die Wahlsysteme der Bundesländer und Kommunen sowie Parteisatzungen zeigt: Verhältniswahlrecht und partei interne Quoten erhöhen den Frauenanteil in den Parlamenten.
12 Einflussfaktoren – Wahlrecht und innerparteiliche Regelungen In Deutschland gilt für die Parlamentswahlen auf Bun- Wahlrecht in den Bundesländern des- und Landesebene in der Regel das Wahlsystem der personalisierten Verhältniswahl. Das bedeutet, Der Einfluss des Wahlrechts lässt sich auch deutlich dass jede*r Wähler*in ein bis zwei Stimmen zur Verfü- an den Frauenanteilen der deutschen Landesparla- gung hat. Mit der ersten wird ein*e Direktkandidat*in mente nachvollziehen: Lange Zeit war Baden-Würt- im Wahlkreis gewählt, die zweite geht an die norma- temberg das Schlusslicht. Das Landtagswahlsystem lerweise feste (geschlossene) Liste einer Partei. des Bundeslandes kommt einem Mehrheitswahlrecht am nächsten. Die Wähler*innen haben nur eine Stim- Grundsätzlich gilt für die Sitzverteilung auf Bundes- me, die sie an eine*n Direktkandidat*in ihres Wahl- und Landesebene: Jeder Partei mit einem (Zweit-) kreises vergeben. Auf diese Weise werden 70 von 120 Stimmenanteil von mindestens fünf Prozent stehen Mandaten vergeben. Die übrigen 50 Mandate werden dem (Zweit-)Stimmenanteil entsprechend viele Sitze den Stimmenanteilen der Parteien entsprechend an zu. Diese werden zunächst mit den gewonnenen Di- unterlegene Wahlkreiskandidat*innen berechnet, um rektmandaten verrechnet. Übrige Mandate gehen an die Stimmen- und Sitzanteile in größtmögliche Über- die Listenkandidat*innen in der vorgegebenen Reihen- einstimmung zu bringen. Es werden jedoch im Vor- folge beziehungsweise an jene Bewerber*innen mit feld keine Listen der Kandidat*innen erstellt, sondern den meisten Einzelstimmen (bei der Verhältniswahl 100 Prozent der Mandate mittelbar oder unmittelbar mit offenen Listen, wie in manchen Bundesländern). über Direktkandidaturen generiert. Mit der Landtags- wahl 2016 stieg der Frauenanteil auf einen bisherigen Der Einzug von in ihrem Wahlkreis erfolgreichen Di- „Höchststand“ von 24,5 Prozent. Bemühungen, das rektkandidat*innen ins Parlament ist also sicher, wäh- baden-württembergische Wahlrecht zu reformieren, rend die Chance, dass eine Nominierung per Wahl- waren bisher politisch nicht durchsetzbar. liste zum Erfolg führt, vom Gesamtergebnis der Partei und nicht zuletzt auch von der Stärke der Direktkan- Aktuell steht Sachsen-Anhalt im Hinblick auf den didat*innen abhängt. Bei den Direktkandidaturen gilt Frauenanteil im Landtag an letzter Stelle. Mit dem das Mehrheitswahlrecht, das heißt, dass lediglich Einzug der AfD in den Landtag sank der Frauenanteil der/die Kandidat*in mit den meisten Stimmen einen 2016 von 32,4 auf 24,4 Prozent. Sitz gewinnt – die Stimmen der unterlegenen Bewer- ber*innen verfallen. Eine detaillierte Übersicht zum geltenden Wahlrecht in den einzelnen Bundesländern findet sich unter Die Ausgestaltung des Wahlrechts hat großen Ein- www.wahlrecht.de. fluss darauf, wie gut die Chancen für eine höhere Frauenrepräsentanz stehen. Insbesondere der Anteil von Sitzen, die als Direktmandate vergeben werden, Wahlrecht in den kommunalen beeinflusst die Partizipationschancen von Frauen in negativer Weise. Direktmandate sind umkämpft und Vertretungen lassen sich nicht wie Wahllisten quotieren. Frauen haben in der Regel weniger zeitliche und materielle Für die kommunalen Vertretungen (Kreis- und Stadt-/ Ressourcen als Männer, um effektive Unterstützung Gemeinderäte) gilt in der Regel das Verhältniswahl- für ihren Wahlkampf zu organisieren. recht mit offenen Listen. Das heißt, die Wähler*innen vergeben ihre Stimmen (meistens drei bis fünf, teil- weise auch der Anzahl der zu vergebenden Sitze ent- sprechend) entweder gesammelt an eine Liste, ver- Die Frauenrepräsentanz liegt weltweit in Sys- teilt an mehrere Kandidat*innen (Panaschieren) und/ temen mit Mehrheitswahlrecht (also der aus- oder gehäuft an eine favorisierte Person (Kumulieren). schließlichen Vergabe der Sitze an Direktkandi- Auch in einigen Bundesländern finden sich vergleich- dat*innen, wie zum Beispiel in Großbritannien) bare Regelungen, wie zum Beispiel in Schleswig- im Durchschnitt bei 14 Prozent, in gemischten Holstein und Nordrhein-Westfalen (personalisiertes Systemen, wie der deutschen personalisierten Verhältniswahlrecht mit freier oder starrer Liste). Verhältniswahl, bei 18 Prozent. In Systemen mit reiner Verhältniswahl, also Listenwahl, liegt sie Bürgermeister- und Landratswahlen sind dagegen in bei durchschnittlich 27,4 Prozent (Inter-Parlia- allen Bundesländern Direktwahlen: Die Wähler*innen mentary Union 2018, 10). wählen in einem oder – bei vorgesehener Stichwahl – in zwei Wahlgängen die favorisierte Person.
Einflussfaktoren – Wahlrecht und innerparteiliche Regelungen 13 Einfluss der Parteien und inter- nen Regelungen Der Einfluss der Wähler*- innen auf die Repräsentanz Ob Bundestags-, Landtags- oder Kommunalwahl – von Frauen wer kandidiert, entscheiden ganz überwiegend die politischen Parteien und Wählergruppen. Weil sie „Wir hätten ja gerne mehr Frauen im Stadt- die Nominierungshoheit sowohl für die Listenplätze rat, aber leider ist die Wählerschaft dazu noch als auch weitestgehend für die Direktkandidaturen nicht bereit.“ Die These, dass Kandidatinnen in haben, treffen sie bereits vor der eigentlichen Wahl Kommunalwahlen von den Wähler*innen be- wichtige Entscheidungen, da sie bestimmen, wer nachteiligt werden, ist in Parteien und unter überhaupt zur Wahl steht. Obwohl sich theoretisch Politiker*innen weit verbreitet. Tatsächlich er- jede*r Bürger*in über 18 Jahren in einer Direktkandi- höht die Methode des Kumulierens und Pana- datur zur Wahl stellen darf, sind die politischen Par- schierens den Einfluss der Wählerschaft auf die teien als Multiplikatoren und Unterstützungsapparate gewählten Kandidat*innen bei Kommunalwah- für eine erfolgreiche Kandidatur zum Bundes- oder len. Jedoch sprechen empirische Forschungs- Landtag unverzichtbar. Und selbst auf kommunaler ergebnisse eher gegen einen Negativeffekt für Ebene, wo parteilose Amts- und Mandatsträger*in- kandidierende Frauen.2 nen keine Seltenheit sind, kandidieren diese meist auf Vorschlag oder mit der Unterstützung einer oder as überragende Kriterium für die Wahlent- D mehrerer Parteien. scheidung ist auch bei Kommunalwahlen die Parteizugehörigkeit der Kandidat*innen. Das Die meisten der politischen Parteien haben sich mitt- lässt wenig Raum für individuelle „Kandida- lerweile auf freiwilliger Basis eigene Regeln für die teneffekte“. Repräsentanz der Geschlechter auf Wahllisten und/ oder für (parteiinterne) Ämter gegeben. Die Rege- ur etwa die Hälfte der Wählerschaft nutzt N lungen sind jedoch sehr unterschiedlich und werden die Möglichkeit zu kumulieren und zu pana- auch in unterschiedlichem Umfang umgesetzt. Keine schieren, der Rest wählt mit allen Stimmen der Parteien sieht wirksame Sanktionen bei Nicht- die vorgeschlagene Liste einer Partei. erfüllung vor. ie Geschlechterzugehörigkeit hat in den D Insgesamt liegt der Anteil von Frauen an den Listen- meisten Untersuchungen keinen signifikan- wie Direktkandidaturen niedriger als derjenige der ten Effekt, lediglich für sehr kleine Gemein- Männer – oft auch unter den Quoten, die sich die den konnte für Kandidatinnen ein leicht ne- Parteien freiwillig selbst verordnet haben. Darüber gativer Einfluss auf die Wahlentscheidung hinaus werden Frauen oftmals die wenig aussichts- festgestellt werden. In Großstädten – insbe- reichen Plätze am Ende der Wahlliste zugewiesen, sondere Universitätsstädten – zeigt sich da- wenn es keine Regelungen zur genauen Listenplatzie- gegen ein leicht positiver Einfluss. rung (etwa das Reißverschlussprinzip) gibt. Bei einem durchschnittlichen Wahlergebnis ihrer Partei haben Ziel sollte es nicht sein, das Instrument des Ku- Frauen damit schlechtere Chancen, ins Parlament mulierens und Panaschierens abzuschaffen. Im einzuziehen. Gegenteil: Wähler*innen können es dazu nut- zen, auf den Listen schlecht platzierte Frauen Durch die Direktmandate lässt sich das nicht aus- gezielt zu wählen, und sollten dazu auch moti- gleichen, im Gegenteil: Als Wahlkreiskandidat*innen viert werden, etwa durch Kampagnen. nominieren Parteien besonders selten Frauen. Zum einen gelten hier keine Quoten, zum anderen sind 2 Hier gibt es widersprüchliche Forschungsergebnisse. Einen negativen Einfluss des Geschlechts auf die Wahlchancen von viele Wahlkreise bereits von männlichen Abgeordne- Kandidatinnen sehen z. B. Holuscha (1999), Wehling (2003) ten „besetzt“. Für die Bundestagswahl 2017 zum Bei- und Magin (2011). Dagegen argumentieren Holtkamp/Schnittke spiel hatten die Wahllisten der in den Bundestag ge- (2010), u. a. mit Verweis auf anderslautende empirische Ergeb- nisse, dass in Kommunalwahlen kaum Kandidateneffekte wirk- wählten Parteien einen Frauenanteil von 38 Prozent. ten (Bovermann 2002; Gabriel et al. 1997) und diese entweder In den 299 Wahlkreisen hingegen wurden 487 Frauen keinen oder sogar einen leicht positiven Effekt für die Wahl- chancen von Kandidatinnen implizierten (Gremmels 2003; und 1.292 Männer aufgestellt – direkt gewählt wurden Kersting 2004; Hofmann et al. 2007). Aktuelle Forschungen zu 64 Frauen (21 Prozent) und 235 Männer (79 Prozent) dieser Frage wären daher wünschenswert. (Steg 2018, 347).
14 Einflussfaktoren – Wahlrecht und innerparteiliche Regelungen Frauenanteile im 19. Deutschen Bundestag Regelungen in den Parteien nach Parteien (Angaben in Prozent) Bündnis 90/Die Grünen: Eine Frauenquo- te von mindestens 50 Prozent ist für alle Ämter, Mandate und Listenplätze vorgesehen. Listen- 58,2 plätze werden alternierend vergeben, wobei die Bündnis 90/Die Grünen ungeraden Plätze, also auch die jeweilige Spit- 39 von 67 Abgeordneten zenkandidatur, prinzipiell von Frauen besetzt werden sollen. (Frauenstatut von Bündnis 90/ Die Grünen, § 1) Die Linke: Ämter, Mandate und Plätze auf 53,6 Wahllisten sollen zu 50 Prozent an Frauen ver- Die Linke geben werden. Auf Listen stehen Frauen einer 37 von 69 Abgeordneten der ersten beiden Listenplätze sowie im Fol- genden die ungeraden Plätze zu. (Bundessat- zung der Partei Die Linke, § 10) SPD: Bei Listenaufstellungen und Ämterbe- setzungen müssen mindestens 40 Prozent der Plätze an Frauen vergeben werden. Zudem werden Wahllisten für Bundestags- und Euro- pawahlen nach dem Reißverschlussprinzip be- 42,8 SPD 65 von 152 Abgeordneten setzt. (Satzung der SPD, § 4) FDP: Es gilt keine verpflichtende Quoten- regelung. Auf ihrem Parteitag im April 2019 23,8 beschloss die FDP, zur Erhöhung des Frauen- FDP anteils zwischen Bundesverband und Landes- 19 von 80 Abgeordneten verbänden Zielvereinbarungen abzuschließen. (Beschluss des 70. Ordentlichen Bundespartei- tags der FDP, 2019) CDU: Es gilt ein Quorum, nach dem ein Drittel 20,7 der Parteiämter, Mandate und Listenplätze an CDU/CSU Frauen vergeben werden soll. Kann dieses Ziel 51 von 246 Abgeordneten in einem ersten Wahlgang nicht erreicht wer- den, muss die Wahl gegebenenfalls mit neuen Vorschlägen wiederholt werden. Das Ergebnis des zweiten Wahlgangs ist gültig, auch wenn das Quorum nicht erreicht werden konnte. (Sta- 11 tut der CDU, § 15) AfD 10 von 91 Abgeordneten CSU: Die CSU quotiert ihre Listenplätze nicht. Auf Landes- und Bezirksebene sollen 40 Pro- zent der Parteiämter an Frauen vergeben wer- den. (Satzung der CSU, § 8) AfD: In der AfD werden sowohl parteiinterne Quoten als auch Maßnahmen zur Frauenförde- rung abgelehnt. Auch die Gründung parteiinter- ner Frauenorganisationen schließt die Satzung 25 Fraktionslos 1 von 4 Abgeordneten explizit aus. (Bundessatzung der AfD, § 17 (2))
Wege zu Parität – Modelle und Beispiele In vielen Ländern gibt es bereits Regelungen zur Geschlechter repräsentanz in den Parlamenten. Hier werden die wichtigsten Modelle vorgestellt.
16 Wege zu Parität – Modelle und Beispiele In mehr als 100 Ländern bestehen Regelungen für die Im internationalen Vergleich finden sich neben der Teilhabe von Frauen an politischen Entscheidungs- paritätischen Geschlechterquote (je 50 Prozent Frau- prozessen, zum Teil als gesetzliche Vorgabe, zum Teil en und Männer) auch zahlreiche Regelungen mit fest- als freiwillige Verpflichtung der Parteien. Quoten sind gelegter Mindestquote, zum Beispiel von 30 oder nicht mehr die Ausnahme, sondern die Regel! 40 Prozent, für jedes Geschlecht. Entscheidend für die Wirksamkeit der Regelungen ist: In der EU gibt es in 21 der 28 Staaten entsprechende Regelungen – in Belgien, Frankreich, Griechenland, ie müssen zum politischen System, also zum S Irland, Kroatien, Luxemburg, Polen, Portugal, Slowe- Wahlrecht und zur nationalen Kultur und ihren nien und Spanien sind sie gesetzlich verankert. Den Besonderheiten, passen. Anfang machte Belgien 1994, zuletzt führte Luxem- burg 2016 eine gesetzliche Quote ein. In Frankreich, Sie müssen wirksam sanktioniert werden. Portugal und Slowenien gingen den Wahlrechtsände- rungen Verfassungsänderungen voraus. Quotenregelungen im europäischen Vergleich % Wahl- Partei- Gesetzliche Quote Frauen system quoten Schweden 46 V – × Finnland 42 V – × Norwegen 41 V – × Spanien 39 V/M 40 % KQ (Ablehnung von Wahllisten) × Frankreich 39 M 50 % KQ (finanzielle Sanktion) × Belgien 38 V 50 % KQ (Ablehnung von Wahllisten) – Dänemark 37 V – – Niederlande 36 V – × Italien 36 V/M – × Portugal 35 V 33 % KQ (finanzielle Sanktion) – Österreich 34 V – × Schweiz 33 V/M – × Großbritannien 32 M – × Deutschland 30 V/M – × Irland 22 V 30 % KQ (finanzielle Sanktion) – 33 % KQ (Ablehnung von Wahllisten; Griechenland 18 V × keine Platzierungsregeln) V = Verhältniswahlrecht | M = Mehrheitswahlrecht | KQ = Kandidatinnenquote
Wege zu Parität – Modelle und Beispiele 17 Stufen von Paritätsregelungen Stufe 1: Stufe 2: Einfache Quotierung der Wahllisten Reißverschlussprinzip Die einfache Quotierung sieht vor, dass die gesetzli- Als deutlich effektiver erweist sich die einfache Quo- che Mindestquote beider Geschlechter auf den Wahl- tierung von Wahllisten, wenn sie mit dem sogenann- listen der Parteien erreicht wird. Die Grafik zeigt, wie ten Reißverschlussprinzip gekoppelt ist. Das heißt, beispielsweise eine Vorgabe von 50 Prozent umge- neben der einfachen Quotierung müssen sich Män- setzt werden könnte. Oft wird eine solche Quotierung ner und Frauen zusätzlich auf den Listen abwechseln. bereits über freiwillige Regelungen innerhalb der Par- Durch dieses Verfahren wird weitestgehend sicher- teien umgesetzt. Allerdings zeigt dies im Ergebnis gestellt, dass die Hälfte der über die Liste gewon- eher wenig Wirkung, da Frauen erfahrungsgemäß zu- nenen Mandate an Kandidatinnen gehen. Zusätzlich meist auf den hinteren und damit weniger aussichts- zum Reißverschlusssystem kann die Vorgabe gelten, reichen Listenplätzen zu finden sind. Wenn die Partei dass im vorderen Bereich Frauen die ungeraden Lis- im oberen Beispiel in der Wahl vier Sitze gewinnt, ge- tenplätze zustehen, sie also auf Platz eins und drei zu hen davon drei an Männer – trotz einer Frauenquote finden sind. von 50 Prozent. Eine weitere Variante besteht darin, dass die zuständi- ge Wahl- oder Delegiertenversammlung entscheidet, ob der erste Platz an einen Mann oder eine Frau verge- ben wird. Entsprechend folgt dann auf Platz zwei eine Frau oder ein Mann. Dies ist sowohl im Brandenburger als auch im Thüringer Paritätsgesetz vorgesehen.
18 Wege zu Parität – Modelle und Beispiele Stufe 3: Belgien: Schritt für Schritt Horizontale Quotierung der Spitzenplätze zur Quote In Belgien wurden erste gesetzliche Vorga- ben zur Besetzung der Wahllisten bereits 1994 eingeführt. Schrittweise wurde die damalige 25-Prozent-Quote auf 50 Prozent im Jahr 2002 erhöht. Auf den Listen müssen gleich viele Männer wie Frauen vertreten sein und diese müssen sich auf der Liste abwechseln. Wenn eine Partei diese Vorgaben nicht erfüllen kann oder will, müssen Listenplätze leer bleiben. Der Frauenanteil im belgischen Parlament liegt bei knapp 40 Prozent. Tunesien: Kampf für die horizontale Parität Die tunesische Verfassung von 2014 schreibt die gleiche Beteiligung der Geschlechter an der politischen Vertretung als Staatsziel fest. Im Wahlgesetz ist die alternierende Besetzung aller Wahllisten (Reißverschlussprinzip) mit mindestens 50 Prozent Kandidatinnen festge- legt. Bei den Parlamentswahlen im Herbst 2014 Um sicherzustellen, dass möglichst viele Frauen den traten sehr viele Parteien an, davon wurden Sprung in die politische Vertretung schaffen, kann wiederum viele von Männern angeführt. Ge- neben der vertikalen Quotierung der einzelnen Wahl- rade bei kleinen Parteien schaffte es aber oft listen auch eine horizontale Vorgabe für sämtliche nur der erstplatzierte Kandidat, ins Parlament Listen einer Partei gemacht werden. In der Praxis einzuziehen. Der gesamte Frauenanteil im tu- bedeutet dies, dass ein bestimmter Anteil der ersten nesischen Parlament liegt deshalb lediglich bei Listenplätze einer Partei – ob auf nationaler oder Län- 31,3 Prozent. Frauenrechtsverbände und einige derebene – jeweils mit Frauen besetzt werden muss. Parteien forderten daher eine horizontale Quo- Zum Beispiel wäre, wie in der Grafik zu sehen, bei tierung der Listen, sie wurde für die Kommunal- einer paritätischen Quotierung die Hälfte der ersten und Regionalwahlen 2016 eingeführt. Listenplätze – auf alle Wahllisten einer Partei gerech- net – Frauen vorbehalten.
Wege zu Parität – Modelle und Beispiele 19 Stufe 4: Quotierung der Direktmandate Das französische „Loi sur Direktmandate, bei denen jeweils nur eine Person ge- la parité“ wählt wird, lassen sich nicht nach dem gleichen Mus- ter wie Wahllisten handhaben. Dennoch gibt es Vor- In Frankreich trat 2001 das „Gesetz zur För- schläge und Modelle, wie der Frauenanteil auch unter derung des gleichen Zugangs von Frauen und den Wahlkreiskandidat*innen erhöht werden kann. Männern zu Wahlmandaten und Wahlämtern“ in Kraft, das zwischenzeitlich stetig weiterent- Tandem-Modell wickelt wurde. Es beruht auf dem Prinzip der Statt eines Sitzes pro Wahlkreis werden zwei Sitze Égalité und der Überzeugung, dass die staats- an ein sogenanntes Tandem vergeben. Jede poli- bürgerliche Gleichheit auch die gleiche Partizi- tische Partei stellt eine Frau und einen Mann auf. pation an politischer Macht beinhaltet. Die Wähler*innen geben aber nur eine Stimme für den Wahlkreisvorschlag. Gewählt ist dann das Tan- Für Listenwahlen nach dem Verhältniswahl- dem, das die meisten Stimmen erhält. Will man die recht sieht das französische Paritégesetz eine Größe eines Parlaments nicht verdoppeln, muss die paritätische Besetzung der Wahllisten mit Frau- Anzahl der Wahlkreise vorher halbiert werden. en und Männern vor. Das betrifft die Wahlen der Kommunalvertretungen und des Europaparla- Wahlkreis-Duo ments. Der Frauenanteil hat sich in den Kom- Auch in diesem Modell wird die Anzahl der Wahl- munalparlamenten nahezu verdoppelt und kreise halbiert. Jede politische Partei stellt jeweils liegt bei über 40 Prozent. einen Mann und eine Frau auf. Die Wähler*innen wählen allerdings nicht ein Tandem, sondern haben Für nationale und regionale Wahlen gilt das zwei Erststimmen, die sie jeweils an einen Mann und Mehrheitswahlrecht, es werden also aus- eine Frau vergeben können, auch aus unterschied- schließlich Direktmandate vergeben. Für die lichen Parteien. Gewählt sind jeweils der Kandidat Wahlen zur Nationalversammlung sieht das und die Kandidatin mit den meisten Stimmen. französische Paritégesetz vor, dass die Parteien quotierte Voschläge für die Direktkandidat*in- Ausgleich über die Wahlliste nen in den Wahlkreisen machen. Als Sanktion Ein weiteres in der Diskussion befindliches Modell droht die nachträgliche Kürzung staatlicher schlägt einen Ausgleich über die Wahlliste vor. Die Zuwendungen für Parteien, sofern der zahlen- Anzahl der Wahlkreise und die Direktwahlelemen- mäßige Unterschied zwischen den aufgestell- te an sich werden nicht verändert. Bei der Vertei- ten Kandidatinnen und Kandidaten mehr als lung der Mandate muss die Überrepräsentanz eines zwei Prozent beträgt. Weil gerade die großen Geschlechts bei den Direktmandaten aber so weit Parteien bereit sind, diese finanziellen Einbu- wie möglich ausgeglichen werden. Zum Beispiel ßen in Kauf zu nehmen, brachten diese Vorga- gewinnt eine Partei bei der Wahl insgesamt zehn ben lange Zeit nicht den gewünschten Erfolg. Mandate. Fünf Mandate sind über Direktwahlkreise Dennoch hat sich der Frauenanteil in der Na- von Männern gewonnen worden. Um Parität sicher- tionalversammlung zuletzt auf 39 Prozent er- zustellen, erhalten anschließend nur noch die Kan- höht, unter anderem weil die Sanktionen nach didatinnen auf der Wahlliste ein Mandat. und nach verschärft wurden. Vor allem sind die positiven Entwicklungen in der Nationalver- sammlung jedoch darauf zurückzuführen, dass die neue Sammlungsbewegung um Emmanuel Macron das Paritätsgesetz tatsächlich ernst nahm und entsprechend Frauen und Männer nominiert wurden. Für die Départementswahlen gilt ein Tandem- prinzip, wonach in jedem Wahlkreis eine Kandi- datin und ein Kandidat gewählt werden. Diese Regelung hat dazu geführt, dass der Frauenan- teil seit 2015 bei 50 Prozent liegt.
20 Wege zu Parität – Modelle und Beispiele Good Practice: Frankreichs „Loi sur la parité“ Seit 2001: „Gesetz zur Förderung des gleichen Zugangs von Frauen und Männern zu Wahlmandaten und Wahlämtern“. Das Gesetz wurde in den darauffolgenden Jahren mehrfach weiterentwickelt (vgl. Durand 2017; HCE République Française 2017). Stand: 2019 Mandats- Wahlrecht Regel Sanktionen Frauenanteil dauer Alternierende 2014: 40,3 % paritätische Kommunen ab Kommunale Besetzung der Zurück 1.000 Vertretung Verhältnis 6 Jahre Wahllisten in weisung der Einwohner*in- wahlrecht conseil municipal Kommunen ab Liste nen: 48,0 % 1.000 Einwoh- ner*innen 2008: 35,0 % Aufstellung von Mehrheits Duos, bestehend Zurück Départementrat 2015: 50,0 % wahlrecht aus einer Frau weisung des 6 Jahre conseil und einem Mann Wahl départemental 2011: 14,0 % scrutin binominal vorschlags binôme paritaire Alternierende Regionalrat Zurück 2015: 48,0 % Verhältnis paritätische 6 Jahre weisung der conseil régional wahlrecht Besetzung der Liste 1998: 27,5 % Wahllisten National versammlung Paritätische 2017: 38,8 % Mehrheits Finanzielle Assemblée 5 Jahre Besetzung der wahlrecht Sanktionen nationale – Unterhaus Wahllisten 2012: 26,9 % des französischen Parlaments Senat 6 Jahre Mehrheits Paritätische Zurück 2017: 29,5 % wahlrecht und Sénat – Oberhaus Die Hälfte des Besetzung der weisung der des französischen Senats wird alle Verhältnis Wahllisten Liste 2014: 25,0 % Parlaments 3 Jahre gewählt wahlrecht Alternierende Zurück 2019: 50,0 % Europa Verhältnis paritätische 5 Jahre weisung der parlament wahlrecht Besetzung der Liste 2014: 43,2 % Wahllisten
Wege zu Parität – Modelle und Beispiele 21 Modelle für Sanktionen Stufe 1: Empfehlung – keine Sanktionen Ein wesentlicher Erfolgsfaktor für Quotenregelungen ist ihre Bewehrung mit Sanktionen. Die Bandbreite Die schwächste Form sind unverbindliche Empfeh- reicht von unverbindlichen Empfehlungen über An- lungen, wie etwa Soll-Vorschriften. Sie formulieren reize, Auflagen und finanzielle Sanktionen bis hin zwar eine wünschenswerte Zielgröße für den Frauen- zur Zurückweisung der Liste bei Nichterfüllung der anteil im Parlament beziehungsweise auf Wahllisten, Vorgaben. Das betrifft nicht nur Regelungen gesetz- haben aber keinen rechtlich bindenden Charakter. Ein licher Art, sondern ebenso innerparteiliche Vereinba- Beispiel für eine solche Ausgestaltung findet sich im rungen. Kommunalwahlgesetz von Baden-Württemberg. Hier wurde 2013 folgender Absatz aufgenommen: Neben der Art der Sanktionen ist ebenfalls wichtig, wer für die Kontrolle der Regelungen und für die Durchsetzung der Sanktionen zuständig ist. Im Falle von Parteien ist das normalerweise die zentrale Par- „Männer und Frauen sollen teiorganisation. Zum Beispiel hat die Sozialdemokra- tische Partei Kroatiens für die Kontrolle ihrer 40-Pro- gleichermaßen bei der Auf- zent-Quote eine eigene Kontrollinstanz eingerichtet. stellung eines Wahlvorschlags Gesetzliche Vorgaben werden in der Regel von der zuständigen Wahlkommission kontrolliert. berücksichtigt werden. Dies kann insbesondere in der Wei- se erfolgen, dass bei der Rei- 1 Empfehlung henfolge der Bewerberinnen und Bewerber in den Wahlvor- schlägen Männer und Frauen abwechselnd berücksichtigt 2 Anreize oder Auflagen werden. Die Beachtung der Sätze 1 und 2 ist nicht Voraussetzung für die Zulassung eines Wahlvor- 3 Finanzielle Sanktionen schlags.“ Die Wirksamkeit solcher unverbindlichen Empfehlun- 4 Zurückweisung von Wahlvorschlägen gen wird aus internationalen Erfahrungen allerdings als äußerst begrenzt eingeschätzt. In Baden-Württem- berg stieg der Frauenanteil bei den Kommunalwahlen 2014 um lediglich zwei Prozent in den Gemeinderäten und knapp drei Prozent in den Kreistagen. Auch die innerparteilichen Zielvorgaben der deut- schen Parteien haben unverbindlichen Charakter. Die empirische Forschung zu deren Effektivität zeigt: Je besser die Gewinnchancen einer Partei sind und je mehr Konkurrenz es um die aussichtsreichen Listen- plätze gibt, desto seltener werden die freiwilligen Vor- gaben eingehalten (vgl. Holtkamp/Schnittke 2010; Davidson-Schmich 2006; Reiser 2014).
22 Wege zu Parität – Modelle und Beispiele Stufe 2: Stufe 4: Keine Sanktionen, aber Auflagen oder Anreize Zurückweisung der Liste Eine weitere Möglichkeit besteht darin, durch Anreiz- Die effektivste Form der Sanktionierung besteht un- systeme oder Auflagen Parteien die Umsetzung von bestritten in der Zurückweisung von Wahlvorschlä- Vorgaben schmackhaft zu machen. gen, die nicht mit den Parité-Vorgaben konform ge- hen. Georgien hat zum Beispiel 2015 die Regelung zu fi- nanziellen Anreizen verstärkt: Denjenigen Parteien, In Frankreich wird dies als Grund für den überragen- die mindestens 30 Prozent Frauen nominieren, wird den Erfolg des Paritätsgesetzes auf der kommunalen eine zusätzliche staatliche Finanzierung in Höhe von Ebene gesehen. Gegebenenfalls kann diese Form der 30 Prozent zugesprochen. Kroatien hat ebenfalls ein Sanktion auch an Auflagen wie in Stufe 2 gekoppelt System finanzieller Anreize geschaffen, um die poli- sein. So bekommt in Spanien eine Partei, die sich tischen Parteien dazu zu motivieren, mehr Frauen zu nicht an die Quotenvorgabe von 40 Prozent Listen- nominieren. kandidatinnen hält, eine Warnung und drei Tage Zeit, die Liste korrekt einzureichen. Geschieht keine Kor- Auch können Sanktionen die Form qualitativer Auf- rektur, wird die Liste zurückgewiesen. lagen annehmen. In Irland müssen die lokalen Par- teienverbände einen Bericht an das nationale Exe- Auch bei innerparteilichen Regelungen können sol- kutivkomitee senden, wenn sie die Zielquote auf den che Sanktionen verhängt werden. So weist die nor- Listen verfehlen. Darin müssen sie darstellen, welche wegische Arbeiterpartei kommunale Wahllisten der Maßnahmen sie ergriffen haben, um Kandidatinnen eigenen Ortsverbände zurück, wenn sie nicht min- zu motivieren, und warum diese erfolglos geblieben destens 40 Prozent Kandidatinnen enthalten. sind. Erst wenn das Exekutivkomitee den Bericht bil- ligt, darf die Liste so antreten. Parteienfinanzierung Stufe 3: Finanzielle Sanktionen Anlässlich des 100. Jubiläums des Frauenwahl- rechts fordert der Deutsche Juristinnenbund Die meisten gesetzlichen Quotenvorgaben sind mit in seiner Stellungnahme „Mehr Frauen in die finanziellen Sanktionen bewehrt. Oft staffeln sich Parlamente“ (Januar 2019) die Parteien auf, ein diese nach Grad der Verfehlung der Zielquote. Auch klares Signal für Parität zu setzen und unver- hierfür gibt es Beispiele aus EU-Ländern. züglich erste Schritte einzuleiten. In Portugal werden inkorrekte Listen veröffentlicht Als „Mindestforderung“ wird neben der Ver- und die Parteien mit einer finanziellen Strafe je nach ankerung von Frauenförderung in den Partei- Abweichung von der 30-Prozent-Quote belegt. In Ir- satzungen und Frauenquoten in den Parla- land müssen die Parteien aktuell mit einer 50-prozen- mentsausschüssen genannt, im Rahmen der tigen Kürzung ihrer staatlichen Finanzierung rechnen, Parteienfinanzierung Anreize für mehr Frauen wenn sie zu den nationalen Wahlen nicht wenigstens in den Parlamenten zu setzen. Frauenförderung 30 Prozent Kandidatinnen aufstellen. Nach einer Lauf- solle durch den Staat mit einem Bonus belohnt zeit des Paritätsgesetzes von sieben Jahren muss der und im Parteiengesetz (§ 18 PartG) verankert Anteil von Kandidatinnen sogar 40 Prozent betragen, werden. damit die Partei die volle staatliche Finanzierung er- halten kann. Der Bonus könnte gestuft an Parteien ausge- zahlt werden, deren Wahllisten Frauenquoten Allerdings können finanzielle Sanktionen gerade gro- von 35 Prozent aufwärts folgen. Entscheidend ße Parteien zu der Kalkulation verleiten, sich die Ver- sei dabei, dass die Frauen auf aussichtsreichen fehlung leisten zu können. So haben in Frankreich die Listenplätzen kandidierten. Um zusätzlich An- beiden ehemaligen Volksparteien Les Républicains reize zu schaffen, könnte auch die Verankerung und Parti socialiste finanzielle Einbußen in Millionen- von Frauenfördermaßnahmen in den Satzun- höhe in Kauf genommen, um für die Wahl zur Natio- gen finanziell belohnt werden. nalversammlung nicht gleich viele Kandidatinnen wie Kandidaten aufstellen zu müssen.
Dynamik in den Bundesländern – die ersten Paritäts- gesetze 2019 wurden in Thüringen und Brandenburg Paritätsgesetze auf Landesebene verabschiedet. Das Kapitel zeichnet die wichtigsten Etappen nach und gibt einen Über- blick über die Situation und den aktuellen Diskussionsstand in Bund und Ländern.
24 Dynamik in den Bundesländern – die ersten Paritätsgesetze Seit mehr als zehn Jahren wird in Deutschland über Paritätsgesetze diskutiert. In zahlreichen Bundeslän- Bündnis für Parité in Bayern dern bildeten sich Initiativen, inspiriert vor allem von den positiven Erfahrungen im Nachbarland Frank- Das parteiübergreifende Aktionsbündnis „Pa- reich. Oft schlossen sich Landesfrauenräte, lokale rité in den Parlamenten“ erhob 2016 eine so- Frauenverbände sowie Vertreter*innen der Parteien genannte Popularklage beim Bayerischen zusammen, um das Thema auf die öffentliche Agen- Verfassungsgerichtshof. Die Verfassung des da zu setzen. Anfänglich stand die kommunale Ebene Freistaates Bayern berechtigt mit der Popular- im Vordergrund, auf der die Unterrepräsentanz von klage jede*n Bürger*in, prüfen zu lassen, ob Frauen besonders ausgeprägt ist. Zudem liegt die ein garantiertes Grundrecht durch Gesetze, Gesetzgebungskompetenz für die Kommunalwahlge- Verordnungen oder Satzungen verletzt wird. setze bei den Ländern. Die Kampagnen waren durch- Mit der Klage, von 152 Kläger*innen getragen, aus erfolgreich, vor allem in Ländern mit rot-grünen sollte geklärt werden, ob die jetzigen Wahlge- oder grün-roten Regierungskonstellationen schienen setze gegen die Bayerische Verfassung versto- entsprechende Mehrheiten möglich zu sein. Die zu- ßen, weil sie die tatsächliche Durchsetzung der gleich einsetzende Debatte um die Verfassungskon- Gleichberechtigung und die Beseitigung be- formität gesetzlicher Paritätsregelungen führte in stehender Nachteile verhindern. Baden-Württemberg jedoch dazu, dass 2013 letztlich nur eine unverbindliche Soll-Regelung verabschie- Vertreten wurde die Klage von Silke Laskowski, det wurde. Auch der Vorstoß in Rheinland-Pfalz blieb Professorin für Öffentliches Recht, Völkerrecht ohne Erfolg. Zuvor hatte in Schleswig-Holstein und und Europarecht an der Universität Kassel. auch im Bundestag die Oppositionspartei Bündnis Die auch im Deutschen Juristinnenbund ak- 90/Die Grünen erste Initiativen gestartet, die jedoch tive Staatsrechtlerin hatte bereits im Auftrag gleichfalls keine Mehrheit fanden. verschiedener Landtags- und einer Bundes- tagsfraktion Gutachten zur Verfassungsmä- Doch die Debatte war damit keineswegs beendet. ßigkeit von Paritätsgesetzen erstellt. Der Bay- Bundesweit blieben Frauenverbände aktiv, wie der erische Verfassungsgerichtshof wies die Klage Deutsche Frauenrat oder der Deutsche Juristinnen- am 26. März 2018 zurück, weil er die fehlende bund. Im Rahmen des von der EAF Berlin koordinier- Chancengleichheit von Frauen in der Verfas- ten und vom Bundesfrauenministerium geförderten sungswirklichkeit nicht erkennen konnte. Helene Weber Kollegs wurden Paritätsforen in Bund und Ländern durchgeführt. Sie dienten dazu, die Ak- Gegen das umstrittene Urteil wurde inzwischen teur*innen zu vernetzen, Argumente zu schärfen und Verfassungsbeschwerde beim Bundesverfas- Erfahrungen auszutauschen. Einige Bundesländer sa- sungsgericht erhoben, weil an mehreren Stel- hen zudem in ihren Koalitionsvereinbarungen vor, die len Zweifel an der grundgesetzkonformen Aus- Einführung von Paritätsgesetzen zu prüfen.3 In Bayern legung von Art. 118 der Bayerischen Verfassung bildete sich 2015 ein breites Aktionsbündnis, dem sich (entspricht Gleichberechtigungsgebot Art. 3 auch Vertreterinnen der Gewerkschaften und Kirchen Abs. 2 GG) und Art. 2 der Bayerischen Verfas- anschlossen. Die Popularklage vor dem Bayerischen sung (entspricht Demokratiegebot Art. 20 GG) Verfassungsgerichtshof zur Überprüfung der bayeri- besteht (Laskowski 2019). Das Bundesverfas- schen Wahlgesetze wurde allerdings abgewiesen. sungsgericht hat die Beschwerde noch nicht angenommen. 3 Sachsen-Anhalt wird seit 2016 von einer Koalition aus CDU, SPD und Bündnis 90/Die Grünen regiert. In der Koalitionsvereinbarung ist ein Prüfauftrag verankert. Niedersachsen wurde 2013 bis 2017 von einer Koalition aus SPD und Bündnis 90/Die Grünen regiert. In der Koalitionsvereinbarung wurde ein Prüfauftrag verankert, der in der aktuellen Vereinbarung zwischen SPD und CDU nicht mehr besteht. Thüringen wird seit 2014 von einer Koalition aus Die Linke, SPD und Bündnis 90/Die Grünen regiert. In der Koalitionsvereinbarung wurde ein Prüfauftrag festgeschrieben, 2019 das entsprechende Gesetz verabschiedet.
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