Macrons Außenpolitik - Internationale Politik

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Macrons Außenpolitik - Internationale Politik
Positionen                  Gegen den Strich

Macrons Außenpolitik
Die Äußerungen des französischen Präsidenten zur NATO, seine Vorschläge für eine
Annäherung an Russland sowie die Blockadehaltung Frankreichs bei der Erweite-
rung der Europäischen Union stoßen in Deutschland und Europa auf Kritik. Setzt
Macron zu einem Sololauf in der europäischen Außen- und Sicherheitspolitik an?
Sechs Thesen auf dem Prüfstand.

Von Claire Demesmay und Barbara Kunz

                                       So hörte sich auch Macron an, als   Nachfolger, der konservative Jac­
„Macron ist der neue                   er auf der Botschafterkonferenz     ques Chirac, der sich mit seinem
de Gaulle“                             2019 behauptete: „Wir sind eine     „non“ zum Krieg im Irak dem
                                       eigenständige Macht.“ Parallelen    gaullistischen Erbe der Unabhän­
Nur zur Hälfte. Keine Frage, Em­       zwischen beiden Staatspräsiden­     gigkeit treu zeigte. Allerdings ist
manuel Macrons außenpolitische         ten sind in dieser Hinsicht nicht   das Wort „indépendance“ eine
Rhetorik spiegelt das Bild eines       zu übersehen; doch der Vergleich    Art Zauberformel, die konträre
stolzen, einflussreichen und unab­     ist trügerisch und muss aus zwei    Vorstellungen umfasst. Im Wahl­
hängigen Frankreichs wider, das        Gründen relativiert werden.         kampf 2017 bekannten sich dazu
auf General de Gaulle zurückgeht.          Erstens ist Macrons Herange­    beide Finalisten Macron und Ma­
Im Kalten Krieg bekannte die­          hensweise relativ klassisch und     rine Le Pen. Während die Chefin
ser sich zwar zum Atlantischen         knüpft an Muster an, die den au­    des (damals) Front National da­
Bündnis, forderte aber zugleich        ßenpolitischen Diskurs Frank­       mit den Austritt Frankreichs aus
eine unabhängige Haltung Frank­        reichs seit Jahrzehnten prägen.     EU und NATO rechtfertigte, sah
reichs gegenüber den USA und lei­      Er führt damit eine Tradition       der Kandidat von En marche!
tete den Aufbau eines autonomen        weiter, die in breiten Teilen der   darin einen Ansporn, das Sozi­
Nukleararsenals ein. Wie Charles       Bevölkerung auf Zustimmung          alsystem zu reformieren und die
de Gaulle es später in seinen Me­      stößt und die die meisten fran­     europäische Integration voran­
moiren schrieb: „Unser Land ist        zösischen Präsidenten vor ihm       zutreiben.
meiner Ansicht nach in der Lage,       verkörperten – und zwar par­           Zweitens ist der Vergleich de
in Europa und in der Welt eigen­       teiübergreifend. So wie der So­     Gaulle–Macron trügerisch, weil
ständig zu handeln, und muss es        zialist François Mitterrand, der    beide Männer sich ausgerechnet
tun (…). Diese Unabhängigkeit          1981 bei seiner Amtseinführung      in Bezug auf Europa stark un­
setzt natürlich voraus, dass es für    versprach, Frankreich den Rang      terscheiden. Für den Vater der
seine Sicherheit über moderne          und die Stimme zurückzugeben,       V. Republik diente die Europä­
Abschreckungsmittel verfügt.“          die es verloren hatte. Oder sein    ische Wirtschaftsgemeinschaft

88 | IP • März/April  2020
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Macrons Außenpolitik                      Positionen

dazu, Frankreichs verlorenen           als alten französischen Träumen,      ßen dabei indes nicht überall auf
Weltmachtstatus im Kontext des         die Amerikaner loszuwerden. Für       Gefallen.
Kalten Krieges wiederzugewin­          Macron wie im Grunde für die ge­         Zu behaupten, Macron sei
nen, und sollte insofern eine Art      samte strategische Community in       gegen die NATO oder die USA,
größeres Frankreich werden.            Frankreich steht fest, dass man       greift daher auf jeden Fall zu kurz.
Ganz anders Macron. Ihm ist be­        sich in Zukunft kaum auf die USA      Schließlich hat sich Frankreich
wusst, dass die EU-Staaten allein      als Garanten der europäischen Si­     2009 sogar entschlossen, in die
nur noch begrenzten Einfluss ha­       cherheit wird verlassen können.       integrierten Kommandostruktu­
ben, eingeklemmt zwischen den          Dies hat mehrere Gründe. Am           ren der Allianz zurückzukehren.
Großmächten USA und China.             wichtigsten ist aus französischer     Und auch die Amerikaner gelten
Seine Forderungen zur Eurozone         Sicht, dass der Aufstieg Chinas       in Paris als sehr wichtige Partner.
oder zur gemeinsamen Außen-            dazu führen wird, dass sich die       Auf der operativen Ebene ist das
und Sicherheitspolitik mögen           Amerikaner vermehrt auf Asien         Verhältnis zwischen Frankreich
vom französischen Europa-Den­          und deshalb weniger auf Europa        und den USA hervorragend. Die
ken geprägt sein. Doch dahinter        konzentrieren werden. Darüber         französische Regierung weiß zu­
steckt die Befürchtung, Europa         hinaus geht man davon aus, dass       dem um die Bedeutung der ameri­
könnte bald abgehängt werden           der „Trumpismus“ den aktuellen        kanischen Unterstützung für ihre
und nicht mehr in der Lage sein,       US-Präsidenten überleben wird.        Militäreinsätze in Afrika.
seine politischen und wirtschaft­      Amerikanische Außenpolitik wer­          Die Debatte nach Macrons
lichen Interessen wahrzunehmen.        de also immer unvorhersehbarer        „Hirntod“-Interview zeigt also
Sein Hauptziel ist daher, dass die     und erratischer.                      vor allem, dass man sich in Euro­
Europäische Union in der Welt             Aus französischer Sicht ist da­    pa immer noch nicht wirklich ver­
handlungsfähig und unabhängi­          raus vor allem eine Konsequenz        steht. Meinungsverschiedenhei­
ger wird – und nicht, Frankreich       zu ziehen: Europa muss zusehen,       ten haben nur sehr oberflächlich
wieder groß zu machen. Inwiefern       weniger abhängig von Amerika          mit Pro- oder Antiamerikanismus
er dafür bereit ist, auf Frankreichs   zu werden. Dies ist das große         zu tun. Viel wichtiger sind die un­
Souveränität ganz zu verzichten,       Ziel Macrons in der europäischen      terschiedlichen Wahrnehmungen
ist allerdings nicht klar.             Verteidigungspolitik, das er vor      der Bedrohungslage. Die Mehr­
                                       allem unter dem Stichwort „euro­      zahl der europäischen Länder
                                       päische strategische Autonomie“       sieht die Hauptgefahr im Osten,
                                       (oder auch „europäische Souverä­      aus Russland kommend. Frank­
                                       nität“) verfolgt. Neu ist das alles   reich jedoch denkt vor allem an
„Er will die NATO                      nicht, es gehörte von Anfang an       den Süden, an Terrorismus und
                                       zu Macrons Rhetorik. Seit seiner      Instabilität in Afrika und in der
abschaffen“                            Wahl hat der Präsident sein Welt­     arabischen Welt. Für all jene Län­
Auf keinen Fall. Macron hat die        bild zudem sehr ausführlich in        der, die vorrangig eine Bedrohung
NATO in der Tat als „hirntot“ be­      verschiedenen Reden dargelegt.        aus Russland sehen, ist klar, dass
zeichnet. Damit wollte er vor allem    Das Problem ist allerdings, dass      ohne amerikanischen Schutz
auf aus seiner Sicht mangelnde         die restlichen Europäer nicht so      nichts geht. Ihre Bereitschaft,
Abstimmung und Absprachen              recht mitziehen wollen. Dies stößt    über einen Plan B zu Amerika
unter den Alliierten aufmerksam        in Paris auf Unverständnis und        nachzudenken, ist folglich deut­
machen, in erster Linie seitens der    verursacht eine gehörige Menge        lich geringer als die Frankreichs,
USA und der Türkei. Macrons Äu­        Frust. Europa aufzurütteln, ist       das zur Not auch ohne die USA
ßerungen entspringen aber eher         Macron folglich ein dringendes        klarkäme – auch wenn das alles
der Sorge um Europas Sicherheit        Anliegen. Ton und Wortwahl sto­       andere als einfach wäre.

                                                                                                IP •März/April  2020   | 89
Positionen                  Gegen den Strich

                                       zösische Nuklearzusammenarbeit       gemeinsames europäisches Ver­
„Europa braucht den                    aussehen soll. Die französische      ständnis in allen zentralen strate­
Schutz durch Frank-                    Atompolitik ist gelinde gesagt un­   gischen Fragen und eine gemein­
                                       geeignet für Kooperation: Zwar       same Nukleardiplomatie. Dass
reichs Atomwaffen“                     betont man regelmäßig, dass die      dies in absehbarer Zeit möglich ist,
Es spricht einiges dagegen. Das ist    französische Bombe ganz Europa       scheint äußerst unwahrscheinlich
die große Frage. Momentan gibt         sicherer mache; doch Entschei­       angesichts der grundlegenden Dif­
es in Europa zwei Atommächte:          dungen will Paris allein treffen     ferenzen in Europa.
Frankreich und Großbritannien.         können. Frankreich nimmt noch
Darüber hinaus nehmen fünf             nicht einmal an der Nuclear Plan­
Staaten, darunter Deutschland,         ning Group der NATO teil. Frank­
an der sogenannten nuklearen           reich über grundsätzliche Belan­
Teilhabe der NATO teil. Unter an­      ge der europäischen Sicherheit       „Der deutsch-
derem in der Bundesrepublik sind       allein entscheiden zu lassen, will
in diesem Rahmen amerikanische         in Deutschland und Europa aber
                                                                            französische Motor
Atombomben stationiert. Geht           sicher auch niemand. Auch die        ist kaputt“
man also davon aus, dass Europa        Bilanz der deutsch-französischen
in irgendeiner Form Atomwaffen         Verteidigungszusammenarbeit          Zumindest lief er schon mal besser.
braucht, so gibt es Alternativen       jenseits aller atomaren Fragen ist   Zwar gibt es keinen offenen Streit,
zur französischen Force de frappe.     ernüchternd. Deutschland und         doch tun sich Deutschland und
    Das ist jedoch der springende      Frankreich passen nicht wirklich     Frankreich gerade schwer, ihre
Punkt: Wozu braucht Europa ei­         zusammen, ihre strategischen Kul­    traditionelle Rolle als „Motor“ der
gentlich den Schutz durch Atom­        turen sind extrem unterschiedlich    europäischen Integration zu spie­
waffen? Einen offiziellen Feind        – keine guten Voraussetzungen,       len. Macron hat in seinem Wahl­
gibt es nicht. Aus Frankreich heißt    um sich Atombomben zu teilen.        kampf 2017 massiv auf Europa und
es, dass allein die Existenz seiner       Zudem darf man nicht über­        das deutsch-französische Tandem
Kernwaffen zur transatlantischen       sehen: Je nachdem, wie sich die      gesetzt. Eine seiner ersten großen
und europäischen Sicherheit bei­       Dinge entwickeln, kann die „Eu­      Reden als Präsident hielt er im
trage. Mit anderen Worten handelt      ropäisierung“ der französischen      September 2017 an der Sorbonne
es sich bei der Atombombe also         Atomwaffen auch dazu führen,         und nannte sie „Initiative für Eu­
um eine Art allgemeine Lebens­         dass Europa nicht sicherer, son­     ropa“. Nur wenige Tage nach der
versicherung. Das ist auch der         dern unsicherer wird. Offiziell      deutschen Bundestagswahl war
Aspekt, an dem in Deutschland ab       sind diese Waffen gegen nie­         sie als Einladung insbesondere an
und an Interesse geäußert wird:        manden gerichtet. De facto dürf­     Deutschland gedacht, die Europä­
Wenn sich das transatlantische         te sich aber wohl hauptsächlich      ische Union neu zu begründen.
Verhältnis derart verschlechtern       Russland von europäischen Ab­           Die deutschen Reaktionen da­
sollte, dass auf die amerikanische     schreckungsmaßnahmen ange­           rauf waren bestenfalls lauwarm,
Lebensversicherung kein Verlass        sprochen fühlen. Statt vor allem     und auf eine offizielle Antwort
mehr ist, müsse Deutschland eben       Teil des amerikanisch-russischen     wartet man in Paris bis heute – so
unter den französischen Schutz­        Sicherheitsdilemmas zu sein,         jedenfalls die französische Wahr­
schirm schlüpfen.                      könnte Europa so in sein eigenes     nehmung. Dementsprechend
    So einfach ist es aber nicht.      Sicherheitsdilemma mit Moskau        groß ist der Frust in Frankreich,
Zunächst einmal weiß niemand,          rutschen. Um dieses Dilemma          ebenso wie das Unverständnis.
wie genau eine irgendwie gearte­       zu managen, bräuchte man eine        Aus französischer Sicht herrscht
te europäische oder deutsch-fran­      europäische Außenpolitik, ein        akuter Handlungsbedarf, um die

90 | IP • März/April  2020
Macrons Außenpolitik                            Positionen

Zukunft Europas zu sichern. Wa­           atlantischen Beziehungen wei­               Zusammenarbeit auf zivilgesell­
rum Deutschland sich in dieser Si­        terentwickeln werden, eine völlig           schaftlicher Ebene zu fördern –
tuation vor allem mit Innen- und          andere. Folglich ist man sich auch          eine der Stärken der deutsch-fran­
Parteipolitik befasst, kann man in        nicht einig, ob Europa weiter auf           zösischen Beziehungen.
Paris nicht nachvollziehen.               die NATO – und somit amerikani­
    So gesehen handelt es sich            sche Sicherheitsgarantien – setzen
nicht um einen Konflikt verschie­         kann, oder ob nun über einen Plan
dener deutscher und französischer         B nachgedacht werden muss. Es
Visionen für die Zukunft Europas.         fehlt also schon die Ausgangsba­            „Die neue Achse
Visionen und Ideen für die weitere        sis dafür, dass Deutschland und
Integration zu entwickeln, scheint        Frankreich gemeinsam Zukunfts­
                                                                                      heißt Paris–Moskau“
in Deutschland derzeit keine Prio­        szenarien entwickeln.                       Immer mit der Ruhe! Natürlich ist
rität zu sein. Klar ist lediglich, dass      Positiv ist indes, dass Paris und        Macrons Russland-Initiative seit
man in Berlin die französischen           Berlin sich mit dem Vertrag von             dem Sommer 2019 ernst zu neh­
Ideen nicht teilt. Und einigen sich       Aachen bemühen, auch andere als             men. Diese Wende mag überra­
Deutschland und Frankreich doch           hochpolitische Wege der Zusam­              schend sein, wenn man an den
einmal, bleiben sie vage (wie 2018        menarbeit zu intensivieren. Dies            Präsidentschaftswahlkampf
in Meseberg zur Reform der Euro­          gilt vor allem für die grenzüber­           2017 zurückdenkt. Damals warf
zone). Im Anschluss sind dann die         schreitende Kooperation, die das            Macron seiner Konkurrentin Le
restlichen Europäer nicht bereit,         Potenzial zum echten Flaggschiff            Pen vor, gegenüber Russland un­
den Kompromiss mitzutragen.               hat und auch für andere europäi­            terwürfig zu sein. Und sein Team
    Angesichts einer verschlech­          sche Grenzregionen wegweisend               beschuldigte Moskau, gegen seine
terten Sicherheitslage und                werden kann. Außerdem sind im               eigene Kandidatur zu ­taktieren.
schwindender transatlantischer            Vertrag mehr Mittel und Mecha­              Doch schon kurz nach seiner
Gewissheiten diskutiert Europa            nismen angedacht, wie die Schaf­            Wahl empfing Macron seinen rus­
vermehrt über grundsätzliche              fung eines Bürgerfonds, um die              sischen Amtskollegen pompös im
Fragen. Damit brechen auch fun­
damentale Unterschiede zwischen
Deutschland und Frankreich auf,
die in Wahrheit immer bestanden,
aber im Verborgenen blieben. So

                                                            Bild nur in
haben Deutschland und Frank­
reich sicherheitspolitisch noch
nie zusammengepasst; ihr Blick
auf die amerikanische Rolle in Eu­
ropa ist oft sehr unterschiedlich.                         Printausgabe
                                                             verfügbar
Daher konzentrierte man sich in
der Zusammenarbeit auf die (we­
nigen und nicht unbedingt zent­
ralen) Bereiche, in denen dies kei­
ne Rolle spielte. Da aber nun die
Grundsatzfragen gestellt werden,
funktioniert das immer schlech­
ter. In Berlin und Paris ist schon        Während der deutsch-französische Motor schwächelt, wirbt Frankreichs Präsident für
die Lesart, wie sich die trans­           eine neue Russland-Politik. Beim „Normandie“-Treffen in Paris blickt Macron zu Putin.

                                                                                                            IP •März/April  2020   | 91
Positionen                  Gegen den Strich

                              Bild nur in
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Noch immer eine Großmacht: So präsentiert sich Frankreich in pompösen Inszenierungen wie bei der Amtseinführung des neuen
Präsidenten 2017. Auch Emmanuel Macrons eigenständige Außenpolitik zeugt von diesem Staatsverständnis.

Schloss von Versailles, um die Be­        kau wolle die Europäische Union            Rüstungskontrolle und der Welt­
ziehung wieder auf Kurs zu brin­          schwächen. Er forderte kein Ende           raumforschung. Doch auch in Kri­
gen. Mit Putins zweitem Besuch,           der Wirtschaftssanktionen. Und             senregionen wie in Syrien und im
diesmal in der Ferienresidenz der         er zögerte auch nicht, sich Nord           Sahel-Afrika, die für Frankreichs
französischen Staatspräsidenten           Stream 2 zu widersetzen – mit der          Außen- und Sicherheitspolitik
im Sommer 2019, ging die Annähe­          Begründung, die Abhängigkeit               von strategischer Relevanz sind
rung weiter, denn es wurde unter          der EU von Russland dürfe nicht            und wo Russland ein Destabilisie­
anderem über die Bedingungen              größer werden. Nicht zuletzt be­           rungspotenzial hat, wünscht sich
für eine Rückkehr Russlands in            teiligen sich französische Truppen         Macron eine konstruktivere Hal­
die G8 gesprochen. Kurz darauf            am NATO-Einsatz im Baltikum,               tung Moskaus. Außerdem spielt
machte es Macron offiziell, als           der nach der Annexion der Krim             Russland in seiner Gesamtstrate­
er bei der Botschafterkonferenz           initiiert wurde und seitdem zur            gie für ein selbstständiges Europa
2019 dazu aufrief, die Beziehung          Abschreckung gegenüber Russ­               eine Rolle. In einer Welt, die von
zu Russland „sehr gründlich zu            land dient.                                China und den USA dominiert wer­
überdenken“.                                  Was nach Widerspruch klingt,           den könnte, würde die EU genauso
   Doch trotz Glanz und Pathos ist        ist typisch für Macrons Sowohl-            wie Russland jegliche Autonomie
der französische Präsident noch           als-auch-Ansatz: Zum einen setzt           verlieren – Grund genug für eine
lange nicht auf Kuschelkurs mit           er auf eine konsequent harte Linie         pragmatische Zusammenarbeit.
Moskau. In seiner Rede vor den            gegenüber Putin, zum anderen                  So durchdacht dieser Plan auch
Botschaftern benannte Macron              bietet er ihm in gezielten Berei­          wirkt, er hat Grauzonen. Paris
ohne Umschweife die destrukti­            chen von gemeinsamem Interes­              spricht und handelt im Namen
ve Einstellung Russlands gegen­           se eine Kooperation an. Die ange­          der EU oder zumindest mit dem
über dem Westen und sagte, Mos­           kündigten Prioritäten gelten der           Ziel, die Sicherheit und Stabilität

92 | IP • März/April  2020
Macrons Außenpolitik                            Positionen

in der EU und deren Umgebung          der Europapolitik, verbunden mit            Für Irritationen sorgt außer­
zu erhöhen. Ob und inwiefern es       einem Gefühl der Dringlichkeit,          dem Macrons Führungsanspruch.
seine europäischen Partner dabei      machen aus ihm einen unbeque­            Die Besetzung der Spitzenposten
einbezieht, ist aber fraglich. Noch   men Ansprechpartner.                     in der EU und im IWF nach der
gefährlicher für die Glaubwürdig­        In den politischen Kreisen            Europawahl wurde so kommen­
keit von Macrons Strategie: Einige    Deutschlands wirkt Macrons An­           tiert, als würde er dem Rest der EU
EU-Staaten lehnen eine Annähe­        satz aus zwei Gründen irritierend.       seinen Willen aufzwingen wollen.
rung an Russland radikal ab. Ob­      Mit wenigen Ausnahmen herrscht           Zugegeben, mit seinen Coups tut
wohl sein Diskurs den Anspruch        parteiübergreifender Konsens,            sich der Präsident keinen Gefallen.
hat, im europäischen Interesse zu     dass die oberste Priorität der Euro­     Statt seine Partner zu überzeu­
sein, berücksichtigt er kaum ihre     papolitik dem EU-Zusammenhalt            gen, setzt er immer wieder seine
Ängste und Forderungen. Zudem         dienen soll. Dementsprechend             Glaubwürdigkeit aufs Spiel. Ein
stellt sich die Frage, was Macron     groß ist die Befürchtung, dass           Beispiel dafür ist sein Veto bei
den Russen eigentlich anbieten        Macrons Forderungen – zum                den Verhandlungen für Albanien
kann. Moskaus Priorität ist jeden­    Beispiel die Schaffung eines             und Nordmazedonien. Seine Kri­
falls Washington, nicht Paris.        Budgets für die Eurozone – be­           tik an der EU-Erweiterung mag
                                      stehende Spaltungen weiter ver­          legitim sein und die Definition
                                      tiefen könnten. Darauf antwortet         von neuen Regeln sich als drin­
                                      man in Paris, dass Stillstand den        gend nötig erweisen. Was jedoch
                                      Zusammenhalt gefährde, da Pro­           für viele Proeuropäer übrigblieb,
„Seine Politik ist eine               bleme nicht gelöst werden könn­          sind ein Vertrauensbruch der EU
                                      ten und die Unzufriedenheit der          gegenüber Partnern und somit die
Gefahr für Europa“                    Bevölkerung sowie Spannungen             Gefahr, den Westbalkan zu desta­
Es kommt auf die Perspektive an.      zunähmen. Macron projiziert da­          bilisieren. Doch bei aller Kritik:
Für jene, die sich nichts sehnli­     mit eigene Erfahrungen aus dem           Macrons Rolle entsteht auch aus
cher wünschen als den Status          Präsidentschaftswahlkampf auf            einem Vakuum, das die deutsche
quo beziehungsweise vorsich­          die EU-Ebene. Damals waren In­           Regierung durch ihre Zurückhal­
tige Anpassungen in der EU, ist       tegrationsmüdigkeit und sogar            tung geschaffen hat. Eine aktiv
Macrons Europapolitik zumindest       EU-Skepsis in der französischen          geteilte Führungsrolle auf dem
ein Störfaktor. Aber all jene, die    Gesellschaft weit verbreitet. Trotz­     europäischen Parkett könnte dazu
dringend mehr Integration for­        dem entschied er sich für einen          beitragen, Macrons Ungeduld zu
dern und vor Änderungen nicht         eindeutig proeuropäischen Dis­           lindern und seine Alleingänge
zurückschrecken, betrachten sie       kurs, mit dem er die Wahl gewann.        einzudämmen. 
als Chance. Denn eines ist sicher:
Ob er den Beginn der Beitrittsver­
handlungen für Albanien und
Nordmazedonien blockiert, um
                                                        Dr. Claire Demesmay
neue Spielregeln für die EU-Er­                         leitet das Programm Frankreich/deutsch-französische
weiterung zu erzwingen, oder die                        ­Beziehungen im Forschungsinstitut der DGAP.
NATO als „hirntot“ bezeichnet,
um seine europäischen Partner
zum Aufbau einer autonomeren
Sicherheitspolitik zu ermutigen –
                                                       Dr. Barbara Kunz
Macron greift gerne zur Provoka­                       ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Friedens­
tion. Sein Führungsanspruch in                         forschung und Sicherheitspolitik (IFSH) in Hamburg.

                                                                                                      IP •März/April  2020   | 93
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