Magazin der Alice Salomon Hochschule Berlin - ASH Berlin
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magazin der Alice Salomon Hochschule Berlin Wintersemester 2018/19 Mehr als Fassade. Hochschulleben Programm des neuen Rektorats: Mut zu Strukturveränderungen bei knappen Ressourcen Mittelpunkt 20 Jahre Hellersdorf: Seit dem Umzug hat sich die ASH Berlin eng mit dem Bezirk vernetzt Seitenwechsel Vom ASH-Studenten zum Lehrstuhlleiter: Prof. Dr. Heiko Kleve im Interview
c So ai a l M e d i seit 1 9 7 8 bu r ts tag sabo: Seit 40 Jahren ist die taz ein journalistischer und gesell- Das Ge schaftlicher Gegenentwurf: gegründet aus Überzeugung, ch en , 10 Euro. getragen von einer Genossenschaft, gelebt von Mitarbei- 10 Wo terInnen und LeserInnen. Aber lesen Sie doch selbst – jahre taz.de/40 unter der Woche in der App, am Wochenende auf Papier. AB OKTOBER 2018 IM NEUEN REDAKTIONSGEBÄUDE: TAZ VERLAGS- UND VERTRIEBS GMBH, FRIEDRICHSTRASSE 21, 10969 BERLIN
Editorial Liebe Leser_innen unseres Hochschulmagazins alice, die ASH Berlin hat im letzten Jahr durch die mediale Skandali- sierung ihrer Fassadengestaltung unverhofft eine bundesweite, ja internationale Bekanntheit erlangt. Ich danke der Alice Salomon Poetik Preisträgerin 2017 Barbara Köhler für ihre produktive und wegweisende Auseinandersetzung mit der Debatte, die sich künst- lerisch in der neuen Fassadengestaltung ausdrückt und die die Einführung eines beteiligungsorientierten Verfahrens im Umgang mit der Wand befördert hat. Die ASH Berlin ist gleichzeitig „Mehr als Fassade“. Dieses Heft steht für die Besinnung auf Geleistetes, unsere Geschichte und ihre Dokumentation, unsere wissenschaftliche Arbeit im Sinne von sozialen Innovationen und im Sinne einer sozial gerechteren und menschenrechtsorientierten Gesellschaft. Sie können Neues lesen zum Engagement der Hochschulangehörigen für die Weiter- entwicklung des Studienangebots sowie für die Disziplin- und Professionsentwicklung im Sozial-, Gesundheits- und Bildungswesen. Diese alice bietet auch einen Ausblick auf die nächsten vier Jahre. Ich danke dem Konzil der Hochschule, das durch seine Rektoratswahl am 6. Juli Nils Lehmann-Franßen, Olaf Neumann und mir sein Vertrauen ausgesprochen hat, und ich danke herzlich Uwe Bettig für seinen Einsatz als Rektor in den letzten viereinhalb Jahren. In dieser Ausgabe wird von ihm Bilanz gezogen und das Programm des neuen Rektorats vorgestellt. Anlässlich der 20 Jahre, in denen wir als Hochschule bereits am Standort Hellersdorf wirken, fragt die alice: Was war eigentlich die (hochschul-)politische Idee hinter der Umzugsentscheidung? Wie werden wir heute im Bezirk Marzahn-Hellersdorf wahrge- nommen? Was hat sich hier zum Wohle von Bezirk und Hochschule zukunftsweisend entwickeln können? Die Alice Salomon Hochschule Berlin kann in diesem Jahr auf 110 Jahre Geschichte zurückblicken. Wir gedenken dabei auch Alice Salomons, der couragierten, klugen, inno- vativen Gründerin unserer Hochschule, die im Nationalsozialismus diskriminiert und ins Exil vertrieben wurde, wo sie, ihrer sozialen Wirkkraft beraubt, vor 70 Jahren, am 30. August 1948, verstarb. Der Artikel „Empowerment und Sensibilisierung“ in diesem Heft nennt in seiner Überschrift – ohne direkten Bezug auf Alice Salomon und doch in ihrem Geiste – wichtige Stichworte für das Selbstverständnis und ein Programm der Selbstverpflichtung der ASH Berlin, das ich auch in Zukunft gerne unterstützen möchte. Herzlichen Dank allen Autor_innen dieser Ausgabe! Ich wünsche Ihnen viel Freude bei der Lektüre und bin gespannt auf Ihre Resonanz, Bettina Völter alice 1
04 I Programm des neuen Rektorats: 22 I 20 Jahre Hellersdorf: Mut zu Strukturveränderungen bei knappen Seit dem Umzug hat sich die ASH Berlin eng Ressourcen mit dem Bezirk vernetzt 16 Hochschulleben 19 „Die einzige Möglichkeit“: Interview mit Inhalt Prof. Dr. Reinhart Wolff, Rektor a. D. der ASH Berlin 04 Programm des neuen Rektorats: Mut zu Strukturveränderungen bei knappen Ressourcen 20 Spandau oder Hellersdorf: Prof. Dr. Heinz Cornel hat die diversen Standorterwägungen und die Proteste 06 Empowerment und Sensibilisierung: gegen die Ostberliner Peripherie selbst miterlebt Ein Modellprojekt an der ASH Berlin 22 Ein Anlass zum Feiern: Die vielfältigen Kooperatio- 08 Dem Therapienotstand vorbeugen: nen zwischen Hochschule und Bezirk Die ASH Berlin engagiert sich durch Forschung und Akademisierung in den betreffenden Berufen 26 Virus HELLEUM: Das pädagogische Konzept der Lernwerkstattarbeit erreicht Transferwirkungen bis 09 alice läuft: Bildeindrücke von der Teamstaffel 2018 nach Taiwan 12 „Konsequent interdisziplinär“: 29 Expertise und Impulse: Die KitaTransferTage wirken Der Grazer Lyriker Christoph Szalay erhält den durch eine nachhaltige persönliche Zusammenar- Alice Salomon Poetik Preis 2019 beit 14 „Unsere Hochschule gilt in vielen Bereichen als 30 Transfer in die Zukunft: Konzeption bedarfsorientier- beispielgebend“: Kurz vor dem Rektoratswechsel ter Beratungs- und Unterstützungsstrukturen in der berichtet Prof. Dr. Uwe Bettig über die Erfahrungen Einwanderungsgesellschaft während seiner Amtszeit 32 Stadtteil(ver!)führungen: Seit 2009 laden die „Spazierblicke“ zum Flanieren im Bezirk ein 16 Im Mittelpunkt 34 10 Jahre MEISTERSCHULE: Das Theater der Erfahrungen macht (Hoch-)Schule – die Alice 16 „Mehr als Fassade.“ Salomon Hochschule macht Erfahrungen 20 Jahre Alice Salomon Hochschule in Marzahn-Hellersdorf 36 Aufzeigen, was nicht funktioniert – gute Beispiele 17 Festakt und Campus-Gemeinwesen-Tag vervielfältigen: Interview mit der Wissenschaftlerin am 22. Oktober 2018 und Menschenrechtsaktivistin Begüm Başdaş 38 „Das hätte es früher nicht gegeben“ – Hunde in Senioreneinrichtungen 40 Auf die Zukunft der Poesie, der Hochschule und des Alice Salomon Poetik Preises! – Barbara Köhlers Gedicht auf der neuen ASH-Fassade lädt zu vielen Lesarten ein Erheitertes Festakt-Publikum 2 alice
© WIFU - Wittener Institut für Familienunternehmen 82 I Vom ASH-Studenten zum Lehrstuhlleiter: Prof. Dr. Heiko Kleve im Interview alice Wintersemester 2018/19 Zum 70. Todestag von Alice Salomon 68 Grenzübergang 44 Alice Salomons Tod im Exil: „Die Fremde als 68 Lernwillige Studierende und verdorbener Döner: Wandernde, die heute kommt und morgen bleibt“ Interview mit der chilenischen Studentin Paula San Martín Maldonado 45 Zur aktuellen Bedeutung Alice Salomons: Pionierin der Frauenbewegung und der Sozialen 70 „Ich musste einsehen, dass ich nicht alles ändern Arbeit kann“: Interview mit ASH-Student Romario Almeida Mpava über seine Feldstudienphase in Kinshasa 46 Aus dem persönlichen Besitz Alice Salomons: Ein Fotoalbum über die Frauengeschichte der 73 Soziale Arbeit im Kontext von Migration und kulturel- Sozialen Arbeit von 1929 ler Vielfalt: Eine Begegnung zwischen Studierenden der ASH Berlin und dem ITSRA Clermont-Ferrand 48 Soziale Arbeit zwischen Deutschland und Israel: Ein aktuelles Forschungsprojekt des Alice Salomon Archivs 74 alice forscht 74 Partizipative Entscheidungsprozesse und gemeinsam 49 100 Jahre Frauenwahlrecht: Ein Meilenstein forschen: Zum Abschluss der 1. und Start der und ein Auftrag 2. Förderphase des Projektes ElfE – Eltern fragen Eltern 76 „Kunstwerken onder Begeleiding“: Eindrücke von der 50 Hörsaal Season School in Brügge 50 Fotoprojekt: „Mein Weg zur ASH“ 77 Jungen*pädagogik und Prävention von sexualisierter Gewalt 54 Zufriedenheit durch Gestaltungsmöglichkeiten: Der Master Praxisforschung in Sozialer Arbeit und 78 Blick in den Einwegspiegel: Erste Ergebnisse aus dem Pädagogik aus Sicht der 2018er-Absolvent_innen neu eröffneten Beobachtungslabor an der ASH Berlin 56 Die „Angst vor dem leeren Blatt“ verlieren 80 „Es muss Masse entstehen, dass man die nicht mehr einfach so ignorieren kann“: Eine subjektive 59 Der Blick hinter die körperliche Fassade: Forschungsreportage aus Marzahn-Hellersdorf Diagnostischer Ultraschall in der Physiotherapie 60 Nice to meet you: SAGE-Berufe treffen sich beim „Shadowing“ 82 Seitenwechsel 62 „Bei Lehrenden muss ein Umdenken stattfinden“: 82 „Hier habe ich praktisch erfahren, was ich in Interview mit Dr. Eva Maria Beck über den neuen meiner Doktorarbeit theoretisch reflektieren konnte“: Bachelor „Interprofessionelle Gesundheitsver- ASH-Alumnus Prof. Dr. Heiko Kleve im Interview sorgung – online“ (IGo) 64 Profil und Praxis der Kulturellen Bildung an der 86 Termine, Termine ASH Berlin 87 Die letzte Meldung 66 Wie studiert es sich eigentlich in Hellersdorf? – Antworten auf einen Instagram-Aufruf 88 Impressum alice 3
Hochschul- leben Programm des neuen Rektorats Mut zu Strukturveränderungen bei knappen Ressourcen Nils Lehmann-Franßen, Olaf Neumann und Bettina Völter Dieses Rektoratsteam steht mit allen aufnehmen, was mehr Arbeitsplätze, Entscheidungen zu treffen. Wir setzen Hochschulangehörigen am Anfang von aber eben auch mehr Arbeit und andere dabei auf die Kollegialität, die Solidarität vier außergewöhnlich herausfordernden Abstimmung im Bereich der Verwal- und die positive Verbindung der Hoch- Jahren. Infolge des Hochschulvertrags tung, der Lehre und der Forschung mit schulangehörigen mit der ASH Berlin. 2017 wird die ASH Berlin um 30 Pro- sich bringt. Insofern gilt es, gemeinsam Die Hochschulleitung hat unverzüg- zent wachsen. Wir werden also in vier mit dem Kanzler, bisweilen ungewöhnli- lich Lösungen für die Raumknappheit Jahren rund 1.000 Studierende mehr che, neue und vielleicht auch unpopuläre zu finden. Dazu gehören Anmietungen, Das neue Rektorat (2018–2022), von links: Prorektor Prof. Dr. Nils Lehmann-Franßen, Rektorin Prof. Dr. Bettina Völter, Prorektor Prof. Dr. Olaf Neumann und Kanzler Andreas Flegl 4
Umzüge einzelner Bereiche, das Vo- Gruppe der Wissenschaftlichen Mitar- auch verschiedenen Lerntypen gerecht ranbringen und die Organisation des beiter_innen und der Lehrbeauftragten zu werden. Neubaus, gemeinsam mit den verant- gilt es, erlebbar umzusetzen. Auch für die verwaltende Arbeit ver- wortlichen Senatsverwaltungen und In die Amtszeit dieses Rektorates wird einfacht der schnelle Datenaustausch Politiker_innen im Land Berlin. Dieses die Verabschiedung der Grundordnung vieles, er bringt aber auch eine grund- Rektorat wird trotz der finanziell ver- fallen. Damit trennen wir uns von un- sätzliche Veränderung der Arbeitswelt hältnismäßig knappen Möglichkeiten, serer bisherigen, vorläufigen Verfassung mit sich. Die Arbeit muss eher Projekt- Professor_innen zu berufen und neu- aus einer Zeit, als es an der ASH Berlin charakter annehmen und sich gegenüber es Verwaltungspersonal einzustellen, nur zwei Studiengänge und noch keine eingeschliffenen Routinen abgrenzen. In weiterhin für die exzellente Qualität in Frauen*beauftragte gab. Der Entwurf diesem Sinne können die Digitalisierung Lehre, Forschung und Verwaltung und der neuen Grundordnung muss die Zu- und die im Zuge der oben genannten die Innovationskraft der ASH Berlin ein- stimmung des Konzils, des Akademi- Organisationsentwicklung anstehen- treten. Dazu gehören die Entwicklung schen Senates, des Kuratoriums und der de Verwaltungsreform gleichzeitig und attraktiver neuer Studienangebote und Senatskanzlei für Wissenschaft bekom- gemeinsam angegangen werden, denn Studiendesigns sowie Lehr- und Lern- men. Das verlangt eine gute Verständi- beides hängt unmittelbar zusammen reformen, die Aufnahme und Förde- gung darüber in der Hochschule. Die und wird sicherlich zu einem neuen rung bisher benachteiligter Menschen, Grundordnung wird unserem großen Miteinander aller Mitgliedergruppen die Förderung von Diversity und gegen Zuwachs an Student_innen, Lehrenden der Hochschule führen. Die Gefahr, Diskriminierung wirkenden Strukturen, und neuen Studiengängen entsprechen. die wir als Rektorat sehen, ist, solche die Studierbarkeit und der lebendige Sie sieht die Bildung von Fachbereichen umfassenden Veränderungen top down Austausch mit den Vertreter_innen der mit Dekan_innen und Fachbereichsrä- einzuführen. Daher beabsichtigen wir, Studierendenschaft. Zur Qualitätsent- ten als mittlere Entscheidungsebenen Projekte zu initiieren, die in der Lage wicklung gehört auch die Entlastung und kluge Verortungen der Verwaltung sind, (digitale) Ideen des Miteinanders der einzelnen Hochschulangehörigen. vor. Für die partizipative Entwicklung in den Abläufen auf Praxistauglichkeit So gilt es u.a., einen Jahreskalender und dieser hochschulüblichen neuen Struk- hin zu prüfen. Wie diese genau aus- eine Optimierung von internen Ar- turen nehmen wir eine große Bereit- sehen, wird zu entwickeln sein. Wir beitsprozessen zu entwickeln sowie Ge- schaft unter den Hochschulmitgliedern wünschen uns deshalb viele direkte und sundheit und Wohlbefinden fördernde wahr und danken für all die Zeit und konkrete Rückmeldungen, die wir dann Voraussetzungen zu schaffen, wie z. B. Gedanken, die hierfür investiert werden. in den weiteren Digitalisierungsprozess die Einrichtung von Zapfstellen für ge- Wir arbeiten nicht zuletzt für die Di- einfließen lassen. filtertes Trinkwasser. gitalisierung der Hochschule. Diese Ver- Nachhaltige Ideen, die neue Sichtwei- Mit dem Größerwerden entsteht die änderung umfasst nicht nur die digitale sen oder auch innovative Inhalte schaf- Frage nach Profilentwicklung. U. a. die Medien nutzenden Individuen, sondern fen, entstehen meist nicht im Kopf einer im Hochschulvertrag für jede Hoch- auch die organisationalen Strukturen, Einzelperson. Auch nicht im Team einer schule geforderte „studienübergreifende die diese in einer Hochschule lehrenden Hochschulleitung. Sie gelingen, wenn Eingangsphase“, z. B. eine Zeit, in der und lernenden Individuen umgeben. viele Köpfe, Menschen aktiv und in- Erstsemester aller Studienrichtungen Die Implementierung und Anwendung trinsisch motiviert zusammenkommen. in gemischten Gruppen etwas für ihre IT-gestützter Techniken im Organisati- Dieses glückhafte Zusammenkommen Allgemeinbildung tun können, könnte onsalltag ist notwendig. Digitalisierung ist an der ASH Berlin möglich. Verwal- ein Ort für profilbildende Akzentset- ist aber viel mehr: Da die digitale Welt tungsmitarbeiter_innen, Lehrende, Wis- zungen sein. Wir machen uns in jedem anders strukturiert ist als die reale, erfor- senschaftliche Mitarbeiter_innen und Fall stark dafür, dass Selbstverpflich- dert sie ein anderes Miteinander und eine Studierende sind dafür offen und begeis- tungen, wie z. B. die Devise in unserem anders strukturierte Kommunikation. terungsfähig. Das macht die ASH Berlin Leitbild, dass wir eine chancengerechte Deswegen spricht man heute von ande- zu einer außergewöhnlichen, kreativen Hochschule sind, oder das jüngst verab- ren lehrdidaktischen Konzepten, die im und freundlichen Organisation, die uns schiedete Konzept zur Entwicklung des Zuge der Einführung der digitalen Lehre Mut macht, unsere Leitungsverantwor- Personals, gelebte Praxis werden. Auch benötigt werden. Das bedeutet den Ver- tung für diese kommenden mageren und die vorgesehenen und derzeit diskutier- such, durch unterschiedlichste Szenari- gleichwohl strukturverändernden Jahre ten Förderstrukturen für die wachsende en in einer webbasierten Lernlandschaft zu übernehmen. alice 5
Hochschulleben Empowerment und Sensibilisierung Das Modellprojekt „Empowerment, Sensibilisierung und antirassistische Öffnung“ an der Alice Salomon Hochschule Berlin vertritt einen einzigartigen Ansatz. Um Rassismus besser zu verstehen und proaktiv dagegen anzugehen, verknüpft es Angebote für Schutzräume, Dialog und Netzwerkbildung. Pasquale Virginie Rotter „Ich hatte bis jetzt gar nichts mit Rassismus zu tun.“ „Ich bin – rassistisch geprägt sind. Denn Rassismus schafft Erfahrungs- recht behütet in meiner weißen Blase aufgewachsen.“ So oder horizonte, die unterschiedlicher nicht sein könnten. so ähnlich äußern sich nicht-rassismuserfahrene Studierende an der Alice Salomon Hochschule Berlin, wenn sie reflektie- Hinter der Fassade: Gräben ren, welche Rolle Rassismus bisher in ihrem Leben gespielt Zwischen den Erfahrungen der Hochschulangehörigen liegen hat. Für viele internationale Studierende und Studierende mit Gräben. Gräben, die Menschen voneinander trennen und ei- Flucht- und/oder Migrationserfahrung ist das verwunderlich, nen Austausch über Rassismus erschweren. Erschwert wird sind sie doch mitunter selbst tagtäglich mit Rassismus in unter- der Austausch, wenn nicht-rassismuserfahrene Menschen die schiedlichsten Erscheinungsformen konfrontiert. So kann sich Realität von Rassismus nicht anerkennen, relativieren oder in einem Seminar ein internationaler Studierender in der Si- gar abstreiten. Noch schwerer ist es, wenn zwischen den Di- tuation wiederfinden, sich vor Mitstudierenden für das „rück- alogpartner_innen ein strukturelles Machtgefälle herrscht, ständige Frauenbild im Islam“ rechtfertigen zu müssen. Dass es wie es bei Lehrenden und Studierenden der Fall ist. Dabei ist in seinem soeben gehaltenen Referat weder um Frauenbilder sprechen, zuhören und Gehör finden wichtig für jeden Dia- noch um den Islam ging, scheint keine Rolle zu spielen. Dass log. Notwendig sind daher Sensibilisierungsangebote für alle er dunkle Haare und dunkle Augen hat, scheint Grund genug Hochschulangehörigen, in denen Rassismus „entlernt“ wird. zu sein. „Das hat viel mit Vertrauen zu tun und mit der „Ich glaube wirklich, das Bedürfnis einen Entscheidung, aus unterschiedlichen Positionierun- Schutzraum aufzusuchen, liegt in dem Bedürfnis, gen heraus, das Vertrauen wieder herzustellen.“ die Schutzrüstung ablegen zu können.“ Hinter der Fassade: Netzwerke Hinter der Fassade: Spießrutenläufe Erfahrungen schaffen jedoch auch Verbindungen. Seit jeher Es sind Situationen wie diese, die rassismuserfahrene Studieren- finden sich Angehörige aller Statusgruppen zusammen, um de tagtäglich schwächen. Jeder Gang an die Uni wird potenzi- gemeinsam Veränderungen anzustoßen. Sie gestalten Räume, ell zum Spießrutenlauf. Die deutsche Dichterin und Pädagogin die möglichst viel Schutz bieten. Gerade die Alice Salomon May Ayim – die als Lehrbeauftragte auch an der Alice Salomon Hochschule Berlin ist geprägt von engagierten, politisierten Hochschule Berlin unterrichtete – verwies bereits in den neun- und solidarischen Netzwerken aller Art, die neue Denk- und ziger Jahren auf die Bedeutung von Rassismus als Stressfaktor Handlungsräume eröffnen. (siehe dazu: Weißer Stress und Schwarze Nerven. Stressfaktor Rassismus. In: Grenzenlos und unverschämt. Berlin: Orlanda, 1997. S. 111–132). Deshalb braucht es niedrigschwellige Ange- „May Ayim hat gesagt, es gibt keinen Raum der bote, um alltagsrassistische Erfahrungen einzuordnen und zu frei ist von Rassismus! Das würde ich bei allen an- verarbeiten. deren Diskriminierungsverhältnissen auch sagen. Deshalb sind Safer Spaces für mich ein Bemühen, „Ich merke, dass mir das total gut tut, mich mit ein Versuch.“ euch auszutauschen. Ich wusste gar nicht, dass das überhaupt ein Bedürfnis ist.“ Hier gilt es, Netzwerkbildung aktiv zu fördern, Peer-to-peer-Be- ratungskonzepte zu stärken und dem Bedarf nach Bündnissen Zugleich ist es nicht verwunderlich, dass viele Studierende und möglichst sicheren Räumen entgegenzukommen. Im Win- kaum wissen, was Rassismus ist, und dass sie – wie wir alle tersemester 2017 hat sich eine Gruppe von Studierenden mit 6 alice
Die (gekürzten) Zitate sind der qualitativen Forschungsarbeit der Hochschulwerkstatt „Exklusion und Inklusion im urbanen Raum“ ent- nommen. Die Gruppe um Iris Steinmann, unterschiedlichen Erfahrungshorizonten aus dem BA Sozi- Sabrina Pala, Moritz Kickel, Luisa Ortiz ale Arbeit zusammengefunden, um über zwei Semester lang und Lena Balthaus, Studierende im die Relevanz von Schutzräumen zu erforschen. Dabei zeigte 2. Fachsemester Soziale Arbeit an der sich, dass sehr wohl eine Auseinandersetzung mit Rassismus ASH Berlin, hatte sich mit der Frage stattfinden kann, von der alle profitieren. „Aus welchen Bedürfnissen heraus entstehen Schutzräume von und Hinter der Fassade: Professionalisierung für Women of Color* in Berlin und Als größte staatliche SAGE-Hochschule bereitet die Alice Sa- wie wirksam sind sie?“ beschäftigt lomon Hochschule Berlin alljährlich tausende Studierende und ihre Ergebnisse im Rahmen der auf Tätigkeiten im Sozial- und Gesundheitswesen vor. Ein Werkstattpräsentation im Juni 2018 Feld, in dem ein professionelles Verständnis davon, wie Be- bei den Lehrenden Prof. Dr. Esra Erdem nachteiligung, Ausgrenzung und soziale Ungleichheit funk- und Dr. Zülfukar Cetin vorgestellt. tionieren und wirken, sowie die Reflexion der eigenen Rolle darin unabdingbar sind. Zum Glück sind bereits zahlreiche Hochschulangehörige dafür sensibilisiert, dass Rassismus ein zentrales Ungleichheitsverhältnis darstellt. Sie arbeiten in Kommissionen, Arbeitsgruppen und Initiativen daran, dieses Gewaltverhältnis in seinen unterschiedlichsten Er- scheinungsformen entschieden, konsequent und nachhaltig abzubauen. Hinter der Fassade: Innovation Das Projekt „Empowerment, Sensibilisierung und antirassis- tische Öffnung“ des International Office wird vom DAAD als ein Modellprojekt zur Verbesserung der Willkommens- kultur finanziert. „Ich sehe in Empowerment-Workshops sowas wie Impulse. Sie setzen wahnsinnig viel frei und dann machen die Leute ihr eigenes Ding.“ Es ist das einzige der 28 bundesweit geförderten Hochschul- projekte, das einen niederschwelligen Empowermentansatz gewählt hat. Der DAAD hat damit den deutlichen Bedarf internationaler und rassismuserfahrener Studierender an Ansprechpartnerin: Selbststärkung erkannt. Es ist engagierten Hochschulak- Pasquale Virginie Rotter teur_innen zu verdanken, dass dieser innovative Ansatz an Projektkoordinatorin der ASH Berlin verankert wurde. Damit macht sie einen be- „Empowerment, Sensibilisierung deutsamen Schritt, um die Studienbedingungen für interna- und antirassistische Öffnung“ tionale Studierende und Studierende mit Flucht- und/oder Migrationserfahrung zu verbessern. rotter@ash-berlin.eu alice 7
Hochschulleben Dem Therapienotstand vorbeugen Die ASH Berlin engagiert sich durch Forschung und Akademisierung in den betreffenden Berufen Christiane Schwausch und Laura Haber Mehr als 1.300 Brandbriefe an Gesund- Schlaganfallversorgung, berichtet. Ziel In Luckenwalde betreibt Harder-Pohle heitsminister Jens Spahn werden zur- der Auswertung ist es, die Situation der eine Praxis für Hand- und Ergotherapie zeit von zwei Forscherinnen der Alice Therapeut_innen in Deutschland detail- mit mehreren Mitarbeiterinnen. Durch Salomon Hochschule Berlin ausgewer- liert darzulegen und Veränderungsvor- im Studium vermittelte Inhalte wie Pra- tet. In ihnen beschreiben Physiothera- schläge aus der Praxis zu systematisieren, xismanagement, Mitarbeiterführung peut_innen, Ergotherapeut_innen und um so zur gesundheitspolitischen Dis- und kaufmännische Aspekte konnte sie andere Heilmittelerbringer_innen die kussion beizutragen. Dabei bietet die ihren Umsatz sowie die Zufriedenheit Missstände in ihrem Arbeitsfeld und ASH Berlin schon allein durch ihr Stu- ihrer Mitarbeiterinnen und Patient_in- unterbreiten der Politik Lösungsvor- dienangebot ein wertvolles Instrument, nen steigern. Außerdem fühlt sie sich schläge. Der Tenor: Gibt es kein Um- um dem drohenden Therapienotstand besser in der Lage, aus dem Überange- denken, wird auf den Pflegenotstand ein vorzubeugen. bot an Fortbildungen auf dem Markt Therapienotstand folgen. „Die Akademisierung der Therapie- auszuwählen. Vor allem aber hat der in- Angestoßen wurde die Bewegung berufe soll nicht nur dem Fachkräf- terdisziplinäre Studiengang sie befähigt, im Sommer 2018 von Physiotherapeut temangel in diesen gesellschaftlich offener auf angrenzende Berufsgruppen Heiko Schneider, dem deutschlandweit bedeutenden Bereichen langfristig be- zuzugehen und gemeinsam bedarfsori- tausende Therapeut_innen folgten, gegnen und die Qualität der Gesund- entierte Angebote zu entwickeln, wie im um ihrem Ärger Luft zu machen. Sie heitsversorgungsleistungen sichern; Falle der schulbasierten Ergotherapie: berichteten unter den Hashtags #the- die Studiengänge befähigen die Studie- „Mit den Schulen entwickle ich Thera- rapeutenamlimit und #ohnemeinen- renden auch, den Wandel im Gesund- piekonzepte für die Kinder, die in erster physiotherapeuten von ihrem Alltag, heitssystem aktiv mitzugestalten“, sagt Linie unter Teilleistungs-, Konzentra- sammelten Stimmen in einer Online- Frau Prof. Höppner. Letzteres bestätigt tions- und sozioemotionalen Störungen Petition, übermittelten Brandbriefe an Kerstin Harder-Pohle, Absolventin des leiden. Die Therapie kann in Gruppen das Gesundheitsministerium und pro- Bachelorstudiengangs Physio- und Er- am Vormittag in der Schule stattfinden, testierten am 25.8.2018 bundesweit in gotherapie in der additiven interdiszipli- statt in einer künstlichen Praxisumge- mehr als 240 Städten unter dem Schlag- nären Studienform für Berufserfahrene bung“, berichtet Harder-Pohle. Damit wort #kreideaktion für bessere Arbeits- (AddIS), aus eigener Erfahrung. „Das vermeidet sie nicht nur lange Wartelis- bedingungen. Studium erlaubt einen weiteren Blick- ten für die begrenzten Nachmittagster- Bereits in ihrem Zwischenbericht vom winkel. Meiner Meinung nach kann mine in ihrer Praxis, sondern kommt Juli 2018 legten Prof. Heidi Höppner und nur durch Akademisierung bzw. eine außerdem – wie von Prof. Höppner Dr. Eva-Maria Beck von der ASH Ber- verbesserte Ausbildung der gesellschaft- gefordert – dem Bedürfnis ihrer Kli- lin erste Ergebnisse ihrer Briefanalyse liche Kontext besser eingeschätzt und ent_innen „aktiv“ entgegen. vor: Neben Hinweisen auf Fehl- oder auf gesellschaftliche Veränderungen Unterversorgung werde von teils lebens- reagiert werden“, so die staatlich aner- bedrohlichen Situationen, z. B. in der kannte Ergotherapeutin. Anzeige Magazin der Alice Salomon Hochschule Berlin Lesen Sie Reportagen, Interviews und Erfahrungsberichte online unter alice.ash-berlin.eu 8 alice
Teamwork makes the dream work! Wie in den vergangenen Jahren trat auch dieses Jahr die ASH Berlin zur Berliner TEAM-Staffel an. Am 7. Juni liefen die fünfköpfigen bzw. zehnbeinigen Teams jeweils fünf Kilometer durch den Tiergarten. „Die schnellen Schnürsenkel“ schnitten mit einer Gesamtzeit von 02:09:08 unter den sieben ASH-Teams am besten ab. Organisiert werden die ASH-Teams im Rahmen von „alice gesund“. Teilnehmen können alle ASH-An- gehörigen, sprich Studierende, Verwaltungsmitarbeiter_innen, Lehrende – und zwar egal, ob schnell oder gemütlich. Was zählt, sind Teamgeist, Lauffreude und das Miteinander! Du möchtest beim nächsten Mal dabei sein? Dann melde dich an bei: teamstaffel@ash-berlin.eu alice 9
Hochschulleben 10 alice
Betriebliches „Alice gesund“ bündelt alle Aktivitäten im Betrieblichen Gesundheitsmanagement Gesundheitsmanagement für Studierende und Beschäftigte der ASH Berlin. Dahinter steht das Leitbild, Studium und Koordinatorin Arbeit an der Hochschule gesundheitsgerecht zu gestalten Kerstin Schulze (in Elternzeit) und gesundheitsgerechtes Verhalten zu fördern. Daher gibt Tel: (030) 99 245-283 es Angebote wie Bewegungs- und Entspannungskurse so- schulze@ash-berlin.eu wie die Teamstaffel „alice läuft“. Unter Mitwirkung aller Elternzeitvertretung Mitgliedergruppen der ASH Berlin berät sich regelmäßig Nadja Kreutzer der Steuerkreis „alice gesund“ über Strategien und Hand- Tel: (030) 99 245-283 lungsfelder der betrieblichen Gesundheitsförderung. kreutzer@ash-berlin.eu alice 11
Hochschulleben „Konsequent interdisziplinär“ Der Grazer Lyriker „Angesichts der Hegemonie von Prosa in allen Spiel- und Erzählformen ist ein Preis, der sich explizit an eine Christoph Szalay erhält den interdisziplinäre Arbeitsweise in und aus der Literatur Alice Salomon Poetik Preis 2019 heraus wendet, etwas Großartiges.“ – Mit diesen Worten reagierte der Lyriker, Künstler und Kurator Christoph Laura Haber Szalay auf seine Auszeichnung mit dem Alice Salomon Poetik Preis 2018. Die konsequente Interdisziplinarität des jungen Grazers war es denn auch, die die Jury der ASH Berlin überzeugt hatte: Szalay verwendet nicht nur Zitate aus Kunst, Literatur, Rock-Musik und Hip- Hop, Alltagssprache und Social Media in seinen Texten, sondern er realisiert auch gemeinsame Werke mit Performance- und Klangkünstler_innen, Bühnenbild- ner_innen und Illustrator_innen. © Martin Schwarz 12 alice
In der Begründung der Jury zur Preis- Geboren wurde Christoph Szalay 1987 Für seine Tätigkeiten erhielt Szalay verleihung heißt es unter anderem: „Eine in Graz. Zunächst war er im öster- bereits mehrere Auszeichnungen, aktuell weitere Besonderheit der Poetik stellt reichischen Nationalkader der Nor- ist er Stipendiat der Akademie Schloss das lyrische Du und Wir in Christoph dischen Kombinierer aktiv. Danach Solitude in der Sparte Bildende Kunst. Szalays Texten dar. Der angesprochene studierte er Germanistik an der Uni- Seit 2017 ist er zudem Literaturbeauf- Leser ist somit aufgefordert über unter- versität Graz sowie Kunst im Kontext tragter des Forum Stadtpark in Graz. schiedliche Themen aus verschiedenen an der Universität der Künste Berlin. Der Alice Salomon Poetik Preis 2019 Blickwinkeln nachzudenken. Themen Seinem aufsehenerregenden ersten Ge- wird am 19.01.2019 anlässlich des Neu- wie etwa Migration, Heimat, Rassismus dichtband „stadt / land / fluss“ (Leykam jahrsempfangs der Alice Salomon Hoch- und Queerness werden in semantischer, 2009) folgten bald weitere, er veröffent- schule Berlin in der Berlinischen Galerie soziologischer und historischer Hinsicht lichte in Zeitschriften, Anthologien und verliehen, Beginn 19.00 Uhr. Um Anmel- durchleuchtet. […] Seine vielfältigen, im Rundfunk. Seine Publikationsliste dung zur Teilnahme wird gebeten unter: unkonventionellen Texte gehen oft von umfasst aber auch Ausstellungen, Per- etwas oberflächlich Schönem aus, doch formances und Herausgeberschaften, poetikpreis@ash-berlin.eu im nächsten Augenblick wird diese Idylle und so zeigte er zuletzt die Installation Schicht für Schicht baggerartig abgetra- „Heimat“ beim Steirischen Herbst 2018 gen, bis das ganze blanke, ‚braune‘ Grau- mit dem Titel „Volksfronten“. en zu sehen ist.“ alice 13
Hochschulleben „Unsere Hochschule gilt in vielen Bereichen als beispielgebend“ Kurz vor dem Rektoratswechsel berichtet Prof. Dr. Uwe Bettig über die Erfahrungen während seiner Amtszeit Herr Prof. Bettig, von 2014 bis Fachhochschule, müssen immer wieder wenn alle Mitgliedergruppen gut kom- 2018 haben Sie das Rektorat der verdeutlicht werden. munizieren, lösungsorientiert arbeiten ASH Berlin geleitet. Was waren die Das Thema der Promotion an Fach- und Bereichsegoismen überwinden. Schwerpunkte Ihrer Amtszeit? hochschulen war eines der Kernthemen, Dabei nimmt die Leitung häufig eine die ich immer wieder diskutiert habe. moderierende Rolle ein. Sehr dankbar Wir als Rektorat haben zu Beginn un- Gerade in den Fächern, die wir an der bin ich aus diesem Grund den Studi- serer Amtszeit Ziele formuliert. Ein ASH Berlin vertreten, fehlen uns auf engangsleitungen, die sehr konstruktiv wesentlicher Inhalt war die Schaf- Universitätsseite Partner für kooperati- und intensiv mit uns zusammengear- fung von Transparenz hinsichtlich der ve Promotionen, sodass ich ein partielles beitet haben. Auch die Unterstützung Hochschulfinanzen und der Lehrent- Promotionsrecht für Fachhochschulen aus der Verwaltung und den Referaten lastungen. Ich denke, dass dies durch für unerlässlich halte. Diese Meinung war sehr wichtig und hilfreich. die Einrichtung einer Haushaltskom- findet allerdings viele Widersacher, und Große Herausforderungen waren die mission des Akademischen Senats (AS) ich denke, dass ich hier auch einige sehr Hochschulvertragsverhandlungen und gelungen ist. Auch wollten wir die Stim- genervt habe – was aber nicht schädlich der Neubau. Aus meiner Sicht waren mung in den Gremien – insbesondere sein muss. die Hochschulvertragsverhandlungen dem AS – verbessern. Hier muss man ein großer Erfolg, da das kommende ehrlich eingestehen, dass das nur kurz- Was waren für Sie die größten Wachstum die ASH Berlin nachhal- zeitig geglückt ist. Herausforderungen und Ihre tig stärken wird. Natürlich ist die viel Während der gesamten Amtszeit schönsten Erfolge? zu geringe finanzielle Untersetzung war es wichtig, die Leistungen unserer des Wachstums unbefriedigend, die Hochschule zu kommunizieren, insbe- Erfolge sind in der Hochschule selten Ein- unzureichende Ausstattung, z. B. im sondere gegenüber Mandatsträger_in- zelpersonen oder einem Leitungsteam Bereich der professoralen Lehre, wird nen. Die Spezifika des SAGE-Profils, zuzuschreiben. Und erfolgreich ist eine fortgeschrieben. Dennoch wird un- aber auch die Besonderheiten einer Hochschule meines Erachtens dann, ser Profil durch neue Lehrangebote in 14 alice
„Erfolge sind in der Hochschule selten Einzelpersonen oder einem Leitungsteam zuzuschreiben, sondern allen Mitgliedergruppen.“ Das Rektorat bis 2018, von links: Prorektor Prof. Dr. Nils Lehmann-Franßen, Rektor Prof. Dr. Uwe Bettig, Prorektorin Prof. Dr. Bettina Völter und Kanzler Andreas Flegl Online-Studiengängen, der Pflege und „Mehr als Fassade“: Was sollte des Pflegemanagements finden sich viele einem weiteren Masterstudiengang im Ihrer Meinung nach mehr in den Themen, die mich stark interessieren. Eine Bereich der Sozialen Arbeit geschärft. öffentlichen Fokus gerückt werden? wichtige Frage ist z. B., wie der Pflegebe- Bezüglich des Neubaus bin ich natür- Warum braucht es überhaupt ruf anders gestaltet werden kann, sodass lich massiv enttäuscht. Ich hatte gehofft, Öffentlichkeit? attraktive Arbeitsplätze entstehen und dass der dringend benötigte Neubau dem Fachkräftemangel entgegengewirkt noch in meiner Amtszeit beginnt, der Gerade eine Fachhochschule braucht Öf- wird. Auch die Abbildung der Pflege im fixe Starttermin liegt nun leider erst im fentlichkeit. Nicht erst durch den Trans- Vergütungssystem von Gesundheitsein- Jahr 2020. fergedanken wird deutlich, dass der richtungen beinhaltet viele Fragen, die Austausch zwischen Hochschulen auf der mich sehr interessieren. Wie hat sich Ihr Bild von der ASH einen und Gesellschaft und Wirtschaft Ich möchte mich auch dafür einsetzen, Berlin als ihr höchster Repräsentant auf der anderen Seite wichtig ist. Gera- dass innerhalb der Hochschule Meinun- verändert? de die ASH Berlin als forschungsstarke gen abseits des Mainstreams geäußert Hochschule muss bestrebt sein, den Part- werden können. Die Haltung, die im AS Aus der Innenperspektive habe ich ge- nern der Berufspraxis Forschungsergeb- geäußert wurde, dass z. B. in der alice lernt, welchen Aufwand der Betrieb einer nisse zu vermitteln, diese aber auch als nur Artikel veröffentlicht werden sollen, Hochschule bedeutet. Als Hochschulleh- Praxispartner in die Lehre zu integrieren. die einer „abgestimmten Position“ folgen, rer ist man es gewohnt oder zumindest er- In den Mittelpunkt rücken sollten wir die empfinde ich als äußerst bedenklich und wartet man, dass alles läuft. Die Prozesse Bedeutung unserer drei Schwerpunkte: einer demokratisch verfassten Hochschu- dahinter waren mir in dieser Deutlichkeit der Sozialen Arbeit, der Kindheitspädago- le nicht angemessen. nicht bekannt. Ich werde nach meiner gik und der Gesundheit. Die gesellschaft- Amtszeit insbesondere die Leistungen liche Relevanz wird oftmals – auch im Was wünschen Sie der ASH Berlin für der Verwaltung anders beurteilen. Nach politischen Raum – verkannt. Technische die Zukunft? viereinhalb Jahren als Rektor kann ich Hochschulen haben es hier offensichtlich feststellen, dass wir hier sehr gut aufge- leichter. Das spiegelt sich letztlich ja auch Ich wünsche uns vor allem Gelassenheit stellt sind. in der Bezahlung unserer Absolventinnen und auch Freude an der täglichen Arbeit. Sehr positiv war für mich zu sehen, wie und Absolventen wider. Die Kommunika- Wir stehen vor großen Herausforderun- die ASH Berlin von außen wahrgenom- tion in den politischen Raum hinein hat gen, ich bin aber sicher, dass wir in der men wird. Die Forschungsleistung der insofern weiterhin eine große Bedeutung Lage sind, diese zu meistern. Die ASH Kolleginnen und Kollegen findet – natio- für uns. Berlin ist gut aufgestellt und wird wei- nal und auch international – große Aner- ter eine herausragende Rolle im SAGE- kennung, unsere Hochschule gilt in vielen Was für Ziele haben Sie sich für die Zeit Bereich einnehmen. Daneben wünsche Bereichen als beispielgebend. nach Ihrer Amtszeit gesetzt? ich uns natürlich, dass der Neubau zügig Auch das Engagement vieler Hoch- vorankommt und die Raumnot dadurch schulangehöriger – insbesondere unserer Zunächst freue ich mich darauf, wieder in gelindert wird. Studierenden – gegen Rechtsextremismus die Lehre einsteigen zu dürfen. Des Wei- halte ich für herausragend und hoffe, dass teren möchte ich mich wieder stärker der wir hier weiter Gesicht zeigen werden. Forschung zuwenden. Gerade im Bereich Das Interview führte Laura Haber. alice 15
Im Mittelpunkt Mehr als Fassade. Im Mittelpunkt dieser alice-Ausgabe steht das Schlagwort „Mehr als Fassade“: Die Alice Salomon Hochschule Berlin ist in ständiger Bewegung. Projekte und Gruppen verzahnen und vernetzen sich. Die Jubiläumsfeier der ASH Berlin am Standort Hellersdorf nehmen wir zum Anlass, um „hinter die Fassade“ zu blicken. Wir erinnern uns an den umstrittenen Umzug vor 20 Jahren und erfahren von den seither gewachsenen Kooperationen zwischen der Hochschule und dem Bezirk. Dem folgen beispielhaft weitere Themen, die Hochschul- angehörigen und Studierenden der Alice Salomon Hochschule Berlin wichtig sind. Doch hinter der Fassade fand und findet natürlich auch die Diskussion über die Fassade statt, deren Neugestaltung wir hier ebenfalls dokumentieren. Nicht zuletzt gedenken wir Alice Salomons selbst, die vor siebzig Jahren im Exil verstarb und deren Lebenswerk bis heute von aktueller Bedeutung ist. 16 alice
20 JAHRE ALICE SALOMON HOCHSCHULE BERLIN IN MARZAHN-HELLERSDORF Festakt und Campus-Gemeinwesen-Tag am 22. Oktober 2018 Laura Haber „Ja, die Alice Salomon Hochschule liegt direkt an der U5, bald verbunden mit dem Bundestag und dem Kanzleramt, und jetzt schon verbunden direkt mit dem Roten Rathaus.“ – Gleich zu Anfang ihrer Begrüßungsrede zum Festakt „20 Jahre Alice Salomon Hochschule Berlin in Marzahn-Hellersdorf“ stellte Rektorin Bettina Völter die Nähe zur Stadtmitte her, die 1998 beim Umzug für viele Hochschulangehörige in schmerzhaft weite Ferne gerückt war. 20 Jahre später machten sich nun Vertreter_innen der Politik – unter anderen Petra Pau, Vize- präsidentin des Deutschen Bundestags, und Michael Müller, Regierender Bürgermeister von Berlin – sowie anderer Hoch- schulen auf den Weg an den Ostberliner Stadtrand und nah- men im Audimax der ASH Berlin neben den Gästen aus dem Humorvolle Untertöne erheiterten das Publikum Bezirk und den Hochschulangehörigen Platz. In ihren Gruß- worten würdigten Michael Müller, Manfred Erhardt, Senator für Wissenschaft und Forschung a. D., sowie Dagmar Pohle, Bezirksbürgermeisterin von Marzahn-Hellersdorf, die Arbeit der ASH Berlin, erinnerten an den umstrittenen Umzug (vgl. S. 18-21) und benannten aktuelle Herausforderungen. Hu- morvolle Untertöne sorgten für Schmunzeln im Publikum, musikalische Zwischentöne lieferte der Hochschulchor Sin- ‚ gin Alice mit einem internationalen Liedprogramm. Wie ein roter Faden zog sich der Ruf nach dem Neubau durch den Vormittag. Die Hochschulrektorin sehnt ihn her- bei, um den kommenden Zuwachs an tausend Studierenden „qualitätvoll“ bewältigen zu können, die Bezirksbürgermeis- terin, weil er „ein Stück weiterer Aufwertung dieses Stadt- teilzentrums für den Stadtteil Hellersdorf und für unseren ‚ Musikalische Zwischentöne von Singin Alice Bezirk Marzahn-Hellersdorf “ bedeutet. Rückendeckung er- hielten sie durch Erhardt, der den Regierenden Bürgermeister von Berlin sogar persönlich aufforderte, „die finanziellen und räumlichen Kapazitäten der aus allen Nähten platzenden ASH Boden“ für die ASH Berlin erwiesen. Das wechselseitige Berlin zur Chefsache zu machen“. Und Müller selbst verkün- Vertrauen und der Wille zum Austausch und weiteren In- dete: „Die Alice Salomon Hochschule ist ein besonderer Teil novationen wurden im Anschluss an den Festakt auf dem der Berliner Wissenschaftslandschaft und heute können wir Campus-Gemeinwesen-Tag mit Akteur_innen aus Hochschu- mit Freude feststellen: Sie ist aus Hellersdorf nicht mehr weg- le und Kommune lebhaft deutlich. Prorektor Olaf Neumann, zudenken.“ der in seiner Funktion der jetzigen Rektorin Völter nachfolgt, zeigte sich stolz, als erste Amtshandlung dieses „Forum mit „Wer ist denn dieses ‚Wir‘?“ Werkstattcharakter“ eröffnen zu dürfen. Bezirksstadträtin Ganz klar im Mittelpunkt dieses 22. Oktober 2018 stand die Juliane Witt stellte in ihrem Grußwort die Frage nach dem gewachsene Partnerschaft der ASH Berlin mit dem Bezirk „Wir“, also jenen, die sich für eine konstruktive gesellschaft- Marzahn-Hellersdorf. Letzterer habe sich gerade wegen seiner liche Entwicklung einsetzen. Widersprüche – beispielhaft nannte Völter dessen Einkom- Weiter erklärte sie, die Bürgerbeteiligung sei in den Stadt- mens-, Wohn- und Wähler_innenstruktur – als „fruchtbarer teilzentren eine größere Herausforderung als noch vor zwei alice 17
20 JAHRE ALICE SALOMON HOCHSCHULE BERLIN IN MARZAHN-HELLERSDORF Jahren. Passend schloss sich daran Anne Jeglinskis Im- puls-Vortrag an, der Stadtteilzentren als „Seismographen im Stadtteil“ definierte. Hier würden gesellschaftliche Trends deutlich, könnten Problematiken aufgegriffen und Konflikte angegangen werden. Die Leiterin der Ge- schäftsstelle Bezirke des Paritätischen Wohlfahrtsverban- des Berlin betonte, dass der Bezirk Marzahn-Hellersdorf mit neun sozialen Trägern an dreizehn Standorten au- ßergewöhnlich gut aufgestellt sei. Mit ihrer Bitte, über das oft noch zu wenig bekannte und genutzte Angebot weiterzuerzählen, löste sie eine angeregte Diskussion aus. Die Repräsentant_innen verschiedener Stadtteilzentren, Lehrende und Studierende meldeten sich mit der Schilde- Der Regierende Bürgermeister von Berlin Michael Müller rung eigener Erfahrungen und Fragestellungen zu Wort, schätzt das Profil der ASH Berlin wobei klar wurde: Funktionierende praktische Beispiele gibt es viele, aber es könnten noch mehr Menschen „ab- geholt“ werden, und ein gemeinsames gesellschaftliches Ziel wäre die Grundlage für eine neue Art der Vernet- zung und letztlich ein wirksames „Wir“. Großes Potenzial In Themenworkshops wurden die aufgeworfenen Fragen im Laufe des Nachmittags im Detail weiter erörtert. Isa- bell Springmann zum Beispiel, Leiterin des Stadtteilzent- rums Hellersdorf-Süd, erkennt in punkto weitergehender Kooperation zwischen Stadtteilzentren und Hochschule neben dem, was bereits läuft, „ganz viel Potenzial ge- rade bei Arbeiten von Studierenden“. Selbst ehemalige Studentin und wissenschaftliche Mitarbeiterin der ASH Im Publikum begegneten sich Politik, Bezirk und Hochschule Berlin, hat sie sich Gedanken gemacht, was Studierende in ihrem Bereich interessieren könnte, und sogar einen Flyer erarbeitet, der studienrelevante Themenfelder und Schwerpunktbereiche sowie die Ansprechpartner_innen auflistet. Um „Stolpersteine“ zu vermeiden, wie z.B. Ab- brüche von Forschungsprojekten ohne abzusagen, wür- de sie gerne einen Ethik-Kodex entwickeln. Ein zweiter Workshop sammelte Ideen für einen Fachtag zu „30 Jahre Mauerfall – 30 Jahre Gemeinwesenarbeit in Marzahn- Hellersdorf“. Im Workshop zum Umgang mit rechtspo- pulistischen Anfeindungen seien die typischen Beispiele wieder erwähnt worden, befand eine Studentin, dennoch sei der Raum unglaublich wichtig, um sich erstmal auf einen ähnlichen Wissensstand zu bringen. Vor den Stellwänden im Audimax mit Schaubildern von Projekten und Ergebnissen aus den Workshops so- In drei Themenworkshops wurde die Zusammenarbeit zwischen wie am stärkenden Buffet fand der Nachmittag seinen Hochschule und Bezirk im Detail debattiert allmählichen Ausklang. Sie sei sehr glücklich über die offenen Gespräche, resümierte Elène Misbach, die als Wissenschaftliche Mitarbeiterin für Transfer und Third Mission den Campus-Gemeinwesen-Tag als ersten in die- ser Form organisiert hatte. Dankbar zeigte sie sich aber auch dafür, dass die studentische Initiative Arbeitskreis Kritische Pflege bei Auf-, Um- und Abbau so tatkräftig mit angepackt hatte. 18 alice
Im Mittelpunkt „Die einzige Prof. Dr. Wolff, was waren aus Ihrer Sicht die größten Chancen eines Umzugs? Möglichkeit“ Die Fachhochschule stand damals vor einer großen Entwicklungsheraus- forderung, weil die Studierendenzahlen stiegen, aber die räumlichen Vor- aussetzungen in Schöneberg sehr begrenzt waren. Vor Ort gab es so gut wie keine Möglichkeiten zur Erweiterung. In dieser Situation kam ich zurück von meinem Forschungsjahr in Amerika und wurde von Mitgliedern des Akademischen Senats gefragt, ob ich nicht die Hochschule als Rektor weiter voranbringen könnte. Wir haben mehrere interessante Standorte sehr aus- führlich geprüft; es zeigte sich aber, dass nur das leere Feld in Hellersdorf unmittelbar verfügbar war. Daraufhin hat der Berliner Senat aus stadtpo- litischen Gründen gesagt, wir müssen Hellersdorf als reines Wohngebiet infrastrukturell aufrüsten, und schon bald sprach sich im Abgeordneten- haus – nicht nur im hochschulpolitischen oder im Bauausschuss – eine Rie- senmehrheit dafür aus. Als einzige Möglichkeit, die Zukunftsperspektive der Hochschule zu sichern, musste ich das Angebot des Hochschulbaus in Hellersdorf annehmen. Das hat mich natürlich in große Schwierigkeiten ge- bracht, weil die Mehrheit an der Hochschule gegen Hellersdorf war. Ein Umzug ist natürlich ein tiefer Einschnitt für die Angehörigen einer Organisation. Die Presse titelte „Hellersdorf ist nicht Sibirien“, Vor zwanzig Jahren traf an der Hochschule kam es zu Auseinandersetzungen. Wie wurde mit den Herausforderungen umgegangen? Prof. Dr. Reinhart Wolff als damaliger Rektor der ASH Berlin Die Frage war ja: entweder die Hochschule an einem neuen Ort weiterentwi- die Entscheidung für den ckeln oder in Schöneberg scheitern. Vor dieser klaren Alternative sind viele ausgewichen und haben sich einer ressentimentpolitischen Position überlas- Umzug der Hochschule nach sen. Es wurden Geschichten erzählt, die nicht stimmten, zum Beispiel sollte Hellersdorf es gefährlich sein, nach Hellersdorf mit der S-Bahn zu fahren – das war ganz absurd. Mit meinem Standpunkt war ich schließlich ganz alleine, aber im Rückblick bin ich sehr zufrieden mit der Entscheidung für Hellersdorf. Entspricht denn die Entwicklung der ASH Berlin in den letzten 20 Jahren Ihren Erwartungen? Ein wichtiges Anliegen war uns damals eine multidisziplinäre Erweiterung. Das ist uns gelungen, nicht zuletzt mit dem Pflegestudiengang (Gesund- heits- und Pflegemanagement; Anm. d. Red.), den wir gegen große Schwie- rigkeiten durchgesetzt haben, oder auch mit Erziehung und Bildung als einem wichtigen Studiengang für die Erzieher_innenausbildung. Was wünschen Sie der ASH Berlin für die Zukunft? Durch die zunehmende Überlastung der Hochschulangehörigen kommt eine gemeinsame Philosophie heute oft zu kurz: Was ist wichtig im Un- terricht? Was orientiert uns in unserer Forschung? Wie wollen wir in der Öffentlichkeit und gegenüber der Gesellschaft dastehen? Ich selber hatte das Glück, vierzig Jahre lang immer Kollegen an meiner Seite zu haben, mit de- nen dieser Dialog möglich war. Deshalb wünsche ich der ASH Berlin diesen Dialog, mehr Miteinander, aber auch mehr Geld und mehr Spielräume. Das Interview führte Lucia Maack. alice 19
20 JAHRE ALICE SALOMON HOCHSCHULE BERLIN IN MARZAHN-HELLERSDORF Spandau oder Hellersdorf Prof. Dr. Heinz Cornel, seit 30 Jahren Professor für Jugendrecht, Strafrecht und Kriminologie und zugleich seit zwölf Jahren wissenschaftlicher Leiter des Zentrums für Weiterbildung an der ASH Berlin, erinnert sich an die diversen Standorterwägungen für den Umzug der Hochschule von Schöneberg nach Hellersdorf. Als ich vor 30 Jahren 1988 – da war Ber- Interesses. Dann wechselte 1990 das die Idee auf, studentisches Leben nach lin noch durch die Mauer geteilt – nach Rektorat von Prof. Dr. Marlis Dürkop Hellersdorf zu bringen. Das brachte Berlin berufen wurde, war ein Neubau zu Prof. Dr. Reinhart Wolff, der sich mit einerseits die Forderung nach einem bereits in Planung: Er sollte entweder dem damaligen Senator Manfred Er- Standort innerhalb des S-Bahnrings her- in Spandau am Falkenseer Kreisel, wo hardt auf einen Neubau im Ostteil der vor, andererseits das berühmte Zitat des damals die Stallungen der berittenen Stadt verständigte, weil Investitionsmit- Bausenators Nagel, Hellersdorf sei nicht Polizei standen, oder im Westend in tel dafür leichter zu gewinnen wären. Sibirien. Ich erinnere mich übrigens den Räumen bzw. auf dem Grundstück Zu dieser Zeit wünschte sich ein Teil des nicht an eine pauschale Ablehnung ei- der ehemaligen Klinik in der Pulsstra- Kollegiums immer noch, in den alten nes neuen Standorts im Ostteil der Stadt, ße entstehen. Ende 1989, als die Folgen Räumlichkeiten in Schöneberg zu blei- obwohl dieser Eindruck erweckt wurde. der Maueröffnung noch nicht absehbar ben. Allerdings unterrichteten wir dort Ich kann aber auch noch heute ganz gut waren, freute sich der damalige Bezirks- 700 bis 800 Studierende in Räumen für nachvollziehen, dass nicht jede_r (z. B. bürgermeister Werner Salomon bei ei- knapp 400, hatten zahlreiche Ladenlo- halbtags beschäftigte) Mitarbeiter_in nem Treffen im Ratskeller des Rathauses kale angemietet, in denen teilweise drei sich spontan für 90 Minuten Anfahrts- Spandau bereits, dass sein Bezirk bald Kolleg_innen auf engstem Raum zu- weg zum Arbeitsplatz begeistern konnte. Hochschulstandort würde. Diese Pläne sammengepfercht waren, und ich hielt Als sich die Hellersdorf-Pläne zuneh- wurden damals sehr vom Verwaltungs- Seminare mit bis zu 35 Studierenden in mend konkretisierten, wurde eine Ini- leiter (die damalige Funktionsbezeich- Räumen für 16 bis 20 Personen. Dabei tiative für eine Machbarkeitsstudie für nung für den Kanzler) der ASH Berlin, waren Ausbaupläne in diesem dicht be- einen Umzug der Hochschule an den Klaus Johannsen, gefördert, der sich bauten Kiez völlig illusorisch. Pfefferberg in der Schönhauser Allee an- selbst als „Urspandauer“ bezeichnete. Zunächst wurde ein Bauplatz in Lich- gestoßen und außerdem kurzzeitig der Als die Klinikräume in der Pulsstra- tenberg-Herzberge am Rand des dortigen Eingang des sogenannten Postfuhram- ße anders genutzt wurden und sich Klinikums in Betracht gezogen, zumal tes in der Oranienburger Straße/Ecke die Neubaupläne in Spandau verzö- der Pflegestudiengang (Gesundheits- Tucholskystraße durch einen Großteil gerten, weil die Berliner Polizei ihre und Pflegemanagement; Anm. d. Red.) des Kollegiums besetzt – ein Ereignis, Ställe länger brauchte, rückte für kur- neu im Aufbau war. Als sich herausstell- das es immerhin bis in die Abendschau ze Zeit das ehemalige Verwaltungsge- te, dass das Stadtteilzentrum Helle Mitte brachte. Dann begann der Bau in Hel- richtsgebäude in der Hardenbergstraße ein gewisses Bauvolumen brauchte und lersdorf, und inzwischen war Christine Nähe Bahnhof Zoo in den Fokus des kommerziell nicht zu füllen war, kam Labonté-Roset Rektorin, die sich bisher 20 alice
Im Mittelpunkt ASH-Angehörige protestierten durch die Besetzung des Postfuhramtes in Berlin-Mitte gegen einen Umzug in die östliche Peripherie vehement gegen diesen Standort ausge- im Gebäude am Pfefferberg und im Post- wir uns unter allen Hochschulmitglie- sprochen hatte. Der Stimmung für Hel- fuhramt in der Oranienburger Straße dern manchmal gefragt haben, warum lersdorf nutzte es nicht gerade, dass im unser Wachstum nicht möglich gewesen der Bausenator die Wissenschaftspolitik Planungsprozess entgegen der Bedarfs- wäre. Auch die technische Infrastruktur machen musste, ob es nicht einen etwas planung, die sich noch auf den Standort hätte so in Schöneberg kaum mitwach- zentraleren Standort gegeben hätte und Spandau bezogen hatte, das Gebäude sen können. ob man auch den Fachbereich Medizin wesentlich kleiner realisiert wurde. Die Die Studierenden haben sich schnell oder Rechtswissenschaft in die Stadt- späteren Anbauten an der Ostseite ha- an die neuen Räume und auch die Lage in randlage umgesiedelt hätte, so arbeite ich ben nur das nachgeholt, was schon ur- Hellersdorf gewöhnt und wohnen oft gar doch seit 20 Jahren gerne in Hellersdorf sprünglich einmal geplant war. nicht mehr so weit entfernt; aber studen- in hellen funktionalen Räumen. Gleich- Realistischerweise muss man sagen, tisches Leben bis in die Abendstunden in zeitig ist es schön, dass wir uns auf die dass nicht nur in Schöneberg, sondern der Umgebung der Hochschule hat sich Ursprünge in Schöneberg immer wieder auch im Verwaltungsgerichtsgebäude, trotz allem kaum entwickelt. Auch wenn besinnen. Nachdem Bausenator Wolfgang Nagel dem Umzug nach Hellersdorf zugestimmt hatte, richtete sich die Wut der protestierenden ASH-Angehörigen auch namentlich gegen ihn alice 21
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