Eine besondere Beziehung - Berlin - Türkei: 60 Jahre Anwerbeabkommen
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2. Quartal 2021 Eine besondere Beziehung Berlin – Türkei: 60 Jahre Anwerbeabkommen Seite 54 Seite 55 Seite 61 Krisendienst Neubau-Modellprojekt Design-Koffer Anfragen nehmen zu Sieben Träger unter einem Dach Inklusive Beschilderung Gemeinsames Fastenbrechen 2018 in Berlin Foto: NBZ Divan e. V.
Freiwilliges Engagement stärken – für ein vielfältiges und solidarisches Berlin Seien Sie dabei! 10. bis 19. September 2021 3 Beitrag zur Europäischen Freiwilligenhauptstadt Berlin 2021 3 finanzielle Förderung für Aktionen unserer Mitglieder 3 digitaler Fachtag am 11. Mai, 9:30 bis 13:00 Uhr 3 WIE können Sie mitmachen? 3 digitale Workshops am 8. und 17. Juni 3 digitale Dankeschön-Feier Fotos: Nadine Wittek (oben); Niklas Alt (Mitte und unten) Im Internet: gemeinsamesache.berlin Kontakt: freiwilligentage@paritaet-berlin.de, Telefon: 030 8 60 01-626 Freiwilligentage Freiwilligentage Freiwilligentag
Vorwort Eine besondere Beziehung Berlin – Türkei: 60 Jahre Anwerbeabkommen aus Ostberlin nicht mehr in den Westteil der Stadt gelangen. Es fehlten mehr als 55.000 Arbeitneh- mer und Arbeitnehmerinnen, etwa in der Metall- und Elektroindustrie, in Schneidereien und beim Pflegepersonal. Es gab natürlich auch Westberli- ner, die im Osten gearbeitet hatten, aber ihre An- zahl war geringer. Das Anwerbeabkommen mit der Türkei er- wies sich als Gunst der Stunde. Zwar gab es be- reits Verträge für „Gastarbeiterbeschäftigungen“ mit Griechenland, Italien und Spanien. Viele Men- schen aus den nahen südeuropäischen Ländern arbeiteten aber im schon damals wirtschaftlich starken Süden Deutschlands. Westberlin hin- gegen war unattraktiv. Geographisch war es von den Herkunftsländern weit abgelegen und als eingemauerte Stadt eng und politisch unsicher. Die „Gastarbeiter und Gastarbeiterinnen“ – wichtigstes Auswahlkriterium war Gesundheit – aus der Türkei kamen dennoch, darunter auch al- leinstehende Frauen. Die Männer sanierten ma- rode Straßen, Frauen und Männer schufteten am Band in den damals noch starken Berliner Industriebetrieben bei Siemens und AEG. Viele Frauen fanden Beschäftigung in den vielen klei- nen und mittleren Betrieben der Textilbranche. Barbara John Foto: Holger Groß / Der Paritätische Berlin Die „Arbeitskräfte auf Zeit“, wie sie damals auch hießen, nutzten ihre Zeit, um Deutsch zu lernen, mehr schlecht als recht, weil obligatorische Inte- grationskurse fehlten – Integration war ja damals W kein staatliches Ziel. Sie gründeten Vereine und ar das Anwerbeabkommen vom Familien und liebäugelten mit eigener Selbst- 30. Oktober 1961 der Start für ein ständigkeit, was damals auch noch verboten multikulturelles Berlin, wie wir es war. Und sie kamen aus einem Land, das selbst heute kennen? Zunächst keines- nicht krisenfest war. In regelmäßigen Abständen wegs, auch den Begriff gab es noch nicht. Aber es putschte damals das Militär, um seine Interpre- war der Ausgangspunkt für die Entwicklung Ber- tation der Reformen von Atatürk durchzusetzen. lins zu einer diversen Stadt, in der Menschen aus Anders, aber auch nicht stabil, steht es heute um vielen Kulturen in großer Zahl mit- und nebenei- die politische Situation der Türkei unter Präsident nander leben. Mit dem Abkommen entwickelte Erdogan. Damals wie heute waren die Lebensum- sich Berlin weltweit zur Stadt mit den meisten Tür- stände in der Türkei strittiger Gesprächsstoff bei keistämmigen (dazu gehören unter anderem Kur- den Türkeistämmigen. den, Lasen, Aleviten und Aramäer) außerhalb der Auch wenn sie in Deutschland arbeiteten und Türkei. lebten – die gleichen Rechte hatten die „Arbeits- 1961 befand sich Westberlin in einer existenz- kräfte auf Zeit“ damals nicht. Beispielsweise ver- bedrohenden Lage. Mit dem Mauerbau am 13. loren Frauen, die zur Familienzusammenführung August 1961 konnten über Nacht Berufspendler nachzogen, nach einer Trennung ohne Wenn und Paritätischer Rundbrief — 2. Quartal 2021 3
Rubrik Kinder im Umkreis der Muskauer Straße 1975 Foto: Jürgen Henschel / FHXB Friedrichshain-Kreuzberg Museum Paritätischer Rundbrief — 2. Quartal 2021 4
Vorwort Aber ihr Aufenthaltsrecht und mussten zurück- gemeinsam mit Arbeitgebern in unserem Pro- kehren. Als ich 1981 die erste Ausländer-/Integ- gramm „Work for Refugees“. rationsbeauftragte in Westberlin, das erste „Bun- 4. Zuwanderer sind erfolgreich, wenn Einheimi- desland“ mit diesem Amt, war, türmten sich die sche ihnen mit Offenheit und Liberalität be- Aufgaben in der Bundesrepublik, die politisch gegnen. Müssen Zugezogene ihre kulturellen mehrheitlich auf Rückkehr, nicht auf Integration Eigenheiten verstecken, dann fühlen sie sich programmiert waren. Dabei ging es schon da- fremd, nicht angenommen und bleiben unter mals um Aufstieg, Bildung, Ankommen, Heimat sich. Wir sind nun einmal soziale Wesen. finden, Selbsthilfe, Rechtssicherheit, Einbürge- rung und Unterstützung für Migrantenvereine. Noch eine anekdotische Ergänzung: Als ich Aus- Denn nichts ist dauerhafter als temporäre Mig- länderbeauftragte des Berliner Senats werden ration. Eine Standarderkenntnis aller Einwande- sollte, die erste in einem Bundesland, hieß es in rungsländer, ob sie es wollen oder nicht. der Senatsverwaltung: Das ist eine Stabsstelle, Berlin ist eine Integrationsstadt. Ohne die wirt- kein Publikumsverkehr, nur Verwaltungskon- schaftlichen und kulturellen Leistungen von ein- takte. Mein Signal gegenüber dieser Ansage: Das gewanderten Juden, Hugenotten, Schlesiern, bringt nichts, so kann ich den Job nicht machen, Ostpreußen, Russen, Iranern, Osteuropäern bis denn wie sollten ich und die Mitarbeitenden hi- hin zu Afghanen und Syrern hätte sich Berlin neinwirken in Politik, Verwaltung, Wirtschaft und nicht zur deutschen Metropole entwickeln kön- Gesellschaft für Menschen, wenn wir deren Sor- nen. Wie gelingt Integration aber im Allgemeinen gen und Nöte, besonders die rechtlichen, gar und speziell in Berlin? nicht genau kennen? Beim Ausländeramt ging es um die Anwendung der strikten Gesetze, im Amt 1. Integration braucht Zeit. Es geht nicht auf der Beauftragten um die konkreten Probleme, für Knopfdruck, und es geht nicht nur um Geld. deren Lösung erst noch Gesetze geschaffen wer- Denn jede Veränderung stellt Gewohnheiten, den mussten. Die Stellen wurden bewilligt, und vertraute Gewissheiten, wie Verständigung in Berlin gab es auch bald eine erste Härtefall- und Verhaltensweisen, infrage. Das gilt auch kommission. Später wurde sie im Ausländerge- für die Einheimischen. Integration ist auch setz Standard. nicht so zu verstehen, dass „Integrierte“ es Ich habe es mir auch zur monatlichen Gewohn- völlig aufgegeben hätten, anders zu sein, bei- heit gemacht, eine Familie von Zugewanderten spielsweise in religiösen Bekenntnissen oder zu besuchen, die dazu ihre deutschen Nachbarn kulturellen Bräuchen. Es geht um Einheit in einluden. Das waren gesellige Runden bis in den der Vielfalt und nicht um Einheit um der Ein- späten Abend, bei denen auch immer Lösungen heit willen. Oder um das Gelingen, wenn es für Alltagsprobleme besprochen wurden. Strukturen, Anlaufstellen gibt, die den Men- schen das Ankommen erleichtern. Das kön- Ins Gespräch kommen wollen wir auch mit Ihnen, nen neben staatlichen Stellen auch Selbsthil- liebe Leserinnen und Leser. Schicken Sie uns Ihre fegruppen und Sportvereine sein. Eindrücke, was Sie erlebt haben, als die „Gast- 2. Zuziehende brauchen die gleichen Rechte arbeiter“ hier ankamen, oder als Sie selbst als und Chancen. Diskriminierung ist tabu. Dabei Angeworbene nach Berlin kamen. Mailen Sie an müssen Gesetze den Weg weisen und unab- presse@paritaet-berlin.de oder schicken Sie uns hängige staatliche Integrations- oder Gleich- eine kurze Info an: Paritätischer Wohlfahrtsver- behandlungsstellen in alle Bereiche der Ge- band Berlin, Presse- und Öffentlichkeitsarbeit, sellschaft hineinwirken, auch in Sportvereine Brandenburgische Straße 80, 10713 Berlin – wir und migrantische Selbsthilfegruppen. freuen uns! 3. Arbeit erlauben, als Arbeitnehmer oder Selb- ständige und durch Bildung und berufliche Qualifikation fördern – das stärkt das Selbst- Ihre bewusstsein und mehrt den Respekt der Auf- nahmegesellschaft, die anfänglich Integra- tionswerkzeuge, wie Sprach- und Orientie- rungskurse, zur Verfügung stellt. Deutsch zu lernen, sollte möglichst früh mit Arbeitserfah- rungen verbunden sein. Das praktizieren wir Barbara John, Vorsitzende des beim Paritätischen Berlin übrigens seit 2015 Paritätischen Wohlfahrtsverbands Berlin Paritätischer Rundbrief — 2. Quartal 2021 5
Inhalt Schneller finden: Fachspezifische Themenfelder (wie Gesund- heit, Migration etc.) haben eigene Bereichsfarben, allgemeine Themen des Landesverbands das bekannte Paritätische Blau. Foto: Verein für aktive Vielfalt Foto: Street College Aus Stadt und Bezirken Familie, Kinder und Jugendliche Mitarbeitende des Vereins für aktive Vielfalt und andere Kreative Utopien zum Mitmachen: Ein Projekt von Mitgliedsorganisationen fordern die Hauptstadtzulage Seite 12 Jugendlichen aus dem Street College Seite 48 8 – 18 Aus Stadt und Bezirken • Armut von Jugendlichen verhindern • Herzlich willkommen beim Paritätischen Berlin! • Mitmachprojekt von Street College • Was uns bewegt: Dr. Gabriele Schlimper • Handbuch zum institutionellen Kinderschutz • Nachruf auf Werner Ruppelt • Neuhland: Wann der Kontakt persönlich statt digital • Für faire Bezahlung: Online-Petition Hauptstadtzulage sein sollte • Hauptstadtzulage: Aktionen unserer Mitgliedsorganisationen • #berlinbessermachen: Engagierte im Portrait 50 – 51 Gesundheit • Kampagne Wir.sind.Kultur • Versorgung von Betroffenen häuslicher Gewalt • Gründung von Fachschulen: Beispiel Procon College • Workshop: Zuwendungen oder Leistungsentgelte? • Soziale Infrastruktur im Lockdown 52 – 53 Freiwilliges Engagement • Save the Date: Gemeinsame Sache – Berliner Freiwilligentage 18 – 19 Digitalisierung, Innovation und Wirkung • Stärken der Zivilgesellschaft 54 – 56 Menschen in Notlagen • Mund-Nasen-Schutz gespendet 20 Gesamtverband • Lockdown-Folgen: Berliner Krisendienst ist stärker • Wahljahr 2021: Erklärung für Menschlichkeit und Vielfalt nachgefragt • Neubau: sieben Paritätische Träger unter einem Dach 42 – 43 Ältere Menschen und Pflege • Volkssolidarität unterstützt digitaler Teilhabe 56 – 59 Menschen mit Behinderung • Silbernetz: ein Jahr bundesweit erreichbar • Neu im Paritätischen Berlin: Medienprojekt Berlin e. V. stellt sich vor 44 Arbeit und Beschäftigung • Berliner Behindertenparlament tagt digital • Jobcenter auch über App erreichbar • Impfungen von Menschen mit Behinderungen • Aktion Mensch unterstützt Abbau von Barrieren 45 – 50 Familie, Kinder und Jugendliche • Jugendliche brauchen Perspektiven 60 Migration • Mentoring-Programm für besonders begabte Kinder • Dolmetsch-Hotline für medizinische Notsituationen Paritätischer Rundbrief — 2. Quartal 2021 6
Inhalt 2. Quartal 2021 SCHWERPUNKT ParitaetBerlin Eine besondere Beziehung Berlin – Türkei: 60 Jahre Anwerbeabkommen Foto: Margret Müller Foto: Heike Schüler Service Schwerpunkt Hilfe bei Förderanträgen: Unterstützung gab es etwa für Zu Hause in Berlin? Drei Generationen einer den AOB e. V. mit Kursleiterin Maria Dobreff Seite 74 Familie im Gespräch Seite 26 Seite 21 – 41 61 – 63 Nachbarschaftsarbeit und Bezirkliche Arbeit • Einführungstext: Eine historische Einordung. • Festveranstaltung »Stadtteilzentren inklusiv!« Von Dr. Damir Softic • »Design-Koffer« für barrierefreie Beschilderung • Heimat Berlin?! Ein Familiengespräch • Austausch zur Weiterentwicklung von Stadtteilarbeit • Die Frauen, ihre Töchter und Enkelinnen. Von Hatice Akyün • Neues aus dem Bürgerzentrum Neukölln • Vielfalt und Diversität. Von Holger Spöhr • Mitglieder unter Paritätischem Dach mit Bezug 63 Queer zur Türkei • Neue Fachstelle LSBTI*, Altern und Pflege • Eventus-Bildung e. V. verbessert Bildungschancen • IBBC e. V. zeigt Berufsperspektiven in Pflegeberufen • Nachbarschaftszentrum Divan e. V. bietet Kontakte 64 – 70 Paritätische Akademie Berlin im Quartier • Mitglied Initiative Transparente Zivilgesellschaft • Elişi Evi e. V. – Treffpunkt für Mädchen und Frauen • Medienpädagogik: Technik und Didaktik aus aller Welt • Multiplikatoren-Qualifikation mit der HU zu Berlin • Portraits von Berlinerinnen und Berlinern mit Wurzeln in der Türkei • Master Sozialmanagement • Cem Gömüsay arbeitet im Integrationsbüro • Termine Paritätische Foren • Yildiz Kaminski arbeitete im Bereich Handelsstatistik • Weitere Veranstaltungen • Fevzi Aktaş ist Geschäftsführer eines Bildungs unternehmens 71 – 72 Bildungswerk Brandenburg • Yildiz Akgün ist Sozialberaterin • Remzi Kaplan ist Dönerproduzent • Termine Weiterbildungen • Erdal Safak ist Facharzt für Innere Medizin 73 – 77 Service • Neue Mitglieder und Änderungen Wir nutzen eine Genderschreibweise, die auch Barrierefreiheit und eine gute Lesbarkeit ermöglichen • Paritätjob: Stellen suchen und finden soll. Die Bezeichnung von Personengruppen schließt so- • Beratung: Hilfe bei Förderanträgen wohl männliche, weibliche als auch lesbische, schwule, • Impressum bisexuelle sowie trans- und intergeschlechtliche • Fachgruppen und Arbeitskreise Menschen (LSBTI) explizit mit ein. • Telefonverzeichnis Paritätischer Rundbrief — 2. Quartal 2021 7
Aus Stadt und Bezirken Herzlich willkommen beim Paritätischen Wohlfahrtsverband! Clara Schmitz ist seit Dezember 2020 als Mitarbeiterin Assistenz der Geschäftsführung angestellt, da der Paritätische Berlin zum Januar 2021 für zwei Jahre die Federführung der LIGA der Spitzenverbände der freien Wohlfahrtspflege Berlin übernommen hat Mit welchen Erwartungen sind Sie zum Paritätischen Berlin gekommen? In meiner Masterarbeit habe ich mich intensiv mit Wohlfahrtsverbänden aus- einandergesetzt und war stark daran in- teressiert, mehr über diese zu erfahren. Jedoch sollte das weniger durch die theoretische Brille, stattdessen vielmehr praktisch stattfinden. Ich erhoffte mir eine abwechslungsreiche Tätigkeit mit einer Bandbreite an sozialpolitischen Themen und konnte schnell feststellen, dass ich hier am richtigen Platz bin. Die Kolleginnen und Kollegen nehmen sich Zeit, mich in die Thematiken einzufüh- ren und mich inhaltlich mitzunehmen. Clara Schmitz Foto: privat Was genau ist Ihre Aufgabe? Für zwei Jahre werde ich die Assistenz- aufgaben des LIGA-Büros übernehmen, gemacht, strukturell zu arbeiten. Dies Wie viele Namen von Kolleginnen und um die Zusammenarbeit aller Landes- kann ich wunderbar für die verschiede- Kollegen konnten Sie sich bereits mer- verbände der freien Wohlfahrt zu unter- nen Koordinierungsaufgaben im Alltag ken? stützen. Dazu gehören jegliche Organi- nutzen. In meinem Praktikum konnte Durch mein Praktikum in der Geschäfts- sations- und Koordinierungsaufgaben. ich erste Erfahrungen im Verband sam- stelle Bezirke und nun als Assistentin meln und einen Einblick in verschie- der Geschäftsführung in der Landesge- Worauf freuen Sie sich besonders? Was dene Themenbereiche erhalten. Das er- schäftsstelle habe ich mir schon so ei- gehört eher zum Pflichtprogramm? leichtert mir den Einstieg in meine jet- nige Namen verbandsintern einprägen Besonders freue ich mich darauf, die zigen Aufgaben. Persönlich erhoffe ich können. Ich arbeite jedoch daran, mir Vielfalt des Paritätischen und der LIGA mir, mich häufig mit Kolleginnen und weitere Namen zu merken, auch von Berlin kennenzulernen und einen Ein- Kollegen auszutauschen, was natürlich denjenigen, mit denen ich verbandsex- blick in die unterschiedlichen Bereiche durch die Pandemie derzeit schwieriger tern aus anderen Wohlfahrtsverbänden zu erhalten. Hierfür ist es großartig, mit ist und fast ausschließlich virtuell statt- und der Politik zu tun habe. vielen Menschen in Kontakt zu kom- findet. men und gemeinsam Aufgaben zu be- Wo hat man die besten Chancen, Sie wältigen. Zum Pflichtprogramm zählt Was haben Sie in Ihr neues Büro mit- nach Dienstschluss anzutreffen? eher, häufig bei Personen nachzuhaken, gebracht? Ich bin gern draußen und bewege mich. damit Fristen eingehalten werden kön- Eine bunte Kaffeetasse. So kommt es des Öfteren vor, dass man nen; aber auch das gehört dazu. mich im Park beim Joggen in den Reh- Sind Sie auch neu in die Stadt gekom- bergen nach Dienstschluss antrifft. Was wünschen Sie sich für Ihr erstes men, oder haben Sie nur den Job ge- Jahr beim Paritätischen Wohlfahrts- wechselt? Was sollten die neuen Kolleginnen verband Berlin? Ich bin für das Studium 2017 nach Ber- und Kollegen unbedingt von Ihnen Ich wünsche mir, einen umfassenden lin gekommen, das ich letztes Jahr be- wissen? Einblick in die Arbeit zu erhalten und endet habe. Dann bin ich zunächst für Ich arbeite gern mit Menschen zusam- mich für die Federführung der LIGA ein Praktikum und in Folge für meinen men und freue mich über jeden Kontakt sinnvoll einzubringen. In meinem Stu- Start ins Berufsleben beim Paritätischen und jeden Austausch, der entsteht. dium habe ich gelernt und mir zu eigen Berlin gelandet. Paritätischer Rundbrief — 2. Quartal 2021 8
Aus Stadt und Bezirken Was uns bewegt Von Dr. Gabriele Schlimper, Geschäftsführerin des Paritätischen Wohlfahrtsverbands Berlin Impfen, impfen, impfen der Pandemie für viele Menschen ab- »Über kurz oder lang kann das nimmer zumildern. Dafür muss diese Arbeit im länger so weitergehen, außer es dauert Gegenzug auskömmlich finanziert wer- noch länger, dann kann man nur sagen, den. Das betrifft Personal- und Sachkos- es braucht halt alles seine Zeit, und Zeit ten: Die tarifgerechte Bezahlung über wär’s, dass es bald anders wird.« Dieses Zuwendungen muss in der Landes- Zitat wird Karl Valentin zugeschrieben, haushaltsordnung verankert werden. einem 1948 verstorbenen deutschen Auch die Verwaltungsgemeinkosten Komiker und Schriftsteller. Sein zeitlo- sollten als zuwendungsfähig anerkannt ses Zitat lässt uns lächeln, und doch ist und am besten als Pauschalen ausge- es auch ernst. Und es zeigt Ungeduld. reicht werden. Das darf nicht zulasten So geht es uns allen mit der Coronapan- des Leistungsangebots gehen. So wur- demie. Endlich ist nun auch Impfstoff den in der Vergangenheit Kostensteige- für Menschen in der Eingliederungshilfe rungen zum Teil durch Leistungsabbau, da, ein wenig nur. Aber wir sind dankbar darunter auch Stellenreduzierungen, für jede Impfung, denn jede Impfung aufgefangen – das ist kontraproduktiv. macht das gemeinsame Leben im be- Und: Zuwendungsvergaben der unter- treuten Wohnen wieder sicherer. Impf- schiedlichen Verwaltungen des Landes codes werden nun auch an die „jünge- Berlin sollten vereinheitlicht und stan- ren“ Älteren und an zum Beispiel Kita- dardisiert werden. Das würde zu einem erzieherinnen und -erzieher geschickt. effizienteren Arbeiten für beide Seiten Aber wie entwickelt sich die Infektions- beitragen. Tipps bietet auch unsere Bro- situation weiter? Es muss mehr und schüre „Entbürokratisierung der Zuwen- schneller geimpft werden. dungspraxis“, hier als PDF zum Down- load: https://bit.ly/3jTqDFj Fairer Lohn für freie Träger Über die Petitionsplattform change.org Dr. Gabriele Schlimper Mietobergrenzen anders regeln haben wir etwa 11.700 Unterschrif- Foto: Boaz Arad Das Gesetz zur Mietenbegrenzung im ten für die Hauptstadtzulage erhal- Wohnungswesen in Berlin wurde am ten (Stand bei Redaktionsschluss am 15. April vom Bundesverfassungsge- 20.4.2021); 50.000 haben uns davor be- richt für nichtig erklärt. Der sogenannte reits auf dem Postweg erreicht! Warum müssen sozialpolitische Rahmenbedin- Mietendeckel ist nicht generell verfas- ist uns und unseren Mitgliedsorganisa- gungen so gestalten, dass Menschen sungswidrig; es wurde lediglich aufge- tionen das so wichtig? Weil eine faire in sozialer Arbeit ausreichend bezahlt zeigt, dass das Land Berlin keine Miet- Bezahlung nicht nur Angestellten der werden. obergrenzen regeln darf, sondern dass Stadt vorbehalten werden darf. Sie Übrigens: 200 Menschen waren on- der Bund dafür zuständig ist. Wir mei- muss auch für Mitarbeitende freier Trä- line dabei, als wir am 15. April 2021 mit nen: Überhöhte Mieten sollten in Bal- ger gelten, die die gleichen Aufgaben der Initiative Freie Träger – Faire Löhne lungsgebieten im Sinne des Milieu- erledigen, etwa im schulischen Ganz- Politikern die Gründe für die Aufwer- schutzes auf Bundesebene begrenzt tag/Hort, in Einrichtungen der Jugend- tung von sozialer Arbeit verdeutlicht werden. Von den Senatsverwaltungen hilfe, in Stadtteilzentren und vielen Ein- haben. in Berlin erwarten wir, dass sie jetzt so- richtungen mehr. Parallel laufen Tarif- Mehr dazu lesen Sie ab Seite 11. zialverträgliche Lösungen für Mieterin- verhandlungen zwischen Land und nen und Mieter anbieten. Das Recht auf Beschäftigten. Wir fordern außerdem, Refinanzierung sozialer Arbeit: Wohnen ist ein Menschenrecht, das wir die Beschäftigten freier Träger an die- Entbürokratisierung der vor allem schutzbedürftigen Menschen sen künftigen Tarifsteigerungen zu be- Zuwendungspraxis garantieren! Unabhängig davon erwar- teiligen! Die Fraktionsvorsitzenden Die Leistungsfähigkeit unserer Mit- ten wir, dass auf Bundesebene auch die und unser Regierender Bürgermeister gliedsorganisationen hat maßgeblich Gewerbemieten für soziale Organisatio- haben Post von uns dazu erhalten. Wir dazu beigetragen, die negativen Folgen nen begrenzt werden. Paritätischer Rundbrief — 2. Quartal 2021 9
Aus Stadt und Bezirken Nachruf auf Werner Ruppelt Der Gründer, langjährige Vorsitzende und Ehrenmitglied des Vereins Jahresringe Berlin ist verstorben W erner Ruppelt, Mitgründer und langjähriger Vorsitzen- der des Jahresringe Gesamt- verband e. V. sowie Ehrenmitglied des Landesverbandes Jahresringe Berlin e. V., ist am 17. Januar 2021 nach langer Krankheit verstorben. Der Jahresringe e. V. wurde 1990 von Werner Ruppelt und seiner Frau ge- gründet. Es handelte sich um einen so- zialen Verband, in dem sich in Zeiten des gesellschaftlichen Umbruchs in den neuen Bundesländern Betroffene, ins- besondere Vorruheständler, mit Ideen, Tatendrang, Wissen, Erfahrungen, dem Gefühl gebraucht zu werden und gefor- dert zu sein, eingebracht haben. Es entstanden innerhalb des Gesamt- verbandes Landesverbände in Bran- denburg und Mecklenburg-Vorpom- mern, Gruppen wie in Dresden und Freiberg, später der Verband von Russ- landdeutschen (INA) und die Gesell- schaft für Arbeit und Bildung e. V., zeit- weise mit bis zu 2000 Mitgliedern ins- gesamt. In Berlin bildeten sich in allen östlichen Stadtbezirken Gruppen. Das 1971 auf Initiative der Eheleute Käte und Harry Tresenreuter im dama- ligen Westberlin gegründete Sozial- werk Berlin e. V. war ein engagierter Unterstützer und Berater der Jahres- ringe. Werner Ruppelt Foto: Wolfgang Wiek »Wer anderen hilft, hilft sich selbst«, war Motivation für viele Mitglieder, sich sozial in ausschließlich ehrenamt- Werner Ruppelt konnte seine Erfah- teil ihres gesellschaftlichen Lebens. lichem Engagement einzubringen. Sie rungen als zeitweise berufenes Mitglied Werner Ruppelt, als Vorsitzender des gestalteten in Arbeitskreisen, Projek- in den programmspezifischen Arbeits- Gesamtverbandes, hat mit seinem un- ten und Interessengemeinschaften ein kreis der Robert Bosch Stiftung auch ermüdlichen persönlichen Einsatz dazu aktives, soziales, kommunikatives und an andere soziale Projekte und Vereine beigetragen, dass Menschen in Jahren kulturelles Verbandsleben. weitergeben. ihrer zweiten Lebenshälfte und in Zei- Durch das Programm »Soziale Bür- Nach weitgehendem Erreichen der ten des gesellschaftlichen Umbruchs gerinitiativen in den neuen Bundeslän- Gründungsziele und aufgrund des fort- einen neuen Sinn und aktive Lebensin- dern« der Robert Bosch Stiftung gab geschrittenen Alters der aktiven Mit- halte erfahren haben. es für entstandene Projekte für das En- glieder wurde 2012 der Gesamtverband Wir werden uns gern an Werner Rup- gagement von Mitgliedern eine sta- und 2018 der verbliebene Berliner Lan- pelt erinnern. bile Basis, um sozial Benachteiligten desverband aufgelöst. sowie Arbeitslosen Beratung und Hilfe Für die Vereinsmitglieder waren die Karin Splittgerber, ehemalige Vorsitzende zu geben. Jahresringe ein wesentlicher Bestand- Jahresringe Berlin e. V. (1993–2018) Paritätischer Rundbrief — 2. Quartal 2021 10
Aus Stadt und Bezirken Mehr als 11.700 Unterschriften Unsere Online-Petition #HauptstadtzulageFürAlle läuft weiter – unterschreiben Sie und teilen Sie unsere Petition in Ihrem Netzwerk Dr. Gabriele Schlimper, Geschäftsführerin Paritätischer Berlin, bei der Protestaktion vor dem Roten Rathaus Foto: Holger Groß W ir fordern die Hauptstadtzu- im schulischen Ganztag/Hort, in Ein- der freien Träger in der sozialen Arbeit lage und eine faire Bezah- richtungen der Wohnungslosenhilfe, in zu zahlen. lung für alle Beschäftigten in der Jugendhilfe, der Geflüchtetenhilfe, der sozialen Arbeit und damit auch für in Einrichtungen für Menschen mit Be- Beschäftige freier Träger künftig an die Mitarbeitenden freier Träger! Aus hinderung und seelischen Erkrankun- Tarifsteigerungen beteiligen diesem Grund haben wir im März die gen; es geht um Mitarbeitende in Be- Wir fordern außerdem, die Beschäftig- Online-Petition »Hauptstadtzulage für ratungsstellen, in Stadtteilzentren und ten freier Träger an künftigen Tarifstei- alle« auf der Petitionsplattform change. viele mehr. gerungen zu beteiligen. Die Leistungen org gestartet. Die Entscheidung der Regierung, der Mitarbeitenden freier Träger sind nur den Beschäftigten im öffentlichen genauso viel wert wie die der Landes- Gleiche Behandlung für alle Dienst und der landeseigenen Betriebe beschäftigten! Damit wir alle gute so- Beschäftigten, den öffentlichen diese Zulage zu zahlen, bedeutet eine ziale Arbeit für Berlin leisten können: Dienst und für freie Träger eklatante Benachteiligung von Mit- Unterstützen Sie unsere Forderungen, Das Land Berlin zahlt seinen eigenen arbeitenden freier gemeinnütziger Trä- und unterzeichnen Sie jetzt! Beschäftigten seit dem 1. November ger, die eine genauso hervorragende 2020 eine Hauptstadtzulage von 150 Arbeit leisten. Diese Ungleichbehand- Euro pro Monat. Die Beschäftigten der lung wollen wir nicht hinnehmen! freien gemeinnützigen Träger erhalten Der Paritätische Wohlfahrtsverband Wissenswertes diese Hauptstadtzulage nicht. Es geht Berlin fordert von der rot-rot-grünen Sie finden die Petition unter: hierbei um die Mitarbeitenden in allen Regierung des Landes Berlin, die Haupt- bit.ly/Hauptstadtzulagefüralle sozialen Organisationen, wie in Kitas, stadtzulage auch den Mitarbeitenden Paritätischer Rundbrief — 2. Quartal 2021 11
Aus Stadt und Bezirken Hauptstadtzulage für alle – Ungleichheit beenden So kreativ haben sich Paritätische Mitglieder an der Protestaktion beteiligt G emeinsam mit seinen Mitgliedern setzt sich der Paritätische Wohlfahrtsverband Berlin dafür ein, die Hauptstadtzulage auch den Mitarbeitenden freier Träger zu bezahlen. Hier einige Beispiele Paritätischer Mitglieder, die zum Unterstützen der Aktion Mitarbeitende beziehungsweise den Eingang ihrer Einrichtung mit dem Plakat »Hauptstadtzulage für alle« fotografiert und das Bild an unsere Pressestelle zum Weiterverbreiten über unsere Social-Media-Kanäle und andere Medien ge- schickt haben. Kita am Schlosspark des ASB Foto: ASB Mitarbeitende des Kinderschutzbundes Berlin Foto: Kinderschutzbund Vor dem Eingang der Integrationskindertages Mitarbeiter Thomas Marquardt in der Kita Pelikan stätte der Lebenshilfe Berlin Foto: Lebenshilfe der Volkssolidarität Berlin Foto: Volkssolidarität Paritätischer Rundbrief — 2. Quartal 2021 12
Aus Stadt und Bezirken Schulstation von tandem BTL Foto: tandem BTL Am Eingang des Betreuten Wohnens der Pfefferwerk Christine Langer vom Lesben- und Schwulenverband Stadtkultur gGmbH Foto: Pfefferwerk Deutschland Foto: LSVD Mitarbeitende des Vereins für aktive Vielfalt vor ihrer Einrichtung Foto: Verein für aktive Vielfalt Paritätischer Rundbrief — 2. Quartal 2021 13
Aus Stadt und Bezirken berlinbessermachen D ie Aktion #berlinbessermachen mit Portraits von Men- soll es weiterhin geben, nicht nur als Slogan, sondern auch in schen, die sich in unseren Mitgliedsorganisationen en- Berichten, Portraits und Interviews über Menschen aus unse- gagieren, haben wir vergangenes Jahr aus Anlass des ren Paritätischen Mitgliedsorganisationen. Denn nur gemein- 70-jährigen Bestehens des Verbands gestartet. Inzwischen sam können wir #berlinbessermachen. Wir halten Sie auf dem gibt es mehrere Videos, Podcasts und über 30 Portraits auf Laufenden. www.berlinbessermachen.de nachzulesen, anzusehen oder Das Team der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit nachzuhören. Die Portraitierten sind in verschiedenen sozia- len Bereichen aktiv – ehrenamtlich oder hauptamtlich. Was sie Wissenswertes eint, ist ihr großes Engagement für andere. Die Website finden Sie unter: www.berlinbessermachen.de Das beeindruckt und inspiriert. Und das ist auch das Ziel der Die Podcasts auf Spotify oder Apple Podcast unter Aktion: zu zeigen, dass es sich lohnt, sich einzubringen. Auch #berlinbessermachen. wenn unser Jubiläumsjahr vorbei ist, #berlinbessermachen »Berlin muss darauf achten, dass es bezahlbaren Wohnraum behält, gut in soziale Projekte und Infrastruktur investiert.« Andreia dos Santos Filipe, Projektkoordinatorin im Kulturcafé des Nachbarschaftshauses Friedenau des Nachbarschaftsheims Schöneberg e. V. D ie Arbeit in sozialen und kulturel- len Projekten ist durch Corona anders geworden. Auch Andreia dos Santos Fi- kreativen und kulturellen Bereich. Darüber hinaus betreut sie ein Projekt für ehrenamt- liche Familienpaten. »Gerade in Zeiten von lipe spürt das natürlich bei ihrer Arbeit im Corona mit steigender häuslicher Gewalt, Nachbarschaftsheim Friedenau. Im von ihr Homeschooling und Betreuungsproble- vor zehn Jahren gegründeten Kultur-Café men ist diese Unterstützung für Familien bringt sie ganz unterschiedliche Menschen besonders wichtig«, berichtet sie. zusammen, inspiriert sie, motiviert sie zu Damit ihre und ähnliche Projekte in der eigenem und schafft gemeinschaftlich ge- ganzen Stadt weiter gut arbeiten können, teilte Glücksmomente – mit Musik, Vor- brauche es einige Anstrengungen von ver- trägen, Tanz, Literatur, Kreativangeboten, schiedener Seite. »Berlin muss darauf ach- Gruppen und Kursen. ten, dass es bezahlbaren Wohnraum behält, Um die Angebote unter den veränder- gut in soziale Projekte und Infrastruktur in- ten Bedingungen mit nötiger sozialer Dis- Andreia dos Santos Filipe vestiert«, sagt Andreia dos Santos Filipe. tanz weiterführen zu können, brauchte es Foto: Jörg Farys / www.dieprojektoren.de Damit Berlin noch besser wird, sei nicht Ideen. »Da ich aus einer kreativen Branche nur die Politik gefragt. »Auch die Menschen komme, bin ich es gewohnt, sehr flexibel tivitäten, Onlineproben der Chöre oder vir- selbst können etwas gegen die zuneh- zu denken und Lösungen zu finden«, sagt tuelle Ausstellungen der Fotogruppe sind mende Entsolidarisierung und die soziale Andreia dos Santos Filipe, die Literatur- weitere Beispiele. Konzerte wurden in den Entfremdung tun, indem sie sich einfach und Medienwissenschaften studiert hat Garten und vor das Haus verlagert, und es in der Nachbarschaft engagieren.« Es seien und früher im Bereich TV, Rundfunk und in fanden individuelle Dankeschönkonzerte nicht immer die großen Gesten: »Vor dem der Öffentlichkeitsarbeit tätig war. Das Kul- für die ehrenamtlich Helfenden statt. Haus den Müll einsammeln oder Menschen tur-Café profitierte von dieser Fähigkeit; es Die meisten Angebote des Kultur-Cafés in der eigenen Nachbarschaft Hilfe anbie- wurde mit neuen Formaten weitergeführt. werden in gewöhnlichen Zeiten ehren- ten, nicht wegschauen, wenn Menschen Vor dem Haus gibt es nun »Kultur to go«, amtlich von Nachbarn für Nachbarn orga- Hilfe brauchen«. Auch virtuell könne man kleine Körbe mit Bastelanleitungen, Tex- nisiert, unterstützt von hauptamtlich Mit- in Coronazeiten und sogar im Lockdown ten, Büchern aus dem Tauschregal. »So arbeitenden. Andreia dos Santos Filipe ist andere unterstützen, beispielsweise Fami- kommen wir auch mit den Menschen ins dafür die Ansprechpartnerin sowie für ver- lien mit besonderen Herausforderungen. Gespräch«, erklärt sie. Livestreams der Ak- schiedene Gruppen und Kurse aus dem Nina Roßmann, Autorin Paritätischer Rundbrief — 2. Quartal 2021 14
Aus Stadt und Bezirken »Man muss verstehen, was der Mensch braucht, was er sich wünscht.« Dr. Dharma Raj Bhusal, Leiter des interkulturellen ambulanten Hospizdienstes Dong Ban Ja des Humanistischen Verbands Berlin Brandenburg 35 Prozent der Berlinerin- nen und Berliner haben entweder eine nichtdeutsche helfen konnte und fand sie bei Dong Ban Ja, wo er 2010 als Eh- renamtlicher anfing. Heimat herstellt. Als er noch recht neu bei Dong Ban Ja war, begleitete er eine koreanische Nationalität oder sind im Aus- Einmal wurde er in ein Kran- Ehrenamtliche. Sie hatte einer land geboren. Im Alter haben kenhaus gerufen, in dem ein vi- sterbenden Person eine Suppe diese Menschen besondere Be- etnamesischer Mann bereits im gekocht, die diese sich ge- dürfnisse: »Wer fortgeschrit- Sterben lag. Er war Buddhist, wünscht hatte. Kaum hatte der tene Demenz hat oder im Ster- und als er erfuhr, dass Dharma Löffel ihre Lippen berührt, starb ben liegt, vergisst oft die er- Bhusal aus Nepal, der Hei- sie. »Sie hat auf die Suppe ge- lernte Sprache und fällt zurück mat Buddhas kommt, setzte er wartet«, glaubt Bhusal. in die Muttersprache«, erklärt sich plötzlich auf und begann »Darum geht es in unserer Be- Dr. Dharma Raj Bhusal. mithilfe der muttersprachli- gleitung: Man muss verstehen, Zur Sterbebegleitung kam Dr. Dharma Raj Bhusal chen Begleiterin aus Vietnam, was der Mensch braucht, was er der promovierte Jurist, So- Foto: Hoffotografen stundenlang zu erzählen. »Ich sich wünscht.« Damit dies mög- ziologe und Wirtschaftsinge- konnte das kaum glauben«, lich ist, ist eine längere Beglei- nieur über den Tod eines indi- berichtet Bhusal. »Noch heute tung nötig. Er würde es daher schen Freundes. »Er war wie ein sen Wunsch gerne erfüllt.« Er kriege ich Gänsehaut, wenn ich begrüßen, wenn Pflegeheime Vater für mich«, erzählt er. »Ich begab sich auf die Suche nach das erzähle.« möglichst frühzeitig auf ihn zu- wusste, dass er in Indien ster- einer Möglichkeit, wie er Men- Manchmal ist es auch ein kommen. ben wollte, und hätte ihm die- schen in einer ähnlichen Lage Duft, der die Verbindung zur Dominique Hensel, Autorin »Die Leute müssen ihre Scheu überwinden, nach Hilfe zu fragen.« Georg Hadjidimitriou, Ehrenamtlicher bei der Nachbarschaftshilfe Steglitz-Zehlendorf des Mittelhof e. V. K eine Bohrmaschine? Die Wohnung muss gestri- chen, das Kind betreut wer- Georg Hadjidimitriou fährt Nachbarn zum Arzt, organisiert Putzkräfte, entrümpelt Keller. ment auf Video festgehalten und auf YouTube gestellt, um allen zu zeigen, so soll das sein: den? Da fragen wir die Nachba- Einmal meldete sich ein ver- Akzeptiert meine Hilfe einfach rin! Schöne Idee, aber geht na- zweifeltes älteres Ehepaar: Die als das, was sie ist: eine ehrlich türlich nicht. Oder etwa doch? schwere Schiebetür ihres Klei- gemeinte nachbarschaftliche Der Mittelhof e. V. kümmert sich derschranks hatte sich verkan- Unterstützung.« darum, dass das Um-Hilfe-Bit- tet, und sie kamen nicht mehr »Es gibt genug Menschen, ten einfacher wird. an ihre Kleidung heran. Dieser die helfen wollen«, berichtet Im September 2019 eröff- »Fall« ist Georg Hadjimitriou in er. »Aber die Leute müssen ihre nete der Verein seinen Nachbar- ganz besonderer Erinnerung Scheu überwinden, nach Hilfe schaftsladen in Steglitz-Zehlen- geblieben – und das nicht nur, zu fragen.« Dadurch, dass die dorf und bringt Nachbarn, die weil das Problem nicht ganz Zehlendorfer Nachbarschafts- helfen wollen, mit denen zu- einfach zu lösen war. Als die hilfe immer bekannter wird, soll sammen, die Hilfe benötigen. Tür wieder in den Angeln saß, Georg Hadjidimitriou sich das ändern: Angebot und Georg Hadjidimitriou war von wappnete er sich bereits auf Foto: Georg Hadjidimitriou Nachfrage finden zusammen – dem Konzept sofort überzeugt. das abschließende ‚Was kriegen im Sinne von mehr Nachbar- In einer größeren Gemeinschaft Sie?‘, das er so oft bekommt. schaftlichkeit, der maximalen leben, ein bisschen Dorf in die »Das ist nett gemeint, aber ich mit einem herzlichen Lächeln. Nutzenoptimierung sozusagen. Stadt bringen – das kommt sei- mache das ehrenamtlich, und Das war‘s. »Sie können sich gar Als Wirtschaftswissenschaftler ner Idealvorstellung von einem eigentlich wissen die Leute nicht vorstellen, wie erleichtert kennt sich Georg Hadjidimitriou besseren, sozialeren Berlin sehr das auch«, erzählt er. Das äl- ich da war«, schmunzelt er: »Am damit aus. nahe. tere Ehepaar jedoch dankte ihm liebsten hätte ich diesen Mo- Nina Roßmann, Autorin Paritätischer Rundbrief — 2. Quartal 2021 15
Aus Stadt und Bezirken Kampagne »Wir.sind.Kultur.« Der Paritätische Wohlfahrtsverband Berlin unterstützt die Initiative des Landesmusikrats Berlin U m die Kulturlandschaft in Berlin gerade mit Blick auf die aktuelle Krise nachhaltig zu sichern, ruft der Landesmusikrat Berlin gemeinsam mit seinen Kooperationspartnerinnen und Kooperationspartnern zur Beteili- gung an der Kampagne Wir.sind.Kultur. Ohne Kultur keine Gesellschaft für ein Berliner Kulturfördergesetz auf. Wir brauchen ein Kulturfördergesetz für BERLIN! Abgeleitet aus Artikel 20 Absatz 2 der Landesverfassung soll der gesellschaft- liche Stellenwert von Kunst und Kultur Wir.sind.Kultur.-Logo Foto: Landesmusikrat Berlin in einem Gesetz ausgestaltet werden. Damit können mehr Transparenz, Ver- lässlichkeit und Beteiligung durch einen book, Snapchat oder Twitter, dass Sie nen Erleben, was Berliner Kultur für Sie regelmäßigen und verbindlichen öf- für ein Kulturfördergesetz eintreten, ausmacht – oder auch, wo sie fehlt. Bitte fentlichen und parlamentarischen Dis- etwa mit einem Selfie und einem Satz reichen Sie Ihre Beiträge bis zum 15. Au- kurs über Kunst und Kultur hergestellt unter dem Betreff »Wir sind Kultur«. gust 2021 ein. werden. Wir.sind.Kultur. hat drei Ziele: Laden Sie das Logo »Wir.sind.Kultur.« herunter, drucken Sie es aus und halten Logo »Wir.sind.Kultur.« 1 Berliner Kulturschaffende durch die Sie es in die Kamera. Oder zeigen Sie es Nutzen Sie das Logo »Wir.sind.Kultur.« Krise bringen, auf Ihrem Tablet und fotografieren Sie für Ihre E-Mail-Signaturen, Drucksachen 1 Kulturszene in Berlin wieder auf- sich mit Ihrem Telefon. und Aktionen. bauen, 1 Berliner Kultur mit einem Kulturför- Medienwettbewerb dergesetz nachhaltig absichern. »Wir.sind.Kultur.« Bringen Sie es auf den Punkt: »Wir.sind. Wissenswertes Wie können Sie sich beteiligen? Kultur.« In einem Foto, einem kurzen Weitere Informationen finden Sie unter: Gesicht zeigen – für ein Kulturförder- Text, einem kurzen Videoclip. Zeigen Sie www.wir-sind-kultur.berlin gesetz. Zeigen Sie auf Instagram, Face- im Alltag, auf der Straße, in Ihrem eige- Zuwendungen oder Leistungsentgelte? Workshop vermittelt Herausforderungen und Chancen der jeweiligen Finanzierungsart D ie Finanzierung von Angeboten gliedsorganisationen Anfang März organisationen geleitet und ist neben und Leistungen in der Sozialwirt- 2021 konnten gemeinsam mit Mitglie- seiner Beratertätigkeit als Lehrbeauf- schaft erfolgt verstärkt über Leis- dern Grundsatzfragen geklärt und die tragter tätig. Das Interesse der Mit- tungsentgelte und Zuwendungs- bezie- strategischen Optionen diskutiert wer- gliedsorganisationen an diesem Aus- hungsweise Leistungsverträge. Oft ist den. Der Workshop wurde digital von tausch war sehr groß, sodass der Work- nicht klar, was genau jeweils zu regeln Heinrich B. Pieper gestaltet. Er ist Be- shop drei Mal in Folge durchgeführt ist und welche Herausforderungen und triebswirt mit langjähriger Erfahrung wurde. Chancen mit den verschiedenen Finan- in der Leitung sozialwirtschaftlicher zierungsbedingungen verbunden sind. Organisationen, hat im Paritätischen Anika Göbel, Bezirksbeauftragte für Mitte, Spandau In einem von der Geschäftsstelle Be- Landesverband die Abteilung Betriebs- und Steglitz-Zehlendorf / Stadtteilarbeit und Wirkung zirke organisierten Workshop für Mit- wirtschaftliche Beratung für Mitglieds- in der Geschäftsstelle Bezirke Paritätischer Rundbrief — 2. Quartal 2021 16
Aus Stadt und Bezirken Gründung von Fachschulen Um mehr Fachkräfte zu gewinnen, gründen Träger eigene Bildungseinrichtungen, zu denen auch das Procon College gehört I mmer mehr gemeinnützige Träger in Uwe Lamm: Das Procon College vermit- Berlin gründen vor dem Hintergrund telt nicht nur sämtliche Kenntnisse, die des Fachkräftebedarfes eigene Fach- für die Arbeit als Erzieher und Erziehe- schulen für Sozialpädagogik. Neu im Ver- rin in Krippen und Kitas benötigt wer- band ist das Procon College, dessen Trä- den. Das ist zwar die Grundlage, wir er- ger contact – Jugendhilfe und Bildung arbeiten aber besonders das fachliche gGmbH in Steglitz-Zehlendorf mit dem Know-how für den Einsatz in Schulen, Geschäftsführer Uwe Lamm und proFam Kinder- und Jugendfreizeiteinrichtun- gGmbH mit dem Geschäftsführer Peter gen und vor allem in den Hilfen zur Er- Heinssen sind. Im Interview mit Uwe ziehung. Denn die Erfahrung zeigt, dass Lamm wird das Angebot vorgestellt. es Erzieherinnen und Erzieher in die- sen Arbeitsbereichen an fachlichem Wer hatte die Idee, eine Fachschule Hintergrundwissen mangelt. Doch ge- Procon-Seminarraum für Sozialpädagogik zu gründen und rade dort werden sie stärker denn je ge- Foto: A. Hagen-Penther warum? braucht. Darüber hinaus nehmen wir vor allem die systemische Sichtweise Uwe Lamm: Hinter der neuen Fach- gewinnbringend in den Blick. schule stehen zwei Paritätische Träger: Wie wurde vor diesem Hintergrund die contact – Jugendhilfe und Bildung Was kann man sich unter einer syste- das Dozentinnen- und Dozententeam gGmbH und proFam gGmbH. Wir arbei- mischen Pädagogik in der Erzieherin- zusammengesetzt? ten schon seit knapp zwanzig Jahren in nen- und Erzieherausbildung vorstel- der Pflegekinderhilfe zusammen. Uns len? Uwe Lamm: Wir haben einen sehr er- war immer wieder klar, dass es einen fahrenen Schulleiter gewinnen können, riesigen Bedarf an qualifizierten Erzie- Uwe Lamm: Wir wollen Fachkräfte aus- Andreas Hagen-Penther. Er hat die Fach- hern und Erzieherinnen gibt. Diese wer- bilden, die nicht nur ihre Einrichtung schule inhaltlich und organisatorisch den bisher eher für den Kitabereich aus- im Blick haben. Die sozialräumliche aufgebaut. Wir arbeiten ausschließlich gebildet, zu wenig aber für Schule, Ju- Orientierung ist uns wichtig, das heißt, mit engagierten Dozentinnen und Do- gendfreizeiteinrichtungen und Hilfen sie sollen von vornherein auch die Um- zenten zusammen, von denen viele di- zur Erziehung. Die Lücke wollten wir gebung der Einrichtung, den Kiez, den rekt aus der Praxis der ambulanten und schließen, indem wir Interessierte be- Bezirk mitdenken. Ihr Blick soll erwei- stationären Kinder- und Jugendhilfe rufsbegleitend für die Hilfen zur Erzie- tert werden. Wir alle leben in Bezugs- kommen. hung fit machen. systemen, die stärker in der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen fokussiert Wann startet die Ausbildung am Pro- Warum gerade berufsbegleitend? werden müssen. Die stärkere Einbe- con College? ziehung der Familie beziehungsweise Uwe Lamm: Wir möchten Mitarbeiten- des familiären Kontextes und Umfel- Uwe Lamm: Wir haben im Sommerse- den anderer Träger die Möglichkeit des sind immer mitzudenken. Zum Ab- mester 2020 mit einer ersten berufs- geben, sich berufsbegleitend weiterzu- schluss der dreijährigen Ausbildung er- begleitenden Klasse gestartet. Dort qualifizieren. Es geht uns auch darum, halten Studierende zusätzlich ein Zerti- sind es derzeit neun Studierende. Die eigene Nachwuchskräfte zu fördern. fikat als »Systemische Erzieher und Er- nächste Klasse beginnt im Winterse- Also allen Menschen, die schon im Beruf zieherin«. Damit sind sie auch sehr gut mester 2021/22 im August 2021. sind und weiter möchten, eine Perspek- für alle Stellen außerhalb von Kitas vor- tive zu geben. Vor allem ist uns der Pra- bereitet. Neben der Ausbildung in Vol- xis-Theorie-Austausch wichtig, der so oder Teilzeit bietet das Procon College Wissenswertes effektiver genutzt werden kann. auch Fort- und Weiterbildungen über Alle Informationen zu Inhalten und »Systemische Grundlagen« und zur zer- Terminen sind zu finden unter: Was sind die Besonderheiten dieser tifizierten Fachkraft für Hilfen zur Erzie- https://www.procon-college.de/ Fachschule? Gibt es Schwerpunkte? hung an. Paritätischer Rundbrief — 2. Quartal 2021 17
Aus Stadt und Bezirken Nachbarschaftsangebote und Selbsthilfe während des Lockdowns Stadtteilzentren und Selbsthilfekontaktstellen als Teil der systemrelevanten sozialen Infrastruktur in Marzahn-Hellersdorf S tadtteilzentren und Selbsthilfe- demie unter den Hygienemaßgaben amt, insbesondere der Bezirksstadträtin kontaktstellen bieten während des aufrechterhalten werden und wurden Juliane Witt und der Sozialamtsleiterin Lockdowns in Marzahn-Hellersdorf an die pandemiebedingt veränderten Melanie Rubach für die Rahmenbedin- wichtige soziale Angebote in nachbar- Bedarfe der Nachbarinnen und Nach- gungen dieser langjährig gewachse- schaftlichen Netzwerken. Der bezirkliche barn angepasst. nen Strukturen, die den hohen Grad an Stadtteilzentrenvertrag in Marzahn-Hel- Die Geschäftsstelle Bezirke betonte in Systemrelevanz sozialräumlicher Ange- lersdorf ist hier wichtige Grundlage für einem Empfehlungsschreiben die be- bote bestätigen. ein flexibles, sozialräumliches Angebot sondere Bedeutung der Angebote der Markus Pleyer, Bezirksbeauftragter für in jedem Stadtteil des Bezirkes. Stadtteilzentren und Selbsthilfekontakt- Marzahn-Hellersdorf / Arbeit und Beschäftigung / Datenschutz in der Geschäftsstelle Bezirke Das konstruktive Miteinander von stellen im Bezirk und trug exemplarisch Politik, Verwaltung und vertragsneh- eine Vielzahl von unersetzlichen Ange- menden Verbänden sowie den sozialen boten dieser Nachbarschaftsarbeit und Wissenswertes Organisationen als Träger der Stadtteil- Selbsthilfe zusammen, die unter Beach- Das Empfehlungsschreiben mit konkre- zentren hat wesentlich dazu beigetra- tung der aktuellen Hygienevorschriften ten Angeboten – von Telefonberatung gen, den gesellschaftlichen Zusammen- aufrechterhalten werden. über Onlinekonferenzen bis Einkaufs- halt im Bezirk zu stärken und soziale Iso- Der Paritätische bedankt sich mit hilfen – in Marzahn-Hellersdorf finden lation und Notlagen etwas zu lindern. dem Papier auch bei den Vertragspart- Sie hier: Wichtige Angebote für verschiedenste nerinnen des Stadtteilzentrenvertrages https://bit.ly/3sXZR2g Zielgruppen konnten während der Pan- und den Verantwortlichen im Bezirks- Digitalisierung, Innovation und Wirkung Krise als Chance Zivilgesellschaft wirkt, auch unter Druck. Warum und wie die Politik sie stärken muss F reie gemeinnützige Organisatio- Dabei geraten sie selbst auch mehr Herausforderungen stellen, und eine nen als Teil der Zivilgesellschaft und mehr unter finanziellen und lei- davon ist die Frage danach, wie sie kon- sind derzeit gefragt und belas- der teilweise auch politischen Druck. kret wirken. Als Verband haben wir uns tet zugleich. Genau wie beim Auffan- Zivilgesellschaftliche Organisationen dieses Themas angenommen. Mit dem gen von Hunderttausenden geflüchte- nerven manchmal, und das sollen sie Fokus auf Wirkungsorientierung geben ten Menschen in den Jahren 2016/2017 auch. Denn sie machen immer wieder wir der Zivilgesellschaft Methoden und zeigt auch die gegenwärtige Corona- auf drängende sozialpolitische Themen Denkweisen an die Hand, die bei der pandemie, dass auf zivilgesellschaftli- aufmerksam und setzen sich dafür ein, Konzeption, Durchführung und Analyse che Organisationen Verlass ist. Egal ob dass diese auf die politische Agenda von wirkungsorientierten Vorhaben zur Kitas, Pflegeeinrichtungen, Wohnungs- kommen. Sie erkennen, wer Hilfe benö- positiven Veränderung von gesellschaft- losenhilfe, Nachbarschaftszentren, Ju- tigt. Es entstehen – im Sinne der Hilfe lichen Herausforderungen unterstützen. gendclubs oder Hilfsdienste: gemein- zur Selbsthilfe – neue Initiativen durch Dazu dienen unsere Kurse in Wirkungs- nützige Organisationen haben seit Be- Betroffene selbst, die sich Strukturen management an der Paritätischen Aka- ginn der Pandemie ihr Möglichstes geben. demie sowie unsere Netzwerke. getan, um auch weiterhin für ihre Nut- Zivilgesellschaftliche Organisatio- zerinnen und Nutzer da sein zu können. nen erproben neue Methoden, Prozesse Für mehr Sichtbarkeit mit Durch ihre Rolle als systemrelevante und Strukturen, um nichtkommerzielle #berlinbessermachen Krisenbewältiger müssen sie sozial-in- Räume für alle zu schaffen und um Hilfe- Für ein Projekt des Landesverbandes novativ denken, um der Krise zu be- bedürftige zu erreichen und einzubezie- haben wir uns genau diese Denkweise gegnen und diese zu bewältigen. hen. Dabei müssen sie sich auch selbst auch zur Unterstützung genommen: Auf Paritätischer Rundbrief — 2. Quartal 2021 18
Digitalisierung, Innovation und Wirkung der Internetseite berlinbessermachen.de gibt es zahlreiche Good-Practice-Bei- spiele dafür, wie sich Menschen in Ber- liner gemeinnützigen Organisationen zivilgesellschaftlich engagieren und damit Berlin zu einer lebenswerteren Stadt machen. Damit wollen wir auch andere ermutigen, Berlin mitzugestal- ten. Auch in rauen Zeiten wollen wir an unserer Vision festhalten, »sachkun- dige und zeitgerechte Sozialarbeit zum Wohle der Gesellschaft und des ein- zelnen Menschen zu leisten«. Denn so steht es in unserer Satzung. Gemeinnützige Organisationen sind auch Social Entrepreneurs Somit lassen sich präziser die positi- ven Effekte sozialer Arbeit überall in Berlin beschreiben. Es zeigt sich mehr und mehr, dass gemeinnützige Organi- sationen oftmals ebenso Social Entre- preneurs sind. Neben dem Entwickeln von neuen Angeboten und Antworten auf soziale Notlagen müssen soziale Or- ganisationen wirtschaften. Sie mana- gen ein Konglomerat an Zuwendun- gen, Leistungsentgelten, Eigenmitteln oder Crowd-Funding-Einnahmen. Sie sind Arbeitgeber für Tausende Men- schen und Anlaufstellen für freiwillig Engagierte in ganz Berlin. Gemeinnützige Organisationen als Teil der Zivilgesellschaft sind kein Dienstleister für Politik und Verwaltung. Im Sinne des Subsidiaritätsprinzips ist ihre Rolle die der Partner auf Augen- höhe, die es zu stärken gilt. Denn zivilge- sellschaftliche Organisationen sind die Basis, auf der unsere Demokratie steht. Sie stehen für gesellschaftlichen Zusam- menhalt, für Solidarität und für Mensch- lichkeit. Wir brauchen mehr davon. Anne Jeglinski, Leiterin der Geschäftsstelle Bezirke / Innovation und Wirkung Wissenswertes Die Aktion #berlinbessermachen unse- res Verbands zeigt Menschen in Berliner gemeinnützigen Organisationen, die sich unter anderem zivilgesellschaftlich engagieren und damit Berlin zu einer lebenswerteren Stadt machen: Symbolbild: Mit Umsicht und Engagement durch die Coronapandemie https://www.berlinbessermachen.de/ Foto: Markus Spiske / Unsplash Paritätischer Rundbrief — 2. Quartal 2021 19
Gesamtverband Mit Blick auf das Superwahljahr 2021 Mehr als 400 Organisationen unterzeichnen Erklärung für Menschlichkeit und Vielfalt – gemeinsame Pressemitteilung M it der gemeinsamen Erklä- nung, was in Deutschland lange als bänden, Initiativen und Einrichtungen rung zeigen zum Auftakt des überwunden galt«, warnen die Unter- mitgetragen. Wahljahres 435 Verbände, Ini zeichnenden. Zum Hintergrund: Bereits im April tiativen und Einrichtungen aus dem Die Mitzeichnenden, die von Orga- 2018 und im November 2019 haben Bereich der Behindertenhilfe und der nisationen der Selbsthilfe über För- sich zahlreiche Verbände öffentlich sozialen Psychiatrie gemeinsam klare der- und Inklusionsorganisationen bis gegen Versuche aus den Reihen der Haltung gegen Rassismus und Rechts- zu Spitzenverbänden der freien Wohl- AfD positioniert, Menschen mit Behin- extremismus und warnen vor Hetze fahrtspflege reichen, zeigen sich ent- derungen und psychischen Erkrankun- und Stimmungsmache rechter Akteu- schlossen, Hass und Hetze entgegen- gen herabzuwürdigen und für rassisti- rinnen und Akteure, wie der AfD und zutreten: »Wir lassen nicht zu, dass in sche Stimmungsmache zu instrumen- ähnlicher Bewegungen. Deutschland eine Stimmung erzeugt talisieren. Mit Sorge beobachten die Verbände, wird, die unsere Gesellschaft spaltet«, Ulrich Schneider, Hauptgeschäfts- wie versucht wird, eine Stimmung zu heißt es in der Erklärung. führer des Paritätischen Gesamt- erzeugen, die Hass und Gewalt nicht Durch Aufklärung, Beratung und öf- verbands: »Wer in heutiger Zeit die nur gegen Menschen mit Behinderung, fentlichkeitswirksame Aktionen soll Gleichberechtigung oder gar die Exis- psychischer oder physischer Krankheit durch verschiedenste Aktivitäten der tenz von Menschen mit Behinderung schürt, sondern gegen alle, die sich für Unterzeichnenden »für eine menschli- und psychischen Beeinträchtigungen eine offene und vielfältige Gesellschaft che und lebenswerte Zukunft für uns infrage stellt, stellt sich in vollem Be- engagieren. alle« geworben werden. wusstsein in die Tradition jenes Ge- »Wir treten ein für Menschlichkeit Ziel der Mitzeichnenden ist es, im dankenguts, das im NS hunderttau- und Vielfalt. Und wir sind nicht allein: Superwahljahr ein Zeichen für De- sendfachen Mord ermöglichte. Als Zi- vilgesellschaft müssen wir uns die- sen Ideen der Ungleichwertigkeit von Menschen, die ihre politische Heimat in der AfD gefunden haben, klar und »Als Zivilgesellschaft müssen wir uns den Ideen der deutlich entgegenstellen. Gemeinsam Ungleichwertigkeit von Menschen, die ihre politische mit allen, die für eine vielfältige und offene Gesellschaft stehen, setzen wir Heimat in der AfD gefunden haben, klar und uns für die gleichberechtigte Teilhabe deutlich entgegenstellen.« aller ein.« Ulrich Schneider, Christian Weßling, Deutscher Paritätischer Hauptgeschäftsführer des Wohlfahrtsverband – Gesamtverband e. V. Paritätischen Gesamtverband e. V. Wir stehen für Millionen Menschen in mokratie zu setzen. Sie betonen, es Deutschland, die das Auftreten und komme auf jede Stimme an, und for- die Ziele von Parteien wie der Alter- dern auf, zur Wahl zu gehen. native für Deutschland und anderer Unterzeichnet wurde die Erklärung rechter Bewegungen entschieden ab- unter anderem vom Sozialverband VdK lehnen«, heißt es in der Erklärung. Die Deutschland, dem Arbeiter-Samariter- AfD habe vielfach gezeigt, dass sie Bund Deutschland, den Fachverbän- Wissenswertes in ihren Reihen Menschen- und Le- den für Menschen mit Behinderung, Der gesamte Erklärungstext, die Liste bensfeindlichkeit dulde, Nationalis- dem Paritätischen Gesamtverband und der Mitzeichnenden und die Zitate sind mus, Rechtspopulismus und Rechts- der Deutschen Gesellschaft für Soziale abrufbar unter: extremismus fördere. Heute sei daher Psychiatrie. Bislang wird die Erklärung www.wir-fmv.org plötzlich »wieder an der Tagesord- bundesweit von weit mehr als 400 Ver- Paritätischer Rundbrief — 2. Quartal 2021 20
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