Magazin - Highlights aus dem Jubiläumsjahr Genug geredet, liebe Politik - Stiftung Kinderdorf Pestalozzi
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magazin RÜCKBLICK Highlights aus dem Jubiläumsjahr Seite 2 KINDERKONFERENZ Genug geredet, liebe Politik Seite 4 ÄTHIOPIEN Wie unser Projekt Emenete hilft Seite 10 Ausgabe 1 | Januar 2022
EDITORIAL RÜCKBLICK Liebe Leserin, lieber Leser Highlights aus dem Jubiläumsjahr Die Covid-19-Pandemie stellt in verheerendem Ausmass das Leben ganz vieler Menschen auf den Kopf. Sie deckt globale Ungerechtigkeiten auf und Vor 75 Jahren wurde der Grundstein für das Kinderdorf gelegt. Was uns in unserem verstärkt diese sogar noch. Seit März 2020 erschüttern gesundheitliche, Jubiläumsjahr bewegt hat, zeigen nachfolgende Impressionen. soziale und wirtschaftliche Krisen die Welt. Nichtsdestotrotz oder vielleicht gerade deswegen haben sich über 74 000 Spenderinnen und Spender dafür entschieden, unsere Arbeit zu unterstützen. Für diese grosse Solidarität und das Vertrauen in unsere Arbeit danken wir Ihnen von Herzen. Wir sind davon überzeugt, dass sich globale Probleme nur gemeinsam lösen lassen. Diese Haltung verinnerlichen wir in unserer Arbeit in dreizehn Ländern weltweit. Projekte können nur gedeihen, wenn sie lokal verankert Ein dreiviertel Jahr sind und wenn Meinungen, Bedenken und Bedürfnisse aller Involvierten International Summer hundert auf 192 Seiten bereits von Beginn weg einfliessen. Gerade in den Zeiten der Pandemie ist Camp im Kinderdorf  Anlässlich seines 75. Geburtstages pu- es noch wichtiger geworden, genau hinzusehen und hinzuhören, um die dringendsten Herausforderungen herauszukristallisieren. Mit dem Summer Camp geht vom Kinderrechtstournee blizierte die Stiftung eine umfassende 11. bis 24. Juli das grösste internatio- nale Austauschprojekt der Stiftung an 75 Schulen Festschrift. Das Buch «Der Traum einer Welt für Kinder» gewährt tiefe Einblicke Unsere Projekte fokussieren darauf, Menschen zu ermächtigen und ihnen über die Bühne. Insgesamt 64 Jugend- Im Jubiläumsjahr 2021 beschenkte in die Arbeit der Stiftung Kinderdorf Wissen und Werkzeuge für ein selbst bestimmtes Leben mit auf den Weg zu liche aus Kroatien, Polen, Italien und die Stiftung Kinderdorf Pestalozzi Pestalozzi. Die Vernissage fand am geben. Seit nun 75 Jahren setzen wir uns dafür ein, Kindern und Jugendli- der Schweiz verbrachten gemeinsam 75 Schulklassen mit Kinderrechts- 24. September statt. Das Buch können chen gute und gleichberechtigte Bildung zugänglich zu machen. Ein Enga- zwei unvergessliche Wochen. workshops. Zum Auftakt der Tournee Interessierte in unserem Shop oder im gement, das nur nachhaltig möglich ist, wenn es von ganz vielen Menschen besuchten die Pädagog*innen der Online-Verlagshandel erstehen. getragen wird. Menschen wie Ihnen, die uns die finanzielle Schubkraft Stiftung am 8. März eine Primarschule geben, uns auf individueller, institutioneller sowie politischer Ebene für die in Walenstadt. Nach 75 Schulbesuchen Schwächsten der Gesellschaft einzusetzen. Für Ihre Unterstützung und zeigen die Rückmeldungen Erfreuli- Ihre Treue danken wir Ihnen aufrichtig. Vergangenheit, ches: Viele Kinder fühlen sich ermutigt, Die Art und Weise, wie sich die Stiftung Kinderdorf Pestalozzi für das Wohl Gegenwart und Zukunft eigene Aktionen ins Leben zu rufen und sich so für ihre Rechte starkzuma- der Kinder einsetzt, hat sich dem Wandel der Zeit angepasst. Unangetastet Am 28. April 1946 wird der erste Stein chen. blieb hingegen in all den Jahren das Was und Weshalb. Daran werden wir für den Bau des heutigen Kinderdorfes auch in den nächsten 75 Jahren festhalten: Solange es Chancenungleichheit gelegt. Auf den Tag 75 Jahre später in der Welt gibt, solange Kinder unter Konflikten leiden müssen, so lange eröffneten Stiftungsratspräsidentin werden wir uns dafür einsetzen, ihnen Bildung zu ermöglichen, damit sie als Rosmarie Quadranti und Stiftungsrats- Pandemie fordert viel Kinder und später als Erwachsene ihren Teil zum friedlichen Zusammenle- Vizepräsident Sven Reinecke die interaktive Jubiläumsausstellung. Flexibilität ben beitragen und diese Welt zu einem friedlichen Ort machen können. Die Corona-Krise hat verheerende Auswirkungen auf das Leben Wir sind stolz darauf, was wir im letzten dreiviertel Jahrhundert gemeinsam vieler Menschen – auch in unseren mit Ihnen bewirken konnten. Gleichzeitig sind wir uns dessen bewusst, dass es unsere Arbeit und Ihr Engagement auch in den kommenden Jahren 12 Projektländern. Dadurch sehen wir uns gezwungen, die Projektaktivitäten Happy Birthday brauchen wird. Lassen Sie uns gemeinsam an einer Welt bauen, in der zu adaptieren und sie den jeweiligen Am 3. November feierte Anuti Corti Kinder frei und friedlich lernen und lachen. lokalen Herausforderungen und ihren 103. Geburtstag. Die Gattin des Bedürfnissen anzupassen. Wo mög- Kinderdorf-Gründers Walter Robert Herzlich, Ihre lich, haben wir Lehrpersonen oder Corti ist mit ihren über 100 Jahren Rosmarie Quadranti besonders marginalisierte Schülerin- wohl die Einzige, die die gesamte nen und Schüler mit Computern und Geschichte des Kinderdorfes noch Tablets ausgerüstet. Anderenorts, wie überblicken kann. Alle Kinder und beispielsweise in Honduras oder Jugendlichen aus den Projekten sowie Thailand, hat die Krise elementare alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter Hilfe wie die Abgabe von Lebensmittel der Stiftung gratulieren von Herzen Stiftungsratspräsidentin paketen erfordert. und wünschen Anuti Corti nur das Beste. 2 3
KINDERKONFERENZ Genug geredet, liebe Politik Wenn im verbalen Säbelrasseln das stärkere Argument gewinnt, die Turnhalle zur Wandelhalle wird und Kinder den Erwachsenen die Leviten lesen, dann hat die Stunde der Kinderkonferenz geschlagen. Was es bedeutet, wenn das Kinderdorf fest in Kinderhänden ist. «Ich nehme vieles mit von der Kinder- konferenz, das weiss spielerische Art und Weise verständlich Entdecken, was man selber ich jetzt schon. Ich zu machen. «Darüber hinaus wollen wir ändern kann werde zukünftig den Kindern verdeutlichen, wie wichtig Freitagnachmittag, Pavillon im Haus einschreiten, wenn sie sind und wie wichtig es ist, dass sie Cocchinella. In der Raummitte stehen ich sehe oder mitmachen und etwas sagen», erklärt zwei Tische, auf denen die Teilneh- höre, dass Yael Bloch. Die Forderungen sind für die mer*innen der Kinderkonferenz diejeni- Kinderrechte Arbeit der Kinderlobbyistin eine extrem gen Kinderrechte präsentieren, die nicht einge- gute Grundlage und ein wichtiges Indiz ihnen besonders am Herzen liegen. halten dafür, was den Kindern und Jugendli- Kleine Kunstwerke aus farbiger Knete. werden.» chen in der Schweiz wichtig ist. «Nur so Kreative Ergüsse kindlicher Inspiration. kann ich auch dahinterstehen, in Bern in Schulbücher und Malstifte, Spielplätze, Céline, 12, ihrer aller Namen zu sprechen.» Häuser. «Mir ist das Recht auf Bildung Pratteln sehr wichtig», sagt Lena. Céline ist das Recht auf Schutz vor Krieg oder Gewalt ein grosses Anliegen. So heterogen die Gruppe der «Kinder sind die Teilnehmenden, so vielfältig haben: «Das ist sehr wichtig», findet nächste Generation. ist auch ihre Wahrnehmung Matteo, denn das Thema Kinderrechte Damit sie sich der Kinderrechte. Gemein- werde an der Schule viel zu wenig zur einsetzen kön- sam ist den Kindern und Geltung gebracht. Darum sagt er allen nen, müssen sie Jugendlichen, dass sich klar und deutlich: «Ihr habt Rechte und wissen, was sie viele von ihnen im Alltag für ihr dürft euch mitteilen!» dürfen und was ihre Recht starkmachen. nicht. Dies ist Michias zum Beispiel hat im wichtig für ihr Anschluss an die letzte Leben. Und genau Kinderkonferenz in dem darum müssen Schulheim, in dem er lebt, die «Ich hoffe schon sehr, Kinder ihre Nachhaltigkeit hinterfragt und dass unsere Forderungen eigenen Rechte konkrete Verbesserungen in Bundesbern umge- Das bessere Argument gewinnt: Teilnehmende der Kinderkonferenz im verbalen kennen.» punkto Recycling oder setzt werden. Und Schlagabtausch während des Politsimulators der Kinderlobby. Fairtrade initiiert. «Wir haben falls nicht, dann ist Michias, 12, Liestal dem Schulleiter unsere Ideen für mich klar: unterbreitet und konnten Nächstes Jahr dann vieles verändern. Das kommt die Mit wachem Blick und hochgezogenen Spüren, wie Politik funktioniert Den Nerv der Teilnehmerinnen und war wirklich cool.» nächste Augenbrauen steckt die Lobbyistin des Es ist Donnerstagnachmittag. 62 Teil- Teilnehmer der Kinderkonferenz hat der Chance.» WWF ihrem Gegenüber eine Visitenkar- nehmende der Kinderkonferenz mimen spielerische Ansatz des Politsimulators Andere Teilnehmende wie Davis te zu. Direkt daneben heischt ein in der Mehrzweckhalle des Kinderdorfes getroffen. «Ich war Politikerin der GLP oder Matteo setzen sich ein, Lena, 11 Trogen Interessenvertreter der Autoindustrie Politiker*innen, Lobbyist*innen und und konnte viele Menschen für mein wenn Kinder gemobbt werden Aufmerksamkeit. Eine Politikerin der Journalist*innen. Mit dabei sind auch Anliegen gewinnen», schwärmt Dilay. oder sich nicht trauen, ihre Grünen befeuert ihre Gesprächspartner drei Vertretende der Kinderlobby Iljen lobbyierte für das Klima und fand eigene Meinung zu äussern. mit Gründen für mehr Klimaschutz und Schweiz. Sie haben diesen Politsimu das Spiel sehr cool: «Speziell auch am Darüber hinaus berichten sie schliesst ihre argumentative Salve mit lator entwickelt. Die Idee dahinter: Schluss, wo wir mega spannende ihren Mitschüler*innen, was sie an einem auffordernden Lächeln. Kindern das System der Politik auf Diskussionen führten.» der Kinderkonferenz gelernt 4 5
KINDERKONFERENZ POLEN RAIFFEISEN Begegnungen, die zum Nachdenken anregen 90 Jugendliche aus drei Ländern verbrachten Ende Oktober eine gemeinsame Woche im Kinderdorf. Welche Erfahrungen sie in diesem interkulturellen Austausch gemacht haben, erzählen zwei Teilnehmende, Kasia und Kajetan aus Polen. «Es macht sehr viel Spass, dass man in verschiedenen Workshops entscheiden kann, Aussprechen, was man braucht was man machen will. Man insgeheim, dass einen die Lehrperson Sonntagvormittag, 11 Uhr. In der Mehr- tauscht sich sehr intensiv aus, nicht auffordere, vorn an der Tafel zu zweckhalle beklatschen rund 180 stolze teilt seine eigene Meinung und antworten. «Das macht doch keinen Eltern, Geschwister, Bekannte und lernt dadurch viel dazu. Die Sinn?», empört sich Kajetan und leitet Projektinvolvierte die einlaufenden Kinderkonferenz ist eine tolle mit seiner rhetorischen Frage ins Kinder. Sie haben eingeladen, um ihre Erfahrung.» Kinderdorf über. «Hier können wir Forderungen zuhanden der natio- miteinander sprechen und unsere Ideen nalen Politik zu präsentieren. Romy, 12, Trogen und Ansichten teilen.» «Ich werde meiner ganzen Veränderungen initiieren Schule von der Kinderkon- Denkt der 16-Jährige über das Schul- ferenz erzählen und system in Polen nach, so stört ihn eine allen Schülerinnen und Sache besonders: Für jede Übung gibt Schülern sagen, dass es genau eine Antwort, ein Schema, sie Rechte haben und dort muss man reinpassen. Dies und sich mitteilen empfindet er als sehr stressig. «Im dürfen. Bis jetzt Vergleich dazu ist das Kinderdorf sehr werden die Kinder- kreativ, da man sich selber ausdrücken rechte im Schulalltag kann.» viel zu wenig zur Spass in der direkten Begegnung: Kasia (Mitte) und weitere Teilnehmerinnen Geltung gebracht.» der Austauschprojektwoche während eines Workshops. Motivation statt Kritik im Schul- Genau dies haben die Jugendlichen Matteo, 12, unterricht sowie für mehr während der Austauschwoche dann Wagenhausen Aufklärung zum Thema Rassis- auch gemacht. Standen in den ersten mus zu sorgen. Zum Thema Tagen das gegenseitige Kennenlernen «Cybermobbing» fordern die Was sie persönlich nach Hause mit- Workshops voll einbringen konnte. Was oder Themen wie Identität oder Diskri- Kinder mehr Schutz vor Daten nimmt? Die 16-Jährige hält einen ihr dabei geholfen hat? Die Offenheit minierung im Zentrum, so konnten sich So plädiert die Gruppe mit dem Work- saugern und Hackern, sichere Apps Moment inne und denkt über die Frage der anderen Teilnehmenden und die die Teilnehmenden in der Zukunftswerk- shop-Thema «Kinder im Krieg und auf sowie Vertrauenspersonen für Kinder. nach. Nach einer Weile antwortet sie: sehr positive und ermutigende Art der statt selber verwirklichen. Gemeinsame der Flucht» beispielsweise dafür, dass «Offen zu sein und Herausforderungen Kursleitenden. Utopien zu schaffen, diese auf den jedes Kind die gleichen Chancen und «Ich wünsche mir wirklich, dass die anzunehmen.» Bei der Ankunft im Boden der Realität zu bringen und in Bedingungen bezüglich Bildung und Politiker*innen viel Zeit und Energie Kinderdorf sei sie etwas verängstigt konkrete Handlungen umzumünzen, Freizeit hat. «Es braucht zahlbare, investieren, um unsere Forderungen gewesen. Ihre Bedenken punkto Unter- Ideen und Ansichten teilen löste viele Diskussionen aus und günstige und gratis Angebote für jedes umzusetzen», sagt Matteo und ergänzt: schiedlichkeit oder sprachlicher Gren- Auch bei Kajetan hat der kinderzentrier- brachte die 90 Jugendlichen aus Polen, Kind», so die Rednerinnen. Weiter «Kinder sind auch sehr wichtig, nicht nur «Meine Essenz der Kinderkonferenz zen haben sich aber rasch verflüchtigt. te und partizipative Ansatz im Kinder- Deutschland und der Schweiz einander fordern sie die Staatsbürgerschaft per Erwachsene.» Sein Kollege Davis findet, ist, dass Kinder Rechte haben, dass «Die Leute hier sind so aufgeschlossen dorf massgeblich zu seinem Wohl ein grosses Stück näher. Geburtsrecht sowie mehr Unterstützung dass die Politik nicht so viel reden und sie eine Meinung haben dürfen, das und sehr sozial.» Das habe ihr geholfen, befinden beigetragen. Und es hat den für unbegleitete minderjährige Asylsu- dafür eher mal was unternehmen solle. sagen können, wenn ihnen etwas sich zu öffnen und rasch viele neue 16-Jährigen dazu inspiriert, über chende. Von der Gruppe «Rassismus» Ganz im Sinne des Slogans einer nicht gefällt, dass sie mitbestimmen Menschen kennen zu lernen. Besonders Bildung nachzudenken. In Polen sei erhält die Politik den Auftrag, leerste- Umweltorganisation, bei der er sich mal dürfen und ein Stimmrecht haben.» stolz ist Kasia darauf, dass sie über vieles sehr altbacken, erzählt er. Man hende Häuser an Obdachlose und engagiert hatte: stop talking, start ihren eigenen Schatten springen und sitze auf den Stühlen, schreibe von Flüchtlinge zu vermieten, für mehr planting. Davis, 12, Thal sich trotz Sprachbarrieren in den Büchern ins Notebook ab und hoffe 6 7
THAILAND Wie lokale Lerninhalte Identität schaffen Die Kinder der Urak Lawoi haben keinen Zugang zu relevanter Bildung, die ihre Identität sowie ihre soziale und kulturelle Sicherheit fördert und diskriminierendes Verhalten bekämpft. Genau hier setzt unser Projekt an – mit Erfolg, wie ein Besuch vor Ort zeigt. Das indigene Volk der Urak Lawoi lebt Identität und Selbstständigkeit Lokale Sprache als Basis dort, wo andere Ferien machen: auf Die Ungleichheit beim Zugang zu quali- Darum geht‘s im Projekt Neben der interkulturellen Bildung Koh Lanta, einer Inselgruppe in der tativer Bildung auf den Inseln ist für die kommt im Projekt insbesondere auch südthailändischen Provinz Krabi. Die multikulturelle Bevölkerung ein grosses Das Kernstück des Projektes stellt dem mehrsprachigen, auf Mutterspra- malerische Landschaft täuscht darüber Problem. Thailands Regierung hat in die Entwicklung zweier neuer che basierendem Lernen eine wichtige hinweg, wie herausfordernd das Leben der letzten Zeit zahlreiche Schritte Lehrpläne für Primar- und Sekun- Rolle zu. Kindergärtner*innen lernen der gebürtigen Seenomaden in der unternommen, um allen Kindern im darschulen dar. Lehrpläne, die zuerst in ihrer gewohnten Sprache mittlerweile hochtouristischen Region Land Bildung zugänglich zu machen. auf die Bedürfnisse der lokalen Urak Lawoi und werden dann schritt- ist. Ein mehrsprachiger und interkultureller Bevölkerung zugeschnitten sind weise an die Nationalsprache Thai Lehrplan, der die Toleranz und die Ach- und die interkulturelle Bildung herangeführt. Erfahrungen mit dieser tung der kulturellen Vielfalt fördert, sowie das mehrsprachige, auf Methode haben gezeigt, dass Kinder steht jedoch noch aus. Muttersprache basierende Lernen viel einfacher eine zweite Sprache fördern. adaptieren können, wenn sie zuerst in ihrer Muttersprache korrekt schreiben Auf Koh Lanta zeichnen sich seit dem Gemeinsam mit unserer Partner- und lesen lernen. Projektstart im Oktober 2019 deutliche organisation «The Center for Verbesserungen ab. Saichon La-ngu Documentation and Revitalization lehrt an einer der 14 Projektschulen. of Endangered» bringen wir Nasita Talayluek unterrichtet die lokale Er ist davon überzeugt, dass es der Expert*innen, lokale Behörden, die Sprache Urak Lawoi. Das Gefühl, zwei richtige Weg ist, den Schüler*innen Urak Lawoi sowie die Gemein- Sprachen gleichzeitig lernen zu müs- lokales Wissen zu vermitteln und ihnen schaften aus verschiedenen sen und doch keine davon wirklich zu dadurch ein Stück Identität mit auf den Kulturen Koh Lantas zusammen beherrschen, ist ihr aus ihrer eigenen Weg zu geben: «Unseren Kindern und ebnen den Weg für gemein Schulzeit noch sehr präsent. «Ich war beizubringen, dass sie in der Lage same Kooperationen. früher sehr schüchtern und habe mich sind, selbstständig zu leben, ist der nicht getraut, in meiner Muttersprache Schlüssel, der ihnen bessere Chancen zu sprechen», erzählt sie. Sie ist davon eröffnen wird.» Eine Meinung, die auch überzeugt, dass die Unterrichtsmetho- sein Lehrerkollege Wassanapisut Halimah Wayladee ist eine von rund den im Projekt viele Kinder davor Wisutchollatee teilt. «Das Projekt gibt 3700 Schüler*innen, die von den neuen bewahren, dieselben Erfahrungen uns die Möglichkeit, die Weisheit und Lehrplänen profitieren. Die Auseinan- machen zu müssen. «Es hilft uns, Geschichte unserer Gemeinschaft zu dersetzung mit den verschiedenen unsere Sprache zu bewahren und das teilen.» Für die Jugend, die Schulen Kulturen auf Koh Lanta habe dazu Wissen an die nächste Generation und die Gemeinschaft sei dies von geführt, dass sie sich nicht mehr einer weiterzugeben.» grossem Nutzen. kleinen Minderheit, sondern einer grös- seren Gemeinschaft zugehörig fühle. «Ich bin meinen Lehrerinnen und Halimah Wayladee, Schülerin: Lehrern dankbar dafür, dass sie mich «Ich bin sehr stolz darauf, ein Mitglied nicht nur in lokaler Kultur und Ge- der Gemeinschaft auf Koh Lanta zu sein, schichte unterrichtet haben, sondern nachdem ich die verschiedenen Kulturen Saichon La-ngu, Lehrer für lokales Wissen: «Unseren auf der Insel kennen gelernt habe.» mich auch gelehrt haben, meine eigene Kindern beizubringen, dass sie in der Lage sind, selbstständig Kultur zu verstehen und zu schätzen.» zu leben, ist der Schlüssel, der ihnen bessere Chancen eröffnen wird.» 8 9
ÄTHIOPIEN Entfesselt lernen Zu Hause stark eingebunden zu sein und dadurch kaum Zeit für die Schule zu finden, ist ein Schicksal, das in Äthiopien viele Kinder ereilt. Wo unser Projekt ansetzt und was dies für das Die zentralen Interventionen des Projektes einzelne Kind bedeutet, zeigt die Geschichte von Emenete. Gemeinsam mit der lokalen Partnerorganisation Center of Concern setzen wir uns in Äthiopien dafür ein, den Zugang zu qualitativ guter Primarschulbildung in der South Omo Zone zu verbessern. Mit folgenden Interven- schwänzt den Unterricht. Da zu Hause aufzuzeigen, warum der Besuch der tionen versuchen wir die grössten Herausforderungen zu der Strom fehlt, verbleibt abends nach Schule so wichtig ist. Gleichzeitig zielen bewältigen: der Arbeit wenig Zeit, um zu lernen und die Projektmassnahmen darauf ab, Hausaufgaben zu erledigen. Die Leis- Kindern ein angenehmes Schulumfeld Für eine höhere Beteiligung der Gemeinschaft tungen, die Emenete abverlangt werden, zu ermöglichen. Dies geschieht einer- am Bildungsprozess: gehen weit darüber hinaus, was hierzu- seits über Massnahmen zur Verbesse- – Bildungsbotschafterinnen ausbilden lande von Gleichaltrigen erwartet wird. rung der Infrastruktur. Andererseits – Monatliche Gesprächsrunden und Sensibilisierungs- Traurigerweise gibt es im Umfeld der entwickeln wir mit den Projektpartnern kampagnen durchführen Schülerin viele Kinder, die ihr Schicksal Lernmaterialien und schulen Lehrkräfte teilen. Armut und schwierige Lebens in Unterrichtsmethoden, welche die Für verbesserte Lehr- und Lernprozesse: umstände sind zwei Faktoren, die dazu Neugier der Kinder wecken und ihnen – Lehrpersonen weiterbilden in der Anwendung moder- führen, dass viele Kinder schon von eine aktive Rolle im Unterricht geben. ner und kinderzentrierter Lehrmethoden sowie in der klein auf ins Familiensystem eingebun- Herstellung und Integration zusätzlicher Lehrmittel den werden. Dazu kommt, dass die Zurück zu Emenete und ihrer Familie. – Schulergänzendes Lehrmaterial zur Verfügung stellen Unterrichtsqualität sehr tief ist und viele In der Sensibilisierungsarbeit mit den – Management schulen, damit es Führungs- und Eltern der Bildung deshalb wenig Gemeinschaften setzt das Projekt auf Coaching-Funktion wahrnehmen kann Oft hat Emenete (links im Bild) in der Schule Nutzen abgewinnen können. sogenannte Bildungsbotschafterinnen. – Verantwortlichkeiten und Rollen der Kinderschutz Wichtige Sensibilisierungsarbeit für den Wert von gefehlt, da sie zu Hause putzen, Starke Frauen, die lokal verankert sind verantwortlichen klären und stärken Schulbildung: Die Bildungsbotschafterinnen des Projektes kochen und sich um ihre Geschwister Wichtige Überzeugungsarbeit und deren Meinung Ansehen geniesst. – Entwicklung von Lehrplänen in lokaler Sprache für unterhalten sich mit Emenetes Eltern. kümmern musste. leisten Im Dorf von Emenete sind dies Almaze die erste Klasse Genau hier setzt das Projekt «Zugang zu Kunsa und Azo Shelo. Der erste Kontakt hochwertiger Bildung für äthiopische mit der Familie verläuft ziemlich erfolg- Für eine sichere Schulumgebung: Kinder» an. Gemeinsam mit der lokalen los. Erst nach wiederkehrenden Gesprä- – Klassenzimmer sanieren und geschlechtergetrennte Die 12-Jährige lebt mit ihrer Familie im Organisation Center of Concern führt chen können die beiden die Eltern vom Toiletten bauen, Mobiliar bereitstellen Dorf Kako Goda, 20 Kilometer ausser- die Stiftung Kinderdorf Pestalozzi Sensi- langfristigen Nutzen eines regelmässi- – Kinderschutzpolitik etablieren, Schulklubs aufbauen halb der Bezirkshauptstadt von Bena bilisierungskampagnen durch, um Eltern gen Schulbesuchs überzeugen. und Partizipation der Kinder stärken Tsemay. Bena Tsemay liegt in der South Zweierlei Wirkung Omo Zone im Südwesten von Äthiopien. Emenete nimmt die Chance, die sich ihr Ein Gebiet, das zu einem Grossteil von bietet, dankbar an und lernt wissbegie- Pastoralisten bewohnt wird, also von rig. Ihre Freistunden verbringt sie meist Hirtenvölkern, die mit ihren Herden stets Freistunden in der Bibliothek. Sie will den verpassten auf der Suche nach Wasser und grünen verbrachte Emenete Unterrichtsstoff aufholen und dadurch Weiden sind. oft in der Bibliothek, ihrem Berufswunsch ein Stück näher- Die Bildungsbotschafterinnen, die das um Verpasstes kommen. Emenete hat sich zum Ziel Projekt einsetzt, haben sich gleich in aufzuholen. Elterliche Verantwortung tragen gesetzt, Lehrerin zu werden. Seit dem doppelter Hinsicht bewährt: Einerseits Wenn ihre beiden Eltern arbeiten, wird Projektbeginn sind vier Jahre vergan- konnten sie viele Eltern von der Wichtig- Emenete zum Rückgrat der Familie. gen. Emenete besucht heute die siebte keit von Bildung überzeugen. Anderer- Jeden Morgen in der Früh putzt sie das Klasse und steht kurz vor der Ab- seits reduzierte ihre Arbeit die Abwe- Haus und bereitet das Frühstück für ihre schlussprüfung des zweiten Semesters. senheitsquoten und förderte die noch schlafenden Geschwister zu. Neben dem Sportclub engagiert sie sich schulischen Leistungen der betroffenen Stehen keine anderen Verpflichtungen im Schulclub für Gleichberechtigung. Kinder. Diese wiederum werden, befeu- an, macht sie sich gegen 6 Uhr auf den Dort setzt sie sich dafür ein, dass die ert von der Freude am Lernen, zu Schulweg. Oft jedoch beugt sich die Mädchen an ihrer Schule nicht den kleinen Bildungsbotschaftern innerhalb 12-Jährige dem familiären Druck und Anschluss verlieren. ihrer Peer-Gruppe. 10 11
Cybathlon – wenn Technik berührt Cybathlon ist ein ETH-Spin-Off, das Inklusion fördern und Hindernisse abbauen will. Im Projektlager Cybathlon @school lernten die 40 Teilnehmer*innen, wie Roboter assistenzsysteme funktionieren oder mit welchen Herausforderungen Menschen mit einer Beeinträchtigung in ihrem Alltag konfrontiert sind. In Gruppen entwickelten die 11- bis 15-Jährigen elektronische Greifarme, die mit Muskelsignalen bewegt werden können. Für Niklas bildete dieser praktische Teil sein persönliches Highlight der Lagerwoche: «Ich hatte nicht damit gerechnet, dass wir selber mit Exoskeletten arbeiten. Dieser Moment, als wir dies erfahren haben, war der Beste für mich.» Niklas ist 14 und wohnt mit seiner Familie in einer 2000-Seelen- Gemeinde im Kanton Basel-Landschaft. Dass er den Weg ins Kinderdorf gefunden hat, ist nicht etwa dem Zufall zu verdan- ken, sondern einem einzelnen kleinen Wort auf dem Projektflyer des Cybathlons: Bionik. «Das ist genau das, was ich einmal machen will, wenn ich älter bin», schwärmt Niklas. Die Bionik beschäftige sich damit, Phänomene aus der Natur auf die Technik zu übertragen. Als Beispiele nennt der 14-Jährige den Klettverschluss, Prothesen oder Exoskelette. «Das ist es, warum ich Bioniker werden will. Damit ich anderen mit Prothesen oder Exoskeletten helfen kann.» Niklas, 14 IMPRESSUM Herausgeberin: Stiftung Kinderdorf P estalozzi, Bildnachweis: Archiv Stiftung Kinderdorf Pestalozzi Kinderdorfstrasse 20, 9043 Trogen Gestaltung und Satz: one marketing services, Zürich Telefon: +41 71 343 73 73, service@pestalozzi.ch Druck: CH Media Print AG PC 90-7722-4, IBAN CH37 0900 0000 9000 7722 4 Ausgabe: Ausgabe 1 | Januar 2022 Texte: Stiftung Kinderdorf Pestalozzi Erscheint: viermal jährlich Redaktion: Stiftung Kinderdorf Pestalozzi, Auflage: 35 000, geht an Spenderinnen und Spender one marketing services Abo-Beitrag: CHF 5.– (wird mit der Spende verrechnet)
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