Martin Winter Funktionsverschiebungen zwischen Schule und Hochschule1
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
Martin Winter Funktionsverschiebungen zwischen Schule und Hochschule1 Übersicht lich sind. Diese sollen im Folgenden genauer beleuchtet I. Zwischen Wettbewerb und Mangelverwaltung werden. 1. Hochschulen im Wettbewerb um Studierende 2. Mangelverwaltung von Studienplätzen 1. Hochschulen im Wettbewerb um Studierende II. Das Verhältnis von Schule und Hochschule im Wandel Auf der einen Seite stehen die Hochschulen vermehrt im 1. Werbung und Selektion Wettbewerb um Studierende, sie richten Marketingstel- 2. Das Verhältnis von Schule und Hochschule len ein, werben um Studienanfänger/innen und machen 3. Selektion und Ertüchtigung auf vielfältige Weise Reklame für ihre Studiengänge, sie 4. Das Abitur als Grundrechtszertifikat richten sogenannte Kinder- und Jugendunis aus, präsen- 5. Der Bedeutungsverlust des Abiturs tieren sich auf Bildungsmessen, veranstalten Informati- 6. Studierendenvorbereitung und Studierendenauswahl onstage für Studieninteressierte, verteilen Werbe- und III. Diagnose und Ausblick Info-Broschüren und rüsten ihre Internetauftritte auf; sie fahnden gar mit Hilfe von „Talent-Scouts“ nach hoch- 1. Beabsichtigte Planung oder ungesteuerte Entwicklung? schulgeeigneten Schülerinnen und Schülern mit bil- 2. Prognosen dungsfernem familiären Hintergrund.3 Und wenn es den 3. Auswirkungen auf die Institution Hochschule Studieninteressierten nicht an Talent, sondern an not- wendigen Fähigkeiten und Wissensbeständen mangelt, I. Zwischen Wettbewerb und Mangelverwaltung dann kümmern sich die Hochschulen um die Beseiti- gung dieser Defizite – sei es im Vorfeld des Studiums Nach erfolgreichem Schulabschluss2 wechselt ein junger oder studienbegleitend. Die Hochschulen selbst sorgen Mensch an die Hochschule. Das ist nach wie vor der somit für die Hochschulreife – zumindest für den „letz- Normalfall einer akademischen Biografie, auch wenn ten Schliff “ zur Studierfähigkeit. Studienvorbereitung sich neue Wege in die Hochschulbildung eröffnet haben, wird in diesem Zusammenhang auch als ein wichtiger wissenschaftliche Weiterbildung eine immer wichtigere Faktor der Studierendengewinnung begriffen. Rolle spielt und sich immer mehr erfahrene und ältere Die grundlegende Voraussetzung für den Einsatz von Menschen an den Hochschulen einschreiben. Obgleich Studienwerbung und Marketing an einer Hochschule ist, der (fast) bruchlose Übergang von Schule zur Hoch- dass diese sich als – mehr oder weniger – eigenständiger schule in der Post-Adoleszenz nach wie vor die Regel ist, korporativer Akteur und damit als handlungsfähige ist das Verhältnis von Schule zu Hochschule gravieren- Organisation definiert. Dazu wurden in den letzten 30 den Veränderungen unterworfen. Weitgehend von der Jahren mit dem Transfer von Elementen aus dem New Öffentlichkeit unbeachtet kommt es zu einer allmähli- Public Management in den Hochschulbereich die Vor- chen Umstrukturierung, die am Ende auf eine folgenrei- aussetzungen geschaffen: starke Leitungspositionen, die che Neuordnung im Bildungsbereich hinausläuft. Und Verantwortung der Hochschule über einen Globalhaus- damit ändern sich auch die Bildungsinstitutionen Schu- halt (und damit zumeist einhergehend: eine formelba- le und Hochschule. Insbesondere auf Seiten der Hoch- sierte Mittelzuweisung), relativ eigenständige Steue- schulen sind – langfristig betrachtet – bemerkenswerte rungskompetenzen in verschiedenen Bereichen (Studi- Entwicklungen eingetreten, die allerdings widersprüch- engänge, Personal, Liegenschaften etc.), damit 1 Der Artikel ist in einer erheblich kürzeren Version unter dem Titel hochschulreife (Fachabitur) oder der fachgebundenen Hochschul- „Zwischen Wettbewerb um Studierende und Mangelverwaltung reife. von Studienplätzen“ in dem Sammelband von Driesen und Ittel 3 So das Talent-Scouting-Programm der Landesregierung in auf den Seiten 77-90 erschienen: Driesen, Cornelia / Ittel, Angela Nordrhein-Westfalen: https://www.mkw.nrw/hochschule-und-for (Hg.) (2019): Der Übergang in die Hochschule. Strategien, Organi- schung/studium-und-lehre/talentscouting, https://nrw-talentzen sationsstrukturen und Best Practices an deutschen Hochschulen. trum.de/. Auf alle in den Fußnoten angegebenen Internetadressen Münster: Waxmann. wurde das letzte Mal am 7. Juni 2019 zugegriffen. 2 Genauer: nach dem Erwerb der Hochschulreife (Abitur), Fach- Ordnung der Wissenschaft 2019, ISSN 2197-9197
184 O R D N U N G D E R WI S S E N S C H A F T 3 ( 2 0 1 9 ) , 1 8 3 - 1 9 4 zusammenhängend die Möglichkeit zum Abschluss von Ministerien – an die Hochschulen herangetragen und Zielvereinbarungen mit der Regierung, aber auch mit auch finanziell – insbesondere im Rahmen des Hoch- hochschulinternen Akteuren (Kontraktmanagement), schulpakts 2020 – gefördert. und last but not least: Wettbewerbsmechanismen. Wett- bewerbsverfahren simulieren einen (Bildungs-)Markt, 2. Mangelverwaltung von Studienplätzen auf dem sich die „unternehmerischen Hochschulen“4 Auf der anderen Seite zeugt die Studierendenstatistik, tummeln. Wettbewerb zwischen Hochschulen wird also insbesondere die Zahlen zu den Zulassungsbeschrän- nicht mehr rein wissenschaftlich als „Wettbewerb der kungen, von einem Mangel an Studienplätzen, der von Ideen“, sondern auch ökonomisch als „Wettbewerb um den Hochschulen offenbar nur notdürftig verwaltet Ressourcen“ praktiziert.5 wird. Blickt man auf die Zeitreihen der Studierendensta- Wettbewerb um Ressourcen impliziert nicht nur tistik, so ist festzustellen, dass die Zahlen in den letzten Konkurrenz um Drittmittel zu Forschungszwecken, son- Jahren deutlich gestiegen sind. Die Anzahl der Studien- dern auch einen Wettbewerb um Studierende. Auch anfänger/innen hat sich in zwanzig Jahren fast verdop- wenn Studierende derzeit in der Regel keine Gebühren pelt. Lag deren Anzahl 1995/96 bei etwas mehr als einer für ihr Studium zahlen, so ist deren Anzahl für die Fi- viertel Million Personen pro Studienjahr, so sind es seit nanzierung der Hochschulen durchaus relevant, sei es gut fünf Jahren rund eine halbe Million Erstsemester.7 im Kontext von formelgebundenen Mittelzuweisungs- Entsprechend mehr geworden sind auch insgesamt die modellen der Länder oder auch im Anreizmodell des Studierenden; um rund ein Drittel hat deren Anzahl von Bund und Länder gemeinsam finanzierten Hoch- innerhalb der letzten zehn Jahre zugenommen. Die schulpakts 2020.6 Vereinfacht gesagt bestimmt hier die Erklärung für diese nicht so vorhergesagte Entwicklung Anzahl der Studienanfänger/innen den Umfang der Mit- liegt insbesondere im Wachstum der Studienanfänger- telzuweisung. Sollten allerdings wieder Studiengebühren quote.8 Diese Quote ist in zehn Jahren um rund 20 Pro- eingeführt werden und diese maßgeblich zur Hoch- zentpunkte gestiegen, von rund 36 auf 57 Prozent (2006– schulfinanzierung beitragen, so dürfte dies weitere An- 2016). Dazu kommt noch, dass die Anzahl der (Fach-) strengungen zur Studienwerbung anspornen und damit Abiturient/innen von 415.267 im Jahr 2006 auf 453.622 den Wettbewerb um Studierende anfachen. im Jahr 2016 gestiegen ist.9 Immer mehr Angehörige Weil sich die Hochschulen im Rahmen des neuen Steue- eines Jahrgangs streben ein Studium an. Der Quoten- rungsmodells immer stärker als eigenständige Organisa- sprung hat die Diskussion darüber angefacht, wie viele tionen wahrnehmen oder gar im Selbst- wie auch im Menschen einer Alterskohorte tatsächlich für ein Hoch- Fremdverständnis unternehmerisch auftreten, gilt Wer- schulstudium geeignet sind, ob es so etwas wie eine bung um Studierende für lohnend oder zumindest legiti- natürliche Quote der Begabungsverteilung gebe und ob mationsförderlich. Der Anspruch, für sich zu werben, nicht diese Akademisierung zur Abwertung der berufli- wird insbesondere von außen – von der Politik und den chen Ausbildung führe – eine These, die unter dem 4 Bekannt wurde der Begriff der unternehmerischen Hochschule pdf. Siehe auch die Internetseite der Gemeinsamen Wissenschafts- („entrepreneurial university“) mit einer Studie des amerikani- konferenz: https://www.gwk-bonn.de/themen/foerderung-von- schen Hochschulforschers Burton R. Clark über fünf Universitäten hochschulen/hochschulpakt/. in Europa: Clark, Burton R. (1998): Creating Entrepreneurial 7 Quelle der genannten hochschulstatistischen Zahlen: Statistisches Universities. Organizational Pathways of Transformation. Surrey: Bundesamt (Destatis), Fachserie 11, Reihe 4.1 (Studierende), 4.4. Pergamon Press. Vgl. Maasen, Sabine / Weingart, Peter (2006): (Personal) und 4.3.1. (nichtmonetäre hochschulstatistische Kenn- Unternehmerische Universität und neue Wissenschaftskultur. zahlen). Die Tabellenbände sind auf der Internetseite von Destatis S. 19-45 in: Krücken, Georg (Hg.): Universitäre Forschung im verfügbar: https://www.destatis.de/DE/Themen/Gesellschaft- Wandel. die hochschule, Vol. 15, Heft 1. Umwelt/Bildung-Forschung-Kultur/Hochschulen/_inhalt.html. 5 Zur bundesdeutschen Historie des Wettbewerbs im Hochschul- 8 Vgl. Christensen, Björn / Christensen, Sören (2017): Falsche bereich siehe: Winter, Martin (2012): Wettbewerb im Hochschul- Prognosen. Wo kommen all die Studierenden her? Spiegel-Online. bereich, S. 17-45 in: Winter, Martin / Würmann, Carsten (Hg.): URL: http://www.spiegel.de/wissenschaft/mensch/falsche-progno Wettbewerb und Hochschulen. die hochschule, Vol. 21, Heft 2. sen-wo-kommen-all-die-studierenden-her-a-1126487.html. 6 Zum Hochschulpakt 2020 siehe: Gemeinsame Wissenschaftskon- 9 Gehrke, Birgit / Kerst, Christian (2018): Bildung und Qualifikation ferenz (2017): Hochschulpakt 2020: Umsetzung in der zweiten als Grundlage der technologischen Leistungsfähigkeit Deutsch- Programmphase 2011-2015. Bonn: Heft 54. URL: https://www. lands 2018 (Kurzstudie): Studien zum deutschen Innovationssys- gwk-bonn.de/fileadmin/Redaktion/Dokumente/Papers/GWK- tem. Berlin: EFI, S. 8. URL: https://www.e-fi.de/fileadmin/Innova Heft-54-Hochschulpakt-Umsetzung-Programmphase-2011-2015. tionsstudien_2018/StuDIS_01_2018.pdf.
Winter · Funktionsverschiebungen zwischen Schule und Hochschule 185 Schlagwort „Akademisierungswahn“ Eingang in die 44,2% aller grundständigen und 38,8% aller Master-Stu- Massenmedien gefunden hat und insbesondere von Juli- diengänge zulassungsbeschränkt.14 an Nida-Rümelin10 nachhaltig vertreten wird. Die Zulassungsbeschränkung ist das eine, die Vertei- Angesichts der genannten Zahlen kann ohne Über- lung der Studieninteressenten auf die knappen Studien- treibung von einer neuerlichen Welle der Hochschulex- plätze das andere Problem. Ab Ende der 1960er Jahre pansion in der Geschichte der Bundesrepublik Deutsch- wurden die zulassungsbeschränkten Studiengänge in der land gesprochen werden. Das Wachstum um ein Drittel Regel zentral vergeben, der Numerus Clausus einge- in den letzten zehn Jahren wurde insbesondere durch die führt. Dazu wurde eine große behördenähnliche Ein- Mittel des Hochschulpakts 2020 finanziert. Zwar be- richtung – in Form einer Anstalt des öffentlichen Rechts15 wirkte das Bund-Länder-Programm einen massiven – geschaffen, die Zentrale Vergabestelle für Studienplät- Ausbau der Lehrkapazitäten;11 die zeitliche Befristung ze ZVS in Dortmund.16 Mit der Bologna-Studienreform dieser Paktmittel führte jedoch zwangsläufig zur befris- ist ihre Bedeutung gesunken. Denn in den Verteilmecha- teten Einstellung von Lehrpersonal.12 Dennoch wurden nismus der Dortmunder „Behörde“ werden keine Studi- auch von Jahr zu Jahr weitere Professor/innen einge- engänge mit Bachelor oder Master-Abschluss aufgenom- stellt, wobei darunter auch befristete Anstellungen fal- men, sondern nur Studiengänge mit Abschluss Staatsex- len. Innerhalb von zehn Jahren ist die Zahl der Professu- amen und Diplom (die im Laufe der Jahre immer weni- ren um rund ein Viertel von 37.694 im Jahr 2006 auf ger wurden). Nach ihrer Stufung in Bachelor und Master rund 46.835 im Jahr 2016 gestiegen. Die Betreuungsrela- fielen deshalb immer mehr Studiengänge aus dem zent- tion, das Verhältnis von Studierenden zu wissenschaftli- ralen Vergabemechanismus und wurden lokal (das heißt chem Hochschulpersonal, ist an den Universitäten zwi- von den Hochschulen vor Ort) zulassungsbeschränkt. schen 2005 und 2015 leicht gestiegen – sprich: etwas Mittlerweile unterliegt nur noch ein knappes Prozent schlechter geworden –, an den Fachhochschulen hinge- der grundständigen Studiengänge in Deutschland einem gen leicht gesunken – sprich: etwas besser geworden.13 zentralen Vergabeverfahren.17 Dieser so nicht vorherge- Ein deutlicher Hinweis auf den Mangel an Studienplät- sehene Effekt der Bologna-Reform hatte zur Folge, dass zen ist die Anzahl bzw. Quote der zulassungsbeschränk- sich Studieninteressenten an vielen Hochschulen bewer- ten Studiengänge. Die Zulassung zum Studium darf nach ben, was wiederum den Verwaltungsaufwand der Hoch- rechtlichen Maßgaben nur dann beschränkt werden, schulen erhöhte. Hinzu kam die aus Hochschulsicht gro- wenn die Nachfrage nach Studienplätzen absehbar hö- ße Herausforderung, dass sich nun viele Studieninteres- her ist als das Angebot an vorhandenen Studienplätzen. senten vorsorglich an mehreren Standorten bewerben Um eine Überfüllung zu vermeiden, kann ein Numerus und dann wieder absagen, weil sie einen Studienplatz clausus (NC) eingeführt, die Zulassung also quantitativ andernorts vorziehen. Aber auch für die Studierenden beschränkt werden. Dies geschieht bei rund zwei Fünftel ist mit der Verlagerung der Vergabe von zentraler Stelle der Studiengänge: Im Wintersemester 2017/18 waren auf die vielen lokalen Hochschulen mit zum Teil unter- 10 Nida-Rümelin, Julian (2014): Der Akademisierungswahn. Zur 14 Hochschulrektorenkonferenz (2017): Statistische Daten zu Krise beruflicher und akademischer Bildung. In: Profil, Heft 9. Studienangeboten an Hochschulen in Deutschland. Studiengänge, S. 18-27. URL: https://hsg-eberbach.de/wp-content/up Studierende, Absolventinnen und Absolventen. Wintersemester loads/2015/11/Akademisierungswahn.pdf. 2017/2018. Statistiken zur Hochschulpolitik 2/2017. Berlin, 11 Mit einer Laufzeit von 2007 bis 2020 und einer Auslauffinanzie- S. 19 f. URL: https://www.hrk.de/fileadmin/redaktion/hrk/02- rung bis 2023 wird der Pakt ein Gesamtvolumen von 38,5 Mrd. Dokumente/02-02-PM/HRK_Statistik_BA_MA_UEbri Euro aufweisen. Siehe: https://www.bundesbericht-forschung- ge_WiSe_2017_18_Internet.pdf. Das Centrum für Hochschulent- innovation.de/de/Hochschulpakt-2020-1792.html. wicklung (CHE) hat die Zahlen der Hochschulrektorenkonferenz 12 Ein Vergleich der Verwendung von Grundmitteln und HSP-Mit- nochmals weiter aufgeschlüsselt: Gehlke, Anna / Hachmeister, teln in den Jahren 2011 bis 2015 durch das Institut für Innovation Cort-Denis / Hüning, Lars (2018): Der CHE Numerus Clausus- und Technik (iit) in Berlin ergab: 80 % des hauptberuflichen Check 2018/19. Eine Analyse des Anteils von NC-Studiengängen wissenschaftlichen und künstlerischen Hochschulpersonals, das in den einzelnen Bundesländern. Gütersloh: CHE-Arbeitspapier über HSP-Mittel finanziert wurde, ist befristet beschäftigt; beim 211. URL: http://www.che.de/downloads/CHE_AP_211_Nume Hochschulpersonal, das über Grundmittel finanziert wird, sind rus_Clausus_Check_2018_19.pdf. es demgegenüber nur 55 %. Siehe: Winterhager, Nicolas (2018): 15 Siehe Artikel 1 des Staatsvertrags über die Vergabe von Studien- Auswirkungen des Hochschulpakts 2020. Vortrag auf dem Forum plätzen von 20. Oktober 1972. Hochschulsteuerung des HIS-Instituts für Hochschulentwicklung 16 Zur Geschichte des Hochschulzugangs in Deutschland einschließ- am 09. und 10. April 2018, Hannover. URL: https://his-he.de/ lich Zahlen zu ZVS-Studiengängen siehe Wissenschaftsrat (2004): fileadmin/user_upload/Veranstaltungen_Vortraege/2018/Forum_ Empfehlungen zur Reform des Hochschulzugangs. Drs. 5920-04. HS-Steuerung_2018/HIS-HE_09-04-2014_Winterhager_final. Berlin, 30. Januar 2004, S. 64 ff. sowie S. 140 ff. URL: http://www. pdf. wissenschaftsrat.de/download/archiv/5920-04.pdf. 13 Gemeinsame Wissenschaftskonferenz, S. 18, siehe Fußnote 6. 17 Hochschulrektorenkonferenz, S. 20, siehe Fußnote 14.
186 O R D N U N G D E R WI S S E N S C H A F T 3 ( 2 0 1 9 ) , 1 8 3 - 1 9 4 schiedlichen Fristen und Voraussetzungen der Bewer- Quoten, also des Ausmaßes der Selektivität. Zweitens gibt bungsaufwand gewachsen. es die Dimension der Qualität des Übergangs. Dahinter Um die Studienplatzverteilung zu reorganisieren, verbirgt sich die Frage, wie der Übergang gestaltet wird, sollte die ZVS zu einer Informations- und Verteilbörse welche Institution welche Bildungsaufgaben übernimmt umgebaut werden. 2008 löste die Stiftung für Hoch- und schließlich: wer, wann und wie selektiert. Insbeson- schulzulassung (SfH) die ZVS ab.18 Andauernde techni- dere mit Blick auf die Auswahlprozesse zeigt sich, dass sche Probleme, insbesondere die schwierige Synchroni- sich Qualitätsaspekte auf die quantitative Dimension des sierung der speziellen hochschuleigenen Studien- und Übergangs auswirken: Je nachdem wie selektiert wird, Zulassungssoftware (und der damit verbundenen spezi- welche Kriterien angewandt werden, wird sich dies auch ellen hochschuleigenen Zulassungsverfahren und -kon- auf die Anzahl der Auserwählten auswirken. ditionen) haben über viele Jahre die Verbreitung eines neuen elektronisch gesteuerten Verteilverfahrens – das 2. Das Verhältnis von Schule und Hochschule sogenannte Dialogorientierte Serviceverfahren (DoSV) Die qualitative Dimension des Übergangs thematisiert – erschwert. Zusammenfassend kann festgestellt wer- die folgende Grafik. Der einfache Gedanke, der diesem den, dass die Mangelverwaltung auch organisatorisch Schaubild zugrunde liegt, ist: Auf einem Kontinuum und technisch an ihre Grenzen stößt – auch deshalb, weil zwischen den beiden idealtypischen Polen der Bildungs- die lokalen Zulassungsbeschränkungen der Hochschu- welt „Schule“ und der Bildungswelt „Hochschule“ mit len so zahlreich und vielfältig sind. ihren spezifischen Aufgaben und Funktionen, Arbeits- und Denkweisen bewegen sich die historisch konkreten II. Das Verhältnis von Schule und Hochschule im Institutionen Schule und Hochschule bzw. ihre jeweili- Wandel gen Unterrichtsformen.19 Je nach Ausrichtung bzw. Kom- petenzen der Bildungseinrichtungen20 sowie der vorge- 1. Werbung und Selektion sehenen Aufenthaltszeit (Schulzeit, Studiendauer)21 Um beide Tendenzen – Wettbewerb und Mangelverwal- decken sie realiter einen Teil des Kontinuums ab oder tung – deuten zu können, muss das Verhältnis zwischen eben nicht (dies entspricht der Länge des hellgrauen und Schule und Hochschule genauer beleuchtet werden. Eine des dunkelgrauen Balkens). Mit Hilfe dieses Modells sich autonom wähnende Hochschule möchte nicht nur kann man sich den verschiedenen Möglichkeiten heuris- um neue Studierende werben, sondern auch selbst ihre tisch nähern. Studierenden auswählen. Es geht nicht nur darum, mög- lichst viele Studierende zu rekrutieren, sondern dass sich möglichst gute bzw. geeignete Abiturient/innen für die Hochschule interessieren. Mehr noch als die gesteigerten Aktivitäten zur Studi- enwerbung wirkt sich das Ansinnen, Studierende auszu- wählen, auf das Verhältnis von Schule und Hochschule aus. Dieses Ansinnen berührt direkt die Schnittstelle zwischen den beiden Bildungsinstitutionen. Um diese Zusammenhänge zu erläutern, muss etwas weiter ausge- holt und ein Modell zur Veranschaulichung vorstellt werden. Grundsätzlich lässt sich die Schnittstellenproblema- Abbildung: Idealtypische Bildungswelten und reale Formen des tik in zwei Dimensionen unterteilen, die sich wechselsei- Unterrichts22 tig beeinflussen: Erstens hat der Übergang von der Schu- le zur Hochschule eine quantitative Dimension. Diese ist Die Abbildung gibt das komplexe Gefüge von Schule und vorrangig eine Frage von Nachfrage, Kapazitäten und Hochschule freilich nur eindimensional wieder. Sie soll 18 Ratifiziert im Staatsvertrag zur Errichtung einer gemeinsamen tem in der gymnasialen Oberstufe diskutiert. Einrichtung für Hochschulzulassung vom 5. Juni 2008. Zur Inter- 21 Thema auf Schulseite war in den letzten Jahren die Dauer der netseite der Einrichtung: https://hochschulstart.de/. Gymnasialzeit zwischen acht und neun Jahren. 19 Selbstverständlich müsste hier genauer zwischen den Hochschul- 22 Leicht modifizierte Darstellung aus: Winter, Martin (2008): arten – Universität, Fachhochschule etc. – und auch zwischen Die neuen Studienstrukturen und der Übergang von Schule zu den verschiedenen Fächern (mit ihren spezifischen Fachkulturen) Universität. Sieben Thesen und eine Frage. S. 149-155 in: Das differenziert werden. Hochschulwesen, Vol. 56, Heft 5, S. 153. 20 In diesem Zusammenhang wird beispielsweise auch das Kurssys-
Winter · Funktionsverschiebungen zwischen Schule und Hochschule 187 lediglich dazu einladen, mit der Länge der Balken zu expe- aus werden auch erfolgreich bestandene Testverfahren rimentieren und so mögliche Szenarien durchzuspielen. oder vor dem Studium absolvierte Praktika zu Vorbedin- Letztlich ist es eine empirische Frage, wie lang die gungen der Studienaufnahme gemacht. Warum diese einzelnen Balken ausfallen, das heißt: wie groß die quali- Praxis an den Hochschulen einen Bruch in der bundes- tative Lücke zwischen den beiden Bildungseinrichtun- deutschen Übergangslogik darstellt, wird unten erläu- gen ist bzw. wie eng Schulunterricht und Hochschulleh- tert. Erstaunlich ist, dass diese Entwicklung nicht weiter re inhaltlich aufeinander abgestimmt sind. Der Abstand öffentlich diskutiert wird.24 Offenbar reicht den Hoch- zwischen den beiden Balken weist darauf hin, wie die schulen das Abitur nicht mehr als Qualifikationsausweis Statuspassage institutionell gerahmt ist. Innerhalb dieses und damit als Nachweis für die Studierfähigkeit aus – Rahmens findet die individuelle „Bewältigung des Über- und dies wird stillschweigend so akzeptiert. gangs“ statt, die einen Abschnitt im Lebenslauf eines Im Übrigen teilt das Bundesverfassungsgericht die Menschen markiert. Je größer der Abstand ausfällt, des- Einschätzung offenbar, dass neben dem Abitur weitere to gravierender dürften die Übergangs- bzw. Schnittstel- Auswahlkriterien benötigt werden, wenn es – wie in sei- lenprobleme im Verhältnis von Schule und Hochschule nem aktuellen Urteil zum Mediziner-NC25 – neben dem ausfallen. Abitur weitere Eignungskriterien nicht nur für Medizin- Studiengänge, sondern für alle zulassungsbeschränkten 3. Selektion und Ertüchtigung Studiengänge verlangt. Zwar beschränkt sich dieser Sin- Die These ist, dass sich das Verhältnis von Schule und neswandel des Gerichts auf die zulassungsbeschränkten Hochschule – genauer: von Schulbildung und Hoch- Studiengänge. Dennoch kann das Urteil des BVerfG schulbildung – derzeit grundlegend ändert. Der dunkel- durchaus als eine Neuakzentuierung in seiner bisherigen graue Balken „Hochschullehre“ in der oben abgebildeten Rechtsprechung interpretiert werden, die erstaunlich Grafik wird länger. Die Kompetenzbereiche der Instituti- wenig in der Öffentlichkeit diskutiert wird (dazu später onen haben sich soweit verschoben (und werden sich mehr). wohl noch weiter verschieben), dass von einem Funkti- Zweitens ergreifen die Hochschulen Maßnahmen, onswandel gesprochen werden kann. Diese Veränderun- um die Schulabgänger/innen besser auf ein Hochschul- gen betreffen insbesondere die Hochschulen, die auf studium vorzubereiten (siehe unten). Auch dahinter (vermeintliche) Niveauabsenkungen bzw. (vermeintli- steckt die Einschätzung bzw. die Erfahrung, dass mit che) Fehlpassungen der Schulabgänger/innen reagieren. dem Abitur keine hinreichende Studierfähigkeit gegeben Aus Sicht der Hochschulen sind Defizite der Schul- ist. bildung auszugleichen. Dies geschieht auf zwei Wegen: Infolge dieser Veränderungen wandelt sich seit ein Erstens, indem nicht alle, sondern nur ausgewählte paar Jahren das Verhältnis von Schule und Hochschule Schulabgänger/innen zum Studium zugelassen werden. grundlegend. Diese Entwicklung verdient mehr Auf- Es gibt sogar aus rechtlicher Sicht – um es vorsichtig aus- merksamkeit, als ihr bislang zuteilwurde. Im Kern geht es zudrücken – eine erstaunliche Tendenz, die Erfüllung insbesondere um die Schnittstelle zwischen beiden Insti- gewisser Kriterien für die Zulassung vorauszusetzen, ob- tutionen und damit auch die Frage, wie der Übergang wohl gar keine kapazitären Engpässe und damit auch von Schulabsolvent/innen zur Hochschule gestaltet ist. keine kapazitär bedingte Zugangsbeschränkung bei den Letztendlich läuft es auf eine Abwertung des Abiturs als Studienplätzen vorliegen. Bei unseren Untersuchungen Berechtigungsausweis zum Hochschulzugang und auf ei- an 20 Hochschulen im Jahr 2012 war es jeder fünfte Ba- nen Bedeutungsgewinn der Hochschule im Bildungssys- chelor-Studiengang, für den – obgleich nicht vollständig tem hinaus. Der zentrale Punkt in dieser Funktionsver- ausgelastet und daher nicht mit einem NC versehen – schiebung im deutschen Bildungswesen ist der sinkende besondere Zulassungsvoraussetzungen verlangt wur- Wert des Abiturs. Um dies näher zu erläutern, muss erst den.23 Besonders häufig werden für das Studium ein- das deutsche Modell des Übergangs von Schule zu Hoch- schlägige Sprachkenntnisse vorausgesetzt. Darüber hin- schule, wie es bislang vorherrschte, beschrieben werden. 23 Winter, Martin / Rathmann, Annika / Trümpler, Doreen / Fal- ihre Folgen. Beitrag für die Internetseite der Bundeszentrale für kenhagen, Teresa (2012): Entwicklungen im deutschen Studi- politische Bildung zum Thema „Zukunft Bildung“. URL: http:// ensystem. Analysen zu Studienangebot, Studienplatzvergabe, www.bpb.de/gesellschaft/kultur/zukunft-bildung/204075/bolo Studienkapazität, Studienwerbung und Marketing. Wittenberg: gna-folgen. HoF-Arbeitsbericht 7/2012. URL: http://www.hof.uni-halle.de/ 25 BVerfG, Urteil des Ersten Senats vom 19. Dezember 2017 dateien/ab_7_2012.pdf. – 1 BvL 3/14 – Rn. (1-253), URL: http://www.bverfg.de/e/ 24 Vgl. Winter, Martin (2015): Bologna – die ungeliebte Reform und ls20171219_1bvl000314.html.
188 O R D N U N G D E R WI S S E N S C H A F T 3 ( 2 0 1 9 ) , 1 8 3 - 1 9 4 4. Das Abitur als Grundrechtszertifikat Hochschule ausgeschöpft sind, verstößt eine Beschrän- kung der Zulassung zum Studium nicht gegen dieses Aufnahmeprüfungen vor Studienbeginn sind die prinzi- Grundrecht. Die Zulassung wird beschränkt, indem pielle Alternative zur „Reifeprüfung“ am Ende der Schul- man nur diejenigen Abiturient/innen aufnimmt, die ein zeit. Grundsätzlich bzw. verfassungsrechtlich sind beide gewisses Niveau der Abiturnote aufweisen. Damit erhält Wege zur Hochschule möglich: das Schulabitur als Ein- nur eine beschränkte Anzahl an Bewerber/innen einen trittskarte in die Hochschulwelt oder hochschuleigene Studienplatz – das ist der sogenannte Numerus clausus Eingangstests. Das Grundgesetz gebietet nicht zwingend (NC).29 Für die Fächer, in denen die Kapazitäten der die „Koppelung von Abitur und Hochschulzugangsbe- Hochschule ausreichen, ist lediglich ein Abiturzeugnis rechtigung“, wie Kay Hailbronner26 betont. Grundsätz- erforderlich, die Note ist irrelevant.30 Deshalb wider- lich schreibt Artikel 12 Absatz 1 Grundgesetz (Ausbil- spricht – wie bereits oben angemerkt – die Praxis in eini- dungs- und Berufswahlfreiheit) nicht vor, wie die Anfor- gen Ländern, weitere Zulassungsvoraussetzungen für derungen an die Qualifikation zum Eintritt ins Studium nicht zulassungsbeschränkte Studiengänge zu verlangen, zu definieren sind. Das Bundesverfassungsgericht hat – dem Ausschöpfungsgebot des Bundesverfassungsge- in seinem NC-Urteil vom 18. Juli 197227 – ausdrücklich richts – auch wenn diese Praxis hochschulgesetzlich die Reformbedürftigkeit des Erwerbs der Hochschulreife ermöglicht wurde. offengelassen. Verfassungsrechtlich tatsächlich möglich ist eine Be- Der Streit um die beiden Alternativen ist so alt wie schränkung der Zulassung ohne „Not“ (einer zu starken das Abitur selbst.28 1834 wurden die bestehenden univer- Nachfrage) eigentlich allein in den Fächern, für deren sitären Eingangsprüfungen durch das schulische Abitur Studium ein besonderes Talent, eine besondere Bega- ersetzt – wohl auch zur Aufwertung der Gymnasien und bung jenseits der Hochschulreife vonnöten ist: in der Re- zur Entlastung der Universitäten. Seit nun fast 200 Jah- gel also Musik, Kunst und Sport. Dort ist die Eignung ren bereitet das Gymnasium auf die Universität vor; der der Bewerber/innen zu prüfen, sie müssen vorspielen Auftrag an die Gymnasien lautet: die jungen Menschen bzw. vorsingen, ihre Kunstwerke präsentieren oder sollen studierfähig „gemacht“ werden; die Schüler/innen sportliche Leistungen vollbringen. In diesen Fächern erhalten dann ein Zeugnis, das ihnen Hochschulreife be- können auch Bewerber/innen mit diagnostiziertem Ta- scheinigt und das gleichzeitig als Berechtigungsschein lentmangel abgelehnt werden, obwohl die Kapazitäten fungiert, einen Studienplatz zu erhalten. der Hochschule noch nicht ausgeschöpft sind. Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem NC-Urteil Die Aufgabenaufteilung zwischen Schule und Hoch- von 1972 diesen Berechtigungsschein zu einem Papier schule ist in diesem Modell klar geregelt: Das Abitur be- gewordenen Grundrecht auf einen Studienplatz aufge- zeugt die Studierfähigkeit, die Universität knüpft mehr wertet und zugleich die Modalitäten des Hochschulzu- oder weniger nahtlos daran an. Die Hochschulen neh- gangs geregelt. Das Prinzip lautet: Die Hochschulen men jede/n auf – solange es keine kapazitätsbedingte Zu- müssen – solange sie die Kapazitäten in der Lehre auf- lassungsbeschränkung gibt. Klagen seitens der Hoch- weisen – Interessenten mit zertifizierter Studierfähigkeit schulen über minderkompetente Abiturient/innen mag aufnehmen. Hierauf haben die Abiturient/innen einen es indes seit jeher gegeben haben. Die Annahme einer Anspruch, der auf dem Grundrecht auf Ausbildungs- generellen Studierfähigkeit nach erfolgreichem Schulab- und Berufswahlfreiheit gründet (in Verbindung mit dem schluss ist allerdings schon immer unterlaufen worden. Gleichheitssatz und dem Sozialstaatsprinzip). Erst wenn Statt vorab in Aufnahmetests die passenden oder geeig- diese studiengangsspezifischen Kapazitäten an der neten Studierenden auszuwählen, werden (vermeint- 26 Hailbronner, Kay (1995): Verfassungsrechtliche Grenzen einer uni-oldenburg.de/1193/ sowie: Wolter, Andrä (2016): Gymnasium Neuregelung des Rechts auf Zugang zu den Hochschulen. Gut- und Abitur als „Königsweg“ des Hochschulzugangs: Historische achten für das Centrum für Hochschulentwicklung. Gütersloh, Entwicklungslinien und institutionelle Transformationen. S. 1-27 CHE-Arbeitspapier Nr. 7, S. 33. in: Kramer, Jochen / Neumann, Marko / Trautwein, Ulrich (Hg.): 27 BVerfG, Urteil des Ersten Senats vom 18. Juli 1972 - 1 BvL 32/70, Abitur und Matura im Wandel. Historische Entwicklungslinien, BVerfGE 33, 303. URL: http://www.servat.unibe.ch/dfr/bv033303. aktuelle Reformen und ihre Effekte. Berlin: Springer. html. 29 Umgangssprachlich bezeichnet der NC die Abiturgesamtnote, die 28 Vgl. Oelkers, Jürgen (2009): Hochschulreife und Studierfähigkeit. erreicht sein muss, um einen Studienplatz zu bekommen. Bemerkungen zur Entwicklung des Gymnasiums. Vortrag in 30 Ausführlich dargestellt ist die Logik von Studienplatzvergabe und der Kantonsschule Wettingen am 11. Juni 2009. URL: https:// Kapazitätsermittlung in: Winter, Martin (2013): Studienplatzver- www.ife.uzh.ch/dam/jcr:00000000-4a53-efb4-ffff-ffffae788661/ gabe und Kapazitätsermittlung. Berechnungs- und Verteilungs- Wettingen.pdf sowie Wolter, Andrä (1989): Von der Elitenbildung logiken sowie föderale Unterschiede im Kontext der Studien- zur Bildungsexpansion. Zweihundert Jahre Abitur (1788-1988). strukturreform. S. 241-273 in: Wissenschaftsrecht, Vol. 46, Heft 3, Oldenburg: Oldenburger Universitätsreden. URL: http://oops. S. 245 ff.
Winter · Funktionsverschiebungen zwischen Schule und Hochschule 189 lich) leistungsschwächere Studierende in Zwischenprü- tungen sind allerdings noch nicht in den Fokus der Dis- fungen in den ersten Semestern „ausgesiebt“. kussion gerückt. Die oben vorgestellte Abbildung könn- te hierzu vielleicht eine kleine Hilfe sein. 5. Der Bedeutungsverlust des Abiturs Das Erstaunliche an dem Wandel ist, dass er nicht offen 6. Studierendenvorbereitung und Studierendenauswahl programmatisch erklärt wird, sondern dass vielmehr Die Entwicklung ist bereits fortgeschritten, der Wandel schleichend Fakten geschaffen werden. Diese Formulie- ist schon eingetreten. Insgesamt stellen sich die Verände- rung unterstellt allerdings, es gebe identifizierbare rungen allerdings widersprüchlich dar: absichtsvoll handelnde Urheber dieser Veränderungen. Auf der einen Seite finden studienvorbereitende Kur- Wurde die Entwicklung tatsächlich gewollt vorangetrie- se, zum Teil vor dem Studium, zum Teil in der ersten ben oder handelt es sich dabei lediglich um eine Reakti- Studienphase statt. Die Hochschulen übernehmen nicht on ohne dahinterliegende absichts- oder gar interessen- nur die Schulabgänger/innen und spulen ihr Studien- geleitete Strategie? Eine grundsätzliche politische Debat- programm ab, sondern holen sie dort ab, wo sie hinsicht- te über das Verhältnis von Hochschule und Schule sowie lich ihrer Kompetenzen gerade stehen. An vielen Hoch- über die Funktion des Abiturs hat nicht stattgefunden, schulen wird eine Art Nachhilfeunterricht angeboten, wohl aber eine Diskussion über die Qualität des Abiturs insbesondere im Fach Mathematik. Eigentlich überneh- – sowohl in der Öffentlichkeit als auch in Fachkreisen. men die Hochschulen damit Aufgaben der Studienvor- Denn kritische Fragen gibt es viele: bereitung, die bislang von der Schule erfüllt werden soll- Ist das Leistungsniveau des Abiturs tatsächlich ge- ten, die dies aber offenbar nicht mehr leistet bzw. nicht sunken? Werden im Abitur zu viele Fächer belegt (und leisten kann. Mit der Studienvorbereitung für vermeint- diese damit zu oberflächlich gelernt) oder sind es gar die lich noch nicht hochschulreife Studienbewerber/innen „falschen“ Fächer? Geben die Abiturnoten belastbare gewinnt die Propädeutik an der Hochschule wieder an Hinweise auf die Leistungsfähigkeit der Schulabgäng- Bedeutung. Was in der mittelalterlichen Universität die er/innen? Weshalb ist die Anzahl sehr guter Abiturnoten Artistenfakultät und später die Philosophische Fakultät, in den letzten Jahren gestiegen?31 Warum ist eine Erhö- zu DDR-Zeiten die Arbeiter- und Bauernfakultät war, hung der Abiturquote bzw. der Studierquote politisch sind heute Zentren für Studienvorbereitung, wie sie bei- wünschenswert? Ist die (vermeintlich) mangelnde Hoch- spielsweise an der Brandenburgischen Technischen Uni- schulreife das Ergebnis einer Schulpolitik, die kaum versität Cottbus34 eingerichtet worden sind. Mit be- noch Schüler/innen auf dem Weg zum Abitur scheitern trächtlichem Ressourceneinsatz werden derartige Pro- lassen, sondern möglichst viele Jugendliche zum Abitur jekte im Rahmen des aus Bundesmitteln finanzierten führen will?32 Oder mangelt es schlicht an der Abstim- Qualitätspakts Lehre gefördert.35 mung der Lerninhalte zwischen Schule und Hochschule? Zudem werden die Hochschulen geöffnet für Men- Zwar wird über die Studierfähigkeit von Abituri- schen ohne Abitur, indem ihnen andere bereits erbrach- ent/innen und den Übergang von Schule zu Hochschule te Leistungen angerechnet werden.36 So verfügen „nicht- geforscht,33 die Gestaltung des Übergangs und die Neu- traditionelle“ Studierende zwar über berufliche Qualifi- ordnung der Aufgaben der beteiligten Bildungseinrich- kationen, aber kein Abitur. Gerade für diese Studieren- 31 Zahlen zu den Abiturnoten in den Bundesländern sind der Ittel, Angela (Hg.) (2019): Der Übergang in die Hochschule. Stra- Internetseite der Kultusministerkonferenz zu entnehmen: https:// tegien, Organisationsstrukturen und Best Practices an deutschen www.kmk.org/dokumentation-statistik/statistik/schulstatistik/ Hochschulen. Münster: Waxmann. abiturnoten.html. 35 In der Projektdatenbank des Qualitätspakts Lehre finden sich 32 Letzte Frage unterstellt, Intelligenz und andere relevante Kompe- mehr als 110 Projekte zur Studieneingangsphase, die sowohl in tenzen seien in einem bestimmten Ausmaß unter den (jungen) der ersten (2011/12-2016) als auch in der zweiten Förderphase Leuten verteilt. (2016/17-2020) finanziert wurden. Siehe: https://www.qualitaet 33 Siehe beispielsweise: Asdonk, Jupp / Kuhnen Sebastian. U. / spakt-lehre.de/de/projekte-im-qualitatspakt-lehre-suchen-und- Bornkessel, Philipp (Hg.) (2013): Von der Schule zur Hochschu- finden.php. Vorgestellt werden einige Beispiele in der Broschüre le. Analysen, Konzeptionen und Gestaltungsperspektiven des des Projekts „nexus“ der HRK: Hochschulrektorenkonferenz, Übergangs. Münster: Waxmann sowie Asdonk, Jupp / Fiedler- Projekt nexus (2018): Übergänge gestalten, Studienerfolg verbes- Ebke, Wiebke / Glässing, Gabriele (Hg.) (2009): Übergang Schule sern. Berlin. URL: https://www.hrk-nexus.de/fileadmin/redakti – Hochschule. TriOS, Vol. 4, Heft 1. on/hrk-nexus/07-Downloads/2018_nexus_Broschuere_UEberga 34 Zum Zentrum für Studierendengewinnung und Studienvorberei- enge_gestalten__Studienerfolg_verbessern_WEB.pdf. tung „College+“ an der BTU Cottbus siehe: Erdmann, Kathrin / 36 Insbesondere gefördert durch das Bund-Länder-Programm Koziol, Matthias / Meißner, Marlen (2019): Collegestrukturen für „Aufstieg durch Bildung: offene Hochschulen“ (2011-2020). Siehe: den erfolgreichen Übergang. S. 213-224 in: Driesen, Cornelia / https://www.wettbewerb-offene-hochschulen-bmbf.de/.
190 O R D N U N G D E R WI S S E N S C H A F T 3 ( 2 0 1 9 ) , 1 8 3 - 1 9 4 den bzw. Studieninteressenten sind die genannten den Hochschulen ein eigenes Kriterienerfindungsrecht studienvorbereitenden bzw. studienbegleitenden Maß- zu überlassen.“ (1 BvL 3/14, Rn. 119) Das Gericht verlangt nahmen sinnvoll. vom Gesetzgeber eine Standardisierung und Strukturie- Auf der anderen Seite reicht das Abitur nicht mehr rung hochschuleigener Eignungsprüfungsverfahren; die aus, um einen Studienplatz zu bekommen. Es sind weite- Hochschulen dürfen diese Verfahren nur insofern kon- re Voraussetzungen zu erfüllen, um zum Studium zuge- kretisieren, indem sie die Verfahren fachspezifisch aus- lassen zu werden. Dieser Trend wird durch das Urteil des gestalten und Schwerpunkte unter Einbeziehung hoch- Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts zur Hoch- schulspezifischer Profilbildungen setzen. Folglich haben schulzulassung vom 19. Dezember 2017 (1 BvL 3/14, 1 BvL die Hochschulen hinsichtlich dieser Konkretisierungsbe- 4/14) nochmals angeschoben. Das Bundesverfassungsge- fugnis einen gewissen Gestaltungs- und Entscheidungs- richt verlangt nun neben der Abiturnote weitere Zulas- spielraum. sungskriterien für zulassungsbeschränkte Studiengänge. Obgleich das Urteil den Wert des Abiturs relativiert, Umgekehrt heißt dies: Bei Studiengängen, die nicht zu- sollte es nicht als Plädoyer für seine Abwertung gelesen lassungsbeschränkt sind, sollte nach wie vor das Abitur werden. Vielmehr gewinnt man den Eindruck, das Abi- reichen. Grundsätzlich – so das Gericht – müsse sich die tur und sein Leistungsmaßstab, die Abiturnote, böten Vergabe knapper Studienplätze an dem Kriterium der aus Sicht des Gerichts durchaus den richtigen Verteil- Eignung (!) orientieren. Diese Maßgabe gilt nicht nur für schlüssel an, nur leider könne das Abitur – so wie es sich zulassungsbeschränkte Medizin-Studiengänge, sondern derzeit darstellt – diese Aufgabe nicht erfüllen. So kriti- grundsätzlich für alle zulassungsbeschränkten Studien- siert das Gericht die eingeschränkte länderübergreifende gänge, also auch für Studiengänge mit ortsgebundenem Vergleichbarkeit des Abiturs. Da also das Abitur nicht Numerus clausus. Dies bedeutet, dass aus Sicht des Bun- das leistet, was es eigentlich leisten könnte, ist verfas- desverfassungsgerichts die Abiturnote als alleiniges Zu- sungsrechtlich ein Mechanismus gefordert, der zwischen lassungskriterium nicht mehr ausreicht:37 den verschiedenen Länderstandards ausgleicht. Gesucht „Geboten ist insoweit, dass der Gesetzgeber die Hoch- wird ein anderes eignungsrelevantes Kriterium, das schulen dazu verpflichtet, die Studienplätze nicht allein nicht auf Schulnoten basiert. und auch nicht ganz überwiegend nach dem Kriterium Ansonsten bleibt das Bundesverfassungsgericht der Abiturnoten zu vergeben, sondern zumindest ergän- grundsätzlich bei seiner Argumentation aus seinem NC- zend ein nicht schulnotenbasiertes, anderes eignungsre- Urteil von 1972, nach der das Grundrecht der Berufsfrei- levantes Kriterium einzubeziehen.“ (1 BvL 3/14, Rn. 209) heit in Verbindung mit dem allgemeinen Gleichheitssatz Begründet wird dies – angesichts der Inflation sehr und dem Sozialstaatsprinzip ein Recht auf Zulassung guter Noten und der mangelnden Vergleichbarkeit der zum Hochschulstudium gewährleistet.38 Nur eben, dass Abiturnoten zwischen den Ländern – mit der beein- aktuell das Abitur nicht die alleinige Eintrittskarte in die trächtigten Aussagekraft des Abiturs hinsichtlich der Hochschulwelt sein kann. In den vielen nicht-zulas- Studieneignung. Dem Bundesverfassungsgericht fehlt sungsbeschränkten, offenen Studiengängen hat das Abi- offenbar der Glaube, das Abitur – so wie es derzeit durch- tur hingegen nach wie vor seine Funktion als „zertifizier- geführt werde – könne die Studierfähigkeit bezeugen. Im tes Hochschulbildungsrecht“ inne. In den zulassungs- Endeffekt wird mit diesem Urteil die Abwertung des Ab- beschränkten Studiengängen dagegen muss nun ein iturs höchstrichterlich betrieben. alternatives Auswahlkriterium vorliegen, das hochschul- Einerseits wird damit die Rolle der Hochschule beim übergreifend gilt. Übergang von Schule zu Hochschule gestärkt. Anderer- Die Öffnung der Hochschulen für nicht-traditionelle seits begrenzt das Gericht zugleich den Einfluss der Studierende, die Ausweitung der hochschulischen Studi- Hochschulen auf das Auswahlverfahren. Denn die Defi- envorbereitung und Studierendenauswahl – all diese Ent- nition von Eignungskriterien dürfe nicht allein den wicklungen laufen auf die besagte Relativierung der Hochschulen überlassen werden, so das Gericht: Funktion des Abiturs als Zugangsberechtigungsschein „Grundsätzlich ist es verfassungsrechtlich unzulässig, für die Hochschule hinaus. 37 Einschränkend dazu – formuliert das Bundesverfassungsgericht – 19.12.2017 aus grundrechtsdogmatischer Sicht. S. 275-280 in: solle aber bei einem hinreichenden Teil der Studienplätze neben Ordnung der Wissenschaft, Vol. 5, Heft 4, S. 276. URL: der Abiturdurchschnittsnote keine weiteren Auswahlkriterien http://www.ordnungderwissenschaft.de/2018-4/ge verlangt werden. samt/35_2018_04_lindner_nc_urteil_odw.pdf. 38 Siehe: Lindner, Josef Franz (2018): Das NC-Urteil des BVerfG vom
Winter · Funktionsverschiebungen zwischen Schule und Hochschule 191 III. Diagnose und Ausblick stützt, die beim Studieneinstieg helfen. Hohe Studieren- denzahlen sind politisch erwünscht: zum einen, weil seit 1. Beabsichtigte Planung oder ungesteuerte Entwick- Jahren von der Organisation für wirtschaftliche Zusam- lung? menarbeit und Entwicklung (OECD) mit vergleichen- Das Abitur gilt zwar nach wie vor als die Eintrittskarte in dem Blick auf andere Länder angemahnt; zum anderen, die Hochschulwelt, jedoch nur (noch) mit gewissen Ein- und dies ist wohl das gewichtigere Argument, weil eine schränkungen. Die Hochschulen wählen selbst ihre Stu- Auslastung der Hochschulen als politisch notwendig dierenden für kapazitär beschränkte Studiengänge aus, erachtet wird. Dies ist insbesondere im Interesse des allerdings unter der Vorgabe der Vergleichbarkeit bzw. jeweils zuständigen Wissenschaftsministeriums. Gene- Standardisierung der Eignungskriterien. Immerhin dür- rell konkurrieren die Ministerien einer Landesregierung fen die Hochschulen diese Verfahren fach- und hoch- um die knappen Finanzmittel des Landeshaushalts. schulspezifisch ausgestalten, erhalten folglich einen Nicht ausgelastete Hochschulen schaffen wiederum nicht unerheblichen Spielraum. Begehrlichkeiten anderer Ressorts. Eine mangelnde Aus- Generell werden die Hochschulen dafür verantwort- lastung kann kritische Nachfragen – z.B. des Finanzmi- lich gemacht, dass ihre Kapazitäten in Studium und Leh- nisteriums – zur Folge haben oder gar Mittelverschie- re genutzt werden. Zum einen müssen sie bei erhöhter bungen zwischen den Ressorts begründen helfen. Dies Nachfrage ihre Kapazitäten ausschöpfen; zum anderen gilt es aus Sicht der Wissenschaftsressorts zu vermeiden. ist es politisch erwünscht, dass auch in Studiengängen Daher werden über die Formeln der Mittelzuweisung für mit geringerer Nachfrage eine ausreichende Anzahl Ein- die Hochschulen zusätzlich Anreize geschaffen, mehr schreibungen vorliegt. Nicht zuletzt deshalb stehen die Studienanfänger/innen bzw. Studierende aufzunehmen. Hochschulen im Wettbewerb zueinander und werben Insbesondere über die Studierendenzahlen rechtfertigen um Studierende bzw. um die besten bzw. „passenden“ die Hochschulen politisch ihre Existenz. Sinken die Zah- Studierenden. Gleichwohl stellen die Hochschulen selbst len, reagieren die Wissenschaftsministerien schnell alar- – auch wenn dies der Nachfrage nicht dienlich sein miert, da sie ihre Hochschuletats gegenüber ihrem könnte – bei nicht zulassungsbeschränkten Studiengän- Finanzministerium verteidigen müssen. In diesem Sinne gen neben dem Abitur eigene Auswahlkriterien auf. agieren die Wissenschaftsministerien auch als regie- Kurz, es handelt sich um eine komplexe Mischung aus rungsinterne Lobby für Wissenschaft und Hochschulen. staatlichen Reglements und Ansprüchen sowie (hoch- Die Hochschulen sind daher gehalten, ihre vorhandenen schul-)unternehmerischem Organisationsinteresse und Studienplätze zu vergeben. Auch deshalb konkurrieren Engagement. sie um Studierende, richten Marketing-Stellen ein und Wie ist es zu dem Bedeutungsverlust des Abiturs und werben mit viel Aufwand um Schulabgänger/innen. Im dem Bedeutungsgewinn der Hochschulbildung gekom- Rahmen einer Vollerhebung (Internetrecherche plus men? Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts Nachfragen) hat das Institut für Hochschulforschung vom 19. Dezember 2017 einmal ausgeklammert: Steckt HoF in Wittenberg alle staatlichen Hochschulen in der dahinter tatsächlich ein langfristiger Plan? Oder handelt Bundesrepublik – ausgenommen die Kunst- und Musik- es sich um das Ergebnis unbeabsichtigter Nebeneffekte hochschulen sowie die Verwaltungshochschulen – dar- hochschulpolitischer Absichten? aufhin untersucht, ob sie Marketing-Stellen bzw. Stellen Für letztere Erklärung spricht: Programmatisch wird aufweisen, die Marketingaufgaben übernehmen. nicht von einer beabsichtigten Abwertung des Abiturs An nur 15 der 188 Hochschulen gab es – im Jahr 2012 gesprochen. Dies würde wohl auch einen Affront gegen- – keine derartigen Stellen; das sind weniger als acht über der Schulseite erzeugen. Eher handelt es sich um Prozent.39 eine Reaktion auf eine negative (bzw. negativ wahrge- Schließlich passen diese Handlungsmuster zu einer nommene) Entwicklung des Abiturs. Aktiv hingegen hochschulpolitischen Rhetorik, die Hochschulen als Un- wird eine Öffnung der Hochschulen proklamiert und ge- ternehmen begreift, die im Wettbewerb zueinander ste- fördert. Zudem werden Projekte massiv finanziell unter hen. Die Vorstellung von der Hochschule als korporati- 39 Siehe: Winter, Martin / Falkenhagen, Teresa (2013): Marketing an Hochschulmitarbeitenden basieren. Siehe: Brüser, Rene (2003): Hochschulen. Zur organisatorischen Verortung von Marketing- Perspektiven des Hochschulmarketing. Eine theoretische und stellen an Universitäten, Fachhochschulen und Pädagogischen empirische Bestandsaufnahme des deutschen Hochschulsystems. Hochschulen. S. 8-16 in: Hochschulmanagement, Vol. 8, Heft Halberstadt, Hochschule Harz, Fachbereich Verwaltungswis- 1. Von Brüser (aus dem Jahr 2003) sowie von Schwetje, Hauser senschaft. URL: http://hsdbs.hof.uni-halle.de/documents/t1370. & Leßmöllmann (aus dem Jahr 2017) liegen ebenfalls empiri- pdf sowie Schwetje, Thorsten / Hauser, Christiane / Leßmöllmann, sche Studien vor, die auf Befragungen von Hochschulen bzw. Annette (2017): Hochschulkommunikation erforschen. Hoch-
192 O R D N U N G D E R WI S S E N S C H A F T 3 ( 2 0 1 9 ) , 1 8 3 - 1 9 4 vem Akteur steckt im politischen Programm der unter- 2. Prognosen nehmerischen Hochschule.40 Sie ist eine Ableitung aus der Ideenwelt des New Public Management. Dies wirkt Wie könnte die Entwicklung weitergehen? Die Antwort sich wiederum auf die Hochschulen aus – und zwar hängt wohl auch von verschiedenen Faktoren ab. Die nicht nur auf die Gestaltung der rechtlichen und finanzi- Studierendenzahlen sowie die Studierquote sind in den ellen Rahmenbedingungen „hochschulischen Unterneh- letzten Jahren deutlich gestiegen. Allerdings fällt der mens“, sondern auch auf die Mentalität der beteiligten Andrang der Studierenden räumlich und fächerspezi- Akteure, was wiederum diesen Wandel befördert. Offen- fisch sehr unterschiedlich aus. Obgleich das Hochschul- bar bestätigt sich auch hier das bekannte Thomas- wesen in Deutschland generell als überlastet und unter- Theorem:41 Die Hochschulen wähnen sich im Wettbe- finanziert gilt, sind an manchen Orten und in manchen werb, also befinden sie sich im Wettbewerb; infolgedes- Fächern Studienbewerber/innen „Mangelware“ und sen gibt es Gewinner und Verlierer. Die Hochschulen – werden Lehrkapazitäten nicht ausgeschöpft. Wie stark ihre Mitglieder und insbesondere ihre Leitungen – glauben die Hochschulen im Wettbewerb stehen bzw. wie inten- daran, auch weil es von ihnen so verlangt wird bzw. sie siv sie mit der Mangelverwaltung beschäftigt sind, ist kritisiert werden, wenn sie nicht entsprechend agieren. demnach von Region zu Region sowie von den unter- Weil sie als korporative Akteure auftreten (sollen), glau- schiedlichen Studienfächern abhängig. In manchen ben sie unternehmerisch, also wettbewerblich handeln Regionen und in manchen Fächern wird es in erster zu müssen. Linie darum gehen, die Studienplätze überhaupt zu Ob hinter den langfristigen Entwicklungen im Ver- besetzen; in anderen dagegen wird sich der Wettbewerb hältnis von Schule und Hochschule ein planerisches darauf konzentrieren, die „besten“ oder zumindest die Vorgehen steckt, kann bezweifelt werden. Wenn es sich „passenden“ Studierenden zu gewinnen.42 Neben den um unbeabsichtigte Folgen absichtsgeleiteten Handelns quantitativen Aspekten (Anzahl der Studienplätze, handelt, dann ist zu fragen, welche politischen Absichten Anzahl der potenziellen Studieninteressierten) spielt dahinterstehen. Zum einen dürften der Wunsch nach demnach das Leistungsniveau der Abiturient/innen bei hohen Studierendenzahlen und einer hohen Studierquo- der Studienplatzverteilung eine zentrale Rolle. Beson- te und zum anderen die erwünschte Ausrichtung der ders im Master-Bereich werden sich Angebot und Nach- Hochschulen als unternehmerisch agierende Organisati- frage erheblich unterscheiden: In manchen Fächern und onen diese Entwicklung gefördert haben. an manchen Standorten werden die Hochschulen Prob- Auf schulpolitischer Seite bemüht man sich ange- leme haben, überhaupt genügend Studierende zu finden; sichts steigender Abiturientenquoten und der Inflation an anderen führt die große Anzahl von Bewerber/innen guter Noten um eine Wieder-Aufwertung des Abiturs. zu hochselektiven Auswahl- und Zulassungsverfahren. Das geschieht bereits, indem die Länder gemeinsame Hinsichtlich der Anwendung von Zulassungs- und Aus- Abituraufgabenpools schaffen. Zudem soll dazu eine ge- wahlverfahren ist folglich zu erwarten, dass sich die Stu- wisse Vergleichbarkeit der Abiturnoten über ein Prozen- dienplatzvergabe in den Fächern und an den Hochschul- trangverfahren, das Aussagen über die Notenverteilung standorten unterschiedlich entwickeln wird. Dies gilt es in einem Bundesland erlaubt, hergestellt werden. Der ra- genauer empirisch zu untersuchen. dikalste Schritt zur Aufwertung des Abiturs wäre indes Angesichts des aktuellen Rekordhochs der Studieren- die Schaffung eines nationalen Zentralabiturs und eine denzahlen und der Not mancher Hochschulen, die vie- Notenvergabe, die sich an der Normalverteilung der len Studierwilligen aufzunehmen, mag die Prognose43 Gaußschen Glockenkurve orientiert (wenige sehr gute, erstaunlich klingen, dass es mittel- bis langfristig mehr viele durchschnittliche und wenige sehr schlechte No- Wettbewerb um Studierende zwischen den Hochschulen ten). Ersterem steht allerdings der Bildungsföderalis- geben wird. Doch aller Voraussicht nach wird sich in den mus in Deutschland entgegen; letzteres ist generell um- Regionen mit sinkenden Abiturientenzahlen der Trend stritten. der letzten Jahrzehnte umdrehen: Nicht mehr die Studi- schulkommunikatoren als Akteure. Karlsruhe: Karlsruher Institut 42 Vgl. Winter, S. 37 f., siehe Fußnote 5. für Technologie KIT. URL: http://www.geistsoz.kit.edu/germ 43 Allerdings kann man mit Prognosen auch ziemlich falsch liegen, anstik/downloads/Projektbericht-Hochschulkommunikation- wie Björn Christensen und Sören Christensen mit Blick auf die erforschen-2.Welle-Schwetje-Hauser-Lessmoellmann.pdf. bisherigen KMK- und CHE-Prognosen zu den Studienanfänger- 40 Vgl. Winter, Fußnote 5. zahlen feststellen. Siehe: Christensen, Björn / Christensen, Sören 41 „If men define situations as real, they are real in their consequen- (2017): Falsche Prognosen. Wo kommen all die Studierenden ces.“ aus: Thomas, William I. / Thomas, Dorothy Swaine (1928): her? Spiegel-Online. URL: http://www.spiegel.de/wissenschaft/ The Child in America: Behavior Problems and Programs. New mensch/falsche-prognosen-wo-kommen-all-die-studierenden- York: Knopf, S. 572. her-a-1126487.html.
Sie können auch lesen