Materialtheater Stuttgart: Warten auf Bill Gates eine Analyse - UNIDRAM - Anja Rindler

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Materialtheater Stuttgart: Warten auf Bill Gates eine Analyse - UNIDRAM - Anja Rindler
UNIDRAM
                       2003

 Materialtheater Stuttgart: Warten auf Bill Gates
                    eine Analyse

Anja Rindler
Materialtheater Stuttgart: Warten auf Bill Gates eine Analyse - UNIDRAM - Anja Rindler
Inhaltsverzeichnis

EINLEITUNG..................................................................................................................2

1.      INHALTSBESCHREIBUNG DES STÜCKES .......................................................3

2.      ANALYSE DES STÜCKES.....................................................................................6

     2.1       BÜHNE, REQUISITEN , LICHT RAUMSTRUKTUR ...................................................6
     2.2       PERSONAL UND FIGUREN .....................................................................................7
     EXKURS: CLOWNERIE ...................................................................................................10
     2.3       SPRACHE UND KÖRPERSPRACHE ........................................................................10
     2.4       ZEITSTRUKTUR UND HANDLUNG ........................................................................12
     2.5       INTERAKTION MIT DEM ZUSCHAUER UND SPIEL IM SPIEL ....................................14
     2.6       VERGLEICH MIT BECKETTS WARTEN AUF GODOT ...........................................15

3.      DEUTUNGSANSÄTZE .........................................................................................16

LITERATUR..................................................................................................................19

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Einleitung
Das 10. Osteuropäisch-Deutsche Festival für Off-Theater in Potsdam (unidram) hat sich zu
einem bedeutenden Treffpunkt für die Off-Theater-Szene entwickelt. Zu den Teilnehmern
gehörte in diesem Jahr (2003) das Materialtheater Stuttgart (MaT). Im MaT finden sich seit
Jahren internationale Künstler aus verschiedensten Bereichen des Theaters zusammen. Es
prägt die Stuttgarter freie Theaterszene seit seiner Gründung in den 80iger Jahren. Im
Mittelpunkt ihrer Arbeit stehen seitdem alternative Theaterformen, vor allem das
Figurentheater.        Der Name der Bühne ist Programm: Ob Fischkopf, Projektor oder
Eierbecher, Sektglas, Nähmaschine oder 120kg Buchweizenschrot, die verschleudert
werden           in den Händen dieser Künstler kann jedes Material zum Handlungsträger
             1
werden.
In Potsdam stellte das MaT seine aktuelle Inszenierung Warten auf Bill Gates                ein
clownesques Objekttheater vor. Dessen Darsteller Sigrun Nora Kilger und Alberto Garcia
Sánchez sind in Sachen Schauspiel, Figurentheater, Clownerie, Pantomime ausgebildete
Profis. Sie arbeiten seit mehreren Jahren im MaT zusammen. Ausgezeichnet mit
renommierten Theaterpreisen und durch internationale Tourneen sind sie in der freien
Theaterszene über die deutschen Grenzen hinaus anerkannt. Sigrun Nora Kilger ist
Mitbegründerin des MaT. 2
Der Regisseur Yaron Goldstein lebt als freier Autor, Regisseur und Schauspieler in
Stuttgart. Er führte zahlreiche Inszenierungen am Theaterhaus Stuttgart. 1997 spielte er
dort Warten auf Godot . Inspiriert von dieser Inszenierung legte er hier nun wieder eine
eigene Regiearbeit vor           Warten auf Bill Gates .

Diese Arbeit versucht, eine Analyse dieses Stückes vorzunehmen. Dabei ist zu beachten,
dass die Autorin keine Theaterwissenschaftlerin ist. Im Vordergrund stehen die
Beschreibung          des    Gesehenen,     die   Strukturanalyse   und   der   Versuch   einer
Bedeutungsgenerierung.

1
     aus: www.theatercontact.de
2
    genaueres unter www.theatercontact.de
                                                                                             2
1. Inhaltsbeschreibung des Stückes
Zwei stumme Gestalten sind eingetroffen, um den Auftritt Bill Gates vorzubereiten. Sie
nennen sich Security, aber sie machen mit ihren Clownsnasen und Anzügen mit
grüngestreift bzw. -gepunkteter Krawatte und vor allem mit diesen komischen Hüten nicht
den Eindruck eines kompetenten, professionellen Sicherheitsteams. Den Zuschauern
versuchen sie das jedoch zu suggerieren.
Vor den Zuschauerreihen aufgebaut, einer         klein und kräftig, Torte essend (laut
Handreichung Beto), der Andere      lang und dünn, Cola trinkend (Analfo), mustern sie
stumm ihr Publikum. Plötzlich schieben sie lässig ihre linke Jackenhälfte beiseite. Das
Logo Security kommt zum Vorschein. Mit ernsten Mienen nehmen beide einen
Tennisschläger unter dem Arm hervor und beginnen die Zuschauer abzuscannen             eine
komische Situation, lachen. Mehr oder weniger gründlich werden die Schläger dem
Publikum zum scannen über die Köpfe gehalten, Einzelne werden intensiv gemustert.
Dann, Beto löscht das Publikumslicht. Die Bühne wird hell. Sie betreten die Szenerie    90
Minuten Warten auf Bill Gates beginnen.

Wir lernen zwei komische, sprachlose Gestalten kennen, die ihren Security-Job gut
machen wollen, denn der Empfang Bill Gates muss perfekt vorbereitet werden. Die zwei
Protagonisten werden dafür viele kleine und größere Hindernisse zu überwinden haben. Zu
Beginn müssen sie die Bühne für die Rede vorbereiten. Sicherheitskontrollen beim
Publikum werden gemacht, wobei erstaunlicherweise einiges zutage kommt, und sie
müssen vor allen Dingen warten    warten auf Bill Gates.

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Nach dem Eintreffen der beiden wird in den ersten Szenen unter vielen Slapstickeinlagen
besonders Beto stürzt immer wieder über seine eigenen Beine oder über die Absperrständer
  das Rednerpult mit Wasserglas, Microsoft-Buch und (WC-)Papier und ein Mikrofon
nach Anweisung eines Briefes aufgebaut. Ein beim Betreten musizierender Teppich wird
ausgerollt, Willkommen Bill Gates in Schönschrift auf die rechte Stellwand übertragen.
Nach einem kompliziert akrobatischen Jackentausch zwischen Analfo und Beto ist alles
bereit für das Eintreffen des großen Herrn. Die Zeit des Wartens beginnt. Wir, das
Publikum, warten mit ihnen.
Bald jedoch beginnt Beto gegen Müdigkeit anzukämpfen, ein schweres Ringen, denn
Analfo darf ja nichts merken      aber vergeblich, der Schlaf übermannt ihn.
Ein plötzlicher lauter Schlag lässt beide schnell wieder hellwach sein. Aufregung. Mit
roten Boxerhandschuhen an den Händen suchen sie einen Gegner, laufen panisch umher.
Sie kämpfen bis zur völligen Erschöpfung gegeneinander und gegen unsichtbare
Widersacher.
                                                                 Lichtwechsel. Analfo und
                                                                 Beto haben das Rednerpult
                                                                 bestiegen, lesen neugierig
                                                                 im      Microsoft-Buch    und
                                                                 können      der    Verlockung
                                                                 nicht     widerstehen.     Sie
                                                                 trinken das Wasser, das für
                                                                 den     Redner    Bill   Gates
                                                                 vorgesehen war. Das bringt
                                                                 die beiden, bisher völlig
                                                                 stumm, zum Sprechen        ein
                                                                 unverständlicher     Singsang
aus Lauten. Sie plappern erstaunt und über die Wirkung begeistert vor sich hin, fangen gar
an miteinander zu tanzen und zu singen, bis kein Tropfen von dem Zauberwasser mehr
aufzutreiben ist.
Wieder Lichtwechsel, warten. Dann beginnt der Sicherheitscheck der Security bei den
Zuschauern. In deren Taschen, Ohren, Haaren tauchen überraschender Weise diverse
 Waffen auf         Tomaten, Eier, Eddings, sogar eine kleine Sichel. Analfo ist sofort klar,
was damit bezweckt wird. Überlegen schaut er die Bill Gates Gegner an und schreibt
schließlich LOVE neben dessen Namen auf die Stellwand. Provokativ verziert er den

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Namenszug. Beto holt weitere Farbstifte und sogar Farbeimer mit den Farben der USA.
Eifrig beginnen die Zwei die drei in Packpapier gehüllten Stellwände für ihren Bill Gates
zu gestalten.
Nach vollendetem Kunstwerk bemerkt Analfo jedoch einen Riss im Packpapier. Er schaut
darunter und beginnt plötzlich dieses von den drei Wänden zu entfernen. Ein blauer großer
Druck WELLCOME BILL GATES erscheint. Enttäuscht räumen Analfo und Beto auf und
beginnen wieder zu warten.
Plötzlich ertönt die Teppichmusik, ein Black. Wir hören Geräusche, ein Streichholz und
eine Taschenlampe leuchten auf    Analfo und Beto. Vorsichtig schleichen sie umher. Auf
der linken Stellwand entdecken sie das Wort Scheiß, dann geht das Licht wieder an.
Analfo und Beto bringen mehrere Koffer mit der Aufschrift Katharsis Beruhigungsset auf
die Bühne. Unter ihnen wird der Koffer mit der Aufschrift Entertainment ausgewählt. Wir
bekommen eine kurze tragische Geschichte vorgespielt. Beifall. Beim Zusammenpacken
der Requisiten klemmt sich Beto indes die Finger ein. Laut schreit er vor Schmerz auf
überraschende Blicke der beiden. Beto hat gesprochen . Gleich probiert er es noch einmal
  wieder Laute. Aggressiv schlägt er seinen Kopf gegen die Wände, schneidet sich mit der
Sichel , Analfo tut es ihm nach. Sie fangen an zu reden, schreien, weinen. Dabei
besteigen sie wieder das Podium Bill Gates .
                                                Während sie vor sich hin reden, öffnen
                                                sie das Microsoft-Buch und streichen den
                                                Text durch. Betos Stimme wird dabei
                                                immer lauter, aggressiver. Schließlich
                                                verstummt Analfo. Beto wendet sich an
                                                das Publikum. Eine lange ausdrucks-
                                                starke Rede setzt ein.

Diese wird schließlich von einem Musikeinspiel unterbrochen. Beto und Analfo stehen
erstarrt mit Hammer, Sichel und mit rotem Boxhandschuh auf dem Podium.
Black. Beifall. Verbeugung.
Vor dem Verlassen des Raumes erhalten die Zuschauer von den beiden Darstellern
beiläufig den Hinweis, das Bill Gates doch noch gekommen und im Vorraum zu sehen ist.
Dort läuft ein Video mit Endlosschleife. Bill Gates wird empfangen, entsteigt seinem Auto.
Plötzlich tauchen unter den Wartenden zwei Männer auf, die nacheinander vorgestürmt
kommen und ihm jeweils eine Sahnetorte ins Gesicht werfen

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2. Analyse des Stückes
   2.1 Bühne, Requisiten, Licht     Raumstruktur
BÜHNE

                                                 +

                                     ZUSCHAUER

+ MICROFON                      TEPPICH                     Absperrständer mit Ketten verbunden

    weiße Säule (1m)           Stellwand (ca. 3m x 2,5)              Molton (schwarz abgehängt)

Der Schauplatz des Geschehens ist konstant. Ein Raum, ca. 5m tief und 10m breit wird für
den Empfang vorbereitet. Die Raumkonzeption ist wenig konkret             Absperrständer, ein
Stück roter Teppich, drei Stellwände, ein Mikrofon. Eine stark stilisierte Bühne bildet nur
den Rahmen für die Geschichte. Das Hauptaugenmerk liegt bei den Protagonisten, ihrem
Bewusstsein. Die Bühne ist funktional darauf ausgerichtet. Alle Requisiten werden
bespielt. Dabei wird das Absperrgitter zum Rednerpult, die Säule zu Tisch bzw. Stuhl, der
Teppich macht Musik und die Mikrofonkabel sind essbar.
Den drei Stellwänden kommt eine besondere Funktion zu. Einerseits trennen sie die Bühne
vom off stage und werden zur farbigen Gestaltung genutzt. Andererseits bilden sie eine
Oberbühne, die in der Art des Puppenspiels oberhalb bespielt wird. Das ist der Raum Bill
Gates, der sich vom Rest der Bühne hierarchisch abhebt. Er steht über uns, den
Zuschauern, und den beiden Figuren. Wasserglas, Microsoft-Buch und Papier erhalten
dadurch einen höheren Wert, denn diese Dinge liegen oben auf dem Rednerpult und sind
für Ihn, den Meister bestimmt, sind seine Sachen      etwas ganz Besonderes.

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Eine spezielle Rolle erhält das off stage, da das Stück nur diesen einen Schauplatz
(Innenraum) hat. Was erfahren wir vom off stage (Außenraum)? Er wird wenig
konkretisiert. Requisiten werden aus ihm geholt, wie Wasserglas, Buch, Mikrofon, Kabel,
Farben, Koffer        , sonst erfahren wir nichts. Wir wissen nicht, wo sich der Schauplatz
befindet. Um den beiden Figuren herum befindet sich ein Vakuum. Aber da der Gang in
das off stage möglich ist, sind sie nicht vollkommen eingesperrt, denn sie könnten jederzeit
hinaus aus dieser räumlichen Enge. Nur das Wohin bleibt relativ im Schatten. Einziger
Anhaltspunkt der Außenwelt ist Bill Gates, der typischer Repräsentant einer globalen
Gesellschaft ist und damit diese Außenwelt definiert. (siehe auch 3.2. Personal).

Wir, die Zuschauer, werden Teil des Stückes. Gleich beim ersten Auftritt werden einige
abgescannt und eine Absperrung trennt uns von der Bühne. Immer wieder gibt es
musternde und misstrauische Blicke der Security. Dann gibt es gar Durchsuchungen , bei
der allerlei Dinge auftauchen, wie Eier, Eddings, eine Sichel, die eindeutig als Störfaktoren
für den Auftritt Bill Gates identifiziert werden. Eines wird dabei klar, die Security ist dazu
da, Bill Gates vor uns zu schützen. Wir alle warten auf seinen großen Auftritt. Die Grenze
zwischen Zuschauerraum und Bühnenraum als klassischer Guckkasten wird durchbrochen.

Dem Licht wird keine außergewöhnliche Funktion zugeschrieben. Es trennt einzelne
Sequenzen des Stückes voneinander. Ein Black wird zu einer Gefahrensituation auf der
Bühne       ein Anschlag      jemand hat das Wort Scheiß an die Wand geschrieben. Im Übrigen
erfolgen die Lichtwechsel funktional zum Ausleuchten der Bühne bei Wechsel der Szenen,
beim Wechsel von Ober- zu Unterbühne                Besondere Lichtstimmungen gibt es nicht.

      2.2 Personal und Figuren
    Es erscheinen zwei Security-Fachleute                heimatlose Clowns und Underdogs       und
                                                         3
machen sich daran, den Raum vorzubereiten.
Nicht nur die dem Zuschauer sofort offensichtlichen Clownsnasen auch die ganze äußere
Erscheinung der beiden Figuren zeigt sofort: Hier haben wir es nicht mit wirklicher
Security zu tun. Professionalität traut man ihnen, Beto und Analfo, nicht zu. Zwar gibt es
die seriös scheinenden dunklen Anzüge. Dazu werden allerdings lustige grün gepunktete
bzw. gestreifte Krawatten getragen. Auf dem Kopf haben sie außergewöhnliche, komische
Bedeckungen, Analfo eine Badekappe, Beto einen Bauern. Analfo trägt gar Plateau-

3
    aus: MaT Pressemappe: Warten auf Bill Gates - Plot
                                                                                                7
Damenstiefel! Das erscheint im völligen Widerspruch zu ihrem seriösen Job. So wird ihr
erster Auftritt mit Kuchen bzw. Cola und einem Tennisschläger in der Hand bereits zu
einer Lachnummer. Ernst kann man die Zwei nicht nehmen. Der Gegensatz zwischen den
Rollen Security und Clown führt in die Komik. Als Security werden die Figuren karikiert.
Mimik und Gestik sind die einzigen Ausdrucksmittel der beiden Protagonisten. Es sind
stumme Geschöpfe, die zwar im Stück Möglichkeiten zum Reden entdecken, aber wenn sie
dann zu uns sprechen, tun sie das in einer unverständlichen Phantasiesprache (genauer
unter 3.3 Sprache)
Unsere zwei Protagonisten bilden ein relativ konkomitantes4 Figurenpaar in ihrem Spiel
auf der Bühne. Durch ständige Interaktionen untereinander treiben sie das Geschehen
voran. Ihre Dauerpräsenz lässt die Zeit dabei extrem langsam verstreichen. Beim genauen
Betrachten der Interaktionen zwischen ihnen zeigt sich Analfo als hierarchisch höher
stehend als Boss Betos. Er gibt Kompetenz und Überlegenheit vor. Die Plateauschuhe
unterstützen das optisch. Analfo ist damit deutlich größer als Beto. Der ist ungeschickt,
naiv, tölpelhaft und dennoch sehr bemüht, gute Arbeit zu leisten. Er holt das Mikrofon,
räumt die Katharsiskoffer auf etc. Aber trotz größter Mühe passieren Beto dabei immer
wieder Missgeschicke, so dass er stolpert, sich einklemmt, verheddert. Mit seinen
Slapstickeinlagen und seinem clownesken kindlichem Spiel trägt er hauptsächlich zum
allgemeinen Zeitvertreib des Wartens bei. In dem Zusammenspiel zwischen beiden ist die
klassische Konstellation der Clownerie, Analfo als Weißclown, Beto als Dummer August
erkennbar (siehe Exkurs Clownerie)
Analfo ist die motivierende Figur für das Geschehen auf der Bühne. Das gemeinsame
clowneske Spiel lebt durch die ständigen Interaktionen zwischen ihm und Beto. Analfo
beginnt z.B den Aufbau des Rednerpults, Beto folgt ihm, wirft dabei mehrmals die
Absperrungen um oder Analfo stellt sich auf Position zum Empfang Bill Gates, Beto tut es
ihm nach, schläft dabei ein; Analfo besteigt das Podium, Beto folgt ihm usw. Analfo
versucht die Unzulänglichkeiten seines Partners zu ignorieren oder durch Autorität
abzustellen. Seine gespielte Überlegenheit Beto gegenüber wirkt allerdings fragwürdig, da
seine Korrektur- und Erziehungsversuche scheitern. Beim coolen Flirt mit dem Publikum
hat Analfo kein Glück, ganz im Gegensatz zu Beto! Immer wieder schleichen sich
Probleme in Analfos Organisation des Empfangs ein. Die Kabel passen nicht ans Mikro.
Die Gegner Bill Gates sind nicht abzuschrecken. Beto ist nicht zu bändigen und kein Bill
Gates ist zu sehen. Bei Analfo macht sich Hilflosigkeit breit.

4
    nach: Pfister S.236ff.
                                                                                           8
Nur wenn er sich auf ein gemeinsames Spiel mit Beto einlässt, ändert sich alles, z.B. wenn
sie gemeinsam das Wasserglas auf dem Podest akrobatisch verschwinden und wieder
auftauchen lassen oder wenn sie gemeinsam die Stellwände zum Empfang gestalten bzw.
wenn sie nach dem Trinken des Wassers zusammen tanzen und singen. In diesen
Situationen löst sich die Hierarchie zwischen beiden Figuren scheinbar auf und ein
harmonisches gemeinsames Spiel entsteht. Analfo zeigt dabei ebenfalls die kindliche
Verspieltheit Betos, die ansonsten durch Strenge und Kompetenzgehabe überdeckt wird.
Eine enge Bindung Beider aneinander wird deutlich.

Allgemein bleiben die Gestalten jedoch sehr eindimensional und statisch. Wir erfahren
nichts über sie, über ihr Leben. Selbst ihre Namen sind nur durch das Programmheft
ersichtlich. Sie sind identitätslos. Für eine eindeutige Charakterisierung bleiben die Figuren
zu anonym. Es sind Typen und keine Charaktere. Typisierung bedeutett Standardisierung.
Das heißt, eine Figur ist die Summe aus bestimmten ihr zugeordneten standardisierten
Eigenschaften. Sie ist nicht individuell. Das ist typisch für die Clownerie im allgemeinen.
Die Figuren stehen symbolhaft für etwas, deshalb sind sie plakativ angelegt. Die Naive, der
Tollpatschige
Es geht bei Analfo und Beto um ihre Beziehung zu einer Gesellschaft für die Bill Gates
beispielhaft steht. Wichtig ist, dass die Figuren sich nicht entwickeln, sie bleiben gleich.
Eine psychologische individuelle Figur, die im Konflikt mit der Gesellschaft steht, kann
sich innerlich ändern, wachsen, gewinnen oder scheitern. Zumindest weiß man das bei
einer solchen Figur von vorn herein nicht. Die Anlage der Figuren in diesem Stück als
Typen und nicht als Charaktere lässt von Anfang an erwarten, dass sie versagen. Sie sind
Security und Clown         eine antagonistische Verbindung. Durch ihre Naivität und
Kindlichkeit scheitern sie dann auch ständig an den an sie gestellten Aufgaben. Damit
stehen sie am Rande der Gesellschaft. Die wird durch die Zuschauer und den nicht
erscheinenden Bill Gates präsentiert. Ihr Versuch, sich darin einzufinden, misslingt.
Grotesk ist, dass wir Zuschauer über ihr Unglück und ihre Verzweiflung lachen! Ihre
clowneske Unbeholfenheit lässt uns Distanz wahren und überlegen fühlen. Zu einer
Identifikation mit den Figuren kommt es nicht (weiter dazu siehe 3.5).
Nur am Ende des Stückes werden wir aus dieser Distanz gerissen, als Beto in einer
bedrückenden, ernsten und bedrohlichen Rede zu uns spricht und beide in revolutionärer
Pose das Stück beenden.

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Im Personal enthalten, aber nicht real auftretend ist die Figur des Bill Gates. Sein Name
allein verbindet sich mit den Worten Erfolg, Reichtum und Macht. Er ist der erfolgreichste
Geschäftsmann der           Welt.    Sein    Microsoft-Imperium        beherrscht    den   weltweiten
Softwaremarkt. 1998 wurde er in Brüssel Opfer eines Sahnetortenattentates                       siehe
Videomitschnitt.
In diesem Theaterstück repräsentiert er das Ideal der Außenwelt bzw. der Gesellschaft. Die
drei oben genannten Begriffe Erfolg, Reichtum und Macht stehen in ihr als zentrales Ziel.
Bill Gates wird also erscheinen und uns den Weg zu diesem Ziel aufzeigen, denn auch wir,
die Zuschauer sind integrierter Teil des Stückes. Analfo und Beto erhoffen sich ebenfalls
eine Verbesserung ihres Lebens. Sein Zauberwasser bringt sie zum Sprechen und sein
Buch birgt die Rezepte seines Erfolges           Bill Gates jedoch erscheint nicht.

Exkurs: Clownerie
Das dramatische Grundmuster in der Clownerie zeigt sich folgendermaßen:
Ein Weißclown steht einem Dummen August antagonistisch gegenüber. Der Weißclown
gilt dabei als intelligent, elegant und vernünftig. Der Dumme August dagegen ist
tollpatschig, debil, naiv. In seinem kindlichen Verhalten folgt er nicht der Vernunft
sondern seinen Trieben. Dadurch ist er im gewissen Maße immer ein Rebell der Freiheit,
aber auch ein Katastrophenauslöser. Der Weißclown, um Souveränität bemüht, versucht
indes immer wieder ihn zu erziehen, zu lehren, was gründlich misslingt und zu komischen
burlesken Situationen führt. Der Weißclown grenzt sich durch stumme Blicke der
Verzweiflung ins Publikum zwar von den Taten des August ab, aber immer wird die
Dummheit beider vorgeführt. Meist geschieht das im Kampf mit der Tücke des Objektes,
den Slapstickeinlagen. Basis dafür ist ein beachtliches artistisches Können. Pantomime und
modernes Theater werden oft einbezogen.5
Analfo und Beto zeigen typische Verhaltensmuster vom Weißclown und Dummen August.

      2.3 Sprache und Körpersprache
Die Sprache aus linguistischer Sicht spielt in diesem Stück eine untergeordnete Rolle. Die
Figuren des Stückes sind stumme, sprachlose Gestalten. Ihre Ausdrucksmittel sind
mimische und gestische Zeichen der Körpersprache. Die Raumkonzeption unterstützt die
Wahrnehmung dieser Zeichen durch die Nähe zum Zuschauer. Auf linguistische Zeichen
wird verzichtet. Mimische Zeichen drücken die Emotionen der Figuren aus. Gestische

5
    aus: Stefan Schlenker: Der Clown. Geschichte, Entstehung, Entwicklung. www.clowns.cd
                                                                                                  10
dienen tendenziell der Kommunikation und Interaktion zwischen ihnen und auch dem
Publikum gegenüber. Analfo und Beto treten als Subjekte in den Vordergrund der
Geschichte. Die Handlung im Stück dagegen tritt zurück.
Die Intersubjektebene der Kommunikation ist nur sehr wenig ausgeprägt. Analfo und Beto
interagieren zwar durch clowneske Spiele miteinander, aber ihre Kommunikation
untereinander ist gestört. Einerseits zeigt das der Verlust                         ihrer Sprache als
Hauptkommunikationsmittel, andererseits aber auch ihre Unfähigkeit miteinander Kontakt
aufzunehmen.
Durch zwei unterschiedliche Motivationen können Analfo und Beto allerdings über einen
begrenzten Zeitraum reden. Sie sprechen dann in einer unverständlichen Fantasiesprache.
Für den Zuschauer sind hier plötzlich paralinguistische Zeichen6 wahrnehmbar. Dabei fällt
auf, dass diese bei den Figuren Beto und Analfo ganz gegensätzlich eingesetzt werden.
Beto spricht sehr laut, seine Stimme klingt hart, aggressiv und nach außen gerichtet. Der
typische Dummer August-Charakter, debil, naiv, kindlich                mit dem Kopf durch die Wand
    wird dadurch verstärkt. Analfos Stimme dagegen ist ein eher leiser, zurückhaltender
Singsang und nach innen gerichtet           ein Widerspruch zu seiner Boss-Rolle, denn sie zeigt
Unsicherheit und Zerbrechlichkeit, bestätigt damit aber gleichzeitig die Tragik des
Scheiterns des Paars. Spätestens an dieser Stelle wird klar: Analfo kann sie beide nicht aus
dem Dilemma ihres sinnlosen Lebens führen.

Wie bereits festgestellt, kommunizieren die beiden Akteure dieses Theaterstücks meist
ohne Sprache untereinander. Im Sinne der Ausnahmen von der Regel verdienen die Szenen
wo gesprochen wird deshalb besondere Aufmerksamkeit, da sich so oft Schlüsselmomente
der Geschichte offenbaren. Eine solche Veränderung der Kommunikation ist feststellbar,
wenn Analfo und Beto das Podium besteigen. Nach dem Trinken des für Bill Gates
bestimmten Wassers beginnen sie zu reden und dann singen und tanzen sie zusammen.
Ihr Verhalten ändert sich. Leider nur so lange, wie die Wirkung des Wassers anhält. In
dieser Zeit wird die Hierarchie zwischen den Figuren aufgehoben. Deshalb tanzen und
singen sie zusammen. Sie sind glücklich miteinander! Bill Gates (Wasser) kann ihnen
helfen, kann ihr Leben zum Besseren wenden. Nach dieser Szene, die Wirkung des
Wassers ist vorbei, kehren beide Figuren jedoch in ihre Ausgangssituationen des Wartens
zurück.

6
 Sind nach Fischer-Lichte, (S.38) vokal erzeugte Laute. (weder linguistisch, noch musikalisch, noch ikonisch
vokale Zeichen von Tieren)
                                                                                                         11
Als sie am Ende ebenfalls das Podium besteigen, sprechen die Akteure wieder. Hier
allerdings durch die Schmerzen der Selbstverstümmelungen. Sie richten sich redend an das
Publikum. Betos Stimme wird dabei immer lauter, aggressiver, weinerlich und klagend.
Analfo verstummt, schaut das erste mal liebevoll zu Beto hinüber. Alle müssen seiner stark
emotionalen, anklagenden       Rede    lauschen. Die erschüttert das Publikum, absolute
bedrückende Stille dort. Unangenehme Länge der Rede            man möchte, dass sie aufhört.
Das Publikum ist getroffen, denn keiner lacht mehr. Die Distanz zu den Figuren ist
aufgehoben.
Ist also eine Entwicklung der Protagonisten, die Rettung aus dem Dilemma ihres sinnlosen
Lebens nur durch das schlüpfen in eine andere Rolle oder durch Gewalt gegen sich selbst,
gegen sein eigenes Ich möglich? Weiter dazu im Folgenden.

   2.4 Zeitstruktur und Handlung
Die Zeitpräsentation im Stück ist sehr unkonkret. Wir erfahren nichts über den genauen
Tag und die Tageszeit. Durch das statische Warten der Figuren kommt es zu einer
Zeitdehnung, das heißt die fiktive gespielte Zeit scheint länger als die reale Zeit. Die vielen
Beschäftigungen und clownesken Einlagen der Akteure, wie das Spiel mit dem Wasserglas
oder das Durchsuchen des Publikums dienen nur dem Zeitvertreib. Diese offene
Zeitstruktur des Stückes führt zu einer Aufhebung der Zeit und auf diese Weise zu einer
subjektiven Zeiterfahrung, die das Gefühl des Wartens verstärken.

Eine durchgehende Handlung ist im Stück nicht erkennbar. Zwar geschieht permanent
etwas, allerdings verändert das nicht die Ausgangssituation des Stückes       das Warten auf
Bill Gates. Demzufolge haben wir es hier insbesondere mit Geschehensabläufen zu tun.
Das Stück hat relativ wenig Handlung. Das Geschehen auf der Bühne vertreibt lediglich
die Zeit des Wartens. Auch das verstärkt die subjektive Zeiterfahrung. Im Mittelpunkt der
Geschichte steht das Befinden der beiden tragikkomischen Figuren Analfo und Beto, die
uns Zuschauer durch ihren Kampf mit der Tücke des Objektes unterhalten und uns dabei
gnadenlos ausgeliefert sind.
Das Theaterstück kann man als Aneinanderreihung von verschiedenen Handlungs- und
Geschehensabläufen begreifen, die zum Teil frei austauschbar sind. Zu Beginn des Stückes
sind die einzelnen Sequenzen funktional gleichwertig. Die Entfaltung der Geschichte führt
jedoch im Verlauf des Stückes zu immer festeren Strukturen.

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Die erste Phase beinhaltet den Aufbau und die Vorbereitung der Bühne für die Rede.
Innerhalb dieser sind die einzelnen Sequenzen frei austauschbar. Der Teppich könnte z.B.
auch als erstes ausgerollt werden und dann der Aufbau des Rednerpultes erfolgen. Das sind
auch die einzigen wirklichen Handlungen im Stück            der Auftritt Bill Gates wird
vorbereitet.
Die zweite Phase des Stückes ist die des Wartens, die sukzessiv die erste Phase als
Bedingung hat, denn alle Vorbereitungen müssen abgeschlossen sein. Innerhalb dieser
Phase sind die Einzelsequenzen nicht mehr frei austauschbar. Nach dem Einschlafen Betos
und dösendem Warten Analfos, schrecken sie bei einem Geräusch hoch und kämpfen. Die
Sequenz des Wartens motiviert die nachfolgende des Aufschreckens. Diese Warterei ist
eben einfach zu langweilig. Es gibt ja nichts mehr zu tun. Die Protagonisten besteigen also
das Podium Bill Gates, schmökern neugierig in seinen Sachen herum und trinken das für
ihn bestimmte Wasser, welches schon gesagte Wirkung zeigt. In der folgenden Sequenz
kehren Analfo und Beto zwar in die Ausgangssituation des Wartens zurück. Allerdings
sind sie durch das eben Erlebte   am Ende tanzten und sangen sie miteinander      beflügelt
worden. So kommt es zur nachfolgenden farbenfrohen und kreativen Gestaltung der
Wände. Ohne das vorherige Geschehen kaum denkbar.
In der letzten Phase des Stückes haben wir eine direkte sukzessive Verknüpfung zwischen
den Sequenzen, dass heißt, was in einer Sequenz passiert, hat direkte Auswirkung auf den
nachfolgenden Teil. Ein Austausch einzelner Sequenzen ist hier nicht mehr möglich. So
hat der Anschlag   das Beschmieren der Stellwände mit dem Wort Scheiß       zur Folge, dass
die Katharsis Beruhigungssets hervorgeholt werden und zur Besänftigung der Zuschauer
ein Spiel im Spiel beginnt. Das Zusammenräumen dieser Koffer ist wiederum
Voraussetzung für die kommende Sequenz. Beto klemmt sich am Koffer die Finger ein
und bemerkt, dass auch das zum Sprechen führt. Nur so kann es zur Rede Betos kommen,
die in dem revolutionären Schlussbild aufgelöst wird.
Im Gegensatz zu diesen sukzessiven Verknüpfungen der letzten Phase sind die anderen
Sequenzen durch Lichtwechsel, Wechsel des Schauplatzes zwischen Ober- und
Unterbühne und/oder durch Musik relativ lose miteinander verbunden. Die beiden Figuren
Analfo und Beto bilden das integrative Zentrum. Die Komposition des Stückes erfolgt
demzufolge nicht in einer klassisch geschlossenen sondern in einer offenen Form. Die
Szenen werden zu den entscheidenden Gliederungseinheiten des Theaterstücks. Der
synthetische Aufbau dieser Teile bildet am Ende eine Gesamtaussage, offen für Deutungen

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der Zuschauer. Keine Handlung sondern der Zustand der beiden Figuren Analfo und Beto
steht im Zentrum.

   2.5 Interaktion mit dem Zuschauer und Spiel im Spiel
Dass das Publikum Teil des Stückes ist, wird nicht nur durch das Spiel der Figuren mit
ihnen deutlich, wenn z.B. abgescannt wird bzw. Eddings, Eier eingesammelt werden oder
geflirtet wird. Das gesamte Konzept (der Clownerie) durchbricht die Grenzen zwischen
Zuschauerraum und Bühnenraum. Es baut auf die Interaktion mit den Zuschauern auf.
Einerseits lacht das Publikum über die Unzulänglichkeiten Analfos und Betos.
Andererseits bleibt ihm dieses im Halse stecken. Eine Groteske, denn die beiden sind
komisch und tragisch zugleich.
Offen gelegt wird das Spannungsverhältnis zwischen Darstellern und Zuschauern in der
Sequenz im Spiel im Spiel. Hier entsteht durch das Spielen einer kurzen Einlage von den
Figuren des eigentlichen Stückes eine zweite Fiktionsebene. Durch diese doppelte
Fiktionalität wird die Illusion des gesamten Theaterstückes offen gelegt. Die Zuschauer
werden desillusioniert in die Realität zurückgeworfen. Die Fiktionalität des Stückes wird
gestört. Das Publikum, in diese Fiktionalität als Wartende mit einbezogen, wird plötzlich
wieder aus dieser gerissen und sich der passiven Zuschauerrolle bewusst. Keiner wird
mehr auf die Bühne gehen und den Auftritt Bill Gates stören, wie eben geschehen (Scheiß).
Ist ja alles nur gespielt. Somit hat das Katharsis Beruhigungsset seinen Zweck erfüllt.

Eine weiterer Effekt der gespielten Einlage ist die kathartische Wirkung einer Tragödie.
Der Inhalt des Spiel im Spiel ist folgender: Beto spielt eine wehklagende und bettelnde
Frau mit Kind (Sehr lustig, denn das hat ebenfalls eine rote Clownnase!). Analfo, ein feiner
Herr, kommt des Weges. Die Frau identifiziert ihn als Vater ihres Kindes. Es kommt zum
Streit. Schließlich sticht sie den Mann, das Kind und sich selbst mit einem Messer nieder.
Die Szene endet in der Katastrophe mit dem Tod aller Mitwirkenden.
Nach Aristoteles kommt es bei den Zuschauern in der Tragödie durch Furcht und Mitleid
zu einem Effekt der Katharsis, was heißt, am Ende des Stückes sind alle gereinigt und
bessere Menschen. Diese Wirkung soll auch hier gezielt erreicht werden und das Publikum
beruhigen, deshalb auch der Name Katharsis Beruhigungsset auf dem Koffer.

Aus der so gewonnenen Distanz heraus können die Zuschauer nun beobachten, wie Beto
und Analfo durch Selbstverstümmelung ihr Leben neu begreifen und sich gegen ihren

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Retter , gegen die Gesellschaft stellen. Das Lachen ist ihnen vergangen. Bedrückende
Stille herrscht. Nur die aggressiv-traurige Stimme Betos ist zu hören. Analfo und Beto
begeben sich in den Kampf oder ist es nur ein kurzes Aufbäumen?

   2.6 Vergleich mit Becketts Warten auf Godot
Erste Assoziationen zum Inhalt weckt der Titel des Stückes            Warten auf Bill Gates .
Sofort wird man an Samuel Beckett Warten auf Godot erinnert. Die unmittelbare Nähe
der Titel zueinander lässt auf einen Zusammenhang zwischen beiden Stücken schließen.
Der Regisseur Goldstein selbst wirkte vor wenigen Jahren in Becketts gleichnamigen
Stück mit.

Die offene, statische Dramenstruktur, signifikant für Beckett, liegt auch in diesem Stück
vor. Raum und Zeit sind unbestimmt und wir haben eine relative allerdings keine völlige
Handlungslosigkeit. Die Figuren sind nur schemenhaft dargestellt.
In beiden Stücken, Warten auf Godot sowie Warten auf Bill Gates , ist tatsächlich das
Warten auf eine Person, die nicht erscheint, Hauptthema. Bei Beckett warten zwei
Landstreicher, Didi und Gogo, hier zwei Security-Clowns, Analfo und Beto. Beide
Figurenpaare werden jeweils als Außenseiter der Gesellschaft betrachtet. Wir Zuschauer
können so mit unbeteiligter Distanz auf sie schauen. Die Protagonisten scheinen sowohl
bei Beckett, als auch im MaT keine Vergangenheit zu besitzen. Auch soziale Herkunft,
Bildungsstand etc.   alle diese Charakteristika sind nebensächlich.
Wirklich verschieden sind die Personen, auf die gewartet wird, auch nicht. Godot soll der
Erlöser aus dem jämmerlichen Dasein des Lebens sein. Der Rest der Figur bleibt im
Dunkeln. Bill Gates ist eine Ikone der globalen Welt, der durch seine Rede den Menschen
den Weg in die Zukunft aufzeigen will?         Durchaus also auch eine allerdings genau
benannte Erlöser-Figur, die jedoch durch die genauen Kenntnis seiner Existenz kritisch
hinterfragt werden könnte. Bei Godot hingegen ist das nicht möglich.
Eine gestörte Kommunikation ist ein wichtiges Merkmal beider Stücke. Im Gegensatz zu
Beckett, der seine Figuren in einer verkümmerten Sprache noch plappern lässt, können
die Figuren des MaT zunächst gar nicht mehr reden. Zentrale Ausdrucksmittel sind
allerdings bei beiden Theaterstücken die Mimik und Gestik. Die Sprache als traditionelles
theatrales Mittel tritt in den Hintergrund
Beckett nutzt Paradoxien, Allegorien und die Clownerie als stilistischen Mitteln, um das
Stück zu einer komischen Groteske zu machen. Er erreicht so eine unendliche

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Kreisbewegung seines Stückes. Es gibt keinen Ausweg.           Warten auf Godot     schließt
deshalb, ohne wirklich zu einem Ende gefunden zu haben. Das Warten ist noch nicht
vorüber. Am Schluss wird klar, Didi und Gogo werden immer weiter ausharren, sich die
Zeit des Wartens mit kleinen Spielchen vertreibend. Eine Entwicklung der Figuren ist in
ihrem Stück nicht erkennbar. Godot wird nie erscheinen. Beckett hält den Zuschauern
damit die Absurdität des eigenen Daseins vor Augen, die Sinnlosigkeit des eigenen Lebens
als ewiges Warten in einer unechten Gesellschaft ohne Glauben.7
Bei Warten auf Bill Gates wird die Clownerie zum zentralen stilbildenden Mittel. Eine
Kreisbewegung gibt es hier nicht. Das Ende bleibt offen. Außerdem haben Analfo und
Beto eine Aufgabe zu erfüllen        den Empfang vorbereiten und das Objekt (Bühnenraum)
vor Zugriffen absichern. Während ihrer Aufgabenbewältigung kommt es, anders als bei
Beckett, zu kurzzeitigen Veränderungen der Figuren. Sie probieren vom              heiligen
Wasser, lesen im heiligen Buch und erlangen so eine wichtige Eigenschaft: Sie können
sprechen        ein kurzes aber einschneidendes Erlebnis. Ebenso ist es am Ende des Stückes,
wenn sie selbst ihre Sprache (wieder) finden und sich gegen ihren Heiligen richten. Zwar
erscheint auch hier Bill Gates nicht (auf der Bühne), allerdings besteigen Analfo und Beto
sein Podium, zerstören sein heiliges Buch und erwarten ihn in kämpferischer Pose.
Trotzdem gibt es auch hier keine Entwicklung der Figuren, die gleiche Absurdität wie bei
Beckett. Zwar hat das Warten ein Ende, aber was auch immer geschieht, Analfo und Beto
werden scheitern, denn sie sind Clowns.

       3. Deutungsansätze
Die Deutung eines Theaterstück ist ein Prozess, den jeder Zuschauer für sich bestreiten
muss. Die Subjektivität der Wahrnehmung und das Erfahrungswissen jedes Einzelnen führt
zu einer subjektiven Bedeutungsgenerierung. Demzufolge kann es zu verschiedensten
Interpretationen kommen. Deshalb wird durch die Autorin gar nicht erst der Versuch einer
allumfassenden Deutung unternommen. Einige mögliche Deutungsansätze sind im
folgenden aufgezeigt.

Analfo und Beto warten vergeblich auf Bill Gates. Nicht die Figur des Bill Gates, sein
Kommen, sondern die beiden Wartenden rücken so ins Zentrum der Betrachtung. Ihre
Vorbereitungen für den Auftritt werden durch das Nichterscheinen des Redners sinnlos. Da

7
    aus Esslin S. 309f.
                                                                                         16
außerdem die Clownerie prägendstes theatrales Mittel im Stück ist, werden die
Handlungen der Figuren absurd, denn die Vorgänge werden zu sinnlosen, zeitfüllenden
Spielchen (Slapstickeinlagen) ohne jeglichen Zweck herunterstilisiert.
Die Kommunikation zwischen den Figuren ist gestört. Sie besteht nur indirekt als
Interaktion zwischen Weißclown und Dummen August. Sie sind nicht einmal der Sprache
mächtig. Das ändert sich kurzzeitig durch das Trinken des Wassers von Bill Gates. Auf
seinem erhöhten Podium stehend, verändern sie sich. Durch die Wirkung des getrunkenen
Wassers können sie sprechen, werden sie zu Bill Gates und bekommen neue Lebensfreude.
Sie tanzen und singen miteinander. Leider jedoch nur für kurze Zeit, dann fallen sie in
ihren vorherigen Zustand zurück. Aber Analfo und Beto haben durch dieses Erlebnis Mut
gefasst, was ihre plötzliche Eigenaktivität, das freie Gestalten und Schmücken der
Stellwände für Gates zeigen. Das plötzliche Aufkeimen von Individualität und
Lebensfreude wird indes durch gesellschaftliche Vorgaben, die bedruckten Wände, abrupt
zerstört und zurück in die Starre des Wartens geführt. Ihr Versuch, etwas Eigenes in die
Gemeinschaft einzubringen, scheitert. Stumme Resignation.
Schließlich erfahren Analfo und Beto, dass sie nicht nur mit der Hilfe Gates, sondern auch
wenn sie sich Schmerzen zufügen, reden können. Ist das aktive Leben nur noch durch
Selbstzerstörung möglich, muss man gar sein eigenes Ich zerstören? Kann man denn nur
noch wirklich leben, wenn man, wie eben als Bill Gates auf dem Podium steht, wenn man
quasi nicht man selbst, sondern jemand anderes ist oder spielt? Wie weit muss die
Anpassung in einer Gesellschaft gehen? Die bis dato als verkümmerte, isolierte
Außenseiter gezeigten beiden, lösen sich durch ihre Selbstverstümmelungen aus ihrer
Starre und besteigen das Podium. Sie wenden sich gegen ihren Meister. Dieser jedoch
erscheint nicht

Das Schlussbild mit rotem Boxerhandschuh und übereinander geschlagenem Hammer und
Sichel weckt deutlich Assoziationen zu Kommunismus, SU, Weltrevolution. Die Wertung
dieses Bildes im Zusammenhang mit dem Stück lässt, je nach individuellen Erfahrungen
der Zuschauer große Deutungsspielräume entstehen.
Wenn man dieses Stück im engen Zusammenhang zu Becketts Warten auf Godot
betrachtet, ist klar, der Aufbruch Analfo und Betos gegen Bill Gates ist zum Scheitern
verurteilt. Sie sind Clowns, für Helden zu hilflos und naiv, zum ständigen Schiffbruch
erleiden verurteilt und das allein schon durch das ständige Scheitern an sich selbst (an der
Tücke des Objektes). Außerdem erscheint Gates nicht um sie zu retten bzw. ihnen die Stirn

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zu bieten, nach    eckett wird er nie erscheinen. Ein Aufbäumen bzw. Auflehnung ist
demnach zwecklos!
Kann das Schlussbild dagegen auch Hoffnung vermitteln? Der Kommunismus scheiterte
zwar in den letzten Jahren, aber seine Suche nach dem besseren Menschen ist noch nicht
aufgegeben. Wird die Desillusionierung demnach aufgehoben? Analfo und Beto gehen
einen Schritt in die richtige Richtung, indem sie sich ihres Dilemmas bewusst werden und
dagegen protestieren. Sie lösen sich von ihrem Meister und Idol. Selbsterkenntnis ist ein
erster Schritt. Vergessen werden sollte auch nicht die Szene, die im Anschluss des
Theaterstücks auf Video zu sehen ist: Zwei Männer bewerfen Bill Gates mit Sahnetorte.
Diese Szene entspringt der realen Welt. Das Sahneattentat auf den Herrscher über
Microsoft hat es tatsächlich gegeben. Im Kontext des Theaterstücks         Warten auf Bill
Gates verschmilzt diese reale Szene mit dem fiktiven Bühnengeschehen. Es kommt dem
Zuschauer nur ein Gedanke in den Sinn: Die Attentäter können nur Analfo und Beto
gewesen sein. Aber was haben die beiden Clowns durch ihr Attentat erreicht? Sind sie jetzt
Helden? Haben sie Bill Gates die Stirn geboten, am Ende sogar einen kleinen Sieg davon
getragen? Diese Art von Attentat verändert die Welt nicht. Die Sahnetorten sind lediglich
ein hilfloser Protest gegen die Gesellschaft. Den Lauf der Dinge kann man so nicht
verändern.
Unserer heutigen Bühne/Literatur scheinen die Helden, die Weltverbesserer, echte
Charaktere eben, abhanden gekommen zu sein. Auch die Figuren Analfo und Beto sind
von Beginn an zum Scheitern verurteilt    Desillusionierung, Pessimismus, keine Hoffnung
auf Sinnfindung im Leben. Ein Ende des Dilemmas ist nicht in Sicht. Hurra wir leben!
Aber wofür?     Wer sind wir   sind wir überhaupt (Individuen)?

Gates ist durch den Erfolg seiner Firma Microsoft, die den weltweiten Softwaremarkt
kontrolliert, ein Idol der gegenwärtigen Gesellschaft   ihr world wide web steht dabei nicht
umsonst für welt-weites-Warten !

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Literatur
Samuel Beckett. Warten auf Godot. Frankfurt am Main 1953, 1.Auflage der revidierten
Übertragung und Sonderausgabe 2003
Martin Esslin. Das Theater des Absurden. Von Beckett bis Pinter. Reinbek/ Hamburg
1965, Neuauflage 1985, Auflage 1991
Erika Fischer-Lichte. Semiotik des Theaters. Band 1 Das System der theatralischen
Zeichen. Tübingen 1983, 4. Auflage 1998, Nachdruck der 2. durchgesehenen Auflage 1994
Manfred Pfister. Das Drama. München 1977, 9.Auflage 1997, erweiterter und
bibliographisch aktualisierter Nachdruck der ergänzten Auflage 1988
Reiner Poope. Absurdes Theater. Artaud Camis     Beckett   Ionesco Interpretationen und
Materialien. Beyer Verlag. Hollfeld/Ofr. 1993

                                                                                    19
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