Materialtheater Stuttgart: Warten auf Bill Gates eine Analyse - UNIDRAM - Anja Rindler
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Inhaltsverzeichnis EINLEITUNG..................................................................................................................2 1. INHALTSBESCHREIBUNG DES STÜCKES .......................................................3 2. ANALYSE DES STÜCKES.....................................................................................6 2.1 BÜHNE, REQUISITEN , LICHT RAUMSTRUKTUR ...................................................6 2.2 PERSONAL UND FIGUREN .....................................................................................7 EXKURS: CLOWNERIE ...................................................................................................10 2.3 SPRACHE UND KÖRPERSPRACHE ........................................................................10 2.4 ZEITSTRUKTUR UND HANDLUNG ........................................................................12 2.5 INTERAKTION MIT DEM ZUSCHAUER UND SPIEL IM SPIEL ....................................14 2.6 VERGLEICH MIT BECKETTS WARTEN AUF GODOT ...........................................15 3. DEUTUNGSANSÄTZE .........................................................................................16 LITERATUR..................................................................................................................19 1
Einleitung Das 10. Osteuropäisch-Deutsche Festival für Off-Theater in Potsdam (unidram) hat sich zu einem bedeutenden Treffpunkt für die Off-Theater-Szene entwickelt. Zu den Teilnehmern gehörte in diesem Jahr (2003) das Materialtheater Stuttgart (MaT). Im MaT finden sich seit Jahren internationale Künstler aus verschiedensten Bereichen des Theaters zusammen. Es prägt die Stuttgarter freie Theaterszene seit seiner Gründung in den 80iger Jahren. Im Mittelpunkt ihrer Arbeit stehen seitdem alternative Theaterformen, vor allem das Figurentheater. Der Name der Bühne ist Programm: Ob Fischkopf, Projektor oder Eierbecher, Sektglas, Nähmaschine oder 120kg Buchweizenschrot, die verschleudert werden in den Händen dieser Künstler kann jedes Material zum Handlungsträger 1 werden. In Potsdam stellte das MaT seine aktuelle Inszenierung Warten auf Bill Gates ein clownesques Objekttheater vor. Dessen Darsteller Sigrun Nora Kilger und Alberto Garcia Sánchez sind in Sachen Schauspiel, Figurentheater, Clownerie, Pantomime ausgebildete Profis. Sie arbeiten seit mehreren Jahren im MaT zusammen. Ausgezeichnet mit renommierten Theaterpreisen und durch internationale Tourneen sind sie in der freien Theaterszene über die deutschen Grenzen hinaus anerkannt. Sigrun Nora Kilger ist Mitbegründerin des MaT. 2 Der Regisseur Yaron Goldstein lebt als freier Autor, Regisseur und Schauspieler in Stuttgart. Er führte zahlreiche Inszenierungen am Theaterhaus Stuttgart. 1997 spielte er dort Warten auf Godot . Inspiriert von dieser Inszenierung legte er hier nun wieder eine eigene Regiearbeit vor Warten auf Bill Gates . Diese Arbeit versucht, eine Analyse dieses Stückes vorzunehmen. Dabei ist zu beachten, dass die Autorin keine Theaterwissenschaftlerin ist. Im Vordergrund stehen die Beschreibung des Gesehenen, die Strukturanalyse und der Versuch einer Bedeutungsgenerierung. 1 aus: www.theatercontact.de 2 genaueres unter www.theatercontact.de 2
1. Inhaltsbeschreibung des Stückes Zwei stumme Gestalten sind eingetroffen, um den Auftritt Bill Gates vorzubereiten. Sie nennen sich Security, aber sie machen mit ihren Clownsnasen und Anzügen mit grüngestreift bzw. -gepunkteter Krawatte und vor allem mit diesen komischen Hüten nicht den Eindruck eines kompetenten, professionellen Sicherheitsteams. Den Zuschauern versuchen sie das jedoch zu suggerieren. Vor den Zuschauerreihen aufgebaut, einer klein und kräftig, Torte essend (laut Handreichung Beto), der Andere lang und dünn, Cola trinkend (Analfo), mustern sie stumm ihr Publikum. Plötzlich schieben sie lässig ihre linke Jackenhälfte beiseite. Das Logo Security kommt zum Vorschein. Mit ernsten Mienen nehmen beide einen Tennisschläger unter dem Arm hervor und beginnen die Zuschauer abzuscannen eine komische Situation, lachen. Mehr oder weniger gründlich werden die Schläger dem Publikum zum scannen über die Köpfe gehalten, Einzelne werden intensiv gemustert. Dann, Beto löscht das Publikumslicht. Die Bühne wird hell. Sie betreten die Szenerie 90 Minuten Warten auf Bill Gates beginnen. Wir lernen zwei komische, sprachlose Gestalten kennen, die ihren Security-Job gut machen wollen, denn der Empfang Bill Gates muss perfekt vorbereitet werden. Die zwei Protagonisten werden dafür viele kleine und größere Hindernisse zu überwinden haben. Zu Beginn müssen sie die Bühne für die Rede vorbereiten. Sicherheitskontrollen beim Publikum werden gemacht, wobei erstaunlicherweise einiges zutage kommt, und sie müssen vor allen Dingen warten warten auf Bill Gates. 3
Nach dem Eintreffen der beiden wird in den ersten Szenen unter vielen Slapstickeinlagen besonders Beto stürzt immer wieder über seine eigenen Beine oder über die Absperrständer das Rednerpult mit Wasserglas, Microsoft-Buch und (WC-)Papier und ein Mikrofon nach Anweisung eines Briefes aufgebaut. Ein beim Betreten musizierender Teppich wird ausgerollt, Willkommen Bill Gates in Schönschrift auf die rechte Stellwand übertragen. Nach einem kompliziert akrobatischen Jackentausch zwischen Analfo und Beto ist alles bereit für das Eintreffen des großen Herrn. Die Zeit des Wartens beginnt. Wir, das Publikum, warten mit ihnen. Bald jedoch beginnt Beto gegen Müdigkeit anzukämpfen, ein schweres Ringen, denn Analfo darf ja nichts merken aber vergeblich, der Schlaf übermannt ihn. Ein plötzlicher lauter Schlag lässt beide schnell wieder hellwach sein. Aufregung. Mit roten Boxerhandschuhen an den Händen suchen sie einen Gegner, laufen panisch umher. Sie kämpfen bis zur völligen Erschöpfung gegeneinander und gegen unsichtbare Widersacher. Lichtwechsel. Analfo und Beto haben das Rednerpult bestiegen, lesen neugierig im Microsoft-Buch und können der Verlockung nicht widerstehen. Sie trinken das Wasser, das für den Redner Bill Gates vorgesehen war. Das bringt die beiden, bisher völlig stumm, zum Sprechen ein unverständlicher Singsang aus Lauten. Sie plappern erstaunt und über die Wirkung begeistert vor sich hin, fangen gar an miteinander zu tanzen und zu singen, bis kein Tropfen von dem Zauberwasser mehr aufzutreiben ist. Wieder Lichtwechsel, warten. Dann beginnt der Sicherheitscheck der Security bei den Zuschauern. In deren Taschen, Ohren, Haaren tauchen überraschender Weise diverse Waffen auf Tomaten, Eier, Eddings, sogar eine kleine Sichel. Analfo ist sofort klar, was damit bezweckt wird. Überlegen schaut er die Bill Gates Gegner an und schreibt schließlich LOVE neben dessen Namen auf die Stellwand. Provokativ verziert er den 4
Namenszug. Beto holt weitere Farbstifte und sogar Farbeimer mit den Farben der USA. Eifrig beginnen die Zwei die drei in Packpapier gehüllten Stellwände für ihren Bill Gates zu gestalten. Nach vollendetem Kunstwerk bemerkt Analfo jedoch einen Riss im Packpapier. Er schaut darunter und beginnt plötzlich dieses von den drei Wänden zu entfernen. Ein blauer großer Druck WELLCOME BILL GATES erscheint. Enttäuscht räumen Analfo und Beto auf und beginnen wieder zu warten. Plötzlich ertönt die Teppichmusik, ein Black. Wir hören Geräusche, ein Streichholz und eine Taschenlampe leuchten auf Analfo und Beto. Vorsichtig schleichen sie umher. Auf der linken Stellwand entdecken sie das Wort Scheiß, dann geht das Licht wieder an. Analfo und Beto bringen mehrere Koffer mit der Aufschrift Katharsis Beruhigungsset auf die Bühne. Unter ihnen wird der Koffer mit der Aufschrift Entertainment ausgewählt. Wir bekommen eine kurze tragische Geschichte vorgespielt. Beifall. Beim Zusammenpacken der Requisiten klemmt sich Beto indes die Finger ein. Laut schreit er vor Schmerz auf überraschende Blicke der beiden. Beto hat gesprochen . Gleich probiert er es noch einmal wieder Laute. Aggressiv schlägt er seinen Kopf gegen die Wände, schneidet sich mit der Sichel , Analfo tut es ihm nach. Sie fangen an zu reden, schreien, weinen. Dabei besteigen sie wieder das Podium Bill Gates . Während sie vor sich hin reden, öffnen sie das Microsoft-Buch und streichen den Text durch. Betos Stimme wird dabei immer lauter, aggressiver. Schließlich verstummt Analfo. Beto wendet sich an das Publikum. Eine lange ausdrucks- starke Rede setzt ein. Diese wird schließlich von einem Musikeinspiel unterbrochen. Beto und Analfo stehen erstarrt mit Hammer, Sichel und mit rotem Boxhandschuh auf dem Podium. Black. Beifall. Verbeugung. Vor dem Verlassen des Raumes erhalten die Zuschauer von den beiden Darstellern beiläufig den Hinweis, das Bill Gates doch noch gekommen und im Vorraum zu sehen ist. Dort läuft ein Video mit Endlosschleife. Bill Gates wird empfangen, entsteigt seinem Auto. Plötzlich tauchen unter den Wartenden zwei Männer auf, die nacheinander vorgestürmt kommen und ihm jeweils eine Sahnetorte ins Gesicht werfen 5
2. Analyse des Stückes 2.1 Bühne, Requisiten, Licht Raumstruktur BÜHNE + ZUSCHAUER + MICROFON TEPPICH Absperrständer mit Ketten verbunden weiße Säule (1m) Stellwand (ca. 3m x 2,5) Molton (schwarz abgehängt) Der Schauplatz des Geschehens ist konstant. Ein Raum, ca. 5m tief und 10m breit wird für den Empfang vorbereitet. Die Raumkonzeption ist wenig konkret Absperrständer, ein Stück roter Teppich, drei Stellwände, ein Mikrofon. Eine stark stilisierte Bühne bildet nur den Rahmen für die Geschichte. Das Hauptaugenmerk liegt bei den Protagonisten, ihrem Bewusstsein. Die Bühne ist funktional darauf ausgerichtet. Alle Requisiten werden bespielt. Dabei wird das Absperrgitter zum Rednerpult, die Säule zu Tisch bzw. Stuhl, der Teppich macht Musik und die Mikrofonkabel sind essbar. Den drei Stellwänden kommt eine besondere Funktion zu. Einerseits trennen sie die Bühne vom off stage und werden zur farbigen Gestaltung genutzt. Andererseits bilden sie eine Oberbühne, die in der Art des Puppenspiels oberhalb bespielt wird. Das ist der Raum Bill Gates, der sich vom Rest der Bühne hierarchisch abhebt. Er steht über uns, den Zuschauern, und den beiden Figuren. Wasserglas, Microsoft-Buch und Papier erhalten dadurch einen höheren Wert, denn diese Dinge liegen oben auf dem Rednerpult und sind für Ihn, den Meister bestimmt, sind seine Sachen etwas ganz Besonderes. 6
Eine spezielle Rolle erhält das off stage, da das Stück nur diesen einen Schauplatz (Innenraum) hat. Was erfahren wir vom off stage (Außenraum)? Er wird wenig konkretisiert. Requisiten werden aus ihm geholt, wie Wasserglas, Buch, Mikrofon, Kabel, Farben, Koffer , sonst erfahren wir nichts. Wir wissen nicht, wo sich der Schauplatz befindet. Um den beiden Figuren herum befindet sich ein Vakuum. Aber da der Gang in das off stage möglich ist, sind sie nicht vollkommen eingesperrt, denn sie könnten jederzeit hinaus aus dieser räumlichen Enge. Nur das Wohin bleibt relativ im Schatten. Einziger Anhaltspunkt der Außenwelt ist Bill Gates, der typischer Repräsentant einer globalen Gesellschaft ist und damit diese Außenwelt definiert. (siehe auch 3.2. Personal). Wir, die Zuschauer, werden Teil des Stückes. Gleich beim ersten Auftritt werden einige abgescannt und eine Absperrung trennt uns von der Bühne. Immer wieder gibt es musternde und misstrauische Blicke der Security. Dann gibt es gar Durchsuchungen , bei der allerlei Dinge auftauchen, wie Eier, Eddings, eine Sichel, die eindeutig als Störfaktoren für den Auftritt Bill Gates identifiziert werden. Eines wird dabei klar, die Security ist dazu da, Bill Gates vor uns zu schützen. Wir alle warten auf seinen großen Auftritt. Die Grenze zwischen Zuschauerraum und Bühnenraum als klassischer Guckkasten wird durchbrochen. Dem Licht wird keine außergewöhnliche Funktion zugeschrieben. Es trennt einzelne Sequenzen des Stückes voneinander. Ein Black wird zu einer Gefahrensituation auf der Bühne ein Anschlag jemand hat das Wort Scheiß an die Wand geschrieben. Im Übrigen erfolgen die Lichtwechsel funktional zum Ausleuchten der Bühne bei Wechsel der Szenen, beim Wechsel von Ober- zu Unterbühne Besondere Lichtstimmungen gibt es nicht. 2.2 Personal und Figuren Es erscheinen zwei Security-Fachleute heimatlose Clowns und Underdogs und 3 machen sich daran, den Raum vorzubereiten. Nicht nur die dem Zuschauer sofort offensichtlichen Clownsnasen auch die ganze äußere Erscheinung der beiden Figuren zeigt sofort: Hier haben wir es nicht mit wirklicher Security zu tun. Professionalität traut man ihnen, Beto und Analfo, nicht zu. Zwar gibt es die seriös scheinenden dunklen Anzüge. Dazu werden allerdings lustige grün gepunktete bzw. gestreifte Krawatten getragen. Auf dem Kopf haben sie außergewöhnliche, komische Bedeckungen, Analfo eine Badekappe, Beto einen Bauern. Analfo trägt gar Plateau- 3 aus: MaT Pressemappe: Warten auf Bill Gates - Plot 7
Damenstiefel! Das erscheint im völligen Widerspruch zu ihrem seriösen Job. So wird ihr erster Auftritt mit Kuchen bzw. Cola und einem Tennisschläger in der Hand bereits zu einer Lachnummer. Ernst kann man die Zwei nicht nehmen. Der Gegensatz zwischen den Rollen Security und Clown führt in die Komik. Als Security werden die Figuren karikiert. Mimik und Gestik sind die einzigen Ausdrucksmittel der beiden Protagonisten. Es sind stumme Geschöpfe, die zwar im Stück Möglichkeiten zum Reden entdecken, aber wenn sie dann zu uns sprechen, tun sie das in einer unverständlichen Phantasiesprache (genauer unter 3.3 Sprache) Unsere zwei Protagonisten bilden ein relativ konkomitantes4 Figurenpaar in ihrem Spiel auf der Bühne. Durch ständige Interaktionen untereinander treiben sie das Geschehen voran. Ihre Dauerpräsenz lässt die Zeit dabei extrem langsam verstreichen. Beim genauen Betrachten der Interaktionen zwischen ihnen zeigt sich Analfo als hierarchisch höher stehend als Boss Betos. Er gibt Kompetenz und Überlegenheit vor. Die Plateauschuhe unterstützen das optisch. Analfo ist damit deutlich größer als Beto. Der ist ungeschickt, naiv, tölpelhaft und dennoch sehr bemüht, gute Arbeit zu leisten. Er holt das Mikrofon, räumt die Katharsiskoffer auf etc. Aber trotz größter Mühe passieren Beto dabei immer wieder Missgeschicke, so dass er stolpert, sich einklemmt, verheddert. Mit seinen Slapstickeinlagen und seinem clownesken kindlichem Spiel trägt er hauptsächlich zum allgemeinen Zeitvertreib des Wartens bei. In dem Zusammenspiel zwischen beiden ist die klassische Konstellation der Clownerie, Analfo als Weißclown, Beto als Dummer August erkennbar (siehe Exkurs Clownerie) Analfo ist die motivierende Figur für das Geschehen auf der Bühne. Das gemeinsame clowneske Spiel lebt durch die ständigen Interaktionen zwischen ihm und Beto. Analfo beginnt z.B den Aufbau des Rednerpults, Beto folgt ihm, wirft dabei mehrmals die Absperrungen um oder Analfo stellt sich auf Position zum Empfang Bill Gates, Beto tut es ihm nach, schläft dabei ein; Analfo besteigt das Podium, Beto folgt ihm usw. Analfo versucht die Unzulänglichkeiten seines Partners zu ignorieren oder durch Autorität abzustellen. Seine gespielte Überlegenheit Beto gegenüber wirkt allerdings fragwürdig, da seine Korrektur- und Erziehungsversuche scheitern. Beim coolen Flirt mit dem Publikum hat Analfo kein Glück, ganz im Gegensatz zu Beto! Immer wieder schleichen sich Probleme in Analfos Organisation des Empfangs ein. Die Kabel passen nicht ans Mikro. Die Gegner Bill Gates sind nicht abzuschrecken. Beto ist nicht zu bändigen und kein Bill Gates ist zu sehen. Bei Analfo macht sich Hilflosigkeit breit. 4 nach: Pfister S.236ff. 8
Nur wenn er sich auf ein gemeinsames Spiel mit Beto einlässt, ändert sich alles, z.B. wenn sie gemeinsam das Wasserglas auf dem Podest akrobatisch verschwinden und wieder auftauchen lassen oder wenn sie gemeinsam die Stellwände zum Empfang gestalten bzw. wenn sie nach dem Trinken des Wassers zusammen tanzen und singen. In diesen Situationen löst sich die Hierarchie zwischen beiden Figuren scheinbar auf und ein harmonisches gemeinsames Spiel entsteht. Analfo zeigt dabei ebenfalls die kindliche Verspieltheit Betos, die ansonsten durch Strenge und Kompetenzgehabe überdeckt wird. Eine enge Bindung Beider aneinander wird deutlich. Allgemein bleiben die Gestalten jedoch sehr eindimensional und statisch. Wir erfahren nichts über sie, über ihr Leben. Selbst ihre Namen sind nur durch das Programmheft ersichtlich. Sie sind identitätslos. Für eine eindeutige Charakterisierung bleiben die Figuren zu anonym. Es sind Typen und keine Charaktere. Typisierung bedeutett Standardisierung. Das heißt, eine Figur ist die Summe aus bestimmten ihr zugeordneten standardisierten Eigenschaften. Sie ist nicht individuell. Das ist typisch für die Clownerie im allgemeinen. Die Figuren stehen symbolhaft für etwas, deshalb sind sie plakativ angelegt. Die Naive, der Tollpatschige Es geht bei Analfo und Beto um ihre Beziehung zu einer Gesellschaft für die Bill Gates beispielhaft steht. Wichtig ist, dass die Figuren sich nicht entwickeln, sie bleiben gleich. Eine psychologische individuelle Figur, die im Konflikt mit der Gesellschaft steht, kann sich innerlich ändern, wachsen, gewinnen oder scheitern. Zumindest weiß man das bei einer solchen Figur von vorn herein nicht. Die Anlage der Figuren in diesem Stück als Typen und nicht als Charaktere lässt von Anfang an erwarten, dass sie versagen. Sie sind Security und Clown eine antagonistische Verbindung. Durch ihre Naivität und Kindlichkeit scheitern sie dann auch ständig an den an sie gestellten Aufgaben. Damit stehen sie am Rande der Gesellschaft. Die wird durch die Zuschauer und den nicht erscheinenden Bill Gates präsentiert. Ihr Versuch, sich darin einzufinden, misslingt. Grotesk ist, dass wir Zuschauer über ihr Unglück und ihre Verzweiflung lachen! Ihre clowneske Unbeholfenheit lässt uns Distanz wahren und überlegen fühlen. Zu einer Identifikation mit den Figuren kommt es nicht (weiter dazu siehe 3.5). Nur am Ende des Stückes werden wir aus dieser Distanz gerissen, als Beto in einer bedrückenden, ernsten und bedrohlichen Rede zu uns spricht und beide in revolutionärer Pose das Stück beenden. 9
Im Personal enthalten, aber nicht real auftretend ist die Figur des Bill Gates. Sein Name allein verbindet sich mit den Worten Erfolg, Reichtum und Macht. Er ist der erfolgreichste Geschäftsmann der Welt. Sein Microsoft-Imperium beherrscht den weltweiten Softwaremarkt. 1998 wurde er in Brüssel Opfer eines Sahnetortenattentates siehe Videomitschnitt. In diesem Theaterstück repräsentiert er das Ideal der Außenwelt bzw. der Gesellschaft. Die drei oben genannten Begriffe Erfolg, Reichtum und Macht stehen in ihr als zentrales Ziel. Bill Gates wird also erscheinen und uns den Weg zu diesem Ziel aufzeigen, denn auch wir, die Zuschauer sind integrierter Teil des Stückes. Analfo und Beto erhoffen sich ebenfalls eine Verbesserung ihres Lebens. Sein Zauberwasser bringt sie zum Sprechen und sein Buch birgt die Rezepte seines Erfolges Bill Gates jedoch erscheint nicht. Exkurs: Clownerie Das dramatische Grundmuster in der Clownerie zeigt sich folgendermaßen: Ein Weißclown steht einem Dummen August antagonistisch gegenüber. Der Weißclown gilt dabei als intelligent, elegant und vernünftig. Der Dumme August dagegen ist tollpatschig, debil, naiv. In seinem kindlichen Verhalten folgt er nicht der Vernunft sondern seinen Trieben. Dadurch ist er im gewissen Maße immer ein Rebell der Freiheit, aber auch ein Katastrophenauslöser. Der Weißclown, um Souveränität bemüht, versucht indes immer wieder ihn zu erziehen, zu lehren, was gründlich misslingt und zu komischen burlesken Situationen führt. Der Weißclown grenzt sich durch stumme Blicke der Verzweiflung ins Publikum zwar von den Taten des August ab, aber immer wird die Dummheit beider vorgeführt. Meist geschieht das im Kampf mit der Tücke des Objektes, den Slapstickeinlagen. Basis dafür ist ein beachtliches artistisches Können. Pantomime und modernes Theater werden oft einbezogen.5 Analfo und Beto zeigen typische Verhaltensmuster vom Weißclown und Dummen August. 2.3 Sprache und Körpersprache Die Sprache aus linguistischer Sicht spielt in diesem Stück eine untergeordnete Rolle. Die Figuren des Stückes sind stumme, sprachlose Gestalten. Ihre Ausdrucksmittel sind mimische und gestische Zeichen der Körpersprache. Die Raumkonzeption unterstützt die Wahrnehmung dieser Zeichen durch die Nähe zum Zuschauer. Auf linguistische Zeichen wird verzichtet. Mimische Zeichen drücken die Emotionen der Figuren aus. Gestische 5 aus: Stefan Schlenker: Der Clown. Geschichte, Entstehung, Entwicklung. www.clowns.cd 10
dienen tendenziell der Kommunikation und Interaktion zwischen ihnen und auch dem Publikum gegenüber. Analfo und Beto treten als Subjekte in den Vordergrund der Geschichte. Die Handlung im Stück dagegen tritt zurück. Die Intersubjektebene der Kommunikation ist nur sehr wenig ausgeprägt. Analfo und Beto interagieren zwar durch clowneske Spiele miteinander, aber ihre Kommunikation untereinander ist gestört. Einerseits zeigt das der Verlust ihrer Sprache als Hauptkommunikationsmittel, andererseits aber auch ihre Unfähigkeit miteinander Kontakt aufzunehmen. Durch zwei unterschiedliche Motivationen können Analfo und Beto allerdings über einen begrenzten Zeitraum reden. Sie sprechen dann in einer unverständlichen Fantasiesprache. Für den Zuschauer sind hier plötzlich paralinguistische Zeichen6 wahrnehmbar. Dabei fällt auf, dass diese bei den Figuren Beto und Analfo ganz gegensätzlich eingesetzt werden. Beto spricht sehr laut, seine Stimme klingt hart, aggressiv und nach außen gerichtet. Der typische Dummer August-Charakter, debil, naiv, kindlich mit dem Kopf durch die Wand wird dadurch verstärkt. Analfos Stimme dagegen ist ein eher leiser, zurückhaltender Singsang und nach innen gerichtet ein Widerspruch zu seiner Boss-Rolle, denn sie zeigt Unsicherheit und Zerbrechlichkeit, bestätigt damit aber gleichzeitig die Tragik des Scheiterns des Paars. Spätestens an dieser Stelle wird klar: Analfo kann sie beide nicht aus dem Dilemma ihres sinnlosen Lebens führen. Wie bereits festgestellt, kommunizieren die beiden Akteure dieses Theaterstücks meist ohne Sprache untereinander. Im Sinne der Ausnahmen von der Regel verdienen die Szenen wo gesprochen wird deshalb besondere Aufmerksamkeit, da sich so oft Schlüsselmomente der Geschichte offenbaren. Eine solche Veränderung der Kommunikation ist feststellbar, wenn Analfo und Beto das Podium besteigen. Nach dem Trinken des für Bill Gates bestimmten Wassers beginnen sie zu reden und dann singen und tanzen sie zusammen. Ihr Verhalten ändert sich. Leider nur so lange, wie die Wirkung des Wassers anhält. In dieser Zeit wird die Hierarchie zwischen den Figuren aufgehoben. Deshalb tanzen und singen sie zusammen. Sie sind glücklich miteinander! Bill Gates (Wasser) kann ihnen helfen, kann ihr Leben zum Besseren wenden. Nach dieser Szene, die Wirkung des Wassers ist vorbei, kehren beide Figuren jedoch in ihre Ausgangssituationen des Wartens zurück. 6 Sind nach Fischer-Lichte, (S.38) vokal erzeugte Laute. (weder linguistisch, noch musikalisch, noch ikonisch vokale Zeichen von Tieren) 11
Als sie am Ende ebenfalls das Podium besteigen, sprechen die Akteure wieder. Hier allerdings durch die Schmerzen der Selbstverstümmelungen. Sie richten sich redend an das Publikum. Betos Stimme wird dabei immer lauter, aggressiver, weinerlich und klagend. Analfo verstummt, schaut das erste mal liebevoll zu Beto hinüber. Alle müssen seiner stark emotionalen, anklagenden Rede lauschen. Die erschüttert das Publikum, absolute bedrückende Stille dort. Unangenehme Länge der Rede man möchte, dass sie aufhört. Das Publikum ist getroffen, denn keiner lacht mehr. Die Distanz zu den Figuren ist aufgehoben. Ist also eine Entwicklung der Protagonisten, die Rettung aus dem Dilemma ihres sinnlosen Lebens nur durch das schlüpfen in eine andere Rolle oder durch Gewalt gegen sich selbst, gegen sein eigenes Ich möglich? Weiter dazu im Folgenden. 2.4 Zeitstruktur und Handlung Die Zeitpräsentation im Stück ist sehr unkonkret. Wir erfahren nichts über den genauen Tag und die Tageszeit. Durch das statische Warten der Figuren kommt es zu einer Zeitdehnung, das heißt die fiktive gespielte Zeit scheint länger als die reale Zeit. Die vielen Beschäftigungen und clownesken Einlagen der Akteure, wie das Spiel mit dem Wasserglas oder das Durchsuchen des Publikums dienen nur dem Zeitvertreib. Diese offene Zeitstruktur des Stückes führt zu einer Aufhebung der Zeit und auf diese Weise zu einer subjektiven Zeiterfahrung, die das Gefühl des Wartens verstärken. Eine durchgehende Handlung ist im Stück nicht erkennbar. Zwar geschieht permanent etwas, allerdings verändert das nicht die Ausgangssituation des Stückes das Warten auf Bill Gates. Demzufolge haben wir es hier insbesondere mit Geschehensabläufen zu tun. Das Stück hat relativ wenig Handlung. Das Geschehen auf der Bühne vertreibt lediglich die Zeit des Wartens. Auch das verstärkt die subjektive Zeiterfahrung. Im Mittelpunkt der Geschichte steht das Befinden der beiden tragikkomischen Figuren Analfo und Beto, die uns Zuschauer durch ihren Kampf mit der Tücke des Objektes unterhalten und uns dabei gnadenlos ausgeliefert sind. Das Theaterstück kann man als Aneinanderreihung von verschiedenen Handlungs- und Geschehensabläufen begreifen, die zum Teil frei austauschbar sind. Zu Beginn des Stückes sind die einzelnen Sequenzen funktional gleichwertig. Die Entfaltung der Geschichte führt jedoch im Verlauf des Stückes zu immer festeren Strukturen. 12
Die erste Phase beinhaltet den Aufbau und die Vorbereitung der Bühne für die Rede. Innerhalb dieser sind die einzelnen Sequenzen frei austauschbar. Der Teppich könnte z.B. auch als erstes ausgerollt werden und dann der Aufbau des Rednerpultes erfolgen. Das sind auch die einzigen wirklichen Handlungen im Stück der Auftritt Bill Gates wird vorbereitet. Die zweite Phase des Stückes ist die des Wartens, die sukzessiv die erste Phase als Bedingung hat, denn alle Vorbereitungen müssen abgeschlossen sein. Innerhalb dieser Phase sind die Einzelsequenzen nicht mehr frei austauschbar. Nach dem Einschlafen Betos und dösendem Warten Analfos, schrecken sie bei einem Geräusch hoch und kämpfen. Die Sequenz des Wartens motiviert die nachfolgende des Aufschreckens. Diese Warterei ist eben einfach zu langweilig. Es gibt ja nichts mehr zu tun. Die Protagonisten besteigen also das Podium Bill Gates, schmökern neugierig in seinen Sachen herum und trinken das für ihn bestimmte Wasser, welches schon gesagte Wirkung zeigt. In der folgenden Sequenz kehren Analfo und Beto zwar in die Ausgangssituation des Wartens zurück. Allerdings sind sie durch das eben Erlebte am Ende tanzten und sangen sie miteinander beflügelt worden. So kommt es zur nachfolgenden farbenfrohen und kreativen Gestaltung der Wände. Ohne das vorherige Geschehen kaum denkbar. In der letzten Phase des Stückes haben wir eine direkte sukzessive Verknüpfung zwischen den Sequenzen, dass heißt, was in einer Sequenz passiert, hat direkte Auswirkung auf den nachfolgenden Teil. Ein Austausch einzelner Sequenzen ist hier nicht mehr möglich. So hat der Anschlag das Beschmieren der Stellwände mit dem Wort Scheiß zur Folge, dass die Katharsis Beruhigungssets hervorgeholt werden und zur Besänftigung der Zuschauer ein Spiel im Spiel beginnt. Das Zusammenräumen dieser Koffer ist wiederum Voraussetzung für die kommende Sequenz. Beto klemmt sich am Koffer die Finger ein und bemerkt, dass auch das zum Sprechen führt. Nur so kann es zur Rede Betos kommen, die in dem revolutionären Schlussbild aufgelöst wird. Im Gegensatz zu diesen sukzessiven Verknüpfungen der letzten Phase sind die anderen Sequenzen durch Lichtwechsel, Wechsel des Schauplatzes zwischen Ober- und Unterbühne und/oder durch Musik relativ lose miteinander verbunden. Die beiden Figuren Analfo und Beto bilden das integrative Zentrum. Die Komposition des Stückes erfolgt demzufolge nicht in einer klassisch geschlossenen sondern in einer offenen Form. Die Szenen werden zu den entscheidenden Gliederungseinheiten des Theaterstücks. Der synthetische Aufbau dieser Teile bildet am Ende eine Gesamtaussage, offen für Deutungen 13
der Zuschauer. Keine Handlung sondern der Zustand der beiden Figuren Analfo und Beto steht im Zentrum. 2.5 Interaktion mit dem Zuschauer und Spiel im Spiel Dass das Publikum Teil des Stückes ist, wird nicht nur durch das Spiel der Figuren mit ihnen deutlich, wenn z.B. abgescannt wird bzw. Eddings, Eier eingesammelt werden oder geflirtet wird. Das gesamte Konzept (der Clownerie) durchbricht die Grenzen zwischen Zuschauerraum und Bühnenraum. Es baut auf die Interaktion mit den Zuschauern auf. Einerseits lacht das Publikum über die Unzulänglichkeiten Analfos und Betos. Andererseits bleibt ihm dieses im Halse stecken. Eine Groteske, denn die beiden sind komisch und tragisch zugleich. Offen gelegt wird das Spannungsverhältnis zwischen Darstellern und Zuschauern in der Sequenz im Spiel im Spiel. Hier entsteht durch das Spielen einer kurzen Einlage von den Figuren des eigentlichen Stückes eine zweite Fiktionsebene. Durch diese doppelte Fiktionalität wird die Illusion des gesamten Theaterstückes offen gelegt. Die Zuschauer werden desillusioniert in die Realität zurückgeworfen. Die Fiktionalität des Stückes wird gestört. Das Publikum, in diese Fiktionalität als Wartende mit einbezogen, wird plötzlich wieder aus dieser gerissen und sich der passiven Zuschauerrolle bewusst. Keiner wird mehr auf die Bühne gehen und den Auftritt Bill Gates stören, wie eben geschehen (Scheiß). Ist ja alles nur gespielt. Somit hat das Katharsis Beruhigungsset seinen Zweck erfüllt. Eine weiterer Effekt der gespielten Einlage ist die kathartische Wirkung einer Tragödie. Der Inhalt des Spiel im Spiel ist folgender: Beto spielt eine wehklagende und bettelnde Frau mit Kind (Sehr lustig, denn das hat ebenfalls eine rote Clownnase!). Analfo, ein feiner Herr, kommt des Weges. Die Frau identifiziert ihn als Vater ihres Kindes. Es kommt zum Streit. Schließlich sticht sie den Mann, das Kind und sich selbst mit einem Messer nieder. Die Szene endet in der Katastrophe mit dem Tod aller Mitwirkenden. Nach Aristoteles kommt es bei den Zuschauern in der Tragödie durch Furcht und Mitleid zu einem Effekt der Katharsis, was heißt, am Ende des Stückes sind alle gereinigt und bessere Menschen. Diese Wirkung soll auch hier gezielt erreicht werden und das Publikum beruhigen, deshalb auch der Name Katharsis Beruhigungsset auf dem Koffer. Aus der so gewonnenen Distanz heraus können die Zuschauer nun beobachten, wie Beto und Analfo durch Selbstverstümmelung ihr Leben neu begreifen und sich gegen ihren 14
Retter , gegen die Gesellschaft stellen. Das Lachen ist ihnen vergangen. Bedrückende Stille herrscht. Nur die aggressiv-traurige Stimme Betos ist zu hören. Analfo und Beto begeben sich in den Kampf oder ist es nur ein kurzes Aufbäumen? 2.6 Vergleich mit Becketts Warten auf Godot Erste Assoziationen zum Inhalt weckt der Titel des Stückes Warten auf Bill Gates . Sofort wird man an Samuel Beckett Warten auf Godot erinnert. Die unmittelbare Nähe der Titel zueinander lässt auf einen Zusammenhang zwischen beiden Stücken schließen. Der Regisseur Goldstein selbst wirkte vor wenigen Jahren in Becketts gleichnamigen Stück mit. Die offene, statische Dramenstruktur, signifikant für Beckett, liegt auch in diesem Stück vor. Raum und Zeit sind unbestimmt und wir haben eine relative allerdings keine völlige Handlungslosigkeit. Die Figuren sind nur schemenhaft dargestellt. In beiden Stücken, Warten auf Godot sowie Warten auf Bill Gates , ist tatsächlich das Warten auf eine Person, die nicht erscheint, Hauptthema. Bei Beckett warten zwei Landstreicher, Didi und Gogo, hier zwei Security-Clowns, Analfo und Beto. Beide Figurenpaare werden jeweils als Außenseiter der Gesellschaft betrachtet. Wir Zuschauer können so mit unbeteiligter Distanz auf sie schauen. Die Protagonisten scheinen sowohl bei Beckett, als auch im MaT keine Vergangenheit zu besitzen. Auch soziale Herkunft, Bildungsstand etc. alle diese Charakteristika sind nebensächlich. Wirklich verschieden sind die Personen, auf die gewartet wird, auch nicht. Godot soll der Erlöser aus dem jämmerlichen Dasein des Lebens sein. Der Rest der Figur bleibt im Dunkeln. Bill Gates ist eine Ikone der globalen Welt, der durch seine Rede den Menschen den Weg in die Zukunft aufzeigen will? Durchaus also auch eine allerdings genau benannte Erlöser-Figur, die jedoch durch die genauen Kenntnis seiner Existenz kritisch hinterfragt werden könnte. Bei Godot hingegen ist das nicht möglich. Eine gestörte Kommunikation ist ein wichtiges Merkmal beider Stücke. Im Gegensatz zu Beckett, der seine Figuren in einer verkümmerten Sprache noch plappern lässt, können die Figuren des MaT zunächst gar nicht mehr reden. Zentrale Ausdrucksmittel sind allerdings bei beiden Theaterstücken die Mimik und Gestik. Die Sprache als traditionelles theatrales Mittel tritt in den Hintergrund Beckett nutzt Paradoxien, Allegorien und die Clownerie als stilistischen Mitteln, um das Stück zu einer komischen Groteske zu machen. Er erreicht so eine unendliche 15
Kreisbewegung seines Stückes. Es gibt keinen Ausweg. Warten auf Godot schließt deshalb, ohne wirklich zu einem Ende gefunden zu haben. Das Warten ist noch nicht vorüber. Am Schluss wird klar, Didi und Gogo werden immer weiter ausharren, sich die Zeit des Wartens mit kleinen Spielchen vertreibend. Eine Entwicklung der Figuren ist in ihrem Stück nicht erkennbar. Godot wird nie erscheinen. Beckett hält den Zuschauern damit die Absurdität des eigenen Daseins vor Augen, die Sinnlosigkeit des eigenen Lebens als ewiges Warten in einer unechten Gesellschaft ohne Glauben.7 Bei Warten auf Bill Gates wird die Clownerie zum zentralen stilbildenden Mittel. Eine Kreisbewegung gibt es hier nicht. Das Ende bleibt offen. Außerdem haben Analfo und Beto eine Aufgabe zu erfüllen den Empfang vorbereiten und das Objekt (Bühnenraum) vor Zugriffen absichern. Während ihrer Aufgabenbewältigung kommt es, anders als bei Beckett, zu kurzzeitigen Veränderungen der Figuren. Sie probieren vom heiligen Wasser, lesen im heiligen Buch und erlangen so eine wichtige Eigenschaft: Sie können sprechen ein kurzes aber einschneidendes Erlebnis. Ebenso ist es am Ende des Stückes, wenn sie selbst ihre Sprache (wieder) finden und sich gegen ihren Heiligen richten. Zwar erscheint auch hier Bill Gates nicht (auf der Bühne), allerdings besteigen Analfo und Beto sein Podium, zerstören sein heiliges Buch und erwarten ihn in kämpferischer Pose. Trotzdem gibt es auch hier keine Entwicklung der Figuren, die gleiche Absurdität wie bei Beckett. Zwar hat das Warten ein Ende, aber was auch immer geschieht, Analfo und Beto werden scheitern, denn sie sind Clowns. 3. Deutungsansätze Die Deutung eines Theaterstück ist ein Prozess, den jeder Zuschauer für sich bestreiten muss. Die Subjektivität der Wahrnehmung und das Erfahrungswissen jedes Einzelnen führt zu einer subjektiven Bedeutungsgenerierung. Demzufolge kann es zu verschiedensten Interpretationen kommen. Deshalb wird durch die Autorin gar nicht erst der Versuch einer allumfassenden Deutung unternommen. Einige mögliche Deutungsansätze sind im folgenden aufgezeigt. Analfo und Beto warten vergeblich auf Bill Gates. Nicht die Figur des Bill Gates, sein Kommen, sondern die beiden Wartenden rücken so ins Zentrum der Betrachtung. Ihre Vorbereitungen für den Auftritt werden durch das Nichterscheinen des Redners sinnlos. Da 7 aus Esslin S. 309f. 16
außerdem die Clownerie prägendstes theatrales Mittel im Stück ist, werden die Handlungen der Figuren absurd, denn die Vorgänge werden zu sinnlosen, zeitfüllenden Spielchen (Slapstickeinlagen) ohne jeglichen Zweck herunterstilisiert. Die Kommunikation zwischen den Figuren ist gestört. Sie besteht nur indirekt als Interaktion zwischen Weißclown und Dummen August. Sie sind nicht einmal der Sprache mächtig. Das ändert sich kurzzeitig durch das Trinken des Wassers von Bill Gates. Auf seinem erhöhten Podium stehend, verändern sie sich. Durch die Wirkung des getrunkenen Wassers können sie sprechen, werden sie zu Bill Gates und bekommen neue Lebensfreude. Sie tanzen und singen miteinander. Leider jedoch nur für kurze Zeit, dann fallen sie in ihren vorherigen Zustand zurück. Aber Analfo und Beto haben durch dieses Erlebnis Mut gefasst, was ihre plötzliche Eigenaktivität, das freie Gestalten und Schmücken der Stellwände für Gates zeigen. Das plötzliche Aufkeimen von Individualität und Lebensfreude wird indes durch gesellschaftliche Vorgaben, die bedruckten Wände, abrupt zerstört und zurück in die Starre des Wartens geführt. Ihr Versuch, etwas Eigenes in die Gemeinschaft einzubringen, scheitert. Stumme Resignation. Schließlich erfahren Analfo und Beto, dass sie nicht nur mit der Hilfe Gates, sondern auch wenn sie sich Schmerzen zufügen, reden können. Ist das aktive Leben nur noch durch Selbstzerstörung möglich, muss man gar sein eigenes Ich zerstören? Kann man denn nur noch wirklich leben, wenn man, wie eben als Bill Gates auf dem Podium steht, wenn man quasi nicht man selbst, sondern jemand anderes ist oder spielt? Wie weit muss die Anpassung in einer Gesellschaft gehen? Die bis dato als verkümmerte, isolierte Außenseiter gezeigten beiden, lösen sich durch ihre Selbstverstümmelungen aus ihrer Starre und besteigen das Podium. Sie wenden sich gegen ihren Meister. Dieser jedoch erscheint nicht Das Schlussbild mit rotem Boxerhandschuh und übereinander geschlagenem Hammer und Sichel weckt deutlich Assoziationen zu Kommunismus, SU, Weltrevolution. Die Wertung dieses Bildes im Zusammenhang mit dem Stück lässt, je nach individuellen Erfahrungen der Zuschauer große Deutungsspielräume entstehen. Wenn man dieses Stück im engen Zusammenhang zu Becketts Warten auf Godot betrachtet, ist klar, der Aufbruch Analfo und Betos gegen Bill Gates ist zum Scheitern verurteilt. Sie sind Clowns, für Helden zu hilflos und naiv, zum ständigen Schiffbruch erleiden verurteilt und das allein schon durch das ständige Scheitern an sich selbst (an der Tücke des Objektes). Außerdem erscheint Gates nicht um sie zu retten bzw. ihnen die Stirn 17
zu bieten, nach eckett wird er nie erscheinen. Ein Aufbäumen bzw. Auflehnung ist demnach zwecklos! Kann das Schlussbild dagegen auch Hoffnung vermitteln? Der Kommunismus scheiterte zwar in den letzten Jahren, aber seine Suche nach dem besseren Menschen ist noch nicht aufgegeben. Wird die Desillusionierung demnach aufgehoben? Analfo und Beto gehen einen Schritt in die richtige Richtung, indem sie sich ihres Dilemmas bewusst werden und dagegen protestieren. Sie lösen sich von ihrem Meister und Idol. Selbsterkenntnis ist ein erster Schritt. Vergessen werden sollte auch nicht die Szene, die im Anschluss des Theaterstücks auf Video zu sehen ist: Zwei Männer bewerfen Bill Gates mit Sahnetorte. Diese Szene entspringt der realen Welt. Das Sahneattentat auf den Herrscher über Microsoft hat es tatsächlich gegeben. Im Kontext des Theaterstücks Warten auf Bill Gates verschmilzt diese reale Szene mit dem fiktiven Bühnengeschehen. Es kommt dem Zuschauer nur ein Gedanke in den Sinn: Die Attentäter können nur Analfo und Beto gewesen sein. Aber was haben die beiden Clowns durch ihr Attentat erreicht? Sind sie jetzt Helden? Haben sie Bill Gates die Stirn geboten, am Ende sogar einen kleinen Sieg davon getragen? Diese Art von Attentat verändert die Welt nicht. Die Sahnetorten sind lediglich ein hilfloser Protest gegen die Gesellschaft. Den Lauf der Dinge kann man so nicht verändern. Unserer heutigen Bühne/Literatur scheinen die Helden, die Weltverbesserer, echte Charaktere eben, abhanden gekommen zu sein. Auch die Figuren Analfo und Beto sind von Beginn an zum Scheitern verurteilt Desillusionierung, Pessimismus, keine Hoffnung auf Sinnfindung im Leben. Ein Ende des Dilemmas ist nicht in Sicht. Hurra wir leben! Aber wofür? Wer sind wir sind wir überhaupt (Individuen)? Gates ist durch den Erfolg seiner Firma Microsoft, die den weltweiten Softwaremarkt kontrolliert, ein Idol der gegenwärtigen Gesellschaft ihr world wide web steht dabei nicht umsonst für welt-weites-Warten ! 18
Literatur Samuel Beckett. Warten auf Godot. Frankfurt am Main 1953, 1.Auflage der revidierten Übertragung und Sonderausgabe 2003 Martin Esslin. Das Theater des Absurden. Von Beckett bis Pinter. Reinbek/ Hamburg 1965, Neuauflage 1985, Auflage 1991 Erika Fischer-Lichte. Semiotik des Theaters. Band 1 Das System der theatralischen Zeichen. Tübingen 1983, 4. Auflage 1998, Nachdruck der 2. durchgesehenen Auflage 1994 Manfred Pfister. Das Drama. München 1977, 9.Auflage 1997, erweiterter und bibliographisch aktualisierter Nachdruck der ergänzten Auflage 1988 Reiner Poope. Absurdes Theater. Artaud Camis Beckett Ionesco Interpretationen und Materialien. Beyer Verlag. Hollfeld/Ofr. 1993 19
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