Großes Hoffen auf ein Stück weit Frieden - Zum Hintergrund des Plebiszits über das Bangsamoro-Grundgesetz am 21. Januar und 6. Februar 2019 ...
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Großes Hoffen auf ein Stück weit Frieden Zum Hintergrund des Plebiszits über das Bangsamoro- Grundgesetz am 21. Januar und 6. Februar 2019 von Rainer Werning Februar 2019 In Südostasiens ältester Krisenregion – auf den südphilippinischen Inseln Mindanao, Basilan und Jolo – erweist sich die Suche nach einem tragfähigen Frieden als mühseliger Prozess. Noch am 27. Januar 2019 zeigte sich einmal mehr, wie volatil die Sicherheitslage in der Region ist,1 als in Folge zweier Bombenexplosionen im Zentrum von Jolo City 21 Menschen den Tod fanden und über 110 Verletzte zu beklagen waren.2 Angriffsziel des höchstwahr- scheinlich von dschihadistischen, dem IS nahestehenden Selbstmordattentä- ter*innen verübten Verbrechens, war diesmal die Our Lady of Mount Carmel Cathedral, die römisch-katholische Kathedrale Unserer Lieben Frau auf dem Berge Karmel.3 Externer Kolonialismus und interne Kolonisie- werden, wird Frieden ein Fremdwort in der Re- rung hinterließen in dieser Region ein viel- gion bleiben. schichtiges Konfliktpotenzial, das zahlreiche (bewaffnete) Protagonist*innen mit höchst un- terschiedlichen Interessen beseitigen woll(t)en. Rebellion mit Tradition Ausgerechnet am 21. Januar sowie am 6. Feb- ruar 2019 fand in Teilen dieser Region ein weg- »Das Ende der erfolglosen spanischen Erobe- weisendes Plebiszit statt, an dem annähernd rungsversuche des Morolandes«, schrieb der drei Millionen registrierte Wahlberechtigte teil- amerikanische Geschäftsmann und Abenteurer nehmen konnten. Dabei geht es im Kern um die Vic Hurley im Vorwort seines erstmals 1936 er- Annahme oder Ablehnung des sogenannten schienenen Buches »Swish of the Kris«, »mar- Bangsamoro Organic Law (BOL). Dieses Grund- kierte zugleich den Anfang vom Ende des wohl gesetz der Moro-Nation oder des Landes der herausragendsten Widerstandskampfes in den Moros (der muslimischen Bevölkerung) bedeu- Annalen der Militärgeschichte. Die Moslems ha- tete den entscheidenden Schritt in Richtung ben der Macht Spaniens 377 Jahre (von 1521– eines erweiterten Autonomiestatus. Solange de- 1898 – Anm.: RW) lang durch erbitterte und ren Selbstbestimmungsrecht und die Belange ununterbrochene Kriegführung getrotzt. (…) der indigenen Völker (Lumad) nicht respektiert Die Dons, gewohnt, sich ohne großen Aufwand Blickwechsel | Februar 2019 Seite 1
Indigene der Gebrochen wurde der rebellische Geist indes Lumad stehen nicht. Teile der Moro-Gesellschaft waren le- zwischen diglich gezwungen worden, in den 1920er, vielen Interes- 1930er und 1940er Jahren ihre Strategie und sen und Taktik zu ändern und sich in Verfolgung ihrer Kämpfen für Ziele friedlicher Mittel zu bedienen. So hatten Selbstbestim- Führungspersönlichkeiten der Moros mehrfach mung und in Form von Deklarationen und Petitionen ge- gegen die genüber den Kolonialherren in den Philippinen Militarisierung ihres Landes. sowie in den Vereinigten Staaten selbst auf das © Lilli Selbstbestimmungsrecht, mithin auch implizit Breininger auf die Wahrung ihrer ureigenen Pfründe insis- tiert. Und ebenso häufig hatten sie darum er- sucht, nach dem Ende US-amerikanischer Herr- schaft kein Bestandteil einer unabhängigen phi- lippinischen Republik werden zu wollen. Dann würde man es bis zur Erlangung der eigenen Unabhängigkeit lieber vorziehen, längere Zeit unter dem Schirm von Uncle Sam zu verweilen. Um dieses Wunschdenken kehrte man sich letztlich in Washington ebenso wenig wie in Ma- nila. Peru und Mexiko unterworfen zu haben, fanden ihresgleichen und mehr in den Dschungeln von Neu formierter Widerstand Mindanao. (…) Die Geschichte kann niemals die Moros vergessen. Denn sie taten etwas im Jahrzehnte vergingen, bis sich die Moros er- 16. Jahrhundert, im 17. Jahrhundert und im neut, vehement und bewaffnet gegen die Auto- 18. Jahrhundert bis hinein ins 19. Jahrhundert, ritäten, diesmal die Zentralregierung im fer- was gänzlich unmöglich zu sein schien. Sie er- nen Manila, auflehnten. Ende der 1960er wiesen sich als zu stark für die spanischen Kon- Jahre – auf dem Höhepunkt des Vietnamkrie- quistadoren!« ges und weltweiter Jugend- und Studentenpro- teste – formierte sich der Kern der Moro Natio- Der Autor dieser Zeilen war aufgewachsen in nal Liberation Front (MNLF) unter der Ägide einem Klima kolonialistischen Gedankenguts des südlich von Jolo stammenden Nur Misuari. und schrieb aus der Perspektive eines »West- Misuaris Politisierung war Mitte der 1960er lers«. Doch einige Jahre in den Südphilippinen Jahre in der linken Student*innen- und Jugend- hatten Hurley auch gelehrt, sich mit der Vor- bewegung Manilas erfolgt, wo er Politik stu- stellungswelt der Moros auseinander zu setzen diert und zeitweilig gelehrt hatte. Anfang der und vertraut zu machen. Je mehr er das tat, 1970er Jahre setzte er sich ins Ausland ab und umso verständnisvoller, ja streckenweise be- verbrachte die Jahre bis 1986/87 vorwiegend wunderungswürdig äußerte er sich über ein in Libyen und anderen Ländern des Nahen und Volk, dessen Widerstand erst durch den massi- Mittleren Ostens. Politisch-diplomatisch unter- ven Einsatz haushoch überlegener Feuerkraft stützt wurde die MNLF von der Organisation seiner eigenen Landsleute niederkartätscht der Islamischen Konferenz (OIC) mit Sekreta- worden war. (Von 1898 bis zum 4. Juli 1946 wa- riatssitz im saudi-arabischen Dschidda. Bis ren die Philippinen US-amerikanische Kolo- Mitte der 1970er Jahre hielt die MNLF an ih- nie – Anm.: RW.) Das war durchaus wörtlich zu rem erklärten Ziel fest, auf dem Territorium nehmen; US-Offiziere hatten nicht davor zu- von MINSUPALA (Mindanao, dem Sulu-Archi- rückgeschreckt, Frauen, Kinder und Ältere zu pel und Palawan) eine unabhängige Bangsa- massakrieren. Gemäß der Devise: »Nur ein to- moro Republik (Republik der Moro-Nation) zu ter Moro ist ein guter Moro.« errichten. Seite 2 Blickwechsel | Februar 2019
Die Regierung unter Ferdinand E. Marcos (1965–1986) fühlte sich herausgefordert und schlug unerbittlich zurück. Ende September 1972 verhängte Marcos landesweit das Kriegs- recht und begründete dies unter anderem mit »den Sezessionsbestrebungen der MNLF«. Rasch gerieten die Südphilippinen in den Stru- del eines Bürgerkrieges. In der Hafenstadt Zam- boanga City im Südwestzipfel Mindanaos be- fand sich mit dem Südkommando (Southern Command oder kurz SouthCom) das Hauptquar- tier der Streitkräfte (AFP) zur koordinierten Kriegführung gegen die MNLF und die im Früh- jahr 1969 entstandene Neue Volksarmee (NPA), die Guerillaorganisation der Kommunistischen Partei der Philippinen (CPP). führte. Zu den Bestimmungen dieses Abkom- Büro von Vereitelte Autonomie oder mens gehörte zwar die Schaffung einer (an- MILF Peace Von Konfrontation fänglich aus lediglich vier Provinzen bestehen- Panel und der Bangsamoro zur Kooptation den) Autonomous Region in Muslim Mindanao Development (ARMM), deren Gouverneur Misuari wurde, und Agency in Eine Zäsur in der Geschichte des jüngeren Mo- der SOUTHERN PHILIPPINES COUNCIL for Sultan Kuda- ro-Widerstandes bildete das am 23. Dezember PEACE and DEVELOPMENT (SPCPD). Doch die rat, Provinz 1976 im libyschen Tripolis unterzeichnete Ab- Machtbefugnisse dieser beiden Instanzen blie- Maguindanao kommen zwischen Manila und der MNLF. Im ben vage und – problematischer noch – ihre © Lilli Vordergrund standen dabei: (a) die politische finanzielle Ausstattung vom Goodwill der Zent- Breininger und friedliche Beilegung des Konflikts, der mitt- ralregierung in Manila abhängig. lerweile zu einem offenen Bürgerkrieg eskaliert war, sowie (b) Autonomie für die Moros »inner- Bereits Anfang Oktober 1996, nur einen Monat halb der nationalen Souveränität und territoria- nach Unterzeichnung des Friedensabkommens, len Integrität der Republik der Philippinen«. Die wurde in einer entsprechenden Exekutivorder MNLF sah sich mithin – nicht zuletzt auf Druck aus dem Präsidentenpalast Malacanang ver- seitens der OIC – zur Rücknahme ihrer ur- fügt, dass Fragen der Finanzhoheit und Res- sprünglich maximalistischen Forderung nach sourcenzuteilung für ARMM und SPCPD künftig staatlicher Eigenständigkeit gezwungen. exklusiv der Regierung in Manila oblägen. Ge- folgsleute von einst bezichtigen Misuari der Ka- Nutznießer des Tripolis-Abkommens war ein- pitulation, da er sich darauf eingelassen hatte, deutig das Marcos-Regime, das eine vereinbarte dass laut der Vereinbarung vom 2. September »Autonome Moslem-Region« nicht ver- 1996 künftige Unstimmigkeiten und Probleme wirklichte, MNLF-Abtrünnige mit finanziellen bei der Umsetzung des Friedensabkommens im Zuwendungen zu ködern und sie mit zuge- Rahmen der Verfassung und Rechtsprechung schanzten Posten in Ministerien und Behörden der Republik der Philippinen zu lösen seien. politisch zu kooptieren vermochte. Scharen- weise kehrten desillusionierte MNLF-Kader ih- Anstelle der MNLF und Nur Misuari trat fortan rer Organisation den Rücken. die Moro Islamic Liberation Front (MILF) mit ihrem Vorsitzenden Hashim Salamat, der an Während der Präsidentschaft von Fidel V. Ra- Kairos altehrwürdiger Al-Azhar Universität aus- mos (1992–98) erfolgte eine noch weiterge- gebildet worden war, als Hauptprotagonist der hende Annäherung zwischen MNLF-Führung Moro-Anliegen in Erscheinung. Ihr erklärtes und der Zentralregierung, die zum Endgültigen Ziel war es, den Moro-Widerstand nach dem Friedensabkommen vom 2. September 1996 »Tripolis-Desaster« zu revitalisieren und am Blickwechsel | Februar 2019 Seite 3
Selbstbestimmungsrecht der Moros festzuhal- die Gruppe, die über keine politische Agenda ten. Während die MNLF mehr traditionalistisch verfügt, durch diverse Terroranschläge gegen ausgerichtet ist, hat sich die MILF u. a. die Is- öffentliche Einrichtungen (z. B. Kirchen, Passa- lamisierung von Muslim Mindanao zum Ziel gierschiffe und Kaufhäuser) und Zivilist*innen gesetzt. (Zudem sind beide Organisationen eth- sowie durch Erpressung und Kidnapping rei- cher in- wie ausländischer Geschäftsleute auf nisch verankert – die MNLF hat ihre Hochbur- sich aufmerksam. gen unter den Tausug, die MILF unter den Ma- guindanao.) International bekannt wurde die ASG im Jahre 1978 trat die MILF, die sich nach der Unter- 2000, als es ihr gelang, von der ostmalaysischen zeichnung des Tripolis-Abkommens von der Insel Sipadan aus mehrere westliche Tourist*in- MNLF abgespalten hatte, erstmals öffentlich in nen auf die Insel Jolo zu entführen – darunter Erscheinung und ist nunmehr die bedeutsamste auch die Göttinger Familie Wallert – und nach und größte Organisation des Moro-Widers- deren mehrmonatiger Geiselhaft Lösegelder in tands. Die Regierung beziffert die Zahl ihrer Höhe von nahezu einer Milliarde Peso (damals Kombattanten, der Bangsamoro Islamic Armed rund 50 Millionen DM) zu erpressen. Seitdem Forces (BIAF), auf zirka 12.500 Soldat*innen. hat die philippinische Regierung die Existenz Die MILF konzentrierte sich auf den Aufbau be- und das Treiben der ASG wiederholt für ihre ziehungsweise die Stärkung sektoraler Organi- politischen Zwecke einzuspannen versucht, was sationen in der Region und unterhielt bis zum bereits auf dem Höhepunkt der Jolo-Geiselnahme Frühjahr 2000 insgesamt 46 über ganz Minda- im philippinischen Senat auf Kritik gestoßen war. nao verstreute sogenannte Camps, bei denen es sich allerdings um selbstverwaltete Gemein- Am 8. Mai 2000 hatte Senator Aquilino Pimen- wesen handelte. Am 9. Juli 2000 nahm das phi- tel in seinem und im Namen der anderen bei- lippinische Militär nach einer militärischen den aus Mindanao stammenden Senatoren, Großoffensive das Hauptquartier der MILF, Teofisto F. Guingona und Robert Z. Barbers, in Camp Abubakar (Provinz Maguindanao), ein, einer Stellungnahme mit dem Titel »Stop Hos- und im Gegenzug verkündete ihre Führung den tilities for the People’s Sake« erklärt: dschihad. Unvergesslich die Szenen, als Präsi- dent Joseph E. Estrada (1998–2001) mitsamt »(…) Die MILF und Abu Sayyaf ständig zusam- AFP-Kämpfer*innen auf den Überresten zer- menzuwürfeln, als handele es sich um ein und schossener Schulen und Moscheen siegestrun- denselben Hund mit unterschiedlichen Hals- ken geschmortes Schweinefleisch und Whisky bändern, ist unstatthaft. Die MILF hat eine und Bier goutierten. politische Agenda. Die Abu Sayyaf ist eine durch und durch kriminelle Vereinigung. Die MILF kämpft dafür, die eigene Kultur, Religion und Identität zu wahren. Abu Sayyaf kämpft MILF versus MNLF hingegen, um ihre Verbrechen in ein Business und Abu Sayyaf zu verwandeln, von dem einzig diese Gruppe profitiert. Abu Sayyaf-Kämpfer wurden ur- Eine Folge langjähriger Marginalisierung der sprünglich als freiwillige Mujahedeen rekru- muslimischen Bevölkerung einerseits und des tiert, um im amerikanischen Stellvertre- politischen Kotaus der MNLF andererseits war ter-Krieg in Afghanistan in den frühen 1980er das Entstehen solcher Gruppen wie der Abu Jahren zu dienen. (…) Finanzielle und logisti- Sayyaf (ASG). Da ihre Gründer in Afghanistan sche Unterstützung erhielt Abu Sayyaf von zur Zeit der sowjetischen Okkupation (1979– US-Undercover-Agenten – womöglich mit Ver- 89) gekämpft hatten, werden ihr bis heute Kon- takte zur al-Qaida sowie zum Islamischen Staat bindung zur CIA.« (Übersetzung: RW) (IS) nachgesagt. Ende der 1980er Jahre nach erfolglosen Friedensverhandlungen Nur Misua- Fazit der Senatoren: Widerstandskämpfer*in- ris mit Präsidentin Corazon C. Aquino entstan- nen werden von einflussreichen politischen den, rekrutierte die ASG Mitglieder mit Kampf- Kräften zuerst kreiert und politisch instrumen- erfahrungen in Afghanistan hauptsächlich auf talisiert, um im Bedarfsfall zu »Terroristen« ab- der Insel Basilan. In den 1990er Jahren machte gestempelt und verteufelt zu werden. Seite 4 Blickwechsel | Februar 2019
Militärstrategische und regionalpolitische Kalküle im Kontext des »Krieges gegen den Terror« Für Manila bedeuteten das Geiseldrama von 2000 und damit zusammenhängende nationale Sicherheitsaspekte eine engere Anbindung an die alte Kolonialmacht USA. Dies zeigte sich in dem innigen Verhältnis, das Estradas Nachfol- gerin, Präsidentin Gloria Macapagal-Arroyo (2001–2010), mit dem zeitgleich (Ende Januar 2001) ins Weiße Haus eingezogenen US-Präsi- denten George W. Bush pflegte. Vor allem einte beide der »Kampf gegen den Terror(ismus)« – erst recht nach den Anschlägen vom 11. Sep- Straße von Malakka (zwischen Malaysia, Singa- Die IS nahe tember 2001 und der am 6. März 2007 erfolgten pur und Indonesien) präsent zu sein. Hierbei Maute- Unterzeichnung des Anti-Terror Bill, der in Ma- handelt es sich um die strategisch bedeutsamste Gruppe nila beschönigend Human Security Act of 2007 Seeroute in Südostasien, über die nahezu die besetzte am genannt wird. komplette Öl- und Gasversorgung aus dem Na- 23. Mai 2017 hen und Mittleren Osten für die Boomökono- die Stadt mien Ostasiens erfolgt und über die in umge- Marawi und Bush ließ unmittelbar nach den Anschlägen in kehrter Richtung der Löwenanteil der Exporte lieferte sich New York und Washington die ASG auf die erste transportiert wird. bis zum 16. Oktober 2017 Liste von 27 weltweit operierenden Terrororga- erbitterte nisationen setzen. Und Frau Arroyos erster Am 21. August 2009 kündigte US-Verteidigungs- Kämpfe mit Staatsbesuch in den USA im November 2001 minister Robert Gates an, insgesamt mindes- den Armed führte über die sofortige Bereitstellung von tens 600 Soldat*innen amerikanischer Spezial- Forces of the Wirtschafts- und Finanzhilfen sowie militäri- einheiten (U. S. Joint Special Operations Task Philippines. scher Soforthilfe in Höhe von knapp 100 Millio- Force-Philippines) permanent im Süden der Phi- Dabei wurde nen US-Dollar hinaus zur verstärkten Zusam- lippinen zu belassen. die Stadt menarbeit der Streitkräfte beider Länder. massiv Grundlagen dieser Kooperation bildeten der seit Seit Jahresbeginn 2002 – fast auf den Tag ge- zerstört und August 1951 existierende Gemeinsame Verteidi- nau 100 Jahre nach dem offiziell verkündeten ein Großteil gungspakt (Mutual Defense Treaty), das am Ende des Amerikanisch-Philippinischen Krie- ihrer Bewoh- 1. Juni 1999 in Kraft getretene Visiting Forces ges – haben zahlreiche US-amerikanisch-phil- ner*innen Agreement (VFA) sowie das nach den Anschlä- ippinische Militäroperationen auf Basilan, Jolo vertrieben. gen vom 11. September in Geheimverhandlun- und in Zentralmindanao stattgefunden. Wenn- © Manuel gen ausgearbeitete Mutual Logistics Support gleich von Manila und Washington dementiert, Domes Agreement (MLSA). waren dabei GIs auch direkt in Kampfhandlun- gen verstrickt. Ansonsten soll die beidseitige Für die Bush-Administration war Südostasien – Koordinierung auf sicherheits- und entwick- so wörtlich – zur »neuen Zufluchtstätte für Ter- lungspolitisch relevante Aspekte im Rahmen roristen« (»new haven for terrorists«) gewor- von Aufstandsbekämpfung fokussiert sein. Das den. Und die Philippinen bildeten als ehemalige geschieht mittels Aufstellung Mobiler Training- Kolonie auch in postkolonialen Zeiten Amerikas teams (MTT), kleiner beweglicher Einheiten, verlässlichster Brückenkopf. die gemeinsam mit örtlichen Kräften beim Auf- bau bürgernaher Projekte (z. B. Brunnenbau), Konkret ging es um die Stationierung US-ame- bei der Durchführung (zahn-)medizinischer Rei- rikanischer Truppenverbände vor Ort, um so- henuntersuchungen und psychologischer Krieg- wohl an der »Südflanke« Chinas (dem in der führung behilflich sind. Vorrangiges Ziel ist es, Sicht Washingtons, langfristig betrachtet, größ- die Herzen und Köpfe der Bevölkerung zu ge- ten strategischen Rivalen) als auch nahe der winnen. Blickwechsel | Februar 2019 Seite 5
Flankiert wurde all das mit »nicht-traditionellen eschäftsleute aus den Reihen christlicher G Elementen«, worunter das Einbinden entwick- Siedler*innen hatten dagegen Verfassungsbe- lungspolitischer Organisationen und konserva- schwerde eingelegt. Erneut brachen Jahrzehnte tiver think tanks verstanden wird. Jolo und Min- alte Animositäten auf und einige der Siedler*in- danao waren und sind teils noch bis heute Hoch- nen drohten gar, die verruchte paramilitärische burgen des Einsatzes solcher Institutionen und Formation der Ilagas (»Ratten«) wiederzubele- Organisationen wie der United States Agency ben, die erstmals in den 1970er Jahren blutig for International Development (USAID), dem gegen Muslime vorgegangen war. Sie riefen alle U. S. Institute for Peace (USIP), der National En- Christ*innen auf, sich für einen »christlichen dowment for Democracy und des Peace Corps, Befreiungskampf« zu rüsten und propagierten die auf je unterschiedliche Weise dafür sorgen ethnische Säuberungen mit dem Endziel eines sollen, selbst die entlegensten Orte gegen das »moslemfreien Mindanao«. »Einsickern von Aufständischen und Terroris- ten« zu feien. Die neu-alte Pattsituation lenkte rasch Wasser auf die Mühlen jener Kräfte auf beiden Seiten, denen Verhandlungen eh suspekt waren und die sich bitter enttäuscht darüber zeigten, dass Erneut ein schwerer Rück- trotzdem keine greifbaren Ergebnisse erzielt schlag für den Frieden wurden. Bereits Mitte August 2008 lieferten sich Einheiten der AFP und der BIAF zunächst Zwischenzeitlich war es auf Vermittlung und Scharmützel, dann offene Gefechte. Zur Jahres- unter der Ägide der malaysischen Regierung zu wende 2008/09 befanden sich nach Angaben Friedensgesprächen zwischen der philippini- des Welternährungsprogramms der Vereinten schen Regierung und der MILF in Kuala Lumpur Nationen (WFP) über 600.000 Personen infolge gekommen, nachdem man sich zuvor über ein andauernder Kampfhandlungen auf der Flucht. Waffenstillstandsabkommen verständigt hatte. Nach langwierigen Verhandlungsrunden schien Wut und tiefe Enttäuschung machten sich unter man im Sommer 2008 endlich einen Durch- den Befürworter*innen des MoA-AD breit. Die bruch erzielt zu haben. zahlreichen um Ausgleich und Frieden bemüh- ten Nichtregierungsorganisationen (NRO) auf Am 27. Juli 2008 war von Vertreter*innen Mani- Mindanao hatten im MoA-AD einen Silberstreif las und der MILF das so genannte Memoran- am Horizont ausgemacht, von dem auch sie dum of Agreement-Ancestral Domain (MoA-AD) meinten, es trüge endlich mit dazu bei, die mili- ausgehandelt worden. Dessen Kernpunkte wa- tärischen Auseinandersetzungen zu entschär- ren: Der muslimischen Bevölkerung in Minda- fen. Die MILF-Führung unter Al Haj Murad nao, Sulu und Palawan wurde das Recht zuge- Ebrahim war empört, dass die philippinische standen, als »Bangsamoro« (Moro-Nation) ihre Regierung im letzten Moment einen Rückzieher Identität zu wahren und ihre eigenen Rechte gemacht hatte, wenngleich doch »selbst die Re- auszuüben, indem sie eine ihren Vorstellungen gierung Malaysias dem MoA-AD vollumfänglich entsprechende Selbstregierung schafft, die in- zugestimmt« hatte, wie MILF-Chefunterhändler nerhalb ihres Gebietes die dort vorhandenen Mohagher Iqbal hervorhob. Ressourcen schützt und nutzt. Am 5. August 2008 hätte es unterzeichnet werden sollen. Aus Präsidentin Arroyo erklärte derweil, »jeden Zoll Manila waren eigens dort akkreditierte Bot- philippinischen Territoriums« entschlossen zu schafter*innen in die malaysische Hauptstadt verteidigen. Auf einmal agierte man in Manila gereist, um diesen Akt in einer feierlichen Zere- gemäß der Maxime, mit bewaffneten Gruppie- monie zu würdigen. rungen lediglich im Kontext ihrer »Entwaff- nung, Demobilisierung und Reintegration« zu Doch zunächst qua einstweiliger Verfügung und verhandeln. Weitere Gespräche mit der MILF schließlich gemäß einem Mehrheitsvotum der fänden nur statt, wenn man das MoA-AD grund- Richter*innen vereitelte der Oberste Gerichts- legend überdenken und darüber neu verhan- hof der Philippinen die Unterzeichnung des Ver- deln würde. Eine Kehrtwende, die kritische Me- tragstexts. Regionalpolitiker*innen und dienvertreter*innen, Menschenrechtsanwält*in- Seite 6 Blickwechsel | Februar 2019
nen und NROs als inakzeptabel zurückwiesen. Ihr Kernargument: »Entwaffnung, Demobilisie- rung und Reintegration« bilden den Schlussak- kord eines Friedensprozesses, nicht aber des- sen Vorbedingung. Frustrierte MILF-Kämpfer spalteten sich unter Führung von Ustadz Ameril Umbra Kato, einem der MILF-Regionalbefehls- haber, von der Organisation ab und gründeten die Bangsamoro Islamic Freedom Movement (BIFM) mit den Bangsamoro Islamic Freedom Fighters (BIFF) als deren bewaffnetem Arm. »Zurück auf Los!« und Radikalisierung Es dauerte knapp drei Jahre, bis neuer Schwung in die bilateralen Verhandlungen kam. Im Au- gust 2011 stellte das MILF-Verhandlungsteam sein Konzept eines »Sub-state« vor mit der Kon- sequenz, dass die Organisation nunmehr öf- fentlich auch ihrerseits vom Ziel der Schaffung eines eigenständigen Staates abrückte. Derweil fand unter einem Teil der heranwachsenden und Erst nach langen »Nachbesserungen« dieser Manche vom langwierigen Kampf ihrer Väter und Groß- Abkommen und neuerlich zähen Verhandlungen Bewoh- väter maßlos enttäuschten Moro-Jugend eine im Kongress setzte Präsident Rodrigo R. Du- ner*innen Radikalisierung statt, was u. a. dazu führte, dass terte am 26. Juli 2018 seine Unterschrift unter Marawis regionale und lokale dschihadistische Gruppie- das zwischenzeitlich in Bangsamoro Organic trotzen der rungen aus ihren Rängen Nachwuchs rekrutier- Law (BOL) umbenannte Grundgesetz, das nach Zerstörung ten und so Zulauf verzeichneten. Bisheriger Hö- Abhaltung eines Plebiszits schließlich im Früh- ihrer Stadt. hepunkt dieser Radikalisierung waren die erbit- © Manuel terten, sich über fünf Monate (Ende Mai bis jahr 2019 die Bangsamoro Autonomous Region Domes Ende Oktober 2017) hinziehenden schweren in Muslim Mindanao (BARMM) begründen Gefechte zwischen den AFP und Anhänger*in- würde. Der MILF-Führung dürfte es wenig ge- nen der in den Lanao Provinzen agierenden fallen haben, dass die präsidiale Unterzeich- Gruppe um die Gebrüder Maute sowie Abu Say- nung des BOL unzeremoniell vonstattenging. yaf-Kämpfer aus Basilan in der Islamic City of Überschattet wurde sie nämlich durch plötzliche Marawi in Zentralmindanao, die zur völligen Kabalen im Repräsentantenhaus, wo es der ehe- Zerstörung dieser vormals über eine Viertel Mil- maligen Präsidentin Gloria Macapagal-Arroyo lion Einwohner*innen zählenden Stadt führten. kurz zuvor (am 23. Juli) gelungen war, sich zur neuen Sprecherin des Unterhauses wählen zu Zwar hatte Präsident Aquino (2010–16) zu Be- lassen. ginn seiner Amtszeit eine dauerhafte friedens- vertragliche Regelung mit der MILF in Aussicht Mit Blick auf einen nachhaltigen Frieden im Sü- gestellt. Doch eine fehlgeschlagene »Antiter- den selbst nach mehrheitlicher Annahme des ror«-Aktion von Eliteeinheiten der Nationalpoli- BOL als Voraussetzung zur Schaffung der dann zei (sie allein hatte 44 Tote zu beklagen) in Ma- avisierten neuen BARMM bleibt Skepsis gebo- masapano (Zentralmindanao) Ende Januar 2015 ten, weil sich dort verankerte mächtige Interes- hinterließ einen Scherbenhaufen. Islamophobie sengruppen und politische Blöcke »unerwartet« kochte erneut hoch und die bis dahin gemein- als »spoilers« (Spielverderber) erweisen könn- sam ausgehandelten Abkommen mit dem Bang- ten. In dieser Hinsicht war das Bombenattentat samoro Basic Law (Grundgesetz) als Kernpunkt in Jolo City am 27. Januar ein unmissver- wurden auf unbestimmte Zeit verschoben. ständliches – wiewohl beklemmendes – Signal. Blickwechsel | Februar 2019 Seite 7
Weiterführende Lektüre Stakeholders and Observers on the Conflict in the Southern Philippines. Petaling Jaya. Bobby M. Tuazon (ed.) (2008): The Moro Reader: Patricio N. Abinales/Nathan G. Quimpo (2008): History and Contemporary Struggles of the The US and the War on Terror in the Philippi- Bangsamoro People. Quezon City. nes. Pasig City. Marites Danguilan Vitug/Glenda M. Gloria Arndt Graf/Peter Kreuzer/Rainer Werning (eds.) (2000): Under the Crescent Moon: Rebellion in (2009): Conflict in Moro Land – Prospects for Mindanao. Quezon City. Peace? Penang. Zu den Kämpfen um die Stadt Marawi, die Vic Hurley (2010): Swish of the Kris: The Strug- Konsequenzen ihrer Zerstörung und den gle of the Moros. Auhorized & Enhanced Friedensaussichten in der Region siehe den Edition. Salem, OR. [Die Erstausgabe erschien instruktiven Hintergrundreport vom 23.7.2018 1936 im New Yorker Verlag E. P. Dutton.] aus der Feder von Wes Bruer: http://www. International Crisis Group (ed.) (2008): The irinnews.org/news-feature/2018/07/23/island- Philippines: Counter-insurgency vs. Coun- philippines-hopes-peace-braces-war?utm_ ter-terrorism in Mindanao. ICG-Asia Report source=IRIN+-+the+inside+story+on+emerg No. 152, May 14. Jakarta/Brussels. encies&utm_campaign=ed1aa3af1a-RSS_ Peter Kreuzer/Rainer Werning (eds.) (2007): EMAIL_ENGLISH_ALL&utm_ Voices from Moro Land – Perspectives from medium=email&utm_term=0_ d842d98289-ed1aa3af1a-75454485 Anmerkungen 1 h ttps://w ww.aljazeera.com/n ews/2019/01/b ombs-target-church-philippines-jolo- island-190127050818906.html 2 h ttps://www.mindanews.com/top-stories/2019/01/isis-claims-responsibility-for-twin-bombing-in- jolo1/ 3 https://www.philstar.com/headlines/2019/01/29/1889072/jolo-sulu-total-lockdown Für den Inhalt dieser Publikation ist allein Der Autor das philippinenbüro e. V. verantwortlich; die Dr. Rainer Werning, Politikwissenschaft- hier dargestellten Positionen geben nicht den ler & Publizist mit dem Schwerpunkt Südost- Standpunkt von Engagement Global gGmbH und Ostasien, befasst sich seit 1970 u. a. in- und dem Bundesministerium für wirt- tensiv mit dem Moro-Konflikt. Im Februar schaftliche Zusammenarbeit und Entwick- erscheint mit seinem Ko-Herausgeber Jörg lung wieder Schwieger die mittlerweile 6., aktualisierte & erweiterte Auflage des Handbuch Philippi- nen im Berliner Verlag regiospectra. Gefördert von Engagement Global im Auftrag des Impressum und V. i. S. d. P.: Mirjam Overhoff | philippinenbüro e.V. Hohenzollernring 52 | 50672 Köln | Germany Tel.: 0221–71 61 21-0 Gefördert aus Mitteln Email: philippinenbuero@asienhaus.de des Kirchlichen Entwicklungsdienstes Web: http://www.philippinenbuero.de Gesamtausstattung: Dieses Werk ist unter der Creative-Commons- Klartext Medienwerkstatt GmbH Lizenz 4.0 (CC BY-SA 4.0) veröffentlicht. (http://www.k-mw.de)
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