MATHE MACHT STARK - DOKUMENTATION ZUM PILOTPROJEKT
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MATHE MACHT STARK EIN KONZEPT VON PROF. DR. AISO HEINZE | AUSGEZEICHNET MIT DEM POLYTECHNIK-PREIS 2011 Polytechnik-Preis für die Didaktik der DOKUMENTATION ZUM PILOTPROJEKT Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik
INHALT 03 MIT »MATHE MACHT STARK« AUFHOLEN Wie leistungsschwache Schüler das Selbstvertrauen in ihre mathematischen Fähigkeiten stärken können – Erfahrungen aus dem Pilotprojekt 04 ANGSTFACH MATHE LEICHT GEMACHT Warum »Mathe macht stark« gebraucht wird und wie es funktioniert 09 ERGEBNISSE UND ERFAHRUNGEN Das lehrt uns die Praxis 14 EMPFEHLUNGEN Was bei der Umsetzung bedacht werden sollte 15 IMPRESSUM
3 VORWORT MIT »MATHE MACHT STARK« AUFHOLEN Wie leistungsschwache Schüler das Vertrauen in ihre mathematischen Fähigkeiten stärken können – Erfahrungen aus dem Pilotprojekt Von Schülern hört man öfter: »Mathe, das ist mein Horrorfach!«. Und Erwachsene kokettieren damit: »Mathematik? Die habe ich noch nie verstanden. Aber aus mir ist doch trotzdem etwas geworden.« Bei genauer Betrachtung unseres Alltags stellen wir jedoch fest: Nur ein sicherer Umgang mit Zahlen, eine solide Vorstellung von Größen und Mengen sowie ein räumliches Vorstellungsvermögen erlau- ben es, dass wir uns in der Welt zurechtfinden. Natur- wissenschaftliche und technische Erkenntnisse und deren Umsetzung sind ohne Mathematik nicht vor- stellbar. Mathematik gehört zur Allgemeinbildung. Und wenn Schülern der Umgang mit der Mathema- tik doch schwerfällt? Das mit dem Polytechnik-Preis 2011 ausgezeichnete Förderkonzept »Mathe macht Dr. Wolfgang Eimer ist Bereichsleiter der stark« zielt darauf ab, leistungsschwachen Schülern Abteilung Wissenschaft und Technik der der Klassen fünf bis acht die individuelle Aufarbei- Stiftung Polytechnische Gesellschaft. tung mathematischer Grundvorstellungen zu ermög- lichen. Damit die Schüler in Frankfurt von diesem ausgezeichneten Konzept profitieren können, hat die Stiftung Polytechnische Gesellschaft gemeinsam mit dem Landesschulamt und Lehrkräfteakademie Hessen sieben Schulen bei der Implementierung von »Mathe macht stark« unterstützt. In dieser Dokumentation möchten wir Ihnen die Ergebnisse und Erkenntnisse der Pilotschulen vor- stellen. Damit wollen wir es Ihnen leicht machen, das individuelle Förderkonzept »Mathe macht stark« auch an Ihrer Schule einzuführen. Ich wünsche Ihnen viel Freude bei der Lektüre! Dr. Wolfgang Eimer
4 VORSTELLUNG »MATHE MACHT STARK« ANGSTFACH MATHE LEICHT GEMACHT Warum »Mathe macht stark« gebraucht wird und wie es funktioniert Schlechte Erinnerungen an den Mathematikunter- Als Ursachen für mathematische Verständnisblocka- richt haben viele. Doch was macht dieses Fach so den identifizierte die empirische Bildungsforschung problematisch? Und wie groß sind die Mathematik- zu hohe Lerntempi, zu wenige kooperative Lern- Probleme deutscher Schüler wirklich? Die jüngste formen und die zu spärliche Vermittlung multipler PISA-Studie der Organisation für wirtschaftliche Zu- Lösungswege. Außerdem nimmt der Unterricht zu sammenarbeit und Entwicklung (OECD) zeigte 2012: selten auf individuelle Unterschiede der Schüler Nur 17,5 Prozent der deutschen Schüler können stra- Rücksicht, und es besteht ein Mangel an alltagsnahen tegisch denken und Modelle für die Lösung komple- Übungsaufgaben. xerer Aufgaben finden. Und 17,7 Prozent meistern ihre Rechenaufgaben nur dann, wenn einfache For- Ausgehend von diesen Diagnosen hat Prof. Dr. Aiso meln und Schritte zur Anwendung kommen. Dieses Heinze seit 2009 »Mathe macht stark« (MMS) ent- Ergebnis ist zwar besser als in früheren PISA-Studi- wickelt. Heinze, der am Leibniz-Institut für die Päda- en, teils gar besser als der OECD-Durchschnitt, den- gogik der Naturwissenschaften und Mathematik und noch ist das »Mathe-Problem« nicht gelöst. Auf- an der Christian-Albrechts-Universität Kiel arbeitet, fallend ist vor allem der Geschlechterunterschied: wendet sich damit an Schüler der Sekundarstufe I, Jungen sind im Schnitt besser als Mädchen und die Schwierigkeiten mit der Veranschaulichung und rücken deshalb leichter in die Spitzenleistungsgrup- dem Transfer abstrakter Mathematik haben. Ausge- pe auf. Die Mädchen sind der Mathematik gegen- hend von Phänomenen des Alltags hilft ihnen »Mathe über negativer und ängstlicher eingestellt, was ihre macht stark« beim individuellen Aufarbeiten von Lernausdauer und das Vertrauen in die eigenen Wissensrückständen und beim Verinnerlichen mathe- mathematischen Fähigkeiten herabsetzt. matischer Grundvorstellungen. VERLAUF DES PILOTPROJEKTS Start von »Mathe Abschluss- macht stark« veranstaltung Auftaktveranstaltung Zwischenbilanz und mit Lehrerfortbildung Lehrerfortbildung »Einsatz und Umgang »Einsatz und Umgang mit dem Material« mit der Materialkiste« Lehrerfortbildung »Feedback im Unterricht« Lehrerfortbildung »Das diagnostische Gespräch« 2012 2013 2014 09.2012 11.2012 02.2013 07.2013 02.2014 10.2014
5 » Ich liebe die ›Mathe macht stark‹-Stunden. Ich finde es gut, wenn wir Themen wiederholen. In kleinen Gruppen kann man sich besser konzentrieren und die Lehrerin hat mehr Zeit und Ruhe, die Themen zu erklären. Im Unterricht sind meine Mitarbeit und das Rechnen an der Tafel viel besser geworden. « Zara Mackic ist Schülerin der Friedrich-Ebert-Schule.
6 VORSTELLUNG »MATHE MACHT STARK« Fachliche Grundlage sind aktuelle Erkenntnisse der gefühl und Selbstbewusstsein werden zur Basis Lehr- und Lernforschung sowie klassische Ansätze für Handlungsmotivation und Leistungsvermögen. der Mathematikdidaktik. Anknüpfend an die Moti- Mit dem optisch attraktiven Material und einem in vationsforschung werden Lern- und Leistungssitu- weiten Teilen selbstgesteuerten Lernen wird den ation entkoppelt, um ein positives Leistungsverständ- Schülern zugleich Wertschätzung entgegengebracht nis aufzubauen. Die Schüler werden so zu aktiven und Eigenverantwortung eingefordert. Letzteres Lernern: Für sie stehen der Erkenntnisgewinn beim symbolisiert die Metapher der »Bergbesteigung«, Testen unterschiedlicher Lösungswege und das Hin- die sich als roter Faden durch das Materialkompen- terfragen eigener Vorstellungen im Vordergrund. So dium zieht und nicht zuletzt auch dafür steht, dass lernen sie, Mathematik als Werkzeug zum Problem- sich Leistung lohnt. lösen zu nutzen. In Schleswig-Holstein ist »Mathe macht stark« inzwi- Den Lehrern erleichtern themenbezogene Arbeits- schen dank der Unterstützung des Instituts für Qua- materialien auf drei Niveaustufen und mit unter- litätsentwicklung an Schulen Schleswig-Holsteins schiedlichen Lernzugängen die Arbeit. Gegliedert (IQSH) in über 160 Schulen angekommen und stößt nach sieben Themenbereichen und aufgeteilt in bis bei Lehrern wie Schülern als praktikables, niedrig- zu 13 Unterabschnitte formen sie ein umfangreiches schwelliges Angebot auf hohe Akzeptanz. Das Land Paket: unterstützt das Förderprojekt durch zusätzliche Unterrichtsstunden und Fortbildungen, und die Eva- – Der Schülerordner umfasst Aufgaben zu den Themen- luation der ersten Kohorte 2009 / 10 mit 2.000 Teil- bereichen »Brüche«, »Ganze Zahlen«, »Prozente«, nehmern belegte, dass »Mathe macht stark«-Schüler »Flächen und Körper«, »Messen«, »Zuordnungen wieder in die Leistungsmitte der Klassen aufsteigen und Daten« sowie zwei themenübergreifende Auf- und erfolgreich am Regelunterricht teilnehmen können. gabenpakete zum Rechentraining und zum Rech- nen im Alltag. Das Pilotprojekt in Frankfurt am Main In Frankfurt unterstützt die Stiftung Polytechnische – Den handlungsorientierten Erwerb mathematischer Gesellschaft seit 2012 den Auf- und Ausbau von Grundvorstellungen erleichtert die Materialkiste. »Mathe macht stark«. Im Jahr zuvor war das Förder- Sie enthält Hilfsmittel für Experimente (siehe Seite konzept mit dem von der Stiftung ausgelobten Poly- 12), die abstrakte Begriffe und Prozesse konkret technik-Preis für die Didaktik der Mathematik, Infor- veranschaulichen. matik, Naturwissenschaften und Technik ausge- zeichnet worden. Dass die preisgekrönten Angebote – Speziell für die Lehrkräfte bietet der Lehrerordner anschließend in die Praxis der Schulen transferiert didaktische Kommentare, Lösungsbögen und dia- werden, um ihre Wirkung auch bei Kindern in und gnostische Tests. um Frankfurt zu entfalten, gehört zum Konzept des Preises. Daher wurde gemeinsam mit dem Amt für Auf dieser Basis lässt sich das Unterrichtsmaterial Lehrerbildung (seit 1. Januar 2013 Landesschulamt individuell für jeden Schüler zusammenstellen, und Lehrkräfteakademie) und dem Staatlichen Schul- immer angepasst an dessen momentanen Lern- amt Frankfurt am Main ein Pilotprojekt ausgeschrie- stand und abgestimmt auf seine spezifische kogni- ben, um das sich Schulen bewerben konnten. tive und motivationale Ausgangssituation. Dabei hilft dem Lehrer eine differenzierte Diagnostik. Insgesamt wurden sieben Schulen ausgewählt, das Häufiges Feedback hilft beim Erkennen der Lern- Konzept ab dem Schuljahr 2012 / 13 für zwei Jahre fortschritte und bei der Gestaltung des individu- zu erproben und bei Erfolg fest in ihr Mathematik- ellen Lernprozesses. Der sich mit der Zeit füllende Curriculum zu implementieren. Alle Schulformen – Schülerordner führt jedem Teilnehmer immer wie- Hauptschule, Realschule, Gesamtschule und Gym- der die eigenen Erkenntnisfortschritte vor Augen. nasium – waren vertreten, rund 160 Schüler konnten So umgeht »Mathe macht stark« die Gefahr der angesprochen werden. Je nach schulspezifischen Überforderung, die im Regelunterricht zum Hemm- Bedingungen fand der Förderunterricht meist ein- nis werden kann. Für den Schüler bleibt das Gefühl bis zweimal pro Woche für mindestens 45 Minuten des Abgehängtseins aus – stattdessen wird die Selbst- im Klassen- oder Projektraum statt. Die Gruppen wirksamkeitsüberzeugung gestärkt und Selbstwert- bestanden aus bis zu 15 Schülern. An der Anne-
7 VORSTELLUNG »MATHE MACHT STARK« Einsatz des Geobretts im »Mathe macht stark«-Unterricht Frank-Schule wurde das Förderkonzept auch im Klas- » DIE PILOTSCHULEN « senverband erprobt. Insgesamt nahmen etwa 50 Pro- zent mehr Mädchen als Jungen an dem Förder- – Anne-Frank-Schule (Realschule, Frankfurt- unterricht teil. Dornbusch) – Friedrich-Ebert-Schule (Integrierte Gesamt- Die Schulen verpflichteten sich, »Mathe macht stark« und Ganztagsschule, Frankfurt-Seckbach) in mindestens zwei Lerngruppen über den gesam- – Heinrich-von-Kleist-Schule (Kooperative ten Förderzeitraum umzusetzen und dazu ein Team Gesamtschule, Eschborn) aus Mathematik-Lehrkräften sowie einen schulinter- – Hostatoschule (Grund- und Hauptschule, nen Koordinator zu benennen. Zur Unterstützung Frankfurt-Höchst) wurden den beteiligten Lehrern Lernmaterialien – IGS Herder (Integrierte Gesamtschule, finanziert sowie Fortbildungen und Austauschtref- Frankfurt-Ostend) fen im Netzwerk der Pilotschulen angeboten. Im – Kaiserin-Friedrich-Gymnasium (Gymnasium, Gegenzug verpflichteten sie sich, die erzielten Ergeb- Bad Homburg) nisse zusammenzufassen und ihre Erkenntnisse und – Wöhlerschule (Gymnasium, Frankfurt-Dornbusch) Erfahrungen an interessierte Schulen weiterzugeben. Begleitet sowie fachlich und fachdidaktisch bera- ten wurden sie dabei von einem Projektkoordinator » DAS TEAM « und drei erfahrenen Ausbildern der Studiensemi- nare Frankfurt und Oberursel. – Projektkoordinator Christoph Maitzen – Ausbilder Katharina Schenk, Richard Menzel Stephan M. Hübner ist Bereichsleiter, Miriam Mandryk und Uwe Steeger PR-Assistentin in der Abteilung Information und Kommunikation der Stiftung Polytechnische Gesellschaft.
8 FORSCHENDES LERNEN IN KINDERGARTEN UND MATHE MACHT STARK GRUNDSCHULE » Es haben sich bei den allermeisten Schülern positive Effekte gezeigt! Das Selbstvertrauen in Bezug auf die mathemati- schen Fähigkeiten steigt, vor allem die mündliche Mitarbeit im Mathematikunterricht, aber auch die schriftlichen Leis- tungen haben sich deutlich verbessert! « Katharina Schenk ist Lehrerin für Mathematik an der Friedrich-Ebert-Schule und Betreuerin im Projekt »Mathe macht stark«.
9 ERGEBNISSE UND ERFAHRUNGEN ERGEBNISSE UND ERFAHRUNGEN Das lehrt uns die Praxis Sieben Schulen verschiedener Schulformen haben allen Schulen fest, dass nahezu alle teilnehmenden sich für zwei Jahre auf den Weg begeben, das För- Schüler wieder einen Zugang zur Mathematik gefun- derkonzept »Mathe macht stark« (MMS) zu erproben den hatten. Sie waren motiviert, am Förderunterricht und Gelingensbedingungen für eine erfolgreiche und teilzunehmen, erlangten ein größeres Vertrauen in langfristige Implementierung an ihrer Schule zu iden- die eigenen mathematischen Fähigkeiten und ge- tifizieren. Ist es möglich, Schülern die Angst vor dem wannen nachweislich an Selbstwertgefühl. Diese Ver- Fach Mathematik zu nehmen? Kann durch das För- änderung führte direkt zu einer stärkeren mündlichen derkonzept ihr mathematisches Grundverständnis Beteiligung im regulären Mathematikunterricht. soweit gestärkt werden, dass die Schüler, die den Nach spätestens eineinhalb Jahren war bei einem Anschluss in Mathematik verloren haben, dem regu- Großteil der Schüler auch eine Leistungsverbesse- lären Mathematikunterricht wieder folgen können, rung zu beobachten, die sich in den schriftlichen sich aktiv einbringen und erfolgreich beteiligen? Wie Arbeiten und in der Schulnote widerspiegelte. Dass lässt sich »Mathe macht stark«, unter Berücksichti- diese Leistungssteigerung einen erheblichen Zeit- gung der unterschiedlichen unterrichtlichen und raum in Anspruch nimmt, ist leicht nachvollziehbar. Die Schüler müssen im ersten Schritt wieder eine »Wichtig war es, alle Beteiligten positive Einstellung zur Mathematik bekommen. Danach sind sie bereit und in der Lage, ihre oftmals über die Ziele des Konzeptes und weitreichenden Defizite aufzuarbeiten. Die fachliche die sich daraus ergebenden Auf- Aufarbeitung der Grundlagen beansprucht Zeit, bis gaben zu informieren.« der Anschluss an den regulären Mathematikunter- richt für die Schüler wiederhergestellt ist. Katharina Schenk, Betreuerin Das »Mathe machst stark« -Unterrichtskonzept organisatorischen Rahmenbedingungen, stabil in die Die positive Entwicklung der Schüler ist unter ande- Unterrichtsorganisation einbauen? Die Pilotschulen rem darauf zurückzuführen, dass in kleinen Gruppen haben ihre Ergebnisse für jedes Schulhalbjahr doku- gearbeitet wurde und den Schülern individuelle Zu- mentiert und die gewonnenen Erfahrungen in die gänge aufgezeigt wurden. In dieser Konstellation weitere Umsetzung von »Mathe macht stark« ein- konnte rasch eine vertrauensvolle sowie tragfähige fließen lassen. Die Erkenntnisse aus der zweijährigen Beziehung zwischen Schülern und Lehrenden auf- Pilotphase lassen sich wie folgt zusammenfassen: gebaut werden. Das lernwirksam gestaltete und hoch- wertige Material verschaffte den Schülern Erfolgser- Wirkung bei den Schülern lebnisse, die ihnen im Regelunterricht versagt blieben. Zu Beginn waren alle teilnehmenden Schüler durch Die Arbeitshefte in jeweils drei Schwierigkeitsstufen ihre bisherigen Erfahrungen im Mathematikunter- und das Arbeiten mit der Materialkiste bieten unter- richt verunsichert oder sogar verängstigt. Im Laufe schiedliche Lernzugänge zu den einzelnen mathe- des ersten Projekthalbjahres – oftmals schon nach matischen Themen. Diese Zugänge erlauben den wenigen Förderstunden – stellten die Lehrkräfte an Schülern eine zweite Begegnung mit einem ihnen
10 ERGEBNISSE UND ERFAHRUNGEN bekannten Thema, bei dem sie noch Schwierigkeiten mathematischen Grundlagen als entlastend empfun- hatten. Durch das haptische Arbeiten eigneten sich den und neue Zusammenhänge zwischen fachlichen die Schüler anschauliche Rechenverfahren und Inhalten entdeckt. Generell sollte so früh wie mög- -methoden mit dem Ziel an, eine tragfähige Grund- lich mit der Fördermaßnahme begonnen werden, vorstellung auszubilden. Sind die Verfahren und um Lücken frühzeitig zu schließen. Methoden verstanden, können auf der symbolischen Ebene die konkreten Rechenverfahren mit oder ohne »Mathe macht stark« wurde in den teilnehmenden haptische Hilfen (z. B. Hunderterfeld, Geobrett) Schulen ganz unterschiedlich umgesetzt. Die schul- durchgeführt werden. Diese Hilfen ermöglichen den formspezifischen Bedingungen steckten dabei den Schülern jederzeit auf ein ihnen vertrautes und ver- Rahmen ab. An der Anne-Frank-Schule, einer Real- standenes Verfahren zurückzugreifen und geben schule, wurde eine ganze achte Klasse ausgewählt, ihnen so mehr Sicherheit. in der nahezu alle Schüler Schwächen in Mathematik in verschieden stark ausgeprägter Form aufwiesen. »Die Schüler fühlen sich durch das Neue Themen wurden immer gemeinsam begonnen. Die Schüler arbeiteten dann einzeln oder in Partner- Material wertgeschätzt und sie ge- schaften, die bei großen Fortschrittsunterschieden nießen die zusätzliche intensive aus einem schwachen und einem starken Schüler Zeit mit der Mathelehrerin.« bestanden. Zeichneten sich bei vielen Schülern Schwierigkeiten im Verständnis ab, so erfolgte Fron- Katharina Schenk, Betreuerin talunterricht oder die Erarbeitung des Themas im Rahmen von Unterrichtsgesprächen. Die Lehrkraft Auswirkungen auf den regulären Mathematik- überprüfte kontinuierlich den individuellen Lernfort- unterricht schritt. So fand ein qualifizierter, binnendifferen- Die Schüler, die in den Fördergruppen ihr Basis- zierter Unterricht statt. Trotzdem stellte die Hetero- wissen festigen und ihr Selbstvertrauen stärken genität der Schüler eine Herausforderung dar. konnten, haben sich im regulären Mathematikunter- Deshalb wurde im zweiten Jahr eine kleine Förder- richt geöffnet, sich mehr zugetraut und intensiver gruppe, bestehend aus zwölf Schülern aus zwei neun- mitgearbeitet. Die Lehrkräfte waren davon angetan, ten Klassen, gebildet. Das Arbeiten dieser Gruppe wie Schüler, die sich vorher anscheinend in Mathe- war auf Grund der größeren Homogenität leichter matik aufgegeben hatten, zu mehr Aktivität im und auch erfolgreicher. Unterricht fanden. So waren neben positiven Verän- derungen auf der motivationalen Ebene auch Leis- An den anderen Schulen wurden kleine Fördergrup- tungssteigerungen bei den Schülern festzustellen. pen mit sechs bis 15 Schülern gebildet. In der Mit- Ganz wesentlich für den Erfolg von »Mathe macht telstufe der Gesamtschulen war eine Doppelsteckung stark« ist die vom Leistungsdruck befreite Lern- möglich, die es erlaubte, dass die Fördergruppe von atmosphäre in den Fördergruppen. Nicht das Iden- einer Lehrkraft betreut wurde und gleichzeitig in der tifizieren von Defiziten, sondern das Entdecken von Klasse Unterricht stattfand. Der Förderkurs »Mathe Stärken steht im Vordergrund. Die Lehrkräfte neh- macht stark« wurde sowohl parallel zum regulären men gegenüber den Schülern die Rolle eines Lern- (Mathematik-) Unterricht gelegt als auch in der Lern- begleiters ein und geben konstruktives Feedback. zeit angesiedelt oder als freiwillige Nachmittagsver- Diese veränderte Rolle der Lehrkraft eröffnet einen anstaltung angeboten. Die praktische Umsetzung ganz anderen Zugang zu den Schülern und führt zu war aus schulorganisatorischer Sicht nicht immer einer raschen Stärkung des Selbstkonzeptes. einfach. Da die teilnehmenden Schüler aus verschie- denen Klassen eines Jahrgangs kamen, gestaltete Schulformspezifische Umsetzung sich das Finden gemeinsamer Freiräume teilweise Das Förderkonzept MMS wurde in den Schulen von schwierig. Handelte es sich beim Parallelunterricht Klasse sechs bis neun erprobt. In allen Klassenstu- nicht um Mathematik sondern um ein anderes Fach, fen haben die Schüler von MMS profitiert. Eine dif- so kam es vor, dass die Förderschüler bei Klassen- ferenzierte Betrachtung nach Schulformen zeigt, dass arbeiten oder besonderen Lernanlässen nicht an die Aufgaben von den Schülern an den Gymnasien, »Mathe macht stark« teilnehmen konnten. vornehmlich in den Klassen sieben und acht, als zu leicht wahrgenommen wurden. Gleichzeitig haben An den beiden Gymnasien wurde »Mathe macht sie die Zeit und den Raum für die Wiederholung der stark« außerhalb des normalen Stundenplans ange-
11 ERGEBNISSE UND ERFAHRUNGEN » Ich bin fest davon überzeugt, dass allein die veränderte Sichtweise der Schüler auf das Fach langfristig zu einer Verbesserung der Leistungen führen muss. Voraussetzung ist eine kontinuierliche Anwendung des Konzepts. « Ralf Nürnberger ist Lehrer für Mathematik an der Anne-Frank-Schule.
12 MATHE MACHT STARK 16 14 15 12 08 11 13 10 07 07 07 07 09 06 17 05 03 01 04 02 »Mathe macht 01 Geobrett und Gummibänder zur 07 Mehrsystemblöcke zur Einsicht in 13 Hundertertafel zur Orientierung im stark« - Unter- Darstellung von Brüchen u. a. das Zehnersystem (Stellenwerte) Hunderterraum richtsmaterialien 02 Winkelscheibe zum Darstellen und 14 Folien mit Zentimeterraster und (Auswahl) 08 10-flächige Würfel zur Durchführung Ablesen von Winkeln Folienkreuz zur Flächeninhaltsbe- von Zufallsversuchen stimmung 03 Steckwürfel zur Unterstützung bei 09 Ziffernkarten zur Zahlendarstellung Addition und Subtraktion und zur 15 Register und Inhalte des Schülerordners Darstellung von Brüchen 10 Thermometer zur Darstellung und mit themenspezifischen Lernausgangs- zum Ablesen von ganzen Zahlen tests und Einstiegsaufgaben 04 Kreisel (beschreibbar) zur Durchfüh- rung von Zufallsversuchen 11 Spielwürfel zur Durchführung von 16 Spielgeld zur Unterstützung von Zufallsversuchen kontextgebundenen Aufgaben 05 Wendeplättchen zur Unterstützung bei Addition und Subtraktion 12 Themenheft »Prozente». Aufgaben- 17 Winkellehre mit beweglichen angebote mit steigendem Anforde- Schenkeln zum Abbilden, Einstellen 06 Holzwürfel zur Schulung der Raum- rungsniveau und Schätzen von Winkelgrößen vorstellung
13 ERGEBNISSE UND ERFAHRUNGEN » Die veränderte Herangehensweise bei ›Mathe macht stark‹, mit weniger Druck, spielerischer und anschaulicher als im täglichen Unterricht zu arbeiten sowie das Abholen der Schüler von ihren Leistungsniveaus tragen zu einer anderen, posi- tiveren Sicht auf das Fach bei. « Ralf Nürnberger, Lehrer boten. Die freie Lernzeit war zumeist in der siebten Lehrerfortbildungen und Austausch oder achten Stunde angesiedelt. An der Wöhlerschule Die Lehrkräfte wurden in begleitenden Fortbildungen gibt es einen Matheraum, der für alle Schüler zugäng- mit den Elementen des Förderkonzepts vertraut ge- lich ist. Einmal in der Woche wurden die MMS-Schüler macht. Dabei ging es nicht alleine darum, die viel- dort von einer Lehrkraft für eine Stunde intensiv schichtigen Lernmaterialien kennenzulernen, sondern betreut. Am Kaiserin-Friedrich-Gymnasium stand auch darum, die anspruchsvolle Rolle des Lehren- den – auch als Lernbegleiter – zu verstehen. Durch »Das Konzept sollte hessenweit Stärkenorientierung und systematische Fehlerarbeit obligatorisch eingeführt werden.« sollte im Unterricht ein positives Leistungsverständ- nis gepflegt werden. Den teilnehmenden Lehrkräften Ralf Nürnberger, Lehrer wurde vermittelt, dass ein konstruktives Feedback zur Steigerung der Unterrichtsqualität beiträgt. Da- hingegen ein freies Klassenzimmer zur Verfügung. rüber hinaus wurde in einer weiteren Fortbildung Die Teilnahme an »Mathe macht stark« bedeutete eine differenzierte Diagnostik vorgestellt, um das für die Schüler eine höhere Präsenzzeit in der Schule. Angebot des Lehrmaterials möglichst genau auf den Von wenigen Ausnahmen abgesehen, wurde das jeweiligen Kompetenzstand des Schülers abstimmen Angebot durchgehend gerne wahrgenommen. zu können. Den über die Fortbildung hinausge- henden, regelmäßig organisierten und schulform- Einbindung der Eltern überfreifenden Austausch beurteilten die Lehrkräfte An allen Schulen wurden den Eltern das Konzept und als sehr gewinnbringend. die Zielsetzung ausführlich vorgestellt. Dadurch konnte eine hohe Akzeptanz und Unterstützung Dr. Wolfgang Eimer ist Bereichsleiter der Abteilung Wissen- erreicht werden. Die Information der Eltern erfolgte schaft und Technik der Stiftung Polytechnische Gesellschaft. auf Elternabenden, in Form von Elternschreiben, in Christoph Maitzen ist Koordinator des Projekts »Mathe macht Einzelgesprächen oder im Rahmen der halbjährlichen stark«. Zeugnisgespräche. Dabei war es wichtig zu verdeut- lichen, dass die positiven Auswirkungen des »Mathe macht stark«-Unterrichtes nicht direkt bei der fol- genden Mathearbeit zu erwarten sind, sondern dass es sich um einen längerfristigen Aufbauprozess handelt.
14 EMPFEHLUNGEN EMPFEHLUNGEN Was bei der Umsetzung bedacht werden sollte »Mathe macht stark« ist als Dauerkonzept für leistungsschwache Schüler sehr gut geeignet, um die beson- deren Lücken in ihrem mathematischen Grundverständnis zu füllen. Das Material kann von Klasse sechs bis acht in der Haupt- und Realschule sowie bis Mitte der siebten Klasse im Gymnasium eingesetzt werden. Insgesamt gilt, dass so früh wie möglich mit der Förderung begonnen werden sollte. Für eine erfolgreiche Implementierung von »Mathe macht stark« können aus dem Pilotprojekt folgende Empfehlungen abge- leitet werden: 1. Angemessene zeitliche, räumliche und perso- liche Diagnose, eine zeitnahe Rückmeldung zu den nelle Ressourcen zur Verfügung stellen, Lernfortschritten und eine schnelle Unterstützung damit »Mathe macht stark« seine volle Wirkung ent- bei Schwierigkeiten benötigt. falten kann. Das Förderkonzept sollte mindestens im Umfang von einer Unterrichtsstunde pro Woche 4. Die Schüler gezielt auswählen, angeboten werden. Um eine langfristige Leistungs- um die motivierten und leistungswilligen Lerner zu verbesserung bei den Schülern zu erreichen, wird erreichen. ein Förderzeitraum von mindestens zwei Jahren benötigt. Separate, lernfördernde Räume müssen 5. Die Eltern über die Zielsetzung von »Mathe zur Verfügung stehen. Da die Förderung nur einen macht stark« umfangreich informieren, Teil einer Klasse bzw. einer Jahrgangsstufe betrifft, um ihre langfristige Unterstützung bei der Förder- ist eine ausreichende personelle Ausstattung mit maßnahme zu erhalten. Eltern sollten verstehen, dass Mathematikfachlehrkräften unerlässlich. Dazu kann kurzfristig sowohl eine Verbesserung der Motivation unter anderem ein Kontingent aus dem Sozialindex als auch der Einstellung zur Mathematik erzielt wer- herangezogen werden. den können. Eine messbare Leistungsverbesserung in Form von Noten kann erst im zweiten Schritt er- 2. Alle beteiligten Lehrkräfte in »Mathe macht wartet werden. Die Schüler benötigen hierfür eine stark« fortbilden, längerfristige Unterstützung. um das Förderkonzept sicher und zielführend um- setzen zu können. Die Lehrkräfte müssen mit dem 6. Das Konzept »Mathe macht stark« im Schul- vielfältigen Lernmaterial vertraut gemacht werden. curriculum verankern, Darüber hinaus ist sowohl ihre diagnostische Kom- um unter allen Beteiligten ein gemeinsames Ver- petenz zu stärken als auch ihr Repertoire, konstruktive ständnis vom Konzept und der Zielsetzung zu errei- lernwirksame Rückmeldungen zu geben, zu erweitern. chen. Die Einführung und die dauerhafte Verankerung des Förderangebots in der Schule muss von der 3. Lerngruppen mit maximal acht Schülern ein- Schulleitung, den betroffenen Lehrkräften, den Schü- richten, lern sowie deren Eltern getragen werden. damit eine individuelle Begleitung und Förderung möglich ist. Die Schüler müssen die Möglichkeit Dr. Wolfgang Eimer ist Bereichsleiter der Abteilung Wissen- haben, entsprechend ihrem Leistungsvermögen ihre schaft und Technik der Stiftung Polytechnische Gesellschaft. Defizite in mathematischen Grundvorstellungen indi- Christoph Maitzen ist Koordinator des Projekts »Mathe macht viduell aufzuarbeiten. Hierzu wird eine kontinuier- stark«.
15 DIE STIFTUNG AUF EINEN BLICK DER POLYTECHNIK-PREIS Mit dem Polytechnik-Preis für die Didaktik der Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik würdigt die Stiftung Polytechnische Gesell- schaft herausragende Konzepte zur Vermittlung mathematischer, naturwissenschaftlicher und tech- nischer Grundlagen in der Schule und im Kinder- garten. Der Preis unter Schirmherrschaft der Bundes- ministerin für Bildung und Forschung, Prof. Dr. Johanna Wanka, ist mit insgesamt 70.000 Euro dotiert und wurde 2013 zum zweiten Mal vergeben. Ausge- zeichnet werden Wissenschaftler für ein konkretes, bereits in Bildungseinrichtungen erprobtes Konzept, das neuartige und interessenfördernde Lernange- bote liefert. www.polytechnik-preis.de Für das Konzept »Mathe macht stark« wurde Prof. Dr. Aiso Heinze (Dritter von links) mit dem zweiten Preis des Polytechnik-Preises 2011 ausgezeichnet. DIE STIFTUNG AUF EINEN BLICK Eine »Werkbank« für die Frankfurter Stadtgesellschaft – das ist die Stiftung Polytechnische Gesellschaft. 2005 wurde sie mit einem Kapi- tal von 397 Millionen Euro von der Polytechnischen Gesellschaft e. V. errichtet. Heute machen 18 sogenannte Leitprojekte den Kern ihrer Arbeit aus. Die Projekte sind Kristallisationspunkte drängender gesellschaftlicher Aufgaben und verteilen sich auf folgende Arbeitsschwerpunkte: Fami- lienbildung und Prävention, Sprachbildung, kulturelle Bildung, Hin- führung zu Naturwissenschaft und Technik sowie Förderung des Bür- gerengagements. Immer steht dabei die Schulung der vielfältigen Fähigkeiten des Men- schen im Mittelpunkt, die Förderung seiner fachlichen und persön- lichen Bildung zum Nutzen des Gemeinwesens – genau wie es der Begriff »polytechnisch« seit dem Zeitalter der Aufklärung ausdrückt. Das Polytechniker-Haus in der Untermainanlage ist das Domizil der Stiftung im Herzen Frankfurts. Impressum Herausgeber: Stiftung Polytechnische Gesellschaft Frankfurt am Main, Untermainanlage 5, 60329 Frankfurt am Main, Telefon: 069 - 789 889 - 0, E-Mail: info@sptg.de, www.sptg.de · Redaktion: Dr. Wolfgang Eimer, Stephan M. Hübner, Christoph Maitzen, Miriam Mandryk · Gestaltung: Büro Schramm für Gestaltung, bueroschramm.de · Bildbearbeitung: Felix Scheu photo retouch · Bildnachweise: Dominik Buschardt (15 oben), Stephan Feder (15 unten), Jérôme Gravenstein (3), Jürgen Lecher (7), Sebastian Schramm (Titelbild, 5, 8, 11, 12) · © Oktober 2014 · Aus Gründen der besseren Lesbarkeit schließt die männliche Form die weibliche Form im vorliegenden Heft mit ein.
Der Polytechnik-Preis ist ein Projekt der Untermainanlage 5 D - 60329 Frankfurt am Main Telefon 069 - 78 98 89 - 0 www.sptg.de
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