MEDEAS TÖCHTER* Begleitmaterial zur Vorstellung - Dschungel Wien
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Begleitmaterial zur Vorstellung MEDEAS TÖCHTER* © Corinne Eckenstein Dschungel Wien & Medea Production Theater-Performance | 50 Min.| 14 – 23 Jahre Begleitinformationen erstellt von: Katharina Fischer Kartenreservierungen für pädagogische Institutionen: +43 1 522 07 20 18 | paedagogik@dschungelwien.at
KULTURVERMITTLUNG Vorbereitender Workshop Auf Anfrage kommen wir gerne vor Ihrem Theaterbesuch an Ihre Schule, stimmen die Klasse auf das Thema ein und bereiten Sie und Ihre Schüler:innen auf das Medium „zeitgenössisches Theater“ vor – mit Gesprächen und kreativen Übungen aus dem Tanz-, Performance- und Schauspielbereich. Dauer: 2 Schulstunden Kosten: € 130,00 pro Klasse Ort: Fest- oder Turnsaal an Ihrer Schule, ev. auch in einem größeren Klassenzimmer möglich. Publikumsgespräch Sehr gerne können Sie sich für ein kostenloses Publikumsgespräch direkt im Anschluss an die Vorstellung anmelden. Im Publikumsgespräch können die Kinder und Jugendlichen relevante Themen des Stückes bearbeiten, Fragen stellen und ihren ersten Eindrücken Ausdruck verleihen. Unterschiedliche Formate passend zu Inhalt und Zielgruppe – zum Teil mit interaktiven Elementen – bieten den geeigneten Rahmen für direkten Austausch und ermöglichen neue Zugänge zur darstellenden Kunst. Bitte geben Sie bei der Reservierung bekannt, ob Sie ein Publikumsgespräch wünschen. Nachbereitender Workshop Vor allem bei theatererfahrenen Klassen kann es sinnvoll sein, statt des vorbereitenden Workshops eine Nachbereitung zu buchen. Hier verarbeiten die Schüler:innen das gesehene Stück in Gesprächen und durch eigenes kreatives Schaffen. Dauer: 2 Schulstunden Kosten: € 130,00 pro Klasse Ort: Fest- oder Turnsaal an ihrer Schule, ev. auch in einem größeren Klassenzimmer möglich. Ansprechperson für weitere Information und Beratung: Madeleine Seaman | +43 1 522 07 20-24 m.seaman@dschungelwien.at 2
Inhaltsverzeichnis 1. ZUR PRODUKTION 1 1. Inhalt 2 2. Idee/Konzept 3 3. Zum Entstehungs- und Probenprozess 6 4. Die theatralen Mittel 8 5. Textauszüge 9 6. Das Team 10 7. Interviews mit dem Team 12 2. HINTERGRUNDINFORMATIONEN UND WEITERFÜHRENDE EMPFEHLUNGEN 14 3. IDEEN FÜR DIE NACHBEREITUNG 16 3
1. Zur Produktion MEDEAS TÖCHTER* Dschungel Wien, diverCITYLAB & Magdalena Chowaniec Uraufführung 5 systemrelevante Monologe | 50 Min. | Ab 14 Jahren Vorstellungstermine im Dschungel Wien: SA 25.09.21 20:30 PREMIERE SO 26.09.21 18:00 MI 29.09.21 10:30 DO 30.09.21 10:30 DI 22.02.22 10:30 MI 23.02.22 10:30 DO 24.02.22 10:30 + 19:30 Team Regie: Corinne Eckenstein Produktion: Anna Sonntag Assistenz: Katharina Fischer Text: Tunay Önder, Elif Bilici, Cecilia Kukua, Lilie Lin, Ines Miro, Ivana Nikolic Systemrelevante Performerinnen*: Elif Bilici, Cecilia Kukua, Lilie Lin, Ines Miro, Ivana Nikolic 1
1. Inhalt MEDEAS TÖCHTER*, das sind junge Frauen*, deren Sichtbarkeit und Einflussnahme auf die Gesellschaft aufgrund ihrer Herkunft, Hautfarbe, sexuellen Orientierung oder politischen Ansichten in den Hintergrund gedrängt werden. Ihre Stimmen, Gesichter, Körper und Gedanken sollen nicht gehört und gesehen werden. Auf ihrem Rücken wird Politik gemacht, sie sind aber nicht Teil davon. Als Krankenschwester, Kassiererin gesellschaftlich zugeschriebenen Funktion und treten erstmals als Töchter Medeas kompromisslos und laut in Erscheinung. Sie tanzen, brüllen, performen, sprechen. Sie befreien sich von den Zwängen, die ihr Leben prägen und treten als Töchter Medeas fordernd an die Öffentlichkeit. Die Autorin Tunay Önder hat aus feministischer Sicht den griechischen Mythos der Medea neu geschrieben und die Schauspielerinnen haben eigene Geschichten beigesteuert. NO MORE NICENESS! „Denn was keine:r mehr wissen will und worüber keine:r spricht: Wer sind eigentlich die Nachfahren und vor allem die kulturellen Erben von Medea? Das sind wir! Wir, Medeas Töchter, brechen auch heute immer wieder auf zu neuen Ufern, geben uns mit der Stagnation und Regression an unserem Geburtsort nicht zufrieden, ziehen weiter, überqueren und unterwandern Grenzen, schaffen neue Orte, ganze Städte, teilen unser Wissen, bringen frischen Wind, neue Ideen, unbekannte Praktiken und Bräuche mit, machen das Leben lebendiger, diverser und schillernder, geben Anstoß für Reibung, Hitze und erzeugen Energie, sind der Motor der Gesellschaft und der Funken der Wahrheit! Medea ließ sich weder unterwerfen, noch kolonisieren, weder assimilieren, noch integrieren. Sie ließ sich nicht f*cken und nicht verarschen, sie ließ sich weder den Mund verbieten noch die Gedanken.“ Medeas Töchter Ensemble 2
2. Idee/Konzept Medea? Who? „Ich bin weder eine Heilige, noch ein Opfer. Aber ich bin nicht niemand.“ Text: Ivana Nikolic Wer an Medea denkt, hat vielleicht zuerst die Geschichte einer Frau im Kopf, die ihre eigenen Kinder ermordet hat. Doch Medeas gibt es so viele, wie es Autor:innen gibt, die ihre Geschichte erzählt haben. So ist sie in der antiken Fassung von Euripides die Frau mit den Zauberkräften, die sich in Jason verliebt, mit ihm aus Kolchis weggeht, ihren Vater betrügt und ihren Bruder ermordet. Bei Euripides wird Medea immer grausamer. Als Jason nicht mehr mit ihr zusammen sein will und stattdessen die Tochter des Königs von Korinths Kreusa heiraten möchte, ermordet Medea diese auf brutale Art. Bevor sie von einem Streitwagen in den Himmel getragen wird und verschwindet, ermordet sie auch kurzerhand noch die beiden Kinder, die sie mit Jason hat. Diese Medea ist skrupellos. Auch bei Ovid und Seneca kommt sie nicht besser weg. Aber Medeas Geschichte ist auch die einer Frau, die aus Verliebtheit einem Mann in ein anderes Land folgt. Ein Land, in dem die Menschen anders aussehen als sie, an andere Dinge glauben und eine andere Sprache sprechen. Ein Land, in dem sie als Frau eine andere Wertigkeit hat. Solch eine Frau ist sie zum Beispiel in Christa Wolfs „Medea. Stimmen“. Wolfs Medea weiß zu viel, will sich nicht mit der gesellschaftlichen Rolle abfinden, die man ihr in Korinth zuweisen will. Ihr Stolz, ihre Kraft stehen bei dieser Medea im Vordergrund. Sie wird schließlich ausgestoßen, abgeschoben. In dieser Geschichte will man ihr den Kindsmord in die Schuhe schieben. Medea ist also vor allem eines. Sie ist eine Figur, an der Vorstellungen und Bilder von Weiblichkeit und der Rolle von Frauen in der Gesellschaft verhandelt wurden und werden. Eine Figur, die an ihrem „Fremd-Sein“ gemessen wird, deren weiblich markierte Eigenschaften sie ebenso zur Anderen machen, wie ihre Herkunft. Medea als eine, die nie voll akzeptiert, die gefürchtet wird und der Dinge unterstellt werden. Medea als Person mit Migrationsgeschichte, die abgeschoben werden soll, die man loswerden will. Und Medea kann noch mehr. Wie sie stellen sich viele die Frage nach Zugehörigkeit, Anerkennung und Respekt. Wie Medea finden sich viele ausgeschlossen und ungewollt in Gesellschaften wieder, deren Normen sie nicht erfüllen können oder wollen. Wir haben uns gefragt, wer diese Töchter Medeas sind, was sie wollen und wohin ihr Weg führt. Corinne Eckenstein spricht über Medeas Töchter, als eine „feministische Neuschreibung des Medea Mythos“. 3
Die Töchter Medeas »Wir, Medeas Töchter*, haben besondere Fähigkeiten und lassen uns nicht auf ein Geschlecht und eine Herkunft festlegen; wir sind alles das, was sich nicht in die herrschende Ordnung pressen lässt!« Text Elif Bilici und das Medeas Töchter Team In Medeas Töchter nehmen sich fünf junge Schauspielerinnen Raum, werden zu Töchtern Medeas. In ihren selbst geschriebenen Texten stellen sie sich als Personen in Berufen vor, die oft wenig Anerkennung bekommen. Berufe, die schlecht bezahlt sind und meist von weiblich sozialisierten Menschen ausgefüllt werden. Medeas Töchter legen den Finger in die Wunde der Vorurteile, Zuschreibenden und Abwertungen, die junge Frauen mit Migrationsgeschichte in der österreichischen Gesellschaft allzu oft erleben. © Katharina Fischer Die Schauspielerinnen erzählen die Geschichte einer Reinigungskraft, die erschöpft nach langer Arbeit und vielen Respektlosigkeiten noch ihre Selbstständigkeit verwalten muss genauso wie die einer Schauspielerin, die aufgrund ihres Akzentes nur wenige Rollen bekommt und sich gegen despotische Regisseure behaupten muss. Die Geschichte einer Supermarktkassiererin und einer jungen Frau, die Träume in Österreich hatte, die geplatzt sind, die kein Blut sehen kann und trotzdem als Krankenpflegerin arbeiten muss, um ihre Kinder zu ernähren. Und die einer Friseurin, die sich als die Projektionsfläche von Wünschen und Bedürfnissen ihrer Kund:innen erlebt. Aber Medeas Töchter sind noch viel mehr, sie fordern und wollen sichtbar sein. Sie wollen nicht mehr still sein. 4
© Katharina Fischer © Katharina Fischer „Täuscht es mich oder hat diese Frau mir grade zugelächelt? So als sähe sie jetzt, dass der Job den ich mache wichtig ist. Dankbar, dass ich Viren entferne. Diese kleinen Bösewichte. Plötzlich bin ich nicht mehr „die Putze“.“ Text: Cecilia Kukua 5
3. Zum Entstehungs- und Probenprozess „Solidarisch in einem Frauen*team zu arbeiten, ist einer jener Reibungsräume, in denen sich Frauen* treffen und gemeinsam feministische Themen verhandeln können. Der Umgang und die Auseinandersetzung im Team stehen im Vordergrund. Emanzipatorische Prozesse finden statt, wenn viele junge Frauen* – Medeas Töchter* – miteinander arbeiten. Wenn durch den Zusammenhalt innerhalb eines Prozesses ein feministischer Kontext entsteht – das ist für mich Sisterhood. Denn Sisterhood heißt auch, dass Konflikte ausverhandelt werden, und sich konstruktiv und produktiv gemeinsam zu entwickeln.“ Regisseurin Corinne Eckenstein über den Entstehungsprozess Medeas Töchter begann als ganz großes Projekt. Seit September 2019 arbeitete das Medeas Töchter Team den griechischen Mythos der Medea auf. Viele Menschen waren daran beteiligt. Unter anderem die Choreographin und Performerin Magdalena Chowaniec. In Workshops entwickelte sie mit verschiedenen Teilnehmerinnen Choreographien und Gedanken zu Medeas Töchtern und ihren Forderungen. Aus Magdalena Chowaniecs Gruppe entstand ein Chor, der im Juli 2020 im öffentlichen Raum in Wien auftrat. Mit der Rapperin Esra Özmen und der Slampoetin Yasmo haben über 30 junge Frauen in Workshops Geschichten von jungen Frauen* geschrieben. Dann gab es noch die Schüler:innen der Schauspielschule DiverCityLab, die mit ihrer Dozentin Aslı Kışlal den performativen Citywalk „Medeas Irrgarten“ entwickelten. Diese beiden Teile des Medeas Töchter Projekts findet ihr auf der Homepage von Medeas Töchter: Corinne Eckenstein arbeitete an einem weiteren Teil des Projekts. Dem Teil, den ihr jetzt im Dschungel Wien sehen könnt. Die Schriftstellerin Tunay Önder interviewte viele Schüler:innen, entwickelte in Workshops mit ihnen Texte. Aus diesem Textmaterial und aus Texten, die die fünf Schauspielerinnen Lilie Lin, Cecilia Kuka, Ines Miro, Ivana Nikolic und Elif Bilici selbst schrieben, entstand der Text für das Theaterstück Medeas Töchter. Durch Corona hat der Arbeitsprozess eine andere Dynamik entwickelt und es sind Figuren entstanden, die in dieser Zeit plötzlich für die Gesellschaft als systemrelevante Berufe an Bedeutung gewonnen haben. Eine Friseurin, eine Schauspielerin, eine Reinigungskraft, eine Krankenpflegerin und eine Kassiererin stehen im Mittelpunkt dieser Geschichte. Zunächst wurden einzelne Szenen entwickelt und die Schauspielerinnen filmten sich gegenseitig im öffentlichen Raum - oder wurden von Katharina Fischer, der Assistentin, gefilmt. Wir filmten in U-Bahn-Stationen, am Straßenschild der Medeagasse im 10. Bezirk, in einem Friseursalon, einem Hausflur, vor einem Billa Plus und auf der Straße. Jede Figur bekam ihre eigene Art sich zu bewegen und Tätigkeiten, die für sie typisch waren. Die Videos findet ihr auch auf der 6
Der nächste Schritt waren Auftritte der Schauspielerinnen im öffentlichen Raum. Zum Beispiel spielten sie auf der Mariahilferstraße ihre Szenen. Manche Menschen waren überrascht davon, andere sogar wütend, wieder andere blieben stehen, sahen zu und applaudierten am Ende. Jetzt ist es soweit und Medeas Töchter wird auf einer Bühne gezeigt, vor euch als Publikum. © Rainer Berson „Wir sind keine einfachen, eindimensionalen Staatsbürger:innen. Wir sind Queer, wir passen in keine Kategorie, in keine Norm, in keinen Staat. Wir sprechen nicht nur deutsch, sondern viele andere Sprachen, und wir sind einheimisch und mehrheimisch zugleich. Man gibt uns immer wieder neue Namen, mal sind wir Ausländer, dann Geflüchtete, Migranten, Muslime, Geduldete, Gestattete, Eingebürgerte, Passdeutsche, Neue Deutsche, Neu-Österreicher, Österreicher mit Migrationshintergrund und vieles mehr. Warum nennt man uns nicht einfach Medea-Stämmige“ Text: Elif Bilici und Tunay Önder 7
4. Die theatralen Mittel Medeas Töchter ist eine Art Collage. Das heißt, dass jede Schauspielerin ihre eigene Figur entwickelt hat, die ihren eigenen Text und einen besonderen eigenen Auftritt hat. Erst am Ende begegnen sich alle fünf Figuren und Sprechen gemeinsam. Sie sprechen also chorisch; das heißt, dass alle gleichzeitig sprechen. Aber natürlich nicht wild durcheinander, sondern so als würden sie mit einer lauten gemeinsamen Stimme sprechen. In ihren Szenen kombinieren die Schauspielerinnen ihren Text mit Tanzchoreographien. Diese Choreographien sind aus Alltagsbewegungen oder Arbeitsbewegungen entstanden. Zum Beispiel schwingt die Friseurin tanzend Föhn und Bürste, während die Reinigungskraft mit großen Bewegungen putzt. Es ist jedoch mehr ein Tanz als Putzen. Die Art sich zu Bewegen und die Wege, die die Schauspielenden im Raum nutzen, sind für ihre Figur von besonderer Bedeutung. Außerdem wurde bei Medeas Töchtern viel gefilmt, manchmal findet auch ein Filmelement den Weg auf die Bühne. © Rainer Berson „Du solltest einfach machen, was ich dir sage. Du bist eine Dienstleisterin.“ sagte ein Regisseur bei einer Probe. Dann habe ich gesagt: Ich bin keine Dienstleisterin! Ich bin eine Schauspielerin.“ Text: Elif Bilici 8
5. Textauszüge Zitate als Diskussionsanregung „Die eigenen Kinder. Wer soll das überhaupt sein? Die, die vor den Küsten des Mittelmeers aus den Booten fallen und ertrinken, zählen auf jeden Fall nicht zu den eigenen Kindern. Ganz offensichtlich nicht. Sonst müsste man sich eingestehen, dass Europa ein noch viel größeres Monster ist als es Medea jemals hätte gewesen sein können.“ Text: Tunay Önder „Meine Frage daher: Wie viel verdienen wir und wie viel verdienen wir?“ Text: Lilie Lin „So eine Frau schluckt nicht. So eine Frau hält nicht einfach den Mund. So eine Frau weiß wie man zurückschlägt.“ Text: Tunay Önder „Medea war eine Kämpferin. Sie war mutig, ließ Besitz, Recht, Macht und Ansehen zurück, und verließ sich einzig und allein auf ihr Wissen, ihren scharfen Verstand, ihre Intuition und soziale Kompetenz. Von Vernunft allein ließ sich Medea nicht leiten, das war ihr viel zu eindimensional, konventionell und lustbefreit. Aber alle um sie herum gaben vor, von der Vernunft gesteuert zu sein; ihre Abschiebung sei rein aus Vernunftgründen heraus so beschlossen worden. Sie wollten ihr weismachen, dass es ihnen nicht um sich, ihr eigenes persönliches Interesse gehe, sondern um die Zukunft des Staates, es gehe nun mal um die Gesellschaft. Da müsse sie sich als einzelne Person nun mal zurücknehmen. Es war letztendlich pure Gewalt, wenn auch im Gewande der Vernunft, die Medea entgegenschlug. Und jetzt spricht man nur noch von der Gewalt, die von ihr ausging.“ Text: Ines Miro "Im Moment fühle ich mich alleine. Ja! Ein paar Mitstreiter*innen, aber so weit weg. Kann Solidarität so kalt sein? So distanziert- vernünftig? (…) What about Home. Wenn mein Home die Grenze zwischen der Türkei und Griechenland ist, hı? Dann kamen die Kiwara und sagen “Sie dürfen ja in dem Land nicht bleiben, in diesem Park nicht schlafen.“ Ja aber, wenn ich kein Home habe, wenn mein Home die Straße, die Brücke, die Bank, der Baum ist. Das ist Solidarität? Wirklich! Ist das Solidarität!“ Text: Elif Bilici „Medea. Und der Untertitel müsste lauten: Wer hat Angst vor der Schwarzen Frau. Diese Geschichte sagt mehr aus über den Geschichtenschreiber und die Politik des Geschichtenerzählens als über Medea.“ Text: Tunay Önder 9
6. Das Team Elif Bilici - Die Schauspielerin Elif Bilici ist 1986 in der Türkei geboren. Sie hat am DiverCityLab in Wien Schauspiel studiert. Außerdem hat sie noch andere Sachen studiert, ist ausgebildete Yogalehrerin und Dramaturgin. Elif arbeitet nicht nur als Schauspielerin, sie hat auch © Rainer Berson schon für die NGO Migraart und bei einem Bildungsprojekt für Mädchen und junge Frauen mitgearbeitet. Cecilia Kukua - Die Reinigungskraft Cecilia Kukua ist 1990 in Bozen in Südtirol geboren. In Innsbruck und in Bruneck in Südtirol hat sie Schauspiel studiert. Cecilia hat in Wien auch eine Ausbildung zur Theaterpädagogin gemacht. Ihr könnt Cecilias Homepage besuchen © Rainer Berson und dort sehen in welchen Theaterstücken sie schon mitgewirkt hat. Lillie Lin - Die Friseurin Lillie Lin ist 1990 geboren. Sie studiert und hat im Dschungel Wien schon in einigen Stücken mitgespielt. Das Stück „Blutsschwestern“ von Corinne Eckenstein ist nur eines davon. © Rainer Berson 10
Ines Miro - Die Krankenpflegerin Ines Miro ist 1980 in Kroatien geboren. Sie hat am DiverCityLab in Wien Schauspiel sowie Puppenschauspiel studiert. Ines Miro wirkte bereits in vielen Stücken am Dschungel Wien mit. © Rainer Berson Ivana Nikolic - Die Kassiererin Ivana Nikolic ist 1989 geboren. Ivana hat in Linz Schauspiel studiert und auch schon mal in einem Tatort mitgespielt. Sie kann auch Akrobatik und Breakdance. © Rainer Berson 11
7. Interviews mit dem Team Die Schauspielerin Cecilia Kukua hat mit Katharina Fischer, der Regieassistentin des Projekts, über Medeas Töchter gesprochen und ihr erzählt, was sie über die Figur Medea denkt, wer Medeas Töchter sind und was für sie im Theaterstück besonders wichtig ist. Katharina: Wer ist Medea für dich? Cecilia: Eine Frau die ihre Heimat verlassen hat, um an einem ihr fremden Ort neu anzufangen. Sie war die Tochter einer Königin, besaß Zauberkräfte und viele Menschen hatten Angst vor ihr. Für mich ist sie ein Mensch, der trotz Schwierigkeiten, Anfeindungen und schweren Schicksalsschlägen bei sich blieb, in sich selbst Stärke fand und sich nicht einschüchtern ließ. Sie soll ihre Kinder getötet haben, vielleicht wurde sie aber auch nur von der Gesellschaft so dargestellt, um sie schlechter dastehen zu lassen. Für mich ist Medea eine Frau, die sich nichts sagen lässt und sich nicht kleinkriegen lässt. Das bewundere ich! Katharina: Wer sind Medeas Töchter? Cecilia: Medeas Töchter sind junge Frauen, die ihre Wurzeln nicht primär in Österreich haben aber in Österreich, in Wien leben. Es sind Frauen, denen die Sicht auf Menschen mit Migrationsgeschichte nicht egal ist, und die ihre Stimmen laut werden lassen, um zu sagen was sie denken. Mit den von uns geschriebenen Texten. Die Texte sind am Anfang der Covid- Pandemie entstanden. Uns machte die Sicht auf nun plötzlich „systemrelevante“ Berufe skeptisch. Diese Berufe sind immer relevant, die Menschen, die diese Berufe ausüben (Beispiel Raumpflege, Kassieren, Krankenpflege) sind immer relevant. Medeas Töchter geben sich selbst eine Stimme. Sie entschliessen mehr zu sein, als die ihnen zugeschriebenen Rollen. Als Tochter Medeas nehme ich die Durchsetzungskraft von Medea zum Vorbild. Katharina: Was würde eine Tochter Medeas zu Medea sagen? Was würde sie Medea fragen? Cecilia: Warum hast du nur aus Liebe zu einem Mann deinen Bruder getötet? Warum hast du aus Hass deine Konkurrentin vergiftet? Hast du deine beiden Söhne nicht geliebt? Wie war die Geschichte nun wirklich? Erzähle es mir, ich bin alt genug, um es zu verstehen. Ich schätze ich bin jetzt so alt, wie du damals warst. Ich kann verstehen, dass man aus Liebe nahezu alles tut, alles wagt. Aber Gewalttätig werden? Ich bewundere, dass du bereit warst alles aufzugeben. Ich verstehe den Schmerz, als du daraufhin alles verloren hast. Wirst du mich deine Zauberkünste lehren? Und wenn ich schwach bin, wirst du bei mir sein und mir den Rücken stärken? Energetisch mein ich. In Gedanken. Es wird mir Mut geben, an dich zu denken. Würdest du auch mich töten? Es ist einfacher zu glauben, dass du auch meine Brüder nicht getötet hast. Wirklich wissen, kann es nur wer es gesehen hat. Aber spüren kann ich es. Nicht deine Kinder. Nicht deine eigenen Kinder. 12
Katharina: Welche Forderungen haben Medeas Töchter für die Zukunft? Cecilia: Ungerechtigkeiten jeder Art benennen und bekämpfen! No more niceness! Lieb sein bringt nicht weiter! Alles sein was wir wollen! An sich glauben! Katharina: Was ist deine Lieblingsstelle in der Inszenierung Medeas Töchter? Cecilia: Ich mag es, wenn wir am Schluss alle auf der Bühne sind und als Chor sprechen. Da kann ich immer die Gruppenenergie in ihrer vollen Wucht spüren. Ich mochte auch den Schreibprozess. Anfangs haben wir uns über Zoom getroffen. Wir haben das Projekt besprochen, Rollen verteilt und dann sollte jede schreiben. Die Texte haben wir uns dann zugeschickt, gelesen und beim nächsten Treffen wieder besprochen. In dieser Zeit hatte ich auch einen Traum, den ich sofort niederschrieb und daraus ist ein Teil meines Textes entstanden. Ich mochte, dass unsere Treffen so nachgewirkt haben. 13
2. Hintergrundinformationen und weiterführende Empfehlungen „Wir sind Medeas Töchter. Zigtausend Stories. Zigtausend Medeas. Warum auch nicht?“ Ruchi Bajaj, Schauspielende Ihr wollt mehr über Medea herausfinden, die Figur aus dem Mythos? Hier ein paar Tipps für euch. Die Schriftstellerin Christa Wolf hat eine eigene Geschichte zu Medea geschrieben. Das Buch heißt „Medea. Stimmen“ und ihr könnt es im Unterricht lesen. In „Medea. Stimmen“ ist Medea keine gemeine Mörderin und ihr erfahrt viel mehr über die Gründe ihres Handelns und über ihren Charakter. Die Geschichte von Christa Wolf findet ihr auch auf YouTube mit Playmobil Figuren schnell erklärt: www.youtube.com/watch?v=6hb1L81agOc Und hier mit Zeichnungen: www.youtube.com/watch?v=PLWi4FhDQKQ 14
Wenn ihr euch die Geschichte von Medea in der Variante des Autors Euripides ansehen möchtet, findet ihr hier eine Zusammenfassung: https://www.getabstract.com/de/zusammenfassung/medea/7164 Die Geschichte von Euripides findet ihr auch auf YouTube mit Playmobil Figuren schnell erklärt: www.youtube.com/watch?v=NhGYf1oNQ6I Eine eigene Erklärung darf Medea in diesem Video des Wiener Vereins Starke Stimmen abgeben, der 2017 ein theaterpädagogisches Projekt zu Medea gemacht hat: Aufgabe Vergleicht die Sichtweisen auf die Figur Medea. Wie wird sie dargestellt? Welche Themen seht ihr in den Medea Geschichten? Was denkt ihr über Medea? Medientipp Melisa Erkurt ist eine Journalistin mit bosnischen Wurzeln. Sie schreibt großartige Artikel in der Zeitung Falter. In diesen geht es vor allem um Schüler:innen mit Migrationsgeschichte. Ihr findet sie auch auf Instagram und in ihrem Podcast: Welche Themen werden auf ihrem Instagram Kanal „Die Chefredaktion“ und im Podcast „Sprechstunde“ besprochen? Warum sind diese Themen wichtig? Und was haben sie mit den Töchtern Medeas zu tun? Sprecht in der Klasse darüber. 15
3. Ideen für die Nachbereitung „Ich bin eine Tochter Medeas. Die Sage meiner Mutter füllt seit 2500 Jahren die Bühnen der Welt. In gewisser Weise ist sie der absolute Kassenschlager, ein Rockstar der Theatergeschichte, die Beyoncé der Antike.“ Text: Tunay Önder „Wir sind viele. Sind wir deshalb ersetzbar? Wir sind Luxus. Sind wir deshalb überflüssig? Wir sind unsichtbar. Sind wir deshalb unwichtig? Jedenfalls sind wir da.“ Text: Lilie Lin Übung: Freewriting (nach Lorenz Hippe) Was sind die Eigenschaften der Töchter Medeas, die im Stück vorkommen? Welche Themen sind im Stück wichtig? Alleine: Jede:r Schüler:in hat fünf Minuten Zeit für ein Freewriting. Stellt einen Wecker als Signal. Beim Freewriting ist es besonders wichtig die innere kritische Stimme auszustellen. Diese Stimme, die dir sagt: „Dieser Satz klingt nicht gut.“, „Da ist ein Rechtschreibfehler.“, „Kommt da ein Beistrich hin?“, „Mögen die anderen meinen Text?“. Die innere kritische Stimme gehört beim Freewriting auf die Ersatzbank und darf nicht mitspielen und vor allem soll sie schweigen. Wichtig ist, deine Assoziationen aus deinem Kopf auf das Papier einzuladen, wie der Text klingt, ist nebensächlich. Beim Freewriting soll der Stift immer in Bewegung sein. Zögere nicht. Wenn dir gerade nichts einfällt, lass den Stift kreisen, bis die Gedanken von selber kommen oder schreib einfach „lalalala“ oder so. Das Freewriting soll nicht vor anderen vorgelesen werden. In Kleingruppen: Tauscht euch darüber aus, welche Gedanken und Ideen ihr zu Medeas Töchter aufgeschrieben habt. Was ist euch besonders wichtig? Habt ihr Fragen? Im Plenum: Jede Kleingruppe kann jetzt mit den anderen teilen, was sie über Medeas Töchter herausgefunden haben. „Jetzt erobere ich mich selbst zurück und ziehe in die Meere. Eine Fremde auf fremdem Boden will ich nicht mehr sein. Ich schenke mich dem Meer, auf dass es mich aufnimmt in seine Wogen, seine tiefen Gewässer, mich aufnimmt in den freien Ozean, der nur über sich selber herrscht und nur sich selbst gehört, wie ich.“ Text: Cecilia Kukua „!!! Genug. Man soll die Perspektive endlich ändern!“ Text: Elif Bilici 16
Die Forderungen der Töchter Medeas Übung: Seriensprint (Methode: writer’s studio wien) Wenn du ein Kind Medeas wärst, was würdest du verändern wollen? Was sind deine Forderungen? Jede:r Schüler:in hat sieben Minuten Zeit. Stellt wieder einen Wecker. Auch diesmal soll der Stift immer in Bewegung sein. Bei einem Seriensprint beginnt jeder Satz gleich. Zum Beispiel: Ich bin eine Tochter Medeas und fordere…. Ich bin eine Tochter Medeas und fordere… Ich bin eine Tochter Medeas und fordere… … Diese Übung kann vorgelesen werden von denen, die Lust haben. Sammelt eure Forderungen und Wünsche an der Tafel und diskutiert darüber. Übung: Handyvideos drehen Auf der Website können die Schüler:innen Videos entdecken, die uns von jungen Frauen zugesendet wurden. Jede von ihnen stellt sich die Fragen: Was macht mich zu einer Tochter/einem Kind Medeas? Was will ich verändern? „Ich bin Medeas Tochter, die Tochter einer Medea. Greta, Carola, Kübra und Malala, das sind alles Töchter Medeas, meine Schwestern, die vor ihrer eigenen Haustür anfangen zu kehren. Alle kennen ihren Namen, aber wer kennt meinen?“ Text: Lilie Lin und Tunay Önder Dreht eure eigenen Videos. Ihr könnt dies alleine oder in kleinen Teams machen. Wo ist euer Drehort? Was zieht ihr an? Welche Gegenstände wollt ihr benutzen? Welche Sprache/n wollt ihr sprechen? Fragen für das Video: Was wollt ihr verändern? Was nervt euch? Was macht euch zu Kindern Medeas? Ihr könnt eure Videos an medeastoechter@gmail.com senden, dann werden sie auch auf der Medeas-Töchter-Website veröffentlicht! 17
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