Medikamentöse Schmerztherapie bei Senioren - Winfried Häuser

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Medikamentöse Schmerztherapie bei Senioren - Winfried Häuser
Medikamentöse
Schmerztherapie bei Senioren

              Winfried Häuser
              Klinikum Saarbrücken
              Innere Medizin I
               Gastroenterologie, Hepatologie,
               Endokrinologie, Infektiologie,
               Onkologie und Psychosomatik

              MVZ Schmerzmedizin und
              Seelische Gesundheit
              Saarbrücken St. Johann

              Technische Universität
              München
              Klinik für Psychosomatische
              Medizin und Psychotherapie
Medikamentöse Schmerztherapie bei Senioren - Winfried Häuser
Interessenkonflikte
         • Akademisch
            – Sprecher der Steuergruppe
              Update S3-Leitlinie LONTS und
              Fibromyalgie
            – Ko-Editor Cochrane Pain Palliative
              and Supportive Care Group
         • Finanziell
            – Je ein Honorar von Grünenthal
              und MSD Sharp & Dohme für
              einen nicht-produktgebundenen
              Vortrag 2015
         • Leidenschaftlich
            – Ausdauersport
Medikamentöse Schmerztherapie bei Senioren - Winfried Häuser
Verordner einer Langzeittherapie mit
          Opioiden in 2014
4 Millionen Versicherte, repräsentativ
               für GKV
Medikamentöse Schmerztherapie bei Senioren - Winfried Häuser
Themen
   • Epidemiologie des
     Schmerzes bei
     Senioren
      – Schmerzschweregrade
   • Probleme der
     Schmerztherapie
      – Schmerzintensität
      – Nebenwirkungen
        medikamentöser
        Therapie
   • Tipps für die Praxis
Medikamentöse Schmerztherapie bei Senioren - Winfried Häuser
Schmerz bei Senioren
• 55% der Europäer über 75 Jahre geben
  täglich mäßige bis starke Schmerzen an.
        König. Health Qual Life Outcomes 2010; 8: 143

• 57% der auskunftsfähigen Bewohner in
  deutschen Pflegeheimen geben Schmerzen
  an, im Durchschnitt 4 Schmerzorte.
  – Kölzsch. Schmerz 2013;27:497-505.

• Bei 71% der Patienten mit kognitiven
  Beeinträchtigungen in deutschen
  Pflegeheimen gibt es Hinweise auf chronische
  Schmerzen.
  –   Kölzsch. Eur J Pain 2012;16: 439–446
Medikamentöse Schmerztherapie bei Senioren - Winfried Häuser
Häufige Lokalisationen und
Ursachen chronischer Schmerzen
          bei Senioren
               • Rückenschmerzen
                 – Degenerative
                   Veränderungen
                 – Muskuläre Insuffizienz
                 – Osteoporotische
                   Frakturen
               • Gelenkschmerzen
                 – Arthrose
                 – Muskuläre Insuffizienz
               • Polyneuropathie-
                 schmerzen
Medikamentöse Schmerztherapie bei Senioren - Winfried Häuser
Versorgung
• 8.685 Pflegeheimbewohnern aus dem 2.
  Quartal 2007
• Bei 15% wurde eine dieser Diagnosen
  gestellt:
    – Nicht näher klassifizierte Schmerzen
    – Hüftarthrose
    – Nervenschmerz nach Gürtelrose
• 58,2% der Betroffenen erhielt eine
  medikamentöse Schmerzbehandlung.
  48,3% der von Hüftarthrose Betroffenen
  erhielt Schmerzmittel.
Kopke. Gesundheitswesen 2011;73:e119-25.
Medikamentöse Schmerztherapie bei Senioren - Winfried Häuser
Medikamentöse Schmerztherapie bei Senioren - Winfried Häuser
Schmerzmessung
• Instrumente
  – Visuelle oder numerische Rating Skalen (0-10)
  – Verbale Rating Skalen (kein, gering.. sehr
    stark)
• Ziele Schmerztherapie: 30% und mehr
  Schmerzreduktion bzw. erträglicher
  Schmerz (< 4 auf 11-stufiger Skala)
Probleme der Schmerzintensität
  gesteuerten Schmerztherapie
• Probleme der Erfassung der
  Schmerzintensität
• Schmerzen zu haben bedeutet nicht an
  Schmerzen leiden
• Schmerzintensität und emotionales
  Empfinden sind assoziiert
• Gefahr der medikamentösen Übertherapie
Es ist möglich chronische
       Schmerzen zu haben und nicht
                 zu leiden
                       • Prospektive bevökerungsbasierte Studie
                         mit Menschen > 50 Jahre in
                         Großbritannien; Schmerzmessung nach 0,3
                         und 6 Jahren.
                       • 40% berichteten Schmerzen zu jedem
                         Erfassungszeitraum
                       • 12% berichteten anhaltenden nicht
                         beeinträchtigenden Schmerz zu jedem
                         Zeitraum (75% davon mit Stufe 1
                         Analgetika behandelt)
                       • Trotz hoher Schmerzintensität gelingt es
                         einem Teil der Betroffenen, chronische
Jordan. EJP 2012;16:     Schmerzen zu haben ohne im Alltag
1185–1194                beeinträchtigt zu sein
Beeinträchtigende
               Schmerzen
• Repräsentative Stichprobe der deutschen Bevölkerung
  (14-90) mit 2510 Personen im Jahr 2013
   – Chronischer Schmerz (>= 3 Monate): 28,3% (19,7 Millionen)
   – Chronischer nicht-tumorbedingter Schmerz: 26,9% (18,7
     Millionen)
   – Chronischer beeinträchtigender nicht-tumorbedingter Schmerz:
     7,4% (5,2 Millionen)
       • 14-24 Jahre: 0.2%; 25-44 Jahre: 0,9%; 45-64 Jahre: 2,8%;
          >64 Jahre: 3.3%
   – Chronischer beeinträchtigender nicht-tumorbedingter Schmerz mit
     vermehrter psychischer Belastung („Schmerzkrankheit“): 2,8%
     (1,9 Millionen)

   Häuser. Schmerz 2014; 28:483-92
Macht der Schmerz das Leben
    unerträglich oder ist es das Leben, das
      den Schmerz unerträglich macht ?

Ratings von Schmerzintensität werden durch Stimmung
und Erschöpfung beinflusst.
Williams. Pain 2000;85:457-63
Dosiseskalation starke Opioide unter Annahme eines
linearen Dosis-Wirkungs-Verhältnis
Schmerzintensität das richtige Maß zur
   Steuerung der Schmerztherapie ?
                                       • Ballantyne: Intensity
                                         of Chronic Pain-The
                                         Wrong Metric ? N
                                         Engl J Me 2015
                                         ;373:2098-9
Individuelle bedeutsame Ziele, z. B.   • Sullivan M. Must we
• Mit Rollator außerhalb des Heims
   spazieren gehen                       reduce pain intensity
• Mehrere Stunden ohne                   to treat chronic pain?
   Unterbrechung schlafen
• An einer Geburtstagsfeier              Pain 2016;157:65-9
   teilnehmen
• Zufriedenheit mit
   Schmerzbehandlung
• Erträglicher Schmerz
Am häufigsten verordnete
Medikamente bei Senioren (N=321)
mit kognitiven Beeinträchtigungen

       Kölzsch. Eur J Pain 2012;16: 439–446
Metamizol
– Fehlende Evidenz bei chronischem
  Schmerz: Keine RCT
– Nebenwirkungen:
   •   Übelkeit
   •   Blutdruckabfall
   •   Allergische Reaktion: 0,2%
   •   Agranulozytose: 0,1-0,0001%
Paracetamol
 – Fehlende Evidenz bei chronischem
   Rückenschmerz: 1 RCT
   (zurückgezogen)
    • Saragiatto. Cochrane Database Syst Rev
      2016;6:CD012230
 – Keine Überlegenheit gegenüber
   Placebo bei Arthrose: 7 RCTs
    • Bennis. Basic Clin Pharmacol Toxicol 2016
      Mar;118(3):184-9
 – Geringe therapeutische Breite
    • > 6g/d bzw. > 2g/d bei Untergewicht,
      Fehlernährung, Alkoholismus:
      Leberzellnekrosen
        – Stamer. Schmerz 2012, S1:55
NSAR und chronischer
          Rückenschmerz
• Metaanalyse: “Six of the 13 included RCTs
  showed that NSAIDs are more effective than
  placebo regarding pain intensity. NSAIDs are
  slightly more effective than placebo regarding
  disability. However, the magnitude of the effects
  is small, and the level of evidence was low”.
  – Enthove. Cochrane Database Syst Rev 2016;2:CD012087
Kniearthrose –welche
                      Medikamente ?

• Netzwerkmetaanalyse mit 137 RCTs und mit         33 240
  Patienten: Paracetamol, Diclofenac, Ibuprofen,
  Naproxen, Celecoxib, intraartikuläre (IA) Korticosteroide,
  IA Hyaluronsäure, orales Placebo, und IA Placebo
• “ Intra-articular treatments were superior to nonsteroidal
  anti-inflammatory drugs, possibly because of the
  integrated IA placebo effect. Small but robust differences
  were observed between active treatments. All
  treatments except acetaminophen showed clinically
  significant improvement from baseline pain”.
   – Bannuru. Ann Intern Med 2015;162:46-54
Knie- und Hüftarthrose:
          welche NSAR ?
• Netzwerkmetaanalyse mit 74 RCTs und 58,556 Patienten
  mit 6 NSAR und Paracetamol
• Dosis-Wirkung-Effekte für Celecoxib, Diclofenac und
  Naproxen
• „Sound evidence that diclofenac 150 mg/day is the most
  effective NSAID available at present, in terms of
  improving both pain and function”
• “In view of the safety profile of these drugs, physicians
  need to consider our results together with all known
  safety information when selecting the preparation and
  dose for individual patients.”

Da Costa. Lancet 2016;387:2093-15
Burkhardt. Pharmakotherapie des Schmerzes bei älteren Patienten.
Schmerz 2015; 29:371–379
Topische NSAR
• 39 RCTs mit 10,600 Patienten: “Topical
  diclofenac and topical ketoprofen can
  provide good levels of pain relief beyond
  carrier in osteoarthritis for a minority of
  people, but there is no evidence for other
  chronic painful conditions.”
  – Derry. Cochrane Database Syst Rev 2016 4:CD007400
Wie wirksam sind Opioide
  im Vergleich zu Placebo ?
• Chronischer Arthroseschmerz (Parallel/cross over)
   – 50% Schmerzreduktion: 25,1% vs. 25,7%
   – Abbruchrate NW: 25,6% vs. 7,0% (NNH 5)

• Chronischer Rückenschmerz (Parallel/cross over)
   – 50% Schmerzreduktion : 26,2 % vs. 21,0% (NNT 19)
   – Abbruchrate NW: 21,1 % vs. 6,0% (NNH 7)

   Häuser. Dtsch Arztebl Int 2014;111:732-40.
Definitionen
       • Medizinische Behandlung =
         Spezifische und
         unspezifische Effekte.
       • Spezifische Effekte durch
         charakteristische Elemente
         der Intervention
       • Unspezifische Effekte
          – Placebo: Falls nützlich
          – Nocebo: Falls schädlich
Nocebo“response“
        • Noceboantwort ist die
          Verschlech-terung
          von Symptomen
          bedingt durch
          Faktoren der
          Wahrnehmung des
          Patienten einer
          Placebointervention
Komponenten
• Placeboantwort = Placeboeffekt plus
  positive Effekte unkontrollierter
  Begleitinterventionen plus spontane
  Besserung plus Regression zum
  Mittelwert
  – Ernst. BMJ 1995; 311:551-3

• Noceboantwort = Noceboeffekte plus
  negative Effekte unkontrollierter
  Begleitinterventionen plus spontane
  Symptomverschlechterung durch
  Grundkrankheit bzw. Begleit-
  erkrankungen
Relevante Nebenwirkungen
             Opioide
•   Übelkeit
•   Obstipation
•   Störungen Libido und Potenz
•   Somnolenz
•   Verwirrtheit
•   Erhöhte Sturzgefahr
•   Schlaf Apnoe Syndrom
Arthrose: NSAR oder Opioide ?
• Netzwerkmetaanalyse mit 27 Studienarmen (9
  Studien mit Celecoxib,Diclofenac, Naproxen,
  Piroxicam; 11 Studien mit Tramadol und 3
  Studien mit Hydromorphon bzw. Oxycodon.
• Geringere Abbruchraten unter NSAR als unter
  Opioiden
• Vergleichbare Schmerzreduktionen (NSAIDs: -
  18; Tramadol: -18; starke Opioide: -19).
  Smith. Osteoarthritis Cartilage 2016;24:962-72
Wahl der Pharmakotherapie
• Die Wahl der Pharmakotherapie soll unter
  Berücksichtigung des vorliegenden
  chronischen Schmerzsyndroms, der
  Begleiterkrankungen des Patienten, von
  Kontraindikationen, Patientenpräferenzen,
  Nutzen und Schaden bisheriger Therapien
  und dem Nutzen-Risikoprofil von
  medikamentösen und nicht-medikamentösen
  Therapiealternativen erfolgen

Häuser. Dtsch Arztebl Int 2014;111:732-40
Expertenkonsens zur Therapie
     mit NSAR bei Arthrose
• Geringes GI und geringes kardiovaskuläres
  Risiko:Monotherapie mit nicht-selektivem NASR
• Niedriges GI und hohes kardiovaskuläres Risiko:
  Naproxen; Alternative: Celecoxib 200 mg/d
• Hohes GI und geringes kardiovaskuläres Risiko:
  Monotherapie mit COX-2 oder nicht-selektiver NASR mit
  PPI
• Hohes GI und hohes kardiovaskuläres Risiko: Keine
  NSAR/Coxibe
   – Scarpinto. BMC Med 2015;13:55

• Niereninsuffizienz: Keine NSAR / Coxibe
Durchführung
              Opioidtherapie
• Die Therapie soll mit niedrigen Dosen begonnen werden.
• In Abhängigkeit von Wirksamkeit und Verträglichkeit soll
  die Dosis schrittweise gesteigert werden, um die
  individuellen Therapieziele zu erreichen.
• Eine optimale Dosis liegt bei einem Erreichen der zuvor
  formulierten Therapieziele bei gleichzeitigen geringen
  bzw. tolerablen Nebenwirkungen vor.
• Eine Dosis von > 120 mg/Tag orales Morphinäquivalent
  soll nur in Ausnahmefällen überschritten werden.
Andere zentralwirksame
       Substanzen

• Hypnotika und Tranquilizer sollten vor
  Beginn einer Therapie mit opioidhaltigen
  Substanzen reduziert oder abgesetzt
  werden.
  – Oxycodon 40 mg 1-0-1-0
  – Trimipramin 100 mg 0-0-0-1
  – Quetiapin 25 mg 1-0-2-0
  – Zopiclon 7,5 mg 0-0-0-1
Durchführung
• Eine antiemetische Behandlung kann bereits zu Beginn
  der Therapie erfolgen. Nach etwa 2- 4 Wochen soll die
  Indikation für ein Absetzen der antiemetischen Therapie
  überprüft werden.
• Die Behandlung von Obstipation mit Laxantien sollte bei
  den meisten Patienten prophylaktisch begonnen werden.
  Bei vielen Patienten kann während der gesamten
  Therapiedauer mit opioidhaltigen Analgetika die Gabe
  von Laxantien erforderlich sein
• Praxiswerkzeuge:
  http://www.dgss.org/versorgung/leitlinien-zur-
  schmerzbehandlung/von-der-deutschen-
  schmerzgesellschaft-ev-initiierte-leitlinien/
Therapieüberwachung
• Bei einer Langzeittherapie mit Opioiden soll in
  regelmäßigen Abständen überprüft werden, ob
  die Therapieziele weiter erreicht werden und ob
  es Hinweise für Nebenwirkungen (z. B.
  Libidoverlust, psychische Veränderungen wie
  Interesseverlust, Merkfähigkeitsstörungen sowie
  Sturzereignisse) oder für einen Fehlgebrauch der
  rezeptierten Medikamente gibt.
Beendigung der Therapie
• Wenn in der Einstellungsphase (maximal 12 Wochen)
  bzw. Erhaltungsphase die individuellen Therapieziele
  nicht erreicht bzw. (aus Patienten- und /oder Arztsicht)
  nicht ausreichend therapiebare bzw. nicht tolerierbare
  Nebenwirkungen auftreten

• Wenn die individuellen Therapieziele durch andere
  medizinische Maßnahmen (z.B. OP, Bestrahlung,
  ausreichende Behandlung des Grundleidens) oder
  physiotherapeutische oder physikalische oder
  psychotherapeutische Maßnahmen erreicht sind
Zusammenfassung
• Individuelle Indikationsstellung
  – Schmerzintensität nicht (immer) das
    geeignete Maß zur Indikation
• Individuelle Therapieziele
• Engmaschige Kontrolle Wirksamkeit und
  Verträglichkeit
  – Schmerzintensität nicht (immer) das
    geeignete Maß zur Steuerung
• Therapie beenden bei
  – Fehlender Wirksamkeit
  – Individuell relevanten Nebenwirkungen
Zusammenfassung
• Arthroseschmerzen: Ausreichende Evidenz
  für Wirksamkeit nur für (lokale) NSAR
• Rückenschmerzen: Ausreichende Evidenz
  für Wirksamkeit nur für NSAR und Opioide
• Individueller Therapieversuch mit anderen
  Substanzen (Paracetamol, Metamizol)
  möglich
Zusammenfassung
• Begleiterkrankungen bei der Auswahl der
  Medikamente berücksichtigen
• Langzeittherapie mit NSAR und Opioide
  bei Senioren ist problematisch
     Lokale Therapien
     Intermittierende Therapie
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