Megatrends und Herausforderungen für die Schweiz - Report von swissfuture im Auftrag von digitalswitzerland Georges T. Roos, Zukunftsforscher
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Megatrends und Herausforderungen für die Schweiz Report von swissfuture im Auftrag von digitalswitzerland Georges T. Roos, Zukunftsforscher
Megatrends und Herausforderungen für die künftige Schweiz Management Summary Dieser Report beschreibt Herausforderungen für die Schweiz Um blinde Flecken zu vermeiden und potenzielle Herausforderun- aufgrund einer Megatrend-Analyse. Auftraggeber ist digital- gen in alle Richtungen zu erfassen, bedient sich der Report switzerland (ds). Der Report soll ds als Grundlage für die einer 3600-Perspektive: Zur Strukturierung wurden sieben Le- Formulierung neuer Roundtables und Wetten dienen. benswelten mit entsprechenden Handlungsfeldern beschrieben. Die Lebenswelten sind ab Seite 10 dargestellt. Der Mehrwert dieses Reports besteht in der futurologischen Perspektive: Megatrends sind strukturelle, langfristige, glo- Mithilfe eines Expertengremiums wurden 20 Herausforderungen bal und ubiquitär wirkende Veränderungskräfte. Digitalisie- identifiziert. Sie sind im Kontext der Megatrends begründet. rung ist aus dieser Warte einer von mehreren Megatrends. Hier Die Herausforderungen sind ab Seite 11 dargestellt. wird die Digitalisierung daher im Kontext und Zusammenspiel mit anderen Megatrends betrachtet. swissfuture hat die 20 Herausforderungen im Hinblick auf die Stossrichtung von ds priorisiert. 8 Herausforderungen stehen Der Report beschreibt 16 Megatrends. Ausführlich dargestellt im Vordergrund. Unsere Empfehlungen sind ab Seite 27 darge- mit der globalen und der schweizerischen Perspektive sind sie stellt. im Anhang. Die Kurzversionen sind ab Seite 6 dargestellt. Luzern, im Januar 2018 2
Megatrends und Herausforderungen für die künftige Schweiz Inhaltsverzeichnis Management Summary 2 Die Herausforderungen in den Lebenswelten: Auftrag und Ansatz 4 1_Aufwachsen / Zusammenleben / alt werden 11 2_Konsum / Ernährung / Ressourcen 13 Vorgehen 5 3_Macht und Verantwortung 15 Der Begriff Megatrends 5 4_Gesundheit 19 Die 16 Megatrends 6 5_Mehrwert und Wohlfahrt 21 6_Bildung und Information 24 Lebenswelten – Die 3600 Perspektive 10 7_Siedlung und Mobilität 26 Diskussion und Empfehlungen 27 Impressum 30 Anhang: Megatrends, Beschreibung & Indikatoren, Verknüpfungen mit anderen Megatrends 31-42 swissfuture 2018 3
Auftrag Im Auftrag von digitalswitzerland (ds) hat swissfuture künf- tige Herausforderungen der Schweiz aufgrund von Megatrends analysiert. Der Bericht soll ds dazu dienen, weitere Round- tables und Wetten zu definieren. Ansatz Wir benennen die Herausforderungen, die sich aus den Me- zen die Digitalisierung in den Kontext und in das Zusammen- gatrends ergeben – den strukturellen, tektonischen Verschie- spiel mit den weiteren 15 Megatrends, die wir identifiziert bungen von generellen Umfeldbedingungen. Aus anderen Perspek- haben. tiven würden sich teilweise andere Herausforderungen ergeben. In der futurologischen Perspektive sehen wir den Mehrwert die- Unter Herausforderungen verstehen wir Handlungsfelder, die ei- ses Reports: Zukunftsforschung hat den Zweck, die Akteure in nen künftigen Gestaltungsbedarf aufweisen. Megatrends verän- der Gegenwart über Trends und Entwicklungen zu informieren, dern die Umfeldbedingungen. Der „Outcome“ ist offen, er kann damit diese im Hinblick auf die Zukunft bessere Entscheide gestaltet werden. Wer die Akteure des Gestaltungsprozesses treffen können. sein sollen und werden, lassen wir offen. Es kann die Politik sein, die Verwaltung, die Wirtschaft als Ganzes, einzelne Die digitale Transformation ist kein Selbstzweck. Sie ist ei- Branchen oder Unternehmungen, die Zivilgesellschaft oder ein- nerseits Teil möglicher Lösungen für die Herausforderungen der zelne Individuen. Daher haben wir auch nicht bestimmte Teil- Zukunft. Anderseits erwachsen gerade aus ihr neue Herausforde- systeme wie etwa die Wirtschaft im Blick, sondern die Schweiz rungen. Die Digitalisierung ist selbst ein Megatrend. Wir set- als geografisch, sozioökonomisch und politisch bestimmten Le- bensraum. Die Megatrends hingegen sind per Definition global und ubiquitär wirksame Kräfte langer Dauer.
Vorgehen Die 13 Megatrends und 3 embryonalen Megatrends sind das Ergeb- gesetzten Budgets, die für die Erarbeitung dieses Reports zur nis eines Desk-Research. Sie wurden in einem Workshop mit aus- Verfügung standen, wollen wir die Liste der Herausforderungen gewählten Experten begutachtet und ergänzt. als Skizze verstanden wissen. Es ist – bei Bedarf – allerdings Zur Strukturierung der potenziellen Handlungsfelder wurden ein leichtes, das Herausarbeiten der Herausforderungen aus den sieben Lebenswelten beschrieben. Ziel dieser Strukturierung Megatrends mit einer breiter abgestützten Expertengruppe zu war eine 3600-Rundumsicht, um potenzielle Herausforderungen in wiederholen. Obwohl wir von einer Skizze sprechen, sind wir alle möglichen Richtungen zu entdecken und blinde Flecken mög- der Ansicht, dass das Ergebnis relevant und aussagekräftig lichst zu vermeiden. ist: Zwanzigmal so viele Experten führt erfahrungsgemäss nicht In einem Workshop mit sieben Expertinnen und Experten wurden zu einem zwanzigmal besseren Ergebnis. aufgrund der Megatrends in den sieben Lebenswelten die Heraus- forderungen identifiziert. Angesichts der kurzen Zeit und des Der Begriff «Megatrends» Den Begriff „Megatrend“ hat 1982 der amerikanische Futurologe Aspekten (ubiquitär). Die Begrifflichkeit von Megatrends ist John Naisbitt im gleichnamigen Bestseller geprägt. Darin be- nicht eindeutig und drückt zuweilen Forschungsinteressen aus. schreibt er zehn übergeordnete Entwicklungen. Im heutigen Ver- Wir haben in diesem Bericht den Begriff „embryonaler Me- ständnis sind Megatrends übergeordnete „Grosswetterlagen1“, die gatrend“ eingeführt. Damit drücken wir aus, dass strukturelle sich an zahlreichen Wandlungsmustern hermeneutisch erschlies- Verschiebungen neuer Art antizipierbar sind, die global und sen lassen. Um als Megatrend zu gelten, muss eine solche ubiquitär wirksam zu werden scheinen. Da sie aber neu und strukturelle Veränderung global sowie bereits über längere nicht bereits Jahrzehnte im Anschlag sind, erfüllen sie die Zeit beobachtbar sein, und zwar in den unterschiedlichsten Kriterien eines Megatrends noch nicht. Embryonal bezeichnet demnach ein werdender Megatrend. 1 http://www.gdi.ch/de/Think-Tank/Studien/010151/Megatrends-Plaene-fuer-eine-unplan- bare-Welt nachgeschlagen am 5.1.2018 5
Liste der Megatrends2 Die ausführlichen Beschreibungen der Megatrends mit Quellenan- gaben, den Indikatoren zu den einzelnen Megatrends und wie sie sich in der Schweiz manifestieren, ist dem Anhang (ab S. 31) zu entnehmen. Hier die Kurzversionen: 1. Bevölkerungswachstum 3. Urbanisierung Die Weltbevölkerung wächst bis 2050 auf über 9 Mrd. an. Seit 2008 lebt die Mehrheit der Weltbevölkerung in Städ- Europa ist mit einer schrumpfenden Bevölkerung ein Son- ten. 2030 werden es 5 Mrd. sein. Zahlreiche neue Megaci- derfall unter den Kontinenten. Am meisten wächst Afrika ties mit mehr als 10 Mio. Einwohnern werden entstehen. mit einer Bevölkerungszunahme von über 1 Mrd. (plus 120% Der Urbanisierungsgrad der Schweiz beträgt 85% (Anteil gegenüber 2010). Die Schweiz dürfte um 2040 10 Mio. Ein- der Bevölkerung in Städten) und wird weiterwachsen. wohner haben. 4. Individualisierung 2. Aging Society Die Pluralisierung und Ausdifferenzierung der Lebens- Die Bevölkerung über 60 Jahre ist weltweit die am stile werden universaler und radikaler. Komplementär schnellsten wachsende Altersgruppe. Einzig Afrika ist dazu wächst auch die Tribalisierung. In der Schweiz wird davon ausgenommen. Die Lebenserwartung wird weltweit bis die Normalbiografie immer seltener. Sie wird von indivi- 2050 auf 76 Jahre ansteigen (heute 71). In der Schweiz duellen Multigrafien abgelöst. wird bis 2050 die Bevölkerung über 65 um mehr als 50% zunehmen. Der Altersquotient wird beinahe 50% betragen. 5. Gesundheitsexpansion Der Gesundheitszustand der Weltbevölkerung nimmt in un- terschiedlichem Tempo auf der ganzen Welt zu. Die Ge- sundheitsmärkte wachsen in den meisten Ländern schneller 2 Kriterien: epochal / global / ubiquitär (Zukunftsinstitut: zusätzlich „komplex“ – entspricht aber in weiten Teilen der Ubiquität) 6
als das BIP und könnten sich bis 2030 auf insgesamt 20 8. Ökologisierung & Ressourcenverknappung Bio. Dollar vervierfachen (im Vergleich zu 2010). Die Mit dem Pariser Klimaabkommen hat sich die Weltgemein- Alterung der Schweizer Bevölkerung, die Zunahme der schaft zur Reduktion von Treibhausgasemissionen ver- chronischen Krankheiten und der medizinische Fortschritt pflichtet. Nachhaltiges Wirtschaften und ein nachhalti- werden die Gesundheitskosten in der Schweiz bis 2030 um ger Lebensstil bestimmen zunehmend die politische 60% ansteigen lassen. Agenda. Bis 2040 werden weltweit zwei Drittel aller Kraftwerkinvestitionen in erneuerbare Energien fliessen. 6. Nomadisierung Ihr Anteil an der weltweiten Energieproduktion wird dann Immer mehr Menschen sind unterwegs, um grundlegende Be- 40% betragen. Die Schweiz ist vom Klimawandel überdurch- dürfnisse zu decken. Einerseits leben mehr Menschen denn schnittlich betroffen: Der Temperaturanstieg gegenüber je ausserhalb ihres Geburtslandes (plus 41% gegenüber der vorindustriellen Zeit ist hier doppelt so gross wie 2000). Andererseits legen immer mehr Menschen teilweise im weltweiten Durchschnitt. lange Wegstrecken für Arbeit, Einkauf und Freizeit zu- rück. 2025 dürften weltweit 2 Mrd. Autos in Betrieb sein 9. Digitalisierung (2015: 1.3 Mrd.). In der Schweiz werden die jährlichen Die Zahl digitaler Repräsentationen von physischen Ob- Personenkilometer bis 2030 um 16% (MIV) bzw. 18% (öV) jekten, Ereignissen und analogen Medien erhöht sich zunehmen (gegenüber 2010). rasch. Immer mehr Prozesse und Produkte existieren aus- schliesslich digital. Im Jahr 2015 stand fast in neun 7. Beschleunigung von zehn Haushaltungen in der Schweiz ein PC (weltweit Das Tempo technologischer Innovationen erhöht sich, die Platz 7). Geschwindigkeit des Transports und der Kommunikation nimmt zu, der Lebenszyklus von Produkten und Organisati- 10. Konnektivität onen wird kürzer. Die Menschen haben in der gleichen Die Vernetzung von Computer nimmt rasch zu. Zu den welt- Zeit immer mehr Erlebnisepisoden. Auch der soziale Wan- weit 2 Mrd. vernetzten Rechnern kommen in den nächsten del beschleunigt sich. Miteinher geht eine Flexibilisie- Jahren 10 Mrd. reale Gegenstände dazu (Internet der rung von Institutionen wie Familie, Arbeit und Beruf und Dinge). Das Organisationsprinzip „Konnektivität“ (Offen- zeitigt in der Schweiz in den zunehmenden Befindlich- heit und Anschlussfähigkeit von Systemen) greift weiter keitsstörungen (Stress, Burnouts) auch negative Folgen. um sich. 93% der Schweizer Haushaltungen haben Internet- anschluss, 95% ein Mobiltelefon. 7
11. Globalisierung Arbeitsplätze hin zu technologieorientierten und wis- Der weltweit statistisch erfasste Warenexport stieg seit sensintensiven Bereichen fort. 2030 wird 53% der Bevöl- 1960 um das 18-fache an, Auslanddirektinvestitionen ha- kerung zwischen 25 und 64 Jahren über einen Tertiärab- ben sich seit 1970 verhundertfacht. China wird die USA schluss verfügen. bald als grösste Volkswirtschaft der Welt ablösen. Trotz einiger Irritationen ist keine generelle Trendwende zur 13. Transparenz Deglobalisierung festzustellen. Die Schweiz ist als Ex- Als Prinzip ist Transparenz weltweit auf dem Vormarsch, portland tief in die Globalisierung eingebunden. wenn gleich nicht überall eingelöst. Die Weltgemein- schaft pocht vermehrt auf Offenlegung von Informationen 12. Wissensexpansion zu Daten, Strukturen und Interessen von öffentlichen und Das Wissen der Menschheit vermehrt sich exponentiell, privaten Institutionen. In der Schweiz gilt seit einigen selbst wenn kritisch bleibt, ob es sich dabei um mehr Jahren das Öffentlichkeitsprinzip in der Verwaltung. Wissen oder einfach um mehr Informationen handelt. Pa- Whistleblowers werden teilweise rechtlich geschützt. In rallel dazu ist weltweit eine Bildungsexpansion zu be- der Wissenschaft gelten vermehrt die Prinzipien Open obachten. In der Schweiz setzt sich die Verlagerung der Data, Open Access und Open Source. Liste der Embryonalen Megatrends3 14. Technologische Autonomisierung Intelligenz als medizinische Assistenten, u.ä.m.: Wir gehen davon aus, dass autonome Systeme sehr bald in Selbstlernende Maschinen erledigen Tasks autonom. sehr unterschiedlichen Anwendungsfeldern eine grosse Rolle spielen. Autonome Fahrzeuge und Drohnen, sich 15. Trusted Networking / Blockchain selbst assemblierende und korrigierende Produktionsanla- Wir gehen davon aus, dass Blockchain als Basis für digi- gen (Smart Factory), Bots im Kundendienst, smarte Robo- tale Transaktionen weltweit in sehr vielen Anwendungs- ter in Industrie und Dienstleistungsbranchen, Künstliche feldern eine grosse Rolle spielen wird. Blockchain ist 3 Wir bezeichnen embryonale Megatrends solche, die noch nicht alle Kriterien eines Megatrends erfüllen (s. Fussnote 2, Seite 6), aber mit grosser Wahrscheinlichkeit sich zu Megatrends entwickeln werden. 8
für Transaktionen, was das Internet für Daten war. Im Tieren und Menschen und die Möglichkeiten zur Verschmel- Wesentlichen geht es um vertrauenswürdige und fäl- zung von Lebewesen mit Technologie (Cyborg) kann zu ei- schungssichere Buchführung jeglicher Art von Transaktio- nem Megatrend führen, der hier „Bio-Transformation“ ge- nen, seien es Werte einer Währung, Grundbücher, Patien- nannt wird. Kurz gesagt ist es ein Upgrade der Biologie. tendaten oder digitale Abstimmungen. Schweizer Unterneh- Die viel einfachere, sichere und schnellere Möglichkeit men sind in diesem Feld sehr gut aufgestellt. zur genetischen Edition durch die Genschere CRISPR/Cas9 wird grossen Einfluss in der Medizin und im Pflanzenbau 16. Bio-Transformation haben. Bio-Transformation wird zudem für die Energiege- Die neuen Möglichkeiten zur Veränderung von Pflanzen, winnung, für neue Materialien aus biologischen Komponen- ten und für die Abfallentsorgung eine Rolle spielen. Abbildung 1: Verknüpfungen der Megatrends untereinander: Je grösser, desto öfter als Verknüpfung eines anderen Megatrends genannt (s. Anhang) 9
Lebenswelten Megatrends wirken potenziell in alle Richtungen. Um dieser Report ist die Systematik hilfreich, weil sie in alle Richtun- Ubiquität Rechnung zu tragen, haben wir uns einer Systematik gen (ökonomisch, sozial, politisch, technologisch) zielt. Die der Rundumschau bedient, welche das Zukunftsprojekt ima- Systematik folgt einfachen Leitfragen und benennt die entspre- gine20504 entworfen hat. Bei diesem Projekt geht es darum, die chenden Handlungsfelder. Die sieben Lebenswelten lauten: Zukunft der Schweiz integral vorstellbar zu machen. Für diesen Erste Lebenswelt: Wie werden wir aufwachsen, zusammenleben und Vierte Lebenswelt: Wie werden wir uns gesund halten? alt werden? betrifft: Medizin, Bewegung, Lebensstil, Gesundheitsversorgung betrifft: Erziehung, soziale Interaktion, Integration, Haus- halt, Wohnen, Privatsphäre, Alterung Fünfte Lebenswelt: Wie werden wir Mehrwert und Wohlfahrt schaffen und teilen? Zweite Lebenswelt: Wie werden wir uns mit Gütern eindecken? betrifft: Arbeit, Wertschöpfung, Industrie 4.0, Sozialsystem, betrifft: Konsum, Ernährung, Landwirtschaft, Logistik, Stoff- Finanzströme, Bruttonationalglück kreislauf, Ressourcen Sechste Lebenswelt: Wie werden wir uns bilden und informieren? Dritte Lebenswelt: Wie werden wir Macht aushandeln und Verant- betrifft: Schule, Wissen, Medien, Kommunikation, Kultur, wortung tragen? Künstliche Intelligenz betrifft: Demokratie, Partizipation, Gemeinsinn, Solidarität, Zivilgesellschaft, Sicherheit Siebte Lebenswelt: Wie werden wir siedeln und uns bewegen? betrifft: Mobilität, funktionale Räume, Besiedlung, ökologi- scher Fussabdruck 4 Imagine2050.ch Ein noch unveröffentlichtes Projekt von Georges T. Roos, Daniel Wiener und Roman Kuhn (2017) 10
Herausforderungen in den Lebenswelten Wir haben die Megatrends für jede dieser Lebenswelten auf Her- ausforderungen mit künftigem Gestaltungsbedarf analysiert und sind auf 20 Herausforderungen gestossen: Erste Lebenswelt: Wie werden wir aufwachsen, zusammenleben und alt werden? 1. Wie ist informationelle Selbstbestimmung in der digitalen Welt durchsetzbar? - Digitalisierung, Konnektivität und insbesondere die Selbstbestimmungsge- Digitalisierung Technologische Autonomisierung (Informationsauswertung bot, wie es sich durch intelligente Systeme) schaffen den gläsernen Men- auch aus der Indivi- Wissensexpansion schen. Oft ist es für den einzelnen kaum möglich zu wis- dualisierung ergibt, sen, wer über ihn Informationen verfügt, insbesondere nachzukommen. Individualisierung solche, welche die Privatsphäre verletzen. Die informa- - Die Mehrheit der Be- tionelle Selbstbestimmung ist trotz gesetzlichem Schutz völkerung versteht Transparenz (noch) kaum einlösbar. Die multinationale Aufstellung die Risiken in der Techn. Autonomisierung von Datenfirmen im Zuge der Globalisierung erschwert die breitwilligen Preis- Wahrnehmung von Rechten zusätzlich. gabe von Daten erst Globalisierung - Transparenz ist einseitig: Während Datenfirmen einen im- in Ansätzen. Aufklä- mer vollständigeren Durchblick haben, hat der Bürger/die rung und Bildung Konnektivität Bürgerin keinen Durchblick und damit auch keine Kon- sind noch unzulänglich (Wissensexpansion). trolle. - Es ist denkbar, dass es zukünftig Applikationen der - Erst die Hoheit über die eigenen Daten schafft die Mög- Künstlichen Intelligenz im Dienste der informellen lichkeit, sich gegen potenzielle Benachteiligung durch Selbstbestimmung geben wird. Normierung und Klassifizierung zu wehren und damit dem
2. Wie werden die Kosten aus der alternden Bevöl- kerung gerecht auf die Generationen verteilt? - Die Schweiz ist eine alternde Gesellschaft/ Aging wenn der politische Aging Society Society: Das Verhältnis von Erwerbstätigen zu Rentnern Vorbehalt gegenüber entwickelt sich ungünstig. Durch die Gesundheitsexpan- Zuwanderung aus aus- Bevölkerungswachstum sion steigt die Lebenserwartung noch weiter an und mög- sereuropäischen Kultu- Gesundheitsexpansion licherweise wird die durchschnittliche Lebensspanne im ren wachsen sollte. Zuge der Bio-Transformation sogar weit schneller wach- - Im Zuge der Individua- Bio-Transformation sen, als heutigen Modellen zugrunde gelegt ist. lisierung könnte die Individualisierung - Im bisherigen Umlagesystem der AHV zahlen die Erwerbstä- Bereitschaft zu Soli- tigen für immer mehr Rentner. Das Verhältnis verschlech- darleistungen der Er- Nomadisierung tert sich noch weiter, wenn das Wanderungssaldo (Nomadi- werbsbevölkerung sin- sierung, Bevölkerungswachstum) kleiner oder gar negativ ken. Umgekehrt besteht die Möglichkeit für die ältere werden sollte, was angesichts der insgesamt schrumpfen- Generation, aufgrund ihres politischen Gewichts genera- den europäischen Bevölkerung möglich ist – insbesondere, tionenspezifische Interessen durchzusetzen (Gerontokra- tie).
Zweite Lebenswelt: Wie werden wir uns mit Gütern eindecken? 3. Wie verkleinern wir den ökologischen Fussab- und Energie könnte die Ökologisierung druck? Technologische Autono- misierung Fortschritte Bevölkerungswachstum bringen (smarte Mobi- - Aus ökologischer Sicht lebt die Schweiz auf zu grossem lität, Smart City), Techn. Autonomisierung Fuss: Der ökologische Fussabdruck ist über dreimal so gehören doch Heizanla- gross, wie uns aufgrund der verfügbaren Ressourcen zu- Bio-Transformation gen und Verbrennungs- stehen würde (Ökologisierung). Die globale wirtschaftli- motoren zu den gewich- che Entwicklung und das Bevölkerungswachstum werden die Nomadisierung tigsten Emittenten Herausforderungen der Ressourcenverknappung noch ver- klimaschädigender Gase (Nomadisierung, Bevölkerungs- schärfen. wachstum). Die Bio-Transformation verspricht biologisch - Der Stoffkreislauf unseres Konsums (Produktion, Ver- abbaubare Materialien und Entsorgungsprozesse, aber auch brauch, Wiederverwertung, Entsorgung) muss besser ge- ressourcenschonende Anbaumethoden in der Landwirtschaft, schlossen und effizienter werden. Im Bereich Mobilität bis hin zur Produktion erneuerbarer Energie. 13
4. Was soll die Landwirtschaft in Zukunft leis- aus einer einzigen Zelle nach zwei Mona- Globalisierung ten? ten im Bioreaktor Konnektivität 10'000 kg Fleisch ge- - Wirtschaftlich betrachtet ist die Landwirtschaft von un- züchtet werden kann, Techn. Autonomisierung tergeordneter Bedeutung: Ihr Anteil am BIP beträgt 1%, wobei nur die Hälfte ihr Anteil an der Beschäftigung 4%. Anders sieht es bei der Energie verbraucht Bio-Transformation den Kosten aus: Die Landwirtschaft kostet Steuerzahler wird und nur gerade 4% und Konsumenten sehr viel, 7 Mrd. CHF an Transferzahlun- Ökologisierung der Treibhausgasemis- gen – nur Norwegen leistet sich eine teurere Landwirt- sionen entstehen im Wissensexpansion schaft, gemessen am Anteil der Stützungsbeiträge am Vergleich zur herkömm- Bruttoeinkommen der Landwirte (>50%). Das Agrar-Dossier lichen Tierzucht. Gesundheitsexpansion ist ein Hemmschuh für die wirtschaftliche Öffnung im - Intensive Landwirt- Zuge der weiteren Globalisierung. Bevölkerungswachstum schaft steht wegen - Digitalisierung, Konnektivität und insbesondere die drohender Übernutzung Individualisierung Technologische Autonomisierung (autonome Landmaschinen, der Böden und drohen- Drohnen) eröffnen Möglichkeiten zur Effizienzsteigerung der Gefährdung der Ar- Urbanisierung in der Landwirtschaft. Zudem eröffnen digitale Plattfor- tenvielfalt mit der men viele Möglichkeiten der Direkt-Vermarktung. Ökologisierung in Konflikt. Im Zuge der Wissensexpansion - Das globale Bevölkerungswachstum wird die Ernährungssi- (besser informierte Konsumenten) und v.a. der Gesund- cherheit noch mehr in den Fokus rücken. Damit bis 2050 9 heitsexpansion wird die Nachfrage nach gesunden, ökolo- Mrd. Menschen ausreichend ernährt werden können, bedarf gischen, dem Tierwohl entsprechenden Lebensmitteln bzw. es in vielen Erzeugerländern Verbesserungen in der Lo- Produktionsmethoden steigen. gistik aber auch Verhaltensanpassungen in den fortge- - Urban Farming hat zum Ziel, die Produktion von Lebens- schrittenen Volkswirtschaften (z.B. Fleischkonsum). Die mitteln wieder näher zum Konsumenten zu bringen – der Bio-Transformation eröffnet mit Fleisch aus dem Bioreak- vornehmlich in der Stadt lebt (Urbanisierung). tor mögliche Lösungen. Experten gehen davon aus, dass
Dritte Lebenswelt: Wie werden wir Macht aushandeln und Verantwortung tragen? 5. Wie verbessern und gewährleisten wir Sicher- Society) und führt zur digitalen Verdrossen- Digitalisierung heit in der digitalen Welt? heit. Die Schnitt- Konnektivität stelle zwischen Mensch - Je mehr unsere Welt digitalisiert und vernetzt ist, und Maschine sollte Techn. Autonomisierung desto verletzbarer ist sie gegenüber Cybercrime. Wenn noch viel besser wer- wir dieser Bedrohung nicht Herr werden, könnte die digi- den. Aging Society tale Transformation das Vertrauen der Öffentlichkeit - Gemäss Aussagen von Experten verstehen selbst die Pro- verlieren und durch offenen oder stummen Widerstand aus- grammierer nur noch unzulänglich, warum Künstliche In- gebremst werden. (Digitalisierung, Konnektivität). Es telligenz zu einem bestimmten Resultat kommt (Technolo- gibt Ansätze, wie Künstliche Intelligenz zur Abwehr von gische Autonomisierung). Möglicherweise entsteht eine Cyberattacken genutzt werden kann. neue Berufsgattung: Digitale Controller. - Die schnelle und unausgegorene Einführung von Apps ver- unsichert ganz besonders die ältere Generation (Aging 15
6. Wie kann die digitale Transformation die poli- grosser Zahl propagan- distische Inhalte. So- Wissensexpansion tische Partizipation, die staatsbürgerliche ziale Medien waren Kompetenz und politische Verantwortung fördern Konnektivität nicht in der Lage oder und zu einer relevanten politischen Öffent- willens, darüber aus- Individualisierung lichkeit beitragen? reichende Transparenz zu schaffen. Techn. Autonomisierung - Die direkte Demokratie lebt von der Teilnahme der Bürge- - Ohne ein Mindestmass Transparenz rinnen und Bürger. Dafür ist eine relevante Öffentlich- an Respekt gegenüber keit nötig, wo sich die Bürgerinnen und Bürger über eine politischen Gegnern Aging Society Vorlage informieren (Wissensexpansion) und Argumente funktioniert Demokra- austauschen können. Soziale Medien (Konnektivität) kön- tie nicht. Soziale Medien scheinen Enthemmungen zu för- nen viel dazu beitragen, bergen aber zugleich die Gefahr dern, die sich früher in einer sehr begrenzten Öffent- von Filterblasen: Die Individualisierung fördert soziale lichkeit (Stammtisch, Pausengespräche) manifestierten, Verbünde der Gleichgesinnten – mit dem Nachteil, dass nun aber in einer unbegrenzten Öffentlichkeit auftreten, andere Perspektiven immer weniger wahrgenommen werden was viel destruktiver wirkt. und im Extremfall zur Fragmentierung und Tribalisierung - Aufgrund der demografischen Entwicklung wird eine Geron- der Gesellschaft führen. Algorithmen der sozialen Medien tokratie möglich – eine generationenspezifische Dominanz begünstigen die Fragmentierung der Gesellschaft und die von älteren Stimmbürgern zulasten der jüngeren. Soziale Bildung von Filterblasen, was durch künstliche Intelli- Medien und haben das Potenzial, im politischen Prozess genz wohl noch weiter zunehmen wird (Technologische Au- jenen zu einer Stimme zu verhelfen, die sonst weniger tonomisierung). wahrgenommen werden. Weil die jüngeren Menschen eine - Seit dem letzten US-Präsidentschaftswahlkampf und dem grössere Affinität zu sozialen Medien haben, könnten so- Brexit sind die Beeinflussungsversuche demokratischer ziale Medien das wachsende Übergewicht der älteren Gene- Prozesse durch bewusst gestreute Falschmeldungen in den ration (Aging Society) im politischen Prozess etwas aus- Fokus der Aufmerksamkeit geraten. Bots generierten in gleichen.
7. Wie kann die Regulierung in einer volatilen teilweise problemati- sche Entwicklungen Trusted Networking und beschleunigten Welt zeitnah und prospektiv einzuwirken. Sie hinkt Rahmenbedingungen setzen, die anpassungsfähig Beschleunigung entweder weit hinten sind, die Nutzung neuer Chancen nicht verhin- nach, oder versperrt Wissensexpansion dert und negative Auswüchse dennoch frühzeitig zu früh und zu radikal verhindert? neue Wege (z.B. Tech- Transparenz nologien) ohne ausreichende Kenntnisse über mögliche - In der Wirtschaft gelten Rapid Prototyping bzw. Beta- Folgen zu haben (Transparenz, Wissensexpansion). Versionen als mögliche Strategien um mit der Beschleuni- - Könnten provisorische Gesetze und Verordnungen mit fest- gung der technologischen Entwicklung und des internatio- gesetztem Ablaufdatum neue Instrumente der Politik sein? nalen Wettbewerbs Schritt zu halten. In der Politik feh- Könnten Vernehmlassungen dank sicheren Netzwerken (Trus- len weitgehend Instrumente, zeitnah regulierend auf ted Networking) digitalisiert und beschleunigt werden?
8. Wie und was kann die Schweiz zu Afrikas Ent- - Der Informations- und Globalisierung wicklung beitragen? Kommunikationstechno- logie wird eine Bevölkerungswachstum Schlüsselrolle für die - Die Schweiz profitiert von der Globalisierung und der Nomadisierung Entwicklung zugespro- positiven ökonomischen Entwicklung in den meisten Welt- chen: Digitalisierung, gegenden. Von letzterer ausgenommen sind weite Teile Af- Urbanisierung Konnektivität und rikas. Da hier das grösste Bevölkerungswachstum statt- Trusted Networking Digitalisierung finden wird (plus 120% bis 2050) und dabei die jüngste könnten eine grosse Bevölkerung auf der ganzen Welt entstehen wird, muss der Konnektivität Rolle spielen. Entwicklung Afrikas grosse Aufmerksamkeit geschenkt wer- - Das duale Bildungssys- den. Die junge Bevölkerung ist eine Chance für Afrika Trusted Networking tem der Schweiz ist (die „demografische Chance“), aber auch – wenn die wirt- schaftliche und soziale Entwicklung ausbleiben sollten – für viele Länder vor- Ökologisierung bildhaft (Wissensex- ein grosses Risiko, wovon der Rest der Welt in Form ei- pansion) und könnte Wissensexpansion nes starken Migrationsdrucks (Nomadisierung) und politi- als Modell für Entwicklungsländer dienen. scher Instabilität betroffen wäre. - Fairer Handel mit den teilweise Rohstoffreichen und mit - Im Brennpunkt der Entwicklung stehen vor allem die fruchtbaren Ackerböden ausgestatteten Ländern Afrikas Städte (Urbanisierung). schafft Entwicklungschancen (Globalisierung, Ökologisie- rung).
Vierte Lebenswelt: Wie werden wir uns gesund halten? 9. Was kann die Digitalisierung zu einer Optimie- - Die zunehmende Selbst- Gesundheitsexpansion rung der Gesundheitsversorgung in der Schweiz vermessung durch mobile Apps generiert wert- Aging Society beitragen? volle Daten für eine effiziente und bessere Bio-Transformation - Die Gesundheitsversorgung in der Schweiz ist sehr teuer, Gesundheitsversorgung. das System enthält viele Fehlanreize und Doppelspurig- Transparenz Technologieunternehmen keiten. Im Zuge der Gesundheitsexpansion (Aging Society, werden zu neuen Mit- Konnektivität Bio-Transformation) drohen die Kosten auch künftig spielern im Gesund- schneller zu steigen als das BIP. Mit mehr Transparenz Techn. Autonomisierung heitsmarkt, die dank und einer besseren Vernetzung (Konnektivität) könnte das der vielen Gesund- Gesundheitssystem effizienter werden. Trusted Networking heitsdaten eine zent- - Ein bevorzugtes Anwendungsfeld von Künstlicher Intelli- rale Bedeutung haben Individualisierung genz ist die Medizin: Diagnostik (gerade auch von selte- werden. Die Herausfor- nen Krankheiten), Krebstherapie u.a.m. In der medizini- derung besteht, diese Daten zum Nutzen des medizinischen schen Versorgung könnte der SmartDoctor mit Künstlicher Fortschritts und der Optimierung des Gesundheitswesens Intelligenz (Technologische Autonomisierung) künftig zu integrieren. massgeblich zu mehr Effizienz und besserer Qualität bei- - Im Prinzip gehören persönliche Daten dem einzelnen Indi- tragen. viduum (Individualisierung). Die Herausforderung be- - Datensicherheit muss gerade im Gesundheitswesen Priori- steht, wie der einzelne dazu gebracht werden kann, seine tät haben. Die sich abzeichnenden Möglichkeiten sicherer Gesundheitsdaten zur Verfügung zu stellen. Denkbar wäre Transaktionen durch Blockchain/Trusted Networking könnte ein Modell, bei dem der einzelne finanziell profitiert, Teil der Lösung sein und dazu beitragen, Widerstände ge- wenn er sie zur Verfügung stellt. Das Modell könnte auch gen eHealth zu verringern. die Donation solcher Daten beinhalten. 19
10. Wie kann ein gesellschaftlicher Konsens spruch auf die sich abzeichnenden Möglich- Bio-Transformation darüber hergestellt werden, welche neuen The- keiten des genetischen rapien und neuen Möglichkeiten der medizini- Individualisierung Editierens? Wie ver- schen Selbstoptimierung zugelassen werden und schieben sich dadurch Wissensexpansion welche nicht, wer davon profitieren soll und die Normen darüber, wie sie finanziert werden sollen? was als krank gilt – und daher anspruchsberechtigt sein soll? Wie viel wert ist ein zusätzliches Lebensjahr? - Zur Bio-Transformation gehören Bereiche wie personali- - Da Gesundheit ein einzigartiges Gut ist und überdies un- sierte Medizin, genetisches Editieren und die Verschmel- ser Gesundheitssystem solidarisch finanziert ist, können zung von Biologie und Technologie (Cyborg). Sie verspre- diese Fragen nur politisch gelöst werden. Dafür braucht chen grosse Fortschritte in der Medizin, zugleich ist es eine gesellschaftliche Debatte über Machbarkeit und aber zu erwarten, dass sie viel zur Kostensteigerung Wünschbarkeit, die auch die Frage miteinschliesst, wel- beitragen werden. chen Stellenwert die Eigenverantwortung haben soll (In- - Darüber hinaus werfen sie ethische und gesellschaftspo- dividualisierung). Sie muss aufgrund einer Gesundheits- litische Fragen auf: Welche langfristigen Folgen hat kompetenz jedes einzelnen geführt werden, welche in gentechnische Veränderung von Stammzellen? Wer hat An- grossen Teilen erst entwickelt werden muss (Wissensex- pansion). 20
Fünfte Lebenswelt: Wie werden wir Mehrwert und Wohlfahrt schaffen und teilen? 11. Wie wird künftig der Staat finanziert? öffentlichen Hand wird Techn. Autonomisierung sich durch die zuneh- - In der Diskussion um die 4. Industrielle Revolution ist mende Alterung (Aging Trusted Networking oft die Rede von einer massiven Substituierung von Ar- Society) und die stei- genden Gesundheits- Aging Society beitskräften durch autonome Systeme und smarte Roboter (Technologische Autonomisierung) weit über den industri- und Pflegekosten (Ge- Gesundheitsexpansion ellen Bereich hinaus. Da durch Trusted Networking sundheitsexpansion) (Blockchains) in vielen Branchen die Intermediäre über- auf der Ausgabenseite Globalisierung flüssig werden könnten, könnte sich diese Herausforde- und die Virtualisie- rung sogar noch verschärfen. Es gibt zwar begründbare rung von Unternehmen auf der Einnahmeseite verschärfen. Zweifel an diesem Szenario. Aber falls doch (zumindest - In der Diskussion ist von einer neuen Robotersteuer die übergangsweise) die strukturelle Arbeitslosigkeit massiv Rede. Ist das ein gangbarer Weg, oder würde sie erst ansteigen sollte, und damit viel Steuersubstrat wegfal- recht zu einer Verlagerung von Arbeitsplätzen im Zuge len und die Sozialtransferkosten im gleichen Zug massiv des globalen Wettbewerbs führen (Globalisierung)? zunehmen würden, ist die Frage, wie sich der Staat fi- nanzieren soll. Das Problem der künftigen Einnahmen der 12. Wie partizipiert die Gesellschaft am künftigen beteiligt werden Techn. Autonomisierung Wohlstand? könnte, um eine insta- bile Ungleichheit zu Konnektivität vermeiden. In jüngster - Falls allfällige Zugewinne des Wohlstands, die durch Zeit ist das bedin- Digitalisierung Produktivitätssteigerungen (Technologische Autonomisie- gungslose Grundeinkom- rung, Digitalisierung, Konnektivität) geschaffen würden, men wieder vermehrt in Diskussion. nicht wie bisher hauptsächlich über den Lohnerwerb ver- teilt würden, wäre zu lösen, wie die Gesellschaft anders 21
13. Wie können neue Arbeitsformen, die sich aus steigt, dass die in- Digitalisierung Plattform-Geschäftsmodellen ergeben, sozial- formelle Wirtschaft einen wachsenden An- Konnektivität und arbeitsrechtlich gefasst werden? teil an der nationalen Wirtschaftsleistung Individualisierung - Es ist davon auszugehen, dass in Zukunft weniger Er- ausmacht, wodurch ver- werbstätige als heute in unbefristeten und festen Ar- mehrt Erwerbstätige unzureichend sozial- und arbeits- beitsverhältnissen stehen werden als heute. Die Digita- rechtlich geschützt sein werden. Wie können diese neuen lisierung und Konnektivität haben neue Geschäftsmodelle Geschäftsmodelle (Plattform-Ökonomie) diesbezüglich ge- hervorgebracht, die mit Erwerbstätigen Gig-Arbeitsver- fasst werden? hältnisse5 eingehen, diese also vermehrt selbständig er- werbend sein werden (Individualisierung). Das Risiko 14. Wie erhalten wir die Arbeitsmarktfähig- - Besonders anforde- Digitalisierung keit der Erwerbsbevölkerung in Zeiten des ra- rungsreich wird der schnelle Wandel für Techn. Autonomisierung santen Wandels? die wachsende Zahl der älteren Arbeitnehmer Wissensexpansion - Es ist zu erwarten, dass sich die Anforderungen des Ar- sein (Aging Society). beitsmarktes im Zuge des technologischen Fortschritts, Bio-Transformation - Der schnelle Wandel der 4. Industriellen Revolution (Digitalisierung, Tech- verursacht bei einer Aging Society nologische Autonomisierung) wandeln – schneller als bis- wachsenden Zahl von her. Obwohl der Bildungsstand weiter zunimmt (Wissensex- Gesundheitsexpansion Erwerbstätigen Stress pansion), werden wir künftig Modelle brauchen, die eine und schwerwiegendere gesundheitliche Störungen (Gesund- kontinuierliche Weiterbildung und Umschulung noch deut- heitsexpansion). Es gibt Indizien, dass sich vermehrt lich besser ermöglichen und fördern. Erwerbstätige mit Hilfe verschreibungspflichtiger Medi- kamente oder illegaler Drogen leistungsfähiger zu machen versuchen (Bio-Transformation). 5 https://de.wikipedia.org/wiki/Gig_Economy
15. Was ist zu tun, dass die Wirtschaft die Chan- (Globalisierung), weil Digitalisierung cen des technologischen Wandels zu nutzen ver- die Arbeitskosten ei- nen weniger bedeuten- Konnektivität steht? den Anteil ausmachen werden und individu- Techn. Autonomisierung - Fortschrittliche Roboter, Künstliche Intelligenz, Inter- elle Lösungen mit net der Dinge, Blockchain: Neue Technologien werden die Trusted Networking Dienstleistungen ver- Wettbewerbsfähigkeit jener erhöhen, die sie schnell mehrt nachgefragt wer- Beschleunigung adaptieren (Digitalisierung, Konnektivität, Technologi- den. sche Autonomisierung, Trusted Networking/Blockchain, Be- Globalisierung - Der Plattform-Ökonomie schleunigung). sind Monopolbildungstendenzen inhärent. Monopole schaf- - Es ist zu erwarten, dass heute noch ausgelagerte Produk- fen Ineffizienzen und Abhängigkeiten. tion wieder in die Schweiz zurückgenommen werden kann
Sechste Lebenswelt: Wie werden wir uns bilden und informieren? 16. Welche Digitalisierungskompetenz brauchen Pri- stimmung wahrnehmen Wissensexpansion marschüler? und kann kritisch mit der Digitalisierung, Digitalisierung den autonomen Systemen - Grundkenntnisse in Programmierung und der Umgang mit der und Bots (Technologi- Techn. Autonomisierung Digitalisierung gelten neu als Kulturtechniken wie Lesen schen Automatisierung) umgehen. Die pädagogische Frage, und Schreiben (Wissensexpansion). Nur wer über solche auf welcher Stufe, in welchem Alter und auf welche di- Grundkenntnisse verfügt, kann die informelle Selbstbe- daktische Art eine Digitalisierungskompetenz geschaffen werden soll, ist zu beantworten. 17. Was muss das Bildungssystem leisten, um dem cher). Es ist aber Digitalisierung schnellen technologischen Wandel, der Fragmen- streitbar, ob die om- nipräsente Verfügbar- Konnektivität tierung der Informationsflüsse, der Informa- keit von Informatio- tionsflut gerecht zu werden? nen, die Dominanz der Wissensexpansion Bildwelt, die Dynami- - Die obligatorische Schule heute ist in den Grundzügen Beschleunigung sierung voraussichtli- seit 100 Jahren unverändert: organisiert in Jahrgangs- cher Lebens- und Arbeitsverläufe nicht auch ein grund- klassen und in separierten Fächern. Neue Themen wurden sätzlich anderes Bildungssystem erfordern. (Wissensex- aufgenommen und in diese Struktur integriert (neue Fä- pansion, Digitalisierung, Konnektivität, Beschleunigung) 24
18. Was bedeutet Künstliche Intelligenz für - Ein Forschungsprozess Techn. Autonomisierung Forschung, Urheberschaft und Haftungsfragen? besteht typischerweise aus einer Literatur- Wissensexpansion analyse, der Bildung - Selbstlernende Maschinen bringen Resultate hervor, die eigener Hypothesen und die Anwendung geeigneter Verfah- kein Mensch vorher so programmiert hat (Technologische ren, um die Stichhaltigkeit der Hypothesen zu überprü- Autonomisierung). Damit stellt sich die Frage, wer für fen. In absehbarer Zeit wird Künstliche Intelligenz aus diese Erzeugnisse die Urheberschaft beanspruchen darf, riesigen Datenmengen selbständig Hypothesen bilden und aber auch für allfällige Schäden geradestehen muss. diese auch überprüfen. (Wissensexpansion) Braucht es künftig eine neue Rechtspersönlichkeit für Künstliche Intelligenz mit Rechten und Pflichten, neben der natürlichen Person und der juristischen Person?
Siebte Lebenswelt: Wie werden wir siedeln und uns bewegen? 19. Wie schaffen wir qualitative Dichten in den - Welchen Beitrag können Individualisierung Ballungsräumen? dazu Digitalisierung und Netzwerke (Konnek- Bevölkerungswachstum tivität) leisten? - Die Bevölkerung wächst, sie wächst vor allem in den be- - Welchen Beitrag leis- Urbanisierung stehenden Ballungsräumen und Städten (Bevölkerungswachs- ten intelligente, au- tum, Urbanisierung). Die Verdichtung bestehender Sied- Ökologisierung tonome Systeme (z.B. lungsräume entspricht auch dem politischen Willen. Zu Entsorgung, Beleuch- Gesundheitsexpansion lösen ist, wie Dichte als Qualität umgesetzt werden tung, Verkehrsmanage- kann, welche Sicherheit, Verbundenheit, individuelle Ge- ment – Technologische Aging Society staltungsfreiheit (Individualisierung), gute Versorgung, Autonomisierung)? kurze Wege und intakte Umwelt (Ökologisierung, Gesund- - Der Anteil älterer Menschen nimmt zu, was an Siedlungs- heitsexpansion) umfasst. qualitäten teilweise andere Ansprüche (Aging Society) stellt. 20. Wie können Logistik und Mobilität organisiert - Entlastung bieten zu- Nomadisierung sein, angesichts wachsender Bedürfnisse aber dem neue Logistik-Lö- sungen (Multichannel, Bevölkerungswachstum ausgelasteter Infrastruktur? Drohnen, Zustellrobo- ter) und die Relokali- Digitalisierung - Die Bevölkerung wächst (Bevölkerungswachstum) und damit sierung des Konsums. Konnektivität auch die Nachfrage nach Mobilitätsmöglichkeiten (Nomadi- - Da Arbeitspendler ei- sierung). In Spitzenzeiten sind die Verkehrsträger be- nen wichtigen Anteil Techn. Autonomisierung reits heute überlastet - ein sich verschärfendes Prob- an der Mobilitätsnach- lem. frage ausmachen, würde auch eine örtliche und zeitliche - Entlastung können effizientere Mobilitätslösungen brin- Flexibilisierung von Arbeit einen Beitrag leisten gen: Autonome Fahrzeuge, smartes Verkehrsmanagement (Di- (Office-Boxen, Home-Office, Qualitätszeit am Arbeits- gitalisierung, Konnektivität, Technologische Autonomi- platz). sierung). 26
Diskussion und Empfehlungen Über alle Herausforderungen hinweg betrachtet, haben die einzelnen Megatrends unterschiedliche Gewichte. Das Spinnendiagramm gibt die relative Bedeutung der Megatrends über die 20 Herausforderungen wieder: Bevölkerungswachstum Bio-Transformation Aging Society Trusted Networking Urbanisierung Techn. Autonomisierung Individualisierung Transparenz Gesundheitsexpansion Wissensexpansion Nomadisierung Globalisierung Beschleunigung Konnektivität Ökologisierung Digitalisierung Abbildung2: Die 16 Megatrends wirken unterschiedlich häufig in einer der 20 Herausforderungen. Am meisten an den Herausforderungen beteiligt sind Technologische Autonomisierung, Konnekti- vität, Digitalisierung und Wissensexpansion.
Digitalisierung (im Sinne der digitalen Repräsentation), als deutlichen Hinweis darauf, dass die Selbstbestimmung und Konnektivität (Vernetzung und Organisationsprinzip) sind für die individuellen Freiheiten bedroht sind – nicht nur aber die meisten Herausforderungen relevante Megatrends – entweder, auch durch die digitale Transformation. Für die gesellschaft- weil sie die Herausforderung selbst schaffen oder aber zur Lö- liche Akzeptanz der digitalen Transformation in der Schweiz sung einer Herausforderung beitragen. Das gilt noch im höherem wird es entscheidend sein, dass es gelingt, die Situation der Mass für den embryonalen Megatrend der Technologischen Autono- Menschen durch die Digitalisierung zu verbessern und potenzi- misierung: Die sich abzeichnende Möglichkeit autonomer Systeme elle Bedrohungen zu minimieren. ist in 13 der 20 Herausforderungen relevant. Diese drei Me- gatrends können der digitalen Transformation im engeren Sinne Alle vorgenannten fünf Megatrends spielen eine massgebliche zugeordnet werden. Rolle für die Gesundheitsexpansion und den sich abzeichnenden Möglichkeiten der Bio-Transformation. Die Gesundheitsversor- Die Wissens- und Bildungsexpansion folgt gleich danach.. Die gung der Zukunft droht zu einer kaum tragbaren Belastung für Wissensexpansion ist eng mit diesen erstgenannten Megatrends die privaten und öffentlichen Haushaltungen zu werden. Eine verknüpft und von ihnen beeinflusst. Über alles gesehen lässt Systemtransformation oder gar die Neugestaltung des Gesund- sich aus unserer Sicht sagen, dass der Grund- und Weiterbil- heitssystems liegen in der Luft. Dadurch könnte auch die dung eine herausragende Stellung für eine erfolgreiche digi- Selbstbestimmung des einzelnen eingeschränkt werden: Ein- tale Transformation zukommen, und sie daher besondere Aufmerk- schränkung der freien Arztwahl, Entsolidarisierung, Zwei-Klas- samkeit im Kontext von ds verdienen. sen-Medizin, Haftbarmachung für Lebensstile sind einige Stich- worte dazu. Die digitale Transformation scheint uns ein gros- Die Technologie im Vordergrund, der Mensch im Mittelpunkt: Die ses Potenzial zu haben, zu einer Lösung dieser Herausforderun- hohe Relevanz des Megatrends Individualisierung verstehen wir gen beizutragen. 28
Aus diesen Befunden abgeleitet, empfehlen wir die folgenden Herausforderung 11: Herausforderungen im Rahmen von ds vorrangig in Betracht zu Wie wird der Staat künftig finanziert? ziehen: Herausforderung 13: Herausforderung 1: Wie können neue Arbeitsformen, die sich aus Plattform-Ge- Wie ist die informationelle Selbstbestimmung in der digitalen schäftsmodellen ergeben, sozial- und arbeitsrechtlich gefasst Welt durchsetzbar? werden? Herausforderung 6: Herausforderung 14: Wie kann die digitale Transformation die politische Partizipa- Wie erhalten wir die Arbeitsmarktfähigkeit der Erwerbsbevölke- tion, die staatsbürgerliche Kompetenz und politische Verant- rung in Zeiten des rasanten Wandels? wortung fördern und zu einer politisch relevanten Öffentlich- keit beitragen? Herausforderung 16: Welche Digitalisierungskompetenz brauchen Primarschüler? Herausforderung 9: Wie kann die Digitalisierung zu einer Optimierung der Gesund- Herausforderung 18: heitsversorgung in der Schweiz beitragen? Was bedeutet Künstliche Intelligenz für Forschung, Urheber- schaft und Haftungsfragen?
Impressum Autor und Leitung: • Florian Egli, Doktorand ETH Zürich, Vizepräsident Think • Georges T. Roos, Zukunftsforscher, swissfuture Tank foraus, Mercator Fellow für Internationale Aufgaben (2015/2016) Expertinnen und Experten (alphabetisch): • Prof. Dr. Andrea Belliger, Prorektorin PH Luzern und Co- • Prof. Daniel Huber, Innovationsexperte, Professor für Leiterin Institut für Kommunikation & Führung, Bankrat Innovation BFH, Vorstand swissfuture Aargauische Kantonalbank • Fabienne Perret, Verkehrsplanerin, Leiterin Geschäftsbe- • Peter Bucher, Soziologe, Beauftragter der Stadt Luzern reich Verkehr EBP für Wirtschaftsfragen, Vorstandsmitglied Schweizerische Gesellschaft für Verwaltungswissenschaften und Schweize- • Dr. Andreas M. Walker, Zukunftsforscher, Inhaber weiter- rische Gemeinnützige Gesellschaft denken.ch, Co-Präsident swissfuture Ó swissfuture / Georges T. Roos Zitierweise: Georges T. Roos: Megatrends und die Herausforderungen für die Schweiz. Hrsg. Von swissfuture 2018 30
Anhang: Die Megatrends: Beschreibung Indikatoren, Verknüpfungen ã Georges T. Roos Megatrends6 Beschreibung & Verknüpfungen mit an- Indikatoren deren Megatrends 1. Bevölkerungswachstum Die Weltbevölkerung wächst gemäss UN-Projektionen7 bis 2050 auf 9.7 Mrd., bis Gesundheitsexpansion, 2100 auf 11.2 Mrd. Aging Society, Urba- Die Kontinente wachsen bis 2050 unterschiedlich schnell: Asien 22%, Amerikas nisierung, Nomadisie- 28-31%, Afrika 120%. Europa schrumpft um 10%. Die Bevölkerung von 25-65 Jahren rung, Ökologisierung, dürfte in Nordamerika bis 2040 um 21 Mio. wachsen, in Europa um 16.5 Mio. zu- Konnektivität, Wis- rückgehen. In den Ländern südlich der Sahara wird ein Anstieg dieser Alters- sensexpansion, Tech- gruppe auf 500 Mio. geschätzt.8 nologische Autonomi- sierung, Bio-Trans- CH: Die Schweiz wird gemäss BFS-Bevölkerungsszenarien9 2040 die 10-Mio.-Marke formation erreichen. Die ständige Wohnbevölkerung im Alter von 20-64 Jahren erhöht sich in den kommenden Jahren gemäss dem Referenzszenario von 5.17 Mio. im Jahr 2015 auf 5.49 Mio. im Jahr 2030 und auf 5.59 Mio. im Jahr 2045. Der Anteil dieser Bevölkerungsgruppe an der Gesamtbevölkerung sinkt im gleichen Zeitraum hingegen erheblich von 61.9% im Jahr 2015 auf 57.5% im Jahr 2030 und auf 54.9% im Jahr 2045. 2. Aging Society Die Alterung der Bevölkerung ist ein globales Phänomen: Die Uno geht davon aus, Gesundheitsexpansion, dass die Bevölkerung über 60 ausser in Afrika die am schnellsten wachsende Al- Bevölkerungswachstum, tersgruppe ist: Heute leben 960 Mio. 60plus auf der Welt, 2030 dürften es 1.4 Urbanisierung, Indi- Mrd. sein, 2050 2.1 Mrd. Gründe dafür: Sinkende Fertilität weltweit - global vidualisierung, Wis- ist Peak Child erreicht (Fertilität: 2.5) – und steigende globale Lebenserwar- sensexpansion, Tech- tung von heute 71 Jahre auf 77 Jahre in 205010. nologische Autonomi- sierung, Bio-Trans- CH: In den nächsten 30 Jahren wird die Bevölkerung im Rentenalter in allen Kan- formation tonen stark wachsen. Sie dürfte in nahezu allen Kantonen über 50 Prozent zuneh- men. In den Kantonen Schwyz, Freiburg, Thurgau, Obwalden und Aargau ist sogar mit einer Verdoppelung der Anzahl Personen ab 65 Jahren zu rechnen11. Die Le- benserwartung in der CH steigt bis 2040 um weitere 5 Jahre. Der Altersquotient, das heisst die Anzahl Personen ab 65 Jahren auf 100 Personen im Alter zwischen 6 Kriterien: epochal / global / ubiquitär (Zukunftsinstitut: zusätzlich „komplex“ – entspricht aber in weiten Teilen der Ubiquität; s. auch die Spalte „Verknüpfungen“) 7 UN: World Population Prospects – 2017 Revision. https://esa.un.org/unpd/wpp/Publications/Files/WPP2017_KeyFindings.pdf (nachgeschlagen am 18.12.2017) 8 Kann Afrika die „demografische Chance“ packen? NZZ 12. Dezember 2017, p. 23 9 Bundesamt für Statistik: Szenarien zur Bevölkerungsentwicklung in der Schweiz 2015-2045. Gemäss Referenzszenario erreicht die ständige Wohnbevölkerung 2045 10.2 Mio. Im hohen Szena- rio wird die Marke deutlich früher erreicht. 10 UN World Population Prospects – 2017 Revision. Ebd. 11 Medienmitteilung des Bundesamts für Statistik vom 12. Mai 2016: „Die Zahl der Personen im Rentenalter nimmt stark zu“ 31
20 und 64 Jahren, liegt bei 29,1 im Jahr 2015, bei 39,6 im Jahr 2030 und bei 48,1 im Jahr 2045. 3. Urbanisierung Urbanisierung beschreibt das Wachstum der Städte bzw. der städtischen Bevölke- Bevölkerungswachstum, rung. Seit 2008 lebt eine Mehrheit der Weltbevölkerung in den Städten. Das Nomadisierung, Be- grösste Wachstum der Städte wird in Zukunft in den Schwellen- und Entwicklungs- schleunigung, Ökolo- ländern erwartet. Der UN Bevölkerungsfond12 erwartet, dass 2030 5 Mrd. Menschen gisierung, Digitali- in Städten leben werden. Die Anzahl Megacities (mit über 10 Mio. Einw.) wird sierung, Konnektivi- deutlich zunehmen. tät, Globalisierung, Wissensexpansion, CH: Der Urbanisierungsgrad in der Schweiz betrug 2016 84.6% (geringfügig höher Transparenz, Techno- als 2006)13. Der Urbanisierungsgrad beschreibt den Anteil der Stadtbewohner an logische Autonomisie- der ständigen Wohnbevölkerung. Politisches Ziel ist es, das kommende Bevölke- rung rungswachstum vornehmlich in den bestehenden Siedlungsgebieten zu bewältigen, was ohne weitere Verdichtung nicht möglich ist.14 4. Individualisierung Soziologisch bezeichnet Individualisierung den geschichtlichen Prozess des Konnektivität Übergangs des Individuums von der Fremd- zur Selbstbestimmung. Sie ist ver- Wissensexpansion, Ur- knüpft mit einem Pluralismus der Lebensstile. Nach Anthony Giddens und Ulrich banisierung, Be- Beck finden momentan eine Radikalisierung und Universalisierung dieses Prozes- schleunigung, Nomadi- ses dar. Im Zuge der Individualisierung werden Identitäts- und Sinnstiftung zur sierung, Globalisie- individuellen Leistung15. Als (schwächerer) Gegentrend ist die Tribalisierung rung, Transparenz, zu verstehen: Das Bestreben, wieder vermehrt exklusive Gruppenidentitäten zu Bio-Transformation installieren (bis hin zum Radikalismus). In einem ökonomischen Sinne meint In- dividualisierung auch die Ausdifferenzierung der Märkte bis hin zu personali- sierten Produkten, um den individuellen Ansprüchen der Kunden gerecht zu wer- den. CH: Die Individualisierung ist in westlichen Gesellschaften wie der Schweiz so- wohl länger im Anschlag wie auch breiter fortgeschritten und prägt diese bis in die „tiefsten Wurzeln16“. Die frühere Normbiografie wird seltener und entwi- ckelt sich zur individuellen „Multigrafie“17. Individualisierung ist eng ver- knüpft mit einer Bildungsexpansion und einer beschleunigten Lebensweise. Poli- tisch driften Stadt und Land immer weiter auseinander.18 12 http://www.unfpa.org/urbanization nachgeschlagen am 19.12.2017 13 Statista: Urbanisierungsgrad in der Schweiz von 2006 bis 2016. https://de.statista.com/statistik/daten/studie/216770/umfrage/urbanisierung-in-der-schweiz/ nachgeschlagen am 19.12.2017 14 Schweizerischer Bundesrat, KdK, BPUK, SSV, SGV (2012): Raumkonzept Schweiz. Überarbeitete Fassung, Bern. 15 Wikipedia: Individualisierung. https://de.wikipedia.org/wiki/Individualisierung nachgeschlagen am 19.12.2017 16 Zukunftsinstitut: Die Individualisierung der Welt. https://www.zukunftsinstitut.de/artikel/die-individualisierung-der-welt/ nachgeschlagen am 19.12.2017 17 Zukunftsinstitut. ebd. 18 https://www.nzz.ch/schweiz/stadt-und-land-driften-politisch-immer-weiter-auseinander-ld.1343654 32
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