Mental-Map-Methoden in der Quartiersforschung

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Mental-Map-Methoden in der
                           Quartiersforschung
         Wahrnehmung, kognitive Repräsentation und
                                 Verhalten im Raum

                              Daniela Ziervogel

Einführung

Individuen stehen täglich vor der Aufgabe, sich im Raum zu orientieren und Ver-
haltensentscheidungen zu treffen, z.B. beim Pendeln zwischen Wohnung und
Arbeitsplatz, beim Einkaufen, bei der Wahl der Freizeitaktivitäten und so weiter.
Diese Entscheidungen werden davon beeinflusst, wie wir unsere Umwelt wahr-
nehmen und verstehen, mit anderen Worten, wie unsere Umwelt kognitiv re-
präsentiert ist. Es wird angenommen, dass ein wechselseitiger Zusammenhang
zwischen dem Verhalten bzw. den Handlungen im Raum und der kognitiven Re-
präsentation dieses Raumes besteht. Die kognitive Repräsentation des Raumes
soll in dem vorliegenden Beitrag als „kognitive Karte“ bezeichnet werden. Nach
einführenden Erläuterungen zum Gegenstand und zu den Zielen der Untersu-
chung wird in dem Beitrag ein kurzer Überblick über die theoretischen Grund-
lagen der Mental-Map-Forschung, und hier insbesondere über verschiedene
Raumkonzepte gegeben. Nachfolgend werden anhand der Ergebnisse einer Pi-
lotstudie das Forschungsthema weiter konturiert und Beispiele für die Analyse
von kognitiven Karten vorgestellt. Der Fokus des Beitrages liegt dabei auf dem
Einsatz verschiedener Methoden zur Erhebung der kognitiven Repräsentation
des Raumes und deren Einsatzmöglichkeiten in der Quartiersforschung und
Stadtplanung. Deshalb werden abschließend geeignete methodische Ansätze
diskutiert sowie weiterer Forschungsbedarf aufgezeigt.

Gegenstand und Ziele der Untersuchung

Die Wahrnehmung der Umwelt und die Vorstellungsbilder über diese, d.h. die
kognitive Repräsentation des Raumes, beeinflussen nicht nur unser räumli-
ches Verhalten, sondern die kognitive Repräsentation selbst unterliegt wie-
derum einem ständigen Anpassungsprozess aufgrund unseres Verhaltens. Sie
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verändert sich mit den Erfahrungen, die wir durch unser Verhalten sammeln,
und mit neuem Wissen, welches wir uns aneignen (die Perspektive, d.h. die
Sichtweise auf die Welt ändert sich mit den gesammelten Erfahrungen und
mit zunehmender Vertrautheit mit dem Raumabschnitt, vgl. speziell dazu
Downs/Stea 1982: 41 – 46). Die Untersuchung dieser Zusammenhänge kann
zur Erklärung räumlichen Verhaltens und dessen Modifikation beitragen
(Lloyd 1989; Kitchin 1994; Kessl/Reutlinger 2007b).
    Die Analyse der kognitiven Repräsentation des Raumes – z. B. mithilfe vi-
sueller Darstellungsformen wie den sogenannten Mental-Map-Aufgaben zu
Richtungsangaben, zu Wegbeschreibungen oder zum Anfertigen von Kar-
tenskizzen – hat sich zu einem wichtigen empirischen Forschungsfeld in den
Raumwissenschaften entwickelt. Mental-Map-Verfahren werden bei planeri-
schen Fragestellungen, insbesondere wenn es um partizipative Ansätze geht,
zunehmend eingesetzt. In früheren Studien (z. B. die Arbeiten von Lynch 1960;
Downs 1970b; Downs/Stea 1973a und 1982; Portugali 1996) ist die kognitive
Repräsentation des Raumes vor allem unter theoretischen und konzeptionel-
len Aspekten untersucht worden. Diese Arbeiten legen nahe, dass die Analyse
kognitiver Karten für Fragen der Quartiersforschung gegenüber herkömmlich
angewandten Methoden (wie etwa Fragebogen-Methoden) einen Zugewinn
an Informationen darstellt. Es hat sich bisher jedoch kein standardisiertes Ver-
fahren etabliert, um die kognitive Repräsentation des Raumes für die Lösung
praktischer Probleme zu nutzen (Kitchin 1994: 14f.). Insbesondere werden
Mental-Map-Verfahren bisher nicht ausreichend unter den testtheoretischen
Kriterien der Objektivität, der Reliabilität und der Validität untersucht (vgl.
auch Gärling/Selart/Böök 1997: 175).
    Ziel neuerer Forschungsarbeiten sollte es daher sein, ein in diesem Sinne
geeignetes standardisiertes Verfahren zur Analyse von kognitiven Karten zu
entwickeln. Dieses Verfahren soll objektiv, reliabel, valide, über verschiedene
Untersuchungssituationen vergleichbar sein und sowohl vom Anwender als
Planungshilfe als auch in der räumlichen Wahrnehmungs- und Verhaltensfor-
schung eingesetzt werden können. Mithilfe der Mental-Map-Methoden kön-
nen verschiedene räumliche Ebenen (globale, nationale, regionale, lokale) je
nach Forschungsinteresse und Fragestellungen betrachtet werden. Der vor-
liegende Beitrag konzentriert sich hier vornehmlich auf die lokale und Mikroe-
bene des Stadtquartiers. Kenntnisse über raumbezogene kognitive Prozesse
könnten so zu einer Evaluation bestehender wie zukünftiger Maßnahmen
zur Quartiersentwicklung eingesetzt werden, insbesondere wenn es um eine
nutzerorientierte und partizipative Planung geht. Um ein solches Verfahren
zu konstruieren, müssen folgende drei Fragen beantwortet werden:
Mental-Map-Methoden in der Quartiersforschung           189

  1. Inwiefern sind die Methoden zur Analyse kognitiver Karten (Mental-Map-
     Methoden, z. B. Anfertigen von Kartenskizzen, Wegbeschreibungen, Ver-
     haltensbeobachtungen) als eher implizite Verfahren im Vergleich zu eher
     expliziten Verfahren (wie z. B. Fragebogen-Methoden) dazu geeignet, den
     Einfluss von Veränderungen im Quartier auf die kognitive Repräsentation
     des Raumes bei den Bewohnern zu erfassen? Unter Veränderungen im
     Quartier können z. B. allgemeine soziale Veränderungen verstanden wer-
     den (etwa Änderung der Sozialstruktur, Änderung der Einwohnerzahl)
     oder konkrete Maßnahmen und Projekte zur Quartiersentwicklung (z. B.
     bauliche Maßnahmen, Aufwertung des Wohnumfeldes).

  2. Inwiefern sind die Methoden zur Analyse kognitiver Karten (Mental-Map-
     Methoden) im Vergleich zu Fragebogen-Methoden dazu geeignet, das
     mit der kognitiven Raumrepräsentation assoziierte aktionsräumliche Ver-
     halten vorherzusagen?

  3. Inwiefern unterscheiden sich diese Methoden hinsichtlich der Effizienz
     des Erhebungsablaufes und der Auswertung?

Ein standardisiertes Verfahren zur Analyse kognitiver Karten kann dem An-
wender, z. B. in der Stadtplanung oder in der Wohnungswirtschaft, sowohl als
Grundlage für Planungsentscheidungen dienen, als auch zur bewohnerorien-
tierten und partizipativen Quartiersentwicklung oder zur Evaluation bereits
erfolgter oder künftiger Quartiersentwicklungsmaßnahmen eingesetzt wer-
den.
    Gleichermaßen kann das Verfahren in der theoretischen Betrachtung der
Raumrepräsentation als Forschungsinstrument geeignet sein, etwa bei der
Frage, inwiefern ein bestimmter Stadt- oder Quartierstyp im Allgemeinen bei
seinen Bewohnern repräsentiert ist oder inwiefern sich Veränderungen im
Quartier (z. B. soziale oder bauliche Maßnahmen) auf die Wahrnehmung des
Umfeldes und auf das Verhalten im Raum auswirken. Ein solches standardi-
siertes Verfahren hat zudem den Vorteil, dass die Ergebnisse über verschiede-
ne Studien hinweg vergleichbar sind.
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Wahrnehmungs- und verhaltenswissenschaftliche Ansätze als Grundla-
gen für die Mental-Map-Forschung
Der Untersuchungsansatz des vorliegenden Beitrages basiert auf den theo-
retischen Grundlagen wahrnehmungs- und verhaltenswissenschaftlich ori-
entierter Ansätze. In den 1960er und 1970er Jahren entwickelte sich in der
Geographie ein eigenständiger Forschungszweig, der das individuelle Be-
wusstsein bei der Wahrnehmung der Umwelt in den Mittelpunkt stellt. Dieser
aus Nordamerika stammende „behavioral approach“ wird in der geographi-
schen Forschung im deutschsprachigen Raum als Wahrnehmungsgeogra-
phie, Perzeptionsgeographie oder auch geographische Verhaltensforschung
bezeichnet, welche sich mit den Prozessen der Wahrnehmung der Umwelt
und den Zusammenhängen mit dem räumlichen Verhalten von Individuen
und der realen Raumstruktur beschäftigt (Werlen 2008: 250 – 251, 258; Heine-
berg 2004: 34).
    Als ein solches gängiges Verhaltensmodell sei an dieser Stelle das der be-
havioristischen Sozialgeographie aufgeführt. Diesem folgend resultiert das
Verhalten von Individuen als Reaktion auf Reize aus der Umwelt, nachdem
diese kognitive Zwischenprozesse durchlaufen haben. Diese Zwischenpro-
zesse haben einen Einfluss auf die Wahrnehmung von Informationen aus der
Umwelt, die kognitive Repräsentation des Raumes und die Verhaltenssteue-
rung. So wird die Verarbeitung der (selektiv wahrgenommenen) Umweltinfor-
mationen bestimmt von Persönlichkeitsmerkmalen (z. B. Motive, Bedürfnisse,
Ansprüche) und sozial-kulturellen Faktoren (z. B. sozialer Status und Grup-
penzugehörigkeit, verinnerlichte Werte und Ideale), die in unterschiedlicher
Ausprägung eine verhaltensleitende Rolle spielen können. Die Verhaltens-
steuerung, also die Wahl zwischen verschiedenen Reaktionsalternativen, ist
wiederum abhängig von bisherigen Erfahrungen und Lernprozessen (Werlen
2008: 252 – 255).
    Wood (1985: 24f.) betont in diesem Zusammenhang, dass die Wahrneh-
mung der Umwelt neben Erfahrungen, Zielen, Normen und Werten und ökono-
misch-sozialer Situation darüber hinaus auch vom situativen körperlichen und
seelischen Zustand, dem Wissen, der prognostischen Einschätzung und der
Intuition des Individuums geprägt ist. Die „synergetische Bewertung“ dieser
Einflussfaktoren – d.h. deren Gewichtungen, Vollständigkeit, Abstraktionsgrad,
Differenziertheit, Offenheit usw. – ist als hoch komplexer und dynamischer Pro-
zess zu verstehen, welcher zu einer hohen Variabilität in den Entscheidungen
und damit auch im tatsächlichen räumlichen Verhalten führt (ebd.).
    Schließlich kann mit dem „behavioral approach“ als Neuerung in der geo-
graphischen Forschung die Einsicht gelten, dass nicht nur die reale Umwelt
Mental-Map-Methoden in der Quartiersforschung           191

einen Einfluss auf das Verhalten von Individuen bzw. Gruppen im Raum hat,
sondern dass die Wahrnehmung und Bewertung der Umwelt durch Individu-
en bzw. Gruppen deren Verhalten im Raum und damit die daraus resultieren-
den räumlichen Strukturen beeinflussen (Heineberg 2004: 36). Die kognitive
Raumrepräsentation beeinflusst das Verhalten im Raum und ist abhängig von
der selektiven Wahrnehmung der Umwelt. Die Wahrnehmung wiederum wird
beeinflusst von den Motiven, Werten und Einstellungen sowie von den bishe-
rigen Erfahrungen und Lernprozessen des Individuums (Werlen 2008: 256f.).
In methodischer Hinsicht gelangte man bei der Entwicklung solcher wahrneh-
mungs- und verhaltensorientierten Ansätze zudem zu der Erkenntnis, dass zur
empirischen Erforschung der Zusammenhänge zwischen Wahrnehmung, Ein-
stellungen, Normen, Werten und Verhalten primäre Daten auf der Ebene der
Individuen zu analysieren sind. Zur Berücksichtigung wahrnehmungs- und
verhaltensrelevanter Aspekte reicht nämlich die bis dato vorherrschende Ver-
wendung von aggregierten Daten (z. B. über soziale Gruppen) aus der amtli-
chen Statistik nicht mehr aus. Im Zuge dessen wurden von den Vertretern der
behavioristischen Ansätze auch neue Methoden zur Datenerhebung entwic-
kelt, wie beispielsweise qualitative Erhebungsmethoden oder das experimen-
telle Design (Golledge 2008). Als eine dieser neuen empirischen Vorgehens-
weisen ist die Analyse der kognitiven Repräsentation des Raumes zu nennen,
d.h. die Analyse sogenannter kognitiver Karten mit entsprechend geeigneten
Methoden.

Raumkonzepte zur kognitiven Repräsentation

An dieser Stelle soll der Begriff der kognitiven Repräsentation des Raumes
näher erläutert werden. Es handelt sich hier nicht um die Darstellung eines
geschlossenen wahrnehmungstheoretischen Modells, sondern das verein-
fachte Schema soll die grundlegende Vorstellung über Raumbegriffe und die
kognitive Raumrepräsentation sowie die Einordnung in theoretische Raum-
konzepte vermitteln (siehe Abb. 11, vgl. dazu ausführlicher auch das Schema
der Raumwahrnehmung nach Downs 1970a: 85, oder das Verhaltensmodell
behavioristischer Sozialgeographie nach Werlen 2008: 253).
    Es lassen sich die „reale Umwelt“ und die sogenannte „kognitive Karte“ als
subjektive mentale Repräsentation dieser Umwelt unterscheiden. Die kogni-
tive Karte kann man sich als mehrdimensionales Konstrukt vorstellen, das z. B.
affektive oder soziale Beurteilungen der wahrgenommenen Umwelt umfasst.
Es handelt sich hier also nicht nur um ein (räumliches) Vorstellungsbild von
der realen Umwelt (im Sinne einer tatsächlichen Karte mit Objekten im Raum),
192                                    Daniela Ziervogel

sondern die kognitive Karte enthält auch Elemente aus der sozialen Umwelt
(Subjekte im Raum, soziale Gruppen, Ereignisse im Raum, Bewertungen, Sym-
bole usw.).

                                                                 ...
                                                                Wissen ...
                                                              motivational ...
                                                           sozial ...
                                                         affektiv ...
                                        Verhalten/
                                       Handlungen
           „Reale                                                 „Kognitive
           Umwelt“                                                  Karte“
                                    Erfahrungen/
                                    Wahrnehmung

      „absoluter“ Raumbegriff                          „relativer“ Raumbegriff
       - geophysisch                                    - dynamisch
       - topographisch                                  - multidimensional
       - ...                                            - ...

  Abbildung 11. Vereinfachtes Schema zum Zusammenhang zwischen der kognitiven Repräsentation,
                der Wahrnehmung und dem Verhalten im Raum
  Quelle: Downs 1970a; Lloyd 1989; Kitchin 1994; Kessl/Reutlinger 2007b; Werlen 2008

Die Analyse der kognitiven Repräsentation ist an der Schnittstelle des absolu-
ten und relativen Raumbegriffes einzuordnen. In der Literatur werden dabei
diverse Raumkonzepte voneinander unterschieden, von denen das materia-
listische und das konstruktivistische Verständnis hier kurz erläutert werden
sollen.
     Mit der „realen Umwelt“ wird ein angenommenes materialistisches Raum-
konstrukt betrachtet, das sich am „absoluten“ Raumbegriff (der sogenannte
Behälter- oder Container-Raum, der unabhängig vom Handeln existiere) ori-
entiert und durch geophysische, topographische und ähnliche Begriffe ge-
prägt sei. Nach diesem materialistischen Raumverständnis wird von einem
bestehenden (z. B. historisch gewachsenen) Ordnungssystem im Raum ausge-
gangen und dessen Einfluss auf die sozialen Zusammenhänge betont (Kessl/
Reutlinger 2007b: 20 – 25).
     Die kognitive Karte orientiert sich dagegen an einem „relativen“ Raum-
begriff (Raum entstehe als Ergebnis von Beziehungen zwischen Körpern und
deren Handlungen), der in seiner Struktur vergleichsweise dynamisch und
multidimensional sei. Mit dieser Vorstellung wird die Perspektive eines ange-
nommenen konstruktivistischen Raumverständnisses eingenommen, welches
auch Elemente von Kommunikation zwischen Individuen (Subjekten) und de-
Mental-Map-Methoden in der Quartiersforschung            193

ren Handlungen im Raum enthält. Raum entstehe demnach als Ergebnis sozia-
len Handelns und wird also als sozial konstruiertes Produkt verstanden (ebd.).
    Aus der soziologischen Perspektive entwickelte Martina Löw (2001) den
„relationalen“ Raumbegriff, um die Dualität der in der sozialwissenschaftli-
chen Forschung üblichen Trennung zwischen einem angenommenen ma-
teriellen Raum (absoluter Raum mit objektiven Strukturen) und einem ange-
nommenen sozialen Raum (Handeln von Individuen, sozialen Gruppen und
sozialen Gütern, die unabhängig vom Raum existieren) zu überwinden. Raum
wird demnach durch soziales Handeln erzeugt, während das Handeln selbst
wiederum von gegebenen räumlichen Strukturen abhängig sei. Das Beson-
dere dieses Raumverständnisses ist die Betonung des prozessualen und dy-
namischen Charakters des Raumes und die Syntheseleistung, indem die Ver-
ständnisweisen vom materiellen und sozialen Raum durch Wahrnehmung,
Vorstellung und Erinnerung verknüpft werden (Löw 2001: 9 – 16).
    Die verschiedenen Konzepte vom absoluten und relativen/relationalen
Raum können also über das Verhalten bzw. die Handlungen von Individuen
im Raum in eine wechselseitige Beziehung gebracht werden (siehe Abb. 1).
Beispielsweise lässt sich annehmen, dass Individuen die kognitive Repräsen-
tation des Raumes zur Entscheidungsfindung für das Verhalten/Handeln im
Raum heranziehen, welches so die räumliche Umwelt prägt. Auf der anderen
Seite vermittelt Verhalten/Handeln im Raum bestimmte Erfahrungen, bzw.
nehmen Individuen ihre Umwelt selektiv wahr, was wiederum die Gestalt und
die Ebenen der kognitiven Karte beeinflusst.
    Wenn man sich nun für das Verhalten im Raum interessiert, scheint es
unter dieser theoretischen Annahme unerlässlich zu sein, die kognitive Re-
präsentation des Raumes auch möglichst umfassend heranzuziehen. Die
Entwicklung der eingangs formulierten Fragestellungen soll im nächsten Ab-
schnitt anhand der von Kranepuhl/Ziervogel (2007) durchgeführten Studie
im Stadtteil Neulindenau verdeutlicht werden. Die Ergebnisse dieser Unter-
suchung weisen darauf hin, dass herkömmliche Planungsmethoden (wie die
Raumanalyse aus der Außenperspektive) die kognitive Repräsentation des
Raumes bei den Bewohnern (also die Innenperspektive) nur unzureichend be-
rücksichtigen können. Auch viele Fragebogenverfahren scheinen die Ebenen
der kognitiven Karte nicht gänzlich zu erfassen. Autoren wie z. B. Lynch (1960)
vertreten die Position, dass gerade die Mental-Map-Methoden, wie sie auch
in der Studie in Neulindenau eingesetzt wurden, die kognitive Repräsentation
des Raumes in besonderer Weise ansprechen.
194                             Daniela Ziervogel

Pilotstudie im Quartier Neulindenau (Leipzig)

Im Leipziger Westen liegt das Quartier Neulindenau, das aus stadtplanerischer
Sicht als eher problematisch angesehen wird. Als Ursachen hierfür gelten die
dortigen Industrie- und Gewerbebrachen, der hohe Anteil leer stehender und
unsanierter Wohngebäude, die hohe Verkehrsbelastung, die Einwohnerver-
luste und die Alterung der verbliebenen Bevölkerung sowie die fehlenden
sozialen und kulturellen Angebote. Unter anderem wegen bestimmter güns-
tiger Faktoren wie der relativ zentralen Lage des Quartiers oder seiner hohen
Freiraumpotenziale (Kleingartenanlage, Karl-Heine-Kanal und Hafen) hat die
Stadt Leipzig ein großes Interesse, dieses Quartier zu stabilisieren und auf-
zuwerten. Bei der Erarbeitung einer solchen Entwicklungskonzeption sollten
auch neue Formen der Bürgerbeteiligung getestet werden. Um die Bewer-
tung des Quartiers aus Sicht der Bewohner zu erfassen, wurde in einer Pilot-
studie im Jahr 2006 als eine Mental-Map-Aufgabe das Anfertigen einer Kar-
tenskizze durch die Quartiersbewohner ausgewählt sowie eine begleitende
Befragung durchgeführt (Kranepuhl/Ziervogel 2007). Um den Forschungsge-
genstand und die Ziele der Untersuchung zu verdeutlichen, werden ausge-
wählte Ergebnisse zur Quartiersbewertung aus dieser Studie im Folgenden
exemplarisch erläutert.

Quartiersstruktur Neulindenau – Außenperspektive

Das Quartier Neulindenau weist eine heterogene Nutzungsstruktur auf (siehe
Abb. 2). Westlich der Wohnbebauung liegt der Lindenauer Hafen und südlich
der Karl-Heine-Kanal. Im Norden und Süden des Stadtteiles finden sich grö-
ßere, zum Teil auch leer stehende Gewerbeflächen. Nordöstlich grenzt an das
Wohngebiet eine Kleingartenanlage. Der Stadtteil wird im Osten begrenzt
durch eine S-Bahn-Strecke. Infrastrukturelle Einrichtungen befinden sich vor
allem entlang der das Wohngebiet durchquerenden Bundesstraße B 87.
    Aus Sicht der Stadtplaner stellen die Industriebrachen, die sich direkt zwi-
schen dem Kanal und der Wohnbebauung befinden, Gebiete mit negativem
Image dar, sodass die Handlungspriorität zur Aufwertung der Flächen dort am
höchsten ist. Diesem Bereich wird aus stadtplanerischer Sicht eine besonde-
re Funktion für die Quartiersentwicklung zugewiesen. Es wird angenommen,
dass die Bewohner, die den Weg entlang des Kanals gern als Spazier- und
Radweg nutzen, und auch die Bewohner der neuen Wohnbebauung am Ka-
nal diese Brachflächen als wenig attraktiv empfinden und hier ebenfalls eine
hohe Handlungspriorität sehen. Diese Annahme sollte sich also auch in den
Mental-Map-Methoden in der Quartiersforschung            195

angefertigten Kartenskizzen (Mental Maps) der Bewohner und den Ergebnis-
sen des begleitenden Fragebogens niederschlagen (z. B. durch negative Be-
wertungen oder das Zuweisen der höchsten Handlungspriorität an diesem
Standort)

                  Abbildung 12. Nutzungsstruktur im Quartier Neulindenau

Partizipative Quartiersentwicklung – Innenperspektive

Gerade vor dem Hintergrund der demographischen Entwicklung solcher
Quartiere scheinen partizipative Planungsmethoden zunehmend wichtiger
zu werden. Dahinter steht die Überlegung, die Perspektiven der Bewohner
auf das Quartier, deren Vorstellungen und Wünsche stärker in den Planungs-
prozess einzubeziehen. Mit einer solchen nachfrageorientierten Quartiersent-
wicklung sollen zum einen vorhandene Bewohner im Quartier gehalten wer-
den. Zum anderen können partizipative Planungsmethoden dazu beitragen,
das Quartier auch für neue Bewohnergruppen attraktiv zu gestalten.
   In der Pilotstudie im Stadtteil Neulindenau ist als ein solches partizipati-
ves Instrument nun ein Mental-Map-Verfahren konstruiert worden. Im Mittel-
punkt der Studie stand die Fragestellung, ob dieses Verfahren zu ähnlichen
Schlüssen führt wie die vorhergehende Analyse aus Planersicht (Außenpers-
pektive) oder ob sich hierdurch andere Handlungsindikationen ergeben.
196                                       Daniela Ziervogel

    Die Abb. 13 zeigt typische Karten, wie sie von Bewohnern des Quartiers
Neulindenau gezeichnet wurden. Die Probanden wurden gebeten, innerhalb
von etwa 15 Minuten in einer Karte mit vorgegebenen Referenzen (Hafen,
Kanal, Hauptverkehrsstraßen, S-Bahn) diejenigen Orte und Elemente zu skiz-
zieren, die sie kennen, und anschließend diejenigen zu kennzeichnen, die sie
positiv bzw. negativ bewerten. Ganz zum Schluss sollten sie einen Ort mit der
höchsten Handlungspriorität markieren.

      Abbildung 13. Typische Kartenskizzen der Bewohner im Quartier Neulindenau

Das heißt also, dass es in dieser Aufgabe nicht nur darum geht, eine Karte vom
Quartier möglichst exakt anzufertigen. Die Gestalt dieser Kartenskizzen hängt
daher nicht nur von der Gestalt der realen Umwelt ab, sondern es drückt sich
in dieser auch die subjektive Bewertung der Raumelemente aus, also ob ein
Raumelement überhaupt wahrgenommen wird, welche Bedeutung dieses für
den Probanden hat und ob es als positiv oder negativ erlebt wird. Auch kom-
plexere Verhaltens- oder Wahrnehmungsvariablen – wie die Vertrautheit der
Bewohner mit ihrem Quartier, soziale Interaktionen, Verhalten – lassen sich
den Raumelementen der Mental Maps zuordnen.
    Beim Vergleich dieser beiden Herangehensweisen – also der Analyse aus
Planersicht und der Mental Maps der Bewohner – war Folgendes festzustellen:
Die aus Planersicht im Vordergrund stehende, brach liegende Gewerbefläche
bildet sich in der Mental Map der Bewohner im Regelfall nicht ab. Hingegen
scheinen sich die Bewohner eher an anderen, wohngebietsnahen Problembe-
Mental-Map-Methoden in der Quartiersforschung           197

reichen zu stören, wie z. B. dem schlechten Zustand ganz bestimmter Straßen
oder der S-Bahn-Unterführung. Letztere scheint als Knotenpunkt (siehe dazu
die nächsten Abschnitte des vorliegenden Beitrags) eine besondere Rolle für
die Bewohner zu spielen, was in dieser Form in der konventionellen Analyse
(aus Planersicht) nicht ersichtlich war.
    Im Rahmen der Studie haben die Probanden auch einen Fragebogen aus-
gefüllt, wie er typischerweise in solchen Untersuchungssituationen verwen-
det wird. Dieser enthielt z. B. Fragen zur Wohndauer, zur Wohnzufriedenheit
oder zum Aktionsraum. Zwar stand ein Vergleich des Fragebogen-Formates
und der Mental-Map-Methode nicht im Vordergrund der Studie. Es scheinen
sich hier jedoch charakteristische Disparitäten zwischen diesen Methoden ab-
zuzeichnen: Werden z. B. Bewohner explizit danach gefragt, was sie im Quar-
tier stört, sind die häufigsten Antworten meist allgemeiner Natur wie „die
Parkplatzsituation“, „der Leerstand“ und „die Brachflächen“ oder „die fehlen-
de Sauberkeit im Quartier“ (solche typischen Umfrageergebnisse lassen sich
erfahrungsgemäß auch in anderen ähnlichen Quartieren finden). Bezüglich
der Bedeutung der Brachflächen scheinen also die Planersicht und die Ergeb-
nisse der Bewohnerbefragung (Fragebogen-Methode) eine gewisse Überein-
stimmung aufzuweisen („die Brachflächen“). Werden die Bewohner allerdings
gebeten, sich in Form der Kartenskizze (Mental Map) ihr Quartier vor Augen
zu führen, also sprichwörtlich noch einmal „im Kopf“ durch ihr Quartier zu ge-
hen, gelangen sie zu einer ganz anderen Bedeutungshierarchie. Es entsteht
der Eindruck, dass es ihnen mithilfe der Mental-Map-Methode eher gelingt,
die alltäglichen Problembereiche genau zu verorten und diese auch konkreter
zu benennen.
    Die Ergebnisse dieser Studie geben Anlass, weitergehende Untersuchun-
gen zur Wahrnehmung und Bewertung von Räumen durchzuführen. In den
Forschungsarbeiten der Autorin steht deshalb der Zusammenhang zwischen
Wahrnehmung, kognitiver Raumrepräsentation (kognitive Karte) und Verhal-
ten im Raum sowie insbesondere die Entwicklung geeigneter standardisierter
Erhebungsmethoden zur Analyse dieses Zusammenhanges im Vordergrund.
Die folgenden Abschnitte bieten einen Überblick über die in der Literatur ge-
bräuchliche Definition und Beschreibung von kognitiven Karten. Die üblicher-
weise eingesetzten Methoden zu deren Analyse werden kurz benannt und
am Beispiel der Ergebnisse aus Neulindenau erläutert.
198                            Daniela Ziervogel

Charakterisierung kognitiver Karten
Kognitive Karten dienen als Informationsquelle, auf deren Grundlage Indivi-
duen raumrelevante Entscheidungen treffen. Sie können als mentales, hypo-
thetisches Konstrukt aufgefasst werden. Als subjektive Vorstellung vom Raum
enthalten sie Informationen über die (räumliche) Umwelt wie etwa Standorte
von Raumelementen, Eigenschaften, Einstellungen und Bewertungen und
deren räumliche Zusammenhänge wie z. B. deren Lage und Relationen zuei-
nander (also etwa den Standort von Einkaufsmöglichkeiten im Quartier, die
Wegstrecke dorthin und mögliche Verkehrsmittel zu deren Erreichung, die
Attraktivität des Standortes oder die Art und Qualität des dortigen Angebo-
tes). Diese Informationen beeinflussen wiederum die Entscheidungen von In-
dividuen zu räumlichen Handlungen (also etwa ob, wann und wie Individuen
einen bestimmten Ort im Quartier aufsuchen). Die kognitive Karte stellt somit
die Basis für das räumliche Verhalten für die Handlungen von Individuen dar
(Downs/Stea 1982: 25, 31; Kitchin 1994: 3, 6).
    Kognitive Karten sind aber auch als dynamische Konstrukte zu verstehen,
welche durch neue Informationen und neue Erfahrungen angepasst werden.
Sie sind komplex, hoch selektiv, abstrakt und generalisiert und stellen des-
halb unvollständige, verzerrte und schematisierte Abbilder (oder auch Vor-
stellungen, Repräsentationen, geistige Bilder, Modelle) der Umwelt zu einem
bestimmten Zeitpunkt dar (Downs/Stea 1973b: 18; Kitchin 1994: 3, 6). Sie sind
ferner von der jeweiligen Perspektive des Betrachters abhängig (z. B. in Ab-
hängigkeit von der Maßstabsebene, den bisherigen Erfahrungen und der
Vertrautheit des Individuums mit dem Raum). Subjektivität, Selektivität und
verschiedene Perspektiven können dazu führen, dass kognitive Karten zwi-
schen Individuen auch sehr unterschiedlich sind (Downs/Stea 1982: 41 – 46).
Ein unterschiedliches räumliches Verhalten von Individuen könnte demnach
auf Unterschiede in ihren kognitiven Karten zurückzuführen sein (Lloyd 1989:
121). Durch die Untersuchung kognitiver Karten mit dafür geeigneten Metho-
den (siehe nächster Abschnitt) ist es möglich, raumrelevante Entscheidungen
und das daraus folgende Verhalten zu erschließen (Kitchin 1994: 6).
    Die kognitive Karte kann als ein Produkt aus der Aneignung von Informati-
onen aus der alltäglichen räumlichen Umwelt – dem so genannten „Cognitive
Mapping“ – aufgefasst werden. Dieser Lernprozess des „Mapping“ beruht auf
Fähigkeiten, „die es uns ermöglichen, Informationen zu sammeln, zu ordnen,
zu speichern, abzurufen und zu verarbeiten“ (Downs/Stea 1982: 23). Er umfasst
sowohl Prozesse zur Orientierung und Wegfindung als auch kognitive und ima-
ginäre Prozesse zur Ordnung der Welt durch graphische, bildhafte und auch
narrative oder verhaltensorientierte Repräsentationen (Cosgrove 2008: 68).
Mental-Map-Methoden in der Quartiersforschung              199

Beispiele zur Analyse von kognitiven Karten
Um Aspekte der Umweltwahrnehmung und -bewertung, der kognitiven
Raumrepräsentation und des Verhaltens zu untersuchen, können verschiede-
ne Methoden eingesetzt werden – in Betracht kommen etwa Umfragen mit-
hilfe von Fragebögen, die Verwendung von Fotografien und Miniaturmodel-
len oder das Anfertigen von Kartenskizzen, die Abfrage nach Distanzen und
Richtungsangaben von bestimmten Orten, detaillierte verbale Beschreibun-
gen von Orten oder Reiserouten sowie Feldexperimente zur Beobachtung
des tatsächlichen räumlichen Verhaltens (vgl. z. B. Liben 1981: 11; Gärling/Sel-
art/Böök 1997: 165 – 174; Linden/Sheehy 2004: 33 – 35; Werlen 2008: 258 – 265).
    Gezeichnete Kartenskizzen kommen dabei in der Praxis häufig zum Einsatz,
wenn es um die sogenannten Mental-Maps geht. Die Art und Weise der Zeich-
nungen sowie die Form und Detailliertheit der Skizze geben Hinweise darauf,
welche Bedeutung die Elemente für die Probanden haben. Sie enthalten Infor-
mationen über Bewertungen und Einstellungen sowie über die Beziehungen
zwischen den Individuen oder sozialen Gruppen in dem betrachteten Raum
bzw. über die Beziehungen zwischen den Probanden und den Raumelemen-
ten. Räumliche Vorstellungsbilder können darüber hinaus auch von der sozia-
len Bedeutung eines Gebietes, seinen Funktionen, seiner Geschichte oder sei-
ner namentlichen Bezeichnung beeinflusst werden (Lynch 1960: 46).

Raumelemente von kognitiven Karten nach Kevin Lynch (1960)

Eine der ersten umfassenden konzeptionellen Untersuchungen zur Erfassung
und Darstellung kognitiver Karten aus stadtplanerischem Interesse ist die Arbeit
von Lynch (1960) mit dem Titel „The Image of the City“. Die Motivation Lynchs ist
die Erarbeitung geeigneter Untersuchungsmethoden, die als Grundlage für Pla-
nungsentscheidungen dienen könnten. Lynch bezieht seine Analysedaten aus
Bewohnerbefragungen in verschiedenen Stadtteilen. Die Aufgaben bestehen
daraus, eine Kartenskizze anzufertigen, bestimmte Wegstrecken detailliert zu
beschreiben sowie diejenigen Orte zu nennen und kurz zu charakterisieren, die
den Befragten besonders markant und anschaulich im Gedächtnis sind (Lynch
1960: 140; siehe auch Beispielfragen aus dem Interview in Abb. 14). Lynch ar-
beitet dabei nicht nur mit gezeichneten Kartenskizzen, sondern auch mit dem
Einordnen von Fotos oder mit Interviews vor Ort beziehungsweise mit Ortsbe-
gehungen und ähnlichem (Lynch 1960: 140–142). Darüber hinaus stützt Lynch
seine Analysen auf die systematische Auswertung von Kartierungen und Orts-
beschreibungen der jeweils untersuchten Stadtteile, die von vorher instruierten
Beobachtern erstellt wurden und die als Vergleichsdaten dienen (ebd.: 143f.).
200                                        Daniela Ziervogel

    Lynch erarbeitet aufgrund theoretischer Vorüberlegungen fünf Typen von
strukturellen Elementen (siehe Abb. 14), aus denen sich das Bild der Stadt zu-
sammensetze: Wege, Grenzlinien, Gebiete, Knotenpunkte und Landmarken
(Lynch 1960: 46 – 48). Im Ergebnis seiner Untersuchungen werden aggregierte
Karten aus den einzelnen Kartenskizzen und Informationen der Probanden
beziehungsweise der geschulten Beobachter erstellt. Diese aggregierten Kar-
ten bezeichnet er als „images“ im Sinne von Vorstellungsbildern, die aus den
Erhebungsdaten abgeleitet werden. In ihnen sind die Elemente des betrach-
teten Stadtteils dargestellt, klassifiziert nach den fünf Strukturtypen und dif-
ferenziert nach der Häufigkeit der Nennungen.

        Was fällt Ihnen als erstes ein, wenn               Wege (paths) sind linienartige Ele-
         Sie an den Ort „...“ denken, was                   mente wie Straßen, Fußwege, Was-
         symbolisiert das Wort „...“ [Ort] für              serwege. Sie spielen eine dominante
         Sie?                                               Rolle in den kognitiven Karten.
        Zeichnen Sie bitte eine Karte der                  Grenzlinien (edges) sind linienartige
         Innenstadt, so, als ob Sie diese                   Elemente, die Gebiete abgrenzen
         schnell einem Fremden erklären                     und auch Barrieren sein können, wie
         würden. (...)                                      Ufer oder Wälle.
        Beschreiben Sie bitte vollständig                  Gebiete (districts) sind zusammen-
         und detailliert den Weg von Ihrer                  hängende Flächen mit typischen Ei-
         Wohnung zum Arbeitsort. (...)                      genschaften wie Wohnquartiere,
         Verbinden Sie bestimmte Gefühle                    Parkanlagen oder Gewerbeflächen.
         mit den Streckenabschnitten? Wie
         viel Zeit benötigen Sie normaler-                  Knotenpunkte (nodes) sind strate-
         weise? Gibt es Stellen, an denen                   gisch wichtige Orte wie Kreuzungen,
         Sie sich unsicher bezüglich Ihrer                  Umsteigepunkte, Quartierszentren
         Raumposition sind?                                 oder Plätze.

        Zeigen Sie mir auf Ihrer Karte, wo                 Landmarken (landmarks) sind Refe-
         „...“ liegt.                                       renzpunkte zur Orientierung im
                                                            Raum wie weit sichtbare und mar-
        Zeigen Sie, wo Norden ist.                         kante Türme, Kuppeln, Berge, die
                                                            Sonne oder auch kleine markante
        (...)                                              Merkpunkte wie Schilder, Bäume,
                                                            Türgriffe.

      Abbildung 14. Beispielfragen aus den Interviews von Lynch; Typen von Raumelementen im Bild der
                    Stadt
      nach Lynch 1960: 141f.; bzw. nach Lynch 1960: 46 – 48

Der Studie von Lynch (1960: 140) liegen eher anwendungsbezogene Frage-
stellungen zum Design einer Stadt zugrunde als die Frage, wie der Raum bei
den Bewohnern kognitiv repräsentiert ist. Trotz des häufigen Einsatzes dieser
Methode steht eine Überprüfung noch aus, ob die theoretisch abgeleiteten
Mental-Map-Methoden in der Quartiersforschung             201

fünf Strukturtypen von Lynch auch empirisch Bestand haben, d.h. ob sich die-
se Elemente z. B. zwischen den Probanden unterscheiden oder gar ob diese
Einteilung empirisch angemessen ist oder sich vielleicht noch ganz andere
Elemente ableiten lassen.

Raumelemente von kognitiven Karten – empirische Befunde in Neulin-
denau

In der explorativen Studie in Neulindenau ist die von Lynch (1960) erarbeitete
Klassifikation für eine quartiersbezogene planerische Fragestellung herange-
zogen worden (Kranepuhl/Ziervogel 2007). Die Kartenskizzen weisen zum Teil
die von Lynch gebildeten fünf Typen von Strukturelementen auf, was an den
in Abb. 13 ausgewählten Beispielen sichtbar wird. In den Kartenskizzen sind
deutliche Unterschiede hinsichtlich der Zeichendichte, der Detailschärfe und
auch der Bewertungen erkennbar. Auffällig ist die Fokussierung der Zeichnun-
gen auf die Wohnbereiche, welche meistens detaillierter als andere Bereiche
und in Relation zur realen Umwelt auch großflächiger gezeichnet werden. Im
Gegensatz dazu stehen die nördlich und südlich liegenden Gewerbeflächen,
welche zwar auch häufig, aber dafür unterdimensioniert und wenig detail-
liert aufgeführt sind und somit nicht zum alltäglichen Wahrnehmungsbereich
der Befragten zu gehören scheinen. Gemeinsamkeiten bestehen in der Domi-
nanz der Straßen und Wege als linienartige Elemente, die in den meisten Fäl-
len auch als erstes eingezeichnet werden. Der Karl-Heine-Kanal scheint eine
Grenzlinie (Barriere) für viele der Befragten darzustellen. Elemente südlich des
Kanals werden nicht oder, falls ja, nur sehr wenige genannt. Sie scheinen also
von den Befragten nicht als zu dem Stadtquartier zugehörig wahrgenommen
zu werden (im Gegensatz zur administrativen Abgrenzung des Stadtteils).
Knotenpunkte stellen z. B. infrastrukturelle Einrichtungen oder der Hafen dar.
Letzterer bildet einen wichtigen Identifikationspunkt für die Bewohner, ob-
wohl er außerhalb der administrativen Grenzen des Stadtteiles liegt.
    Solche Kartenskizzen können nicht nur hinsichtlich der Häufigkeit der
Nennungen der Raumelemente, deren Bedeutung und Bewertung oder nach
der Abweichung der gezeichneten Flächengrößen und Distanzen von denje-
nigen in der realen Umwelt ausgewertet werden. Vielmehr können Analysen
zu Unterschieden zwischen sozialen Gruppen oder Analysen zu den Abhän-
gigkeiten zwischen den Raumelementen ebenso interessante Ergebnisse lie-
fern. Werden Erhebungen über mindestens zwei Zeitpunkte durchgeführt,
ließen sich auch Veränderungen im Quartier hinsichtlich ihrer kognitiven Re-
präsentation und Wirkung auf das aktionsräumliche Verhalten untersuchen.
202                            Daniela Ziervogel

    Die Ergebnisse der Studie in Neulindenau deuten an, dass die gewählte
Methode besonders dafür geeignet erscheint, erstens die Wahrnehmung
der räumlichen Abgrenzung des Quartiers durch die Bewohner und zweitens
detaillierte Aussagen zur Wahrnehmung und Bewertung bestimmter Orte
im Quartier zu erfassen. Der Vorteil dieser Methode liegt in der räumlichen
Darstellung der wahrgenommenen Elemente und Bewertungen durch die
Probanden selbst. Die Untersuchungen in Neulindenau scheinen die These
zu stützen, dass mit der so gewonnenen standortgenauen Verortung der
Elemente und Bewertungen detailliertere Informationen zur Analyse der
Wahrnehmung und des Verhaltens im Raum zur Verfügung stehen, als dies
für vergleichbare Fragebogen-Methoden zutrifft. Kritisch anzumerken ist al-
lerdings, dass eine solche Aggregationsmethode nach Lynch (1960) metho-
dische Schwächen aufweist. Ein systematischer Vergleich der Mental-Map-
Methoden und vor allem eine Standardisierung stehen noch aus.

Diskussion und Ausblick

Die vorangegangenen Abschnitte haben einen Überblick über den Unter-
suchungsgegenstand der „kognitiven Karte” und deren konzeptionellen
Rahmen gegeben. Verschiedene Erhebungsmethoden können zur Analyse
kognitiver Karten eingesetzt werden. Deren Vorteile und Restriktionen in der
praktischen Anwendung sollen nun abschließend diskutiert sowie ein Aus-
blick auf den weiteren Forschungsbedarf gegeben werden.

Vorteile und Restriktionen der Methoden im Vergleich

Der Vorteil der Mental-Map-Methoden liegt darin, dass die Probanden ihre
Erfahrungen im Raum verorten. Dadurch kann ein direkter, standortgetreuer
räumlicher Bezug von Sachverhalten (z. B. Raumkenntnisse, Raumbewertun-
gen, Brennpunkte im Quartier) hergestellt werden, ebenso wie sich räumli-
che Informationen in hoher Detailschärfe abbilden lassen (vgl. hierzu auch
die Ergebnisse aus der Studie Neulindenau von Kranepuhl/Ziervogel 2007).
Die empirischen Arbeiten von Linden/Sheehy (2004: 38f.), herangezogen zum
Vergleich zwischen der Fragebogen-Methode und der Verwendung von Kar-
ten zur Bewertung von Regionen, haben sogar gezeigt, dass die Ergebnisse,
die mithilfe einer Landkarte abgefragt wurden, eine deutlich höhere Variabi-
lität aufweisen.
    Gerade in der Arbeit mit Kartenskizzen oder Orientierungsaufgaben zeigt
sich die Besonderheit der Methoden, die gegenüber den Fragebogen-Metho-
Mental-Map-Methoden in der Quartiersforschung           203

den keine oder nur wenige Sprachkenntnisse bei den Probanden vorausset-
zen. Somit sind Mental-Map-Methoden für den Vergleich von Studien über
verschiedene Ländergrenzen und Kulturkreise oder auch für Erhebungen mit
spezifischen Zielgruppen (z. B. Kindern) besonders geeignet. Auch lassen sich
Informationen, die nur schwer verbalisierbar sind (wie etwa räumliche Struk-
turen, Bilder und Symbole), mithilfe der Mental-Map-Methoden besser erfas-
sen als durch Fragebogen-Methoden.
    Eine wichtige Stellung kommt den Mental-Map-Methoden darin zu, die
Ergebnisse sowohl qualitativ als auch quantitativ auszuwerten sowie sich im
Rahmen eines explorativen Vorgehens dem Untersuchungsgegenstand an-
zunähern. Demgegenüber setzen standardisierte Fragebogen-Methoden
gewisse Vorkenntnisse über den Untersuchungsgegenstand voraus, stellen
dafür aber auch ein effizientes Instrument zur Erhebung quantitativer Daten
für große Stichproben dar. Allerdings müssen dann auch Fragen zur Repräsen-
tativität des Fragebogenrücklaufes geklärt werden.
    Gerade bei der Durchführung von explorativen Studien liegt die Stärke
solcher Aufgabentypen wie der beschriebenen Mental-Map-Methoden da-
rin, dass es sich um eher implizite Erhebungsmethoden handelt. Die Unter-
suchungsintentionen sollten dann für die Befragten im Allgemeinen nicht
unmittelbar zu erschließen sein. Bei den Fragebogen-Methoden, die dem-
gegenüber eher explizite Erhebungsmethoden darstellen (da die Untersu-
chungsintentionen den Befragten im Allgemeinen bekannt sind), sind die
damit einhergehenden typischen systematischen Verzerrungen häufig nur
schwer zu kontrollieren. Zu solchen Fehlerquellen in der Fragebogenauswer-
tung gehören z. B. Effekte der sozialen Erwünschtheit und der Akquieszenz
sowie Skaleneffekte. Ein Beispiel soll die unterschiedliche Vorgehensweise bei
expliziten und impliziten Verfahren veranschaulichen: Angenommen, man in-
teressiert sich für die Attraktivität und Nutzungsfrequenz eines bestimmten
Platzes in einem Quartier. Mithilfe eines Fragebogens im Sinne eines explizi-
ten Verfahrens könnte man hierzu eine Bewertung des Ortes entsprechend
einer vorgegebenen Antwortskala vornehmen lassen. Mittels einer impliziten
Erhebungsmethode wie der Anfertigung einer Kartenskizze vom Quartier
würde man etwa von der Größe und Detailliertheit des gezeichneten Ortes
auf dessen affektive Bewertung schließen.
    Restriktionen beim Einsatz von Mental-Map-Methoden beziehen sich da-
gegen vor allem auf die Darstellbarkeit von kognitiven Informationen. Karten-
skizzen z. B. stellen in der Regel ein zweidimensionales Abbild eines Raumaus-
schnittes dar und nehmen oft eine vertikale Perspektive des Betrachters ein.
Es stellt sich hier die Frage, ob die kognitive Raumrepräsentation bei Indivi-
204                             Daniela Ziervogel

duen ebenfalls aus vertikaler Perspektive organisiert ist oder nicht eher aus
einer horizontalen Perspektive, also aus dem eigenen, alltäglichen Blickwinkel
heraus (Gärling/Selart/Böök 1997: 170).
    Kartenzeichnen und Kartenlesen sind zudem komplexe Aufgaben, die
bestimmte zeichnerische und kognitive Fähigkeiten (z. B. räumliches Sehver-
mögen, räumliche Orientierungsfähigkeit, Erinnerungsvermögen an Raum-
elemente, Richtungen, Distanzen) von den Probanden verlangen (Lloyd 1993:
150). Da anzunehmen ist, dass sich etwa die zeichnerischen Fähigkeiten der
Probanden entscheidend auf die Qualität der Kartenskizzen auswirken, muss
ein entsprechendes Kontrollverfahren wie z. B. der Abzeichentest nach Buse-
mann (1955) oder der Rey-Osterrieth Complex Figure Test (Osterrieth 1944)
zusätzlich durchgeführt werden.
    Ebenso sind kognitive Karten und darin enthaltene Informationen nicht
ausschließlich (räumlich-)visueller Natur und damit nicht immer über (karto-
graphisch-)visuelle, d.h. zeichnerische Methoden erfassbar und darstellbar
(etwa Gerüche, Geräusche, Gefühle, vgl. Downs/Stea 1982: 41). Tuan (1975:
206) spricht deshalb auch eher von einem „Schema“ oder einer „kognitiven
Struktur“ anstatt von Karten oder Bildern. Neben dem Kartenzeichnen wer-
den also auch ergänzende Methoden zur Analyse der kognitiven Raumreprä-
sentation eingesetzt werden müssen, wie z. B. Fragebogen-Methoden oder
verbale Beschreibungen, die auch das Abfragen von nicht-räumlichen und
nicht-visuellen Informationen ermöglichen.

Weiterer Forschungsbedarf

Die Berücksichtigung der kognitiven Repräsentation und des aktionsräumli-
chen Verhaltens der Stadtbewohner scheint bisherige Analysen in der Stadt-
und Quartiersforschung durch die systematische Einbindung der Bewohner
sinnvoll ergänzen zu können. Ein standardisiertes Mental-Map-Verfahren
kann dazu beitragen, das Bild der Stadt aus einer wahrnehmungs- und ver-
haltenswissenschaftlichen Perspektive weiterzuentwickeln. Die Anwendung
eines solchen Verfahrens bietet einen weiteren Ansatz zur partizipativen Pla-
nung, der sich gerade durch seine Objektivität, Reliabilität und Validität aus-
zeichnet. Es geht also nicht darum, bereits bewährte Planungsinstrumente zu
ersetzen, sondern diese durch geeignete Methoden zur Erfassung der Bewoh-
nerperspektive zu erweitern und damit eine breitere Grundlage für Entschei-
dungen zur Umsetzung von Stadt- und Quartiersentwicklungsmaßnahmen
zur Verfügung zu stellen.
Mental-Map-Methoden in der Quartiersforschung                      205

    Stadtplanung und Stadtforschung stehen in der Zukunft aufgrund sich
verändernder Rahmenbedingungen wie z. B. Schrumpfung, Wachstum, Sub-
urbanisierung, Segregation und Gentrifizierung vor neuen Aufgaben. Men-
tal-Map-Verfahren können zur Identifikation städtischer Problemfelder so-
wohl aus Bewohner- als auch aus Expertensicht und ebenso zur Evaluation
bestimmter Entwicklungsstrategien der Stadt bzw. in ihren Quartieren bei-
tragen. Es wird damit ein Instrument bereitgestellt, welches es erlaubt, Pla-
nungsentscheidungen so zu treffen, dass sie auch die Stadt in den Köpfen der
Bewohner berücksichtigen.

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