Halteplätze für Jenische, Sinti und Roma - EspaceSuisse

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Halteplätze für Jenische, Sinti und Roma - EspaceSuisse
&Umwelt                        Dossiers zur Raumentwicklung
                               Raum

                                                   Februar 1/2019

Halteplätze für Jenische, Sinti und Roma
  Rechtliche und raumplanerische Rahmenbedingungen für Halteplätze
Halteplätze für Jenische, Sinti und Roma - EspaceSuisse
Impressum

                                                Raum & Umwelt, EspaceSuisse
                                                Dossiers zur Raumentwicklung für Mitglieder
                                                des ­Verbands für Raumplanung EspaceSuisse.
                                                Raum & Umwelt erscheint viermal jährlich
                                                in deutscher und französischer Sprache.

                                                Herausgeberin
                                                EspaceSuisse
                                                Verband für Raumplanung
                                                Association pour l’aménagement du territoire
                                                Associazione per la pianificazione del territorio
                                                Associaziun per la planisaziun dal territori
                                                Sulgenrain 20, 3007 Bern
                                                Tel. +41 31 380 76 76
                                                www.espacesuisse.ch

                                                Redaktion
                                                Lukas Bühlmann, Direktor, EspaceSuisse
                                                Annemarie Straumann, Kommunikationsverantwortliche,
                                                EspaceSuisse

                                                Fotos
                                                EspaceSuisse und Stiftung Zukunft für Schweizer
                                                Fahrende

                                                Titelfoto
                                                Auf dem Gelände beim Bahnhof St. Johann in Basel.
                                                Foto: Simon Röthlisberger, Stiftung Zukunft für Schweizer
EspaceSuisse | Raum & Umwelt | Februar 1/2019

                                                Fahrende

                                                Bildbearbeitung
                                                Felix Wyss, EspaceSuisse

                                                Layout
                                                diff. Kommunikation AG, Bern

                                                Gestaltung
                                                Ludwig Zeller

                                                Druck
                                                Galledia Print AG, 9442 Berneck
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Halteplätze für Jenische, Sinti und Roma - EspaceSuisse
Halteplätze für Jenische,
Sinti und Roma
Rechtliche und raumplanerische Rahmenbedingungen
für Halteplätze

Rund 3000 Angehörige der Schweizer Jenischen und Sinti leben die
traditionelle fahrende Lebensweise. Dazu kommen je nach Schätzung
einige hundert bis über tausend ausländische Roma, die ebenfalls
vom Frühling bis in den Herbst hinein mit ihren Wohnwagen und
Wohnmobilen in der Schweiz unterwegs sind. Was ihnen fehlt, sind
Halteplätze, wo sie ihre Fahrzeuge abstellen dürfen, sei es spontan
und kurzfristig oder für einen etwas längeren Durchgangsaufenthalt.
Auch mangelt es an fixen Standplätzen, auf denen Jenische, Sinti
und Roma dauerhaft oder den Winter über in ihren Wohnwagen,
­Containern oder kleinen Häuschen leben können.

Teilweise bestehen rechtliche und raumplanerische Unsicherheiten,
wenn fahrende Menschen mit ihren Fahrzeugen auf einem
Gemeinde­gebiet Halt machen. Dieses Raum & Umwelt zeigt auf, wie
Bund, Kantone und Gemeinden mit der Nachfrage nach Halteplätzen
umgehen können. Es erklärt, welches die rechtlichen und raum­
planerischen Rahmenbedingungen für die Erstellung von Halte­
plätzen sind. Das Heft richtet sich auch an Laien, die mit der schweize­
rischen Raumplanung und ihren Instrumenten nur wenig oder gar
nicht vertraut sind. Aus diesem Grund werden die raumplanerischen
Instrumente relativ ausführlich umschrieben.
                                                                           EspaceSuisse | Raum & Umwelt | Februar 1/2019
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Halteplätze für Jenische, Sinti und Roma - EspaceSuisse
4   EspaceSuisse | Raum & Umwelt | Februar 1/2019
Halteplätze für Jenische, Sinti und Roma - EspaceSuisse
Vorwort

 Halteplätze in der Raumplanung
­mitdenken

In meinem bisherigen (politischen) Leben, das        Raum für Halteplätze ist dabei nur ein Aspekt un­
ich in Arch, Bern und Belp verbrachte, bin ich       ter vielen. Selbstverständlich ist hier die Politik
immer wieder Fahrenden begegnet. Bis im              gefordert. Der politische Wille ist unabdingbar.
Sommer 2018 war ich ein Jahrzehnt lang als           Im Kern geht es aber um die Raumordnung, die
Berner Regierungsrat für die Planung der Plätze      mit Fragen des Zusammenlebens der sesshaf­
verantwortlich. Mit dem Wechsel in die Bau-,         ten mit der fahrenden Bevölkerung und dem
Verkehrs- und Energiedirektion werde ich für         Minderheitenschutz verknüpft ist. Der Raumpla­
den Bau der geplanten Plätze verantwortlich          nung fällt deshalb bei diesen Aushandlungspro­
sein. Das zeigt: Halteplatzfragen sind eine inter­   zessen eine gewichtige Rolle zu.
disziplinäre Verbundsaufgabe von Gemeinde,
Kanton und Bund. Neue Plätze gelingen, wenn          Die konzeptionellen Grundlagen und Praxiser­
alle ihren Beitrag leisten.                          fahrungen – die aufzeigen, wie man einen Platz
                                                     erfolgreich plant, realisiert und betreibt – sind
Wollen wir ein konstruktives Zusammenleben           vorhanden. Dieses wertvolle Wissen wurde für
der sesshaften Bevökerung mit den fahrenden          die vorliegende Publikation zusammengetra­
Jenischen, Sinti und Roma? Dann planen und           gen und aufbereitet. Wir können voneinander
schaffen wir dauerhaft Plätze für diese Men­         lernen und damit miteinander Lösungen finden,
schen. Ermöglichen wir den zeitlich beschränk­       statt Probleme zu bewirtschaften. Es gibt einigen
ten Halt in der Landwirtschaftszone oder auf         Handlungsbedarf. Sie finden deshalb in der Pu­
anderem Land – den sogenannten spontanen             blikation auch Empfehlungen, die ­EspaceSuisse
Halt, die ursprüngliche Form des Fahrens.            und die Stiftung Zukunft für Schweizer Fahrende
                                                     gemeinsam erarbeitet haben.
Prägendes Merkmal der Jenischen und Sinti,
aber auch vieler Roma ist ihre fahrende Lebens­
weise. Sie halten dort, wo sie Arbeit finden. Sie
überwintern auf dauerhaften Winterstandplät­
zen in Wohnwagen, Containern oder kleinen
                                                                                                           EspaceSuisse | Raum & Umwelt | Februar 1/2019

Chalets. Fahrende haben legitime räumliche
Bedürfnisse, die nicht an einer Gemeinde- oder
Kantonsgrenze haltmachen. Diese müssen des­
halb notwendigerweise über Gemeinde- und
Kantonsgrenzen hinweg koordiniert werden.

Die Interessenkonflikte um die knappen Wohn-,        Christoph Neuhaus
Industrie- und Landwirtschaftsflächen im Sied­       Regierungspräsident des Kantons Bern und
lungsbereich vom Bodensee bis zum Genfersee          Präsident der Stiftung Zukunft für Schweizer
spitzen sich zunehmend zu. Der notwendige            Fahrende
                                                                                                           5
Halteplätze für Jenische, Sinti und Roma - EspaceSuisse
Inhalt

                                                1       Einleitung                                                         8

                                                2       Internationale rechtliche Grundlagen                               9

                                                3       Bundesrechtliche Grundlagen                                        14
                                                3.1     Grundrechte                                                        14
                                                3.2     Bundesgesetze                                                      14

                                                4       Handlungsbedarf                                                    16

                                                5       Massnahmen des Bundes                                              18
                                                5.1     Raumplanerische Massnahmen                                         18
                                                5.1.1   Konzepte                                                           18
                                                5.1.2   Sachpläne                                                          19
                                                5.2     Bund als Landbesitzer                                              20
                                                5.3     Beispiel Kanton Freiburg: Transitplatz entsteht dank Kooperation   20
                                                5.3.1   Betriebsregelungen                                                 21
                                                5.3.2   Praxiserfahrungen                                                  21
                                                5.3.3   Bilanz                                                             21

                                                6       Aufgaben der Kantone                                               22
                                                6.1     Kantonale Gesetze                                                  22
                                                6.2     Kantonale Richtpläne                                               22
                                                6.3     Kanton Zürich: Richtplan angepasst, Konzept erarbeitet             23
                                                6.4     Kantonale Konzepte                                                 25
                                                6.5     Kantonale Nutzungspläne                                            25
                                                6.6     Aargau: Einiges wurde ­erreicht                                    26
                                                6.6.1   Tätigkeit der Fachstelle                                           26
                                                6.6.2   Spontaner Halt                                                     27
                                                6.6.3   Solide normative Grundlage                                         27
EspaceSuisse | Raum & Umwelt | Februar 1/2019

                                                6.7     Der Kanton Bern übernimmt Verantwortung                            28
                                                6.7.1   Suche potenzieller Halteplätze                                     28
                                                6.7.2   Raumplanerische Instrumente                                        29
                                                6.7.3   Kantonale Verantwortung entlastet Gemeinde                         29
                                                6.7.4   Transitplätze                                                      29
                                                6.7.5   Plätze sind eine Verbundaufgabe                                    30
6
Halteplätze für Jenische, Sinti und Roma - EspaceSuisse
7       Rolle der Gemeinden                                                                   31
7.1     Kommunale Nutzungspläne                                                               31
7.2     Arten von Nutzungsplänen                                                              31
7.3     Halteplätze für Fahrende                                                              31
7.4     Vorbildlicher Standplatz Bern-Buech                                                   32
7.4.1   Definitiver Standort                                                                  33
7.4.2   Umzonung: Vorgehen und Instrumente                                                    34
7.4.3   Einrichtung und Betrieb                                                               36
7.4.4   Bilanz                                                                                36
7.5     Basel-Stadt: Von der Zwischennutzung zum dauerhaften Platz                            37
7.5.1   Richtplan: Zeitliche Vorgabe, ­Kontakte, Provisorien                                  37
7.5.2   Zwischennutzung St. Johann                                                            37
7.5.3   Definitiver Platz an der Friedrich ­Miescher-Strasse                                  37
7.5.4   Einbezug der Nutzerinnen und ­Nutzer                                                  39
7.6     Baubewilligungen und ­Betriebsreglemente                                              39
7.7     Durchgangsplatz Thun-­Allmendingen: Aufwertung und ganzjährige Öffnung                40
7.7.1   Sanierung                                                                             42
7.7.2   Aktueller Betrieb                                                                     42
7.7.3   Bilanz                                                                                42
7.8     Beispiel Durchgangsplatz ­Winterthur: Bestechend ­einfaches Bewirtschaftungs­system   43

8       Interessenabwägung                                                                    44
8.1     Mitwirkung und Transparenz                                                            46
8.2     Eckpunkte für die Interessen­abwägung bei Halteplätzen                                46
8.2.1   Interessen der Jenischen, Sinti und Roma                                              46
8.2.2   Interessen der Grundeigentümer                                                        47
8.2.3   Abwägen der Interessen                                                                47

9       Bilanz                                                                                48
                                                                                                   EspaceSuisse | Raum & Umwelt | Februar 1/2019

10      Empfehlungen                                                                          50
                                                                                                   7
Halteplätze für Jenische, Sinti und Roma - EspaceSuisse
1       Einleitung

                                                Seit dem Jahr 2000 dokumentiert die Stiftung        Fahrende finden kaum Plätze – rund sieben Plät­
                                                Zukunft für Schweizer Fahrende im Fünfjahres­       ze existieren derzeit, deutlich mehr wären not­
                                                rhythmus die Wohnsituation der Jenischen, Sinti     wendig. Das zeigte sich einmal mehr im August
                                                und Roma.1 Die sogenannten Standberichte            2018, als ein ausländischer Konvoi ein Baustel­
                                                enthalten jeweils eine detaillierte Bestandesauf­   lenareal im solothurnischen Luterbach besetz­
                                                nahme der Halteplätze und weisen die zusätzli­      te.4 In allen Landesteilen sind Halteplätze, auch
                                                chen Bedürfnisse dieser Bevölkerungsgruppen         wenn sie nur für einen kurzfristigen Aufenthalt
                                                aus. Der Standbericht 2015 zeigte ein ernüch­       dienen sollen, schwer zu finden. Der Kanton
                                                terndes Bild: Die Zahl der Standplätze hatte in     St. Gallen ist beispielsweise seit Jahren auf der
                                                fünfzehn Jahren lediglich um vier Plätze zuge­      Suche nach geeigneten Standorten und setzt
                                                nommen (von elf auf fünfzehn), noch drastischer     nun auf provisorische Durchgangsplätze.
                                                präsentierten sich die Verhältnisse bei den
                                                Durchgangsplätzen, wo von den ursprünglich          Im vorliegenden Raum & Umwelt zeigt Espa­
                                                46 gerade noch 31 Plätze bestanden.2                ceSuisse zusammen mit der Stiftung Zukunft
                                                                                                    für Schweizer Fahrende auf, wie Bund, Kanto­
                                                Ein Beitrag im Inforaum vom September 2016          ne und Gemeinden mit der Nachfrage nach
                                                deckte zudem auf, dass Jenischen, Sinti und         Halteplätzen umgehen können. Die raumpla­
                                                Roma oft mit planerischen Argumenten Halte­         nerischen Instrumente werden erläutert und
                                                plätze verweigert werden.3 Nicht nur Schwei­        anhand von Beispielen wird dargestellt, wie die
                                                zerinnen und Schweizer, auch ausländische           drei Staatsebenen die Aufgabe erfüllen.
EspaceSuisse | Raum & Umwelt | Februar 1/2019

                                                                                                    1 Stiftung Zukunft für Schweizer Fahrende (Hrsg.),
                                                                                                      Fahrende und Raumplanung, Standbericht 2000,
                                                                                                      St. Gallen 2001.
                                                                                                    2 Stiftung Zukunft für Schweizer Fahrende (Hrsg.),
                                                                                                      ­Fahrende und Raumplanung, Standbericht 2015,
                                                                                                       St. ­Gallen 2016 (im Folgenden: Standbericht 2015).
                                                                                                    3 STRAUMANN ANNEMARIE, Halteplätze für Jenische,
                                                                                                       Sinti und Roma gesucht, in: VLP-ASPAN, INFORAUM
                                                                                                      3/2016 S. 4 ff.
                                                                                                    4 Solothurner Zeitung, Weil offizielle Stellplätze fehlen:
                                                                                                      Fahrende besetzen Baustellenareal – Kanton überfordert,
                                                                                                      12.9.2018.
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Halteplätze für Jenische, Sinti und Roma - EspaceSuisse
2         Internationale rechtliche Grundlagen

Die Rechte der Jenischen, Sinti und Roma                        Europarat sieht weiterhin Hand-
werden durch die von der Schweiz ratifizier­                    lungsbedarf bei der Platzfrage
ten internationalen Übereinkommen wie der
EMRK, der UNO-Pakte I und II und des CERD ge­                   Anfang 2018 besuchte der Beratende
schützt (für die Begriffe siehe Kasten: «Jenische,              Ausschuss des Europarates für das Rahmen­
Sinti, Roma, Fahrende», S. 10).5 Zudem hat die                     übereinkommen zum Schutz nationaler
Schweiz 1998 das Übereinkommen des Euro­                        ­Minderheiten die Schweiz und verabschie­
parates zum Schutz nationaler Minderheiten ra­                    dete im Mai 2018 ein viertes Gutachten.
tifiziert, damit wurden die Schweizer Jenischen                 Im Gutachten stellt der Ausschuss zwar fest,
und Sinti als nationale Minderheit anerkannt.                     dass zahlreiche Kantone in ihren Richtplänen
Im gleichen Jahr wurde die Europäische Char­                     Halteplätze vorsehen und solche zum Teil
ta der Regional- oder Minderheitensprachen                        bereits realisiert haben. Es seien aber nach
(SR 0.441.2), die 1997 ratifiziert worden war, in               wie vor nicht genügend Plätze vorhanden.
Kraft gesetzt. Damit wurde die jenische Spra­                    Dies erschwere den Jenischen, Sinti und
che als Minderheitensprache anerkannt. Das                       Roma, den Lebensunterhalt ihrer Familie zu
Jenische ist ein eigenes Idiom und wurde vom                      bestreiten. Die Platzsituation sei deshalb
Bundesrat im ersten Bericht zur Umsetzung der                     innerhalb der Frist, die der Aktionsplan
Sprachen-Charta als eine «herkömmliche, nicht                     des Bundes aus dem Jahre 2016 für die
territoriale» Landessprache bezeichnet.6                         ­Realisierung der Plätze vorsehe, zu verbes­
                                                                   sern. Der Aktionsplan will das Angebot an
5 Konvention zum Schutze der Menschenrechte und                 Stand-, Durchgangs- und Transitplätzen
  Grundfreiheiten vom 4. November 1950 (EMRK, SR                  ­innert fünf Jahren der tatsächlichen Nach­
  0.101), von der Bundesversammlung genehmigt am                   frage anpassen (siehe Kasten: Aktionsplan
  3. Oktober 1974 und am 28. November 1974 in Kraft
  gesetzt; 0.103.1 Internationaler Pakt über wirtschaftliche,     des Bundes «Verbesserungen der Bedin­
  soziale und kulturelle Rechte vom 16. Dezember 1966             gungen für die fahrende Lebensweise und
  (UNO-Pakt I, SR 0.103.1), von der Bundesversammlung           zur Förderung der Kultur von Jenischen, Sinti
  genehmigt am 13. Dezember 1991 und am 18. Septem­
  ber 1992 in Kraft gesetzt; Internationaler Pakt über bür­        und Roma», S. 19). Das Gutachten geht
  gerliche und politische Rechte vom 16. Dezember 1966             auch auf die Spontanhalte ein: Diese seien
  (UNO-Pakt II, SR 0.103.2), von der Bundesversammlung            eine wichtige Ergänzung zu den offiziellen
  genehmigt am 13. Dezember 1991 und am 18. Septem­
                                                                Plätzen und deshalb nicht weiter einzu­
                                                                                                                          EspaceSuisse | Raum & Umwelt | Februar 1/2019

  ber 1992 in Kraft gesetzt; Internationales Übereinkom­
  men zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminie­            schränken.
  rung vom 21. Dezember 1965 (SR 0.104, CERD), von der
  Bundesversammlung genehmigt am 9. März 1993 und               Quelle: Europarat, Beratendender Ausschuss für
  am 29. Dezember 1994 in Kraft gesetzt.                        das Rahmenabkommen zum Schutz nationaler
6 KÄLIN WALTER/LOCHER RETO, Anerkennung der Roma                Minderheiten, Viertes Gutachten über die Schweiz
  als Minderheit, Kurzgutachten zur Beurteilung einer           – verabschiedet am 31. Mai 2018. Siehe ebenfalls:
  Anerkennung von Roma als Minderheit in der Schweiz,           Départment fédéral des affaires étrangères DFAE,
  Bern, 26. Januar 2016, S. 3, 11 (im Folgenden: KÄLIN/         Quatrième Avis sur la Suisse du Comité consultatif de
  LOCHER, Gutachten 2016); LA CHARTE EUROPÉENNE                 la Convention-cadre du Conseil de l’Europe pour la
  DES LANGUES RÉGIONALES OU MINORITAIRES, Rap­                  protection des minorités nationales et Commentaires
  port Périodique Initial, présenté au Secrétaire Général       du Gouvernement suisse, décembre 2018.
  du Conseil de l’Europe conformément à l’Article 15 de la
  Charte, 2. Décembre 1999.
                                                                                                                          9
Halteplätze für Jenische, Sinti und Roma - EspaceSuisse
Jenische, Sinti, Roma, Fahrende
                                                 In der Schweiz leben zwischen 30’000 und           verschiedener Kulturen, die unterschiedliche
                                                 35’000 Jenische, rund 2’000 bis 3’000 von          Formen von Romanes ­sprechen und Indien
                                                 ihnen pflegen die fahrende Lebensweise.             im 14. Jahrhundert verlassen haben. Roma-­
                                                 Jenische sind in der Schweiz eine anerkannte       Organisationen in der Schweiz schätzen, dass
                                                 kulturelle Minderheit. Sie haben schon immer       zwischen 40’000 und 80’000 Roma (alle
                                                 hier gelebt und besitzen das Schweizer             ­Nationalitäten zusammen) in der Schweiz
                                                 Bürgerrecht. Teilweise sprechen sie noch die        leben, von denen die meisten sesshaft sind.
                                                 jenische Sprache, die auf dem Deutschen             Roma, die während der Reisesaison in der
                                                 basiert und Wörter aus dem Romanes, dem            Schweiz unterwegs sind, stammen fast aus­
                                                 Hebräischen und dem Rotwelschen beinhal­            schliesslich aus Nachbarländern.
                                                 tet.
                                                                                                    In der Schweiz bezieht sich der Ausdruck
                                                 Sinti leben vor allem in Frankreich und            «Fahrende» beziehungsweise «gens du
                                                 Deutschland. In der Schweiz wird ihre Zahl         voyage» auf die fahrende Lebensweise. In der
                                                 auf etwa 3’000 Personen geschätzt. Sie             Umgangssprache und im Kulturförderungs­
                                                 sprechen als Muttersprache Sintitikes, eine        gesetz bezeichnet der Begriff die Schweizer
                                                 Form des Romanes. Im Französischen werden          Fahrenden (Jenische, Sinti und Roma) sowie
                                                 die Sinti «Manouches» genannt.                     die ausländischen Roma.

                                                 Der Begriff «Roma» wurde auf dem ersten            Quelle: MICHELE GALIZIA, Stigmatisierende Etiketten:
                                                 Welt-Roma-Kongress 1971 anstelle des da­           Die Unschärfe als Gefahrenquelle, in: TANGRAM 30,
                                                                                                    12/2012; «Discrimination raciale en Suisse rapport,
                                                 mals vorherrschenden Begriffs «Zigeuner» ge­       rapport du Service de lutte contre le racisme 2016»
                                                 wählt. Er umfasst eine Vielzahl von Menschen       chiffres 6.3.5 et 6.3.6

                                                Das Ministerkomitee des Europarates über­           7 COUNCIL OF EUROPE, COMMITTEE OF MINISTERS,
                                                wacht mit Hilfe eines beratenden Ausschusses,         Resolution ResCMN(2003)13 on the implementation
                                                                                                      of the Framework Convention for the Protection of
                                                wie das Rahmenübereinkommen des Europara­
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                                                                                                      National Minorities by Switzerland (Adopted by the
                                                tes zum Schutz nationaler Minderheiten vollzo­        Committee of Ministers on 10 December 2003 at the
                                                gen wird. Das Ministerkomitee hat die Schweiz         865th meeting of the Ministers’ Deputies); EUROPARAT,
                                                                                                      MINISTERKOMITEE, Resolution CM/ResCMN(2008)10
                                                schon drei Mal gemahnt, ihre völkerrechtlichen        über die Umsetzung des Rahmenübereinkommens
                                                Verpflichtungen gegenüber den Fahrenden zu            zum Schutz nationaler Minderheiten durch die Schweiz
                                                erfüllen (siehe Infobox: «Europarat sieht weiter­     (verabschiedet vom Ministerkomitee am 19. November
                                                                                                      2008 anlässlich der 1041. Sitzung der Ministerdelegier­
                                                hin Handlungsbedarf bei der Platzfrage». S. 9).7      ten); EUROPARAT, MINISTERKOMITEE, Resolution CM/
                                                                                                      ResCMN(2014)6 über die Umsetzung des Rahmenüber­
                                                Beim Rahmenübereinnkommen zum Schutz                  einkommens zum Schutz nationaler Minderheiten durch
                                                                                                      die Schweiz (verabschiedet vom Ministerkomitee am 28.
                                                nationaler Minderheiten handelt es sich um            Mai 2014 anlässlich der 1200. Sitzung der Ministerdele­
                                                ein rechtlich verbindliches multilaterales Ab­        gierten).
10
kommen des Europarates, das Grund- und              Gutachten kamen aber zum Schluss, dass die
Menschenrechte für nationale Minderheiten           Fahrenden daraus kein einklagbares Recht auf
garantiert. Mit dem Beitritt zum Abkommen an­       Halteplätze ableiten können.12
erkannte die Schweiz die Schweizer Fahrenden
(«gens du voyage») als nationale Minderheit.8
Der Bundesrat präzisierte 2001, dass alle Jeni­
schen und Sinti unter den Minderheitenschutz
fallen, unabhängig davon, ob sie fahrend leben
oder nicht.9 Weil nur noch etwa zehn Prozent
der Jenischen und Sinti aktiv fahren, forderten
sie im Frühjahr 2016, auch unter ihrer Selbstbe­
zeichnung anerkannt zu werden. Diesem Anlie­
gen kam Bundesrat Alain Berset im Herbst 2016
teilweise nach, indem er versprach, sich dafür
einzusetzen, dass der Bund sie künftig nicht
mehr als «Fahrende» bezeichnen, sondern als
«Jenische» und «Sinti» ansprechen werde.10

Die Roma Foundation und der Verein Romano           8 Eidgenössisches Departement für Inneres, Fachstelle für
Dialog hatten im Frühling 2015 auch einen An­          Rassismusbekämpfung, Rechtsratgeber
trag zur Anerkennung der Roma als nationale            www.rechtsratgeber-frb.admin.ch (Stand 21.11.2018).
                                                    9 Erster Bericht der Schweiz zur Umsetzung des Rahmen­
Minderheit und als nichtterritoriale Sprachmin­        übereinkommens des Europarates zum Schutz nationaler
derheit eingereicht. Am 1. Juni 2018 lehnte der        Minderheiten, April 2001, Ziff. 96.
Bundesrat das Gesuch ab, weil die Schweizer         10 Rede von Bundesrat Alain Berset anlässlich der Fecker­
                                                        chilbi, Bern, 15.09.2016.
Roma einzelne der notwendigen Kriterien – wie       11 Medienmitteilung des Bundesrats vom 01.06.2018,
die seit Langem bestehenden Bindungen zur              Roma in der Schweiz: Bestandteil der Gesellschaft, aber
Schweiz – nicht erfüllten. Der Bundesrat unter­        keine nationale Minderheit; KÄLIN/LOCHER, Gutachten
                                                       2016.
strich jedoch, dass die Roma Bestandteil der        12 BGE 129 II 321 Céligny GE; US EspaceSuisse Nr. 2597;
Schweizer Gesellschaft seien.11                        Bundesamt für Justiz, Gutachten zur Rechtsstellung der
                                                       Fahrenden in ihrer Eigenschaft als anerkannte nationale
                                                       Minderheit vom 27. März 2002 , VPB 66.50, S. 9;
Aufgrund des internationalen Rechts werden             ­ANDONIE EVA M./SCHWEIZER RAINER J., Gutachten
die Schweizer Behörden verpflichtet anzuer­            zur Frage der Durchgangsplätze für Fahrende: Beschrän­
kennen, dass Jenische, Sinti und Roma die fah­         kung der Nutzung auf Schweizer Fahrende, St. Gallen,
                                                       21.01.2010, S. 15 und 20; EGBUNA-JOSS ANDREA/­
rende Lebensweise ausüben und ihre Identität
                                                                                                                 EspaceSuisse | Raum & Umwelt | Februar 1/2019

                                                        HILTBRUNNER NATHALIE/BELSER EVA MARIA, Die
bewahren. Werden keine oder zu wenige Hal­             Fahrenden als nationale Minderheit in der Schweiz,
teplätze zur Verfügung gestellt, verstösst dies        Rechtliche Rahmenbedingungen und Handlungs­bedarf,
                                                       Freiburg i. Ue., 2. Juni 2014, S. 7; KÄLIN/LOCHER,
gegen den Minderheitenschutz und das Dis­              Gutachten 2016, S. 7 und 13; Bundesamt für Justiz, Ver­
kriminierungsverbot (siehe Infobox: «Worüber           pflichtung zur Bereitstellung von Durchgangs- und Tran­
reden wir», S.12). So hat der Europarat in seinen      sitplätzen für Schweizer Fahrende und Geltungsbereich
                                                       von Art. 35 BV, Bern, 10. März 2016, S. 2; SCHWEIZER
Gutachten zur Schweiz wiederholt gerügt, dass          RAINER J./DE BROUWER MAX, Gutachten im Auftrag
es hierzulande zu wenige oder nur mangelhafte          und zuhanden der Eidgenössischen Kommission gegen
Halteplätze sowohl für inländische als auch für        Rassismus betreffend der Verfassungs- und Völkerrechts­
                                                       probleme der Loi sur le stationnement des communautés
ausländische Fahrende gebe (vgl. dazu auch             nomades (LSCN) du 20 février 2018, du Canton de
Ziff. 2.3.). Das Bundesgericht und mehrere             Neuchâtel, St. Gallen/Tubize 2018, S. 14.
                                                                                                                 11
Worüber reden wir: Definitionen und Bedarf an Plätzen

                                                Damit Jenische, Sinti und Roma ihrer fahren­      Transitplätze
                                                den Lebensweise nachgehen können, sind            Ausländische Fahrende benötigen zur Befrie­
                                                sie auf verschiedene Typen von Halteplätzen       digung ihrer Bedürfnisse Transitplätze. Diese
                                                angewiesen. Die Stiftung Zukunft für Schweizer    sind grösser dimensioniert als Durchgangsplät­
                                                Fahrende unterscheidet vier Typen.13 Diese        ze und bieten Platz für Verbände und Konvois
                                                verfügen jeweils über eigene Regelungen und       von 35 bis 80 Wohnwagen. Der Bericht
                                                Auflagen, die sich je nach Kanton und oft auch    «Fahrende und Raumplanung – Standbericht
                                                je nach Gemeinde unterscheiden:                   2015» sieht einen Bedarf von zehn Transit­
                                                                                                  plätzen. Derzeit gibt es rund sieben – inklusive
                                                Standplätze                                       den nicht gesicherten Übergangslösungen.
                                                Die meisten Fahrenden schweizerischer             Neuere Erfahrungen machen aber deutlich,
                                                Nationalität verbringen den Winter auf einem      dass die Schaffung von mehr als zehn grossen
                                                Standplatz in ihrer Standortgemeinde in Wohn­     Plätzen sinnvoll ist. Diese sollen nach Möglich­
                                                wagen, Holzchalets oder Wohncontainern,           keit entlang der grossen Transitachsen erstellt
                                                oder aber sie leben in den Wintermonaten          werden.
                                                in Wohnungen. Die Fahrenden sind bei der
                                                Standortgemeinde angemeldet, zahlen dort          Spontaner Halt
                                                ihre Steuern, ihre Kinder besuchen dort die       Beim spontanen Halt bleiben grössere und klei­
                                                Quartier- oder Dorfschule.                        nere Gruppen von Fahrenden bis zu zweimal
                                                Derzeit gibt es 15 Standplätze. Gemäss dem        im Jahr für jeweils etwa vier Wochen auf einem
                                                Standbericht der Stiftung Zukunft für Schweizer   Privatgrundstück. Dabei handelt es sich oftmals
                                                Fahrende sind 26 zusätzliche Standplätze zu       um Grundstücke in der Landwirtschaftszone,
                                                schaffen.                                         die wegen der befristeten Nutzung mit einer
                                                                                                  bescheidenen Infrastruktur auskommen. Der
                                                Durchgangsplätze                                  spontane Halt stellt eine wichtige Alternative zu
                                                Von Frühling bis Herbst sind die Fahrenden        offiziellen Durchgangsplätzen dar.
                                                in kleinen Gruppen innerhalb der Schweiz
                                                unterwegs. Sie sind angewiesen auf Durch­
                                                gangsplätze, die Raum für zehn bis fünfzehn
                                                Stellplätze haben. Die Fahrenden halten sich
                                                dort wenige Wochen auf und besuchen von
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                                                den Plätzen aus ihre Kunden. Neben ihren
                                                angestammten Berufen kennen Jenische,
                                                Sinti und Roma sich oft in unterschiedlichen
                                                Handwerken aus oder sind als mobile Händler
                                                tätig. Deswegen ist es von Vorteil, wenn die
                                                Durchgangsplätze auch zusätzlichen Raum für
                                                die Erwerbsarbeit bieten.
                                                Ende 2018 exisiterten 32 dauerhafte Durch­
                                                gangsplätze und drei Provisorien. Bedarf be­      13 Stiftung Zukunft für Schweizer Fahrende (Hrsg.) Fahren­
                                                steht hingegen nach 80 Durchgangsplätzen.            de und Raumplanung, Stand­bericht 2015, S. 10, 31, 46.
12
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Idyllisch – der ganzjährige Durchgangsplatz für Schweizer Fahrende in Würenlos AG.
Foto: A. Straumann, EspaceSuisse
                                                                                     13
3       Bundesrechtliche Grundlagen

                                                3.1     Grundrechte                                    ten aus dem Jahr 2002 führte das Bundesamt für
                                                                                                       Justiz (BJ) aus, dass einzig die Lebensweise aus­
                                                Jenische, Sinti und Roma können sich auf ver­          schlaggebend für die Definition der Fahrenden
                                                schiedene Grundrechte berufen, um ihre Inte­           sei.16 So sind auch die ausländischen fahrenden
                                                ressen wahrzunehmen. (siehe Infobox: «Kan­             Roma vor Diskriminierung geschützt und stehen
                                                tone und Gemeinden müssen Halteplätze zur              unter dem Schutz des in Artikel 8 Absatz 2 BV
                                                Verfügung stellen», Seite 17). Es sind dies insbe­     genannten Kriteriums der «Lebensform».
                                                sondere der Schutz der Menschenwürde (Art. 7
                                                und 10 BV), die Niederlassungsfreiheit (Art. 24        Der Schutz der Wohnung in Artikel 13 BV um­
                                                BV), der Schutz des Privat- und Familienlebens         fasst auch Wohnwagen, Campingzelte und
                                                (Art. 8 EMRK; vgl. auch Art. 13 Abs. 2 BV), aber       Wohnboote. Aus Artikel 13 BV können Jenische,
                                                auch der Schutz des kulturellen Lebens von             Sinti und Roma von den Kantonen und Gemein­
                                                ethnischen Minderheiten (Art. 27 UNO-Pakt              den jedoch kein Recht auf Halteplätze einfor­
                                                II). Laut der Rechtsprechung des Europäischen          dern, weil der Schutzgedanke im Vordergrund
                                                Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) stellt          steht und kein Leistungsanspruch besteht.17
                                                das Leben im Wohnwagen einen wesentlichen
                                                Bestandteil der Identität der Fahrenden dar.
                                                Das Recht auf die fahrende Lebensform kann             3.2        Bundesgesetze
                                                daher aus Artikel 8 Absatz 1 EMRK abgeleitet
                                                werden.14 Die Lausanner Richterinnen und Rich­         Auf Stufe der Bundesgesetze sind für Jenische,
                                                ter kamen im Fall Céligny GE zum Schluss, dass         Sinti und Roma insbesondere fünf Gesetze re­
                                                Artikel 8 Absatz 1 EMRK und die Verfassungsbe­         levant:
                                                stimmungen (Artikel 7, 10, 13 Absatz 2 und Arti­       –– Die Arbeiten und Dienstleistungen, die Fah­
                                                kel 24 BV) mit raumplanerischen Massnahmen                rende anbieten, sind im Bundesgesetz über
                                                erfüllt werden können.                                    das Gewerbe der Reisenden vom 23. März
                                                                                                          2001 (SR 943.1) sowie in der dazuge­
                                                Neben den vom Beschwerdeführer von Céligny                hörigen Ausführungsverordnung geregelt.18
                                                angerufenen Grundrechten sind auch einzelne
                                                soziale Grundrechte von Bedeutung, wie das
                                                Recht auf Hilfe in Notlagen (Art. 12 BV), das
EspaceSuisse | Raum & Umwelt | Februar 1/2019

                                                                                                       14 Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrech­
                                                Recht von Kindern auf den unentgeltlichen Be­             te im Fall Chapman c. Grossbritannien vom 18. Januar
                                                such einer öffentlichen, konfessionslosen Schu­           2001, § 71.
                                                                                                       15 BGE 93 I 1, Kanton Zürich. HÄFELIN ULRICH/HALLER
                                                le (Art. 19 BV) und die sozialen Ansprüche, die           WALTER/KELLER HELEN, Schweizerisches S        ­ taatsrecht,
                                                aus unzulässigen Diskriminierungen (Art. 8 BV)            7. Aufl., Zürich, Basel, Genf 2008, N 298 ff. (im ­Folgenden:
                                                resultieren. Die Bundesverfassung erklärt, dass           HÄFELIN/HALLER/KELLER, Bundesstaatsrecht, N 914 ff.).
                                                                                                       16 Bundesamt für Justiz, Gutachten 2002, S. 9.
                                                alle Menschen vor dem Gesetz gleich sind und           17 SCHWEIZER/DE BROUWER, S. 26 ff.; Bundesamt für
                                                niemand diskriminiert werden darf (Art. 8 Abs.​           Justiz, Gutachten 2016, S. 2; Bundesamt für Justiz,
                                                1 f. BV). Bereits 1967 hielt das Bundesgericht fest,      Gutachten 2016, S. 2; HÄFELIN/HALLER/KELLER,
                                                                                                          ­Bundesstaatsrecht, N 914 ff.
                                                dass die Rechtsgleichheit auch Ausländerinnen          18 Verordnung vom 4. Sept. 2002 über das Gewerbe der
                                                und Ausländer einschliesst.15 In einem Gutach­             Reisenden (SR 943.11).
14
Der Platz Schachen in Aarau – im Sommer ein Durchgangs-, im Winter ein Standplatz – gilt als Vorzeigeplatz.
Foto: A. Straumann, EspaceSuisse

   Diese Regelungen ermöglichen den Fahren­                 –– Für die in diesem Raum & Umwelt diskutierten
   den, mit einer einheitlichen Bewilligung ihre               Fragestellungen ist das Bundesgesetz über
   Dienstleistungen und Handelstätigkeit in der                die Raumplanung vom 22. Juni 1979 (Raum­
   ganzen Schweiz anzubieten. Bis Anfang der                   planungsgesetz, RPG, SR 700) von besonde­
   2000er-Jahre mussten sie für jeden Kanton ein               rem Interesse. In den Planungsgrundsätzen
   separates Patent lösen.                                     des RPG ist festgehalten, dass die Planung
–– Laut dem Bundesgesetz über die Kulturförde­                 sich an den Bedürfnissen der Bevölkerung
   rung vom 11. Dezember 2009 (Kulturförde­                    ausrichten soll (Art. 3 Abs. 3 RPG). Dazu ge­
   rungsgesetz, KFG, SR 442.1) kann der Bund                   hören auch die spezifischen Bedürfnisse der
   Massnahmen treffen, um den Fahrenden eine                   Jenischen, Sinti und Roma.
   ihrer Kultur entsprechende Lebensweise zu
   ermöglichen und in diesem Sinn auch finan­
                                                                                                                         EspaceSuisse | Raum & Umwelt | Februar 1/2019

   zielle Beiträge zu sprechen.19
–– Auf Gesetzesebene verbieten die Rassis­
   mus-Strafnormen in Artikel 261bis Schweize­
   risches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember
   1937 (StGB, SR 311.0) und Artikel 171c Mili­             19 Botschaft zum Bundesgesetz über die Kulturförderung
                                                               (Kulturförderungsgesetz, KFG) vom 8. Juni 2007, in: BBl
   tärstrafgesetz vom 13. Juni 1927 (MStG, SR                  2007, 4819, S. 4837.
   321.0) die öffentliche Diskriminierung einer             20 Antworten zu Fragen der Diskriminierung im Zusammen­
   Person oder einer Personengruppe aufgrund                   hang mit der fahrnenden Lebensweise finden sich im
                                                               Rechtsratgeber des Eidgenössischen Departements für
   ihrer Zugehörigkeit zu einer Rasse, Ethnie                  Inneres, Fachstelle für Rassismusbekämpfung, https://
   oder Religion.20                                            www.rechtsratgeber-frb.admin.ch.
                                                                                                                         15
4      Handlungsbedarf

                                                Die Standberichte der Stiftung Zukunft für       «Kantone und Gemeinden müssen Halteplätze
                                                Schweizer Fahrende, die Berichte des Minister­   zur Verfügung stellen», S. 17).
                                                komitees des Europarates und auch der Bei­
                                                trag im Inforaum 3/2016 zeigen die Nöte der
                                                                                                 21 Stiftung Zukunft für Schweizer Fahrende [Hrsg.], Standbe­
                                                Jenischen, Sinti und Roma auf.21 Im März 2003
                                                                                                    richt 2015; STRAUMANN ANNEMARIE, Halteplätze
                                                befasste sich auch das Bundesgericht mit den        für Jenische, Sinti und Roma gesucht, in: VLP-ASPAN,
                                                Anliegen der fahrenden Bevölkerung (siehe           INFORAUM 3/2016 S. 4 ff.
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16
Kantone und Gemeinden müssen Halteplätze zur Verfügung stellen

  Michael B., ein Schweizer Fahrender, hatte                      planung oder die Umwelt bedeutend sind, in
  1999 in Céligny GE ein Stück Land in der                        die Nutzungsplanung und unter Umständen
  Landwirtschaftszone erworben. Das 6’809                         gar in die kantonale Richtplanung einfliessen
  Quadratmeter grosse Grundstück war mit                          müssen. Beim Standplatz von Michael B.
  Ausnahme eines Schuppens nicht überbaut                         handle es sich um einen Platz von erheblicher
  und grenzte an einen Wald und einen Bach.                       räumlicher Bedeutung.
  Nach dem Kauf errichtete der Eigentümer
  ohne Baubewilligung ein Holzchalet sowie                        Das Bundesgericht hielt in seinem Urteil
  einen Abstellplatz für Wohnwagen und                            zudem fest, dass der Wunsch der Fahrenden,
  Wege. Der Kanton forderte Michael B.                            ihre Identität zu leben, verfassungsrechtli­
  mehrfach dazu auf, den rechtmässigen                            chen und völkerrechtlichen Schutz geniesse.
  Zustand wiederherzustellen. Am 10. Februar                      Die Bedürfnisse der Fahrenden seien in der
  2000 reichte Michael B. ein Baugesuch ein,                      Raumplanung zu berücksichtigen. Die Behör­
  Gegenstand waren eine Baumschule und                            den müssten gestützt auf die Planungspflicht
  die Wohnnutzung auf seinem Grundstück. Er                       (Art. 2 RPG) und den Grundsatz, Siedlungen
  wollte Bäume pflanzen, um sie vor Ort zu ver­                   nach den Bedürfnissen der Bevölkerung zu
  markten. Vorgesehen war zudem, die Hälfte                       gestalten (Art. 3 Abs. 3 RPG), Stand- und
  des Grundstücks als temporäre Wohnanlage                        Halteplätze für Fahrende in die Nutzungspla­
  zu nutzen. Die Wohnnutzung wurde als nicht                      nung einbeziehen. Weil die illegal errichteten
  zonenkonform abgelehnt, worauf Michael B.                       Bauten die Wald- und Gewässerabstände
  bis vor Bundesgericht gelangte. Er war der                      nicht einhielten, wies das Bundesgericht aber
  Meinung, dass er gestützt auf die Bundes­                       auch darauf hin, dass der Standplatz nicht
  verfassung (Art. 24 BV), die EMRK (Art. 8)                      durch einen Nutzungsplan legalisiert werden
  und den UNO-Pakt II (Art. 27) ein Anrecht auf                   könne. Die Fristen der kantonalen Verfügun­
  Erteilung einer Ausnahmebewilligung nach                        gen für die Wiederherstellung waren alle
  Artikel 24 ff. RPG hatte.                                       abgelaufen. Das Bundesgericht überliess es
                                                                  deshalb den kantonalen Vollzugsbehörden,
  Das Bundesgericht kam zum Schluss, eine                         eine oder mehrere neue Wiederherstellungs­
  Ausnahmebewilligung nach Art. 24 ff. RPG                        verfügungen zu erlassen.
  komme im vorliegenden Fall nicht in Betracht.
                                                                  Quelle: BGE 129 II 321 Céligny GE; US EspaceSuisse
  Es erinnerte daran, dass Vorhaben, deren
                                                                  Nr. 2597
  Ausmasse oder Auswirkungen auf die Orts­
                                                                                                                       EspaceSuisse | Raum & Umwelt | Februar 1/2019

Die Sanitäranlagen wertete die Stadt Thun auf, um den Platz besser nutzbar zu machen.
Foto: S. Röthlisberger, Stiftung Zukunft für Schweizer Fahrende
                                                                                                                       17
5       Massnahmen des Bundes

                                                5.1     Raumplanerische Massnahmen                    men auf Bundesebene vorab für Sachgebiete in
                                                                                                      Frage, in denen der Bund nicht umfassend, son­
                                                Laut Artikel 75 Absatz 1 BV legt der Bund die         dern nur in Teilbereichen zuständig ist bzw. nur
                                                Grundsätze der Raumplanung fest, die den              Teilbereiche regelt (Landschaftsschutz, Gewäs­
                                                Kantonen obliegt. Es gibt aber auch Bereiche,         serschutz), oder in denen er Tätigkeiten Dritter
                                                in denen der Bund selber raumwirksam tätig ist.       finanziell unterstützt (Beiträge an Sportanlagen,
                                                Das ist der Fall, wenn er Eisenbahnanlagen, mi­       Direktzahlungen in der Landwirtschaft).
                                                litärische Bauten und Anlagen oder Einrichtun­
                                                gen der Zivilluftfahrt plant und realisiert. Einige   Für die Transitplätze entlang der grossen Tran­
                                                Aufgaben teilt sich der Bund mit den Kantonen,        sitachsen bietet sich ein Konzept nach Artikel 13
                                                beispielsweise bei Anlagen der Energiegewin­          RPG an. Die bestehenden sieben Transitplätze
                                                nung und -nutzung oder bei Einrichtungen der          (inklusive der nicht gesicherten Übergangslö­
                                                Telekommunikation. Es gibt zudem eine ganze           sungen) reichen nicht aus, um die ausländischen
                                                Reihe von Bereichen, in denen der Bund indirekt       Fahrenden aufzunehmen. Vorgesehen ist,
                                                raumwirksam tätig ist, etwa durch Direktzah­          deren Zahl deutlich zu erhöhen. Transitplätze
                                                lungen für die Landwirtschaft oder Beiträge an        benötigen grössere Flächen von mehreren Tau­
                                                Sportanlagen von nationaler Bedeutung.                send Quadratmetern. Die Suche nach solchen
                                                                                                      Flächen ist eine Aufgabe, die die Kantonsgren­
                                                Das Raumplanungsgesetz verpflichtet den               zen überschreitet. Transitplätze zu planen und
                                                Bund, die Kantone und Gemeinden dazu, die             anschliessend zur Verfügung zu stellen erfor­
                                                nötigen Planungen für ihre raumwirksamen Tä­          dert eine erhebliche Koordinationsleistung.
                                                tigkeiten zu erarbeiten und diese aufeinander
                                                abzustimmen (Art. 2 RPG). Mit Konzepten und           Vorgesehen ist, dass das Eidgenössische De­
                                                Sachplänen zeigt der Bund auf, wie er seine           partement des Innern (EDI) zusammen mit dem
                                                raumwirksamen Tätigkeiten unter Berücksichti­         Bundesamt für Raumentwicklung (ARE), dem
                                                gung der Anliegen der Raumplanung und der             Bundesamt für Strassen (ASTRA) und Arma-­​
                                                Aufgaben der Kantone wahrzunehmen ge­                 ­suisse ein solches Konzept erarbeitet. Es soll
                                                denkt (Art. 13 RPG). Konzepte und Sachpläne            die Grundlagen für die Planung und Bewirt­
                                                unterscheiden sich im Wesentlichen durch den           schaftung von neuen Transitplätzen enthalten.
                                                Konkretisierungsgrad und den Umfang der ört­           Im Rahmen der Weiterentwicklung der Armee
EspaceSuisse | Raum & Umwelt | Februar 1/2019

                                                lichen Zuweisung.                                      (WEA) stellte sich zudem heraus, dass rund
                                                                                                       4’500 militärische Anlagen nicht mehr benötigt
                                                5.1.1   Konzepte                                       und für andere Zwecke genutzt werden kön­
                                                                                                       nen. Auch diese Tatsache soll in das Konzept
                                                Konzepte sind allgemein formuliert und eig­            einbezogen werden, um ein Stationierungskon­
                                                nen sich dazu, sachlich und organisatorisch            zept für ausländische Roma und Sinti auszuar­
                                                komplexe Problemsituationen zu erklären und            beiten.22
                                                Lösungswege aufzuzeigen. Ein Konzept ist ein
                                                umfassendes ressortübergreifendes System
                                                von Zielen und Massnahmen. Konzepte kom­              22 BAK, Bericht und Aktionsplan 2016, S. 21.
18
Aktionsplan des Bundes

 «Verbesserungen der Bedingungen für die         Plätze geschaffen werden. Ebenso formuliert
 fahrende Lebensweise und zur Förderung          der Aktionsplan eine bessere Vereinbarkeit
 der Kultur von Jenischen, Sinti und Roma»       von Schule und Bildung mit der fahrenden
                                                 Lebensweise und deren Berücksichtigung in
 Der Bundesrat erklärte sich 2014 bereit,        der Praxis des Sozialwesens. Der Aktionsplan
 Massnahmen zur Verbesserung der Lebens­         sieht auch eine Stärkung von Kultur und Iden­
 bedingungen von Jenischen, Sinti und Roma       tität der Jenischen, Sinti und Roma vor. Hierfür
 zu erarbeiten. In der Folge konstituierte das   hat das BAK der Stiftung Zukunft für Schwei­
 Bundesamt für Kultur (BAK) eine Arbeitsgrup­    zer Fahrende einen Kulturfonds übertragen.
 pe, die aus Vertreterinnen und Vertretern
 verschiedener Organisationen der Jenischen,     Der Aktionsplan alleine bringt noch keine
 Sinti und Roma sowie von Nichtregierungs­       Verbesserungen der Lebensbedingungen
 organisationen und Behörden bestand.            der Jenischen, Sinti und Roma mit sich. Aber
 Diverse Bundesämter und Vertreter kantona­      er skizziert erstens konkrete Handlungsmass­
 ler Konferenzen und des Gemeindeverban­         nahmen, die teilweise bereits umgesetzt
 des arbeiteten ebenso mit wie die Stiftung      wurden. Zweitens legt er als argumentative
 Zukunft für Schweizer Fahrende. Bereits im      Grundlage die Themenbereiche fest, in de­
 Dezember 2016 nahm der Bundesrat den            nen Projekte und Veränderungen einzuleiten
 Aktionsplan als Entwurf zur Kenntnis und        sind. Drittens bekräftigt der Aktionsplan den
 erteilte der Arbeitsgruppe den Auftrag, die     Willen des Bundesrates, der involvierten Äm­
 Frage der Halteplätze mit den Kantonen zu       ter und weiterer Akteure der Arbeitsgruppe,
 vertiefen. Ende 2018 informierte das BAK den    gemeinsam Lösungen zu finden.
 Bundesrat über den Stand der Umsetzung
 des Aktionsplans.
                                                 Quellen:
                                                 Bundesamt für Kultur BAK, Bericht und Aktionsplan,
 Dieser breit abgestützte Prozess führte
                                                 Arbeitsgruppe «Verbesserung der Bedingungen für
 einerseits zu einer Auslegeordnung und          die fahrende Lebensweise und zur Förderung der Kul­
 dazu, dass der Handlungsbedarf aufgezeigt       tur von Jenischen, Sinti und Roma», Dezember 2016.
 werden konnte. Anderseits wurden Ziele          Bundesamt für Kultur BAK, Stand Umsetzung Aktions­
                                                 plan (2018), «Verbesserung der Bedingungen für die
 deklariert und Massnahmen festgelegt.
                                                 fahrende Lebensweise und zur Förderung der Kultur
 Beispielsweise sollen bis 2022 genügend         von Jenischen, Sinti und Roma», Dezember 2018.
                                                                                                        EspaceSuisse | Raum & Umwelt | Februar 1/2019

5.1.2   Sachpläne                                Vorhaben, etwa was den zeitlichen Ablauf oder
                                                 die finanziellen Mittel betrifft. Aufgrund ihrer
Sachpläne sind konkreter als Konzepte und        weitgehenden Anordnungen sind Sachpläne
enthalten klare Handlungsanweisungen. Sie        grundsätzlich nur in Bereichen möglich, in de­
verweisen auf die Eignung von Standorten und     nen der Bund über umfassende Zuständigkei­
Linienführungen, zeigen konkrete räumliche Zu­   ten verfügt, wie beispielsweise im Eisenbahn­
sammenhänge und Auswirkungen auf und ent­        wesen, in der Zivilluftfahrt, beim Militär oder
halten konkrete Angaben zur Realisierung der     in Fragen der Kernenergie (Lagerung radio​ak­
                                                                                                        19
tiver Abfälle). Für die Halteplätze kann sich der   pen ausländischer Fahrender. 40 Wohnwagen
                                                Bund nicht auf eine umfassende Zuständigkeit        finden darauf Platz.
                                                ­stützen.
                                                                                                    Schon 2008 erwägte die kantonale Raum­
                                                                                                    planungsdirektion, an dieser Stelle einen
                                                5.2     Bund als Landbesitzer                       multifunktionalen Rastplatz zu bauen, um bei
                                                                                                    Verkehrsstörungen – beispielsweise beim Al­
                                                Verschiedene Bundesämter und -institutionen         pentransitverkehr – über einen Lastwagenaus­
                                                wie das ASTRA, das Bundesamt für Bauten und         stellplatz zu verfügen. Politisch wurde die Idee
                                                Logistik (BBL), das Bundesamt für Rüstung (Ar­      gestützt, den Platz auch für Fahrende zu nutzen:
                                                masuisse), die Schweizerischen Bundesbahnen         Noch im gleichen Jahr gab das Kantonsparla­
                                                (SBB) und die Eidgenössischen Technischen           ment den Auftrag, einen Fahrendenplatz zu
                                                Hochschulen (ETH) sind Landbesitzer. Werden         schaffen. Auch auf nationaler Ebene fand sich
                                                die Grundstücke nicht mehr benötigt, kann           Unterstützung. Ein Vorstoss für mehr Lastwa­
                                                der Bund das Land den Kantonen zum Kauf             genausstellplätze entlang der Nationalstrassen
                                                oder über einen Landabtausch anbieten, da­          wurde überwiesen und 2011 unterstützte der
                                                mit Stand- oder Durchgangsplätze geschaffen         Bundesrat den Vorschlag des Kantons Freiburg.
                                                werden können.23 Werden die Grundstücke
                                                des Bundes oder der bundesnahen Betriebe            Ein Meilenstein bei der Schaffung des Transit­
                                                nur vorübergehend nicht oder nur teilweise          platzes war die Unterzeichnung einer Vereinba­
                                                genutzt, eignen sich diese unter Umständen für      rung zwischen dem Kanton und dem Bundes­
                                                temporäre Stand-, Durchgangs- und für Transit­      amt für Strassen ASTRA Ende 2013. Der schon
                                                plätze oder für Spontanhalte.                       damals bestehende Rastplatz sollte um einen
                                                                                                    multifunktionalen Bereich erweitert werden:
                                                                                                    Von März bis Oktober steht dieser neue Bereich
                                                5.3     Beispiel Kanton Freiburg: 		                den Fahrenden zur Verfügung. Von November
                                                        Transitplatz entsteht dank 		               bis Februar finden dort zusätzliche Lastwagen
                                                        Kooperation                                 Platz. Die beiden Bereiche sind abgetrennt. Der
                                                                                                    Zugang erfolgt ausschliesslich über die Auto­
                                                Im Kanton Freiburg entstand 2017 in La Joux-des-    bahnzufahrt.
                                                Ponts ein Transitplatz mit doppeltem Nutzen: Er
                                                dient nicht nur als Transitplatz für ausländische   Das ASTRA erwarb die zusätzlich notwendige
                                                Fahrende, sondern ist auch ein Autobahnrast­        Parzelle und der Kanton zahlte dem Bund eine
                                                platz für den Schwerverkehr. Möglich wurde          pauschale Abgeltung von 700‘000 Franken an
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                                                dieser Platz, weil der Kanton eng mit dem Bund      die Erwerbs- und Einrichtungskosten von 2,5
                                                kooperierte.                                        Millionen Franken. Das Grundstück wurde in
                                                                                                    den Nationalstrassenperimeter aufgenommen.
                                                Der Rast- und Transitplatz La Joux-des-Ponts
                                                liegt weit ab vom nächsten Dorf kurz vor dem
                                                Greyerzersee zwischen sanften Hügeln an der
                                                Autobahn von Lausanne nach Freiburg. Auf den
                                                ersten Blick wirkt er wie ein normaler Autobahn­
                                                rastplatz. Doch dieser erste Eindruck täuscht. Es
                                                ist ein sogeannter Transitplatz für grosse Grup­    23 BAK, Bericht und Aktionsplan 2016, S. 20 f.
20
5.3.1   Betriebsregelungen                           Eine aus Vertretern des Bundesamtes für Stras­
                                                     sen, der kantonalen Raumplanung und der Poli­
Die Kantonspolizei verwaltet den Platz. Hierfür      zei zusammengesetzte Steuergruppe begleitet
hat sie einen Mitarbeiter mit kommunikativen Fä­     den Betrieb. Aufgrund der gemachten Erfah­
higkeiten und Verhandlungsgeschick bestimmt.         rungen sind Ausbaupläne bei der Infrastruktur
Er geht vor Ort, spricht mit den Fahrenden, setzt    initiiert worden. Ebenso wird derzeit über die
Regeln durch und findet Lösungen mit Augen­          Einsetzung einer Betriebsleitung diskutiert.
mass. Die Fahrenden melden sich telefonisch
an. Der zuständige Polizist fährt anschliessend      5.3.3     Bilanz
hin und führt die Anmeldung durch. Gleichzei­
tig ist er für Unterhaltsfragen zuständig oder für   Der Platz ist ein gelungens Kooperations- und
die Reinigungen durch eine externe Firma.            Synergieprojekt: Bund und Kanton arbeiteten
                                                     für die Realisierung eng zusammen. Zudem
Bei der Eröffnung war eine maximale Aufent­          bringt der Platz nicht nur Mehrwert für die Fah­
haltsdauer von sieben Tagen vorgesehen. Die          renden, sondern in den Wintermonaten auch
Erfahrungen zeigten jedoch, dass Bedarf nach         für die Lastwagen.
längeren Aufenthalten da ist. Die Aufenthalts­
dauer wurde deshalb inzwischen auf 14 Tage er­       Im Unterschied zu anderen Plätzen ist die
höht – eine im Vergleich zu anderen Plätzen wei­     Standortgemeinde nicht in die Bewirtschaftung
terhin kurze Zeit. Kantonsvertreter äussern sich     involviert und nicht vom Platz betroffen. Der
dahingehend, dass es aus pragmatischer Sicht         Platz stösst in der Bevölkerung auf Akzeptanz –
richtig sei, die Fahrenden auf dem Platz über die    vermutlich nicht zuletzt aufgrund des Zugangs
ursprünglich vorgesehene Aufenthaltsdauer            über die Autobahn und die abgeschiedene
hinaus zu beherbergen, anstatt wegzuweisen.          Lage ohne Aussenkontakte. Die gute Belegung
In der Praxis werden häufig verlängerte Aufent­      lässt aber auch darauf schliessen, dass der Platz
haltszeiten bewilligt. Grund dafür ist, dass Weg­    dem Bedarf der Nutzenden entspricht.24
weisungen oft zu unerwünschten Landnahmen
und damit verbundenen Konflikten führten.

5.3.2   Praxiserfahrungen

Der Platz ist besonders beliebt bei Fahrenden
aus Frankreich und Spanien. So stand er 2017 le­
diglich während zweier Tage leer. Die 40 Plätze
                                                                                                                  EspaceSuisse | Raum & Umwelt | Februar 1/2019

waren im selben Jahr zu 62 % belegt. Bei voller
Belegung lebten 2017 etwa 120 bis 150 Per­
                                                     24 Für die Erarbeitung der Fallbeispiele wertete Simon
sonen auf dem Platz. Es zeigte sich, dass zwei          Röthlisberger, Geschäftsführer der Stiftung Zukunft für
Toiletten nicht genügen und auch die Leistung           Schweizer Fahrende, einerseits schriftliche Dokumente
der Stromversorgung zu erhöhen ist. Ebenso              wie Konzepte, Reglemente oder Parlamentsvorlagen aus.
                                                        Andererseits machte er Begehungen vor Ort und führte
werden regelmässig Handwerksarbeiten auf                Gespräche mit Vertreterinnen und Vertretern der Kanto­
dem Platz ausgeführt. Dies legt nahe, einen             ne und Gemeinden: Für das Beispiel Freiburg waren dies
dafür geeigneten Arbeitsbereich einzurichten.           Major Jacques Meuwly (Chef der Gendarmerie bei der
                                                        Kantonspolizei) und André Magnin (Kantonsingenieur,
Betreiber von Plätzen in anderen Kantonen for­          Amtsvorsteher Tiefbauamt). Sämtliche Praxisbeispiele
mulierten übrigens die gleiche Idee.                    wurden von Simon Röthlisberger verfasst.
                                                                                                                  21
6       Aufgaben der Kantone

                                                6.1     Kantonale Gesetze                          Das Hauptinstrument dafür ist der kantonale
                                                                                                   Richtplan. Er ist «Drehscheibe der Koordinati­
                                                Das Raumplanungsgesetz des Bundes ist ein          on über alle staatlichen Ebenen und über alle
                                                Grundsatzgesetz und unterscheidet lediglich        raumwirksamen Sachbereiche hinweg»26 und
                                                drei Nutzungszonen: Bau-, Landwirtschafts-         zeigt mindestens auf, «wie der Kanton sich
                                                und Schutzzonen. Die Kantone präzisieren in        räumlich entwickeln soll», «wie die raumwirk­
                                                ihren kantonalen Raumplanungs- und Bauge­          samen Tätigkeiten im Hinblick auf die anzustre­
                                                setzen diese Zonen und sehen vor allem bei         bende Entwicklung aufeinander abgestimmt
                                                den Bauzonen Unterarten vor (Wohn- und Ar­         werden» und «in welcher zeitlicher Folge und
                                                beitszonen, Zonen für öffentliche Nutzungen        mit welchen Mitteln vorgesehen ist, die Aufga­
                                                etc.). Einige Kantone wie Zürich haben die Zo­     ben zu erfüllen» (Art. 8 RPG). Der Kanton defi­
                                                nenarten abschliessend geregelt, andere wie        niert damit seine Planungsabsichten und seinen
                                                Bern lassen ihren Gemeinden einen Spielraum        Handlungsspielraum sowohl für die Planungs­
                                                für die Umschreibung weiterer Zonen. Die kan­      behörden (Bund, Gemeinden) als auch für die
                                                tonalen Planungs- und Baugesetze legen auch        Bevölkerung und die Wirtschaft.
                                                die zulässigen Nutzungen und Bauvorschriften
                                                für die einzelnen Zonen fest. Da es kein Bundes­   Die Bevölkerung – und somit auch die Jeni­
                                                baugesetz gibt, regeln die Kantone auch das öf­    schen, Sinti und Roma – muss über die Ziele
                                                fentliche Baurecht. Dieses befasst sich mit den    und den Ablauf der Richtplanung unterrichtet
                                                Voraussetzungen des Bauens, der Einordnung         werden, damit sie sich an der Entscheidfindung
                                                und Gestaltung sowie den Anforderungen an          beteiligen kann (Art. 4 Abs. 1 und 2 RPG).27
                                                die Konstruktion, den Betrieb und Unterhalt von    Die Entwürfe der Richtpläne werden vor der
                                                Bauten und Anlagen.                                Beschlussfassung öffentlich bekannt gemacht,
                                                                                                   sei es durch Hinweise in öffentlichen Publikati­
                                                Einige Kantone wie Basel-Landschaft und Neu­       onsorganen, in Orientierungsversammlungen
                                                enburg haben Spezialgesetze erlassen. Im Kan­      oder durch neue Kommunikationsformen wie
                                                ton Basel-Landschaft regelt das Gesetz über        das Internet beziehungsweise soziale Medien.
                                                Stand- und Durchgangsplätze für Fahrende           Anschliessend muss der bereinigte Entwurf von
                                                vom 20. Februar 2014 die Zuständigkeiten des       der zuständigen kantonalen Behörde – in einzel­
                                                Kantons und jene der Standortgemeinden. Das        nen Kantonen ist es das Parlament, in anderen
EspaceSuisse | Raum & Umwelt | Februar 1/2019

                                                Gesetz des Kantons Neuenburg zum Aufenthalt        die Regierung – formell beschlossen werden
                                                von Fahrenden wurde am 20. Februar 2018 er­        (Art. 10 RPG).
                                                lassen.25
                                                                                                   25 Loi sur le stationnement des communautés nomades du
                                                                                                      20 février 2018 (LSCN, RSN 727.2). Gegen den Erlass
                                                6.2     Kantonale Richtpläne                          haben Schweizer Fahrende mit der Unterstützung der
                                                                                                      Gesellschaft für bedrohte Völker eine Beschwerde beim
                                                                                                      Bundesgericht eingereicht, weil sie das Gesetz als diskri­
                                                Die zentrale Raumplanungsaufgabe der Kanto­           minierend einstufen.
                                                                                                   26 Raumplanungsbericht 1987, BBl 1988 I 926.
                                                ne besteht darin, die raumwirksamen Aufgaben       27 TSCHANNEN, Praxiskommentar RPG: Richt- und Sach­
                                                und Tätigkeiten zu koordinieren und zu steuern.       planung, Art. 3 N 64.
22
Der Bundesrat genehmigt die Richtpläne und          6.3       Kanton Zürich: Richtplan
ihre Anpassungen, wenn sie dem Bundesrecht                    angepasst, Konzept erarbeitet
entsprechen und die raumwirksamen Aufgaben
des Bundes sowie der Nachbarkantone sach­           Im Herbst 2017 verabschiedete der Regierungs­
gerecht berücksichtigen (Art. 11 RPG). Dabei        rat das «Konzept für die Bereitstellung von Hal­
prüft das ARE seit einigen Jahren jeweils auch,     teplätzen für Schweizer Fahrende im Kanton
ob die Kantone die Bedürfnisse der Fahrenden        Zürich» und rief eine Fachstelle Fahrende ins
im Richtplan thematisieren und sich zu Halte­       Leben. Die detaillierten Vorgaben im Richtplan
plätzen äussern.28                                  bilden die Basis für dieses Vorgehen.

Weil laut Artikel 8 Absatz 2 RPG die Vorhaben       Der Auftrag eines im Jahr 2004 im Kantonsrat
mit gewichtigen Auswirkungen auf Raum und           eingereichten Postulats war deutlich: Der Re­
Umwelt eine Grundlage im Richtplan haben            gierungsrat wurde aufgefordert, eine Richt­
müssen, gehören Transit- und Durchgangsplät­        planänderung vorzunehmen, darin Plätze zu
ze, je nach Grösse und Lage, in den kantonalen      bezeichnen und ein Konzept zu erarbeiten. Elf
Richtplan (siehe etwa Kanton Basel-Stadt Ziff.      Jahre später genehmigte der Bundesrat den
7.5.1). Standplätze haben in der Regel keine        Richtplan mit dem neu aufgenommenen Kapitel
über die Gemeindegrenzen hinausgehenden             «Stand- und Durchgangsplätze für Fahrende».
Auswirkungen, so dass ein Richtplaneintrag
nicht zwingend ist. Nicht alle Kantone bezeich­     Der Richtplan gibt klare Ziele vor. Die beste­
nen aber Halteplätze in ihren Richtplankarten       henden vier Standplätze und die acht Durch­
und stimmen sie räumlich anschliessend ab. Sie      gangsplätze sind planungsrechtlich zu sichern.
formulieren in den Richtplänen lediglich kon­       Auf der Grundlage der Standberichte der Stif­
zeptionelle Überlegungen des Kantons zu den         tung Zukunft für Schweizer Fahrende legt der
Halteplätzen, und zwar in Form von Zielsetzun­      kantonale Richtplan zudem fest, dass in den
gen und Leitlinien (vgl. Kapitel 6.3 und 6.4).29    regionalen Richtplänen der Regionen Glattal,
                                                    Winterthur und Umgebung, Unterland und Zü­
Richtpläne sind für die Behörden verbindlich,       rich zusätzlich fünf Durchgangsplätze und in der
sie werden regelmässig überprüft und nötigen­       Region Oberland ein Standplatz zu bezeichnen
falls angepasst (Art. 9 RPG). Adressaten des        sind. Insgesamt wird somit im Kanton Zürich die
Richtplans sind somit nur die mit der Planung       Schaffung von fünf Standplätzen und 13 Durch­
betrauten Behörden. Dies sind die Behörden          gangsplätzen angestrebt.
des Bundes, der Kantone und der Gemeinden
sowie öffentliche oder private Organisationen,
                                                                                                                EspaceSuisse | Raum & Umwelt | Februar 1/2019

die mit raumwirksamen Aufgaben betraut sind.
Die Richtplaninhalte bilden den verbindlichen
                                                    28 Vgl. beispielsweise ARE, Prüfungsbericht Richtplan
Ausgangspunkt für die Interessenabwägung               Kanton Appenzell Ausserrhoden Nachführung 2015,
(vgl. Ziffer 8). Für Private haben die Richtpläne      Bern 21.09.2018, S. 20; ARE, Prüfungsbericht Richtplan
nur eine indirekte Wirkung, indem sie die Nut­         Kanton Schwyz, Richtplananpassung Regionen Höfe,
                                                       March und 1. Teil Rigi-Mythen, Bern 10.12.2008, S. 9.
zungsplanung stark steuern.                         29 So zum Beispiel: Richtplan des Kantons Schaffhausen,
                                                       Erlass durch den Regierungsrat des Kantons Schaffhau­
                                                       sen am 5. März 2013 und 26. April 2014; Genehmigung
                                                       durch den Kantonsrat des Kantons Schaffhausen am 8.
                                                       September 2014; Genehmigung durch den Bundesrat
                                                       am 21. Oktober 2015, Kapitel 2-2-4, S. 106.
                                                                                                                23
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