Metabolische Chirurgie - Diabetes operieren? - Diabetes aktuell

 
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Metabolische Chirurgie - Diabetes operieren? - Diabetes aktuell
Diabetes aktuell

Metabolische Chirurgie –
Diabetes operieren?
Die Vorstellung, eine Stoffwechselerkrankung wie                        Grundlagen des Typ-2-Diabetes
Diabetes mittels einer Operation zu behandeln,                          Typ-2-Diabetes ist eine chronisch fortschreitende
mag viele zunächst erstaunen. Wie kann eine Ope-                        Erkrankung. Ihr zu Grunde liegt einerseits eine
ration hilfreich sein, wo es doch um die Ausschüt-                      gestörte Ausschüttung von Insulin aus den Beta-
tung und Wirkung von Insulin geht? In den letz-                         zellen der Bauchspeicheldrüse, andererseits eine
ten Jahren wurde jedoch immer deutlicher, dass                          verminderte Wirkung des Insulins, welche auch
Operationen, welche zunächst für die Behandlung                         Insulinresistenz genannt wird (Abbildung 1). Da-
von starkem Übergewicht (Adipositas) entwickelt                         bei kann die Ausprägung dieser einzelnen Stö-
wurden, ausgeprägte Effekte auf den Stoffwechsel                        rungen bei Betroffenen sehr unterschiedlich sein.
ausüben. International wird daher intensiv darüber                      Ursächlich sind meist ungünstige Erbanlagen (so-
diskutiert, ob man auch Patienten mit Typ-2-Dia-                        genannte genetische Polymorphismen), welche zu
betes ohne ausgeprägte Adipositas einer Opera­                          einer relativen Schwäche der Betazellen und damit
tion zuführen sollte.                                                   der Insulinausschüttung führen. Hinzu kommt,
                                                                        dass der normale Alterungsprozess ebenfalls mit
                                                                        einem zunehmenden Funktionsverlust der Beta-
                 Den positiven Effekten der entsprechenden Ope-         zellen verbunden ist. Würden wir alle 150 Jahre
                 rationen müssen jedoch deren Risiken gegenüber         alt werden, hätten wir am Ende unseres Lebens
                 gestellt werden. Letztlich muss immer gemeinsam        wahrscheinlich alle einen Diabetes. Bei Personen
                 mit den Betroffenen abgewogen werden, ob eine          mit entsprechend ungünstigen Erbanlagen kommt
                 Operation auch unter der Berücksichtigung indi-        es zu einem beschleunigten Betazellfunktionsver-
                 vidueller Bedürfnisse und Prioritäten sinnvoll ist.    lust, so dass der Diabetes bereits deutlich früher
                 In diesem Artikel soll auf den aktuellen Stellenwert   auftritt.
                 der sogenannten «metabolischen Chirurgie» (Stoff-      Kommt Übergewicht und eine damit verbundene
                 wechsel-Chirurgie) in der Therapie des Typ-2-Dia­      Vermehrung des Körperfetts (Adipositas) hinzu,
                 betes eingegangen sowie die Wirkmechanismen            so tritt der Diabetes in noch jüngeren Jahren auf.
                 und Nebenwirkungen entsprechender Operationen          Dies liegt daran, dass die bei adipösen Personen
                 dargestellt werden.                                    meist vergrösserten Fettzellen (Hypertrophie),
                                                                        insbesondere in der Bauchhöhle, über verschie-
               Störungen beim Typ-2-Diabetes                            dene Botenstoffe zu einer Insulinresistenz führen.
                                                                        Personen mit genetischer Veranlagung für Dia-
                                                                        betes können diese Insulinresistenz nicht mehr
                                                       Erbanlagen       durch eine vermehrte Insulinausschüttung kom-
                                                                        pensieren. Das Ergebnis: Der Blutzucker steigt, so
                                                                        dass letztlich ein Diabetes vorliegt. Adipositas hat
                                                                        zudem auch einen direkten schwächenden Einfluss
      Muskel / Leber                              Beta-Zelle
     Insulin-Wirkung                       Insulin-Ausschüttung         auf die Beta­zellfunktion. Es gibt also viele Gründe,
                                                                        warum sich eine Gewichtsreduktion bei überge-
                                                                        wichtigen Personen mit Typ-2-Diabetes meist sehr
                                                                        positiv auf den Zuckerstoffwechsel auswirkt.
Abbildung 1                                              Alterung

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Behandlungsverlauf des                                                       Verlauf des Typ-2-Diabetes
Typ-2-Diabetes
Mittlerweile gibt es eine ganze Reihe an Diabe-
tes-Medikamenten, mit deren Hilfe man den er-
höhten Blutzucker wieder in den gewünschten                                           Operation
Zielbereich bringen kann. Viele Betroffene machen                                                           3. Medikament
jedoch die Erfahrung, dass es mit der Zeit offen-                                                  2. Medikament
sichtlich zu einem Wirkungsverlust der Medika-                                            1. Medikament
mente kommt. Dass heisst, der Blutzucker fängt
wieder an, dauerhaft zu steigen. Dies liegt meist

                                                         Blutzucker
an dem bereits oben beschriebenen, zunehmen-
den Verlust der Betazellfunktion. Die Konsequenz:
Es müssen immer mehr Medikamente eingenom-
men werden, um den Blutzuckerspiegel in den
gewünschten Zielbereich zu bringen; so lange bis
                                                           Abbildung 2                   Zeit
irgendwann nur noch Insulin hilft (Abbildung 2).
Auch wenn heute, dank der Entwicklung von Insu-
linpens und sehr dünnen Nadeln, eine Insulinthe-         Risiko für das Auftreten von Erkrankungen wie
rapie ihren Schrecken weitgehend verloren hat, so        Herzinfarkt oder verschiedene Krebserkrankungen
stellt sie immer noch eine Belastung im Alltag von       durch die Operationen reduziert wird.
Betroffenen dar. Zudem steigt mit der Notwendig-         Eine immer wieder faszinierende Beobachtung ist,
keit einer Insulintherapie auch die Gefahr des Auf-      wie schnell es bei stark übergewichtigen Patienten
tretens von Unterzuckerungen deutlich an.                mit Diabetes nach einer entsprechenden Opera-
                                                         tion zu einer massiven Verbesserung des Zucker-
Operationen zur Behandlung                               stoffwechsels kommt. So kann oft ein grosser Teil
des Typ-2-Diabetes                                       der Diabetesmedikamente bereits am ersten Tag
In der Schweiz werden seit etwa 20 Jahren verschie-      nach der Operation abgesetzt werden. Diese Beob-
dene Operationen regelhaft zur Behandlung von            achtung löste in den letzten Jahren verständlicher-
schwerem Übergewicht durchgeführt. Am Anfang
stand das Magenband, welches heute auf Grund                          Magenbypass                     Schlauchmagen
von unbefriedigenden Langzeitergebnissen nur
noch sehr selten implantiert wird. Heute ist der
(obere/proximale) Magenbypass die Standardope-
ration, gefolgt von der zunehmend angewendeten
Schlauchmagenoperation (Abbildung 3). Über die
Jahre hinweg haben sich die Operationstechniken
deutlich verbessert, so dass heute alle Eingriffe fast
immer in Schlüsselloch-Technik (laparoskopisch)
durchgeführt werden können. Zudem hat man auch
immer mehr über die Nebenwirkungen der Opera-
tionen, wie beispielsweise das Auftreten von Nähr-
stoffmängeln, gelernt. So kann man gezielt diesen
Nebenwirkungen entgegenwirken. Es ist heute ein-
deutig belegt, dass stark übergewichtige Menschen
durch entsprechende Operationen mehrheitlich
                                                                                    Abbildung 3
massiv an Lebensqualität gewinnen, und dass das

                                                                                         d-journal 231 l 2014/15            13
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          weise ein ausgeprägtes Forschungsinteresse aus,          magen-Operation etwa 90 % des Magens entfernt,
          im Rahmen dessen man versuchte, die zu Grunde            so dass nur noch ein etwa 2 cm dünner Schlauch
          liegenden Mechanismen aufzudecken. So wurde              übrigbleibt. Die Operationen werden in Vollnar-
          beispielsweise herausgefunden, dass es nach einer        kose und meist über 5 bis 6 Bauchschnitte von
          Magenbypass-Operation zu einer etwa 10-fach er-          1 – 2 cm Länge durchgeführt. Die Operationsdauer
          höhten Ausschüttung des Darmhormons Glucagon-­           beträgt in geübter Hand ungefähr eine Stunde, der
          like-peptide-1 (GLP-1) kommt. Dieses Hormon              Spitalaufenthalt nach der Operation ca. vier Tage,
          wird vielen Typ-2-Diabetes-Patienten bekannt sein,       die Arbeitsunfähigkeit je nach ausgeübter Tätigkeit
          da es in modifizierter Form (z.B. Victoza®, Byetta®,     zwei bis sechs Wochen.
          Bydureon®) zur Diabetestherapie eingesetzt wird.
          Neben den positiven Effekten auf den Zuckerstoff-        Risiken und Nebenwirkungen
          wechsel hat das Hormon auch noch einen Appetit           Wie alles in der Medizin und im Leben haben auch
          reduzierenden Effekt, was Betroffenen hilft, Ge-         die beschriebenen Operationen ihre Kehrseite. Mit
          wicht abzunehmen. Als weitere Mechanismen,               der Operation verbunden ist das Risiko von Blu-
          welche die rasche Verbesserung des Zuckerstoff-          tungen, Infektionen sowie von undichten Stellen
          wechsels begründen, werden Veränderungen im              im Bereich des operierten Darms oder Magens.
          Gallensäurenstoffwechsel sowie die nach der Ope-         Das Risiko, dass eine erneute Operation innerhalb
          ration veränderte Zusammensetzung der Darmbak-           von 30 Tagen nach der eigentlichen Operation not-
          terien-Flora diskutiert. Es ist jedoch klar, dass noch   wendig wird, liegt bei etwa 3 %. Wissenschaftliche
          längst nicht alle zu Grunde liegenden Mechanismen        Untersuchungen haben eindeutig belegt, dass die
          des positiven Effekts der Operationen auf den Dia-       Komplikationsrate wie auch der Therapieerfolg
          betes erforscht sind.                                    stark von der Erfahrung und den technischen Fä-
                                                                   higkeiten des Operateurs abhängig sind. Im Allge-
          Was wird operiert?                                       meinen werden die Risiken der Operationen jedoch
          Obgleich das Spektrum der zur Gewichtsreduktion          meist deutlich überschätzt. So beträgt das Risiko,
          durchgeführten Operationen recht gross ist, spielen      infolge einer solchen Operation zu versterben, etwa
          die beiden erwähnten Operationsverfahren «Ma-            0,1 %, was mit anderen Standardoperationen gut
          genbypass» und «Schlauchmagen» weltweit zahlen-          vergleichbar ist.
          mässig eindeutig die grösste Rolle. In der Schweiz       Auch im Langzeitverlauf können erneute Opera­
          werden aktuell etwa 4 200 derartige Operationen          tionen notwendig werden. Narbenbrüche oder
          pro Jahr durchgeführt. Interessanterweise konn-          Verdrehungen des Darms (innere Hernien) können
          te eine Studie vor kurzem nachweisen, dass der           entstehen, welche sich jedoch meist schnell und
          Magenbypass zur Behandlung des Diabetes dem              gut operativ beheben lassen. Manche Menschen
          Schlauchmagen etwas überlegen ist.                       neigen jedoch nach Bauchoperationen dazu, Ver-
          Bei der Magenbypass-Operation wird der gröss-            wachsungen zu entwickeln, was zu sehr ungünsti-
          te Teil des Magens von der Nahrungspassage ab-           gen Verläufen (sogenannter Verwachsungsbauch)
          getrennt, indem eine Dünndarmschlinge an den             mit chronischen Schmerzen führen kann. Hier sind
          oberen Teil des Magens angenäht wird. Es handelt         sehr komplexe operative Sanierungen notwendig,
          sich somit um eine Umgehung (Bypass) des Ma-             welche viel Erfahrung und Geschick seitens des
          gens und des nachgeschalteten Zwölffingerdarms.          Operateurs bedingen. Erfreulicherweise betrifft
          Entgegen einem weit verbreiteten Missverständnis         dies jedoch nur einen sehr kleinen Teil der operier-
          wird bei dieser Operation weder ein Teil des Ma-         ten Patienten.
          gens noch des Darms entfernt, so dass die Opera-         Neben den chirurgischen Komplikationen können
          tion prinzipiell rückgängig gemacht werden kann.         in Verlauf auch Probleme in der Nährstoffversor-
          Dies ist jedoch extrem selten notwendig und sinn-        gung auftreten. Durch die veränderte Anatomie
          voll. Im Gegensatz hierzu werden bei der Schlauch-       werden eine Reihe von Nährstoffen wie Vitami-

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          ne und Spurenelemente nicht mehr so gut in den         Eine häufig gestellte Frage von Patienten ist, ob
          Körper aufgenommen. Dies macht die lebenslange         der Diabetes nach der Operation immer ganz ver-
          Einnahme von Nährstoffsupplementen wie bei-            schwindet oder ob er wieder kommen kann. Ent-
          spielsweise Calcium notwendig. Es sind regelmäs-       scheidend sind hier die Ursachen, wie das Ausmass
          sige Laboruntersuchungen (etwa 1-Mal pro Jahr)         der Betazellfunktionsstörung und der Insulinresis-
          anzuraten, um der Entstehung von Mangelerschei-        tenz, sowie die Dauer der Erkrankung. Patienten,
          nungen frühzeitig und gezielt entgegenwirken zu        die bereits sehr lange an Diabetes erkrankt sind und
          können. Wird dies alles vernachlässigt, so können      damit einhergehend meist bereits eine stark einge-
          Probleme wie eine vermehrte Knochenbrüchigkeit         schränkte Insulinausschüttung aufweisen, haben
          (Osteoporose) oder Nervenschädigungen auftre-          eine deutlich geringere Chance, nach der Opera­
          ten. Üblicherweise werden daher Personen, die sich     tion gar keine Diabetestherapie mehr zu benötigen.
          einer Operation unterzogen haben, in ein struktu-      Patienten hingegen, deren Blutzucker sich mit zwei
          riertes Nachsorgeprogramm aufgenommen.                 Medikamenten sehr gut kontrollieren lässt, können
          Das Essverhalten und die Ernährungsweise müs-          fast immer damit rechnen, dass sie nach der Opera-
          sen den neuen anatomischen Verhältnissen des           tion alle Diabetesmedikamente absetzten können.
          Magen-Darm-Traktes nach den Operationen an-            Wenn es also darum geht, dem Diabetes möglichst
          gepasst werden. So sollte beispielsweise nicht mehr    effektiv entgegen zu wirken, ist eine Operation
          gleichzeitig gegessen und getrunken werden, da         umso besser, je früher sie nach Diagnosestellung
          sonst der Darm bzw. verkleinerte Magen überlastet      der Krankheit gemacht wird. Aufgrund des oben
          wird, was zu unangenehmen Bauchkrämpfen und            beschriebenen Alterungsprozesses der Betazellen
          sogar Kollaps-Zuständen führen kann. Auch wird         kann es im weiteren Verlauf durchaus zu einem
          Alkohol nicht mehr so gut vertragen. Für die meis-     Wiederauftreten des Diabetes kommen. Man kann
          ten Patienten stellen diese Ernährungsanpassungen      somit sagen, dass die Operation das Rad des Fort-
          jedoch kein Problem dar, da die Operationen über       schreitens des Diabetes ein Stück weit zurückdre-
          hormonelle und neuronale Effekte zu einer deutli-      hen kann. Eine eigentliche Heilung erscheint nach
          chen Reduktion von Appetit und Hunger führen.          heutiger Erkenntnis jedoch nicht möglich.
          Dies erleichtert den Patienten, ihre Ernährung an-
          zupassen.                                              Fazit
                                                                 Die metabolische Chirurgie stellt heute eine eta-
          Wer profitiert von einer Operation?                    blierte Therapieoption für stark übergewichtige
          Die meisten Erfahrungen bezüglich der Effekte der      Personen (BMI > 35 kg/m2) mit oder ohne Dia-
          metabolischen Chirurgie auf den Diabetes wurden        betes dar. Wer sich einer Operation unterziehen
          bei stark adipösen übergewichtigen Personen ge-        möchte, muss bereit sein, sein Ernährungsverhal-
          wonnen. Es ist daher noch unklar, ob die Operati-      ten anzupassen, dauerhaft Nährstoffsupplemente
          onen auch bei leicht übergewichtigen Personen mit      einzunehmen und an einer Langzeitnachbetreuung
          Typ-2-Diabetes genauso erfolgreich sind. Um diese      teilzunehmen. Unklar ist bislang, ob auch weniger
          Frage zu beantworten, laufen derzeit weltweit eine     übergewichtige Patienten mit Typ-2-Diabetes von
          Reihe von Studien, deren erste Ergebnisse bislang      Operationen profitieren. Diesbezüglich werden
          sehr vielversprechend sind. Aktuell liegt die Bo-      derzeit laufende Studien bald Klarheit schaffen.
          dy-Mass-Index-Grenze (BMI = Körpergrösse/Ge-           Insgesamt ist davon auszugehen, dass die metabo-
          wicht2) für die Durchführung der Operation und         lische Chirurgie und möglichweise noch weitere
          deren Kostenübernahme durch die Krankenkassen          Therapieformen, welche am Magen-Darm-Trakt
          in der Schweiz bei 35 kg/m2. Es gibt jedoch auch ei-   ansetzen, zukünftig einen festen Platz in der Thera-
          nige Länder, in denen die BMI-Grenze bereits auf       pie des Typ-2-Diabetes einnehmen werden.
          30 kg/m2 gesenkt wurde, insbesondere bei Diabe-                             Prof. Dr. med. Bernd Schultes,
          tes-Patienten.                                                eSwiss Medical & Surgical Center, St. Gallen

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