MIA Expertisen Volume 1 - Gestaltungsparameter urbaner Produktion - MIA Projekt

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MIA Expertisen Volume 1 - Gestaltungsparameter urbaner Produktion - MIA Projekt
MIA Expertisen
Volume 1
Gestaltungsparameter
urbaner Produktion

Herausgeber
Frank Hees, Dieter M. Begaß, Martina Fromhold-Eisebith,
Gisela Schmitt, Peter Burggräf
MIA Expertisen Volume 1 - Gestaltungsparameter urbaner Produktion - MIA Projekt
Herausgeber:
    Dr. rer. nat. Frank Hees
    Lehrstuhl für Informationsmanagement im Maschinenbau / Zentrum für Lern- und Wissensma-
    nagement der RWTH Aachen University
    Dieter M. Begaß
    Stadt Aachen – Fachbereich Wirtschaft, Wissenschaft und Europa
    Univ.-Prof. Dr. phil. Martina Fromhold-Eisebith
    Lehrstuhl für Wirtschaftsgeographie der RWTH Aachen University
    Gisela Schmitt
    Lehrstuhl für Planungstheorie und Stadtentwicklung der RWTH Aachen University
    Univ.-Prof. Dr.-Ing. Peter Burggräf
    Werkzeugmaschinenlabor der RWTH Aachen University, Abteilung Fabrikplanung

    1. Auflage, November 2017
    Alle Rechte vorbehalten
    © Technische Hochschule Aachen Zentrum für Lern- und Wissensmanagement, Aachen 2017
    Dennewartstr. 27, 52068 Aachen
    Titelfoto: © Sebastian Stiehm
    Printed in Germany
    ISBN 978-3-935989-28-2

2                                                                                         3
MIA Expertisen Volume 1 - Gestaltungsparameter urbaner Produktion - MIA Projekt
Vorwort                                                                                          Inhaltsverzeichnis
Die MIA Expertisen erscheinen als Reihe im Rahmen des BMBF-geförderten Projekts MIA (Made        Vorwort3
in Aachen) und dienen als Leitfaden für eine nachhaltige Entwicklung urbaner Produktion. Dabei
sollen diese informieren und zum Handeln anregen. Zielgruppe sind primär Unternehmen und         Einleitung5
Kommunen. Ihnen dienen die Expertisen als Hilfestellung für Standortentscheidungen sowie zur     Industrie 4.0 als Enabler urbaner Produktion             5
Standortentwicklung. Darüber hinaus fungieren die Expertisen als Verstetigungsinstrument, das    In Kürze durch die industriellen Revolutionen            5
den fachlichen Transfer der Projektergebnisse in andere urbane Räume sicherstellen soll.         Industrie 4.0 als Strategie der Bundesregierung          7
                                                                                                 Die Smart Factory als flexible Produktionsstätte         7

                                                                                                 (Re-)Integration von Produktion in urbane Räume          9
                                                                                                 Baurechtliche Regulierungen                               9
                                                                                                 Nutzungskonflikte verhindern funktionale Durchmischung    9
                                                                                                 Definition urbaner Produktion                            10

                                                                                                 Gestaltungsparameter urbaner Produktion                  11
                                                                                                 Leitfadengestützte Experteninterviews 12
                                                                                                 Text Mining                           12
                                                                                                 Mikroebene15
                                                                                                 Mesoebene16
                                                                                                 Makroebene17
                                                                                                 Metaebene19

                                                                                                 Quick Wins: Ableitungen für Akteure                      21
Autoren                                                                                          Steuerungsgrößen urbaner Produktion 21
Dr. rer. nat. Sebastian Stiehm                                                                   Handlungsempfehlungen23
Dipl.-Wirt.-Ing. Leonard Simons                                                                  Ausblick                            25
Prof. Dr. phil. Anja Richert
Univ.-Prof. Dr. rer. nat. Sabina Jeschke                                                         Literaturverzeichnis26

4                                                                                                                                                          5
MIA Expertisen Volume 1 - Gestaltungsparameter urbaner Produktion - MIA Projekt
Industrielle Revolutionen

Einleitung                                                                                           Erste industrielle Revolution
                                                                                                     durch Einführung mechanischer
                                                                                                     Produktionsanlagen mit Hilfe von
                                                                                                                                        Zweite industrielle Revolution
                                                                                                                                        durch Einführung arbeitsteiliger
                                                                                                                                        Massenproduktion mit Hilfe von
                                                                                                                                                                           Dritte industrielle Revolution
                                                                                                                                                                           durch Einsatz von Elektronik und IT
                                                                                                                                                                           zur weiteren Automatisierung der
                                                                                                                                                                                                                 Vierte industrielle Revolution
                                                                                                                                                                                                                 durch Einsatz von Cyber Physical
                                                                                                                                                                                                                 Systems
                                                                                                     Wasser- und Dampfkraft             elektrischer Energie               Produktion

Während zu Zeiten der ersten industriellen Revolution noch größtenteils innerstädtisch produ-
ziert wurde, sorgten im Verlauf der Zeit vor allem störende Emissionen dafür, dass Produktion
aktuell vorzugsweise in der Peripherie wiederzufinden ist. Zunehmend rückt jedoch die Stadt als
Produktionsraum zurück in den Fokus. Ermöglicht wird diese Entwicklung durch neue, innovative        Ende 18. Jhdt.                     Beginn 20. Jhdt.                   Beginn 1970er                         Heute

und emissionsfreie Produktionsverfahren wie z.B. dem 3D-Druck. Zusätzlich unterstützen aktuelle
                                                                                                     Urbanisierung                      Urbanisierung                      Überwindung von Distanzen,            Funktionsmischung und
Trends (z.B. Nachhaltigkeit, Digitalisierung) und veränderte Anforderungen der Bevölkerung (z.B.                                        und zunehmende                     Anbindung ländlicher Räume            Reintegration von
                                                                                                                                        Funktionstrennung                  und Globalisierung                    Produktion in die Stadt
Individualität, Regionalität, Flexibilität) den Paradigmenwechsel (Stiehm 2017).
                                                                                                   Urbane Entwicklungen
    Urbane Produktion umfasst die Herstellung von materiellen Produkten sowie produkt-
    begleitenden Dienstleistungen in Räumen mit einer funktionalen Dichte und einer Mi-
    schung unterschiedlicher Nutzungen. Durch urbane Produktion können wohnortnahe                 Abbildung 1: Die vier Stufen der Industriellen Revolution (Stiehm 2017)
    Arbeitsplätze geschaffen, die Nutzungsdurchmischung verbessert und innerstädtische
    Brachflächen revitalisiert werden.
                                                                                                   In Kürze durch die industriellen Revolutionen
                                                                                                   In der ersten industriellen Revolution, die um 1750 in England startete, wurden die klassischen
Industrie 4.0 als Enabler urbaner Produktion                                                       Handwerksbetriebe von großen Fabriken verdrängt. Ermöglicht wurde diese Entwicklung durch
In dem Diskurs um Industrie 4.0 wird diese oftmals mit dem Begriff der vierten industriellen Re-   die Erschließung von Kohle als fossiler Energieträger und damit der Entwicklung der Dampfma-
volution in Deutschland gleichgesetzt. Unter industriellen Revolutionen werden generell radikale   schine. Die erste industrielle Massenproduktion wurde ermöglicht. Fortan konnten mehr Waren
wirtschaftliche, gesellschaftliche, ökologische und energetische Umbruchphasen verstanden, die     mit geringerem Aufwand und geringerer menschlicher Arbeitskraft produziert werden. Auch das
geprägt sind von neuen Technologien, Energiequellen und Basisinnovationen. Auch gesellschaft-      Transportsystem wurde durch die Entwicklung der Dampfschifffahrt und einer Ausweitung des
liche Veränderungen und Wirkungen auf die Arbeitswelt wurden in den vergangenen industriellen      Eisenbahnnetzes deutlich verbessert. Die Arbeiter suchten die räumliche Nähe zu den industriel-
Revolutionen hervorgerufen (BMU 2008).                                                             len Standorten in der Stadt, was eine zunehmende Urbanisierung und expandierende industrielle
Industrie 4.0 bietet die technologischen Voraussetzungen, um Produktion zurück in die Städte zu    Zentren zur Folge hatte (Bauernhansl et al. 2014; BMU 2008; bpb 2012; Schnitzer 2014).
bringen. Die neuen emissionsfreien Technologien wirken als Enabler und ermöglichen stadtver-       Unter der zweiten industriellen Revolution wird die Entdeckung der Energieträger Öl und Gas
trägliche Produktion.                                                                              zum Antrieb von Motoren sowie der Entwicklung der Elektrotechnik für Licht- und Antriebstech-
                                                                                                   niken Ende des 19. Jahrhunderts verstanden. Auf diese Weise konnten deutliche Fortschritte in
                                                                                                   der Automatisierung der Produktion gemacht werden, die nicht zuletzt auf die Entwicklung der
                                                                                                   Fließbandarbeit zurückzuführen sind. Somit entstand eine arbeitsteilige, großindustrielle Massen-
                                                                                                   produktion, die unter dem Begriff des Fordismus bekannt ist. Die Bevölkerung verließ durch eine
                                                                                                   Zunahme der Mobilitätsmöglichkeiten die Städte und die Pendlerbewegungen nahmen deutlich
                                                                                                   zu. Wohn- und Arbeitsbereiche wurden nun bewusst voneinander getrennt (Bauernhansl et al.
                                                                                                   2014; BMU 2008; Kagermann et al. 2013).

                                                                                                   Die Automatisierung der Prozesse in der Industrie konnte mit Fortschritten in den Bereichen Elekt-
                                                                                                   ronik und dem Ausbau der Informations- und Kommunikationstechnologien weiter vorangetrieben
                                                                                                   werden. Innovationen in den Bereichen der Mikroelektronik und Computertechnik, wie der Ent-
                                                                                                   wicklung von Halbleitern und des Internets, führten schließlich zur dritten, digitalen Revolution
                                                                                                   Anfang der 1960er Jahre. Produktion wurde zunehmend aufgrund sinkender Transaktionskosten
                                                                                                   global organisiert. Ein Großteil der deutschen Industrie wurde zwecks Einsparungen in Billiglohn-
                                                                                                   ländern ausgelagert. Auch die Märkte und Ansprüche der Kunden wandelten sich mit dem Fort-
                                                                                                   schritt der Technologien. Qualität und Individualität wurden immer wichtiger. Gleichzeitig gab es
                                                                                                   einen starken Fokus auf ökologische Nachhaltigkeit der Produktion (Bauernhansl et al. 2014; BMU
                                                                                                   2008; Kagermann et al. 2013; Jänicke und Jacob 2008; Riffkin 2011).

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MIA Expertisen Volume 1 - Gestaltungsparameter urbaner Produktion - MIA Projekt
Nachdem in den vergangenen Jahren aufgrund von technologischen Weiterentwicklungen die in-           Abbildung 2: Inselfertigung in der Smart Factory (Basic 2016)
dustrielle Produktion stetig gestiegen war, begann in den 1970er Jahren eine deutliche De-Indus-
trialisierung. Der industrielle Sektor verlor gegenüber dem tertiären Sektor stark an Bedeutung.
Ein großer Teil der industriellen Produktion wurde in ausländische Niedriglohnländer ausgelagert,
während gleichzeitig der tertiäre Dienstleistungssektor in den heimischen Märkten stark an Be-
deutung gewonnen hatte. Gleichwohl die Folgen der Deindustrialisierung in Deutschland deut-
lich zu spüren waren, insbesondere durch die hohe Arbeitslosigkeit im industriellen Sektor, kann
Deutschland im internationalen Vergleich weiterhin eine starke industrielle Basis vorweisen. 2015
lag der Anteil des industriellen Sektors an der Bruttowertschöpfung in Deutschland bei 25,9%,
während der Anteil der Industrie in der EU insgesamt bei nur 15,5% lag (Grömling 2006; Statisti-
sches Bundesamt 2009; Westkämper und Löffler 2016).

Die Deindustrialisierung wird heute als Initiator der vierten industriellen Revolution betrachtet.
Auch diese ist wie die vorangegangen Revolutionen auf wesentliche technologische Weiterent-
wicklungen zurückzuführen. Der Begriff Industrie 4.0 umfasst in diesem Zusammenhang die zu-
nehmende Digitalisierung, intelligente Vernetzung und Ausstattung mit Informations- und Kom-
munikationstechniken in allen Teilen der Wertschöpfungskette.

Industrie 4.0 als Strategie der Bundesregierung
Die Bundesregierung hat den Begriff Industrie 4.0 mit dem Ziel aufgefasst, den Industriestand-
ort Deutschland als Leitmarkt bzw. Leitanbieter für innovative Technologien zu stärken und zum
Bestandteil der Hightech-Strategie 2020 gemacht (BMBF 2014). Für vielzählige Branchen, insbe-
sondere für den Maschinen- und Anlagenbau, die Elektrotechnik, die Automobilbranche und die          Die Smart Factory als flexible Produktionsstätte
Chemieindustrie aber auch für die Landwirtschaft und die IKT-Branche, wird ein hohes Wertschöp-      Die konventionelle lineare Fertigung kann in der Smart Factory zunehmend flexibel gestaltet wer-
fungspotenzial durch die technologischen Weiterentwicklungen der Industrie 4.0 prognostiziert.       den. Dies bietet neue Möglichkeiten, um sich auf den immer schneller wandelnden Markt einzu-
Dabei handelt es sich um eine Vielzahl verschiedener und teilweise aufeinander aufbauender           stellen und auf individuelle Kundenwünsche zu reagieren. Ziel ist die individualisierte Produktion,
technologischer Innovationen. Neben additiven Fertigungsverfahren (z.B. 3D-Druck) und dem zu-        bei der maßgeschneiderte Produkte entstehen, die auch bei Losgröße 1 noch konkurrenzfähig
nehmenden Einsatz von intelligenten Robotik-Systemen in der Produktion, spielen das Internet         sind. Der Kunde soll zunehmend in den Produktionsprozess eingebunden werden und hinsichtlich
der Dinge und Cyber-physische-Systeme eine entscheidende Rolle in der Industrie 4.0 (Bauer et        Design, Konfiguration, Bestellung und Planungen mitbestimmen können. Aber auch der Mitarbei-
al. 2014).                                                                                           ter wird in der Fabrik der Zukunft weiterhin fester Bestandteil im Wertschöpfungsprozess bleiben.
                                                                                                     Neben den steuernden Tätigkeiten ist vor allem seine Entscheidungskompetenz gefragt. Außer-
Das Internet der Dinge beschreibt die Weiterentwicklung des herkömmlichen Internets, in dem          dem übernimmt er die Installation, Einstellung und Wartung der komplexen cyber-physischen
nun sämtliche „Dinge“ wie Geräte, Maschinen, Sensoren und Aktoren über das Internet miteinan-        Produktionssysteme (BMBF 2015; Jeschke 2014).
der vernetzt werden. Mit Hilfe von cyber-physischen-Systemen werden diese in einem Netzwerk
intelligent verknüpft und können miteinander kommunizieren und kooperieren. Maschinen und            Es wird erwartet, dass durch die technologischen Weiterentwicklungen die konventionellen Pro-
Betriebsmittel kennen sowohl ihren Ist- als auch Sollzustand und können diese kommunizieren          duktionsstrukturen völlig aufgebrochen werden. Es ist vor allem der hohe Flexibilitätsgrad, der
und gegebenenfalls selbstständig regeln. Mit Hilfe von sogenannten Mensch-Maschine-Schnitt-          die Besonderheit der zukünftigen Fabriken ausmachen wird. Im Zuge dieser Entwicklungen zu
stellen kann zudem eine Kommunikation mit dem Menschen als Bediener hergestellt werden.              einer digitalisierten Industrie wird in Deutschland inzwischen von einem Prozess der Reindustri-
Diese neuen vernetzten Geräte und Objekte ermöglichen die Umsetzung intelligenter Fabriken           alisierung gesprochen. Dies ist jedoch auch auf weitere Erfolgsfaktoren der deutschen Industrie
(engl. Smart Factory) (Basic 2016).                                                                  wie hochspezialisierte Cluster-Strukturen, die Verfügbarkeit hochqualifizierter Arbeitskräfte, die
                                                                                                     hohe Qualität und Wissensintensivität der Produkte, die hohe Produktivität sowie das dynamische
                                                                                                     Innovationssystem zurückzuführen (BMWi 2016).

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MIA Expertisen Volume 1 - Gestaltungsparameter urbaner Produktion - MIA Projekt
(Re-)Integration von Produktion                                                                                                                                    Abbildung 3: Ansprüche verschiedener
in urbane Räume                                                                                                                                                    Akteursgruppen des Paradigmas urbaner
                                                                                                                                                                   Produktion (Quelle: Stiehm 2017)
                                                                                                                                          Unternehmen
                                                                                                         Urbane Gesellschaft
                                                                                                                                         hochqualifizierte
Im Zuge der Industrie 4.0 wird eine Rückkehr der innerstädtischen Produktion denkbar, da die                   kurze Wege
                                                                                                                                           Fachkräfte
                                                                                                         attraktive Arbeitsplätze
modernen Produktionsstrukturen und Fertigungsverfahren wesentlich stadtverträglicher sind. Da-              individuelle, lokale
                                                                                                                                          hocheffiziente
                                                                                                                                           Produktion
                                                                                                                 Produkte
durch könnte die Funktionstrennung zwischen Wohnen und Arbeiten in den Städten zunehmend                                                                            Dennoch werden der Inwertsetzung von alten,
aufgeweicht werden. Eine moderne innerstädtische Produktion sollte dabei dem Vorbild einer                                                                          ungenutzten Flächen durch urbane Produktion
ökologisch, ökonomisch und sozial nachhaltigen Stadt, wie sie in dem Leitbild einer europäischen                                                                    überwiegend positive Effekte zugesprochen.
Stadt der Leipzig Charta von 2007 beschrieben wird, gerecht werden. Die Umsetzung urbaner Pro-                                                                      Realisierung kurzer Wege, hohe Flächeneffi-
                                                                                                                              Kommune
duktion steht jedoch vor rechtlichen Herausforderungen, die sich beispielsweise durch Reglemen-                       Sicherung hochqualifizierter                 zienz, Schaffung zusätzlicher lokaler Arbeits-
                                                                                                                               Fachkräfte
tierungen im Immissionsschutz oder vorgeschriebene Gebietskategorien bemerkbar machen. Eine                        Inwertsetzung von mindergenutzen               plätze und Imageaufwertung des Standortes
                                                                                                                                Flächen
Novelle dieser Gesetze wird in Hinblick auf aktuelle Trends und Entwicklungen daher unabdingbar                          Hohe Flächeneffizienz
                                                                                                                                                                sind nur einige dieser Vorteile. Kommunen stehen
sein (Bauer und Lentes 2014; Dombrowski und Riechel 2014).                                                                                                    unter Handlungsdruck Nutzungskonzepte zu entwi-
                                                                                                                                                           ckeln, die den unterschiedlichen Ansprüchen an den
Baurechtliche Regulierungen                                                                                                                             urbanen Raum von drei zentralen Akteursgruppen gerecht
Die letzte Novelle der Baunutzungsverordnung (BAUNVO) brachte die Einführung einer neuen                                                              werden (Abbildung 2).
Gebietskategorie in die Diskussion ein. Seit 2016 gibt es nun die neue Kategorie ‚Urbanes Gebiet‘,
welche die bisherigen Kategorien im städtischen Gebiet ergänzt. Mit diesem neuen Baurechtty-         Definition urbaner Produktion
pus wird lärmrobuster Städtebau mit erhöhter Bebauungsdichte ermöglicht. Mit der Novellierung        Da das Forschungsfeld noch relativ jung ist und durch eine hohe Interdisziplinarität geprägt ist,
wird das Ziel verfolgt, ein funktionsgemischtes Gebiet der kurzen Wege zu ermöglichen. Urbane        gibt es aktuell keine allgemeingültige Definition urbaner Produktion. Verschiedene Akteure bieten
Gebiete sollen durch eine Nutzungsmischung aus Gewerbebetrieben, Wohnungen sowie sozia-              jedoch erste definitorische Ansätze. So beschreibt das Fraunhofer IAO urbane Produktion als das
len und kulturellen Einrichtungen geprägt sein. Durch die Nutzungsmischung werden zum einen          harmonische Einfügen leiser und sauberer Produktionsstätten in unmittelbarer Nähe zu Wohn-
kurze Wege ermöglicht und zum anderen ein Zusammenleben unterschiedlicher sozialer Gruppen           gebieten. Der Verein Deutscher Ingenieure (VDI) erweitert die Definition um Industrie 4.0 und
gefördert, was soziale Kohäsion und Synergien ermöglicht. Nutzungsgemischte Quartiere gelten         definiert urbane Produktion als die Fertigung und Montage in innerstädtischen Bereichen. Beide
als robust und anpassungsfähig an sich verändernde soziale und wirtschaftliche Anforderungen         Definitionen sind sich einig über die Wichtigkeit der Wechselwirkungen zwischen Mensch, Umfeld
(Bundesregierung 2017; difu 2015; MBWSV 2015; Roskamm 2013).                                         und Technologie. Das Prinzip der Regionalität – lokal produzieren und lokal konsumieren – wird
                                                                                                     in der Definition von Acatech stärker hervorgehoben. Schössler et al. bringen einen stärkeren
Nutzungskonflikte verhindern funktionale Durchmischung                                               Produktbezug in die Definition ein, da Konsumenten vermehrt ethisch einwandfreie und qualitativ
Zudem kann urbane Produktion dazu beitragen, mindergenutzte Flächen, Industriebrachen und            hochwertige Produkte nachfragen. Einen ersten Ansatz einer ausformulierten Definition bietet
leerstehende Gebäudekomplexe in der Stadt wiederzubeleben und einer höherwertigen Nutzung            das Ministerium für Bauen, Wohnen, Stadtentwicklung und Verkehr (MBWSV) und beschreibt ur-
zuzuführen. Die Wirkungen dieser Inwertsetzung sind vielseitig. Ökologisch betrachtet ist die        bane Produktion als:
Wiedernutzung von ungenutzten Flächen und Gebäuden sinnvoll, da somit die Inanspruchnahme
neuer Flächen vermieden werden kann und der Naturhaushalt nicht zusätzlich belastet wird. Aus        „Herstellung von verschiedenen Gütern und Dienstleistungen, die in lokal eingebetteten Wert-
ökonomischer Sicht bieten sich neue Möglichkeiten für Projektentwickler, hohe Renditen durch         schöpfungsketten oder in unmittelbarer Nähe zum Wohnort entstehen. Innovative Technologien
den Erwerb günstiger Flächen zu erwirtschaften. Zudem können durch die neue Nutzung positive         und Werkstoffe schaffen dabei neue Möglichkeiten zur Herstellung individueller und lokaler Pro-
                                                                                                     dukte in kleinen Serien.“
Imageeffekte auf die Umgebung ausstrahlen und einen positiven Imagewandel herbeiführen. Dies
wiederum kann weitere Nutzungen anziehen. Auch die Anwohner können von diesem Imagewan-                                                                                                           (MBWSV 2016)
del profitieren, der im besten Falle zusätzliche Versorgungs- und Arbeitsplatzangebote induziert.
Bei der Inwertsetzung von Flächen muss jedoch besonderes Augenmerk auf eventuelle Altlasten
gelegt werden. Auch Nutzungskonflikte können entstehen, insbesondere, wenn mit der Inwert-           Die vielzähligen Definitionsansätze machen deutlich, dass die Thematik in den vergangenen Jah-
setzung steigende Mieten, Immissionen oder Verkehrszuwachs einhergehen (Bauer und Lentes             ren erheblich an Beachtung gewonnen hat, es jedoch noch genaueren Untersuchungen und ein-
2014; difu 2001; Tomerius 2005).                                                                     heitlichen Beschreibungen bedarf (Stiehm 2017).

10                                                                                                                                                                                                            11
Gestaltungsparameter urbaner Produktion                                                          Leitfadengestützte Experteninterviews
                                                                                                 In einem nächsten Schritt wurde der Katalog mittels halbstrukturierter Leitfadeninterviews mit
Zu diesem Zwecke soll nachfolgend erörtert werden, welche Gestaltungsparameter für urbane Pro-   Experten validiert. Hierzu wurden insgesamt 23 Gespräche mit Experten aus Wirtschaft, Wissen-
duktion von besonderer Bedeutung sind. Ermittelt wurden diese mittels eines Mixed-Method-An-     schaft und Politik geführt und in normales Schriftdeutsch transkribiert. Die Auswertung erfolgte
satzes aus quantitativen und qualitativen Forschungsmethoden (Abbildung 4). Im Forschungsstil    nach dem Kodierparadigma nach Strauss und Corbin. Insgesamt konnten 1124 Passagen der In-
der Grounded Theory, also der systematischen Anwendungen einer Reihe von datenbasierten Me-      terviews über Kodierungen dem hypothetischen Katalog zugeordnet werden. Hierbei zeigten sich
thoden, wurde im ersten Schritt eine Analyse wissenschaftlicher Studien durchgeführt, um einen   große Überschneidungen zwischen bisher Identifizierten Parametern. Die Anzahl der Gestaltungs-
ersten hypothetischen Katalog an Gestaltungsparametern urbaner Produktion zu identifizieren      parameter konnte in diesem Schritt von 51 auf 20 verdichtet werden (Tabelle 1).
(Stiehm 2017).
                                                                                                 Text Mining
                                                                                                 Im dritten Schritt wurde Text Mining angewendet, um subjektiven Prägungen innerhalb der qua-
                                                                                                 litativen Verfahren entgegenzuwirken und gleichzeitig die bisherigen Erkenntnisse zu ergänzen.
                                                                                                 Beim Text Mining wurde ein Datenkorpus bestehend aus 68139 wissenschaftlichen Abstracts
                                                                                                 überprüft. Diese wurden aus verschiedenen Datenbanken (u.a. IEEE Explore, Web of Science) zu-
                                                                                                 sammengetragen. Im Ergebnis lassen sich Informationen über Häufigkeiten bezüglich dem Auftre-
                                                                                                 ten in Dokumenten und zeitliche Verortung (von 2000 bis 2015) zusammentragen (Stiehm 2017).
                                                                                                 Das Text Mining zeigte deutlich, dass urbane Produktion in internationalen wissenschaftlichen Pu-

                                                                                                                            1    Produktion kleiner Losgrößen durch innovative Fertigungsverfahren

                                                                                                  Mikroebene

                                                                                                               Grundstück
                                                                                                                            2    Individuelle Produktion unter hohem Kundeneinbezug
                                                                                                                            3    Schadstoffarme und emissionsfreie Produktion
                                                                                                                            4    Neue Arbeitsplatz- und Prozessgestaltung
                                                                                                                            5    Flächenbedarf der Produktion
                                                                                                                            6    Flächenverfügbarkeit und -kosten

                                                                                                  Mesoebene
                                                                                                                            7    Integration im Bestand

                                                                                                               Quartier
                                                                                                                            8    Betroffenheit der Anwohner und Flächennutzungskonflikte
                                                                                                                            9    Strukturwandel und Revitalisierung von Flächen
                                                                                                                            10   Logistik und Verkehr
                                                                                                                            11   Arbeitskräfteangebot

                                                                                                  Makroebene
                                                                                                                                 Nähe zu Bildungs- und F&E-Einrichtungen,
                                                                                                                            12
                                                                                                                                 Technologiezentren und Fablabs

                                                                                                               Stadt
                                                                                                                            13   Neue Wertschöpfungsmodelle und Produktionsnetzwerke
                                                                                                                            14   Ver- und Entsorgung sowie Stoffströme
                                                                                                                            15   Aktive Gewerbeflächen- und Planungspolitik
                                                                                                                            16   Kurze Wege zwischen Wohnen und Arbeiten
                                                                                                  Metaebene

                                                                                                                            17   Neue (serviceorientierte) Geschäftsmodelle
                                                                                                                            18   PIanungs- und baurechtliche Regulierungen
Abbildung 4: Methodischer Aufbau zur Identifikation von                                                                     19   UmweItbewusstsein hinsichtlich Ressourcen und Energieeffizienz
Gestaltungsparametern urbaner Produktion (Stiehm 2017)
                                                                                                                            20   Globaler Markt als Wettbewerbsumfeld

                                                                                                 Tabelle 1: Katalog an Gestaltungsparametern urbaner Produktion (Stiehm 2017)
12                                                                                                                                                                                                   13
Gestaltungsparameter            2000      2005      2010       2015    Veränderung   Trend
                                                                                                         Produktion kleiner Losgrößen
                                                                                                    1    durch innovative Fertigungs-    0.00227   0.00409   0.00346   0.00614         171%    
                                                                                                         verfahren
                                                                                                         Individuelle Produktion unter
                                                                                                    2                                    0.00048   0.00041   0.00055   0.00109         128%    
                                                                                                         hohem Kundeneinbezug
                                                                                                         Schadstoffarme und emissi-
                                                                                                    3                                    0.04926   0.07327             0.09995         103%    
                                                                                                         onsfreie Produktion                                 0.08641
                                                                                                         Neue Arbeitsplatz- und
                                                                                                    4                                    0.00038   0.00041   0.00127   0.00041         8%       
                                                                                                         Prozessgestaltung
                                                                                                    5    Flächenbedarf der Produktion    0.00057   0.00041   0.00000   0.00164         189%    

                                                                                                         Flächenverfügbarkeit und
                                                                                                    6                                    0.00510   0.01105   0.00873   0.00778         53%      
                                                                                                         -kosten
                                                                                                    7    Integration im Bestand          0.00227   0.00409   0.00855   0.00819         262%    

                                                                                                         Betroffenheit der Anwohner
                                                                                                    8                                    0.20272   0.20426   0.20757   0.22119         9%       
                                                                                                         und Flächennutzungskonflikte
                                                                                                         Strukturwandel und Revitali-
                                                                                                    9                                    0.04473   0.05608   0.05476   0.06294         41%      
                                                                                                         sierung von Flächen
                                                                                                    10   Logistik und Verkehr            0.19989   0.17519   0.19629   0.22689         14%      

                                                                                                    11   Arbeitskräfte angebot           0.00736   0.00860   0.00964   0.00874         19%      

Abbildung 5: Wordlist (Auszug, absolut) Publikationskorpus (Stiehm 2017)                                 Nähe zu Bildungs- und
                                                                                                         F&E-Einrichtungen,
                                                                                                    12                                   0.05606   0.06672   0.08132   0.08342         49%      
                                                                                                         Technologiezentren und
blikationen seit 2000 überwiegend hinsichtlich ökologischer Aspekte diskutiert wurde (Abbildung          Fablabs
5). Das energie- und ressourcenschonende Produzieren aber auch der schonende Umgang mit                  Neue Wertschöpfungsmodelle
der Ressource Wasser steht im Fokus. Neu ist zudem die Erkenntnis, dass urbanes Produzieren         13                                   0.00170   0.00409   0.01001   0.01106         551%    
                                                                                                         und Produktionsnetzwerke
vielfach auch im Standortkontext China untersucht wurde, was u. a. auf die starken Urbanisie-            Ver- und Entsorgung sowie
rungstendenzen in China zurückzuführen ist. Auffallend ist weiterhin, dass es eine deutliche Zu-    14                                   0.10136   0.12444   0.12243   0.11264         11%      
                                                                                                         Stoffströme
nahme der Diskussion um Aspekte der Technologie im Rahmen der urbanen Produktion gab. Auch               Aktive Gewerbeflächen- und
Potenziale und Nachhaltigkeit wurden als Begriffe in den Publikationen oft erwähnt. Im Ergebnis     15                                   0.00849   0.00778   0.00655   0.00874         3%       
                                                                                                         Planungspolitik
zeigt sich überwiegend eine Übereinstimmung der Ergebnisse mit dem zuvor erstellten Katalog
                                                                                                         Kurze Wege zwischen Wohnen
der Gestaltungsparameter urbaner Produktion.                                                        16                                   0.00680   0.02006   0.01546   0.01406         107%     
                                                                                                         und Arbeiten
                                                                                                         Neue (serviceorientierte)
Zum Schluss wurde der Katalog erneut mit dem Datenkorpus der Abstracts abgeglichen. Durch           17                                   0.04700   0.05321   0.09587   0.06363         35%      
                                                                                                         Geschäftsmodelle
die Bildung einer Schnittmenge können nun Rückschlüsse über die Aussagekraft des Katalogs
                                                                                                         PIanungs- und baurechtliche
getroffen werden (Tabelle 2, S.14).                                                                 18                                   0.05549   0.06345   0.07240   0.09721         75%      
                                                                                                         Regulierungen
                                                                                                         UmweItbewusstsein hinsicht-
Insgesamt zeigt sich eine zunehmende Nennung der Parameter in wissenschaftlichen Publi-             19   lich Ressourcen und Energie-    0.00340   0.00737   0.01637   0.02581         660%    
kationen zwischen 2000 und 2015, gleichwohl die Zunahme sehr unterschiedlich stark ist. Die              effizienz
Parameter „Schadstoffarme und emissionsfreie Produktion“, „Betroffenheit der Anwohner und                Globaler Markt als Wettbe-
Flächennutzungskonflikte“, „Logistik und Verkehr“, „Ver- und Entsorgung sowie Stoffströme“          20                                   0.00227   0.00287   0.00346   0.00246         9%       
                                                                                                         werbsumfeld
und „Planungs- und baurechtliche Regulierungen“ werden relativ betrachtet in der Literatur am
stärksten diskutiert. Die dynamischste Entwicklung weisen die Parameter „Neue Wertschöp-
                                                                                                   Tabelle 2: Relative Nennung der Gestaltungsparameter im Datenkorpus (Stiehm 2017)

14                                                                                                                                                                                                  15
fungsmodelle und Produktionsnetzwerke“ sowie „Umweltbewusstsein hinsichtlich Ressourcen             2   Individuelle Produktion unter hohem Kundeneinbezug
und Energieeffizienz“ auf. Diese verzeichnen einen enormen Zuwachs zwischen 551% und 660%.              Das Einkaufsverhalten der Bevölkerung in den Industrieländern hat sich in den letzten Jahren
Darüber hinaus zeigt sich, dass auch die Faktoren „Flächenverfügbarkeit und -kosten“, „Flächen-         stark verändert. Die Kunden fragen zunehmend individuelle Produkte nach. Um diesem Wunsch
bedarf der Produktion“, „Produktion kleiner Losgrößen durch innovative Fertigungsverfahren“             gerecht zu werden, muss der Kunde zukünftig stärker in den Produktionsprozess eingebunden
sowie „Individuelle Produktion unter hohem Kundeneinbezug“ zunehmend in wissenschaftlichen              werden. Zu diesem Zweck ist die räumliche Nähe, wie sie im Modell der urbanen Produktion
Publikationen diskutiert werden.                                                                        beschrieben wird, hilfreich. Zusätzlich können Transportwege verkürzt werden, was dem Trend
                                                                                                        der Nachhaltigkeit und Regionalisierung entspricht. Unternehmen können das lokale Produ-
Schließlich ergab sich ein auf 20 Parameter verdichteter Merkmalskatalog. Die Einordnung der            zieren zudem in ihrer Marketingstrategie als Alleinstellungs- und Qualitätsmerkmal nutzen.
Parameter erfolgte anhand der multiskalaren räumlichen Betrachtungsebenen Micro-, Meso-, Ma-
kro- und Metaebene. Nachfolgend sollen nun die einzelnen Gestaltungsparameter urbaner Pro-          3   Schadstoffarme und emissionsfreie Produktion
duktion kurz erläutert werden. Grundlage der Definitionen sind Literaturrecherchen und Aussagen         Produktion kann nur stadtverträglich sein, wenn der Schadstoff- und Emissionsgehalt so gering
aus den Experteninterviews (Stiehm 2017).                                                               wie möglich gehalten wird. Dies schließt sämtliche Emissionen wie Licht, Lärm, Geruch und
                                                                                                        Gase mit ein, die sich negativ auf das Umfeld der Produktion auswirken. Um urbane Produktion
                                                                                                        zu ermöglichen, können die Produktionsgebäude beispielsweise mit entsprechenden Schall-
                                                                                                        schutz-Maßnahmen ausgestattet werden. Zudem sollten erneuerbare Energien und recycelbare
                                                                                                        Materialien zum Einsatz kommen. Additive Produktionsverfahren und die Herstellung von klei-
                                                                                                        nen Losgrößen können zusätzlich den Rohstoffeinsatz minimieren (Dombrowski und Riechel
                                                                                                        2014; Bauer und Lentes 2014; Weinert et al. 2014).
                                    Abbildung 7:
                                    Mikrobene am Beispiel von Flurstücken in Aachen-Nord            „Es muss emissionsarme Fertigung sein und eine, die vielleicht auch mit nicht allzu vielen unter-
                                    (Quelle: Lehrstuhl für Planungstheorie der RWTH Aachen 2017)
                                                                                                    schiedlichen Materialien- und Ablieferungen verbunden ist.“

                                                                                                                                                              (Professorin, RWTH Aachen University)
Mikroebene
Bei der Betrachtung der Mikroebene (Abbildung 7) bezieht sich die Analyse auf Einzelobjekte         4   Neue Arbeitsplatz- und Prozessgestaltung
wie z.B. ein Grundstück oder eine einzelne Fabrik, die eindeutig im Raum verortet sind. Die Mik-        Die technische und digitale Ausstattung der Arbeitsplätze wird in Zukunft zunehmen. In der
roebene zeichnet sich demnach durch einen hohen Detailgrad aus. So kann auf der Mikroebene              Smart Factory spielt die enge Zusammenarbeit zwischen Mensch und Maschine eine zentrale
beispielsweise eine Fabrik hinsichtlich der verwendeten Produktionsverfahren analysiert werden.         Rolle. Cyber-Physische-Systeme lösen die herkömmlichen Produktionsprozesse ab. Standardi-
                                                                                                        sierte Produktionssysteme werden mit einem flexiblen Kern ausgestattet, so dass individuelle
1    Produktion kleiner Losgrößen durch innovative Fertigungsverfahren                                  Anpassungen ermöglicht werden. Neue Prozessgestaltungen werden zudem eine sowohl räum-
     Innovative Fertigungsverfahren ermöglichen eine stadtverträgliche Produktion. Additive Fer-        lich als auch zeitlich flexiblere Arbeitsgestaltung ermöglichen. Kurze Wege zwischen Wohnen
     tigung und Multifunktionsmaschinen beispielsweise finden Lösungen für Herausforderungen            und Arbeiten können die Flexibilität der Mitarbeiter zusätzlich erhöhen (Dombrowski und Rie-
     die das städtische Umfeld produzierenden Unternehmen stellt. Zum einen sind sie wesent-            chel 2014).
     lich emissions- und geräuschärmer als herkömmliche Produktionsverfahren, zum anderen
     benötigen sie weniger Platz, was sich positiv auf den Flächenbedarf auswirkt. Zudem ist eine   5   Flächenbedarf der Produktion
     Produktion von kleinen Losgrößen möglich, was im Zuge der Individualisierungs-Tendenzen            Der Flächenbedarf einer Produktion spielt im urbanen Raum eine besondere Rolle. Da Flächen
     die Nähe zum Kunden gewährleistet. Denkbar sind solche Verfahren beispielsweise in der             in der Stadt knapp sind und zudem nicht beliebig ausgeweitet werden können, muss die Pro-
     Produktion von Kleinteilen und Prototypen in Manufakturen oder auch in der Medizin- und            duktion auf begrenzten Flächen stattfinden. Die Produktion kleiner Losgrößen bietet sich daher
     Zahntechnik.                                                                                       im urbanen Raum besonders an. Zudem ist die Produktion auf mehreren Etagen, die sogenann-
                                                                                                        te vertikale Integration, denkbar (Schössler et al. 2012).
„Neue Möglichkeiten, gerade Produktionstechnik […] machen Produktionsansätze in der Innen-
stadt auch irgendwo möglich und sinnvoll, aber da geht es um kleinere Stückzahlen, auch um          „Die Stadt braucht Industrie mit geringerem Flächenbedarf, in mehreren Etagen produzierend,
Bauteile kleinerer Größenordnung […], sehr stark um Individualität oder Sonderlösungen.“            nicht emittierend, vielleicht mit Image-und Kundenbindung für hochwertige Produkte im städti-
                                                                                                    schen Kontext.“
                                                                     (Innovationsberater, Aachen)
                                                                                                                                                                               (Schössler et al. 2012)

16                                                                                                                                                                                                 17
logischen Produktion kann das Verständnis der Anwohner steigern. Zu diesem Zweck ist ein
                                                                                                        enger Dialog zwischen Unternehmen und Anwohnern notwendig (Schössler et al. 2012).

                                                                                                   9    Strukturwandel und Revitalisierung von Flächen
                                                                                                        Innerstädtischen Brachflächen können durch urbane Produktion neue Nutzungen zugewiesen
                                   Abbildung 8: Mesoebene am Beispiel eines Untersuchungsgebiets        werden. Auf diese Weise werden die Flächen wirtschaftlich sinnvoll genutzt. Für Start-Ups
                                   in Aachen West                                                       beispielsweise bieten die Flächen eine kostengünstige Möglichkeit Produktionsfläche anzu-
                                   (Quelle: Lehrstuhl für Planungstheorie der RWTH Aachen 2017)
                                                                                                        mieten. Zudem können Umnutzungen dazu beitragen, eine sinnvolle Funktionsmischung am
                                                                                                        Standort zu erzielen. Oftmals verhindern jedoch Nutzungskonflikte und Bodenpreisstruktu-
Mesoebene                                                                                               ren, dass eine Brachfläche umgenutzt werden kann (Dombrowski und Riechel 2014).
Auf der Mesoebene werden Prozesse beschrieben, die sich auf Quartiere in der Stadt beziehen. So
können Aussagen über beispielsweise das Image eines Standortes getätigt werden. Sowohl die         10 Logistik und Verkehr
Mesoebene als auch die Mikroebene eignen sich gut, um innerstädtische Differenzierungen und           Die Belastungen durch Verkehr sind in den Städten sehr hoch. Urbane Produktion sollte
stadtteilspezifische Lebensbedingungen abzubilden.                                                    daher das Verkehrsaufkommen nicht zusätzlich strapazieren. Logistische Prozesse können
                                                                                                      durch eine gemeinsame Anlieferung mehrerer Unternehmen und durch die Bündelung von
6    Flächenverfügbarkeit und -kosten                                                                 Materialströmen durch die Nutzung von Logistik-Hubs organisiert werden. Außerdem kann
     Die Verfügbarkeit von Flächen ist eine Grundvoraussetzung für die Ansiedlung von urbaner         der Transport der Waren über Bahngleise den Autoverkehr entlasten. Das Pendleraufkom-
     Produktion. Viele Unternehmen wünschen sich zudem die Möglichkeit Erweiterungsflächen            men kann zukünftig durch flexiblere Arbeitszeitenmodelle entzerrt werden. Durch kurze Wege
     bei Bedarf relativ zeitnah nutzen zu können. Da die Expansionsmöglichkeiten in der Stadt         zwischen Wohnen und Arbeiten kann das Pendleraufkommen zusätzlich verringert werden
     stark eingeschränkt sind, sind Unternehmen mit großem Flächen- bzw. Erweiterungsbedarf           (Weinert et al. 2014).
     meist an den Stadtrand gebunden. Zudem sind die Flächenpreise in den Städten in der Regel
     höher (Schössler et al. 2012).                                                                „Der Konsument erwartet eigentlich mindestens Over-Night Delivery, mittlerweile vielleicht sogar
                                                                                                   Same-Day Delivery und die schafft man nicht, wenn man durch ganz Deutschland fahren muss,
„Wenn wir im städtischen Umfeld produzieren, dann sollten wir das möglichst offen und transpa-     d.h. man muss mehr in Richtung Ballungszentren gehen […].“
rent tun, also keine BlackBox, so nach dem Motto: Material geht rein, Produkt, Lärm und Dreck
                                                                                                                                                        (Wissenschaftler, RWTH Aachen University)
kommt raus. Das kann es nicht sein. Es muss stadtverträglich und sollte möglichst offen und
transparent sein.“

                                                              (Wissenschaftler, Fraunhofer IAO)

7    Integration im Bestand
     Urbane Produktion muss sozial wie auch städtebaulich in das Konzept des Standortes pas-
     sen. Um die Integration in den städtischen Bestand zu gewährleisten, muss die Gebäudege-
     staltung nachhaltig und funktional sein. Historische Gebäude müssen mit Immissionsschutz                                          Abbildung 9: Makroebene am Beispiel der Aachener Stadtbezirke
                                                                                                                                       (Quelle: Lehrstuhl für Planungstheorie der RWTH Aachen 2017)
     versehen werden, ohne die ursprüngliche Gestalt des Standortes zu beeinträchtigen. Die
     äußere Gestalt der Gebäude ist auch ein entscheidender Faktor, um die Akzeptanz urbaner
     Produktion bei der Bevölkerung zu steigern (Dombrowski und Riechel 2014; Gauselmeier und      Makroebene
     Klocke 2015).                                                                                 Die Makroebene (Abbildung 9) dient zur Beschreibung urbaner Produktion im Kontext von Regio-
                                                                                                   nen. Auf der Makroebene werden insbesondere vergleichende Analysen zwischen Städten, Sub-
8    Betroffenheit der Anwohner und Flächennutzungskonflikte                                       urbanisierungsprozesse oder auch innerstädtisches Mobilitäts-, Freizeit-, und Einkaufsverhalten
     In der Stadt kommt es regelmäßig zu Nutzungskonflikten zwischen Wohnraum und Gewerbe.         fokussiert.
     Während historisch gewachsene Produktion im urbanen Raum meist akzeptiert ist, wird die
     Neuintegration von Produktionsstätten sehr skeptisch betrachtet, da Produktion von vielen     11   Arbeitskräfteangebot
     Menschen weiterhin mit Emissionen verbunden ist. Das Image einer nachhaltigen und öko-             Im Vergleich zu ländlichen Gebieten ist in den Städten meist ein hohes Fachkräfteangebot

18                                                                                                                                                                                                19
vorhanden. Insbesondere in Städten mit räumlicher Nähe zu Universitäten und Fachhoch-           14 Ver- und Entsorgung sowie Stoffströme
     schulen ist der Anteil an Hochqualifizierten hoch. Da im Zuge der Industrie 4.0 neue Kom-          Bei der Beschaffung und Distribution von Waren sowie bei der Abfallentsorgung entstehen
     petenzen benötigt werden, gibt es eine starke Nachfrage nach Fachpersonal. Die räumliche           zahlreiche Material-, Waren-, Personen- und Datenströme. Zur Reduktion der Stoffströme
     Nähe zu den Hochschuleinrichtungen kann den Zugang zu diesem Personal vereinfachen.                sollten geschlossene Kreisläufe angestrebt werden, bei denen die Stoffe nach der Nutzung
                                                                                                        in den Wertschöpfungsprozess zurückgeführt werden. Die Konzentration der Materialströ-
„Tendenziell sieht man […], dass ich in den Städten leichter an qualifizierte Arbeitskräfte komme,      me durch gemeinsame Anlieferung kann zudem das Verkehrsaufkommen mindern. Additive
Städte haben meistens Hochschulen, haben meistens Forschungseinrichtungen, die sehr attraktiv           Verfahren können zukünftig das Verkehrsaufkommen zusätzlich mindern, da der Rohstoff-
auch sind für junge Menschen, die sich qualifizieren, die ihr Studium durchführen, promovieren          verbrauch bei diesen Verfahren wesentlich geringer ist, als bei subtraktiven Verfahren. Auch
und später dann auch in einem Produktionsbetrieb arbeiten.“
                                                                                                        Konzepte wie Urban Farming und Öko-industrielle-Netzwerke können Stoffströme und somit
                                                                               (Professor, Bozen)       das Verkehrsaufkommen in den Städten zukünftig senken (Gauselmeier und Klocke 2015).

                                                                                                     „Und man darf nicht vergessen, nicht die Stadt entscheidet, was in ihr produziert wird, sondern
12 Nähe zu Bildungs- und F&E-Einrichtungen, Technologiezentren und Fablabs                           Unternehmen, die global den Blick haben, entscheiden, ob es für die sinnvoll ist, in der Stadt be-
   Die Nähe zu Bildungs- und F&E-Einrichtungen sowie Technologiezentren stellt einen wichti-         stimmte Bereiche der Produktion zu halten oder auszubauen. Die Stadt ist nicht Akteur, sondern
                                                                                                     sie ist Arena, die Möglichkeiten bietet.“
   gen Standortfaktor bei der Ansiedlung von urbaner Produktion dar. Durch die räumliche Nähe
   kann zum einen der Zugang zu Absolventen und Weiterbildungsmöglichkeiten für Mitarbei-                                                                      (Professorin, RWTH Aachen University)
   ter sichergestellt werden, zum anderen wird der Technologie- und Wissenstransfer in das
   Unternehmen erleichtert. Zudem ist eine Zunahme von Open Creative Labs und FabLabs im
   städtischen Raum zu verzeichnen. Dabei handelt es sich um offene Werkstätten, die Kreative        15 Aktive Gewerbeflächen- und Planungspolitik
   zum Ausprobieren und Produzieren gemeinsam nutzen. Solche Orte bieten Unternehmen die                Die Flächennutzung in den Städten wird durch die Gewerbeflächen- und Planungspolitik
   Möglichkeit, Nutzer und Kunden als Quelle von Innovationen frühzeitig in den Entwicklungs-           vorgegeben. Eine aktive Gewerbeflächenpolitik integriert bei der Erstellung von Flächen-
   prozess einzubinden (Bauer und Lentes 2014; Matt und Rauch 2015; Schössler et al. 2012;              nutzungs- und Bebauungsplänen alle Akteure (Bürger, Unternehmen, öffentliche Hand), um
   Schmitt et al. 2016).                                                                                Nutzungskonflikten frühzeitig entgegenzuwirken und eine reine Top-Down Steuerung zu
                                                                                                        verhindern. Auch aktuelle Trends und veränderte Anforderungen zum Beispiel an die Infra-
13 Neue Wertschöpfungsmodelle und Produktionsnetzwerke                                                  strukturausstattung müssen dabei Beachtung finden. Konzepte die eine funktionale Durch-
   Wertschöpfungsmodelle, die die Struktur und Art der Zusammenarbeit entlang der Produkti-             mischung vorsehen, verlangen nach neuen Gebietstypologien, die Mischgebiete berücksich-
   onsprozesse beschreiben, sind durch eine zunehmende Komplexität geprägt. Zahlreiche Ak-              tigen (Schössler et al. 2012).
   teure sind in ein Produktionsnetzwerk eingebunden. Zunehmend wird auch der Kunde stär-
   ker integriert. Es herrscht ein intensiver Austausch, der durch räumliche Nähe der Akteure
   vereinfacht werden kann. Sogenannte Verbundeffekte, die sich durch die Zusammenarbeit in
   Produktionsnetzwerken ergeben, können fehlende Skaleneffekte ausgleichen. Die Produkti-
   on kleiner Losgrößen kann somit rentabel werden. Zunehmende Beliebtheit erfährt zudem
   die gemeinsame Nutzung von Büroflächen, Infrastruktur und Betriebsmitteln. Im Zuge der
   Industrie 4.0 wird die Produktion digitaler, flexibler und dezentraler. Produktionseinheiten
   können modularisiert werden, sind dadurch kleiner und somit stadtverträglich (Bauer und
                                                                                                                                         Abbildung 10: Metaebene
   Lentes 2014; Dombrowski und Riechel 2014)                                                                                             (Stiehm 2017)

„[…] bspw. die Start-Up Ökonomie in Berlin ist total abhängig vom urbanen Kontext, weil es eben
auch so ein progressiv-produktives Miteinander ist im besten Sinne. Da ergeben sich ganz neue        Metaebene
Wertschöpfungsketten, die auch immer weiter ausdifferenziert werden.“                                Die Metaebene ist eine Ergänzung zu den drei geographischen Maßstabsebenen, die abstrakte
                                                          (Senior Consultant, Frankfurt am Main)     Aspekte adressiert. Hier werden Prozesse betrachtet, die sich nicht mehr auf einen klar abgrenz-
                                                                                                     baren Raum zuordnen lassen. Daher handelt es sich um eine übergeordnete Sichtweise die bei-
                                                                                                     spielsweise Beziehungen zwischen den Akteuren eines Raumes beschreibt.

20                                                                                                                                                                                                  21
16 Kurze Wege zwischen Wohnen und Arbeiten                                                                 17   Neue (serviceorientierte) Geschäftsmodelle
   Die Vereinbarkeit von Arbeiten mit Leben und Wohnen wird für den Menschen immer wichti-                      Durch den Trend der Individualisierung entstehen neue Geschäftsmodelle, die durch eine
   ger. Der Wunsch nach Selbstbestimmung, Work-Life-Balance und flexiblen Arbeitszeiten ist                     zunehmende Integration von Serviceangeboten entlang der gesamten Wertschöpfungsket-
   deutlich angestiegen. Um diese Wünsche zu realisieren, werden kurze Wege benötigt. Zudem                     te geprägt sind. Neue Serviceangebote beinhalten auch die nachträgliche Ausstattung der
   kann somit das allgemeine Pendleraufkommen verringert werden.                                                Produkte mit Individualisierungskomponenten wie z.B. das Hinzufügen einer neuen Funktion
                                                                                                                durch ein Software-Update. Durch ergänzende Serviceleistungen können sich Unternehmen
„Ich sehe die Nähe zwischen Leben, Wohnen und Arbeiten in diesem Dreiklang als extreme Chance                   einen Wettbewerbsvorteil verschaffen (Weinert et al. 2014).
und auch für die Rückholung von Produktion ist ein interessanter Aspekt, dies zu verwirklichen.“
                                                                                                           18 Planungs- und baurechtliche Regulierungen
                                                                              (Stadtentwickler, Berlin)
                                                                                                              Planungs- und baurechtliche Gesetze regeln die Bebauung und Nutzungen innerhalb der
                                                                                                              Städte. Die Regulierungsdichte in diesem Bereich ist im Allgemeinen sehr hoch, was bau-

                                               Aktiv-Reaktiv                                                                                         Kritisch-Puffernd
                                                                                          Q-Werte                                                                                                   P-Werte
 Mikro     2    Individuelle Produktion unter hohem Kundeneinbezug                  1,4   Leicht aktiv      Mikro    5    Flächenbedarf der Produktion                                        828   Kritisch
 Makro    13    Neue Wertschöpfungsmodelle und Produktionsnetzwerke                 1,4   Leicht aktiv      Mikro    4    Neue Arbeitsplatz- und Prozessgestaltung                            815   Kritisch
 Mikro     1    Produktion kleiner Losgrößen durch innovative Fertigungsverfahren   1,3   Neutral           Mikro    1    Produktion kleiner Losgrößen durch innovative Fertigungsverfahren   793   Kritisch
 Meta     18    Planungs- und baurechtliche Regulierungen                           1,2   Neutral           Makro    14   Ver- und Entsorgung sowie Stoffströme                               716   Kritisch
 Meta     20    Globaler Markt als Wettbewerbsumfeld                                1,1   Neutral           Mikro    3    Schadstoffarme und emissionsfreie Produktion                        685   Kritisch
 Meta     19    Umweltbewusstsein hinsichtlich Ressourcen und Energieeffizienz      1,1   Neutral           Meta     19   Umweltbewusstsein hinsichtlich Ressourcen und Energieeffizienz      665   Kritisch
 Makro    14    Ver- und Entsorgung sowie Stoffströme                               1,1   Neutral           Meta     16   Kurze Wege zwischen Wohnen und Arbeiten                             654   Kritisch
 Meso      9    Strukturwandel und Inwertsetzung von Flächen                         1    Neutral           Makro    11   Arbeitskräfteangebot                                                642   Kritisch
 Mikro     3    Schadstoffarme und emissionsfreie Produktion                         1    Neutral           Meso     8    Betroffenheit der Anwohner und Flächennutzungskonflikte             641   Kritisch
 Meta     16    Kurze Wege zwischen Wohnen und Arbeiten                              1    Neutral           Meso     10   Logistik und Verkehr                                                596   Leicht kritisch
 Mikro     5    Flächenbedarf der Produktion                                         1    Neutral           Meta     17   Neue (serviceorientierte) Geschäftsmodelle                          569   Leicht kritisch
 Makro    15    Aktive Gewerbeflächen- und Planungspolitik                           1    Neutral           Makro    15   fiktive Gewerbeflächen- und Planungspolitik                         564   Leicht kritisch
                Nähe zu Bildungs- und F&E-Einrichtungen,                                                    Meso     7    Flächenverfügbarkeit und -kosten                                    564   Leicht kritisch
 Makro    12                                                                         1    Neutral
                Technologiezentren und Fablabs
                                                                                                            Meta     18   Planungs- und baurechtliche Regulierungen                           563   Leicht kritisch
 Meta     17    Neue (serviceorientierte) Geschäftsmodelle                           1    Neutral
                                                                                                            Meso     9    Strukturwandel und Inwertsetzung von Flächen                        540   Leicht kritisch
 Meso      6    Integration im Bestand                                              0,9   Neutral
                                                                                                            Mikro    2    Individuelle Produktion unter hohem Kundeneinbezug                  444   Leicht kritisch
 Mikro     4    Neue Arbeitsplatz- und Prozessgestaltung                            0,9   Neutral
                                                                                                            Meta     20   GIobaler Markt als Wettbewerbsumfeld                                403   Neutral
 Meso     10    Logistik und Verkehr                                                0,9   Neutral
                                                                                                            Meso     6    Integration im Bestand                                              400   Neutral
 Meso      7    Flächenverfügbarkeit und -kosten                                    0,8   Neutral
                                                                                                                          Nähe zu Bildungs- und F&E-Einnchtungen,
                                                                                                            Makro    12                                                                       279   Leicht puffernd
 Meso      8    Betroffenheit der Anwohner und Flächennutzungskonflikte             0,8   Neutral                         Technologiezentren und Fablabs
 Makro     11   Arbeitskräfteangebot                                                0,7   Leicht reaktiv    Makro    13   Neue Wertschöpfungsmodelle und Produktionsnetzwerke                 271   Leicht puffernd

Abbildung 11: Aktiv-Reaktiver Einflussindex (Stiehm 2017)                                                  Abbildung 12: Kritisch-Puffernder Einflussindex (Stiehm 2017)
22                                                                                                                                                                                                                23
rechtliche Prozesse sehr komplex und langwierig macht. Insbesondere bei der Umsetzung            Quick Wins: Ableitungen für Akteure
     von Gewerbe und Industrie in den Städten gibt es zahlreiche Regulierungen und Vorschriften,
     die die Umsetzung stark einschränken. Aktuell wird eine Novelle der Baunutzungsverordnung        Durch die Untersuchungen konnten 20 zentrale Gestaltungsparameter identifiziert werden, die
     diskutiert, die in der neuen Kategorie „Urbanes Gebiet“ die Integration von urbaner Produk-      das Paradigma urbaner Produktion ganzheitlich beschreiben. Anhand der Vielzahl und Interdiszi-
     tion erleichtern könnte (Gauselmeier und Klocke 2015).                                           plinarität der Parameter wird deutlich wie komplex das Thema urbane Produktion ist. Es werden
                                                                                                      Themen der Industrie 4.0 mit räumlichen und baulichen Aspekten sowie mit Leitbildern der Ge-
„Erstmal halte ich es für sehr wichtig, dass der Diskurs belebt wird und dass diese starke Trennung   sellschaft und Politik verknüpft.
zwischen Gewerbegebieten und Wohngebieten aufgehoben wird. […] nur mittlerweile hat das eine
starke planungsrechtliche Komponente durch die Typologie der Abstandflächen zwischen Indus-           Steuerungsgrößen urbaner Produktion
triegebiet, Gewerbegebiet, Mischgebiet, Wohngebiet usw.“
                                                                                                      Um Wirkungszusammenhänge zwischen den Gestaltungsparametern identifizieren zu können,
                                                           (Projektimmobilienentwickler, Aachen)      wurde eine Sensitivitätsanalyse nach Vester (1980) durchgeführt. Hier werden die Gestaltungs-
                                                                                                      parameter auf Ihre Steuerungsfähigkeit bzw. Sensibilität untersucht. Die Ergebnisse zeigen, dass
                                                                                                      die Gestaltungsparameter „Individuelle Produktion unter hohem Kundeneinbezug“ sowie „Neue
19 Umweltbewusstsein hinsichtlich Ressourcen und Energieeffizienz                                     Wertschöpfungsmodelle und Produktionsnetzwerke“ aktiv auf andere Variablen wirken (Abbil-
   Aktuell herrscht ein gestiegenes Umweltbewusstsein in der Gesellschaft. Viele Konsumenten          dung 11, S.21). Änderungen an diesen Gestaltungsparametern lösen Wechselwirkungen im Ge-
   verlangen zunehmend ethisch und ökologisch unbedenkliche Produkte. Auch regionale Pro-             samtsystem aus und sind daher als mögliche Steuerungsgrößen bevorzugt zu betrachten.
   dukte haben im Zuge dessen wieder einen höheren Stellenwert erlangt. Zudem wird gefor-
   dert, dass Hersteller auch für die ausländische Produktion mehr Verantwortung übernehmen           Darüber hinaus zeigt der Blick auf Abbildung 12, dass eine hohe Anzahl an Variablen vielfältig
   (Gauselmeier und Klocke 2015; Weinert et al. 2014; Erbstößer 2016).                                im System vernetzt ist (kritische Variablen). Kritische Variablen wirken selbst stark auf andere
                                                                                                      Variablen und sind gleichzeitig auch von diesen beeinflussbar. Die Vielzahl an kritischen Variablen
20 Globaler Markt als Wettbewerbsumfeld                                                               zeigt, dass es sich beim Themengebiet urbane Produktion um ein hoch sensitives System handelt.
   Die globalen Wirtschaftsgefüge setzen die Unternehmen stark unter Wettbewerbs- und Preis-
   druck. Selbst kleine, lokal produzierende Unternehmen sind diesem ausgesetzt und durch             Handlungsempfehlungen
   internationale Vorproduktbezüge in den globalen Markt integriert. Gleichzeitig spielt sich der     Die Gestaltungsparameter zeigen auf, welche Stellgrößen zur Förderung urbaner Produktion es
   Kampf um die Fachkräfte (War for Talents) nicht nur regional und national, sondern auch glo-       aus kommunaler sowie aus unternehmerischer Perspektive zukünftig geben wird. Durch Indust-
   bal ab. Insbesondere kleine und mittelgroße Städte müssen für junge Menschen attraktiver           rie 4.0 und die damit verbundenen technologischen Fortschritte kann sich die Produktionsstätte
   werden und entsprechende (hochqualifizierte) Arbeitsangebote bereitstellen, um Fachkräfte          zunehmend zu einer Smart Factory entwickeln. Diese bietet neue Möglichkeiten Produktion stadt-
   zu sichern (Dombrowski und Riechel 2014).                                                          verträglich zu gestalten. Zudem werden potenzielle Bedürfnisse der Bevölkerung, insbesondere
                                                                                                      der Anwohner im direkten Umfeld der urbanen Produktion, deutlich. Daraus ergeben sich folgen-
„Jegliche urbane Produktion ist in weiträumige, Wertschöpfungskontexte eingebunden. Und das           de Handlungsempfehlungen für Unternehmen sowie Kommunen:
fängt an damit, dass die Rohstoffe so gut wie nie aus der Region kommen.“

                                                           (Professorin, RWTH Aachen University)
                                                                                                      ŢŢ Individuelle Produktion unter hohem Kundeneinbezug stärken
                                                                                                          Eine erhöhte Nachfrage nach regionalen und individuellen Produkten lässt Unternehmen bei
                                                                                                          der Standortwahl umdenken. Kundennähe bietet die Möglichkeit zur Mitgestaltung am Pro-
                                                                                                          dukt selbst und ist schon heute ein wichtiger Faktor um wettbewerbsfähig zu sein. Produk-
                                                                                                          tionsstätten werden aus diesem Grund in der Nähe der Kunden errichtet, um vor Ort lokale
                                                                                                          Märkte bedienen zu können. Dies gibt den Unternehmen nicht nur die Möglichkeit kurzfristig
                                                                                                          auf veränderte Wettbewerbskonstellationen und Kundenanforderungen reagieren zu können,
                                                                                                          auch Lieferzeiten und -kosten können so reduziert werden.

                                                                                                      ŢŢ Auswirkungen der Dematerialisierung von Produktion räumlich verorten
                                                                                                          Das Fortschreiten der Digitalisierung hat Auswirkungen auf ursprüngliche Raumgefüge. Wa-
                                                                                                          renströme können zunehmend durch Datenströme ersetzt werden. Experten gehen davon
                                                                                                          aus, dass Kunden zukünftig nur noch den Datensatz eines Produkts kaufen. Die Fertigung

24                                                                                                                                                                                                    25
des Produkts könnte in dezentralen Produktionseinheiten lokal erfolgen. Auch aus ökolo-              Synergien zwischen Unternehmen nutzbar gemacht werden. Ein wichtiger Faktor hierfür ist
     gischen Aspekten werden der Dematerialisierung von Produkten Potenziale zugesprochen.                die Errichtung von Wertschöpfungsketten über Firmengrenzen hinweg. Hervorzuheben ist
     Stoffströme können auf diese Weise reduziert und Material- sowie Energieverbrauch mini-              auch die Verbindung von Produkten mit Produkt-bezogenen Dienstleistungen. Produktions-
     miert werden.                                                                                        unternehmen, die auch zukünftig erfolgreich sein wollen, müssen die Industrielle Wertschöp-
                                                                                                          fung eng mit der Dienstleistung verzahnen (hybride Wertschöpfung). Auf diesem Weg kann
     Digitalisierung und Robotik als Chance der Regionalisierung nutzen                                   dem Kunden nicht nur ein Produkt, sondern vor allem ein Nutzen verkauft werden.
     Die Digitalisierung der Produktionsprozesse ist ein erster wichtiger Schritt um Unternehmen
     auf zukünftige Herausforderungen vorzubereiten. Auch die Förderung innovativer Fertigungs-        ŢŢ Lokale Produktionsnetzwerke und Maker-Spaces schaffen
     verfahren (bspw. 3D-Druck) ist ein wichtiger Faktor um den zukünftigen Herausforderungen             Sharing Konzepte in Maker Spaces, Fablabs oder Open Creative Labs bieten gerade kleineren
     gewachsen zu sein. In diesem Zusammenhang spielt die Robotik eine wichtige Rolle, um                 Unternehmen wie Startups die Möglichkeit Betriebsmittel oder Produktionsflächen gemein-
     zukünftig die Fertigung individualisierter Produkte in kleinen Stückzahlen wirtschaftlich mög-       schaftlich zu nutzen. Dies stärkt zum einen die Gründer-Szene, zum anderen wird der Aus-
     lich zu machen. Auch der hohe Anspruch an die Flexibilität der Produktion spricht für einen          tausch zwischen den Akteuren angeregt. Die räumliche Nähe zu Kunden und Zulieferern lässt
     erhöhten Einsatz von robotischen Systemen.                                                           zudem neue lokale Versorgungs- und Wertschöpfungsketten entstehen.

ŢŢ Flächenmangel mit vertikaler Integration begegnen                                                   ŢŢ Attraktive Arbeitsplätze schaffen und Fachkräfte binden
     Die Digitalisierung und Industrie 4.0 ermöglichen Fabriken zukünftig flexibler zu produzieren        Um im Kampf um Talente zukünftig nicht abgehängt zu werden, müssen Unternehmen attrak-
     und zu planen. Die Kombination aus hohen Flächenkosten und Flächenmangel sind Faktoren               tive Arbeitsplätze schaffen. Gute technische Aus- und Weiterbildung ist ebenso eine wichtige
     die eine Produktion in der Stadt stark limitieren. Die vertikale Integration bietet Möglichkei-      Voraussetzung wie die Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Flexible Arbeitszeitmodelle und
     ten dem zu entgegnen. Bestehende Fabriken können als vertikale Fabriken nachverdichtet               Zugang zu sozialen Einrichtungen (bspw. Kitas) werden in diesem Kontext zunehmend be-
     werden. Zusätzlich müssen zur Erhöhung der Flächeneffizienz Maßnahmen wie z.B. die Ent-              deutsam. Die Digitalisierung relativiert den Trend zu direkter Nähe und begünstigt Flexibilität
     kopplung von Produktion und flächenintensiver Lagerhaltung ergriffen werden.                         bei der Arbeitszeitgestaltung.

ŢŢ City-Logistik Konzepte weiter fördern                                                               ŢŢ Standortmarketing und Markenbildung gezielt nutzen
     Die innerstädtische Vernetzung von Produktionsstandorten stellt hohe Anforderungen an                Lokales Branding ist ein Mittel um sich vom breiten Angebot des Markts abzugrenzen. Nicht
     Logistikkonzepte. Lösungen hierfür bieten Konzepte wie beispielsweise die CityCargoTram              nur Entrepreneure nehmen die Möglichkeit wahr, den lokalen Charakter der Produktion für
     in Dresden, wo vorhandene Straßenbahngleise für den Gütertransport zwischen Güterver-                Marketingzwecke aktiv zu nutzen. Über beispielsweise Werksbesichtigungen wird die Pro-
     kehrszentrum und Fabrik antizyklisch genutzt werden. Auch autonome Logistiksysteme (wie              duktion erlebbar gemacht. Dies stärkt den Bezug zum Produkt und schafft Transparenz, was
     bspw. Drohnen) bieten Potenziale zukünftig den innerstädtischen Logistikverkehr entschei-            sich positiv auf die öffentliche Aufmerksamkeit und die Akzeptanz der angrenzenden Bewoh-
     dend zu entlasten. Durch die Etablierung von innerstädtischen Mikro-Logistik-Zentren kann            ner auswirkt.
     zukünftig der Lieferverkehr auf der letzten Meile effizienter gebündelt und so unnötig hohes
     Verkehrsaufkommen vermieden werden.                                                               ŢŢ Offenen Dialog zwischen Akteuren fördern
                                                                                                          Urbane Produktion kann aktiv gefördert werden, indem in den Städten offene Dialoge geführt
ŢŢ Untergenutzte Flächen in Wert setzen                                                                   werden. Gemeinsamer Dialog zwischen Akteuren aus Wirtschaft, Politik sowie Bevölkerung
     Durch eine gezielte Revitalisierung brachliegender Flächen können belastete Industrieflächen         ist eine Maßnahme, um potenzielle Nutzungskonflikte und weitere Hindernisse frühzeitig zu
     wieder in einen nutzbaren Zustand überführt werden. Dieser strukturelle Wandel muss von              identifizieren. Darüber hinaus scheint eine Sensibilisierung der Öffentlichkeit für die Wei-
     Kommunen durch die Förderung zukunftsfähiger Brachen aktiv gestaltet und begleitet wer-              terentwicklung emissionsfreier Fertigungsverfahren ratsam. Auch gemeinsame Lösungen für
     den.                                                                                                 logistische Prozesse sind diskussionswürdig, um Ängste vor einem weiteren Anstieg von Ver-
                                                                                                          kehrsbelastungen zu nehmen.
ŢŢ Synergien durch neue Wertschöpfungsmodelle ausschöpfen
     Neben der Möglichkeit den Fokus auf einzelne Bereiche mit hohem Wertschöpfungspotenzial              Durch den Austausch zwischen den Akteuren besteht zudem die Möglichkeit, dass Flächen im
     zu setzen und einfache Produktionsarbeiten auf international verteilte Wertschöpfungsnetze           städtischen Gebiet, die sich potenziell für urbane Produktion eignen, einfacher identifiziert
     zu verteilen, bieten ganzheitliche Wertschöpfungsansätze neue Potenziale. Vernetzte, intelli-        werden können. Aufgrund der Urbanisierungstendenzen wurden in jüngster Vergangenheit
     gente Fertigungssysteme machen die Produktion von Produkten hoher Qualität zu gleichzei-             viele Flächen in Städten zu Wohnraum umfunktioniert. Akteuren der öffentlichen Hand wird
     tig global wettbewerbsfähigen Fertigungskosten möglich. Um dies zu gewährleisten müssen              empfohlen sich dem Thema städtischer Produktion mehr zu öffnen und neuen Nutzungskon-

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