MIA Expertisen Volume 1 - Gestaltungsparameter urbaner Produktion - MIA Projekt
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MIA Expertisen Volume 1 Gestaltungsparameter urbaner Produktion Herausgeber Frank Hees, Dieter M. Begaß, Martina Fromhold-Eisebith, Gisela Schmitt, Peter Burggräf
Herausgeber: Dr. rer. nat. Frank Hees Lehrstuhl für Informationsmanagement im Maschinenbau / Zentrum für Lern- und Wissensma- nagement der RWTH Aachen University Dieter M. Begaß Stadt Aachen – Fachbereich Wirtschaft, Wissenschaft und Europa Univ.-Prof. Dr. phil. Martina Fromhold-Eisebith Lehrstuhl für Wirtschaftsgeographie der RWTH Aachen University Gisela Schmitt Lehrstuhl für Planungstheorie und Stadtentwicklung der RWTH Aachen University Univ.-Prof. Dr.-Ing. Peter Burggräf Werkzeugmaschinenlabor der RWTH Aachen University, Abteilung Fabrikplanung 1. Auflage, November 2017 Alle Rechte vorbehalten © Technische Hochschule Aachen Zentrum für Lern- und Wissensmanagement, Aachen 2017 Dennewartstr. 27, 52068 Aachen Titelfoto: © Sebastian Stiehm Printed in Germany ISBN 978-3-935989-28-2 2 3
Vorwort Inhaltsverzeichnis Die MIA Expertisen erscheinen als Reihe im Rahmen des BMBF-geförderten Projekts MIA (Made Vorwort3 in Aachen) und dienen als Leitfaden für eine nachhaltige Entwicklung urbaner Produktion. Dabei sollen diese informieren und zum Handeln anregen. Zielgruppe sind primär Unternehmen und Einleitung5 Kommunen. Ihnen dienen die Expertisen als Hilfestellung für Standortentscheidungen sowie zur Industrie 4.0 als Enabler urbaner Produktion 5 Standortentwicklung. Darüber hinaus fungieren die Expertisen als Verstetigungsinstrument, das In Kürze durch die industriellen Revolutionen 5 den fachlichen Transfer der Projektergebnisse in andere urbane Räume sicherstellen soll. Industrie 4.0 als Strategie der Bundesregierung 7 Die Smart Factory als flexible Produktionsstätte 7 (Re-)Integration von Produktion in urbane Räume 9 Baurechtliche Regulierungen 9 Nutzungskonflikte verhindern funktionale Durchmischung 9 Definition urbaner Produktion 10 Gestaltungsparameter urbaner Produktion 11 Leitfadengestützte Experteninterviews 12 Text Mining 12 Mikroebene15 Mesoebene16 Makroebene17 Metaebene19 Quick Wins: Ableitungen für Akteure 21 Autoren Steuerungsgrößen urbaner Produktion 21 Dr. rer. nat. Sebastian Stiehm Handlungsempfehlungen23 Dipl.-Wirt.-Ing. Leonard Simons Ausblick 25 Prof. Dr. phil. Anja Richert Univ.-Prof. Dr. rer. nat. Sabina Jeschke Literaturverzeichnis26 4 5
Industrielle Revolutionen Einleitung Erste industrielle Revolution durch Einführung mechanischer Produktionsanlagen mit Hilfe von Zweite industrielle Revolution durch Einführung arbeitsteiliger Massenproduktion mit Hilfe von Dritte industrielle Revolution durch Einsatz von Elektronik und IT zur weiteren Automatisierung der Vierte industrielle Revolution durch Einsatz von Cyber Physical Systems Wasser- und Dampfkraft elektrischer Energie Produktion Während zu Zeiten der ersten industriellen Revolution noch größtenteils innerstädtisch produ- ziert wurde, sorgten im Verlauf der Zeit vor allem störende Emissionen dafür, dass Produktion aktuell vorzugsweise in der Peripherie wiederzufinden ist. Zunehmend rückt jedoch die Stadt als Produktionsraum zurück in den Fokus. Ermöglicht wird diese Entwicklung durch neue, innovative Ende 18. Jhdt. Beginn 20. Jhdt. Beginn 1970er Heute und emissionsfreie Produktionsverfahren wie z.B. dem 3D-Druck. Zusätzlich unterstützen aktuelle Urbanisierung Urbanisierung Überwindung von Distanzen, Funktionsmischung und Trends (z.B. Nachhaltigkeit, Digitalisierung) und veränderte Anforderungen der Bevölkerung (z.B. und zunehmende Anbindung ländlicher Räume Reintegration von Funktionstrennung und Globalisierung Produktion in die Stadt Individualität, Regionalität, Flexibilität) den Paradigmenwechsel (Stiehm 2017). Urbane Entwicklungen Urbane Produktion umfasst die Herstellung von materiellen Produkten sowie produkt- begleitenden Dienstleistungen in Räumen mit einer funktionalen Dichte und einer Mi- schung unterschiedlicher Nutzungen. Durch urbane Produktion können wohnortnahe Abbildung 1: Die vier Stufen der Industriellen Revolution (Stiehm 2017) Arbeitsplätze geschaffen, die Nutzungsdurchmischung verbessert und innerstädtische Brachflächen revitalisiert werden. In Kürze durch die industriellen Revolutionen In der ersten industriellen Revolution, die um 1750 in England startete, wurden die klassischen Industrie 4.0 als Enabler urbaner Produktion Handwerksbetriebe von großen Fabriken verdrängt. Ermöglicht wurde diese Entwicklung durch In dem Diskurs um Industrie 4.0 wird diese oftmals mit dem Begriff der vierten industriellen Re- die Erschließung von Kohle als fossiler Energieträger und damit der Entwicklung der Dampfma- volution in Deutschland gleichgesetzt. Unter industriellen Revolutionen werden generell radikale schine. Die erste industrielle Massenproduktion wurde ermöglicht. Fortan konnten mehr Waren wirtschaftliche, gesellschaftliche, ökologische und energetische Umbruchphasen verstanden, die mit geringerem Aufwand und geringerer menschlicher Arbeitskraft produziert werden. Auch das geprägt sind von neuen Technologien, Energiequellen und Basisinnovationen. Auch gesellschaft- Transportsystem wurde durch die Entwicklung der Dampfschifffahrt und einer Ausweitung des liche Veränderungen und Wirkungen auf die Arbeitswelt wurden in den vergangenen industriellen Eisenbahnnetzes deutlich verbessert. Die Arbeiter suchten die räumliche Nähe zu den industriel- Revolutionen hervorgerufen (BMU 2008). len Standorten in der Stadt, was eine zunehmende Urbanisierung und expandierende industrielle Industrie 4.0 bietet die technologischen Voraussetzungen, um Produktion zurück in die Städte zu Zentren zur Folge hatte (Bauernhansl et al. 2014; BMU 2008; bpb 2012; Schnitzer 2014). bringen. Die neuen emissionsfreien Technologien wirken als Enabler und ermöglichen stadtver- Unter der zweiten industriellen Revolution wird die Entdeckung der Energieträger Öl und Gas trägliche Produktion. zum Antrieb von Motoren sowie der Entwicklung der Elektrotechnik für Licht- und Antriebstech- niken Ende des 19. Jahrhunderts verstanden. Auf diese Weise konnten deutliche Fortschritte in der Automatisierung der Produktion gemacht werden, die nicht zuletzt auf die Entwicklung der Fließbandarbeit zurückzuführen sind. Somit entstand eine arbeitsteilige, großindustrielle Massen- produktion, die unter dem Begriff des Fordismus bekannt ist. Die Bevölkerung verließ durch eine Zunahme der Mobilitätsmöglichkeiten die Städte und die Pendlerbewegungen nahmen deutlich zu. Wohn- und Arbeitsbereiche wurden nun bewusst voneinander getrennt (Bauernhansl et al. 2014; BMU 2008; Kagermann et al. 2013). Die Automatisierung der Prozesse in der Industrie konnte mit Fortschritten in den Bereichen Elekt- ronik und dem Ausbau der Informations- und Kommunikationstechnologien weiter vorangetrieben werden. Innovationen in den Bereichen der Mikroelektronik und Computertechnik, wie der Ent- wicklung von Halbleitern und des Internets, führten schließlich zur dritten, digitalen Revolution Anfang der 1960er Jahre. Produktion wurde zunehmend aufgrund sinkender Transaktionskosten global organisiert. Ein Großteil der deutschen Industrie wurde zwecks Einsparungen in Billiglohn- ländern ausgelagert. Auch die Märkte und Ansprüche der Kunden wandelten sich mit dem Fort- schritt der Technologien. Qualität und Individualität wurden immer wichtiger. Gleichzeitig gab es einen starken Fokus auf ökologische Nachhaltigkeit der Produktion (Bauernhansl et al. 2014; BMU 2008; Kagermann et al. 2013; Jänicke und Jacob 2008; Riffkin 2011). 6 7
Nachdem in den vergangenen Jahren aufgrund von technologischen Weiterentwicklungen die in- Abbildung 2: Inselfertigung in der Smart Factory (Basic 2016) dustrielle Produktion stetig gestiegen war, begann in den 1970er Jahren eine deutliche De-Indus- trialisierung. Der industrielle Sektor verlor gegenüber dem tertiären Sektor stark an Bedeutung. Ein großer Teil der industriellen Produktion wurde in ausländische Niedriglohnländer ausgelagert, während gleichzeitig der tertiäre Dienstleistungssektor in den heimischen Märkten stark an Be- deutung gewonnen hatte. Gleichwohl die Folgen der Deindustrialisierung in Deutschland deut- lich zu spüren waren, insbesondere durch die hohe Arbeitslosigkeit im industriellen Sektor, kann Deutschland im internationalen Vergleich weiterhin eine starke industrielle Basis vorweisen. 2015 lag der Anteil des industriellen Sektors an der Bruttowertschöpfung in Deutschland bei 25,9%, während der Anteil der Industrie in der EU insgesamt bei nur 15,5% lag (Grömling 2006; Statisti- sches Bundesamt 2009; Westkämper und Löffler 2016). Die Deindustrialisierung wird heute als Initiator der vierten industriellen Revolution betrachtet. Auch diese ist wie die vorangegangen Revolutionen auf wesentliche technologische Weiterent- wicklungen zurückzuführen. Der Begriff Industrie 4.0 umfasst in diesem Zusammenhang die zu- nehmende Digitalisierung, intelligente Vernetzung und Ausstattung mit Informations- und Kom- munikationstechniken in allen Teilen der Wertschöpfungskette. Industrie 4.0 als Strategie der Bundesregierung Die Bundesregierung hat den Begriff Industrie 4.0 mit dem Ziel aufgefasst, den Industriestand- ort Deutschland als Leitmarkt bzw. Leitanbieter für innovative Technologien zu stärken und zum Bestandteil der Hightech-Strategie 2020 gemacht (BMBF 2014). Für vielzählige Branchen, insbe- sondere für den Maschinen- und Anlagenbau, die Elektrotechnik, die Automobilbranche und die Die Smart Factory als flexible Produktionsstätte Chemieindustrie aber auch für die Landwirtschaft und die IKT-Branche, wird ein hohes Wertschöp- Die konventionelle lineare Fertigung kann in der Smart Factory zunehmend flexibel gestaltet wer- fungspotenzial durch die technologischen Weiterentwicklungen der Industrie 4.0 prognostiziert. den. Dies bietet neue Möglichkeiten, um sich auf den immer schneller wandelnden Markt einzu- Dabei handelt es sich um eine Vielzahl verschiedener und teilweise aufeinander aufbauender stellen und auf individuelle Kundenwünsche zu reagieren. Ziel ist die individualisierte Produktion, technologischer Innovationen. Neben additiven Fertigungsverfahren (z.B. 3D-Druck) und dem zu- bei der maßgeschneiderte Produkte entstehen, die auch bei Losgröße 1 noch konkurrenzfähig nehmenden Einsatz von intelligenten Robotik-Systemen in der Produktion, spielen das Internet sind. Der Kunde soll zunehmend in den Produktionsprozess eingebunden werden und hinsichtlich der Dinge und Cyber-physische-Systeme eine entscheidende Rolle in der Industrie 4.0 (Bauer et Design, Konfiguration, Bestellung und Planungen mitbestimmen können. Aber auch der Mitarbei- al. 2014). ter wird in der Fabrik der Zukunft weiterhin fester Bestandteil im Wertschöpfungsprozess bleiben. Neben den steuernden Tätigkeiten ist vor allem seine Entscheidungskompetenz gefragt. Außer- Das Internet der Dinge beschreibt die Weiterentwicklung des herkömmlichen Internets, in dem dem übernimmt er die Installation, Einstellung und Wartung der komplexen cyber-physischen nun sämtliche „Dinge“ wie Geräte, Maschinen, Sensoren und Aktoren über das Internet miteinan- Produktionssysteme (BMBF 2015; Jeschke 2014). der vernetzt werden. Mit Hilfe von cyber-physischen-Systemen werden diese in einem Netzwerk intelligent verknüpft und können miteinander kommunizieren und kooperieren. Maschinen und Es wird erwartet, dass durch die technologischen Weiterentwicklungen die konventionellen Pro- Betriebsmittel kennen sowohl ihren Ist- als auch Sollzustand und können diese kommunizieren duktionsstrukturen völlig aufgebrochen werden. Es ist vor allem der hohe Flexibilitätsgrad, der und gegebenenfalls selbstständig regeln. Mit Hilfe von sogenannten Mensch-Maschine-Schnitt- die Besonderheit der zukünftigen Fabriken ausmachen wird. Im Zuge dieser Entwicklungen zu stellen kann zudem eine Kommunikation mit dem Menschen als Bediener hergestellt werden. einer digitalisierten Industrie wird in Deutschland inzwischen von einem Prozess der Reindustri- Diese neuen vernetzten Geräte und Objekte ermöglichen die Umsetzung intelligenter Fabriken alisierung gesprochen. Dies ist jedoch auch auf weitere Erfolgsfaktoren der deutschen Industrie (engl. Smart Factory) (Basic 2016). wie hochspezialisierte Cluster-Strukturen, die Verfügbarkeit hochqualifizierter Arbeitskräfte, die hohe Qualität und Wissensintensivität der Produkte, die hohe Produktivität sowie das dynamische Innovationssystem zurückzuführen (BMWi 2016). 8 9
(Re-)Integration von Produktion Abbildung 3: Ansprüche verschiedener in urbane Räume Akteursgruppen des Paradigmas urbaner Produktion (Quelle: Stiehm 2017) Unternehmen Urbane Gesellschaft hochqualifizierte Im Zuge der Industrie 4.0 wird eine Rückkehr der innerstädtischen Produktion denkbar, da die kurze Wege Fachkräfte attraktive Arbeitsplätze modernen Produktionsstrukturen und Fertigungsverfahren wesentlich stadtverträglicher sind. Da- individuelle, lokale hocheffiziente Produktion Produkte durch könnte die Funktionstrennung zwischen Wohnen und Arbeiten in den Städten zunehmend Dennoch werden der Inwertsetzung von alten, aufgeweicht werden. Eine moderne innerstädtische Produktion sollte dabei dem Vorbild einer ungenutzten Flächen durch urbane Produktion ökologisch, ökonomisch und sozial nachhaltigen Stadt, wie sie in dem Leitbild einer europäischen überwiegend positive Effekte zugesprochen. Stadt der Leipzig Charta von 2007 beschrieben wird, gerecht werden. Die Umsetzung urbaner Pro- Realisierung kurzer Wege, hohe Flächeneffi- Kommune duktion steht jedoch vor rechtlichen Herausforderungen, die sich beispielsweise durch Reglemen- Sicherung hochqualifizierter zienz, Schaffung zusätzlicher lokaler Arbeits- Fachkräfte tierungen im Immissionsschutz oder vorgeschriebene Gebietskategorien bemerkbar machen. Eine Inwertsetzung von mindergenutzen plätze und Imageaufwertung des Standortes Flächen Novelle dieser Gesetze wird in Hinblick auf aktuelle Trends und Entwicklungen daher unabdingbar Hohe Flächeneffizienz sind nur einige dieser Vorteile. Kommunen stehen sein (Bauer und Lentes 2014; Dombrowski und Riechel 2014). unter Handlungsdruck Nutzungskonzepte zu entwi- ckeln, die den unterschiedlichen Ansprüchen an den Baurechtliche Regulierungen urbanen Raum von drei zentralen Akteursgruppen gerecht Die letzte Novelle der Baunutzungsverordnung (BAUNVO) brachte die Einführung einer neuen werden (Abbildung 2). Gebietskategorie in die Diskussion ein. Seit 2016 gibt es nun die neue Kategorie ‚Urbanes Gebiet‘, welche die bisherigen Kategorien im städtischen Gebiet ergänzt. Mit diesem neuen Baurechtty- Definition urbaner Produktion pus wird lärmrobuster Städtebau mit erhöhter Bebauungsdichte ermöglicht. Mit der Novellierung Da das Forschungsfeld noch relativ jung ist und durch eine hohe Interdisziplinarität geprägt ist, wird das Ziel verfolgt, ein funktionsgemischtes Gebiet der kurzen Wege zu ermöglichen. Urbane gibt es aktuell keine allgemeingültige Definition urbaner Produktion. Verschiedene Akteure bieten Gebiete sollen durch eine Nutzungsmischung aus Gewerbebetrieben, Wohnungen sowie sozia- jedoch erste definitorische Ansätze. So beschreibt das Fraunhofer IAO urbane Produktion als das len und kulturellen Einrichtungen geprägt sein. Durch die Nutzungsmischung werden zum einen harmonische Einfügen leiser und sauberer Produktionsstätten in unmittelbarer Nähe zu Wohn- kurze Wege ermöglicht und zum anderen ein Zusammenleben unterschiedlicher sozialer Gruppen gebieten. Der Verein Deutscher Ingenieure (VDI) erweitert die Definition um Industrie 4.0 und gefördert, was soziale Kohäsion und Synergien ermöglicht. Nutzungsgemischte Quartiere gelten definiert urbane Produktion als die Fertigung und Montage in innerstädtischen Bereichen. Beide als robust und anpassungsfähig an sich verändernde soziale und wirtschaftliche Anforderungen Definitionen sind sich einig über die Wichtigkeit der Wechselwirkungen zwischen Mensch, Umfeld (Bundesregierung 2017; difu 2015; MBWSV 2015; Roskamm 2013). und Technologie. Das Prinzip der Regionalität – lokal produzieren und lokal konsumieren – wird in der Definition von Acatech stärker hervorgehoben. Schössler et al. bringen einen stärkeren Nutzungskonflikte verhindern funktionale Durchmischung Produktbezug in die Definition ein, da Konsumenten vermehrt ethisch einwandfreie und qualitativ Zudem kann urbane Produktion dazu beitragen, mindergenutzte Flächen, Industriebrachen und hochwertige Produkte nachfragen. Einen ersten Ansatz einer ausformulierten Definition bietet leerstehende Gebäudekomplexe in der Stadt wiederzubeleben und einer höherwertigen Nutzung das Ministerium für Bauen, Wohnen, Stadtentwicklung und Verkehr (MBWSV) und beschreibt ur- zuzuführen. Die Wirkungen dieser Inwertsetzung sind vielseitig. Ökologisch betrachtet ist die bane Produktion als: Wiedernutzung von ungenutzten Flächen und Gebäuden sinnvoll, da somit die Inanspruchnahme neuer Flächen vermieden werden kann und der Naturhaushalt nicht zusätzlich belastet wird. Aus „Herstellung von verschiedenen Gütern und Dienstleistungen, die in lokal eingebetteten Wert- ökonomischer Sicht bieten sich neue Möglichkeiten für Projektentwickler, hohe Renditen durch schöpfungsketten oder in unmittelbarer Nähe zum Wohnort entstehen. Innovative Technologien den Erwerb günstiger Flächen zu erwirtschaften. Zudem können durch die neue Nutzung positive und Werkstoffe schaffen dabei neue Möglichkeiten zur Herstellung individueller und lokaler Pro- dukte in kleinen Serien.“ Imageeffekte auf die Umgebung ausstrahlen und einen positiven Imagewandel herbeiführen. Dies wiederum kann weitere Nutzungen anziehen. Auch die Anwohner können von diesem Imagewan- (MBWSV 2016) del profitieren, der im besten Falle zusätzliche Versorgungs- und Arbeitsplatzangebote induziert. Bei der Inwertsetzung von Flächen muss jedoch besonderes Augenmerk auf eventuelle Altlasten gelegt werden. Auch Nutzungskonflikte können entstehen, insbesondere, wenn mit der Inwert- Die vielzähligen Definitionsansätze machen deutlich, dass die Thematik in den vergangenen Jah- setzung steigende Mieten, Immissionen oder Verkehrszuwachs einhergehen (Bauer und Lentes ren erheblich an Beachtung gewonnen hat, es jedoch noch genaueren Untersuchungen und ein- 2014; difu 2001; Tomerius 2005). heitlichen Beschreibungen bedarf (Stiehm 2017). 10 11
Gestaltungsparameter urbaner Produktion Leitfadengestützte Experteninterviews In einem nächsten Schritt wurde der Katalog mittels halbstrukturierter Leitfadeninterviews mit Zu diesem Zwecke soll nachfolgend erörtert werden, welche Gestaltungsparameter für urbane Pro- Experten validiert. Hierzu wurden insgesamt 23 Gespräche mit Experten aus Wirtschaft, Wissen- duktion von besonderer Bedeutung sind. Ermittelt wurden diese mittels eines Mixed-Method-An- schaft und Politik geführt und in normales Schriftdeutsch transkribiert. Die Auswertung erfolgte satzes aus quantitativen und qualitativen Forschungsmethoden (Abbildung 4). Im Forschungsstil nach dem Kodierparadigma nach Strauss und Corbin. Insgesamt konnten 1124 Passagen der In- der Grounded Theory, also der systematischen Anwendungen einer Reihe von datenbasierten Me- terviews über Kodierungen dem hypothetischen Katalog zugeordnet werden. Hierbei zeigten sich thoden, wurde im ersten Schritt eine Analyse wissenschaftlicher Studien durchgeführt, um einen große Überschneidungen zwischen bisher Identifizierten Parametern. Die Anzahl der Gestaltungs- ersten hypothetischen Katalog an Gestaltungsparametern urbaner Produktion zu identifizieren parameter konnte in diesem Schritt von 51 auf 20 verdichtet werden (Tabelle 1). (Stiehm 2017). Text Mining Im dritten Schritt wurde Text Mining angewendet, um subjektiven Prägungen innerhalb der qua- litativen Verfahren entgegenzuwirken und gleichzeitig die bisherigen Erkenntnisse zu ergänzen. Beim Text Mining wurde ein Datenkorpus bestehend aus 68139 wissenschaftlichen Abstracts überprüft. Diese wurden aus verschiedenen Datenbanken (u.a. IEEE Explore, Web of Science) zu- sammengetragen. Im Ergebnis lassen sich Informationen über Häufigkeiten bezüglich dem Auftre- ten in Dokumenten und zeitliche Verortung (von 2000 bis 2015) zusammentragen (Stiehm 2017). Das Text Mining zeigte deutlich, dass urbane Produktion in internationalen wissenschaftlichen Pu- 1 Produktion kleiner Losgrößen durch innovative Fertigungsverfahren Mikroebene Grundstück 2 Individuelle Produktion unter hohem Kundeneinbezug 3 Schadstoffarme und emissionsfreie Produktion 4 Neue Arbeitsplatz- und Prozessgestaltung 5 Flächenbedarf der Produktion 6 Flächenverfügbarkeit und -kosten Mesoebene 7 Integration im Bestand Quartier 8 Betroffenheit der Anwohner und Flächennutzungskonflikte 9 Strukturwandel und Revitalisierung von Flächen 10 Logistik und Verkehr 11 Arbeitskräfteangebot Makroebene Nähe zu Bildungs- und F&E-Einrichtungen, 12 Technologiezentren und Fablabs Stadt 13 Neue Wertschöpfungsmodelle und Produktionsnetzwerke 14 Ver- und Entsorgung sowie Stoffströme 15 Aktive Gewerbeflächen- und Planungspolitik 16 Kurze Wege zwischen Wohnen und Arbeiten Metaebene 17 Neue (serviceorientierte) Geschäftsmodelle 18 PIanungs- und baurechtliche Regulierungen Abbildung 4: Methodischer Aufbau zur Identifikation von 19 UmweItbewusstsein hinsichtlich Ressourcen und Energieeffizienz Gestaltungsparametern urbaner Produktion (Stiehm 2017) 20 Globaler Markt als Wettbewerbsumfeld Tabelle 1: Katalog an Gestaltungsparametern urbaner Produktion (Stiehm 2017) 12 13
Gestaltungsparameter 2000 2005 2010 2015 Veränderung Trend Produktion kleiner Losgrößen 1 durch innovative Fertigungs- 0.00227 0.00409 0.00346 0.00614 171% verfahren Individuelle Produktion unter 2 0.00048 0.00041 0.00055 0.00109 128% hohem Kundeneinbezug Schadstoffarme und emissi- 3 0.04926 0.07327 0.09995 103% onsfreie Produktion 0.08641 Neue Arbeitsplatz- und 4 0.00038 0.00041 0.00127 0.00041 8% Prozessgestaltung 5 Flächenbedarf der Produktion 0.00057 0.00041 0.00000 0.00164 189% Flächenverfügbarkeit und 6 0.00510 0.01105 0.00873 0.00778 53% -kosten 7 Integration im Bestand 0.00227 0.00409 0.00855 0.00819 262% Betroffenheit der Anwohner 8 0.20272 0.20426 0.20757 0.22119 9% und Flächennutzungskonflikte Strukturwandel und Revitali- 9 0.04473 0.05608 0.05476 0.06294 41% sierung von Flächen 10 Logistik und Verkehr 0.19989 0.17519 0.19629 0.22689 14% 11 Arbeitskräfte angebot 0.00736 0.00860 0.00964 0.00874 19% Abbildung 5: Wordlist (Auszug, absolut) Publikationskorpus (Stiehm 2017) Nähe zu Bildungs- und F&E-Einrichtungen, 12 0.05606 0.06672 0.08132 0.08342 49% Technologiezentren und blikationen seit 2000 überwiegend hinsichtlich ökologischer Aspekte diskutiert wurde (Abbildung Fablabs 5). Das energie- und ressourcenschonende Produzieren aber auch der schonende Umgang mit Neue Wertschöpfungsmodelle der Ressource Wasser steht im Fokus. Neu ist zudem die Erkenntnis, dass urbanes Produzieren 13 0.00170 0.00409 0.01001 0.01106 551% und Produktionsnetzwerke vielfach auch im Standortkontext China untersucht wurde, was u. a. auf die starken Urbanisie- Ver- und Entsorgung sowie rungstendenzen in China zurückzuführen ist. Auffallend ist weiterhin, dass es eine deutliche Zu- 14 0.10136 0.12444 0.12243 0.11264 11% Stoffströme nahme der Diskussion um Aspekte der Technologie im Rahmen der urbanen Produktion gab. Auch Aktive Gewerbeflächen- und Potenziale und Nachhaltigkeit wurden als Begriffe in den Publikationen oft erwähnt. Im Ergebnis 15 0.00849 0.00778 0.00655 0.00874 3% Planungspolitik zeigt sich überwiegend eine Übereinstimmung der Ergebnisse mit dem zuvor erstellten Katalog Kurze Wege zwischen Wohnen der Gestaltungsparameter urbaner Produktion. 16 0.00680 0.02006 0.01546 0.01406 107% und Arbeiten Neue (serviceorientierte) Zum Schluss wurde der Katalog erneut mit dem Datenkorpus der Abstracts abgeglichen. Durch 17 0.04700 0.05321 0.09587 0.06363 35% Geschäftsmodelle die Bildung einer Schnittmenge können nun Rückschlüsse über die Aussagekraft des Katalogs PIanungs- und baurechtliche getroffen werden (Tabelle 2, S.14). 18 0.05549 0.06345 0.07240 0.09721 75% Regulierungen UmweItbewusstsein hinsicht- Insgesamt zeigt sich eine zunehmende Nennung der Parameter in wissenschaftlichen Publi- 19 lich Ressourcen und Energie- 0.00340 0.00737 0.01637 0.02581 660% kationen zwischen 2000 und 2015, gleichwohl die Zunahme sehr unterschiedlich stark ist. Die effizienz Parameter „Schadstoffarme und emissionsfreie Produktion“, „Betroffenheit der Anwohner und Globaler Markt als Wettbe- Flächennutzungskonflikte“, „Logistik und Verkehr“, „Ver- und Entsorgung sowie Stoffströme“ 20 0.00227 0.00287 0.00346 0.00246 9% werbsumfeld und „Planungs- und baurechtliche Regulierungen“ werden relativ betrachtet in der Literatur am stärksten diskutiert. Die dynamischste Entwicklung weisen die Parameter „Neue Wertschöp- Tabelle 2: Relative Nennung der Gestaltungsparameter im Datenkorpus (Stiehm 2017) 14 15
fungsmodelle und Produktionsnetzwerke“ sowie „Umweltbewusstsein hinsichtlich Ressourcen 2 Individuelle Produktion unter hohem Kundeneinbezug und Energieeffizienz“ auf. Diese verzeichnen einen enormen Zuwachs zwischen 551% und 660%. Das Einkaufsverhalten der Bevölkerung in den Industrieländern hat sich in den letzten Jahren Darüber hinaus zeigt sich, dass auch die Faktoren „Flächenverfügbarkeit und -kosten“, „Flächen- stark verändert. Die Kunden fragen zunehmend individuelle Produkte nach. Um diesem Wunsch bedarf der Produktion“, „Produktion kleiner Losgrößen durch innovative Fertigungsverfahren“ gerecht zu werden, muss der Kunde zukünftig stärker in den Produktionsprozess eingebunden sowie „Individuelle Produktion unter hohem Kundeneinbezug“ zunehmend in wissenschaftlichen werden. Zu diesem Zweck ist die räumliche Nähe, wie sie im Modell der urbanen Produktion Publikationen diskutiert werden. beschrieben wird, hilfreich. Zusätzlich können Transportwege verkürzt werden, was dem Trend der Nachhaltigkeit und Regionalisierung entspricht. Unternehmen können das lokale Produ- Schließlich ergab sich ein auf 20 Parameter verdichteter Merkmalskatalog. Die Einordnung der zieren zudem in ihrer Marketingstrategie als Alleinstellungs- und Qualitätsmerkmal nutzen. Parameter erfolgte anhand der multiskalaren räumlichen Betrachtungsebenen Micro-, Meso-, Ma- kro- und Metaebene. Nachfolgend sollen nun die einzelnen Gestaltungsparameter urbaner Pro- 3 Schadstoffarme und emissionsfreie Produktion duktion kurz erläutert werden. Grundlage der Definitionen sind Literaturrecherchen und Aussagen Produktion kann nur stadtverträglich sein, wenn der Schadstoff- und Emissionsgehalt so gering aus den Experteninterviews (Stiehm 2017). wie möglich gehalten wird. Dies schließt sämtliche Emissionen wie Licht, Lärm, Geruch und Gase mit ein, die sich negativ auf das Umfeld der Produktion auswirken. Um urbane Produktion zu ermöglichen, können die Produktionsgebäude beispielsweise mit entsprechenden Schall- schutz-Maßnahmen ausgestattet werden. Zudem sollten erneuerbare Energien und recycelbare Materialien zum Einsatz kommen. Additive Produktionsverfahren und die Herstellung von klei- nen Losgrößen können zusätzlich den Rohstoffeinsatz minimieren (Dombrowski und Riechel 2014; Bauer und Lentes 2014; Weinert et al. 2014). Abbildung 7: Mikrobene am Beispiel von Flurstücken in Aachen-Nord „Es muss emissionsarme Fertigung sein und eine, die vielleicht auch mit nicht allzu vielen unter- (Quelle: Lehrstuhl für Planungstheorie der RWTH Aachen 2017) schiedlichen Materialien- und Ablieferungen verbunden ist.“ (Professorin, RWTH Aachen University) Mikroebene Bei der Betrachtung der Mikroebene (Abbildung 7) bezieht sich die Analyse auf Einzelobjekte 4 Neue Arbeitsplatz- und Prozessgestaltung wie z.B. ein Grundstück oder eine einzelne Fabrik, die eindeutig im Raum verortet sind. Die Mik- Die technische und digitale Ausstattung der Arbeitsplätze wird in Zukunft zunehmen. In der roebene zeichnet sich demnach durch einen hohen Detailgrad aus. So kann auf der Mikroebene Smart Factory spielt die enge Zusammenarbeit zwischen Mensch und Maschine eine zentrale beispielsweise eine Fabrik hinsichtlich der verwendeten Produktionsverfahren analysiert werden. Rolle. Cyber-Physische-Systeme lösen die herkömmlichen Produktionsprozesse ab. Standardi- sierte Produktionssysteme werden mit einem flexiblen Kern ausgestattet, so dass individuelle 1 Produktion kleiner Losgrößen durch innovative Fertigungsverfahren Anpassungen ermöglicht werden. Neue Prozessgestaltungen werden zudem eine sowohl räum- Innovative Fertigungsverfahren ermöglichen eine stadtverträgliche Produktion. Additive Fer- lich als auch zeitlich flexiblere Arbeitsgestaltung ermöglichen. Kurze Wege zwischen Wohnen tigung und Multifunktionsmaschinen beispielsweise finden Lösungen für Herausforderungen und Arbeiten können die Flexibilität der Mitarbeiter zusätzlich erhöhen (Dombrowski und Rie- die das städtische Umfeld produzierenden Unternehmen stellt. Zum einen sind sie wesent- chel 2014). lich emissions- und geräuschärmer als herkömmliche Produktionsverfahren, zum anderen benötigen sie weniger Platz, was sich positiv auf den Flächenbedarf auswirkt. Zudem ist eine 5 Flächenbedarf der Produktion Produktion von kleinen Losgrößen möglich, was im Zuge der Individualisierungs-Tendenzen Der Flächenbedarf einer Produktion spielt im urbanen Raum eine besondere Rolle. Da Flächen die Nähe zum Kunden gewährleistet. Denkbar sind solche Verfahren beispielsweise in der in der Stadt knapp sind und zudem nicht beliebig ausgeweitet werden können, muss die Pro- Produktion von Kleinteilen und Prototypen in Manufakturen oder auch in der Medizin- und duktion auf begrenzten Flächen stattfinden. Die Produktion kleiner Losgrößen bietet sich daher Zahntechnik. im urbanen Raum besonders an. Zudem ist die Produktion auf mehreren Etagen, die sogenann- te vertikale Integration, denkbar (Schössler et al. 2012). „Neue Möglichkeiten, gerade Produktionstechnik […] machen Produktionsansätze in der Innen- stadt auch irgendwo möglich und sinnvoll, aber da geht es um kleinere Stückzahlen, auch um „Die Stadt braucht Industrie mit geringerem Flächenbedarf, in mehreren Etagen produzierend, Bauteile kleinerer Größenordnung […], sehr stark um Individualität oder Sonderlösungen.“ nicht emittierend, vielleicht mit Image-und Kundenbindung für hochwertige Produkte im städti- schen Kontext.“ (Innovationsberater, Aachen) (Schössler et al. 2012) 16 17
logischen Produktion kann das Verständnis der Anwohner steigern. Zu diesem Zweck ist ein enger Dialog zwischen Unternehmen und Anwohnern notwendig (Schössler et al. 2012). 9 Strukturwandel und Revitalisierung von Flächen Innerstädtischen Brachflächen können durch urbane Produktion neue Nutzungen zugewiesen Abbildung 8: Mesoebene am Beispiel eines Untersuchungsgebiets werden. Auf diese Weise werden die Flächen wirtschaftlich sinnvoll genutzt. Für Start-Ups in Aachen West beispielsweise bieten die Flächen eine kostengünstige Möglichkeit Produktionsfläche anzu- (Quelle: Lehrstuhl für Planungstheorie der RWTH Aachen 2017) mieten. Zudem können Umnutzungen dazu beitragen, eine sinnvolle Funktionsmischung am Standort zu erzielen. Oftmals verhindern jedoch Nutzungskonflikte und Bodenpreisstruktu- Mesoebene ren, dass eine Brachfläche umgenutzt werden kann (Dombrowski und Riechel 2014). Auf der Mesoebene werden Prozesse beschrieben, die sich auf Quartiere in der Stadt beziehen. So können Aussagen über beispielsweise das Image eines Standortes getätigt werden. Sowohl die 10 Logistik und Verkehr Mesoebene als auch die Mikroebene eignen sich gut, um innerstädtische Differenzierungen und Die Belastungen durch Verkehr sind in den Städten sehr hoch. Urbane Produktion sollte stadtteilspezifische Lebensbedingungen abzubilden. daher das Verkehrsaufkommen nicht zusätzlich strapazieren. Logistische Prozesse können durch eine gemeinsame Anlieferung mehrerer Unternehmen und durch die Bündelung von 6 Flächenverfügbarkeit und -kosten Materialströmen durch die Nutzung von Logistik-Hubs organisiert werden. Außerdem kann Die Verfügbarkeit von Flächen ist eine Grundvoraussetzung für die Ansiedlung von urbaner der Transport der Waren über Bahngleise den Autoverkehr entlasten. Das Pendleraufkom- Produktion. Viele Unternehmen wünschen sich zudem die Möglichkeit Erweiterungsflächen men kann zukünftig durch flexiblere Arbeitszeitenmodelle entzerrt werden. Durch kurze Wege bei Bedarf relativ zeitnah nutzen zu können. Da die Expansionsmöglichkeiten in der Stadt zwischen Wohnen und Arbeiten kann das Pendleraufkommen zusätzlich verringert werden stark eingeschränkt sind, sind Unternehmen mit großem Flächen- bzw. Erweiterungsbedarf (Weinert et al. 2014). meist an den Stadtrand gebunden. Zudem sind die Flächenpreise in den Städten in der Regel höher (Schössler et al. 2012). „Der Konsument erwartet eigentlich mindestens Over-Night Delivery, mittlerweile vielleicht sogar Same-Day Delivery und die schafft man nicht, wenn man durch ganz Deutschland fahren muss, „Wenn wir im städtischen Umfeld produzieren, dann sollten wir das möglichst offen und transpa- d.h. man muss mehr in Richtung Ballungszentren gehen […].“ rent tun, also keine BlackBox, so nach dem Motto: Material geht rein, Produkt, Lärm und Dreck (Wissenschaftler, RWTH Aachen University) kommt raus. Das kann es nicht sein. Es muss stadtverträglich und sollte möglichst offen und transparent sein.“ (Wissenschaftler, Fraunhofer IAO) 7 Integration im Bestand Urbane Produktion muss sozial wie auch städtebaulich in das Konzept des Standortes pas- sen. Um die Integration in den städtischen Bestand zu gewährleisten, muss die Gebäudege- staltung nachhaltig und funktional sein. Historische Gebäude müssen mit Immissionsschutz Abbildung 9: Makroebene am Beispiel der Aachener Stadtbezirke (Quelle: Lehrstuhl für Planungstheorie der RWTH Aachen 2017) versehen werden, ohne die ursprüngliche Gestalt des Standortes zu beeinträchtigen. Die äußere Gestalt der Gebäude ist auch ein entscheidender Faktor, um die Akzeptanz urbaner Produktion bei der Bevölkerung zu steigern (Dombrowski und Riechel 2014; Gauselmeier und Makroebene Klocke 2015). Die Makroebene (Abbildung 9) dient zur Beschreibung urbaner Produktion im Kontext von Regio- nen. Auf der Makroebene werden insbesondere vergleichende Analysen zwischen Städten, Sub- 8 Betroffenheit der Anwohner und Flächennutzungskonflikte urbanisierungsprozesse oder auch innerstädtisches Mobilitäts-, Freizeit-, und Einkaufsverhalten In der Stadt kommt es regelmäßig zu Nutzungskonflikten zwischen Wohnraum und Gewerbe. fokussiert. Während historisch gewachsene Produktion im urbanen Raum meist akzeptiert ist, wird die Neuintegration von Produktionsstätten sehr skeptisch betrachtet, da Produktion von vielen 11 Arbeitskräfteangebot Menschen weiterhin mit Emissionen verbunden ist. Das Image einer nachhaltigen und öko- Im Vergleich zu ländlichen Gebieten ist in den Städten meist ein hohes Fachkräfteangebot 18 19
vorhanden. Insbesondere in Städten mit räumlicher Nähe zu Universitäten und Fachhoch- 14 Ver- und Entsorgung sowie Stoffströme schulen ist der Anteil an Hochqualifizierten hoch. Da im Zuge der Industrie 4.0 neue Kom- Bei der Beschaffung und Distribution von Waren sowie bei der Abfallentsorgung entstehen petenzen benötigt werden, gibt es eine starke Nachfrage nach Fachpersonal. Die räumliche zahlreiche Material-, Waren-, Personen- und Datenströme. Zur Reduktion der Stoffströme Nähe zu den Hochschuleinrichtungen kann den Zugang zu diesem Personal vereinfachen. sollten geschlossene Kreisläufe angestrebt werden, bei denen die Stoffe nach der Nutzung in den Wertschöpfungsprozess zurückgeführt werden. Die Konzentration der Materialströ- „Tendenziell sieht man […], dass ich in den Städten leichter an qualifizierte Arbeitskräfte komme, me durch gemeinsame Anlieferung kann zudem das Verkehrsaufkommen mindern. Additive Städte haben meistens Hochschulen, haben meistens Forschungseinrichtungen, die sehr attraktiv Verfahren können zukünftig das Verkehrsaufkommen zusätzlich mindern, da der Rohstoff- auch sind für junge Menschen, die sich qualifizieren, die ihr Studium durchführen, promovieren verbrauch bei diesen Verfahren wesentlich geringer ist, als bei subtraktiven Verfahren. Auch und später dann auch in einem Produktionsbetrieb arbeiten.“ Konzepte wie Urban Farming und Öko-industrielle-Netzwerke können Stoffströme und somit (Professor, Bozen) das Verkehrsaufkommen in den Städten zukünftig senken (Gauselmeier und Klocke 2015). „Und man darf nicht vergessen, nicht die Stadt entscheidet, was in ihr produziert wird, sondern 12 Nähe zu Bildungs- und F&E-Einrichtungen, Technologiezentren und Fablabs Unternehmen, die global den Blick haben, entscheiden, ob es für die sinnvoll ist, in der Stadt be- Die Nähe zu Bildungs- und F&E-Einrichtungen sowie Technologiezentren stellt einen wichti- stimmte Bereiche der Produktion zu halten oder auszubauen. Die Stadt ist nicht Akteur, sondern sie ist Arena, die Möglichkeiten bietet.“ gen Standortfaktor bei der Ansiedlung von urbaner Produktion dar. Durch die räumliche Nähe kann zum einen der Zugang zu Absolventen und Weiterbildungsmöglichkeiten für Mitarbei- (Professorin, RWTH Aachen University) ter sichergestellt werden, zum anderen wird der Technologie- und Wissenstransfer in das Unternehmen erleichtert. Zudem ist eine Zunahme von Open Creative Labs und FabLabs im städtischen Raum zu verzeichnen. Dabei handelt es sich um offene Werkstätten, die Kreative 15 Aktive Gewerbeflächen- und Planungspolitik zum Ausprobieren und Produzieren gemeinsam nutzen. Solche Orte bieten Unternehmen die Die Flächennutzung in den Städten wird durch die Gewerbeflächen- und Planungspolitik Möglichkeit, Nutzer und Kunden als Quelle von Innovationen frühzeitig in den Entwicklungs- vorgegeben. Eine aktive Gewerbeflächenpolitik integriert bei der Erstellung von Flächen- prozess einzubinden (Bauer und Lentes 2014; Matt und Rauch 2015; Schössler et al. 2012; nutzungs- und Bebauungsplänen alle Akteure (Bürger, Unternehmen, öffentliche Hand), um Schmitt et al. 2016). Nutzungskonflikten frühzeitig entgegenzuwirken und eine reine Top-Down Steuerung zu verhindern. Auch aktuelle Trends und veränderte Anforderungen zum Beispiel an die Infra- 13 Neue Wertschöpfungsmodelle und Produktionsnetzwerke strukturausstattung müssen dabei Beachtung finden. Konzepte die eine funktionale Durch- Wertschöpfungsmodelle, die die Struktur und Art der Zusammenarbeit entlang der Produkti- mischung vorsehen, verlangen nach neuen Gebietstypologien, die Mischgebiete berücksich- onsprozesse beschreiben, sind durch eine zunehmende Komplexität geprägt. Zahlreiche Ak- tigen (Schössler et al. 2012). teure sind in ein Produktionsnetzwerk eingebunden. Zunehmend wird auch der Kunde stär- ker integriert. Es herrscht ein intensiver Austausch, der durch räumliche Nähe der Akteure vereinfacht werden kann. Sogenannte Verbundeffekte, die sich durch die Zusammenarbeit in Produktionsnetzwerken ergeben, können fehlende Skaleneffekte ausgleichen. Die Produkti- on kleiner Losgrößen kann somit rentabel werden. Zunehmende Beliebtheit erfährt zudem die gemeinsame Nutzung von Büroflächen, Infrastruktur und Betriebsmitteln. Im Zuge der Industrie 4.0 wird die Produktion digitaler, flexibler und dezentraler. Produktionseinheiten können modularisiert werden, sind dadurch kleiner und somit stadtverträglich (Bauer und Abbildung 10: Metaebene Lentes 2014; Dombrowski und Riechel 2014) (Stiehm 2017) „[…] bspw. die Start-Up Ökonomie in Berlin ist total abhängig vom urbanen Kontext, weil es eben auch so ein progressiv-produktives Miteinander ist im besten Sinne. Da ergeben sich ganz neue Metaebene Wertschöpfungsketten, die auch immer weiter ausdifferenziert werden.“ Die Metaebene ist eine Ergänzung zu den drei geographischen Maßstabsebenen, die abstrakte (Senior Consultant, Frankfurt am Main) Aspekte adressiert. Hier werden Prozesse betrachtet, die sich nicht mehr auf einen klar abgrenz- baren Raum zuordnen lassen. Daher handelt es sich um eine übergeordnete Sichtweise die bei- spielsweise Beziehungen zwischen den Akteuren eines Raumes beschreibt. 20 21
16 Kurze Wege zwischen Wohnen und Arbeiten 17 Neue (serviceorientierte) Geschäftsmodelle Die Vereinbarkeit von Arbeiten mit Leben und Wohnen wird für den Menschen immer wichti- Durch den Trend der Individualisierung entstehen neue Geschäftsmodelle, die durch eine ger. Der Wunsch nach Selbstbestimmung, Work-Life-Balance und flexiblen Arbeitszeiten ist zunehmende Integration von Serviceangeboten entlang der gesamten Wertschöpfungsket- deutlich angestiegen. Um diese Wünsche zu realisieren, werden kurze Wege benötigt. Zudem te geprägt sind. Neue Serviceangebote beinhalten auch die nachträgliche Ausstattung der kann somit das allgemeine Pendleraufkommen verringert werden. Produkte mit Individualisierungskomponenten wie z.B. das Hinzufügen einer neuen Funktion durch ein Software-Update. Durch ergänzende Serviceleistungen können sich Unternehmen „Ich sehe die Nähe zwischen Leben, Wohnen und Arbeiten in diesem Dreiklang als extreme Chance einen Wettbewerbsvorteil verschaffen (Weinert et al. 2014). und auch für die Rückholung von Produktion ist ein interessanter Aspekt, dies zu verwirklichen.“ 18 Planungs- und baurechtliche Regulierungen (Stadtentwickler, Berlin) Planungs- und baurechtliche Gesetze regeln die Bebauung und Nutzungen innerhalb der Städte. Die Regulierungsdichte in diesem Bereich ist im Allgemeinen sehr hoch, was bau- Aktiv-Reaktiv Kritisch-Puffernd Q-Werte P-Werte Mikro 2 Individuelle Produktion unter hohem Kundeneinbezug 1,4 Leicht aktiv Mikro 5 Flächenbedarf der Produktion 828 Kritisch Makro 13 Neue Wertschöpfungsmodelle und Produktionsnetzwerke 1,4 Leicht aktiv Mikro 4 Neue Arbeitsplatz- und Prozessgestaltung 815 Kritisch Mikro 1 Produktion kleiner Losgrößen durch innovative Fertigungsverfahren 1,3 Neutral Mikro 1 Produktion kleiner Losgrößen durch innovative Fertigungsverfahren 793 Kritisch Meta 18 Planungs- und baurechtliche Regulierungen 1,2 Neutral Makro 14 Ver- und Entsorgung sowie Stoffströme 716 Kritisch Meta 20 Globaler Markt als Wettbewerbsumfeld 1,1 Neutral Mikro 3 Schadstoffarme und emissionsfreie Produktion 685 Kritisch Meta 19 Umweltbewusstsein hinsichtlich Ressourcen und Energieeffizienz 1,1 Neutral Meta 19 Umweltbewusstsein hinsichtlich Ressourcen und Energieeffizienz 665 Kritisch Makro 14 Ver- und Entsorgung sowie Stoffströme 1,1 Neutral Meta 16 Kurze Wege zwischen Wohnen und Arbeiten 654 Kritisch Meso 9 Strukturwandel und Inwertsetzung von Flächen 1 Neutral Makro 11 Arbeitskräfteangebot 642 Kritisch Mikro 3 Schadstoffarme und emissionsfreie Produktion 1 Neutral Meso 8 Betroffenheit der Anwohner und Flächennutzungskonflikte 641 Kritisch Meta 16 Kurze Wege zwischen Wohnen und Arbeiten 1 Neutral Meso 10 Logistik und Verkehr 596 Leicht kritisch Mikro 5 Flächenbedarf der Produktion 1 Neutral Meta 17 Neue (serviceorientierte) Geschäftsmodelle 569 Leicht kritisch Makro 15 Aktive Gewerbeflächen- und Planungspolitik 1 Neutral Makro 15 fiktive Gewerbeflächen- und Planungspolitik 564 Leicht kritisch Nähe zu Bildungs- und F&E-Einrichtungen, Meso 7 Flächenverfügbarkeit und -kosten 564 Leicht kritisch Makro 12 1 Neutral Technologiezentren und Fablabs Meta 18 Planungs- und baurechtliche Regulierungen 563 Leicht kritisch Meta 17 Neue (serviceorientierte) Geschäftsmodelle 1 Neutral Meso 9 Strukturwandel und Inwertsetzung von Flächen 540 Leicht kritisch Meso 6 Integration im Bestand 0,9 Neutral Mikro 2 Individuelle Produktion unter hohem Kundeneinbezug 444 Leicht kritisch Mikro 4 Neue Arbeitsplatz- und Prozessgestaltung 0,9 Neutral Meta 20 GIobaler Markt als Wettbewerbsumfeld 403 Neutral Meso 10 Logistik und Verkehr 0,9 Neutral Meso 6 Integration im Bestand 400 Neutral Meso 7 Flächenverfügbarkeit und -kosten 0,8 Neutral Nähe zu Bildungs- und F&E-Einnchtungen, Makro 12 279 Leicht puffernd Meso 8 Betroffenheit der Anwohner und Flächennutzungskonflikte 0,8 Neutral Technologiezentren und Fablabs Makro 11 Arbeitskräfteangebot 0,7 Leicht reaktiv Makro 13 Neue Wertschöpfungsmodelle und Produktionsnetzwerke 271 Leicht puffernd Abbildung 11: Aktiv-Reaktiver Einflussindex (Stiehm 2017) Abbildung 12: Kritisch-Puffernder Einflussindex (Stiehm 2017) 22 23
rechtliche Prozesse sehr komplex und langwierig macht. Insbesondere bei der Umsetzung Quick Wins: Ableitungen für Akteure von Gewerbe und Industrie in den Städten gibt es zahlreiche Regulierungen und Vorschriften, die die Umsetzung stark einschränken. Aktuell wird eine Novelle der Baunutzungsverordnung Durch die Untersuchungen konnten 20 zentrale Gestaltungsparameter identifiziert werden, die diskutiert, die in der neuen Kategorie „Urbanes Gebiet“ die Integration von urbaner Produk- das Paradigma urbaner Produktion ganzheitlich beschreiben. Anhand der Vielzahl und Interdiszi- tion erleichtern könnte (Gauselmeier und Klocke 2015). plinarität der Parameter wird deutlich wie komplex das Thema urbane Produktion ist. Es werden Themen der Industrie 4.0 mit räumlichen und baulichen Aspekten sowie mit Leitbildern der Ge- „Erstmal halte ich es für sehr wichtig, dass der Diskurs belebt wird und dass diese starke Trennung sellschaft und Politik verknüpft. zwischen Gewerbegebieten und Wohngebieten aufgehoben wird. […] nur mittlerweile hat das eine starke planungsrechtliche Komponente durch die Typologie der Abstandflächen zwischen Indus- Steuerungsgrößen urbaner Produktion triegebiet, Gewerbegebiet, Mischgebiet, Wohngebiet usw.“ Um Wirkungszusammenhänge zwischen den Gestaltungsparametern identifizieren zu können, (Projektimmobilienentwickler, Aachen) wurde eine Sensitivitätsanalyse nach Vester (1980) durchgeführt. Hier werden die Gestaltungs- parameter auf Ihre Steuerungsfähigkeit bzw. Sensibilität untersucht. Die Ergebnisse zeigen, dass die Gestaltungsparameter „Individuelle Produktion unter hohem Kundeneinbezug“ sowie „Neue 19 Umweltbewusstsein hinsichtlich Ressourcen und Energieeffizienz Wertschöpfungsmodelle und Produktionsnetzwerke“ aktiv auf andere Variablen wirken (Abbil- Aktuell herrscht ein gestiegenes Umweltbewusstsein in der Gesellschaft. Viele Konsumenten dung 11, S.21). Änderungen an diesen Gestaltungsparametern lösen Wechselwirkungen im Ge- verlangen zunehmend ethisch und ökologisch unbedenkliche Produkte. Auch regionale Pro- samtsystem aus und sind daher als mögliche Steuerungsgrößen bevorzugt zu betrachten. dukte haben im Zuge dessen wieder einen höheren Stellenwert erlangt. Zudem wird gefor- dert, dass Hersteller auch für die ausländische Produktion mehr Verantwortung übernehmen Darüber hinaus zeigt der Blick auf Abbildung 12, dass eine hohe Anzahl an Variablen vielfältig (Gauselmeier und Klocke 2015; Weinert et al. 2014; Erbstößer 2016). im System vernetzt ist (kritische Variablen). Kritische Variablen wirken selbst stark auf andere Variablen und sind gleichzeitig auch von diesen beeinflussbar. Die Vielzahl an kritischen Variablen 20 Globaler Markt als Wettbewerbsumfeld zeigt, dass es sich beim Themengebiet urbane Produktion um ein hoch sensitives System handelt. Die globalen Wirtschaftsgefüge setzen die Unternehmen stark unter Wettbewerbs- und Preis- druck. Selbst kleine, lokal produzierende Unternehmen sind diesem ausgesetzt und durch Handlungsempfehlungen internationale Vorproduktbezüge in den globalen Markt integriert. Gleichzeitig spielt sich der Die Gestaltungsparameter zeigen auf, welche Stellgrößen zur Förderung urbaner Produktion es Kampf um die Fachkräfte (War for Talents) nicht nur regional und national, sondern auch glo- aus kommunaler sowie aus unternehmerischer Perspektive zukünftig geben wird. Durch Indust- bal ab. Insbesondere kleine und mittelgroße Städte müssen für junge Menschen attraktiver rie 4.0 und die damit verbundenen technologischen Fortschritte kann sich die Produktionsstätte werden und entsprechende (hochqualifizierte) Arbeitsangebote bereitstellen, um Fachkräfte zunehmend zu einer Smart Factory entwickeln. Diese bietet neue Möglichkeiten Produktion stadt- zu sichern (Dombrowski und Riechel 2014). verträglich zu gestalten. Zudem werden potenzielle Bedürfnisse der Bevölkerung, insbesondere der Anwohner im direkten Umfeld der urbanen Produktion, deutlich. Daraus ergeben sich folgen- „Jegliche urbane Produktion ist in weiträumige, Wertschöpfungskontexte eingebunden. Und das de Handlungsempfehlungen für Unternehmen sowie Kommunen: fängt an damit, dass die Rohstoffe so gut wie nie aus der Region kommen.“ (Professorin, RWTH Aachen University) ŢŢ Individuelle Produktion unter hohem Kundeneinbezug stärken Eine erhöhte Nachfrage nach regionalen und individuellen Produkten lässt Unternehmen bei der Standortwahl umdenken. Kundennähe bietet die Möglichkeit zur Mitgestaltung am Pro- dukt selbst und ist schon heute ein wichtiger Faktor um wettbewerbsfähig zu sein. Produk- tionsstätten werden aus diesem Grund in der Nähe der Kunden errichtet, um vor Ort lokale Märkte bedienen zu können. Dies gibt den Unternehmen nicht nur die Möglichkeit kurzfristig auf veränderte Wettbewerbskonstellationen und Kundenanforderungen reagieren zu können, auch Lieferzeiten und -kosten können so reduziert werden. ŢŢ Auswirkungen der Dematerialisierung von Produktion räumlich verorten Das Fortschreiten der Digitalisierung hat Auswirkungen auf ursprüngliche Raumgefüge. Wa- renströme können zunehmend durch Datenströme ersetzt werden. Experten gehen davon aus, dass Kunden zukünftig nur noch den Datensatz eines Produkts kaufen. Die Fertigung 24 25
des Produkts könnte in dezentralen Produktionseinheiten lokal erfolgen. Auch aus ökolo- Synergien zwischen Unternehmen nutzbar gemacht werden. Ein wichtiger Faktor hierfür ist gischen Aspekten werden der Dematerialisierung von Produkten Potenziale zugesprochen. die Errichtung von Wertschöpfungsketten über Firmengrenzen hinweg. Hervorzuheben ist Stoffströme können auf diese Weise reduziert und Material- sowie Energieverbrauch mini- auch die Verbindung von Produkten mit Produkt-bezogenen Dienstleistungen. Produktions- miert werden. unternehmen, die auch zukünftig erfolgreich sein wollen, müssen die Industrielle Wertschöp- fung eng mit der Dienstleistung verzahnen (hybride Wertschöpfung). Auf diesem Weg kann Digitalisierung und Robotik als Chance der Regionalisierung nutzen dem Kunden nicht nur ein Produkt, sondern vor allem ein Nutzen verkauft werden. Die Digitalisierung der Produktionsprozesse ist ein erster wichtiger Schritt um Unternehmen auf zukünftige Herausforderungen vorzubereiten. Auch die Förderung innovativer Fertigungs- ŢŢ Lokale Produktionsnetzwerke und Maker-Spaces schaffen verfahren (bspw. 3D-Druck) ist ein wichtiger Faktor um den zukünftigen Herausforderungen Sharing Konzepte in Maker Spaces, Fablabs oder Open Creative Labs bieten gerade kleineren gewachsen zu sein. In diesem Zusammenhang spielt die Robotik eine wichtige Rolle, um Unternehmen wie Startups die Möglichkeit Betriebsmittel oder Produktionsflächen gemein- zukünftig die Fertigung individualisierter Produkte in kleinen Stückzahlen wirtschaftlich mög- schaftlich zu nutzen. Dies stärkt zum einen die Gründer-Szene, zum anderen wird der Aus- lich zu machen. Auch der hohe Anspruch an die Flexibilität der Produktion spricht für einen tausch zwischen den Akteuren angeregt. Die räumliche Nähe zu Kunden und Zulieferern lässt erhöhten Einsatz von robotischen Systemen. zudem neue lokale Versorgungs- und Wertschöpfungsketten entstehen. ŢŢ Flächenmangel mit vertikaler Integration begegnen ŢŢ Attraktive Arbeitsplätze schaffen und Fachkräfte binden Die Digitalisierung und Industrie 4.0 ermöglichen Fabriken zukünftig flexibler zu produzieren Um im Kampf um Talente zukünftig nicht abgehängt zu werden, müssen Unternehmen attrak- und zu planen. Die Kombination aus hohen Flächenkosten und Flächenmangel sind Faktoren tive Arbeitsplätze schaffen. Gute technische Aus- und Weiterbildung ist ebenso eine wichtige die eine Produktion in der Stadt stark limitieren. Die vertikale Integration bietet Möglichkei- Voraussetzung wie die Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Flexible Arbeitszeitmodelle und ten dem zu entgegnen. Bestehende Fabriken können als vertikale Fabriken nachverdichtet Zugang zu sozialen Einrichtungen (bspw. Kitas) werden in diesem Kontext zunehmend be- werden. Zusätzlich müssen zur Erhöhung der Flächeneffizienz Maßnahmen wie z.B. die Ent- deutsam. Die Digitalisierung relativiert den Trend zu direkter Nähe und begünstigt Flexibilität kopplung von Produktion und flächenintensiver Lagerhaltung ergriffen werden. bei der Arbeitszeitgestaltung. ŢŢ City-Logistik Konzepte weiter fördern ŢŢ Standortmarketing und Markenbildung gezielt nutzen Die innerstädtische Vernetzung von Produktionsstandorten stellt hohe Anforderungen an Lokales Branding ist ein Mittel um sich vom breiten Angebot des Markts abzugrenzen. Nicht Logistikkonzepte. Lösungen hierfür bieten Konzepte wie beispielsweise die CityCargoTram nur Entrepreneure nehmen die Möglichkeit wahr, den lokalen Charakter der Produktion für in Dresden, wo vorhandene Straßenbahngleise für den Gütertransport zwischen Güterver- Marketingzwecke aktiv zu nutzen. Über beispielsweise Werksbesichtigungen wird die Pro- kehrszentrum und Fabrik antizyklisch genutzt werden. Auch autonome Logistiksysteme (wie duktion erlebbar gemacht. Dies stärkt den Bezug zum Produkt und schafft Transparenz, was bspw. Drohnen) bieten Potenziale zukünftig den innerstädtischen Logistikverkehr entschei- sich positiv auf die öffentliche Aufmerksamkeit und die Akzeptanz der angrenzenden Bewoh- dend zu entlasten. Durch die Etablierung von innerstädtischen Mikro-Logistik-Zentren kann ner auswirkt. zukünftig der Lieferverkehr auf der letzten Meile effizienter gebündelt und so unnötig hohes Verkehrsaufkommen vermieden werden. ŢŢ Offenen Dialog zwischen Akteuren fördern Urbane Produktion kann aktiv gefördert werden, indem in den Städten offene Dialoge geführt ŢŢ Untergenutzte Flächen in Wert setzen werden. Gemeinsamer Dialog zwischen Akteuren aus Wirtschaft, Politik sowie Bevölkerung Durch eine gezielte Revitalisierung brachliegender Flächen können belastete Industrieflächen ist eine Maßnahme, um potenzielle Nutzungskonflikte und weitere Hindernisse frühzeitig zu wieder in einen nutzbaren Zustand überführt werden. Dieser strukturelle Wandel muss von identifizieren. Darüber hinaus scheint eine Sensibilisierung der Öffentlichkeit für die Wei- Kommunen durch die Förderung zukunftsfähiger Brachen aktiv gestaltet und begleitet wer- terentwicklung emissionsfreier Fertigungsverfahren ratsam. Auch gemeinsame Lösungen für den. logistische Prozesse sind diskussionswürdig, um Ängste vor einem weiteren Anstieg von Ver- kehrsbelastungen zu nehmen. ŢŢ Synergien durch neue Wertschöpfungsmodelle ausschöpfen Neben der Möglichkeit den Fokus auf einzelne Bereiche mit hohem Wertschöpfungspotenzial Durch den Austausch zwischen den Akteuren besteht zudem die Möglichkeit, dass Flächen im zu setzen und einfache Produktionsarbeiten auf international verteilte Wertschöpfungsnetze städtischen Gebiet, die sich potenziell für urbane Produktion eignen, einfacher identifiziert zu verteilen, bieten ganzheitliche Wertschöpfungsansätze neue Potenziale. Vernetzte, intelli- werden können. Aufgrund der Urbanisierungstendenzen wurden in jüngster Vergangenheit gente Fertigungssysteme machen die Produktion von Produkten hoher Qualität zu gleichzei- viele Flächen in Städten zu Wohnraum umfunktioniert. Akteuren der öffentlichen Hand wird tig global wettbewerbsfähigen Fertigungskosten möglich. Um dies zu gewährleisten müssen empfohlen sich dem Thema städtischer Produktion mehr zu öffnen und neuen Nutzungskon- 26 27
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