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Pressespiegel Die Presse derstandard.at Schaufenster, Die Presse news.orf.at Leporello, Ö1 (Radio) Album, Der Standard RONDO, Der Standard FALTER
Der erste »Lobbyist« von Wien Michael Laczynski in Die Presse vom 15. 7. 2018 Zwischen Kunst, Chronik und Stadtforschung: Der Fotograf Wolfgang Thaler bildet alle Hotellobbys in Wien ab. Das Mammutprojekt nähert sich langsam der Zielgeraden. Die Maxime, wonach sich über Geschmäcker nicht streiten lässt, gilt nicht nur für so wichtige Dinge des Lebens wie Musik, Mobiliar, Mode oder die Wahl des Lebenspartners, sondern auch für die trivialeren Aspekte des Alltags – beispielsweise die bevorzugte Unterkunft auf Reisen. Während manche Zeitgenossen die schwülstige Opulenz des Schlosshotels bevorzugen, zieht es andere hin zu den strengen Linien modernistischer Wohnregale aus der Wirtschaftwunderära der Nachkriegszeit. Es gibt Freunde sozialistischer Intourist-Bettenbur- gen; eingefleischte Anhänger in Würde ergrauter, leicht abgenutzter Etablissements a la Wes Ander- son; designaffine Kundschaft, die ohne Philippe Starck-Nachttischlampe schlecht schlafen kann; oder vielgereiste Hotelveteranen, die in erster Linie darauf achten, ob sich die Fenster im Zimmer öff- nen lassen und das Personal hinter dem Tresen der Hotelbar einen passablen Negroni mixen kann. Im Gegensatz zu den oben erwähnten Vorlieben nimmt sich der Hotelgeschmack von Wolfgang Thaler geradezu eklektisch aus. Er besucht jede Unterkunft. Und zwar ausnahmslos jede. Die ein- zige Voraussetzung: Es muss sich um ein Hotel in Wien handeln. Denn der Fotograf und Künst- ler hat sich zum Ziel gesetzt, alle Hotellobbys in der Bundeshauptstadt abzubilden. Eine aktuelle Hochrechnung, um die Größenordnung des Unter- fangens besser einordnen zu können: Derzeit gibt es in der Donaumetropole, grob geschätzt, 400 Ho- tels. Jedes verfügt über einen Eingangsbereich für Gäste – und all diese Lobbys sollen bis Jahresende im Kasten sein. Kasten insofern, als Thaler, der in seiner Arbeit die Grenzen zwischen Kunst, Doku- mentation und Stadtforschung verwischt, mit einer analogen Großformatkamera arbeitet und – für die Dauer dieses Projekts – das Digitale scheut. Melange und Mep’Yuk Die seit mehreren Jahren laufende Mammutaufga- be – Arbeitstitel „Wien Hotel“ – ist für den gebür- tigen Salzburger gleich in doppelter Hinsicht eine Rückkehr zu den Wurzeln. Im Jahr 1995 brachte Thaler gemeinsam mit der Journalistin (und nun- mehrigen ORF-Moderatorin) Clarissa Stadler ein Buch über die zartrosige Wiener Konditoreikette Aida heraus, deren Kardinalschnitten und Caprese-
torten aus dem ostösterreichischen Diätplan nicht wegzudenken sind: „Mit reiner Butter“. Die Lobby als Hobby. „Während meiner Recherchen habe ich eine Frau kennengelernt, die ihre Be- ziehungsstreitigkeiten immer in Hotellobbys austrägt“, berichtet Thaler. Auf diese Weise sei gewähr- leistet, dass die Auseinandersetzung nicht eskaliert, weil die Lobby ein Ort ist, an dem es sich nicht gehört, die Stimme zu erheben. Eine üblichere Art der Zweckentfremdung ist der Rückzug in einen gemütlichen Sessel, um von dort aus seinen Geschäften nachzugehen. Auch in der journalistischen Anfang der Nullerjahre folgte eine weitere Publikation, die nichts mit kalorienreichen Mehlspeisen, Praxis ist die Lobby fest verankert – und zwar als Begegnungszone zwischen Reportern und großen aber vieles mit Interieurs und Stimmungen zu tun hatte: „Mep’Yuk“. Mehrere Jahre lang reiste Thaler Tieren aus Politik und Wirtschaft, die gerade in der Stadt weilen und für Interviews zur Verfügung rund um den Globus – von Mexiko City über Sofia bis nach Tel Aviv – und kreierte ein imaginiertes, in stehen. sich geschlossenes Universum aus futuristisch anmutenden, menschenleeren Innenräumen, das sich ganz hervorragend als Kulisse eines frühen Films von Rainer Werner Fassbinder eignen würde. Der Name Mep’Yuk stammt übrigens aus dem Klingonischen, einer fiktiven Sprache aus der Weltraumse- rie „Raumschiff Enterprise“, und bedeutet so viel wie „Plastik-Planet“. Apropos Menschen: Die Jahre danach verbrachte Thaler schwerpunktmäßig im südöstlich benachbarten Ausland und Die Hotellobbys in Thalers Arbeit sollen möglichst frei von Gästen, Besuchern und Mitarbeitern sein, widmete sich gemeinsam mit den Architekturtheoretikern Maroje Mrduljas und Vladimir Kulic der um nicht vom Eigentlichen abzulenken – nämlich der Erschaffung eines zusammenhängenden Raums Dokumentation des architektonischen Erbes der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien aus einer Bildserie. Um das zu erreichen, verwendet er lange Belichtungszeiten – zwischen 20 und im Allgemeinen und dem OEuvre des Doyens des jugoslawischen Modernismus, Nikola Dobrovic, im 30 Sekunden. Auf diese Weise verschwinden vom Negativ alle Bewegungen, weil sie nicht lang ge- Speziellen. Nun ist also wieder Wien an der Reihe. Doch warum ausgerechnet Hotellobbys? nug belichtet werden, um auf dem Film Spuren zu hinterlassen. Zurück bleibt nur der pure Ort. Doch mittlerweile schleichen sich in dieses Lobby-Kontinuum immer öfter Menschen ein. Der Grund? Die Um diese Frage beantworten zu können, sollte man zunächst einmal einen Blick ins Fremdwörter- unentwegte Beschäftigung mit den Smartphones. „Sie sind so in ihre Telefone vertieft, dass sie scharf buch werfen. Gemäß Duden beschreibt der räumliche Begriff Lobby eine „Wandelhalle im (britischen, bleiben“, stellt Thaler fest. amerikanischen) Parlamentsgebäude, in dem die Abgeordneten mit Wählern und Interessengruppen zusammentreffen“. Wer früher in der Lobby saß, hatte also in den allermeisten Fällen ein geschäft- Im Reich der Zeichen. liches Anliegen. An dieser Stelle taucht die Frage auf: Wenn sich die Hotellobbys zu einem Kontinuum zusammen- Sacrum und Profanum. fügen, warum muss dann dieses Universum auf Wien beschränkt bleiben? Die Antwort auf diese Frage bietet die Semiotik – ein weiteres Steckenpferd von Thaler, der ein Anhänger des französischen Diese mythologische Säulenhalle, die es, wenn überhaupt, bloß kurz in der unschuldigen, von Si- Philosophen und Zeichentheoretikers Roland Barthes ist. Konkret hält er nach Zeichen und Codes cherheitsbedenken unbelasteten frühen Kindheit des Parlamentarismus gegeben haben muss, war Ausschau, die die von der Umgebung an sich losgelöste Hotellobby in der österreichischen Haupt- bewusst als Zwischenraum konzipiert – als ein Bereich, in dem das demokratische Sacrum auf das stadt verorten. Es kann der Name des Frühstücksraums sein („Salon Sisi“), ein vergilbtes Theaterpla- bürgerliche Profanum trifft. kat im hintersten Eck, oder die goldene Bordüre, die die Säulen des Empfangsbereichs ziert und an Anders ausgedrückt handelte es sich bei der archetypischen Lobby um jene Stelle in der Membran die Wiener Skyline erinnern soll. Thaler: „Zeichen erschaffen eine Achse zwischen dem Internationa- der praktizierten Politik, die für Normalsterbliche durchlässig war. Die beiden Stichworte Membran len und dem Lokalen. Sie sind gewissermaßen ein Porträt der Stadt.“ und Durchlässigkeit führen uns zurück zu Thaler und den Wiener Vestibülen. Denn die Hotellobby Wer sein Auge für die Zeichen und Codes schult, kann Räume im Allgemeinen und Lobbys im ist für ihn eine Schnittstelle der lokalen und der internationalen Dimension – eine Schleuse, in der Speziellen besser lesen. So lässt sich beispielsweise aus der Tatsache, dass sich im hinteren Teil der sich Touristen und Indigene begegnen. „Das Betreten der Hotellobby ist für den Einheimischen eine Lobby des Imperial Riding School Renaissance Vienna Hotels in Wien-Landstraße eine eigene kleine kleine Reise, während es für den Reisenden den Übergang zur Destination markiert“, sagt Thaler. „Es Pelzboutique befindet, der Schluss ziehen, dass dieses Hotel von russischen Touristen frequentiert gibt außer der Lobby keinen anderen Raumtyp, der halb in und halb außerhalb der Stadt ist.“ Wer an wird – was eine gewisse Logik hätte, denn die russische Botschaftsresidenz und auch die russisch-or- dieser Stelle auch an die Bahnhofshalle denkt, liegt zwar nicht gänzlich falsch, ist aber aus der Zeit thodoxe Sankt Nikolaus-Kirche befinden sich ums Eck vom Hotel. gefallen, denn die einstigen Kathedralen des Massenfernverkehrs präsentieren sich heute als grell ausgeleuchtete Einkaufszentren mit gut verstecktem Zugang zu den Bahnsteigen. Hilfe vom BKA. Radikal gegen Rankings. Dass das Werk demnächst vollendet werden kann, hat Thaler erstens seinem Durchhaltevermögen und zweitens dem Bundeskanzleramt (BKA) zu verdanken. Im Jahr 2016 erhielt er für das Projekt das Aus diesem Halb-Drinnen-Halb-Draußen folgt die zweite Erkenntnis: Eine gute Lobby muss unter- BKA-Staatsstipendium für Fotografie – was ihm den finanziellen Spielraum verschaffte, um mit der schiedliche Zwecke erfüllen, um beide Zielgruppen anzusprechen. Für den erschöpften und von den Arbeit voranzukommen. Unterstützung seitens der Wiener Tourismusbranche oder der abgebildeten Eindrücken der fremden Stadt überwältigten Neuankömmling ist sie Ruheoase und Rückzugsort, für Hotels gibt es nicht – was aber durchaus so bezweckt ist, denn Thalers Arbeit richtet sich nicht an den unternehmungslustigen Einheimischen hingegen Treffpunkt und weltläufige Kulisse für anregen- Touristen oder Hoteliers und soll auch nicht als Werbung für die Wiener Gastfreundlichkeit verstan- de Gespräche – gern bei dem einen oder anderen Drink an der Bar. den werden. Kommendes Jahr wird der Salzburger Verlag Fotohof das Hotellobby-Universum verdichten, mit Während Touristen ihre Unterkunft im Normalfall nicht nach der Ausgestaltung des Vestibüls aus- literarischen und kunsttheoretischen Begleittexten garnieren und zwischen Buchdeckel pressen. suchen, verhält es sich bei den Städtern genau umgekehrt. Es gibt Hotellobbys, die bei den Einhei- Auch eine Ausstellung ist geplant. Bleibt zum Schluss die Frage, ob nach einer derart ausführlichen mischen beliebter sind als andere – wegen der Lage, wegen der Innenausstattung, oder wegen des Beschäftigung mit Hotels einem die Lust am Hotelbesuch nicht vergeht. Thaler: „Ganz im Gegenteil. Barmanns. Ich mag Hotels und werde mich weiter mit ihnen beschäftigen. Und zwar gern wieder als Reisender.“ Er selbst will sich in dieser Hinsicht allerdings nicht festlegen – auch wenn er immer wieder nach seinen Lieblingslobbys gefragt wird. Ganz im Gegenteil: „Ich bin radikal gegen Rankings.“ Die Ent- scheidung, wirklich alle Lobbys zu fotografieren, resultiert erstens aus dem Unwillen, eine ästhetische Selektion vornehmen zu müssen, und zweitens aus Respekt gegenüber der Materie: „Ich nehme jedes Hotel gleich ernst, das Imperial genauso wie das Seminarhotel am Stadtrand.“ Es gibt aber noch einen dritten Grund: Die Freude, „einen Ort zu erkunden, ohne dazuzugehören“. Mit dieser Lust rückt Thaler in die Nähe einer besonderen Spezies: des sogenannten „Lobby Lizard“. Bei diesen Lobby-Lurchen handelt es sich um Personen, die möglichst viel Zeit in Hotellobbys ver- bringen – sei es als Hobby, sei es,weil sie das Vestibül für eigene Zwecke nutzen.
Auf der Durchreise O rte, die die Welt bedeuten – oder eben gar keine bestimmte Lokalität: So sieht Wolfgang Thaler jene Hotellobbys, die im Daniel Kalt in Schaufenster, Die Presse vom 4.12.2020 Mittelpunkt seines neuen Bildbandes ste- hen und die er vier Jahre lang, aus- www.seitnerschmuckwerkstatt.com schließlich in Wien, ablichtete. Das deutsche Wort, Empfangshalle, hat etwas Heimeliges – bildet im Grunde aber nur die Hälfte der Geschichten ab, die sich in die- sen Räumen zutragen. Denn hier kommen Menschen nicht nur an und lassen sich in Empfang nehmen – hier wird man auch verabschiedet und ist im Aufbruch: Wenn Grand-Tour-Reisender, in Richtung der nächsten Lobby – oder eben zurück nach Hause. Michel Foucault nannte solche Nicht-Orte oder Mehr- als-sie-selbst-Orte in seinen Schriften „Heterotopien“, man könnte auch an das Schlagwort der In-Between- ness denken: Solche ungeklärten bzw. etwas vieldeuti- gen Ortseigenschaften jedenfalls faszinieren Wolfgang Thaler seit jeher. 2001 etwa veröffentlichte er den Bild- Nr. 34/4. 12. 2020 band „Mep’Yuk. Die Zentrale“ mit Bildern von Innen- dorotheergasse 6-8 1010 wien räumen (Lobbys, Besprechungszimmer, Wartesäle) in öffentlichen Gebäuden überall auf der Welt, wobei den Lesern bzw. Betrachtern nicht offenbart wurde, wo genau der jeweilige Raum sich befand. Einzig Hier, dort, eine Liste am Ende des Buches verzeichnete alle vorkommenden Gebäude – aber ohne „Die Lobby ist Hinweis, auf welchen Seiten sie zu sehen sind. wie ein Interface, dazwischen Schnittstellen-Funktion. „Solche Orte sind wie Bühnen, auf denen eine Inszenierung das mit der Stadt Orte, die über sich hinausweisen, in Empfang nehmen und verabschieden: stattfindet“, sagt Thaler, der in „Wien Hotel“ nun sehr wohl auf jeder Seite klein das jewei- kommuniziert – Wolfgang Thaler fotografierte vier Jahre lang Lobbys in Wiener Hotels. lige Hotel anführt. Von seiner Schätzung nach eher kein Raum, +43 1 533 90 19 circa 400 Hotels in der Stadt fotografierte er Fotos: Wolfgang Thaler Text: Daniel Kalt die Hälfte, und zwar in den Jahren zwischen 2015 und 2019 – anfangs als künstlerischer in dem man Staatsstipendiat. Was also wie ein Coronapro- jekt anmuten könnte – die Leere, die Verlas- verweilen soll.“ senheit –, war im Frühling dieses Jahres bereits abgeschlossen. „Natürlich ist es traurig, wenn auf diesen Bühnen jetzt gar nichts stattfindet“, antwortet achtecksammelringe aus platin mit diamanten und aquamarinen Thaler auf die Frage, ob er selbst als Stadtnutzer nun Schaufenster traurig an den vielen geschlossenen Gastbetrieben vor- beiwandelt. „Hotels gehören maßgeblich zu einer Großstadt, das ist eine Entwicklung, die im späten 19. Jahrhundert ihren Ausgang nahm“, hält Thaler fest. Ihn interessierten anfangs die – subtil oder sehr augenfällig – in den Lob- bys angebrachten Verweise auf das für die Besuchenden relevante Draußen: Auf die Stadt, die sich in Prospekt- form oder auf Postern hinter dem Empfangstresen wie- derfinden mag; manchmal aber subtiler, durch eine Häufung vertrauter Tapetenmuster, Teppiche oder viel- leicht sogar Sofabezüge. Manchmal ist es auch hier das empfangsHallen. Hier Neutrale, das Ortsabgewandte, wie in den nach interna- Thalers Aufnahmen der Lobbys tionalen Vorgaben eingerichteten Luxushotellobbys. Tipp von Meliá Vienna, Hotel „Die Lobby ist ja wie eine Schleuse“, sagt Thaler, „ein „Wien Hotel“. Mit Texten Domizil, Pension Neuer Markt, Interface, das mit der Stadt kommuniziert, und eher von Rajesh Heynickx, Andreas Hotel Regina (v. l. o. i. U.). kein Raum, in dem man verweilen will.“ Die Lektüre sei Spiegl u. a., Fotohof Edition. Auf dem Cover: die Lobby übrigens auch empfohlen, um stilvolles Einchecken www.fotohof.net und des Hotel Praterstern. nicht ganz zu verlernen. s www.wolfgangthaler.at 20 Schaufenster Hier, dort, dazwischen Orte, die über sich hinausweisen, in Empfang nehmen und verabschieden: Wolfgang Thaler fotografierte vier Jahre lang Lobbys in Wiener Hotels. Orte, die die Welt bedeuten — oder eben gar keine bestimmte Lokalität: So sieht Wolfgang Thaler jene Hotellobbys, die im Mittelpunkt seines neuen Bildbandes stehen und die er vier Jahre lang, aus- schließlich in Wien, ablichtete. Das deutsche Wort, Empfangshalle, hat etwas Heimeliges — Auf der bildet im Grunde aber nur die Hälfte der Geschichten ab, die sich in diesen Räumen zutragen. Denn hierkommen Menschen nicht nur an und lassen sich in Empfang nehmen — hier wird man auch ver- abschiedet und ist im Aufbruch: Wenn Grand-Tour-Reisender, in Richtung der nächsten Lobby — oder eben zurück nach Hause. Durchreise Michel Foucault nannte solche Nicht-Orte oder Mehr- als-sie-selbst-Orte in seinen Schriften „Heterotopien“, man könnte auch an das Schlagwort der In-Between- ness denken: Solche ungeklär- ten bzw. etwas vieldeuti- gen Ortseigenschaften jedenfalls faszinieren Wolfgang Thaler seit jeher. Wolfgang Thaler fotografiert Wiener 2001 etwa veröffentlichte er den Bild- band „Mep‘Yuk. Die Zentrale“ mit Bildern von Innen- räumen Hotellobbys als Durchzugsorte in der Stadt. (Lobbys, Besprechungszimmer, Wartesäle) in öffentlichen Gebäuden überall auf der Welt, wobei den Lesern bzw. Betrachtern nicht offenbart wurde, wo genau der jeweilige Raum sich befand. Einzig eine Liste am Ende des Buches verzeichnete alle vorkommenden Gebäude – aber ohne Hinweis, auf welchen Seiten sie zu sehen sind.
Schnittstellen-Funktion. „Solche Orte sind wie Bühnen, auf denen eine Inszenierung stattfindet“, sagt Thaler, der in „Wien Hotel“ nun sehr wohl auf jeder Seite klein das jewei- lige Hotel anführt. Von seiner Schätzung nach circa 400 Hotels in der Stadt fotografierte er die Hälfte, und zwar in den Jahren zwischen 2015 und 2019 – anfangs als künstlerischer Staatsstipendiat. Was also wie ein Coronapro- jekt anmuten könn- te – die Leere, die Verlas- senheit –, war im Frühling dieses Jahres bereits abgeschlossen. „Natürlich ist es traurig, wenn auf diesen Bühnen jetzt gar nichts stattfindet“, antwortet Thaler auf die Frage, ob er selbst als Stadtnutzer nun traurig an den vielen geschlossenen Gastbetrieben vor- beiwandelt. „Hotels gehören maßgeblich zu einer Großstadt, das ist eine Entwicklung, die im späten 19. Jahrhun- dert ihren Ausgang nahm“, hält Thaler fest. Ihn interessierten anfangs die – subtil oder sehr augenfäl- lig – in den Lob- bys angebrachten Verweise auf das für die Besuchenden relevante Draußen: Auf die Stadt, die sich in Prospekt- form oder auf Postern hinter dem Empfangstresen wie- derfinden mag; manchmal aber subtiler, durch eine Häufung vertrauter Tapetenmuster, Teppiche oder viel- leicht sogar Sofabezüge. Manchmal ist es auch hier das Neutrale, das Ortsabgewandte, wie in den nach in- terna- tionalen Vorgaben eingerichteten Luxushotellobbys. „Die Lobby ist ja wie eine Schleuse“, sagt Thaler, „ein Interface, das mit der Stadt kommuniziert, und eher kein Raum, in dem man verweilen will.“ Die Lektüre sei übrigens auch empfohlen, um stilvolles Einchecken nicht ganz zu verlernen. Die Hotels sind zurzeit geschlossen, zumindest für private Gäste, die Wiener Hotellobbys: Sisi-Seligkeit und Schmuddelcharme meisten Reisen finden im Kopf statt. Da kommt das Buch des öster- reichischen Fotografen Wolfgang Thaler genau richtig: „Wien Hotel“ Clarissa Stadler für new.orf.at am 6.1.2021 ist die Bestandsaufnahme einer touristischen Kernzone – der Hotel- https://orf.at/stories/3194135/ lobby. Kein „Coffee Table Book“, eher ein Sittenbild der Hauptstadt, die sich am liebsten als postimperiale Metropole präsentiert. „Menschen kommen. Menschen gehen. Nie passiert etwas.“ Der Satz aus dem legendären Film „Menschen im Hotel“ aus dem Jahr 1932 fällt in einer Hotellobby und er beschreibt ziemlich gut die Stimmung, die Wolfgang Thaler auf seinem Streifzug durch die Wiener Hotels eingefangen hat. Fünf Jahre lang sprach er bei Rezeptionisten vor, telefonierte sich durch die Marketingabteilungen großer Hotelketten – oder fiel einfach mit der Tür (und seiner Großfor- matkamera) ins Haus. Mehr als 200 Hotels hat er besucht und seinen speziellen Blick auf die Entrees der Wiener Herbergsbetriebe geworfen. Das Ergebnis seiner fotografischen Recherche: Ein wildes Pan- optikum gestalterischer Fantasie. Vom glatten Einheitslook internationaler Hotelketten über touristische Hardcoreklischees bis hin zu liebevollen Kuriositäten in der kleinen Pension sind alle Spielarten der Rezeption vertreten. Thaler hat sie, nicht ohne Witz, auf den Doppelseiten seines Bandes „Wien Hotel“ zu einer Landschaft montiert. Einchecken, Auschecken Wie kommt man auf die Idee, ausgerechnet – und ausschließlich – Hotellobbys zu fotogra- fieren? „Es begann in einer Lobby im zweiten Bezirk“, erzählt der Fotograf, „dort fielen mir ein Wandrelief mit der Silhouette Wiens und dazu passend ein paar Gemälde auf – allesamt Ver- weise auf die Stadt –, daraus entstand die Idee, mit Fokus auf diese Versatzstücke wie durch eine Landschaft durch die Wiener Hotellobbys zu wandern.“ Die Wanderung des Fotografen und die ästhetische Gratwanderung der Hoteliers – wer in Wien eincheckt, kann einiges erleben: das lebensgroße Ölporträt des seligen Kaisers Franz Joseph nebst Zimmerpalme, Biedermeier-Streifentapete und Klimt-Skulptur (stark abstrahiert, aber eindeutig: „Der Kuss“), historische Wien-Landschaften vor Tapetenmix, Teppichbodenex- zesse und Stilmöbel, Biedermeier, Rokoko und Jugendstil.
Fake-Bücherwände und Lippizaner Er habe wiederkehrende Motive in den Foyers gefunden, erzählt Thaler, wie zum Beispiel Pferde. Egal ob im plüschigen K&K-Ambiente oder im modernen Interieur des hippen Boutique-Hotels, ein Hauch Lipizzaner, eine Andeutung an die Hofreitschule wird Wien-Touristen offenbar gerne geboten. Kaiserin Sisi, das überrascht jetzt nicht, regiert als Lobby-Kaiserin ziemlich unangefochten, historisch lediglich flankiert von Prinz Eugen oder Admiral Tegetthoff. Admiral, Ambassador, Attachee, Adagio, Bajazzo, Domizil und Donauwalzer. Regina, Royal König von Ungarn und Imperial. Hotelnamen erzählen dem Gast eine Geschichte, das Dekor erledigt den Rest. Es sind die illusionistischen Interieurs, die den Fotografen Thaler begeistern und aus deren Abbildun- gen er eine subjektive Landschaft webt. Verblüffend oft habe er etwa Fake-Bücherwände vorgefun- den, erzählt er, meist als Tapete. Erstarrt mit Mobiltelefonen Bücherrücken, Samtsofa, Deckenluster: Versatzstücke einer Form von Behaglichkeit, die der moderne Reisende ohnehin nicht wahrnimmt. Die meisten Hotelgäste säßen regungslos in der Hotellobby und starrten auf ihr Mobiltelefon. So lange habe eine Frau einmal wie eingefroren in der Lobby des Hotel Marriott dagesessen, so Thaler, dass sie trotz der langen Belichtungszeit der Großformatkamera ge- stochen scharf auf dem Foto zu erkennen sei. Retro-Moderne Es kommt aber ohnehin nicht oft vor, dass Menschen auf seinen Fotografien zu sehen sind. „Ich wollte wieder ein Wien-Buch machen“, sagt Thaler, der sich auf Architektur und Interiors spezialisiert hat und seit den Neunziger Jahren urbane Räume auf der ganzen Welt erforscht. Sein Blick ist immer dokumentarisch und fällt oft dorthin, wo andere keine Sensationen erwarten würden. In den frühen Neunziger Jahren fotografierte er alle damals 26 Filialen der Wiener Konditoreikette Aida, fokussier- te sich auf gealterte Holzfurniere, Resopalplatten und Kunstlederschemel, lange bevor „Retro“ oder „Vintage“ ein Thema für den Mainstream waren. Dann bereiste er jahrelang verschiedene Regionen Ex-Jugoslawiens, auf der Suche nach Architektur- denkmälern der sozialistischen Moderne, sammelte Beispiele des in Zeiten des Turbokapitalismus längst verpönten Brutalismus und bewahrte so in seinem Fotobuch „Modernism In Between“ ästhe- tisch die Homogenität einer Epoche, die politisch längst zerfallen ist. Drehtür zur Kulisse Diesmal fällt Thalers Blick auf einen Raum, der eigentlich nur ein Zwischenraum ist. Die Hotelhalle, eine transitorische Angelegenheit, für den Philosophen Theodor Adorno gar Sinnbild einer existen- ziellen Heimatlosigkeit, ist für den genauen Beobachter Thaler Spielwiese und Möglichkeitsraum: „Hotellobbys sind ja wie Bühnen, wie Film- oder Theaterkulissen.“ Da kann jeden Moment jemand über die geschwungene Treppe ins Bild kommen, da kann jederzeit die Drehtür einen neuen Gast hereinwehen. Die Drehtür, eine amerikanische Erfindung aus dem Jahr 1888, ist vielleicht die passendste Metapher für das Wesen des Hotels, den „rastlosen Stillstand“. Und auch, wenn heute Rezeptionen teilweise schon eingespart werden und „Menschen im Hotel“ nicht mehr auf Telegramme warten, sondern ihre Ansichtskarten mit dem Handy verschicken, bleibt die Lobby mehr als nur Schauplatz für Einchecken und Auschecken. Sie ist Showbühne für die Inszenierung einer Stadt.
Ansichten zum Empfang Leporello, Ö1 am 7.1.2021 Gestaltung: Sophie Menasse nachzuhören auf www.wolfgangthaler.at Lobbys im Bild Marmorböden, rote Polstermöbel, prunkvolle Luster. Oder Beistelltische aus Euro-Paletten und ein alter Transportwagen als Regal. Zwar hat jede Hotel-Lobby dieselbe Funktion, die Umsetzung variiert jedoch. Das Spektrum reicht von prunkvoll über shabby-chic bis hin zu billig und ge- schmacklos. Alles das und mehr findet sich im neuen Fotobuch „Wien Hotel“ (Fotohof). Der Fotograf Wolfgang Thaler hat die Welt der Lobbys erforscht und Eindrücke aus 200 Wiener Unterkünften gesam- melt. Von der einfachen Pension bis zum Prunkresort. Dabei ging es ihm nicht darum, die Räume einfach zu dokumentieren, sondern kreativ mit ihnen umzuge- hen. Die Lobby als Schauplatz des Lebens.
Illusionistische Visiten Halb draußen, halb drinnen Album, Der Standard am 30.1.2021 Rondo, Der Standard am 29.1.2021 Album A 6 Bücher Samstag, 30. Jänner 2021 Foto: Gregor Auenhammer Ein Amalgam unterschiedlicher Erwartungshaltungen stellen Hotellobbys allerorts dar. Jene Wiener Hotels definiert Wolfgang Thaler als Zentrifuge der Stadt. Fotografie Hörbuch Thriller Kinderbuch Bestseller HVB – Belletristik Illusionistische Visiten Der Anfang Neid und Lieber 1 (1) Thomas STIPSITS ist schwer Rache zu zweit Uhudler-Verschwörung N ormalerweise denkt man sich als Fotograf – Carl-Ueberreuter-Verlag, € 17,– 2 (NEU) David SCHALKO gleichgültig ob als Profi oder als passionierter Bad Regina D D H „Hobbyknipser“ – häufig, wie schön es doch ie Rache der Litera- rei Frauen lernen yäne und Löwe, Kiepenheuer & Witsch, € 24,70 wäre, wie pittoresk, wenn Orte, Landschaften, tur an großen, ge- sich im Gefängnis Kohlmeise und 3 (5) Thomas STIPSITS Kopftuchmafia Plätze und Gebäude frei von an Ameisen gemahnenden nialen Autoren ist – kennen. Die ehe- Drossel oder Kuh- Ueberreuter, € 16,95 Touristenmassen wären, um ein gelungenes, unver- ihr Frühwerk. Das malige Ärztin Blair, reiher und Elefant 4 (2) André HELLER Zum Weinen schön, zum Lachen bitter stelltes Bild von Stadt und Land, von Architekturjuwe- gilt auch für Anton Tsche- die ihr Helfersyndrom und – es sind schon besondere Zsolnay, € 23,70 len, vom Louvre, von der Piazza San Marco, vom chow, 1860 geboren und schlampige polizeiliche Er- Paarungen, die Emilia Dziu- 5 (3) Biyon KATTILATHU Weil ich es wert bin! Times Square, von Hofburg, Graben, von Peters- oder 1904 verstorben. So häufig mittlungen hinter Gitter ge- bak für ihr Bildersachbuch Inderleicht, € 13,30 Stephansdom machen zu können. Doch dieser Tage seine Dramen heute noch bracht haben, die patholo- zusammengetragen hat. In 6 (4) Sebastian FITZEK erst erkennt man schmerzhaft, wie seelenlos men- inszeniert und gespielt wer- gisch aggressive Banden- Das Faultier und die Motte Der Heimweg Droemer HC, € 23,70 schenleere Orte werden können. Selbiges Phänomen den, manche seiner Anfänge chefin Ada und Sneak, ein geht es, wie auch der Unter- 7 (NEU) Robert HARRIS trifft naturgemäß auch auf Innenräume zu. Verwaiste scheinen nie „Tschechow“ Drogenwrack mit bemer- titel schon besagt, um „die Vergeltung Heyne, € 22,70 Restaurants, Cafés, Wirtshäuser und Hotels wissen ein geworden zu sein. Das gilt kenswertem Talent zur Die- ungewöhnlichsten Tier- 8 (NEU) Karin KALISA Lied davon zu singen. Das Spezielle an Hotellobbys hat auch für sechs Humoresken bin. Die bösartig gemobbte freundschaften“. Kinder ab Bergsalz Droemer HC, € 20,60 Wolfgang Thaler von jeher beschäftigt. Im Gegensatz und Satiren. Der Tod eines Jessica vom LAPD gerät in dem dritten Lebensjahr er- 9 (8) Beatrix KRAMLOVSKY zur heutigen Situation aber versucht er mittels seiner Beamten, Der Dicke und der dieses toxische Setting, was fahren hier Fakten über Tie- Fanny oder Das weiße Land Aufnahmen „illusionistischer Interieurs“ den Charak- Dünne, Das Chamäleon, Die auch schon egal ist; Jessica re wie Pflanzen, aber auch Hanserblau, € 23,70 10 (6) Jonas JONASSON ter, die Seele der Orte menschlichen Zusammenlebens Nacht der Schrecken, Recher- wird von den Kollegen, die Einzeller. Und immer geht Der Massai, der in Schweden ... festzuhalten. In seinen Fotografien Wiener Hotels ma- che und Der erste Liebhaber sie eigentlich für ihre Fami- es um Zweiergespanne. Wo- C. Bertelsmann, € 22,70 nifestiert sich ein kollektives Gedächtnis, eine Summe stammen aus den frühen lie gehalten hat, aus Neid bei nicht alle so nett sind, an Geschichte, Tradition und Weltgewandtheit, an bis mittleren 1880er-Jahren, bedroht, denn sie hat eine wie man vielleicht anfangs HVB – Sachbuch Kommunikation und Zusammengehörigkeit. Die Me- da war Tschechow noch luxuriöse Villa geerbt. Da- glauben könnte. Da ist zum 1 (1) Monika GRUBER, Andreas HOCK lange aus Versatzstücken an Interieurs, modern und Student. Diese Kurzprosa mit hat sich ein Vater für Beispiel der Seeteufel, der Und erlöse uns von den Blöden alt, aus klaren Designkonzepten und schlicht Gewach- schrieb er des Geldes wegen Jessicas unermüdliche Su- mit seiner Leuchtangel klei- Piper, € 20,60 2 (2) Johannes HUBER senem, zufällig Zusammengewürfeltem, historisch und sandte sie an St. Peters- che nach seiner verschwun- nere Fische anlockt, um sie Das Gesetz des Ausgleichs Wertvollem, Kitschigem und vermeintlich Bewahrens- burger Zeitschriften, die sie denen Tochter bedankt. Der dann zu verspeisen. Nachzu- Edition A, € 24,– wertem ergibt ein Porträt der Stadt, ihrer Einwohner druckten. Gert Westphal temporeiche Thriller funk- lesen im Kapitel „Falsche 3 (3) Barack OBAMA Ein verheißenes Land und Gäste. Der semiöffentliche Raum mutiere norma- (1920–2002) las diese Texte tioniert mit schnellen Per- Freunde“. Lobend sei da der Penguin, € 43,20 lerweise, so Thaler, „zum ungewissen Raum im Nir- 1997 ein. Und gab sich, wie spektivenwechseln und be- Pavian erwähnt, der mit sei- 4 (4) Philippa PERRY Das Buch, von dem du dir wünschst ... gendwo“, global betrachtet. Im Fall der Wiener Hotels von ihm bekannt, soignierte trächtlicher Bösartigkeit. nen Lauten nicht nur Artge- Ullstein-Buchverlage, € 20,60 sei das anders. Man könnte meinen, das Kommen und Mühe, für die diversen Der Witz: Die Frauen sind nossen warnt, sondern auch 5 (WE) Matt KUHN, Barney STINSON Der Bro Code Gehen entspreche der Wiener Grundstimmung von Sprechrollen, vor allem für zwar keine Lämmchen, aber Nyalas, also Antilopen. Was Riva, € 10,30 Melancholie und Contenance. Gregor Auenhammer den Dicken, sprich: Erfolg- im Grunde sind hier die Po- das Buch auch noch so le- 6 (WE) Bas KAST reichen, und den Dünnen, lizisten die wahren Schur- senswert macht? Die wun- Der Ernährungskompass C. Bertelsmann, € 20,60 Wolfgang Thaler, „Wien Hotel. Vienna Hotel“ (Engl./Dt.). Es- lies: Gescheiterten, ange- ken. Sie drehen das Gesetz derschönen Illustrationen. 7 (WE) Manuela MACEDONIA says von Rajesh Heynickx, Andreas Spiegl, Lina Morawetz, Jo- messene Volumina und so, dass sie terrorisieren Am Ende können die mit- Beweg dich! Und dein Gehirn sagt Danke Brandstätter-Verlag, € 22,– sef Kleindienst. € 39,– / 264 S. Edition Fotohof, Salzburg 2020 Sprech-Fälle zu entwickeln. können, wen sie wollen, und lesenden Kinder noch tes- 8 (WE) Philippe SANDS Das will nicht in jedem Fall sie decken einander. Bei ten, welcher Freundschafts- Die Rattenlinie – ein Nazi auf der Flucht S. Fischer, € 25,70 überzeugen. Und korrespon- Candice Fox braucht man typ sie sind. Dazu müssen 9 (WE) Herwig KOLLARITSCH, Silvia JELINCIC diert so trefflich mit den nicht auf ein versöhnliches nur ein paar Fragen beant- Pro & Contra Coronaimpfung eher schwächlichen Texten. Ende zu hoffen. Überleben wortet werden. Das geht Edition A, € 18,– 10 (10.) Yuval Noah HARARI Gedicht Alexander Kluy muss reichen. Ingeborg Sperl ganz leicht, wirklich! Eine kurze Geschichte der Menschheit www.krimiblog.at Peter Mayr Pantheon, € 15,50 Anton Tschechow, „Der Dicke Löffelstellung und der Dünne“. € 10,30 / 63 Candice Fox, „Dark“. € 16,50 / Emilia Dziubak, „Das Faultier Min. Der Audio-Verlag, Berlin 392 Seiten. Suhrkamp-Verlag, und die Motte“. € 15,50 / 32 Sei- die hand auf deinem 2020 Berlin 2020 ten. Ars Edition, München 2020 runden bauch mein bauch an deinem warmen hintern zum greifen nahe das glück Manfred Chobot, „Die Wiederentdeckung der Liebe“. € 15,40 / 208 Seiten. Anton G. Leitner (Hg.), Verlag Anton G. Leitner, München 2020
44 FALTER 6 ∕ 21 STADTLEBEN STADTLEBEN FALTER 6 ∕ 21 45 Der Lobbyist Ihr Buch zeigt auch exotische Hoteltypen. Viele sind so klein, dass sie gar kein richtiges Foyer haben. Thaler: Das sind meistens die, die in Wohnhäusern versteckt sind. Dort ist das Stiegenhaus die Lobby, weil drin- S Wolfgang Thaler liebt ie sind die Bühnen für Inter- eher städtische Wohnzimmer. Das Ho- weil die überall gleich aussehen. Der nen gar kein Platz wäre. Ein Typus, views, Filmdrehs und infor- telfoyer hingegen ist nicht wohnlich, US-Historiker Christopher Long hat den ich liebe, ist der Gasthof, also das Hotelfoyers, 200 hat er melle Gespräche aller Art. Sie es ist ein Schau- und Bühnenraum, mir aber erzählt, dass eine Bekannte Wirtshaus mit Gästezimmer, der eher in Wien fotografiert. Ein sind Tempel des Kommens und des die Schnittstelle von Ankommen und von ihm bei Wien-Reisen immer im auf dem Land vorkommt. Und dann Gehens, Übergangsräume, öffentlich Wegfahren. Hilton absteigt, weil sie es so „wiene- gibt es die Hostels, also die Nachfol- Gespräch über Sehnsuchts- und privat zugleich: Hotellobbys. risch“ findet. Vielleicht sieht die sub- ger der fast ausgestorbenen Jugend- räume, Schuhputzmaschinen Nichts läge näher, als den Fotogra- Wann haben Sie diese Liebe entdeckt? tilen Unterschiede nur, wer alle Hil- herbergen. Zwei von ihnen habe ich fen Wolfgang Thaler in einem Hotel- Thaler: Foyers haben mich immer fas- tons kennt. fotografiert, das war lustig, denn das und das, was von den Lobbys foyer zu interviewen, mit seiner Groß- ziniert, bei einem Spaziergang vor Foyer funktioniert komplett anders formatkamera hat er zwischen 2015 über fünf Jahren hat mich dann ir- Hotelfoyers sind ein beliebter als in Hotels. Dort herrscht 24 Stun- übrigbleiben wird und 2020 rund 200 davon dokumen- gendetwas ins Hotel Imlauer im zwei- Schauplatz in der Literatur und im den am Tag Party mit internationa- tiert. Eigentlich hätten es alle Wie- ten Bezirk gezogen. Und das ist jetzt Film. Warum eigentlich? len Globetrottern. Es ist praktisch un- INTERVIEW: ner Hotels sein sollen, das ist sich nicht unbedingt ein Hotel, das in der Thaler: Der Mythos begann Anfang möglich, diese Foyers ohne Menschen MAIK NOVOTNY vor der Corona-Pandemie nicht ganz Straße besonders heraussticht. Im Fo- des 20. Jahrhunderts in der Blütezeit festzuhalten! Ich musste um zwei Uhr ausgegangen. yer habe ich dann ein Wandrelief mit der Grandhotels. Wir denken an die nachts fotografieren. Sein Bildband „Wien Hotel“ er- einer Stadtsilhouette von Wien ent- Schriftsteller Robert Musil und Josef schien also in einer Zeit, da die Ho- deckt – und die Idee war sofort da. Roth, Siegfried Kracauer deutet das Sie beschäftigen sich schon telfoyers gesperrt sind und viele Be- Ich wollte diesen Verweisen auf Wien Foyer in seinem Aufsatz „Die Hotel- lange fotografisch mit dem herberger nicht wissen, ob sie je wie- in den Hotels der Stadt nachspüren. halle“ als Inversion der Kirche, als Be- Innenraum, während klassische der öffnen werden. Aus der Festschrift Drinnen vorwegnehmen, was vor der gegnung mit dem Nichts. Aber es gibt Architekturfotografen eher das für einen viel verheißenden Gebäude- Tür wartet – das ist doch spannend. auch zeitgenössische Literatur dazu, Exterieur bevorzugen. teil wurde ein melancholischer Parte- etwa im Roman „The Way Inn“ von Thaler: Das Verhältnis der Kamera zettel in Buchform. Nun plaudert der Was signalisiert dem Gast unzweifel Will Wiles, der in einem anonymen zum Innenraum ist ein spezielles. Man Fotograf Wolfgang Thaler auf einer haft, dass er sich in Wien befindet? Seminarhotel spielt. Eine Bekannte kann ihn nicht wie ein Objekt aufneh- Wolfgang Thaler winterlichen Parkbank über seine Lei- Thaler: Es gibt natürlich das Imperiale hat mir erzählt, dass sie Hotellobbys men, man kann ihn nie komplett ein- Jahrgang 1969, lebt in Wien und denschaft: Was Hotelfoyers über Wien als Leitmotiv. Einerseits in den Mö- gerne dazu benutzt, um in Beziehun- fangen. 1993 habe ich Aida-Cafés fo- bereist die Welt als Fotograf und Filmer, und die Epochen, über das Reisen und beln, Farben und Oberflächen. Ande- gen Schluss zu machen, das ist fast tografiert, das waren meine Wohnzim- mit einer besonderen Vorliebe für die Isolation erzählen. rerseits habe ich oft Porträts gesehen, schon wieder romantisch. Natürlich mer, damals habe ich in der Aida ge- Innenräume und die Geschichten, die sie Habsburger wie Sisi und Franz, oder kann man sich in Hotellobbys auch lebt. Später habe ich Innenräume von erzählen. Sein Bildband über Hotelfoyers Falter: Herr Thaler, Sie wollten alle die Vorfahren der Hoteliersfamilien, verlieben. Büros und Betrieben in aller Welt fo- ist 2020 erschienen Hotels von Wien fotografieren, das etwa beim Hotel Imperial. Prinz Eu- tografiert, die aber so anonym waren, sind über 400. Was hat Sie geritten? gen tritt zwar nur im gleichnamigen In Ihren Foyerfotos passiert das eher dass sie überall sein konnten. Hotels Wolfgang Thaler: Ich mag langsame Hotel auf, dafür aber massiv, mit gro- nicht, darauf sind fast nie Menschen vereinen beide Aspekte: Sie sind ano- Projekte, die wie ein Kochtopf vor sich ßen Wandmalereien. Im Eugen gibt zu sehen. Warum? nym und speziell, sie adressieren die hinblubbern. Gerade als Berufsfoto- es übrigens auch eine der schönsten Thaler: Hotellobbys sind eigentlich Welt, sind aber sehr ortsverwurzelt. graf, wo es oft um kurzfristige Aufträ- Hotelbars. Natürlich wiederholt sich Bühnenräume. Türen und Gänge füh- ge geht, braucht man dieses Parallel- viel Gold und Gustav Klimt, der Gast ren hinter die Bühne, dazu die insze- Was schätzen Sie selbst auf Reisen? Leben mit weitem Zeithorizont. Au- soll Wien nie vergessen. Sogar Stadt- nierten Stiegenaufgänge. Man erwar- Thaler: Je nach Gemütslage Bar oder ßerdem: Wenn ich bewusst 50 oder pläne hängen noch hie und da an der tet immer, dass gleich jemand auftritt. Bett. Eigentlich habe ich keine No- 100 Hotels ausgewählt hätte, wäre das Wand, mehr Symbol als Funktion. Dafür ist Fotografie ein gutes Mittel, Gos, ich schätze dieses kurze Ein- Buch geschmäcklerisch geworden, das Nur ein Hoteltypus scheint absicht- weil sie den Blick auf Dinge richtet, tauchen in ein Setting und kann für hätte mich nicht interessiert. Alle Ho- lich auf jeden Stadtbezug zu verzich- die einem nicht gleich auffallen. Zu ein oder zwei Nächte auch dem unte- tels der Stadt sollten vorkommen, und ten: Seminarhotels. Die sind anonym dieser räumlichen Theatralik kom- ren Ende des Komforts etwas abge- Wolfgang Thaler: sie alle sollten gleich behandelt wer- und gleichmäßig, auch diese Wien-Ab- men noch die Programmplakate für winnen. Das einzig schlimme Hotel- Wien Hotel. Edition Fotohof, den. Immerhin die Hälfte habe ich wesenheit ist interessant. die Wiener Theater in vielen Lobbys. erlebnis hatte ich in Stockholm, dort 2020, 264 S., € 39,– geschafft. war mein Zimmer im Souterrain ohne Gibt es auch antiwienerische Hotels? Die Rezeption und Rezeptionisten sind Fenster! Zwei Nächte lang war es in- Finden Sie die Wien-Bezüge? Aber warum haben Sie keine Thaler: Ich liebe das Marriott am fast nie im Bild, obwohl sie doch die teressant, in der dritten dann nicht Die Foyers der Hotels Touropa, Hotelzimmer oder Gänge fotografiert, Parkring! Diese amerikanische Post- wesentliche Funktion des Empfangs mehr lustig. Domizil, Intercontinental sondern immer nur die Foyers? moderne mit Palmen, und dann die- einnehmen. und des Appartementhotels Thaler: Sie sind der beste Ort in je- ses sehr tiefe Foyer, in das der Besu- Thaler: Das wäre zu einfach gewesen. Die Pandemie hat die Hotellerie Riemergasse (von links) dem Hotel: Es besteht dort ein Span- cher ewig hineingeht! Man ist sofort Die Lobby hat eine Funktion für das schwer getroffen. Ist Ihr Buch eine nungsverhältnis zwischen Stadtraum woanders, das ist vielleicht für Wiener Hotel, ein- und auszuchecken. Für sehnsüchtige Rückschau? FOTOS: und Innenraum. Das gibt es so ähnlich mehr Erlebnis als für den Gast. Viele mich als Fotograf hat sie eine andere. Thaler: Das fing schon während der WOLFGANG THALER auch in Kaffeehäusern, aber die sind Reisende steigen gerne in Hiltons ab, Ich benutze sie wie ein Regisseur, ich Arbeit am Buch an. Ich hatte einen Termin im Hotel Cristall in der Leo- poldstadt ausgemacht, und als ich am zerlege die Räume und baue sie wie- Thaler: Es gibt seit ein paar Jahren mimen. Aber das Beste sind natür- nächsten Tag dort war, räumten sie der zusammen. Das Buch übernimmt diesen Stil der durchgeplanten Pa- lich: Schuhputzmaschinen! Ich ver- die Lobby aus und sagten: Sorry, das eine Vermittlerrolle, die Bilder sind ein tina, den ich Designer-Vintage nen- wende sie immer im Hotel und hät- Hotel gibt’s nicht mehr. Es war über Portal in eine Welt. ne, beim 25 Hours Hotel, beim Hotel te am liebsten eine zuhause. Ich habe Nacht verschwunden. Jeder merkt die- Schani und, etwas subtiler, beim Ho- mir ein Schuhputzmaschinenunter- ser Tage, wie sehr die Hotels fehlen. Haben alle Hotels Ihrem Projekt tel Brillantengrund. Man fragt sich, nehmen als Sponsor für das Buch So wie das Hotel die Stadt braucht, zugestimmt? ob es früher auch schon diese Retro- gewünscht, das hat aber leider nicht braucht auch die Stadt das Hotel. Thaler: Die meisten. Manche fehlen und Nostalgiewellen in der Einrich- geklappt. leider aus diesem Grund im Buch. tung von Hotels gab oder ob Architek- Haben die Hotellobbys also Zukunft? High-End-Hotels wie das Palais Co- ten überhaupt jemals einen zeitgenös- Ihr Buch zeigt auch Spuren von Thaler: Es wird sie immer geben, burg sind zu exklusiv, da kommt man sischen Anspruch hatten. veralteten und vergessenen Foyer aber das Verschwinden der Rezep- nicht hinein. Das Hilton und das de Funktionen wie Schreibstuben und tion zugunsten des Handys macht France haben abgesagt, auch das Hotel Neben den Möbeln gibt es noch Telefonkabinen. mich schon betroffen. Bei manchen Stefanie in der Taborstraße, das ältes- typisches HotelfoyerZubehör. Thaler: Früher gab es auch die Hotel- neuen Boutiquehotels ist der Check- te Hotel Wiens. Oder das Fürst Met- Thaler: Erstaunlich oft tauchen Bücher postkarte! Anfang des 20. Jahrhun- in durchdigitalisiert, dann geht dem ternich in Mariahilf mit seiner tollen als Dekorelement auf. Mal echt, mal derts haben Menschen Postkarten von Gast der Akku aus und er bekommt American Bar. Schade drum. Fototapete von Bücherwänden. Dann Hotellobbys geschickt, mit Fotos der die Tür nicht auf, wie in einer Slap- gibt es diese Wanduhren, die die Zeit Hotellobbys als Motiv. Ich habe diese stickszene in einem Film von Jacques Hotellobbys erzählen auch etwas in New York, London und Tokio an- Karten eine Zeitlang gesammelt, lei- Tati. Dieser schöne Moment des An- über die Zeit ihres Entstehens. Welche zeigen, die sind wohl weniger funk- der ist das Postkartenfoyer weitgehend kommens geht ja ohne Rezeption to- Trends sehen Sie heute? tional, als dass sie Internationalität verschwunden. tal verloren. F
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