Japans Wirtschaft unter der DPJ-Regierung: Zwischen Stillstand und Reform - VSJF

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Japans Wirtschaft unter der DPJ-Regierung:
      Zwischen Stillstand und Reform

                   Japan’s Economy under DPJ Rule:
                    Between Stagnation and Reform

                                   Detlef Rehn

Compared to the 2008/2009 financial crisis, Japan’s economy at present is in a much
better shape. The economy has returned back to a growth path, and many companies
are in the black again. However, the sustainability of this development is somewhat
doubtful. In addition to discrepancies between a fairly good export performance and
a fragile domestic demand, there are new political insecurities due the change of gov-
ernmental power from the Liberal Democratic Party (LDP) to the Democratic Party
of Japan (DPJ).
This paper analyzes the situation of the Japanese economy of early autumn 2010. First,
the main goals of DPJ economic policy are evaluated. Especially in regard to envi-
ronment and climate, the DPJ is much stricter than its LDP predecessors. Second, it
shows how Japan‘s economy will perform in the coming months in the areas of ex-
ports, private consumption and investment. Whereas the future in all of the areas
looks cloudy, the expensive Japanese yen and deflation belong to the biggest problems
the policy makers have to solve. Third, it discusses Japan‘s role in a globalized world,
especially vis-à-vis the emerging economies. More and more, countries like China or
Korea emerge as strong competitors to Japan, fighting successfully for example to win
lucrative infrastructural projects and to secure precious mining resources in the devel-
oping world. Against this background, the proper ways to deal with this situation have
recently become a major topic of attention in Japan.
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1.    Einleitung

Japans Wirtschaft steht im Frühherbst 2010 sehr viel besser als noch vor einem Jahr
da. Die Talsohle nach der großen Finanzkrise ist durchschritten, und die Konjunk-
tur befindet sich wieder auf Wachstumskurs. Auch viele börsennotierte Unterneh-
men schreiben wieder schwarze Zahlen.
   Trotz dieser eigentlich nicht schlechten Lage ist in Japan viel Unsicherheit zu
spüren. Das Wachstum verlangsamt sich zusehends. Die Exporte, die die konjunk-
turelle Erholung wesentlich getragen haben, verlieren an Schwung, da sich der Yen
enorm verteuert hat, und es in wichtigen Abnehmerländern wie China und den
USA viele Fragen zur weiteren konjunkturellen Entwicklung gibt. Die Inlandsnach-
frage, die den Ausfuhrrückgang kompensieren könnte, kommt andererseits nicht
recht in Gang, weil die Deflation noch nicht überwunden ist, die Unternehmen sich
angesichts ungewisser wirtschaftlicher Aussichten bei neuen Investitionen zurück-
halten und der private Verbrauch zu stark von zeitlich begrenzten Maßnahmen aus
Konjunkturpaketen abhängt. Zudem hängt über allem das Schwert einer enorm ho-
hen und weiter steigenden Staatsverschuldung. Ein anderes, allgemeineres Problem
ist, dass sich Japan angesichts der sich verstärkenden Konkurrenz koreanischer und
chinesischer Unternehmen seiner Position im internationalen Wettbewerb nicht
mehr gewiss zu sein scheint und nach Wegen sucht, seine globale Konkurrenzfä-
higkeit zu stärken.
   Zu den wirtschaftlichen Unsicherheiten kommen die politischen Unwägbar-
keiten. Hierzu gehört in erster Linie, dass sich die seit September 2009 regierende
Demokratische Partei Japans (DPJ) bereits in ihrem ersten Jahr an der Macht ange-
sichts von zahlreichen Fehlern, aber auch wegen einer sehr kritischen und teilweise
einseitigen Medienberichterstattung bei einem beträchtlichen Teils der Öffentlich-
keit in die Position einer Partei manövriert hat, die es trotz eines Premierministers
namens Kan ähnlich wie die liberaldemokratische Konkurrenz auch nicht »kann«.
   Nachfolgend sollen vor diesem Hintergrund die angerissenen Fragen näher un-
tersucht werden. Welche wirtschaftlichen Auswirkungen hat der Regierungswech-
sel zur DPJ? Wie ist die derzeitige konjunkturelle Lage des Landes zu beurteilen?
Wie sehen die weltweiten wirtschaftlichen Perspektiven Japans aus?

2.    Die DPJ an der Regierung: Neue Wirtschaftspolitik?

Ende August 2009 errang die DPJ bei den Unterhauswahlen einen überwältigenden
Sieg. Sie löste damit die Liberaldemokratische Partei (LDP) in der Regierung ab,
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die 55 Jahre fast ununterbrochen die Macht ausgeübt hatte. Zwar sind ein Jahr spä-
ter viele der hohen Erwartungen an die neue Regierung einer starken Ernüchterung
gewichen: So hat die DPJ fast schon in der Tradition ihrer liberaldemokratischen
Vorgänger mit Yukio Hatoyama den ersten Premierminister nach wenigen Mona-
ten im Amt »verschlissen«. Dennoch hat die DPJ eine Reihe von neuen Akzenten
gesetzt.
   Einer der wichtigsten Unterschiede zur LDP liegt darin, dass die DPJ zwar auch
die Angebotsseite stärken will, die Wirtschaft aber besonders mit Maßnahmen auf
der Nachfrageseite, vor allem mit direkten Leistungen an die Verbraucher, fördern
will. Im Sinne dieser Ausrichtung erhalten beispielsweise private Haushalte inzwi-
schen ein Kindergeld; ferner können Kinder staatliche Oberschulen kostenlos be-
nutzen. Außerdem wurden unter der Losung »Weg vom Beton« Infrastrukturvor-
haben, so etwa der Bau einiger Talsperren und Dämme, auf ihre Notwendigkeit
überprüft und dabei gestoppt oder auf Eis gelegt.
   Ein in Bezug auf die Industrieentwicklung deutlicher Unterschied ist die im
Vergleich zu den LDP-Vorgängern deutlich stärkere Fokussierung auf den Umwelt-
und Klimaschutz. So verkündete Hatoyama im Herbst 2009, Japan wolle seinen
CO2-Ausstoß bis 2020 um 25% gegenüber 1990 senken. Demgegenüber hatte LDP-
Premierminister Tarō Asō im Frühjahr 2009 eine Senkung von 15% gegenüber 2005
als Ziel ausgegeben; im Vergleich zu 1990 wäre dies eine Reduzierung um nur 8%.
   Auch wenn sehr zweifelhaft ist, dass das neue Klimaziel auf Punkt und Komma
erreicht wird, hat es eine wichtige Signalwirkung. Im Sinne des verschärften Ziels
wurde zum Beispiel zum 01.11.2009 ein noch von der LDP-Regierung ausgearbei-
teter Einspeisetarif in Kraft gesetzt, der die Abgabe überschüssigen Solarstroms
durch private Haushalte an das allgemeine Netz mit 48 Yen/kWh vergütet. Eine
Ausweitung des Tarifs auf andere erneuerbare Energieträger wie Wind oder Bio-
masse ist derzeit in Arbeit. Neben regenerativen Quellen soll daneben zukünftig die
Kernkraft als zentraler Energieträger ausgebaut werden.
   Vor allem Japans Großindustrie, so zum Beispiel die großen Chemiekonzerne
oder die Hersteller von Eisen und Stahl, sieht die klimapolitischen Vorstellungen
der DPJ sehr kritisch, befürchtet sie doch, dass ihre Produktionskosten steigen und
dass sie letztlich weniger wettbewerbsfähig wird (Nikkei Weekly 30.11.2009). An-
dererseits »entdeckt« auch Japans Wirtschaft, dass mit Klimaschutz Geld verdient
werden kann. So hat zum Beispiel die Einführung des Einspeisetarifs für Sonnen-
strom zusammen mit der staatlich geförderten Installierung von Solaranlagen in
Privathäusern Japan zu einem der weltweit interessantesten Märkte von Photovol-
taik gemacht. Daneben wird auch die Forschung und Entwicklung auf dem Ge-
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biet neuer Batterien, von Hybrid- und Elektroautos oder intelligenter Stromnetze
(smart grids) durch die schärferen CO2-Ziele beschleunigt.
   Um Japans Wirtschaft generell wieder voranzubringen, hat die Regierung im
Frühsommer 2010 zwei Langzeitpläne auf den Weg gebracht. Die »Neue Wachs-
tumsstrategie«, die das Kabinett Mitte Juni verabschiedete, legt die großen Lini-
en für die wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklung bis 2020 fest (METI
2010a). Die »Vision zur Industriestruktur 2010«, die das Ministry of Economy,
Trade and Industry (METI) Ende Mai billigte, konkretisiert die allgemeiner gehal-
tenen Ziele der Wachstumsstrategie und benennt die Industriesektoren, mit deren
Hilfe in den kommenden Jahren die Wirtschaftsleistung besonders gesteigert wer-
den und Japans Industrie aus der vom Ministerium eingestandenen derzeitigen
Sackgasse herausgeführt werden soll (METI 2010b).
   Die »Neue Wachstumsstrategie« will das wirtschaftliche Potenzial Japans in einer
Kombination von Maßnahmen sowohl auf der Angebots- als auch auf der Nach-
frageseite entfalten. Sektorale Schwerpunkte sind unter anderem der Umwelt- und
Klimaschutz sowie – übereinstimmend mit den Anforderungen einer schrump-
fenden und alternden Bevölkerung – Medizin, Pflege und die Kinderbetreuung.
Auf der Angebotsseite sollen vor allem die Beschäftigungsmöglichkeiten für Ältere,
Frauen und Jugendliche verbessert werden. Im Hinblick auf die Stärkung der Nach-
frage gilt die Aufmerksamkeit vor allem Produkten und Dienstleistungen in den
Schwerpunktsektoren; aber auch in Bezug auf die Nahrungsmittelsicherheit und
das ökologische Bauen gebe es potenziell einen riesigen Bedarf, heißt es.
   Die »Wachstumsstrategie« soll ferner Japan helfen, noch stärker als bisher an
der wirtschaftlichen Dynamik der asiatischen Schwellenländer teilzuhaben und
nach Möglichkeit die dortigen Entwicklungen zu beeinflussen. So ist unter ande-
rem vorgesehen, Ausrüstungen und Systeme mit Bezug zur Infrastruktur verstärkt
zu exportieren. Darüber hinaus will Japan versuchen, die eigenen Standards auf
bestimmten Gebieten international zu verankern. Schließlich soll auch der Aufbau
einer asiatisch-pazifischen Freihandelszone (Free Trade Area of the Asia-Pacific,
FTAAP) vorangebracht werden. Gerade bei Freihandelsabkommen (FTA) sieht
sich Japan im Rückstand, wie die sehr nervösen Reaktionen in Tōkyō auf den Ab-
schluss eines FTA zwischen der EU und Korea zeigen.
   Die »Vision« des METI fordert, dass sich Japan von seiner jetzigen »einpoligen«,
auf Autos und Elektronik ausgerichteten Industriestruktur löst und stattdessen ein
»mehrpoliges« System aufbaut. Dessen Kernbereiche seien neben Umwelt/Energie
sowie Medizin/Gesundheit/Pflege/Kinderbetreuung auch die erwähnte Ausfuhr
infrastruktureller Produkte, Dienstleistungen und Systeme vor allem in Bezug auf
die Atomkraft, die Wasserwirtschaft und Eisenbahnen, ferner Roboter, Raumfahrt
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und andere Spitzentechnologien sowie schließlich Branchen mit Verbindungen zur
Kultur, wie etwa Mode, Tourismus und Nahrungsmittel.
  Während die Pläne in einer Reihe von Aspekten sehr konkret sind, bleiben andere
Punkte allerdings recht vage. Vor allem die Hinweise auf notwendige Anpassungen
der regulatorischen und institutionellen Rahmenbedingungen sind sehr allgemein
gehalten. Dabei wären gerade Fortschritte auf diesen Gebieten nötig, um Japan als
Zielland für ausländische Direktinvestitionen attraktiver machen.
   Die Reaktion der Privatwirtschaft auf die Wachstumsstrategie sind recht positiv.
Viele Punkte des Regierungsplans decken sich etwa mit den Auffassungen des Kei-
danren, des größten und einflussreichsten Lobbyverbands der Wirtschaft (Nippon
Keidanren 2010). Unterschiede gibt es aber. Zwar halten beide Seiten zum Beispiel
eine Senkung der Körperschaftsteuer für notwendig, da die Unternehmen in Japan
im OECD-Vergleich am stärksten belastet werden. Während aber die Regierung
die Steuer ab dem Fiskaljahr (FJ) 2011 von derzeit etwa 40% nur um fünf Prozent-
punkte reduzieren will, fordert der Keidanren eine Senkung auf 30%.

3.   Japan nach der Wirtschafts- und Finanzkrise

3.1 Wirtschaftsentwicklung bis zum Frühjahr 2010:
    Mit Konjunkturprogrammen und Exporten aus der Talsohle

Das Jahr 2009 war als Ganzes gesehen für Japans Wirtschaft ein »annus horribi-
lis«. Das reale Bruttoinlandsprodukt (BIP) schrumpfte gegenüber dem Vorjahr um
5,2%. Der Index der Industrieproduktion brach um 22,3% ein; die Exporte fielen um
33,1%. Auch bei den privaten Bruttoanlageinvestitionen (-19,2%) und beim privaten
Haus- und Wohnungsbau (-14,2%) war die Negativentwicklung ohne Beispiel.
   Ein Blick auf die Quartalsentwicklung des BIP zeigt allerdings, dass sich Japans
Wirtschaft ähnlich wie andere hochentwickelte Industriestaaten bereits ab etwa
Mitte 2009 sehr vorsichtig zu erholen begann. Hierzu trugen mehrere Faktoren bei
(Kumagai et al. 2009). Zu ihnen zählen vor allem die Belebung der Exporte und
die massiven Konjunkturprogramme der japanischen Regierung. Daneben konn-
ten die heimischen Unternehmen Lagerbestände abbauen. Schließlich deutete sich
an, dass auch die US-Wirtschaft die Talsohle durchschritten und das globale Fi-
nanzsystem die schlimmste Krise hinter sich hatte.
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                         Tabelle 1: Indikatoren der BIP-Entwicklung Japans
 Indikator                       Reale Veränderungen geg. Vorquartal in %
                                 2009                                         2010
                                 1–3         4–6         7–9          10–12   1–3       4–6
 BIP, gesamt                    -4,2         2,5         -0,3         1,0     1,1       0,1
 Priv. Verbrauch                -1,2         1,3         0,6          0,7     0,5       0,0
 Priv. Anlageinvestit.          -9,9        -4,8         -1,8         1,5     0,6       0,5
 Priv. Wohnbauinv.              -7,1        -9,6         -7,2        -2,9     0,3       -1,3
 Öff. Investitionen              4,3         9,5         -1,8        -1,3     -1,2      -3,4
 Exporte                        -24,8        10,4        8,5          5,7     7,0       5,9
 Importe                        -18,0       -5,0         6,3          1,5     3,0       4,3
Quelle: Cabinet Office (2010b).

   Die wichtigsten Konjunkturimpulse kamen von den Exporten. Japan profitierte
vor allem von einem riesigen Stimulierungsprogramm Chinas in Höhe von 4 Bill.
RMB (458 Mrd. Euro), das die Regierung in Beijing im November 2008 auf den
Weg brachte und dessen Schwerpunkt auf der Entwicklung der Infrastruktur lag.
Auch die Maßnahmen Beijings zur Belebung des Binnenkonsums, so unter an-
derem Steuersenkungen bei Autos, kamen Japan entgegen. Parallel zum sich be-
schleunigenden Wirtschaftswachstum Chinas (1. Quartal 2009: +6,1%, 2. Quartal:
+7,9%, 3. Quartal: +8,1%) erhöhten sich die Ausfuhren gerade in den für Japan wich-
tigen Warengruppen: So stiegen zum Beispiel die Lieferungen von Elektronikgü-
tern nach China im zweiten Halbjahr 2009 gegenüber den ersten sechs Monaten
um 33,6% auf 1,46 Bill. Yen; bei Kraftwerksausrüstungen und Industriemaschinen
betrug der Zuwachs 26,4%, bei Chemikalien und pharmazeutischen Erzeugnissen
22,4% und bei Kfz und Kfz-Teilen sogar 67,7%.
   Japans Exportwirtschaft wurde auch durch Stützungsprogramme anderer Län-
der und Regionen begünstigt. So erhöhten sich zum Beispiel die Lieferungen in die
asiatischen Schwellenländer Hongkong, Taiwan, Korea und Singapur im zweiten
Halbjahr 2009 im Vergleich zu den ersten sechs Monaten um 29,4% auf rund 7,2
Bill. Yen. Im Falle der USA wuchsen sie um 27,0% auf 4,89 Bill. Yen. Lediglich die
Exporte in die EU (3,58 Bill. Yen, +13,0%) fielen etwas ab.
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       Tabelle 2: Entwicklung der japanischen Ausfuhren nach wichtigen
  Abnehmerländern/-regionen (in Mrd. Yen, Änderungen jeweils geg. Vorperiode)
                        1. Hj. 2009       2. Hj. 2009        1. Hj. 2010

 USA                    3.486,7          4.886,7             4.960,8
                                         (27,0%)             (1,5%)
 EU                     3.169,3           3.579,9            3.714,8
                                          (13,0%)            (3,8%)
 China                  4.442,3           5.793,3            6.258,3
                                          (30,4%)            (8,0%)
 Asiatische             5.544,1           7.172,6            7.997,0
 Schwellenländer                          (29,4%)            (11,5%)
Quelle: Japanische Zollstatistik.

   Zweiter Träger der Erholung waren die Konjunkturmaßnahmen der japanischen
Regierung, die ab dem Frühjahr 2009 ihre Wirkung zu entfalten begannen. Noch
vom LDP-Kabinett Asō waren im Herbst 2008 die ersten Stützungspakete zur Be-
kämpfung der Wirtschafts- und Finanzkrise mit einem nachfragewirksamen Volu-
men von etwa 12 Bill. Yen auf den Weg gebracht worden. Ihnen folgte angesichts
des tiefen konjunkturellen Einbruchs Ende März 2009 ein noch sehr viel größe-
res Programm, das staatliche Ausgaben von mehr als 15 Bill. Yen vorsah und ein-
schließlich von Garantien und anderen indirekten Hilfen einen Umfang von über
56 Bill. Yen hatte. Auch die neue DPJ-Regierung unter Leitung von Premierminister
Yukio Hatoyama präsentierte Anfang Dezember 2009 ein Konjunkturpaket. Es war
allerdings mit 7,2 Bill. Yen in Form nachfragewirksamer Maßnahmen und einem
Gesamtvolumen von 24,4 Bill. Yen kleiner als das Vorgängerprogramm.
   Das Hauptgewicht der Stützungspakete und anderer Hilfen war, Banken und Un-
ternehmen mit ausreichenden Geldmitteln zu versorgen. So stellte zum Beispiel die
Bank of Japan (BoJ) dem Finanzsektor bis zu 10 Bill. Yen zu einem festen Zinssatz
von 0,1% gegen Sicherheiten wie japanische Staatsanleihen oder Geldmarktpapiere
zu Verfügung. Die staatliche Development Bank of Japan (DBJ) plante im FJ 2009,
rund 2 Bill. Yen für den Ankauf von Geldmarktpapieren bei Großunternehmen
und mittleren Kernbetrieben auszugeben. Das Konjunkturpaket der neuen Regie-
rung sah vor, kleinen und mittelgroßen Unternehmen (KMU) direkt 1,2 Bill. Yen
zukommen zu lassen. Einschließlich indirekter Maßnahmen belief sich der finan-
zielle Unterstützungsrahmen für KMU im Paket auf 10,4 Bill. Yen.
   Realwirtschaftlich stand die Ankurbelung des privaten Verbrauchs im Vor-
dergrund. So wurden noch von der LDP-Regierung im Frühsommer 2009 eine
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Abwrackprämie und steuerliche Erleichterungen beim Erwerb neuer und um-
weltfreundlicher Autos sowie »Ökopunkte« für den Kauf von energiesparenden
Flachbildschirm-Fernsehern, Kühlschränken und Klimageräten eingeführt. Die
neue DPJ-Regierung erweiterte diesen Katalog um ein »Ökopunkteprogramm« für
Immobilien, in dessen Rahmen der Bau energieeffizienter Häuser und Wohnungen
oder nachträgliche Maßnahmen zur besseren Wärmeisolierung des bestehenden
Wohnraums staatlich subventioniert werden.
  Wahrscheinlich haben die Abwrackprämie und das »Ökopunkteprogramm« für
Elektrogeräte den privaten Verbrauch am stärksten belebt. Dies zeigt die Entwick-
lung der Ausgaben der privaten Haushalte für langlebige Konsumgüter. Sie stiegen
ab dem Frühjahr 2009 kräftig an (2. Quartal geg. Vorquartal: +9,3%, 3. Quartal:
+10,5%, 4. Quartal: +8,4%). Seit Anfang 2010 sind die Zuwächse zwar stark zurück-
gegangen; dennoch liegen die absoluten Aufwendungen deutlich über dem Vorkri-
senniveau (Cabinet Office 2010c).

3.2 Die konjunkturelle Lage im Sommer/Herbst 2010: Erneute Fragezeichen
    zur Tragfähigkeit des Aufschwungs

Auch wenn Japans Wirtschaft im Verlauf von 2009 die konjunkturelle Talsohle
durchschritten und der Aufschwung inzwischen immer mehr Sektoren erfasst hat,
zeigt die Konjunktur als Ganzes im Frühherbst 2010 Zeichen einer erneuten Ab-
kühlung. Denn die Erholung der Weltwirtschaft stockt, und dies beeinflusst die
japanischen Ausfuhren. Ferner gibt es viele Befürchtungen, dass das Ende der
Abwrackprämie zum 30.09.2010 den privaten Verbrauch negativ beeinflusst. Die
Autoindustrie fordert angesichts der möglichen nachteiligen Effekte bereits, dass
die Regierung entweder etwas gegen die Aufwertung des Yen unternimmt oder die
Unternehmenssteuern senkt (Nikkei.com 18.08.2010).
   Daneben bereiten auch andere ungelöste Probleme viele Sorgen. Hierzu gehört
neben der Deflation vor allem die unaufhörlich wachsende Staatsverschuldung. Zwar
ist die Lage nicht mit der Griechenlands zu vergleichen, weil Japan unter anderem
hohe Leistungsbilanzüberschüsse hat, die das heimische Fiskaldefizit vollständig
finanzieren; doch werden die finanziellen Spielräume des Staates enger. Dass etwas
gegen die Verschuldung getan werden muss, ist weithin unbestritten. Premiermi-
nister Kan zum Beispiel machte die Verdoppelung der Verbrauchsteuer auf 10%
sogar zu einem Thema der Oberhauswahlen im Juli 2010; allerdings präsentierte
er die Idee nicht als Teil eines Gesamtkonzepts, wie er das Verschuldungsproblem
angehen will, und in welche Richtung sich Japans System der öffentlichen Finanzen
Japans Wirtschaft unter der DPJ-Regierung                                         191

in den kommenden Jahren entwickeln soll (Sakakibara 23.08.2010). Damit trug
die Ankündigung eines an sich richtigen Gedankens noch zu dem Gesamtbild von
Widersprüchlichkeit und teilweise auch Konfusion bei, das viele Aktionen der DPJ
seit Regierungsantritt begleitet, und aufgrund dessen die Partei bei den Oberhaus-
wahlen eine schwere Niederlage hinnehmen musste.
   Die neuesten BIP-Zahlen bestätigen, dass sich Japans Konjunktur wieder ab-
kühlt, und diese Entwicklung verstärkt die ohnehin vorhandene Verunsicherung
über die wirtschaftliche Zukunft des Landes. Wie das Cabinet Office am 16.08.2010
mitteilte, erhöhte sich das reale BIP im Zeitraum von April bis Juni 2010 nur um
0,1% gegenüber dem ersten Quartal (Cabinet Office 2010b). Auf das Jahr hoch-
gerechnet erreichte das Plus 0,4%; dies war deutlich weniger als die 2,3%, die private
Wirtschaftsforschungsinstitute in Umfragen vor Veröffentlichung der Zahlen im
Durchschnitt vorhergesagt hatten.
   Verglichen mit den Vorperioden deuten die Angaben für fast alle BIP-Kompo-
nenten auf Stagnation oder Abschwung. Die Inlandsnachfrage, die noch von Januar
bis März 2010 um 0,5% gegenüber den letzten drei Monaten 2009 zugelegt hatte,
ging im zweiten Quartal um 0,2% zurück. Dabei fiel die Nachfrage des privaten
Sektors um 0,1%: Zwar war etwas Bewegung bei den Anlageinvestitionen (+0,5%)
zu registrieren, doch der private Verbrauch (0,0%) stagnierte, und die Investitionen
in den Haus- und Wohnungsbau gingen um 1,3% zurück. Die staatliche Nachfrage
schrumpfte um 0,5%. Hierfür waren vor allem weiter reduzierte öffentliche Inves-
titionen verantwortlich.
   Aufgrund der schwachen Ergebnisse korrigieren die führenden japanischen
Konjunkturforschungsinstitute ihre Vorhersagen zur Wirtschaftsentwicklung nach
unten. Das Daiwa Institute of Research zum Beispiel geht nun davon aus, dass
das reale BIP im FJ 2010 statt um 2,9% nur noch um 1,8% gegenüber 2009 wächst
(Kumagai et al. 2010).

3.2.1 Ausfuhren schwächen sich ab

In den ersten sechs Monaten 2010 exportierte Japan Waren im Gesamtwert von
knapp 33,1 Bill. Yen. Gegenüber dem gleichen Zeitraum des Vorjahres war dies ein
Anstieg um 37,9%. Schaut man auf die Ergebnisse in den einzelnen Monaten, zeigt
sich jedoch, dass sich die Zuwächse deutlich verlangsamen – im Juli 2010 betrug
das Plus im Jahresvergleich »nur« noch 23,5% – und sich die Ausfuhren auf einem
Niveau von 5,8 Bill. bis 5,9 Bill. Yen eingependelt haben. Ein Hauptgrund hierfür ist
der sehr teure Yen. Eine andere Ursache für die Verlangsamung der Ausfuhren ist,
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dass die großen Konjunkturstützungsprogramme, die viele wichtige Abnehmerlän-
der ihrerseits zur Bekämpfung der Finanzkrise aufgelegt haben, an Kraft verlieren;
außerdem stehen einige Fragezeichen über der wirtschaftlichen Erholung in den
USA und der Entwicklung in Europa vor dem Hintergrund der Griechenland-Kri-
se. Hinzu kommt, dass die chinesische Regierung unter anderem durch eine Politik
des knapperen Geldes seit Anfang 2010 gegen drohende Überhitzungstendenzen in
der Wirtschaft vorgeht. Folge ist, dass Japans Ausfuhren nach China zum Beispiel
von Baumaschinen, Gütern aus NE-Metallen, Kraftwerksausrüstungen und ande-
ren für Infrastrukturprojekte benötigten Erzeugnissen oder von Autos derzeit eine
Obergrenze erreicht zu haben scheinen.
   Trotz der vielen globalen Unsicherheiten muss Japan jedoch nicht mit einem
wirklichen Einbruch seiner Exporte rechnen. So sind die Prognosen zur kon-
junkturellen Entwicklung 2010/2011 in den hochindustrialisierten Staaten und vor
allem in den Schwellenländern immer noch durchweg günstig, auch wenn sich das
Wachstum 2011 gerade in den USA weiter abschwächen dürfte. Vor allem aber bie-
tet die Region Asien, in die mehr als die Hälfte der japanischen Ausfuhren gehen
(2009: 54,1%), auch in der Zukunft allgemein sehr gute wirtschaftliche Perspektiven,
von denen Japan auch weiter profitieren wird. Vor diesem Hintergrund prognos-
tiziert zum Beispiel das MRI, dass Japans Ausfuhren im FJ 2010 gegenüber dem
Vorjahr um 17,4% zulegen werden (MRI 2010).

3.2.2 Unsichere Konsumaussichten

Der private Verbrauch, von dem dank Abwrackprämie und »Ökopunktepro-
gramm« wichtige Impulse für Japans Wirtschaft ausgegangen sind, ist im zweiten
Quartal 2010 wieder ins Stocken geraten. Ein Grund war wahrscheinlich, dass viele
Konsumenten wegen Änderungen im »Ökopunkteprogramm« zum 01.04.2010 den
Kauf eines Flachbildschirm-Fernsehgeräts auf das erste Quartal vorgezogen haben
(MRI 2010: 9). Auch die schwache Börse könnte den Konsum nachteilig beeinflusst
haben.
   Die Aussichten für die weitere Entwicklung des privaten Verbrauchs sind unklar.
Es gibt es sowohl konsumhemmende als auch den Verbrauch fördernde Aspekte.
Negativ schlägt zum Beispiel die immer noch relativ schlechte Verfassung des Ar-
beitsmarktes zu Buche. Im Juli 2010 lag die Arbeitslosenquote bei 5,2%; dabei war
sie in der Gruppe der 15- bis 24-jährigen (9,1%) besonders hoch. Im weiteren Jah-
resverlauf könnte es jedoch unter anderem wegen geplanter Maßnahmen der Re-
gierung zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit insgesamt zu einer Aufhellung
Japans Wirtschaft unter der DPJ-Regierung                                    193

auf dem Arbeitsmarkt kommen; die Zahl der Arbeitslosen bleibt aber wegen der
allgemein wieder unsicheren Wirtschaftsaussichten voraussichtlich immer noch
recht hoch. Die 14 führenden Konjunkturforschungsinstitute Japans sagten in einer
Befragung Ende August 2010 im Durchschnitt für das FJ 2010 eine Arbeitslosen-
quote von 5,0% voraus.
   Die Arbeitnehmereinkommen sind wegen der Finanzkrise kräftig gefallen. Im
Kalenderjahr 2009 wurden im monatlichen Durchschnitt in Unternehmen des ver-
arbeitenden Gewerbes und des Dienstleistungssektors mit mehr als fünf Beschäf-
tigten etwas mehr als 315.000 Yen bezahlt. Dies waren 3,8% weniger als 2008. In
der Industrie allein lag das Minus bei 7,0%. Erst seit dem Frühjahr 2010 zeigen
Löhne und Gehälter aufgrund höherer Unternehmenserträge wieder eine leichte
Aufwärtstendenz. Im Juni 2010 erreichten die durchschnittlichen Einkommen ein-
schließlich Boni knapp 440.000 Yen (+1,8% gegenüber Juni 2009). Dabei stiegen
die Überstundenzahlungen um 12,2% auf rund 17.700 Yen sowie Boni und andere
Sonderzahlungen um 4,1% auf etwa 175.000 Yen; die regulären Löhne und Gehäl-
ter fielen aber gegenüber dem gleichen Vorjahresmonat um 0,2% auf 246.000 Yen.
Hierin drückt sich die Unsicherheit vieler Unternehmen über die weitere wirt-
schaftliche Entwicklung aus.
   Im Detail ist derzeit noch nicht abzusehen, welche Auswirkungen das Ende der
Abwrackprämie zum 30.09.2010 auf den privaten Verbrauch hat. Nicht wenige Be-
obachter gehen davon aus, dass der inländische Pkw-Absatz auf das Niveau des
FJ 2009 (rund 2,9 Mio. Einheiten) zurückfallen könne. Das Daiwa Institute of Re-
search hat errechnet, dass der monatliche Pkw-Absatz ohne Abwrackprämie um
30% auf etwa 280.000 Einheiten sinkt (Kumagai: 2010).
   Zu den konsumfördernden Aspekten gehört zum einen die Verlängerung des
»Ökopunkteprogramms« für energiesparende Elektrogeräte. Es sollte ursprünglich
am 31.12.2010 auslaufen, wurde aber von der Regierung Kan Ende August als Teil
eines neuen Programms zur Stimulierung der heimischen Konjunktur bis zum
31.03.2011 verlängert.
   Partiell konsumstützend können auch die Kindergeldzahlungen wirken, die ab
Juni 2010 angelaufen sind: Dabei erhalten Familien unabhängig von ihrer Einkom-
menssituation für jedes Kind bis zur 3. Klasse der Mittelschule (meist 14 oder 15
Jahre alt) monatlich 13.000 Yen. Im Gegenzug müssen manche Familien jedoch
Einschränkungen bei der steuerlichen Absetzbarkeit von kinderbezogenen Auf-
wendungen in Kauf nehmen. Im Budget für das FJ 2010 sind insgesamt mehr als 2
Bill. für dieses Kindergeld vorgesehen.
194                                                                  Wirtschaft

3.2.3 Investitionsklima uneinheitlich

Ähnlich wie beim Verbrauch zeigt sich auch bei den Investitionen keine einheitliche
Tendenz. Wie die BoJ in ihrem jüngsten »Tankan« von Juni 2010 bekanntgab, wol-
len die rund 4.500 befragten Unternehmen des verarbeitenden Gewerbes in ihrer
Gesamtheit im FJ 2010 für neue Anlagen und Ausrüstungen 2,1% mehr als im Vor-
jahr aufwenden. Grund für dieses geringe Plus sind vor allem die allgemein unsi-
cheren Perspektiven des Binnenmarktes. Während allerdings die Großbetriebe 3,3%
mehr ausgeben wollen, und die mittelgroßen Gesellschaften ihre Aufwendungen
um 4,4% auszuweiten planen, beabsichtigen die kleinen Unternehmen, ihre Inves-
titionen um 7,3% zu reduzieren (Bank of Japan 2010). Im Gegensatz zu größeren
Betrieben, denen es in vielen Fällen gelungen ist, über gesteigerte Exportaktivitäten
aus der Finanzkrise herauszufinden, hängen die kleinen Unternehmen meist sehr
viel mehr vom sich nur zögernd erholenden Binnenmarkt ab.
   Nach einer Umfrage der DBJ zu den Investitionsplänen von Großunternehmen
mit einem Kapital von wenigstens 1 Bill. Yen wollen die erfassten knapp 2.300 Be-
triebe im FJ 2010 ihre Anlageinvestitionen gegenüber 2009 um 6,8% erhöhen; dies
wäre der erste Zuwachs in drei Jahren (DBJ 2010).
   Dabei zeichnet sich das Investitionsverhalten der Unternehmen durch drei
Merkmale aus (DBJ 2010: 1). Erstens seien die Unternehmen dank einer besse-
ren Ertragslage wieder zu mehr Investitionen bereit. Dies gelte vor allem für die
Auto- sowie die Elektro- und Elektronikindustrie. Wie die Nihon Keizai Shinbun
berichtet, lag der kombinierte Vorsteuergewinn der japanischen börsennotierten
Gesellschaften im zweiten Quartal 2010 schon wieder bei etwa 90% des Niveaus der
gleichen Periode 2008, das heißt vor der Finanzkrise. Hierzu haben besonders ag-
gressive Kostensenkungsmaßnahmen und gute Geschäfte in den Schwellenländern
beigetragen (Nikkei.com 16.08.2010).
   Zweitens kommen die Anstöße für Investitionen laut DBJ im verarbeitenden Ge-
werbe von der Erschließung neuer Geschäftsfelder. Hierzu zählen besonders Pro-
dukte und Technologien mit Bezug zu Umwelt- und Klimaschutz, also zum Beispiel
Hybridautos, Batterien, Solarzellen und LED. Im nicht-verarbeitenden Sektor liege
der Akzent auf Investitionen im Infrastruktursektor, vor allem um die Zuverlässig-
keit der Stromversorgung, des Shinkansen- und des Telekommunikationsnetzes zu
sichern.
   Wie die DBJ drittens ermittelte, bauen die Unternehmen vor allem ihre Aus-
landspräsenz aus, während der Zuwachs der inländischen Investitionen deutlich
niedriger liegt. Geografischer Schwerpunkt ist eindeutig Asien, gefolgt von Nord-
amerika und Europa. Hauptmotiv für die Ausweitung der ausländischen Investiti-
Japans Wirtschaft unter der DPJ-Regierung                                      195

onen ist die Erweiterung der Produktionskapazitäten. Im Inland hingegen geht es
in erster Linie um die Entwicklung neuer und die technische Verbesserung beste-
hender Produkte
   Im Gegensatz zu den bekundeten Absichten erhöhten sich die privaten Investiti-
onen als Folge der konjunkturellen Eintrübung im zweiten Quartal 2010 im Durch-
schnitt nur leicht. Ein wichtiger Indikator sind die Bestellungen neuer Maschinen.
Aus dem privaten Sektor gingen zwischen April und Juni 2010 neue Orders (ausge-
nommen sogenannte volatile Orders wie Schiffe und Bestellungen der Stromversor-
gungswirtschaft) im Wert von rund 2,16 Bill. Yen ein; dies waren nur 0,3% mehr als
im Vorquartal (Cabinet Office 2010c).
   In Japans Bauindustrie, einem Schlüsselsektor der Wirtschaft, sieht es insgesamt
schlecht aus, obwohl große Vorhaben in einigen Ballungsgebieten einen anderen
Eindruck vermitteln. Nach den jüngsten Prognosen des regierungsnahen Research
Institute of Construction and Economy (RICE) von Ende Juli 2010 werden die Bau-
investitionen im FJ 2010 nominal rund 39,32 Bill. Yen erreichen (RICE 2010). Dies
wären 6,8% weniger als im Vorjahr. Damit lägen sie auf einem Niveau wie vor etwa
30 Jahren.
   Hauptgrund hierfür ist, dass die Zentralregierung ihre Ausgaben für neue Bau-
projekte drastisch drosselt. Allerdings ist diese Umorientierung angesichts der
großen Bedeutung des Bausektors für Japans Wirtschaft im Allgemeinen und
für das Wohl und Wehe der lokalen Gebietskörperschaften sehr kompliziert und
wahrscheinlich auch langwierig. Ein Indiz hierfür ist, dass auch unter der DPJ der
bereits von den liberaldemokratischen Vorgängern begonnene Bau zahlreicher Tal-
sperren und Dämme fortgesetzt wird, obwohl gerade Kürzungen in diesem Bereich
für wichtig erklärt worden waren.
   Die Regierung setzt aber auch eigene Akzente. Erkennbar ist, dass staatliche
Gelder mehr als früher fokussiert eingesetzt werden sollen. So gibt es zum Beispiel
Planungen, den wichtigsten Inlandsflughafen Haneda wegen seiner günstigen Lage
nahe dem Zentrum Tōkyōs auch zu einer internationalen Drehscheibe auszubauen,
die besonders dem koreanischen Incheon Konkurrenz machen soll.
  Außerdem will die Regierung in den kommenden Jahren die Privatwirtschaft
mehr in Infrastrukturvorhaben einbeziehen. Wie aus einer Strategiediskussion des
Ministry of Land, Infrastructure and Transport (MLIT) von Mitte Mai 2010 hervor-
geht, wird zum Beispiel an die Modernisierung von Bahnhöfen und Bahnhofsvor-
plätzen oder an die Verlegung von Stromkabeln unter die Erde gedacht.
   Im Gegensatz zu den staatlichen Bauaktivitäten sieht es im privaten Wohnungs-
bau wieder etwas freundlicher aus. Im zweiten Quartal 2010 wurde die Errichtung
von rund 195.000 Häusern und Wohnungen aufgenommen; dies waren 4,7% mehr
196                                                                 Wirtschaft

als im Vorquartal. RICE prognostiziert, dass im FJ 2010 mit dem Bau von 860.000
Häusern und Wohnungen begonnen wird und das Ergebnis von 2009 damit um
10,8% übertroffen würde. Vor der Finanzkrise wurde jedoch durchweg der Bau von
mehr als 1 Mio. Wohneinheiten gestartet.

3.2.4 Teurer Yen und Deflation

Der teure Yen und die weiter grassierende Deflation gehören zu den größten Pro-
blemen, denen sich Japans Wirtschaft derzeit gegenübersieht. Die ohnehin schon
länger zu beobachtende Aufwertung des Yen hat sich im Sommer 2010 noch be-
schleunigt. Notierte der Yen zum US-Dollar bis in die zweite Junihälfte durchweg
bei über 90 Yen/$, waren es am 01.09.2010 nur noch 84,02 Yen/$. Seit Anfang 2010
hat der Dollar gegenüber dem Yen rund 9% an Wert eingebüßt. Noch stärker wer-
tete die japanische Landeswährung gegenüber dem Euro auf. Anfang Januar 2010
lag die Relation bei 133,62 Yen/Euro; am 3.9.10 waren es 108,38 Yen/Euro. Dies ent-
sprach einer Aufwertung von fast 19%.
   Es gibt mehrere Ursachen für den Wertzuwachs des Yen (Kumagai et al. 2010: 13).
Zum einen sei die wachsende Yen-Nachfrage auf die erneuten globalen Kreditunsi-
cherheiten zurückzuführen. Gerade in einer solchen Situation sei Qualität gefragt,
die der Yen biete, sei er doch die Währung eines Landes mit Leistungsbilanzüber-
schüssen. An der Flucht in Qualität werde sich auch in der näheren Zukunft nichts
ändern. Zweitens verringere sich der Zinsabstand zwischen Japan und den USA, da
die US-amerikanische Notenbank zur Bekämpfung einer möglichen erneuten Re-
zession die Geldpolitik gelockert habe. Drittens sei die Wahrscheinlichkeit derzeit
nicht sehr hoch, dass die BoJ durch Interventionen versuche, den Wert des Yen zu
drücken. Vor diesem Hintergrund erwartet das Daiwa-Institut, dass der Yen im FJ
2010 durchschnittlich bei 86,8 Yen/$ notiert und im FJ 2011 weiter auf 85,0 Yen/$
klettert. Andere Einrichtungen sind nicht ganz so pessimistisch: So prognostiziert
zum Beispiel das MRI für das FJ 2010 eine durchschnittliche Relation von 88 Yen/$;
im FJ 2011 soll der Yen gegenüber dem Dollar dann wieder etwas an Wert verlieren
(92 Yen/$) (MRI 2010: 13).
  Auch gegenüber dem Euro bleibt der Yen vermutlich teuer. Das Daiwa-Institut
erwartet im FJ 2010 einen Durchschnittskurs von 111,9 Yen/Euro und für das FJ 2011
sogar von 110,0 Yen/Euro voraus.
   Japans Wirtschaft verfolgt diese Entwicklung überwiegend mit Sorge. Nach einer
Umfrage der Teikoku Databank (TDB) unter knapp 23.000 Unternehmen (gültige
Antworten: 11.500) erwarten fast 37% wegen der Aufwertung einen schlechteren
Japans Wirtschaft unter der DPJ-Regierung                                       197

Geschäftsverlauf und geschmälerte Gewinne (Teikoku Databank 03.09.2010).
Betroffen sind in erster Linie exportorientierte Branchen wie die Autoindustrie, der
Maschinenbau sowie die Elektro- und Elektronikindustrie, deren Wettbewerbsfä-
higkeit gegenüber der US-amerikanischen und europäischen Konkurrenz leidet.
Als bedrohlich sieht Japans Ausfuhrwirtschaft ferner die Tatsache an, dass die ei-
gene Währung auch gegenüber dem koreanischen Won stark an Wert zugelegt hat,
und dies gerade auf den von beiden Seiten umworbenen Märkten der Schwellen-
länder weh tut.
   Eine fortgesetzte Aufwertung hätte auch andere Konsequenzen. So dürften vor
allem einige große Unternehmen die Verteuerung des Yen zum Anlass nehmen, die
Fertigung einzelner Produkte ins kostengünstigere Ausland, vor allem nach China,
zu verlagern, auch wenn die Dynamik der dortigen Märkte und die Kundennä-
he ebenfalls eine wichtige Rolle für solch eine Entscheidung spielen (Nikkei.com
31.08.2010). Häuften sich diese Maßnahmen, könnten Arbeitsplätze in Japan in Ge-
fahr sein, sich die Deflation weiter zuspitzen, und im Extremfall möglicherweise
die gesamte industrielle Basis Japans in Frage gestellt sein.
   Der teure Yen hat aber nicht nur negative Seiten. In der TDB-Erhebung zum
Beispiel nannten 7% der Befragten die Yen-Aufwertung »gut für das Geschäft«. Sie
kommen vor allem aus Branchen, die von Rohstoffimporten abhängig sind, so etwa
die chemische Industrie oder der Nahrungsmittelsektor. Auch die finanziellen Be-
dingungen für Fusionen und Übernahmen verbessern sich. Allerdings nutzen die
japanischen Unternehmen diese Möglichkeiten noch längst nicht genügend aus
(Japan Times 02.09.2010).
   Japans Wirtschaft leidet nicht nur unter dem teuren Yen, sie wird auch durch die
Deflation paralysiert. Im Juli 2010 lagen die Verbraucherpreise (ohne frische Le-
bensmittel) um 1,1% unter dem Niveau von Juli 2009. Für das FJ 2010 prognostiziert
das Daiwa-Institut auf Jahresbasis einen Rückgang um 0,9%; im FJ 2009 waren die
Verbraucherpreise noch um 1,6% gefallen. Die negativen Effekte dieser Entwick-
lung sind offensichtlich: In Erwartung immer weiter fallender Preise halten sich die
Konsumenten mit Anschaffungen zurück, und viele Unternehmen sind angesichts
unklarer Preis- und Gewinnaussichten sehr unsicher, wie viel sie investieren sol-
len.
   Die Kombination von teurem Yen und Deflation müsste energische Reaktionen
der politisch und wirtschaftlich Verantwortlichen zur Folge haben, doch statt des-
sen scheint weiterhin eine gewisse Vorsicht und Zurückhaltung vorzuherrschen.
Die Regierung kündigte am 30.08.2010 ein neues Konjunkturpaket an. Es sieht
unter anderem vor, das »Ökopunkteprogramm« für Elektrogeräte und für die um-
weltfreundliche Sanierung von Häusern und Wohnungen zu verlängern. Außer-
198                                                                  Wirtschaft

dem sollen die Beschäftigungsmöglichkeiten für Hochschulabsolventen verbessert
werden. Das neue Konjunkturpaket soll ein Volumen von 920 Mrd. Yen haben
und über Reserven aus dem Haushalt des FJ 2010 finanziert werden. Ein Grund
für diesen im Vergleich zu früheren Paketen recht niedrigen Betrag ist, dass Pre-
mierminister Kan das Paket ohne weitere Schuldenaufnahme finanzieren möchte,
und dass sich die Regierung angesichts der hohen Staatsverschuldung eine stärkere
Rolle der Zentralbank bei der Belebung der Wirtschaft und der Bekämpfung des
teuren Yen zu erhoffen scheint.
   Parallel zur Ankündigung des Konjunkturprogramms gab die BoJ eine erneu-
te Lockerung ihrer Geldpolitik bekannt. Ergänzend zu Dreimonatsdarlehen mit
einem Gesamtvolumen 20 Bill. Yen und einem Zinssatz von 0,1% will sie hei-
mischen Finanzinstituten weitere 10 Bill. Yen als Sechsmonatskredite ebenfalls zu
0,1% zur Verfügung stellen. Kritiker bezweifeln, dass dies ausreicht, die Attraktivi-
tät der japanischen Währung zu verringern und der heimischen Wirtschaft wieder
Schwung zu geben. Zum einen ist das eigentliche Problem der Yen-Aufwertung die
derzeitige Schwäche der US-Wirtschaft. Dass die US-amerikanische Notenbank in
dieser Situation ein großes Interesse an einem teureren Dollar hat, darf bezweifelt
werden. Damit sind aber der BoJ die Hände weitgehend gebunden. Ob es zu di-
rekten Interventionen der japanischen Zentralbank an den internationalen Devi-
senmärkten kommt, ist derzeit sehr unsicher. Um wirklich Erfolg zu haben, müsste
eine solche Maßnahme ohnehin mit den USA, Deutschland und anderen wichtigen
Volkswirtschaften abgestimmt werden.
   Unklar ist auch, ob die Erweiterung des Finanzrahmens iden Binnenmarkt bele-
ben, da sie, so die Absicht, von den Geschäftsbanken an die Wirtschaft in Form pro-
duktiver Kredite weitergereicht werden sollen. Um sich im Inland wieder stärker zu
engagieren, brauchen die Unternehmen überzeugende geschäftliche Perspektiven,
doch deutet das überwiegend schwache Investitionsklima darauf hin, dass viele Be-
triebe ihre Aussichten gegenwärtig nicht sehr gut bewerten.

4.    Japan in der Welt: Sorgen um die Konkurrenzfähigkeit

Das Bild der Weltwirtschaft hat sich in den vergangenen drei Jahrzehnten grund-
legend gewandelt. Die Bedeutung der hochindustrialisierten Staaten nimmt relativ
ab; stattdessen wächst das Gewicht vor allem der Schwellenländer als Triebkraft für
das globale Wachstum, sei es als Produktionsstandort, sei es als Abnehmer von In-
vestitions- und Konsumgütern. China überragt hierbei alle anderen. Hinzu kommt
der sich verschärfende internationale Wettbewerb um Rohstoffe.
Japans Wirtschaft unter der DPJ-Regierung                                      199

   Angesichts dieser Verschiebungen muss sich auch Japan neuen Realitäten stellen,
doch hat sich das Land damit bislang oft schwer getan. So schreibt zum Beispiel die
Nikkei Sangyō Shinbun, die Wettbewerbsfähigkeit japanischer Unternehmen vor
allem gegenüber der koreanischen und zunehmend auch der chinesischen Kon-
kurrenz nehme kontinuierlich ab. Die Zeitung ermittelte, dass japanische Produkte
2009 nur noch in sechs Kategorien (Autos, Industriefahrzeuge wie z.B. Gabelstapler,
Camcorder, Digitalkameras, Plasmabildschirme und weiße LED) die Führungspo-
sition im Weltmarkt hielten. Ein Jahr zuvor hatte Japan noch in sieben Gruppen
vorne gelegen. Gleichzeitig nahmen 2009 koreanische Unternehmen in fünf Kate-
gorien (Flüssigkristall-Fernseher, LCD, OLED-Bildschirme, DRAM, NAND-Flash-
speicher) die erste Stelle ein (Nikkei Sangyō Shinbun, 26.7.2010, S. 8).
   Auch bei der Erschließung neuer Märkte in Schwellen- und Entwicklungslän-
dern hat Japan Defizite. Nach einer Übersicht der Japan External Trade Organiza-
tion (JETRO) waren 2009 fast 69% der japanischen Direktinvestitionen im Ausland
für die hochentwickelten Länder bestimmt; nach China flossen hingegen nur 7,4% ,
nach Mittel- und Südamerika 13,4% (JETRO 2010: 34).
   Im Fall Koreas betrug der Anteil der Direktinvestitionen in entwickelten In-
dustriestaaten dagegen nur etwa 50%; die andere Hälfte der Investitionen floss vor
allem nach China, in die asiatischen Schwellenländer, in die ASEAN-Staaten so-
wie nach Vietnam. China (ohne Hongkong) investierte ganz überwiegend in den
wachsenden Märkten Asiens, Mittel- und Südamerikas sowie in Afrika; Anlagen in
Nordamerika oder Westeuropa hatten 2009 nur einen Anteil von 22,1%.
   Nimmt man die vielen Presseberichte über Auslandsprojekte als Maßstab, inten-
siviert Japans Wirtschaft inzwischen allerdings ihr Engagement in den Schwellen-
ländern und vor allem in China sehr, wobei der teure Yen diese Bemühungen för-
dert. Nach JETRO-Angaben waren 2008 etwas über 5.100 japanische Unternehmen
in China aktiv. Viele von ihnen fertigen dort; derzeit stehen Güter mit niedrigem
und mittlerem Wertschöpfungsgrad noch im Vordergrund. Die Unternehmen
ziehen offenbar jedoch auch die Herstellung von technologisch anspruchsvollen
Erzeugnissen und sogar das Produktdesign zunehmend in Betracht. So gab zum
Beispiel Asahi Glass Anfang April 2010 Pläne bekannt, in China bis 2011 ein Werk
zur Herstellung von LCD-Glasscheiben der 8. Generation bauen zu wollen. Bislang
werden in China nur Scheiben der 5. Generation produziert (Rehn 2010).
   Der sich verschärfende internationale Wettbewerb hat auch Veränderungen
in Organisation und Managementstil der japanischen Unternehmen zur Folge
(Nikkei.com 15.05.2010). So will zum Beispiel IHI, einer der führenden Produ-
zenten von elektrischen Schwermaschinen, bis zum FJ 2012 vier regionale Zentra-
len einrichten, die unabhängig voneinander die Hauptmärkte USA, Europa, China
200                                                                Wirtschaft

und Südostasien steuern. Bislang werden fast alle wichtigen Entscheidungen in Ja-
pan gefällt. IHI will durch die Umorganisation schneller auf Veränderungen in den
Märkten reagieren.
   Die Globalisierung führt darüber hinaus zu einer neuen, sehr viel intensiveren
»Arbeitsteilung« zwischen der japanischen Regierung und der Privatwirtschaft
beim Anwerben von Aufträgen im Ausland. In diesem Zusammenhang hat un-
ter anderem die Entscheidung der Regierung der Vereinigten Arabischen Emirate
Ende 2009, beim Bau eines neuen Kernkraftwerks nicht ein japanisches Angebot
zu berücksichtigen, sondern einem preiswerteren koreanischen Konsortium den
Vorzug zu geben, für viel Aufregung gesorgt. Dabei hatte sich der südkoreanische
Staatspräsident Lee Myung-bak persönlich sehr um das Projekt bemüht.
   Japan sieht sich bislang bei diesem »Neuen Merkantilismus« hinter Ländern wie
den USA, Frankreich, China und Korea zurück (Ekonomisuto 27.4.2010). Aller-
dings setzt sich die DPJ-Regierung im Vergleich zu ihren Vorgängern zumindest
nach außen hin sehr viel mehr für die japanischen Interessen ein. Im Mittelpunkt
stehen große Projekte in der Wasserwirtschaft sowie im Transport- und Energiesek-
tor. Die Regierung übernimmt zum einen die Rolle eines »Türöffners«. Verkehrs-
minister Maehara zum Beispiel reiste im April und Mai 2010 nach Vietnam und in
die USA, um für japanische Eisenbahntechnik für neue Hochgeschwindigkeitszug-
verbindungen zu werben. Außerdem will Tōkyō verschiedene Finanzinstrumente
einsetzen. Entwicklungsländer sollen unter anderem Yen-Darlehen erhalten.
   Ferner hat die japanische Regierung Mitte August 2010 auf Vorschlag der Privat-
wirtschaft neun Schlüsselprojekte in Südostasien ausgewählt, die auf eine mögliche
Realisierung im Rahmen von staatlich-privaten Partnerschaften (public-private
partnership, PPP) geprüft werden sollen. Zu den Vorhaben gehören zum Beispiel
der Bau eines neuen internationalen Flughafens in Ho-Chi-Minh-City, von Was-
serversorgungs- und Abwassersystemen in malaysischen Großstädten sowie von
Einrichtungen zur Abfallbehandlung in Indonesien. Die Projekte haben einen Ge-
samtwert von 900 Mrd. Yen.
   Sehr viel Bewegung ist auch in die japanischen Bemühungen gekommen, die
Versorgung mit »strategischen« Metallen und anderen Rohstoffen zu sichern
(Ekonomisuto 8.6.2010). Viele Produkte, die Japan als entscheidend für seine
technologische und wirtschaftliche Zukunft ansieht, seien es Hybrid- oder Elek-
troautos, Magnetschwebezüge oder Batterien, hängen entscheidend davon ab,
dass zum Beispiele Metalle wie Lithium oder Neodym ausreichend zur Verfügung
stehen. Japan selbst hat keine eigenen Vorkommen und bezieht diese Werkstoffe
derzeit fast vollständig aus China. Wegen der wachsenden Konkurrenz zwischen
Japans Wirtschaft unter der DPJ-Regierung                                       201

beiden Ländern ist Japan aber sehr daran interessiert, neue Bezugsquellen für die
»strategischen« Metalle zu finden.
   Vor diesem Hintergrund betrachtet die Regierung in Tōkyō die geregelte Roh-
stoffversorgung als eine nationale Aufgabe. Noch unter dem Kabinett Asō präsen-
tierte das METI im Juli 2009 eine entsprechende Strategie. Zu den Maßnahmen
gehört unter anderem, den Produzentenländern zu helfen, ihren Bergbau und die
hierzu gehörende Infrastruktur wie Straßen und Eisenbahnen zu entwickeln. Japan
will dies mit Entwicklungshilfemitteln (overseas development assistance, ODA)
finanzieren (Rehn 2009).
   In die Strategie ist neben staatlichen und halbstaatlichen Einrichtungen auch die
Privatwirtschaft eingebunden. Besonders den großen Handelshäusern (sōgō shōsha)
kommt eine wichtige Funktion zu. Itōchu zum Beispiel sucht zusammen mit einen
kanadischen Unternehmen in Alaska nach Nickel und Platin, und Toyota Tsūshō
beabsichtigt, im Rahmen eines Gemeinschaftsunternehmen ab 2012 in Argentinien
Lithium abzubauen.

5.   Schlussbemerkungen

Das Bild, das Japans Konjunktur im Frühherbst 2010 bietet, ist sehr widersprüch-
lich. Zwar hat sich die wirtschaftliche Lage gegenüber der Finanzkrise wesentlich
verbessert, doch kreisen die Diskussionen wie schon früher um die bekannten The-
men, sei es wie die Deflation zu bekämpfen ist, ob die Staatsverschuldung noch
zu kontrollieren ist, und wann es endlich wieder zu einem sich selbst tragenden
Aufschwung kommt. Hieran hat auch die Übernahme der Regierung durch die DPJ
nichts geändert.
   Oberstes wirtschaftspolitisches Ziel der DPJ ist, die privaten Haushaltseinkom-
men zu stärken und die Inlandsnachfrage weniger abhängig von teuren und oft
unnützen Infrastrukturprojekten zu machen. Ein konsequentes Verhalten hat die
Partei bei der Umsetzung dieser Ziele, mit der sie sich grundsätzlich von der LDP
abheben will, bislang allerdings vermissen lassen. So gibt es wie im Wahlprogramm
versprochen ein Kindergeld; ob es aber bis zum FJ 2012 verdoppelt wird, ist offen.
So sind einige Infrastrukturprojekte auf Eis gelegt worden, aber es werden auch
zahlreiche Vorhaben weitergeführt.
   Diese und andere die Öffentlichkeit häufig verwirrenden Gegensätze zeigen sich
auch in der Haltung der DPJ-Führungsriege. Während für Premierminister Kan
Kriterien wie die Finanzierbarkeit der Vorhaben und der Zustand der öffentlichen
Finanzen entscheidend sind, will der ehemalige Generalsekretär Ozawa Japans
202                                                                         Wirtschaft

Wirtschaft unter anderem mit einer Kombination von Konjunkturprogrammen
und direkten Zahlungen an die privaten Haushalte voranbringen. Geld sei genug
vorhanden, meint Ozawa.
   Sehr viel klarer ist die industriepolitische Einstellung der DPJ. Vor allem die Ab-
sicht, den CO2-Ausstoß erheblich stärker als von der LDP geplant zu senken, sorgt
in der Wirtschaft für viel Bewegung. Zwar gibt es gegen die Neuausrichtung beson-
ders in der Großindustrie viele Widerstände, doch erfasst auch Japans Wirtschaft
als Ganzes allmählich das Riesenpotenzial, das mit der umwelt- und klimapoli-
tischen Modernisierung verbunden ist. Die starke Berichterstattung über solche
Themen auch in Zeitungen, die der DPJ nicht immer freundlich gegenüber stehen,
sind ein Indiz hierfür. Ferner deutet die engere Kooperation zwischen Staat und
Wirtschaft etwa beim Export von Kernkraftwerken und Hochgeschwindigkeits-
zügen oder bei der Beschaffung »strategischer« Rohstoffe darauf hin, dass auch
Japan die neuen weltwirtschaftlichen Gegebenheiten begreift. Dass dies ausreicht,
der DPJ angesichts der Halbherzigkeit, mit der viele Probleme angegangen werden,
wieder zu umfassender wirtschaftspolitischer Glaubwürdigkeit zu verhelfen, ist in-
des zu bezweifeln.

Literatur

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