Military Power Revue der Schweizer Armee de l'Armée suisse of the Swiss Armed Forces - ETH Zürich
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Herausgeber: Chef der Armee Nr. 1/2018 Beilage zur ASMZ 6/18 und RMS 3 /18 Military Power Revue der Schweizer Armee de l’Armée suisse of the Swiss Armed Forces
Der Chef der Armee ist Herausgeber der Herstellung: Redaktionskommission: Military Power Revue. Zentrum elektronische Medien ZEM, Urs Gerber Stauffacherstrasse 65/14 Chefredaktor MILITARY POWER REVUE Die Military Power Revue erscheint zweimal 3003 Bern jährlich (Ende Mai und Ende November). 058 464 65 00 Oberst i Gst Daniel Krauer Leiter Militärdoktrin, Armeestab Die hier dargelegten Analysen, Meinungen, Druck: Schlussfolgerungen und Empfehlungen sind galledia ag Oberst i Gst Stephan Kuhnen ausschliesslich die Ansichten der Autoren. Burgauerstrasse 50, Chef Ausbildung HKA Sie stellen nicht notwendigerweise den Stand- 9230 Flawil punkt des Eidgenössischen Departementes Tel. 058 344 96 96 Oberst i Gst Wolfgang Hoz für Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport Chef Doktrin, Luftwaffe (VBS) oder einer anderen Organisation dar. Chefredaktion Military Power Revue: Urs Gerber Die Artikel der Military Power Revue können Internationale Beziehungen Verteidigung unter Angabe der Quelle frei kopiert und wieder- Papiermühlestrasse 20 gegeben werden. Ausnahmen gelten dort, wo 3003 Bern explizit etwas anderes gesagt wird. Tel. +41 58 483 82 36 E-Mail: urs.gerber@vtg.admin.ch Die Military Power Revue ist Beiheft der Allgemeinen Militärzeitschrift ASMZ und der Chefredaktion ASMZ: Revue Militaire Suisse (RMS). Divisionär Andreas Bölsterli Verlag: ASMZ, Brunnenstrasse 7, 8604 Volketswil. Verlag ASMZ Brunnenstr. 7 8604 Volketswil «ZAPAD 2017»: Beurteilung der militärstrategischen Grossübung der russischen und w eissrussischen Streitkräfte 5 Militärischer Nachrichtendienst der Schweizer Armee Russian Aerospace Forces and the Syria Campaign: An A ssessment 18 Eugene Kogan Le renforcement du réseau des Attachés de défense et ses implications 30 Marc-Alain Stritt Task Forces, Kampfgruppen oder Einsatzverbände? Zur Geschichte der Einsatzgliederung militärischer Formationen 39 Daniel Fuhrer Adrian Wettstein Rituale im Militär – F unktion, Fallstricke und Führungsverantwortung 56 Hubert Annen Florian Schnugg Titelbild Der Verteidigungsattaché als Instrument der Sicherheitskooperation (VBS/DDPS).
Vorwort 3 Vorwort Geschätzte Leserinnen und Leser der Military Power Revue In der Schweiz leben wir in Sicherheit und Freiheit. Leider Lassen Sie mich noch kurz auf das Thema Cyber zurück- können nicht alle Menschen in Westeuropa dasselbe sa- kommen. Die primäre Aufgabe der Armee ist es, die eige- gen. Als jüngstes Beispiel sei hier nur der Anschlag in Trè- nen Netze zu schützen. Zu diesem Zweck werden bis 2023 bes bei Carcassone im vergangenen März zu nennen. Der insgesamt 3,4 Milliarden Franken investiert in Rechen- islamistische Terror ist eine Realität, der wir uns stellen zentren VBS/Bund, ins Führungsnetz Schweiz und in die müssen. Und auch wenn wir hierzulande bisher von einem Telekommunikation der Armee. Mit diesen Massnahmen Anschlag verschont geblieben sind, so bleibt doch festzu- härten wir unsere Systeme in einer Art und Weise, dass halten: Die Schweiz ist keine Insel. diese gegen Cyber-Attacken besser geschützt sind. Ziel ist es, die Führungsfähigkeit der Armee über alle Lagen si- Aktuelle Bedrohungen sind neben Terrorismus auch der cherzustellen. Klimawandel – denken Sie an den Bergsturz von Bondo im August 2017 –, Cyber-Attacken, Migrationsströme so- Natürlich brauchen wir dafür Spezialisten. In diesem Som- wie die Rückkehr der Machtpolitik. Für unsere Milizarmee mer startet der erste Cyber-Lehrgang. 15 Rekruten werden heisst das, dass sie kämpfen, schützen und helfen kön- 40 Wochen lang Dienst leisten und unter anderem an der nen muss. ETH in Zürich und der EPF in Lausanne ausgebildet. Sie be- enden den Lehrgang als Wachtmeister und mit einem Eid- Unsere Antwort auf diese aktuellen Bedrohungen ist die genössischen Fähigkeitszeugnis. Ab 2019 führen wir zwei Umsetzung der Weiterentwicklung der Armee. Die beiden Lehrgänge mit je 25 Rekruten durch. Das Ziel ist, dass wir grössten Herausforderungen dabei sind die Alimentierung 2020 rund 400 Milizangehörige eingeteilt haben, welche sowie Erhöhung der Bereitschaft – konkret die Wiederein- die Durchhaltefähigkeit der 200 Profis im Cyber-Bereich führung der Mobilmachung. sicherstellen können. Zum ersten Mal in der Geschichte unserer Milizarmee ist Ans Herz legen möchte ich Ihnen in dieser Ausgabe insbe- genau definiert, was die Armee können muss. Die Politik sondere den Artikel über «ZAPAD 2017» mit der Beurtei- hat sozusagen einen Vertrag mit der Armee abgeschlos- lung der militärstrategischen Grossübung der russischen sen. Wir wissen ganz genau, was von uns erwartet wird. und weissrussischen Streitkräfte sowie die mit den Er- Das Leistungsprofil kann man auch als «contrat opérati- kenntnissen und Lehren verbundenen Konsequenzen für onnel» bezeichnen. Seit 1848 wird damit zum ersten Mal die Schweizer Armee. Hybrides Bedrohungspotenzial ist festgehalten, welche Leistungen die Armee wie rasch er- eine Realität – die Schweiz ist keine Insel. bringen muss. Wir müssen also in der Lage sein, armeerelevante Ereig- Konkret wollen wir innert drei Tagen 8000 Mann und in- nisse zu antizipieren. Dafür brauchen wir Sensoren, Be- nert 10 Tagen bis zu 35 000 vollständig ausgerüstete An- schaffungsmittel und entsprechende Analysefähigkeiten. gehörige der Armee einsetzen können – das ist eine Leis- Zweitens gilt es, die Weiterentwicklung der Armee konse- tung, die heute keine einzige Armee in Europa erbringen quent umzusetzen. Drittens bleibt es notwendig, über Fä- kann. Auch wir können es aber heute nicht – wir benöti- higkeiten der konventionellen Kriegsführung von hoher gen drei Monate, um die Leistungskraft von 15 000 Ange- Intensität zu verfügen. Und viertens müssen wir bereits hörigen der Armee auf den Boden zu bringen. Wir werden heute in der Lage sein, unseren eigenen kritischen Funk- es nur können, wenn wir die WEA umsetzen. Dafür haben tionalitäten zu schützen. Nur so kann die Armee – als ein- wir bis Ende 2022 Zeit. zige strategische Reserve unseres Landes – ihren Auftrag lageunabhängig erfüllen. Die Politik erwartet von der Armee Leistungen – und wir sind verpflichtet, diese zu erbringen. Daran, und daran al- Ich wünsche Ihnen eine spannende Lektüre. leine, werden wir gemessen. Zur Steuerung der Umsetzung der WEA bis Ende 2022 wurde eine detaillierte Umsetzungsplanung erstellt. Mit diesen Standbildern 2018–2022 sollen die geplante Umset- zung der WEA und der jeweilige Fortschritt in den einzel- nen Jahren transparent und nachvollziehbar gemacht wer- den, inklusive der Deltas selbstverständlich. Eine erste Be- Chef der Armee urteilung erfolgt auf Ende 2018. KKdt Philippe Rebord Military Power Revue der Schweizer Armee – Nr. 1 / 2018
4 Editorial Editorial Sehr geehrte Leserinnen und Leser der Military Power Revue In der letzten Ausgabe der Military Power Revue ist auf Risiken und Bedrohungen erfordern gerade auch für einen die komplexe Gemengenlage und die herausforderungsrei- neutralen und allianzunabhängigen Staat wie die Schweiz chen Entwicklungen in Nordostasien hingewiesen worden. ein robustes Netz zu Antizipation, Krisenpräventation Zwischenzeitlich hat sich in dieser volatilen Weltregion und Sicherheitskooperation. Das Aussennetz der Verteidi- eine Dynamik entwickelt, die vordergründig und damit gungsattachés und Militärberater in multilateralen Sicher- auch hoffentlich einen ersten Schritt in die richtige Rich- heitsgremien leistet dazu einen entscheidenden Beitrag. tung bedeutet. Dabei darf aber das beträchtliche Risiko Marc-Alain Stritt zeigt hier auf, vor welchem Hintergrund nicht unterschätzt werden, welches sich aus den komplett und mit welchem Ziel die vom Bundesrat beschlossene Er- divergierenden Interessen und der besonderen Persönlich- weiterung des Netzes umgesetzt werden soll. keit der Hauptakteure summiert. Es geht ja sinnbildlich darum, den Elefanten – das nordkoreanische Nuklear- und Die Schweiz dürfte vermutlich über die höchste Dichte Raketenprogramm – ohne Schäden aus dem Porzellanla- an effektiven und selbsternannten Experten bezüglich den zu bringen. Ein Scheitern auf höchster Ebene könnte der Gliederung von Formationen aller Stufen verfügen. In zu einer unmittelbaren Rückkehr der Spannungen und vergangenen und künftigen Reformschritten sind in der provokativer Konfrontation führen. Dies vor dem Hinter- Regel die letzten Anpassungen in der parlamentarischen grund, dass ein «operationeller Elefant» auch Mitteleuropa Debatte vorgenommen worden, und dies bis hinunter auf und damit die Schweiz bedrohen würde. Stufe Bataillon. Der Beitrag von Daniel Fuhrer und Adrian Wettstein zeigt anhand bekannter Beispiele auf, dass auf Diese Herausforderung wie insbesondere auch zuneh- Einsatz ausgerichtete Streitkräfte spätestens im Hinblick mend feststellbare Verhaltensmuster des überwunden auf den konkreten Einsatz oft als «Kampfgruppen oder geglaubten Kalten Krieges lassen deutlich erkennen, dass Task Force» bezeichnete Formationen auftragsgerecht ad das Bedrohungs- und Risikospektrum für die Schweiz an hoc zusammenstellen. Dies scheint ein gerade auch auf Breite und Tiefe leider nichts eingebüsst hat. Der CdA hat dem modernen, meist volatilen und nicht-linearen Ge- in seinem Vorwort hier deutlich aufgezeigt, weshalb er aus fechtsfeld erfolgsversprechender Ansatz zu sein. diesen Gründen der raschen und umfassenden Umsetzung der WEA höchste Priorität beimisst. Hubert Annen und Florin Schnugg weisen zurecht darauf hin, dass Rituale integrale und auch wichtige Elemente Das Schwergewicht dieser Ausgabe ist deshalb auch auf in der Teambildung aller Stufen darstellen. Während sie das «Revival» von «klassischen» Bedrohungselemen- im Bereich des Sports meist positiv verankert, weiterent- ten ausgelegt. Die seitens des Westens mit grosser Auf- wickelt und entsprechend konnotiert sind, werden ent- merksamkeit verfolgte Grossübung «ZAPAD 2017» russi- sprechende Handlungen oft vor dem gerade herrschen- scher und weissrussischer Streitkräfte hat zwar expan- den Zeitgeist kritisch hinterfragt und manchmal sogar of- sive Befürchtungen glücklicherweise nicht erfüllt, aber fen abgelehnt. Leider hat der Begriff auch eine negative dennoch relevante Erkenntnisse über Selbstverständ- Konnotation erhalten, nicht zuletzt durch Rituale sowohl nis, Doktrin und gesteigerte Fähigkeiten aufgezeigt. im zivilen (u. a. an angelsächsischen und amerikanischen Dies weniger zum oft überstrapazierten Begriff «Hybri- Universitäten) wie militärischen Umfeld ausserhalb der der Krieg», der sich viel ausgeprägter im Syrienkonflikt, Grenzen des Anstandes (z. B. durch Erniedrigung des In- in den Wahlbeeinflussungen sowie dem «Skripal-Fall» in dividuums), die dann über die sozialen Medien trotzdem Grossbritannien manifestiert, sondern dem immer noch an die Öffentlichkeit gelangen. Der Beitrag zeigt hier vor sehr traditionellen russischen militärischen Denken. allem für den militärischen Bereich Lösungsansätze auf, Der Beitrag von Eugene Kogan wirft ein Schlaglicht auf wie Rituale für die Teambildung sinnvoll und gewinnbrin- die jüngsten Entwicklungen und insbesondere auch Fort- gend eingesetzt werden können. schritte der russischen Luftstreitkräfte, was vor dem Hin- tergrund der Risiko- resp. Bedrohungsbewertung bezüg- Ich wünsche Ihnen eine anregende und hoffentlich inter- lich der derzeit laufenden Arbeiten zur schweizerischen essante Lektüre und freue mich auf allfällige Rückäusse- Luftverteidigung der Zukunft relevante Hinweise abge- rungen und Anregungen. ben kann. Das offensichtlich auch bewusst als «Testbed» genutzte russische Engagement im Syrienkonflikt dürfte Der Chefredaktor der Military Power Revue vermutlich dazu führen, dass die erkannten Schwach- Urs Gerber stellen organisatorischer wie technologischer Natur dem- nächst einer Lösung zugeführt werden. Dass damit aber auch die Fähigkeiten und Einsatzerfahrungen gesteigert werden können, sollte sich von selber ergeben. Military Power Revue der Schweizer Armee – Nr. 1 / 2018
«ZAPAD 2017»: Beurteilung der militärstrategischen G rossübung der r ussischen und w eissrussischen Streitkräfte 5 «ZAPAD 2017»: B eurteilung der militärstrategischen Grossübung der russischen und weissrussischen Streitkräfte Die im Herbst 2017 durchgeführte militärstrategische Grossübung «ZAPAD 2017» der rus- sischen und weissrussischen Streitkräfte verdeutlichte einmal mehr die seit mehreren Jahren anhaltende militärische Fähigkeitssteigerung Russlands. Befürchtungen im Vor- feld, wonach Russland die Grossübung im Kontext der gegenwärtigen West-Ost-Span- nungen zur Verschleierung realer Militäraktionen nutzen könnte, haben sich nicht bestä- tigt. Russland hat allerdings durch eine räumlich-zeitliche Zergliederung der Übung erreicht, dass das reale Ausmass von «ZAPAD 2017» nur durch ein Fachpublikum erkannt werden konnte. Die Übung wurde im Informationsraum durch Russland mit einer breit an- gelegten Medienkampagne begleitet. Militärischer Nachrichtendienst (MND) Im vorliegenden Artikel geht es darum, Erkenntnisse aus oder die Ukraine nutzten könnte. So galten beispielsweise der im September 2017 durchgeführten militärstrategi- Teile der Übung «TSENTR 2015» als Vorbereitung für die schen Grossübung der russischen und weissrussischen anschliessende russische Intervention in Syrien. Eine wei- Streitkräfte – «ZAPAD 2017» – abzuleiten. Für die Schwei- tere Befürchtung war die mögliche permanente Stationie- zer Armee können daraus wertvolle Hinweise für die Be- rung von russischen Truppen und/oder Waffensystemen reitschaftssteuerung, Streitkräfteplanung und Ausbildung in Weissrussland nach Ende der Übung. Dies hätte sowohl gewonnen werden. einen weiteren Ausbau der A2/AD-Fähigkeiten (Anti-Ac- cess/Area Denial) als auch die Schaffung zusätzlicher mi- Bei «ZAPAD 2017» handelte es sich nach «VOSTOK 2014», litärischen Handlungsoptionen für die Durchsetzung rus- «TSENTR 2015» und «KAVKAZ 2016» um die vierte militär- sischer Interessen in seiner Einflussphäre zur Folge gehabt. strategische Grossübung der russischen Streitkräfte seit Beginn des Ukraine-Konfliktes im Jahr 2014. Aufgrund ih- rer strategischen Ausrichtung nach Westen und des an- «ZAPAD 2017» gespannten Verhältnisses zwischen der NATO und Russ- land, stellte «ZAPAD 2017» ein bedeutendes Element in Strategische Grossübungen nach dem Rotationsprinzip der Bedrohungsperzeption westlicher Staaten dar. Ent- Die russischen Streitkräfte führen jährlich eine teil- sprechend wurde die Übung medial intensiv thematisiert streitkräfteübergreifende Grossübung durch, bei der das beziehungsweise instrumentalisiert. Seitens der NATO Schwergewicht jeweils abwechslungsweise in einem der wurde dabei befürchtet, dass die Zahl der an der Übung vier Militärdistrikte West, Süd, Mitte oder Ost liegt.1 Die teilnehmenden Soldaten und Zivilpersonen den Umfang in der Regel im September durchgeführten Grossübungen der gemeldeten Truppenstärke von 12 700 Mann weit über- bilden dabei den Abschluss der sommerlichen Übungs- schreiten und über 100 000 Mann umfassen könnte. Ein tätigkeiten und das Ende der Ausbildungsphase für die wesentliches Anzeichen für diese Befürchtung war der Wehrpflichtigen. Dementsprechend hoch ist zu diesem Hinweis, wonach das russische Verteidigungsministe- Zeitpunkt auch das Ausbildungsniveau der russischen rium mehr als 4000 Eisenbahnwagen für Truppen- und Streitkräfte. Entsprechend dem Rotationszyklus wurde Materialtransporte nach Weissrussland habe reservieren die Grossübung 2017 im westlichen Militärdistrikt (WMD) lassen. Da Russland in der Vergangenheit bereits Gross- durchgeführt. «ZAPAD» (russisch für «Westen») ist die Be- übungen dazu verwendet hat, um die Verlegungen mili- zeichnung eines Manövers, das bereits in der Sowjetunion tärischer Mittel und Kräfte sowie die Vorbereitung bevor- regelmässig abgehalten und nach dem Zerfall der UdSSR stehender Operationen zu verschleiern, wurde befürchtet, dass Russland «ZAPAD 2017» als Vorbereitung einer be- grenzten Offensivaktion in die baltischen Staaten, Polen 1 Siehe Abbildung 1. Military Power Revue der Schweizer Armee – Nr. 1 / 2018
6 «ZAPAD 2017»: Beurteilung der militärstrategischen G rossübung der r ussischen und w eissrussischen Streitkräfte Abbildung 1 Grossübungen der russischen Streitkräfte seit 2014. (MND) fortgesetzt wurde. Seit 2009 wird «ZAPAD» im Rahmen Die Konzentration westlicher und russischer einer binationalen Übung zusammen mit den weissrussi- Streitkräfte entlang geopolitischer Bruchlinien schen Streitkräften durchgeführt. – im Fall von «ZAPAD 2017» insbesondere in Kontext: Anhaltende West-Ost-Spannungen der Ostsee – barg damit ein erhöhtes Risiko Die diesjährige Übung fand im Kontext anhaltender Span- einer ungewollten militärischen Eskalation nungen zwischen dem Westen und Russland statt. Nach aufgrund von unerwarteten Zwischenfällen. Veränderung der politischen Ausrichtung der Ukraine in Richtung Westen ist Weissrussland dabei zunehmend in den Fokus geostrategischer Interessen geraten. Insbeson- Entlang der NATO Ostflanke fanden parallel zu «ZAPAD dere aus russischer Sicht wird Weissrussland eine her- 2017» neben verstärkten Aufklärungsaktivitäten (Focused ausragende militärstrategische Bedeutung beigemessen. Collection Activities, FCA) erhöhte Übungstätigkeiten statt, Weissrussland befindet sich im Korridor der osteuropäi- an denen sich insgesamt 17 Nationen beteiligt haben. Es schen Tiefebene und bildet den einzigen noch verbleiben- handelte sich dabei u. a. um die schwedische Gesamtver- den Puffer zur NATO-Ostflanke. 2 teidigungsübung «AURORA 2017» (11.–29.09.2017) sowie die multinationale Marineübung «NORTHERN COASTS Zudem besteht zwischen Russland und Weissrussland 2017» (08.–22.09.2017). Zudem wurde am 28.08.2017 die ein Abkommen, welches die Lufträume beider Nationen eFP (enhanced Forward Presence) der NATO für operatio- verbindet. Daneben unterhält Russland in Weissrussland nell erklärt. Diese sieht die Stationierung von jeweils rund militärische Infrastruktur (zwei Luftwaffenbasen, eine 1000 Soldaten in Estland, Lettland, Litauen sowie in Po- Übermittlungsanlage für die Führung der strategischen len auf Rotationsbasis vor. Die Konzentration westlicher U-Boote sowie eine Radarstation). Schliesslich besteht eine und russischer Streitkräfte entlang geopolitischer Bruch- hohe Interoperabilität zwischen den beiden Streitkräften. linien – im Fall von «ZAPAD 2017» insbesondere in der Ost- Höhere weissrussische Offiziere besuchen in der Regel die- see – barg damit ein erhöhtes Risiko einer ungewollten mi- selben militärischen Lehrgänge wie ihre russischen Kol- litärischen Eskalation aufgrund von unerwarteten Zwi- legen. Aufgrund der dadurch entstehenden Abhängigkei- schenfällen. ten und Möglichkeiten der Beeinflussung wird Weissruss- land oft auch als 5. Militärdistrikt Russlands bezeichnet. Kommuniziertes Szenario Das offiziell kommunizierte Szenario von «ZAPAD 2017» war in Übereinstimmung mit der russischen Militärdok- trin in einen nicht-linearen Konflikt eingebettet und be- 2 Siehe Abbildung 2. inhaltete die Abwehr einer Bedrohung ausgehend von ei- Military Power Revue der Schweizer Armee – Nr. 1 / 2018
«ZAPAD 2017»: Beurteilung der militärstrategischen G rossübung der r ussischen und w eissrussischen Streitkräfte 7 Abbildung 2 Geographische Lage Weissrusslands in der Abbildung 3 Offiziell kommuniziertes Übungsszenario. (MND) osteuropäischen Tiefebene. (MND) nem fiktiven Staat, der im Nordwesten von Weissrussland der offensiven Phase festgestellt werden. So wurden be- liegt. Separatisten dieser fiktiven, von Weissrussland ab- reits zu Beginn der Übung Szenarien trainiert, die für die trünnigen Republik Weyshnoria kämpfen für ihre Unab- konventionelle Kriegsführung typisch sind (u. a. Kampf hängigkeit und destabilisieren dabei die Lage in Weiss- der verbundenen Waffen). Entgegen westlicher Befürch- russland und Kaliningrad. Unterstützung erhalten die Se- tungen hat die Verlegung des bodengestützten Lenkwaf- paratisten von den westlichen Nachbarländern Wesbaria fensystems ISKANDER nach Kaliningrad im Kontext der und Lubenia. 3 Auf dem Höhepunkt des Aufstandes ver- Übung nicht stattgefunden. Im Februar 2018 haben die sucht Weyshnoria zusammen mit Wesbaria und Lubenia, russischen Streitkräfte jedoch die Verlegung von ersten Teile von Weissrussland zu besetzten. Diversions- und Sa- Elementen einer mit ISKANDER ausgerüsteten Raketenbri- botagegruppen führen in Kaliningrad und Weissrussland gade nach Kaliningrad bestätigt. Terroranschläge durch und werden dabei logistisch aus dem Ausland versorgt. Die aktive Phase (LIVEX) von «ZA- PAD 2017» fand vom 14.–20.09.2017 statt und war in zwei Beobachtungen und Erkenntnisse Phasen gegliedert: Führungsorganisation –– Stabilisierungsphase: 14.–16.09.2017; Bei den strategischen Grossübungen geht es im Wesent- –– Offensive Phase: 17.–20.09.2017. lichen um das Testen der Stabsarbeitsprozesse sowie der C24 Strukturen. Dies war auch während «ZAPAD 2017» der Dabei sollten die aufständischen Elemente nach einer Sta- Fall. bilisierungsphase im Rahmen eines Gegenangriffes zer- schlagen werden. Zentrale Führung Es gibt Hinweise, dass die Fähigkeit der zentralen Führung Gemäss offiziellen russischen Angaben sollten sich an der sämtlicher an der Grossübung durchgeführten Operatio- Übung insgesamt 12 700 Soldaten beteiligen (davon 3000 nen durch das Nationale Zentrum für Verteidigungsver- russische Soldaten auf weissrussischem Territorium), wo- waltung in Moskau getestet worden ist. Daraus kann gefol- mit die OSZE-Meldeschwelle von 13 000 Personen knapp gert werden, dass die politischen Entscheidungsträger in unterschritten würde. Moskau durch eine zentrale Führung jederzeit über die di- rekte Kontrolle der Armee als wichtiges Machtinstrument Festgestellte Übungstätigkeiten verfügen und diese wo notwendig rasch einsetzen können. Vorbereitende, mutmasslich mit «ZAPAD 2017» zusam- Weiter kann daraus geschlossen werden, dass die militä- menhängende Übungssequenzen, konnten bereits ab dem rische Kultur der Befehlstaktik bei den russischen Streit- ersten Quartal 2017 festgestellt werden. Die Hauptsequenz kräften trotz Reformen fortgesetzt wird. Dies dürfte auch der Übung (LIVEX) wurde auf Übungsanlagen in Weiss- damit zusammenhängen, dass die russischen Streitkräfte russland, auf dem Gebiet des WMD der Russischen Föde- im Vergleich zu westlichen Armeen über relativ kleine ration inklusive Kaliningrad sowie in den Einsatzgebie- Stäbe verfügen und deshalb weiterhin viele Kompeten- ten der Baltischen, Nord- und Schwarzmeerflotte durch- zen bei der oberen Führungsebene konzentriert werden. geführt. Im Gegensatz zu den strategischen Grossübungen der Vorjahre begann «ZAPAD 2017» nicht mit einer gross Testen des gesamten Sicherheitsverbunds angelegten unangekündigten Überprüfung der Einsatzbe- Während «ZAPAD 2017» wurden mehrere Elemente der reitschaft der Luft- und Weltraumkräfte (VKS). Dafür wur- russischen Gesamtverteidigungskonzeption überprüft. den die fliegenden Verbände zum Teil schon vor der Übung Im Vorfeld der LIVEX wurde das Mobilmachungssystem dezentral auf ihre jeweiligen Einsatzbasen verlegt. Bei den in den Oblasten Kaliningrad und Leningrad umfassend ge- Übungsaktivitäten der Bodentruppen konnte kein wesent- testet und mehrere hundert Reservisten einberufen. Zu- licher Unterschied zwischen der Stabilisierungsphase und 3 Siehe Abbildung 3. 4 Command and Control Military Power Revue der Schweizer Armee – Nr. 1 / 2018
8 «ZAPAD 2017»: Beurteilung der militärstrategischen G rossübung der r ussischen und w eissrussischen Streitkräfte Abbildung 4 Nationales Zentrum für Verteidigungsverwaltung in Moskau. (Sputnik, https://de.sputniknews.com/meinun- gen/20141128270104860-Russlands-neue-Kommandozentrale-Superhirn-mit-eigener-Software-/) dem hat das russische Katastrophenschutzministerium Mit dem Training der streitkräfteübergreifenden eine grossangelegte Krisenreaktionsübung beim Kern- Dimension dürfte eine erhöhte Effektivität kraftwerk Rostow durchgeführt. Beim Übungsszenario der Streitkräfte im Kampf gegen einen konven- soll es sich um eine Kombination von Naturereignissen, feindlichen Handlungen und Systemausfällen gehandelt tionellen regulären Gegner angestrebt werden. haben. Im September 2017 führten schliesslich hunderte fiktive Bombendrohungen (via VoIP 5-Telefonanrufen) zur Evakuierung von rund 100 000 Personen aus öffentlichen Fähigkeiten zur Führung teilstreitkräfteübergreifender Gebäuden im Raum Moskau. Innerhalb einer Woche sol- Operationen len Medienberichten zufolge landesweit in 80 Städten sol- Die Führung wurde teilstreitkräfteübergreifend geübt. che Evakuierungen durchgeführt worden sein. Festzustellen war insbesondere die Zusammenarbeit des Heeres mit den Luftstreitkräften einerseits und der Marine Digitalisierung und Vernetzung sämtlicher Stufen andererseits. Die lufttransportierte Verlegung von Kräften Während «ZAPAD 2017» sollen gemäss Medienberichten sowie amphibische Anlandungen gehörten dabei zu den mehrere moderne C4ISR 6-Systeme getestet worden sein. Übungsinhalten. Mit dem Training der streitkräfteüber- greifenden Dimension dürfte eine erhöhte Effektivität der Bei den Luftlandetruppen wurde einmal mehr das ANDRO- Streitkräfte im Kampf gegen einen konventionellen regu- MEDA-D 7-System (Stufe Division bis Soldat) getestet. Zu- lären Gegner angestrebt werden. dem sollen Teile der Spezialkräfte das STRELETS 8-System eingesetzt haben, welches zum RATNIK-Programm 9 ge- Operationssphäre Luft- und Weltraum hört. Der Trend hin zu einer Digitalisierung der Übermitt- Die Erkenntnisse in diesem Abschnitt beschränken sich lungssysteme konnte damit bestätigt werden. Mit Aus- auf den Luftraum. Es konnten während «ZAPAD 2017» nahme der Spezialkräfte liegt der Fokus dabei allerdings keine von der normalen Lage abweichenden Aktivitäten mehrheitlich auf der operativen Stufe. im Weltraum registriert werden. Zu Beginn der LIVEX wurde ein simulierter Angriff mit sechs Tu-22M3 inkl. Be- gleitschutz auf Kaliningrad geflogen. Dabei dürfte es sich um die Darstellung des Gegners gehandelt haben. Der An- griff wurde durch simulierte boden- und seegestützte Luftverteidigung der Baltischen Flotte abgewehrt. Simu- lierte Luftangriffe mit jeweils zwei Tu-22M3 konnten über der Ostsee in Richtung Bornholm sowie von Olenegorsk über die Norwegische See Richtung Grossbritannien er- 5 VoIP: Voice over IP. kannt werden. Schliesslich kam es zu einem Einsatz von 6 C4ISR: Command, Control, Communications, Computer, Intelligence, Surveil- Tu-22M3 von Olenegorsk in Richtung Arktis. lance and Reconnaissance. 7 ANDROMEDA-D: Führungsinformationssystem (FIS) welches dem Nationalen Zentrum für Verteidigungsverwaltung u. a. Echtzeitinformationen über den Verlegung luftgestützter Mittel auf Einsatzbasen Status der Luftlandetruppen liefert. Ein Luftlandebataillon der 106. Luftlan- dedivision soll bereits vor «ZAPAD 2017» komplett mit dem ANDROMEDA-D Die russischen Luft- und Weltraumkräfte (VKS) verleg- System ausgerüstet worden sein. ten die meisten ihrer an der Übung teilnehmenden luftge- 8 STRELETS: Teil des Ratnik Programms. Das System dient der Übermittlung von Sprach- und Videonachrichten. stützten Mittel bereits vor Mitte September auf Einsatzba- 9 RATNIK: Vorhaben der russischen Streitkräfte zur Modernisierung der Aus- sen, von welchen aus diese ihre Einsätze flogen. Bei der ra- rüstung und Gefechtsführung der Infanterie (auch Future Soldier genannt). Military Power Revue der Schweizer Armee – Nr. 1 / 2018
«ZAPAD 2017»: Beurteilung der militärstrategischen G rossübung der r ussischen und w eissrussischen Streitkräfte 9 Abbildung 5 T-72B3 während einer Übung auf dem Truppenübungsplatz Borisovsky in Weissrussland. (Russianmilitaryanalysis, https://russianmilitaryanalysis.wordpress.com/2017/09/18/zapad-watch-summary-of-an-eventful-day-4/) schen Vorverlegung von ad hoc Kampfflugzeugverbänden bänden, gekoppelt mit Luftverteidigungsmitteln und Ab- wurde die Versorgung zum Teil mit Lufttransportmitteln standswaffen, verschafft den russischen Streitkräften sichergestellt. Tanker wurden nicht primär zur Versorgung einen entscheidenden Vorteil und erhöht in einer Krise die der Kampfflugzeuge in der Luft eingesetzt, sondern zum Handlungsfreiheit Moskaus bei der Durchsetzung nationa- raschen Transport von Treibstoff auf die vorgeschobenen ler Interessen. Der geplante Ausbau der Tankerflotte dürfte Einsatzbasen. Die Kampfflugzeuge wurden dort direkt am damit ein Zeichen für den Fähigkeitsaufbau zur raschen Boden von den Tankern/Transportflugzeugen mit Treib- Durchführung von solchen Operationen setzen (Überra- stoff versorgt. Das Training solcher «Rapid Reaction Pa- schung, Resilienz, Flexibilität). ckages» wurde während «ZAPAD 2017» zum ersten Mal im Rahmen einer Übung beobachtet. Es könnte sich dabei um Logistische Versorgung über weite Distanzen mittels eine neue Fähigkeit handeln, die als Lehre aus den Erfah- Transportfliegerkräften rungen des Syrienkonflikts entwickelt wurde. Mit diesem Die Einsatzmittel der Transportfliegerkräfte (VTA) spiel- Verfahren können ad hoc Kampfflugzeugverbände kleine- ten bei der Versorgung der Einsatzbasen eine substanzi- ren Umfangs sehr schnell in ein Operationsgebiet verscho- elle Rolle. Aufgrund der enormen Distanzen sowie der feh- ben und von improvisierten Basen aus eingesetzt werden. lenden terrestrischen Transportinfrastruktur in Russland sind militärische Aktionen massgebend von den Kapazi- täten der VTA abhängig. Diese Tatsache zeigt sich auch im Rahmen der Luftoperationen in Syrien. Es ist deshalb zu Die schnelle Verlegung von Einsatzverbänden, erwarten, dass die Modernisierung der VTA weiterhin ein gekoppelt mit Luftverteidigungsmitteln und langfristiges Schwergewicht in der russischen Streitkräf- Abstandswaffen, verschafft den russischen teentwicklung darstellen wird. Streitkräften einen entscheidenden Vorteil und erhöht in einer Krise die Handlungsfreiheit Moskaus bei der Durchsetzung nationaler Die trainierten Einsatztaktiken weisen auf die Interessen. Absicht hin, die Fähigkeiten zur Luftkriegsfüh- rung gegen einen konventionell überlegenen Gegner wie der NATO wiederzuerlangen. Die vor Ort benötigte Infrastruktur beschränkt sich in sol- chen Fällen auf ein Minimum. Das Vorverlegen von Ein- satzmitteln erhöht allerdings die Anforderungen an die Komplexe Luftkriegsführung gegen einen ebenbürtigen Logistik. Dagegen kann das Risiko der eigenen Verwund- Gegner zur Erlangung der Luftüberlegenheit barkeit sowie Distanz und Zeit, um Wirkung im Ziel zu Die mit unterschiedlichen Kampfflugzeugtypen ausgerüs- entfalten, reduziert werden, sofern eine entsprechende teten Verbände der VKS trainierten gemeinsam den Luft- Zone vorhanden ist, in welcher dem Gegner der Zugang krieg, um die Luftüberlegenheit lokal zu etablieren. In verunmöglicht werden kann (A2/AD-Zone). Im Vergleich den Übungen konnten Einsatztaktiken festgestellt wer- zu einem zentralisierten Ansatz können mit diesem Kon- den, welche einen offensiven Charakter aufwiesen (z. B. zept zudem Flugstunden reduziert und Ressourcen ge- Abriegelung aus der Luft/ Unterdrückung und Zerschla- schont werden. Die schnelle Verlegung von Einsatzver- gung der gegnerischen BODLUV, Air Interdiction, Beglei- Military Power Revue der Schweizer Armee – Nr. 1 / 2018
10 «ZAPAD 2017»: Beurteilung der militärstrategischen G rossübung der r ussischen und w eissrussischen Streitkräfte tung/Unterstützung von Luftlandeverbänden). Die trai- dingungen und können im Konfliktfall rasch in vorbe- nierten Einsatztaktiken weisen auf die Absicht hin, die reitete Einsatzbasen, auch an der nördlichen Peripherie Fähigkeiten zur Luftkriegsführung gegen einen konven- Russlands, verschoben werden. Es dürfte das Ziel der rus- tionell überlegenen Gegner wie der NATO wiederzuerlan- sischen Streitkräfteführung sein, die Luftlandetruppen als gen. Die Einsatztaktiken integrieren die Erfahrungen aus wichtiges Element zur raschen Krisenintervention in Zu- dem Syrienkonflikt, übertreffen diese jedoch hinsichtlich kunft weiter zu verstärken. deren Komplexität. Kampf der verbundenen Waffen mit Fokus Operationssphäre Boden/Luftlandetruppen auf hohe Feuerkraft Zu den zentralen Übungsinhalten der Bodenkomponente Seitens der Bodenkomponente wurde während «ZAPAD gehörte der Kampf der verbundenen Waffen mit Mot- 2017» schwergewichtig der Kampf der verbundenen Waf- Schützen-, Panzer- und Artillerieverbänden. In der ersten fen trainiert. Dabei wurde die fiktive Gegenseite durch Übungsphase (LIVEX) wurden zudem mit zwei bis drei Ba- Mot-Schützenverbände bekämpft. Während ihren Ak taillonen der Luftlandetruppen Aufklärungselemente der tionen wurden die MotSchützenverbände durch das Feuer fiktiven Gegenseite bekämpft. Drei Divisionen der Luftlan- von Panzer-, Artillerie-, Raketenartillerieverbänden, teil- detruppen (76. 98. 106.) wurden zu Beginn der Übung in weise auch mit Mitteln aus der dritten Dimension, un- Alarmbereitschaft versetzt. terstützt (Close Air Support). Bei einer für ausländische Verteidigungsattachés vorbereiteten Übungssequenz im Bataillonskampfgruppen als zentrales Einsatzelement in Raum Luga konnte bei der dort eingesetzten Truppe ein erhöhter Bereitschaft hoher Ausbildungsstand, sowie eine hohe Risikobereit- Die russischen Streitkräfte haben während «ZAPAD 2017» schaft (sehr nahes Vorbeischiessen) festgestellt werden. 10 einen starken Akzent auf das Trainieren der Stufe Batail- lon/Bataillonskampfgruppe gesetzt. Bataillonskampf- Einsatzverbund verschiedener Systemplattformen gruppen sind in der Regel verstärkte motorisierte Schüt- auf gefechtstechnischer Stufe zen-, Panzer- oder Luftlandebataillone, die aus rund 1000 Während der oben erwähnten Gefechtsübung in Luga Vertragssoldaten bestehen, eine erhöhte Bereitschaft auf- wurde auf gefechtstechnischer Stufe ein heterogener Ein- weisen (einsatzbereit in +/- 24 Stunden oder kürzer), selb- satzverbund präsentiert, in dem unterschiedlichste Sys- ständig operieren können und in der Regel über eine be- templattformen zusammenwirkten. Entgegen dem Trend trächtliche Feuerkraft auf Distanzen bis 100 km verfügen. zur Vereinheitlichung von Plattformen, kann diese Vorge- Zudem können Bataillonskampfgruppen zumindest teil- hensweise – neben den durch das Übungsgelände beding- weise logistisch auf vorgelagerte Materialdepots im Grenz- ten Einschränkungen – unterschiedliche Gründe haben. So raum Russlands zurückgreifen. Die Brigaden sind für die könnte es darum gegangen sein: Sicherstellung der permanenten Bereitschaft der Batail- lonskampfgruppen zuständig. Bisherige Übungen haben –– Durch eine Show of Forces potenzielle Kunden für russi- gezeigt, dass in den meisten Brigaden maximal zwei tak- sche Wehrtechnik zu gewinnen (Präsenz ausländischer tische Bataillonskampfgruppen gebildet werden können. Vertreter); Gründe dafür liegen im allgemeinen Personalmangel so- –– gegenwärtig im Einsatz stehende – teilweise kampf- wie im unterschiedlichen Ausbildungsstand der Truppe. wertgesteigerte – Plattformen im Verbund zu testen; Die Gliederung der Bataillonskampfgruppen wird dem –– Erfahrungen aus aktuellen Konflikten in die Truppen- Auftrag des Verbandes entsprechend angepasst. ausbildung einfliessen zu lassen (Ukraine, Syrien), zu- mal einige der an der Übung beteiligten Systeme in die- Einsatz von Luftlandetruppen als Mittel sen Operationstheatern eingesetzt werden; der ersten Stunde –– ein Zeichen für den zukünftigen Bedarf an vereinheit- Übungen wurden kurz vor, während und nach «ZAPAD lichten Systemplattformen (u. a. ARMATA 11) zu setzen. 2017» mit allen Luftlandedivisionen des WMD durchge- führt. Dabei kann die Qualität der Koordination von Luft- Die Vielfalt an unterschiedlichen Systemplattformen kann landetruppen mit den Luft- und Weltraumkräften (VKS) jedoch auch als Indikator für die Standardisierungspro- sowie den Transportfliegerkräften (VTA) als hoch beurteilt bleme innerhalb der russischen Landstreitkräfte gewer- werden. Abbildung 6 verdeutlicht die Vorgehensweise ei- tet werden, woraus eine Beeinträchtigung der logistischen ner Verlegung von Luftlandetruppen. Bei diesem Vorge- Versorgung, der Durchhaltefähigkeit sowie der Polyvalenz hen steht nicht die taktische Wirkung im Vordergund. Es der eingesetzten Kräfte im Rahmen von Ablösungen abge- geht vielmehr darum, die auf strategischer und operativer leitet werden kann. Stufe eingeforderte Befähigung für eine rasche Verlegung von Einsatzverbänden an die Peripherie oder in truppen- leere Räume sicherzustellen. Um Schlüsselgelände frühzei- tig und überraschend in Besitz nehmen zu können und für Folgeaktionen offen zu halten, wird bei der Bewegungs- form der luftgestützten Umfassung der angreifende Ver- band entweder mit Fallschirmen oder mit Helikopter nahe 10 Im Raum Luga soll ein Helikopter gemäss Medienberichten versehentlich auf dem Angriffsziel abgesetzt. Neben den Luftlandetruppen Zuschauer geschossen haben. Dabei sollen drei Personen verletzt worden sein. Das russische Verteidigungsministerium bestätigte den Vorfall, äus- verfügen auch das Heer und die Marine über Fähigkeiten serte sich jedoch nicht zu Details und bezeichnete im Internet kursierende Filmaufnahmen als Fälschungen. für Luftsturmaktionen. Luftlandetruppen verfügen eben- 11 ARMATA: Fahrgestell für eine Familie von gepanzerten Gefechtsfahrzeugen falls über eine Ausbildung im Kampf unter arktischen Be- des russischen Herstellers Uralwagonsawod. Military Power Revue der Schweizer Armee – Nr. 1 / 2018
«ZAPAD 2017»: Beurteilung der militärstrategischen G rossübung der r ussischen und w eissrussischen Streitkräfte 11 Abbildung 6 Beispiel einer Verlegung mit Lufttransportmittel. (MND) Während «ZAPAD 2017» wurde erstmals die tonbrücke (1 km) über die Wolga im Vorfeld von «ZAPAD Zusammenarbeit zwischen den regulären 2017» zu erwähnen. Streitkräften und der Nationalgarde trainiert. Mögliche Fähigkeitsdefizite im Bereich KIUG Während «ZAPAD 2017» konnten verhältnismässig wenige Ausbildungsinhalte im Bereich des Kampfes im überbau- Integration von paramilitärischen Kräften ten Gelände (KIUG) festgestellt werden. Zudem sollen auch in den nationalen Sicherheitsverbund Simulationssysteme eher marginal zum Einsatz gekom- Während «ZAPAD 2017» wurde erstmals die Zusammen- men sein. Die russischen Landstreitkräfte dürften im Be- arbeit zwischen den regulären Streitkräften und der Nati- reich der Simulationsausrüstung im Vergleich zu westli- onalgarde trainiert. Die Mitte 2016 neu entstandene Natio- chen Armeen tatsächlich eher schwach ausgestattet sein, nalgarde ist als föderales Schutzorgan u. a. für den Schutz was jedoch für das Trainieren des KIUG eine wesentliche der öffentlichen Ordnung, die Bekämpfung von Extremis- Komponente darstellt. Die Realisierung eines geplanten mus und Terrorismus sowie für die Beteiligung an Aufga- Gefechtsübungszentrums in Molina (östlich von Moskau) ben der Territorialverteidigung und des Grenzschutzes zu- wurde aufgrund der Krim-Annexion eingestellt (die deut- ständig. Nach «ZAPAD 2017» dürften die russischen Vertei- sche Rüstungsfirma Rheinmetall hat sich aus dem Projekt digungskräfte nun erste Erfahrungen mit der Integration zurückgezogen). dieses Sicherheitsinstruments in den nationalen Sicher- heitsverbund gesammelt haben. Ballistisches Raketensystem ISKANDER als Element zum Aufbau einer militärstrategischen Drohkulisse Fähigkeiten zur Verschiebung von Verbänden mit Sämtliche ISKANDER-Verbände wurden im Vorfeld von verschiedenen Transportmitteln sowie zur Überwindung «ZAPAD 2017» in Alarmbereitschaft versetzt und absolvier- von natürlichen Hindernissen ten verschiedene Verlegungen sowie elektronische Test- Truppenverlegungen fanden während «ZAPAD 2017» mo- abschüsse. Übungsaktivitäten (Live-Firing) von Raketen- torisiert, per Bahn, maritim und durch Lufttransporte verbänden konnten sowohl im Oblast Leningrad (ISKAN- statt. Wie bereits bei vorgängigen Übungen war über- DER-K, TOCHKA) als auch in Kapustin Yar (ISKANDER-K) dies auch das Verlegen von Pontonbrücken ein wesentli- festgestellt werden. cher Ausbildungsinhalt. Die russischen Streitkräfte müs- sen aufgrund der Grösse des Landes über die Fähigkeiten verfügen, Kräfte über grosse Distanzen, unter Verwendung unterschiedlicher Transportmittel zu verlegen. Aufgrund Zudem kann mit der Verlegung – insbesondere der Tatsache, dass breite Fliessgewässer zu den natürli- des nuklear bestückbaren Flugkörpers – im chen Haupthindernissen der osteuropäischen Tiefebene zählen, beinhaltet diese Fähigkeit auch das Überwinden Verbund mit anderen Machtinstrumenten – im von Hindernissen im Allgemeinen und Flüssen im Spezi- Vorfeld eines allfälligen Konflikts, eine militär- ellen. Exemplarisch hierfür ist die Verlegung einer Pon- strategische Drohkulisse errichtet werden. Military Power Revue der Schweizer Armee – Nr. 1 / 2018
12 «ZAPAD 2017»: Beurteilung der militärstrategischen G rossübung der r ussischen und w eissrussischen Streitkräfte Abbildung 7 Übersetzungsaktion (Symbolbild).( eurodiplomatic, Abbildung 8 Amphibische Landungsaktion in der Ostsee. (Russi- https://europediplomatic.com/2017/09/14/zapad-2017-russian- anmilitaryanalysis, https://russianmilitaryanalysis.wordpress. military-drills/) com/2017/12/22/what-actually-happened-during-zapad-2017/) In der Planung zukünftiger russischer Operationen dürf- deutlichen die intensiven Übungen der Nordflotte einmal ten die mit mobilen ISKANDER-Systemen ausgerüsteten mehr die zunehmende strategische Bedeutung der Arktis. Raketenbrigaden eine wesentliche Rolle spielen, indem diese aufgrund ihrer hohen Mobilität ein Unsicherheits- Schwarzmeerflotte faktor für einen potenziellen Gegner darstellen und dessen Die Schwarzmeerflotte ist insbesondere für die Errich- Handlungsfreiheit einzuschränken vermögen (A2/AD-Zo- tung einer strategischen Bastion im südlichen Abschnitt nen). Zudem kann mit der Verlegung – insbesondere des der russischen Westflanke vorgesehen. Jedoch wurden nuklear bestückbaren Flugkörpers – im Verbund mit ande- auch in diesem Raum Übungssequenzen im Bereich der ren Machtinstrumenten im Vorfeld eines allfälligen Kon- Kräfteprojektion festgestellt. Es ist wahrscheinlich, dass flikts, eine militärstrategische Drohkulisse errichtet wer- die Übungsaktivitäten der Schwarzmeerflotte – im Ver- den. bund mit weiteren Aktivitäten des SMD – einen wesent- lichen Teilbereich innerhalb des strategischen Szenarios Operationssphäre maritimer Raum von «ZAPAD 2017» abgedeckt haben. Es dürfte dabei insbe- Das Schwergewicht der maritimen Übungsaktivitäten im sondere darum gegangen sein, das südliche Dispositiv ent- Kontext von «ZAPAD 2017» fand bei der Baltischen Flotte lang der russischen Westflanke in seiner Verteidigungsbe- und der Nordflotte statt. Dabei wurde ein breites Fähig- reitschaft zu testen. keitsspektrum der konventionellen Seekriegsführung trainiert. Daneben wurde im Vorfeld der aktiven Übungs- Zusammenfassend konnten im Kontext von «ZAPAD 2017» phase auch eine erhöhte Übungsaktivität bei der Schwarz- im maritimen Raum Fähigkeiten zum Schliessen von Lü- meerflotte registriert. cken in einer A2/AD-Zone; für maritime Operationen im arktischen Raum sowie für Joint-Operationen See-Luft Baltische Flotte festgestellt werden. Bei der Baltischen Flotte stand dabei eher die Projektion von Kräften sowie die Abhaltewirkung im Vordergrund Operationssphäre Elektromagnetischer Raum der Übungsaktivitäten. In der Ostsee dürfte insbesondere Die Weiterentwicklung von Fähigkeiten im Bereich der die Tatsache, dass im September die multinationale Übung Elektronischen Kriegführung (EKF) geniesst bei den rus- «AURORA 2017» bzw. die Marineübung «NORTHERN sischen Streitkräften höchste Priorität. Dementsprechend COASTS 2017» stattgefunden hat, den Ausschlag für die wurde den EKF-Aktivitäten auch im Kontext von «ZAPAD eher moderaten Übungsaktivitäten gegeben haben. Die 2017» ein hoher Stellenwert beigemessen. russische Streitkräfteführung dürfte damit dem Risiko für ungewollte militärische Zwischenfälle mit westlichen Ma- Fähigkeiten zum Stören über grosse Distanzen rineeinheiten entgegengewirkt haben. So hat Ende August 2017 der Pressedienst des SMD vermel- det, dass das mobile Störsystem KRASUKHA-4, welches fä- Nordflotte hig ist, Radarsignale von Jagdbombern oder Aufklärern zu Die Manöver im Einsatzgebiet der Nordflotte dienten pri- stören, erfolgreich auf dem Testgelände PRUDBOY im Wol- mär der Sicherstellung einer strategischen Bastion (A2/ gograd Oblast eingesetzt wurde. Während dieses Tests sol- AD-Zone) zu Gunsten der strategischen nuklearen U-Boote len zwei taktische Bomber des Typs Su-34 auf Grund der (SSBN). Die Nordflotte verfügt neben der Pazifikflotte mit Störung nicht mehr fähig gewesen sein, ihre Ziele zu de- den SSBN über einen wesentlichen Teil des russischen tektieren und/oder ihre Luft-Boden-Raketen gegen Ziele Nuklearpotenzials. Die gesteigerten Übungsaktivitäten am Boden einzusetzen. könnten zudem damit zusammenhängen, dass der Stab des 2014 aufgestellten Operativ-Strategischen Komman- Einsatz moderner EKF-Systeme für Störaktionen dos (OSK) der Nordflotte erstmals in dieser Form an einer Gemäss offener Quellen wurde während der Schlussphase strategischen Grossübung teilgenommen hat. Zudem ver- von «ZAPAD 2017» erstmals das RB-109A BYLINA EW-Sys- tem (Stufe Brigade) getestet. Das System soll gemäss un- Military Power Revue der Schweizer Armee – Nr. 1 / 2018
«ZAPAD 2017»: Beurteilung der militärstrategischen G rossübung der r ussischen und w eissrussischen Streitkräfte 13 bestätigten offenen Quellen über «künstliche Intelligenz» Demonstration der Macht und Solidarität im Ernstfall verfügen und selbständig Befehle an sämtliche EKF-Platt- gegenüber Bündnispartnern formen generieren. Dabei werden automatisch die best- Weiter wurde mit dem Übungsszenario wohl auch ein Sig- platzierten Plattformen ausgewählt, um gegnerische Sys- nal an Minsk (sowie anderer GUS/OVKS-Staaten) gesendet, teme zu stören. RB-109A verfügt über selbständige Ei- sich gegenüber Russland loyal zu verhalten respektive in genschutzkapazitäten und kann vollständig autonom der russischen Einflusssphäre zu verbleiben. Das Verhält- eingesetzt werden. Die Beschaffung des Systems soll 2018 nis zwischen Weissrussland und Russland war in der Ver- beginnen. Bis 2025 sollen sämtliche EKF-Brigaden mit dem gangenheit von Spannungen geprägt, wobei Russland den System ausgerüstet sein. Es ist davon auszugehen, dass «Bruderstaat» gelegentlich unter Druck setzte, um dessen die russischen Streitkräfte keine Operation ohne EKF Un- kooperativeres Verhalten gegenüber dem Westen zu unter- terstützung durchführen. Entsprechend dürften die Fähig- minieren beziehungsweise zu bestrafen. Gleichzeitig de- keiten im Bereich der elektronischen Kriegsführung in Zu- monstrierte Russland seinen Bündnispartnern, dass es ge- kunft weiter ausgebaut werden. willt ist, im Ernstfall für seine Verbündeten einzustehen. Bezüglich Weissrussland würde ein solcher Ernstfall ins- Operationssphäre Informationsraum besondere dann eintreten, wenn vom «Westen gesteuerte «ZAPAD 2017» wurde vor, während und nach der LIVEX Kräfte» den weissrussischen Präsidenten Alexander Luka- Phase von einer breit angelegten Informationskampagne schenko absetzten würden. begleitet. Die offiziellen russischen Medien im In- und Aus- land (insbesondere RT und Sputnik) übernahmen dabei Legitimierung des Systems «Putin» eine aktive Rolle im Rahmen der strategischen Kommuni- Die Berichterstattung während «ZAPAD 2017» dürfte kation. Nachfolgend werden die mutmasslichen Ziele er- schliesslich auch der Stärkung der innenpolitischen Le- läutert, welche die politische Führung in Moskau im In- gitimität der russischen Regierung gedient haben. Der formationsraum im Zusammenhang mit «ZAPAD 2017» er- Rückgriff auf vergangene Ereignisse («Grosser Vaterländi- reichen wollte. scher Krieg») und ausgewählte Themen und Symbole aus der Sowjetzeit verdeutlichte dabei die Bemühungen des Machtdemonstration und Abschreckung gegenüber der Kremls, Russlands Nationalstolz wiederherzustellen. Die NATO (und anderen westlich orientierten Staaten) Informationskampagne wurde dazu benutzt, dem heimi- Die mediale Inszenierung von «ZAPAD 2017» dürfte Russ- schen Publikum die Vorteile der «gelenkten Demokratie» land als aussenpolitisches Instrument der Machtdemons- zu veranschaulichen, den Glauben an Russlands zivilisa- tration und Abschreckung gegenüber der NATO (und wei- torische Einzigartigkeit zu festigen und die Diskreditie- terer westlicher Staaten) gedient haben. So wurden mit rung des Westens im eigenen Land voranzutreiben. Die dem kommunizierten Übungsszenario Drittstaaten und westliche Kritik an «ZAPAD 2017» benützte Russland zur Oppositionelle mit Nachdruck daran erinnert, dass Russ- Demonstration des anhaltenden «russischen Feindbildes» land die Einmischung in innere Angelegenheiten (und in im Ausland. Zur Unterstreichung dessen, wurde vermehrt für sich beanspruchte Einflusssphären) nicht toleriert. Mit auch die NATO-Osterweiterung sowie die Verlegung von dem kommunizierten Erfolgsnarrativ («erfolgreiche Zer- NATO-Kräften an Russlands Aussengrenzen zur Sprache schlagung des Feindes») sowie Meldungen über die neu er- gebracht. Der Bevölkerung soll dadurch wohl die Notwen- langte Schlagkraft der Streitkräfte (neue Waffensysteme digkeit eines starken Russlands vor Augen geführt und In- und einsatzerprobte Truppen) sollte das Abschreckungs- vestitionen in die Gesamtverteidigung, trotz anhaltender potenzial unterstrichen werden. Die Reaktionen respek- Ressourcenknappheit legitimiert werden. tive Befürchtungen einiger Staaten betreffend «ZAPAD 2017» haben gezeigt, dass Russland sein Machtpotenzial Operationssphäre Cyberraum glaubhaft demonstrieren konnte. Im Umfeld von «ZAPAD 2017» haben auch im Cyberraum Aktivitäten stattgefunden. Inwieweit diese jedoch in ei- Machtdemonstration und Abschreckung gegenüber nem Zusammenhang mit der Übung gestanden haben, oppositionellen Kräften kann nicht abschliessend beurteilt werden. Es muss je- Mit dem Übungsszenario von «ZAPAD 2017» (Bekämpfung doch davon ausgegangen werden, dass entsprechende separatistischer Kräfte) dürfte wohl auch eine abschre- Aktionen zumindest konzeptionell in die Übung integ- ckende Wirkung gegen innenpolitische Gegner kommu- riert wurden. niziert worden sein. Gerade in autoritären Systemen ist die Kontrolle über die Opposition entscheidend für die Sys- Hacken von Smartphones von NATO Soldaten temstabilität. Sowohl in Weissrussland als auch in Russ- in Osteuropa land kam es 2017 wiederholt zu Demonstrationen, welche Gemäss offener Quellen wurden mutmasslich von russi- durch Systemkritiker organisiert wurden. scher Seite ausgehende Cyber-Angriffe gegen Angehörige der NATO-Bataillonskampfgruppen der enhanced For- ward Presence (eFP) in Estland, Lettland, Litauen und Po- len durchgeführt. Dabei sollen Smartphones von Solda- Weiter wurde mit dem Übungsszenario wohl ten gehackt und geolokalisiert worden sein. Die eFP be- auch ein Signal an Minsk (sowie anderer GUS/ richtete bereits seit Januar 2017 von Fällen, in denen bei OVKS-Staaten) gesendet, sich gegenüber Smartphones von Soldaten Daten entwendet oder gelöscht sowie Applikationen hochgeladen oder manipuliert wur- Russland loyal zu verhalten … den. In diesem Zusammenhang wurde auch über einen Military Power Revue der Schweizer Armee – Nr. 1 / 2018
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