Modellierte Wiederbewaldung im Jahr 2021 und Artenvielfalt im Sömmerungsgebiet - KBNL
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U m w e l t Serie AlpFUTUR Modellierte Wiederbewaldung im Jahr 2021 und Artenvielfalt im Sömmerungsgebiet Beatrice Schüpbach, Thomas Walter, Gabriela Hofer und Felix Herzog Forschungsanstalt Agroscope Reckenholz-Tänikon ART, 8046 Zürich, Schweiz Auskünfte: Beatrice Schüpbach, E-Mail: beatrice.schuepbach@agroscope.admin.ch, Tel. +41 377 73 28 Abb. 1 | Wiederbewaldung im Val Cama. (Foto: ART) Bildlegende letzten 150 Jahre zeigt jedoch grosse Unterschiede zwi- Einleitung schen den einzelnen Staaten des Alpenbogens in Bezug auf den Anteil der Brachflächen. Der Brachanteil liegt Der Strukturwandel in der Berglandwirtschaft führte in zwischen 20 und 70 % der landwirtschaftlich genutzten den letzten Jahrzehnten zu Vergandung und Wiederbe- Flächen (Tasser 2007; Zimmermann et al. 2010). Die Folge waldung. In der Schweiz nahm die Waldfläche zwischen davon ist in vielen Fällen Wiederbewaldung mit negati- 1880 und 2000 um 21 % oder 1940 km2 zu (Ginzler et al. ven Auswirkungen wie Bodenversauerung und Abnahme 2011). Vergandung und Wiederbewaldung sind Phäno- der Artenvielfalt (Tasser und Tappeiner 2007). Auf der mene, welche die gesamten Alpen betreffen. Eine Ana- Basis von Szenarien wurde kleinräumig auch die zukünf- lyse der Landschaftsentwicklung in den Alpen über die tige Landschaftsentwicklung für das Stubaital (Tappei- 280 Agrarforschung Schweiz 4 (6): 280–287, 2013
Modellierte Wiederbewaldung im Jahr 2021 und Artenvielfalt im Sömmerungsgebiet | Umwelt ner et al. 2006) und die Landschaft Davos (Gret-Regamey Im Rahmen des Verbundprojektes AlpFUTUR et al. 2008) modelliert. Rutherford et al. (2008) haben wurde der Einfluss der Wiederbewaldung auf Zusammenfassung Wahrscheinlichkeiten für Landnutzungsäderungen in die Artenvielfalt im Sömmerungsgebiet den Schweizer Alpen modelliert. Die Wahrscheinlichkeit untersucht. Eine Auswertung der Ziel- und der Wiederbewaldung ist dabei ein Aspekt. Leitarten der Umweltziele Landwirtschaft Das AlpFUTUR-Teilprojekt «Biodiversität und Land- (UZL-Arten) für das Sömmerungsgebiet zeigt, schaft» baut auf diesem gesamtschweizerischen Modell dass alle Regionen des Juras und der Alpen auf und modelliert die potenzielle Wiederbewaldung für die Erhaltung der UZL-Arten gleichermas- im Jura und in den Alpen bis 2021. Der vorliegende Bei- sen wichtig sind. Basierend auf einem Modell trag erörtert die voraussichtlichen Auswirkungen dieser mit Wahrscheinlichkeiten zu Landnutzungs- Wiederbewaldung auf Ziel- und Leitarten der Land- änderung wurde die Wiederbewaldung bis wirtschaft. 2021 modelliert. In den «Nördlichen Zent- ralalpen», im Tessin und in Teilen Graubün- Datengrundlagen und Methoden dens beträgt der Anteil der Wiederbewal- dung bis zu 50 %. Für die Erhaltung der Bezugseinheiten UZL-Arten ist zentral, dass lokal die von Sowohl das Vorkommen der UZL-Arten als auch das Auf- Nutzungsaufgabe und Wiederbewaldung treten der Wiederbewaldung sind räumlich heterogen bedrohten artenreichen Flächen ermittelt über den Alpenraum verteilte Phänomene. Dies macht werden und mit einem angepassten Nut- eine Abgrenzung von Bezugseinheiten notwendig. Im zungskonzept deren Offenhaltung sicherge- Rahmen des Projektes «Operationalisierung der Umwelt- stellt wird. Im Jura und in den «Westlichen ziele Landwirtschaft» (Walter et al. 2013) wurden Subre- Nordalpen» beträgt der modellierte Anteil gionen auf Grund von Landschaftstypen, Höhenstufen, der Wiederbewaldung lediglich zwischen Klimabedingungen und modelliertem Artenvorkommen 1 und 5 %. Hier gilt es, auf artenreichen abgegrenzt. Diese wurden zur Beurteilung der Bedeu- Flächen eine extensive Nutzung zu gewähr- tung der Arten im Sömmerungsgebiet herangezogen. leisten, da Intensivierung die UZL-Arten Die Abgrenzung der Subregionen ist in Abbildung 2 dar- ebenso bedroht wie Nutzungsaufgebe und gestellt. Bei der Auswertung der modellierten Wieder- Wiederbewaldung. Legende SR 1.8 SR 2.3 SR 2.6 SR 3.2 SR 4.1 Übrige Subregionen SR 2.1 SR 2.4 SR 2.7 SR 3.3 SR 4.2 0 25 50 100 km Gebiete zwischen 1000 SR 2.2 SR 2.5 SR 3.1 SR 3.4 SR 5.3 und 2000 m. ü. M Abb. 2 | Abgrenzung der Bezugseinheiten zur Auswertung der UZL-Arten: Originale Subregionen. Die Nummerierung der Subregionen (SR) entspricht derjenigen in Tabelle 2. Agrarforschung Schweiz 4 (6): 280–287, 2013 281
Umwelt | Modellierte Wiederbewaldung im Jahr 2021 und Artenvielfalt im Sömmerungsgebiet Legende Regionen gruppiert: Nördliche Bündner Alpen Südliches Tessin Wallis Zentrale Randalpen und Alpentäler Hohe Alpen Nördliche Zentralalpen Tallagen im Wallis Westliche Nordalpen Östliche Nordalpen Hohe Lagen im Faltenjura Südliche Bündner Alpen Tessiner Alpen Westliche Randalpen und Alpentäler Östliche Randalpen und Alpentäler 0 25 50 100 km Übrige Gebiete Abb. 3 | Abgrenzung der Bezugseinheiten zur Auswertung der Wiederbewaldung: Einzelpolygone der Subregionen gruppiert. Die Bezeichnung der gruppierten Polygone entspricht jener in den Abbildungen 4 und 5. bewaldung zeigte sich, dass diese Abgrenzung der Funddaten von nach 1990 basiert. Regionen mit wenig heterogen auftretenden Wiederbewaldung nicht oder keinen Funddaten aus dieser Zeitperiode würden gerecht wird. Das Problem waren insbesondere Sub unterschätzt. regionen, die aus mehreren räumlich getrennten Poly- gonen bestanden, was in einigen Fällen die durch- Ziel- und Leitarten Landwirtschaft schnittliche Wiederbewaldung der Subregion verzerrte. Für die Operationalisierung der «Umweltziele Landwirt- Deshalb wurden die Subregionen in Einzelpolygone schaft» (BAFU und BLW 2008; Walter et al. 2013) wurde aufgetrennt und diese als Bezugseinheiten verwendet. für 15 Artengruppen das potenzielle Verbreitungsgebiet Zur Interpretation der Resultate bezüglich Wiederbe- modelliert und es wurden die ökologischen Bedürfnisse waldung wurden benachbarte Einzelpolygone der und die Verantwortung der Subregion für die einzelne Art Subregionen, mit ähnlicher Tendenz zu Wiederbewal- in einer Datenbank erfasst. Dabei bedeutet «Verantwor- dung wieder zusammengefasst (Schüpbach et al. 2012). tung der Subregion» für eine UZL-Art, dass das potenzielle Abbildung 3 zeigt die Abgrenzung der gruppierten Verbreitungsgebiet der UZL-Art entweder mindestens Einzelpolygone der Subregionen. Im Nachfolgenden 10 % Anteil an der Subregion hat, oder dass der Flächen- werden diese «gruppierte Einzelpolygone» genannt. anteil des potenziellen Verbreitungsgebietes in der Subre- Zur Abschätzung der Auswirkungen der Wiederbewal- gion mindestens 5 % des gesamtschweizerischen poten- dung auf die UZL-Arten, müssten eigentlich die model- ziellen Verbreitungsgebietes der UZL-Art beträgt (Walter lierten potenziellen Verbreitungsgebiete der UZL- et al. 2013). Von den 15 Artengruppen wurden für die Arten mit der Wiederbewaldung überlagert werden vorliegende Studie die sechs im Sömmerungsgebiet arten- und zum Beispiel ausgewertet werden, welcher Anteil reichsten Gruppen berücksichtigt: Gefässpflanzen, Flech- der potenziell in den Subregionen vorkommenden ten, Moose, Pilze, Schmetterlinge und Heuschrecken Arten von Wiederbewaldung betroffen ist. Die Model- (Schüpbach et al. 2012; Walter et al. 2013). lierung des potenziellen Verbreitungsgebietes der ein- Aus der Datenbank wurden alle Arten mit montaner zelnen UZL-Arten lässt aber diese Vorgehensweise und subalpiner Verbreitung ermittelt (Gesamtpotenzial) nicht zu (Schüpbach et al. 2012), weil sie lediglich auf sowie die Zahl der Arten mit montaner und subalpiner 282 Agrarforschung Schweiz 4 (6): 280–287, 2013
Modellierte Wiederbewaldung im Jahr 2021 und Artenvielfalt im Sömmerungsgebiet | Umwelt Tab. 1 | Änderungsraten der verschiedenen Landnutzungskategorien zwischen der Arealstatistik 1979/85 und 1992/97 als Basis zur Model- lierung der Wiederbewaldung Änderung zu: Verbuscht [%] Offener Wald [%] Geschlossener Wald [%] Ursprüngliche Nutzung Intensiv genutzte Wiese 0,11 0,25 0,13 extensiv genutzte Wiese 1,60 0,63 0,27 Verbuscht 3,9 8,70 Offener Wald 7,60 Verbreitung, für welche die Region eine hohe Verant- der Sömmerungsflächen erstellt. Dazu wurde die wortung hat. Mit der Einschränkung auf die montane modellierte Wiederbewaldung mit den oben beschrie- und subalpine Stufe wurde sichergestellt, dass die benen Einzelpolygonen der Subregionen und dem berücksichtigten UZL-Arten im Sömmerungsgebiet vor- Digitalen Höhenmodell (DHM25 ©Eidg. Vermessungs- kommen. Mit diesen Auswertungen wurde abgeklärt, direktion, DV002207.1) überlagert. Anschliessend ob die Subregionen bezüglich Gesamtpotenzial und Ver- wurde für jedes Einzelpolygon der Anteil Wiederbe- antwortung im Sömmerungsgebiet alle gleich wichtig waldung berechnet. sind, oder ob es grosse Unterschiede zwischen den Regi- onen gibt. Resultate Modellierte Wiederbewaldung Ziel- und Leitarten Landwirtschaft Im Projekt WaSAlp (Baur 2004) wurde ein umfassendes Tabelle 2 zeigt, dass viele Subregionen einen beträchtli- Modell zur Wahrscheinlichkeit von Landnutzungsände- chen Anteil Sömmerungsgebiet haben. Ausserdem bieten rungen (sowohl Intensivierung wie Extensivierung) sie alle für eine grosse Zahl an UZL-Arten Lebensraum erstellt. Es basiert auf den beobachteten Landnutzungs- (Gesamtpotenzial zwischen 642 und 1028 Arten). Für rund änderungen zwischen der Arealstatistik 1979/85 und der die Hälfte dieser Arten tragen die jeweiligen Subregionen Arealstatistik 1992/97 sowie Daten zu Bodeneigenschaf- hohe Verantwortung (244 bis 672 Arten). Die Verteilung ten, Klima, Relief und Distanzen zu Strassen und Siedlun- der Grösse der Subregionen, ihres Sömmerungsgebietsan- gen (Rutherford et al. 2008). Für die vorliegende Studie teils und ihrer Artenzahlen zeigt, dass eine Priorisierung wurden die Teile, welche die Wiederbewaldung beschrei- der Subregionen auf Grund der Arten deshalb kaum mög- ben (Landnutzungsänderungen von «extensiv» oder lich ist. In grossen Subregionen finden sich nicht unbe- «intensiv genutzter Wiese» zu «Verbuschung», «Offe- dingt mehr Arten als in kleinen Subregionen. Ein im Ver- nem Wald» oder «Geschlossenem Wald») verwendet gleich zu einer anderen Subregion hohes Gesamtpotenzial und zu einem Datensatz aggregiert. Dieser Datensatz bedeutet nicht unbedingt, dass auch die Zahl der Arten, enthält für jede Wiederbewaldungskategorie («Verbu- für welche die Subregion hohe Verantwortung trägt höher schung», «Offener Wald» und «Geschlossener Wald»), ist und umgekehrt. Für die Erhaltung der UZL-Arten die Rasterzellen mit der höchsten Wahrscheinlichkeit für braucht es alle Regionen gleichermassen. eine Landnutzungsänderung gemäss dem ursprüngli- Geht man davon aus, dass die einzelnen UZL-Arten chen Modell von Rutherford et al. (2008). Diese Zellen mehr oder weniger gleichmässig über die Subregionen, wurden gemäss der Änderungsrate der einzelnen Land- in welchen sie vorkommen, verteilt sind, sagt der Anteil nutzungskategorien (siehe Tabelle 1) extrahiert. Der der Wiederbewaldung direkt etwas über die Gefähr- entstandene Datensatz beschreibt die Wahrscheinlich- dung der UZL-Arten durch Wiederbewaldung aus. Es keit der Wiederbewaldung bis 2009. Dieser Datensatz gibt jedoch auch viele UZL-Arten mit punktueller Ver- wurde mit Hilfe der bis Herbst 2012 vorhandenen Daten breitung. Im nachfolgenden Kapitel sind die Verteilung der Arealstatistik 2004/09 auf seine Qualität überprüft. der Wiederbewaldung und ihre Auswirkungen auf die Anschliessend wurde unter Berücksichtigung der UZL-Arten beschrieben. doppelten Änderungsrate (Tab. 1) die Wiederbewal- dung für das Jahr 2021 modelliert. Daraus wurde der Modellierte Wiederbewaldung Anteil der Wiederbewaldung an den Einzelpolygonen Auswertungen der modellierten Wiederbewaldung mit im Sömmerungsgebiet (zwischen 1000 und 2000 m ü. der Arealstatistik 2004/09 haben gezeigt, dass die Wie- M). berechnet sowie eine Zeitreihe der Entwicklung derbewaldung gemäss Modell (originale Änderungs- Agrarforschung Schweiz 4 (6): 280–287, 2013 283
Umwelt | Modellierte Wiederbewaldung im Jahr 2021 und Artenvielfalt im Sömmerungsgebiet Tab. 2 | Subregionen der höheren Lagen in den Alpen und im Jura mit ihrem Gesamtpotenzial an Umwelt Ziel- und Leitarten für die Land- wirtschaft (UZL), ihrer Verantwortung für diese Arten sowie dem Anteil des Sömmerungsgebietes an der Gesamtfläche der Subregion. B erücksichtigte Artengruppen: Gefässpflanzen, Flechten, Moose, Pilze, Tagfalter, Heuschrecken. Die Namen und Nummern der Subregionen entsprechen derjenigen in Walter et al. (2013) Anteil Sömme- Potenzial Anz. Arten, für welche die Fläche rungsgebiet montan oder Region hohe Verantwor- Gesamt- UZL Grossregion UZL Subregion (SR) gemäss subalpin tung trägt (montan oder region LW-Zonenplan [Anzahl Arten] subalpin) [km2] [%] Mittelland, tiefe Lagen im Jura Chablais (SR 1.8) 763 394 142 1 Berglandschaften der nördlichen Alpen Randalpen (Klippenzone) und mit- 980 491 4121 80 telhohe Nordalpen (SR 2.1) Hohe Nordalpen, Faulhorn, Titlis, Alpen Clariden, Kärpf, Tödi, Pizol, mittlere 770 304 3167 96 Bündner Alpen (SR 2.2) Hohe Zentralalpen, westliche und Alpen 962 350 3328 97 nördliche Walliser Alpen (SR 2.3) Hohe Engadiner Alpen Alpen 642 268 2119 93 (SR 2.4) Alpen Unterengadin, Val Müstair (SR 2.5) 694 424 928 84 Bergell, Puschlav, mittlere Lagen Alpen der Tessiner Alpen 863 405 1826 74 (SR 2.6) Alpen Südöstliche Walliser Alpen (SR 2.7) 761 244 1265 99 Hoher westlicher Jura, Molassehügelland, nördliche Al- 974 399 3806 13 tiefe Lagen in den Alpen pentäler (SR 3.1) Hoher westlicher Jura, Tallagen des Vorderrhein, Hinter- 813 445 811 13 tiefe Lagen in den Alpen rhein u. der Landquart (SR 3.2) Hoher westlicher Jura, Molassebergland, Rigi, Sihlsee, 659 271 682 48 tiefe Lagen in den Alpen Speer, Hochalp (SR 3.3) Hoher westlicher Jura, Hohe Lagen im Faltenjura 811 468 1127 44 tiefe Lagen in den Alpen (SR 3.4) Tiefe Lagen im Wallis Tallagen im Wallis (SR 4.1) 1022 672 843 4 Tiefe Lagen im Wallis Talflanken im Wallis (SR 4.2) 1028 589 1230 61 Südlicher Alpenrand Südliches Tessin (SR 5.3) 674 459 268 1 rate) in der Höhenstufe zwischen 1000 und 2000 m ü. M., den «Nördlichen Zentralalpen», in den «Tessiner Alpen», der für das Sömmerungsgebiet relevanten Höhenstufe, im Oberengadin, Bergell, Puschlav und in Teilen der die Wiederbewaldung tendenziell überschätzt. Dies gilt «Nördlichen Bündner Alpen» («gruppierte Einzelpoly- insbesondere für die modellierte «Verbuschung» (Schüp- gone‘», Abb. 3) ist die Wiederbewaldung am höchsten – bach et al. 2012). im Extremfall bis über 50 % (dabei handelt es sich aller- Abbildung 4 zeigt die Anteile der modellierten Wie- dings um ein kleines Einzelpolygon). Die Aufteilung in derbewaldung bis 2021 (doppelte Änderungsrate) in «Verbuschung» «Offener Wald» und «Geschlossener den «gruppierten Einzelpolygonen». Die «Wiederbewal- Wald» gibt für den Artenschutz zusätzliche Information. dung insgesamt» (oben links) wird durch den «Geschlos- Während der «Geschlossene Wald» den auf offenes senen Wald» (oben rechts) dominiert. Dieser kommt im Grasland spezialisierten UZL-Arten keinen geeigneten gesamten Alpenraum und auch im Jura vor, wobei die Lebensraum bietet, ist dies bei «Verbuschung» und Anteile generell im südlichen und im östlichen Teil der «Offenem Wald» noch bedingt der Fall. So zeigen zwei Alpen höher als im nordwestlichen Teil oder im Jura. In Studien, dass die Artenvielfalt bei mässiger Verbuschung 284 Agrarforschung Schweiz 4 (6): 280–287, 2013
Modellierte Wiederbewaldung im Jahr 2021 und Artenvielfalt im Sömmerungsgebiet | Umwelt Wiederbewaldung insgesamt Geschlossener Wald Legende Anteil von Wiederbewaldung betroffene Fläche < 1% >= 10 % – 20 % >= 1 % – 5 % >= 20 % – 50 % >= 5 % – 10 % >= 50 % Unter 1000 oder über 2000 m.ü.M 0 25 50 100 Verbuschung Offener Wald Abb. 4 | Anteile von Wiederbewaldung, «Geschlossenem Wald», «Verbuschung» und «Offenem Wald» an der Fläche zwischen 1000 und 2000 m ü. M der Einzelpolygone. sogar höher sein kann als ohne Verbuschung (Koch et al. che von 1979/85 schon kleiner ist als der prognostizierte 2012; Walter et al. 2007). Das bedeutet allerdings, dass Anteil von 2021. Hier hat das Modell die Wiederbewal- die Verbuschung kontrolliert werden muss. Gemäss dung in Bezug auf die Sömmerungsweiden unterschätzt. Modellierung findet Verbuschung vor allem in den «Nördlichen Zentralalpen«, in den «Tessiner Alpen» und Diskussion in Teilen der «Nördlichen Bündner Alpen» statt, mit Anteilen zwischen 1 bis 5 %, im Extremfall bis 10 %. Die Die Wahl der Bezugseinheiten ist für die Bearbeitung die- Ausbreitung des «Offenen Waldes» konzentriert sich auf ses Themas der zentrale Punkt. Da die Wiederbewaldung die «Tessiner Alpen», das Bergell und das Oberengadin, ein heterogenes Phänomen ist, darf die Bezugseinheit für sowie auf einzelne Teile der «Nördlichen Bündner Alpen» deren Auswertung nicht zu gross sein und sollte sich ins- (Anteile 1 bis 5 %). Auch hier kann eine kontrollierte Ent- besondere nicht über mehrere, räumlich getrennte Poly- wicklung des «Offenen Waldes» einen Teil der UZL- gone erstrecken. Die Bezugseinheiten der UZL-Arten wie- Arten vielleicht erhalten. derum müssen der Ausbreitung und den ökologischen Abbildung 5 zeigt die Entwicklung der Sömmerungs- Bedürfnissen der Arten gerecht werden. Eine weitere Ein- weiden zwischen 1979/85 und 2004/09 sowie die Prog- schränkung ist die Begrenzung auf die Höhenstufe 1000 nose für 2021 als Anteil der Fläche der Sömmerungswei- bis 2000 m ü. M. Die jüngste Auswertung des Bundesam- den gemäss Arealstatistik 1979/85. Die Ergebnisse sind tes für Statistik zeigt, dass der grösste Zuwachs der Wald- aufgeschlüsselt nach den «gruppierten Einzelpolygo- fläche zwischen 1992/97 und 2004/09 auf der Höhenstufe nen» (Abb. 3). Hier zeigt sich wiederum das räumlich zwischen 2200 und 2400 m ü. M. stattfand (BFS 2012). heterogene Bild: In einigen Fällen nimmt der Anteil an Dies erklärt auch, warum in gewissen Regionen die Söm- der Fläche von 1979/85 wie erwartet kontinuierlich ab. merungsflächen schon 2004/09 stärker von Wiederbewal- In anderen Fällen («Hohe Lagen im Faltenjura», «Zent- dung betroffen waren als gemäss Modell vorhergesagt. rale Randalpen» und Alpentäler» oder «Westliche Rand alpen und Alpentäler») nimmt er zwischen 1992/97 und Schlussfolgerungen 2004/09 wieder zu. In den «Westlichen Nordalpen», den «Nördlichen Bündner Alpen», im «Südlichen Tessin», den Die Ergebnisse zeigen, dass Wiederbewaldung sowohl «Tessiner Alpen» und den «Tallagen im Wallis» ist der in im Jura wie im gesamten Alpenraum bis 2021 zuneh- der Arealstatistik 2004/09 beobachtete Anteil an der Flä- men wird. Allerdings sind die regionale Unterschiede Agrarforschung Schweiz 4 (6): 280–287, 2013 285
Umwelt | Modellierte Wiederbewaldung im Jahr 2021 und Artenvielfalt im Sömmerungsgebiet Tallagen im Wallis Südliches Tessin Tessiner Alpen Wallis Nördliche Bündner Alpen Nördliche Zentralalpen Hohe Alpen Westliche Nordalpen Östliche Randalpen und Alpentäler Östliche Nordalpen Westliche Randalpen und Alpentäler Anteil Prognose 2021 Zentrale Randalpen und Alpentäler Anteil 2009 Hohe Lagen im Faltenjura Anteil 1997 50 55 60 65 70 75 80 85 90 95 100 Abb. 5 | Entwicklung der Fläche der Sömmerungsweiden gemäss Arealstatistik 1979/85, 1992/97 und 2004/09 sowie der Prognose für 2021 gemäss der modellierten Wiederbewaldung als Anteil der Fläche von 979/85. Einzelpolygone gruppiert; die Fläche von 1979/85 entspricht 100 %. gross: Gemäss Modell werden die höchsten Anteile an spielt. Intensivierung wirkt sich auf die Mehrzahl der Wiederbewaldung in den «Nördlichen Zentralalpen», UZL-Arten genauso negativ aus wie eine Nutzungsauf- im «Tessin» und in Teilen des Kanton Graubünden (Ber- gabe. Walter et al. (2013) haben gezeigt, dass neben der gell, Oberengadin, Puschlav und Teile Nordbündens) Tal- und Hügelzone auch in der Bergzone I und II der vor- erwartet. geschlagene Soll-Anteil an artenreichen Flächen nicht Auch wenn die zur Verfügung stehenden Daten die erreicht wird. eigentlich erforderliche Überlagerung und Bilanzierung Wenn die in der Bergzone III und IV sowie im Söm- von Arten und Wiederbewaldung nicht zuliess, kann merungsgebiet noch in genügendem Mass vorhande- man für die Ziel- und Leitarten der Landwirtschaft aus nen Flächen mit UZL-Qualität erhalten werden sollen, den vorliegenden Resultaten doch zwei Schlüsse ziehen: sind entsprechende Anstrengungen notwendig. Schlei- Zum einen kommen Ziel- und Leitarten der Landwirt- chende Intensivierung ist ebenso zu unterbinden wie schaft in allen Regionen in grosser Zahl vor, so dass alle unkontrollierte Vergandung. Entsprechende Anreize Regionen für die Erhaltung der UZL-Arten und die Errei- werden von der Agrarpolitik gesetzt, indem zukünftig chung der Umweltziele wichtig sind. Zum anderen ist auch im Sömmerungsgebiet Biodiversitätsförderflächen Wiederbewaldung nicht in allen Regionen gleichermas- angemeldet werden können. Es wird sich zeigen, ob sen ein drängendes Problem. In Regionen mit hohem diese Massnahme dazu beiträgt, die Umweltziele Land- modellierten Wiederbewaldungsanteil (Tessin, Zentrale wirtschaft zu erreichen. n Nordalpen, Graubünden) ist der Offenhaltung grössere Beachtung zu schenken. Flächendeckende Wiederbe- waldung führt nicht nur zu Kulturlandverlust, sondern auch zu einem Verlust an Arten- und Landschaftsvielfalt und ist deshalb zu vermeiden (Tasser und Tappeiner 2007). Deshalb sind in diesen Regionen lokal diejenigen artenreichen Flächen zu eruieren, die von Nutzungsauf- gabe und Wiederbewaldung stark betroffen sind. Für diese Flächen ist ein angepasstes Nutzungskonzept zu www.alpfutur.ch erarbeiten. Demgegenüber ist den von Wiederbewaldung wenig betroffenen Gebieten («Westlichen Nordalpen» und «Jura») die Erhaltung einer extensiven Nutzung insbe- Dank Die Studie ist Teil des Teilprojektes 5 «Landschaft» von AlpFUTUR und wurde sondere auf den artenreichen Flächen vorrangig, wäh- durch Armasuisse Immobilien, der Sophie und Karl Binding Stiftung, der Ricola AG rend «Offenhaltung» eine eher untergeordnete Rolle und den Kanton Graubünden finanziell unterstützt. 286 Agrarforschung Schweiz 4 (6): 280–287, 2013
Modellierte Wiederbewaldung im Jahr 2021 und Artenvielfalt im Sömmerungsgebiet | Umwelt Delineati l'avanzamento del bosco nel 2021 e la Modelled forest regrowth in 2021 and biodiversity biodiversità nella regione d'estivazione in alpine summer pastures Riassunto Summary Nell'ambito del progetto collettivo AlpFUTUR è The influence of forest regrowth on biodiversity in stato analizzato l'influsso dell'avanzamento del alpine summer pastures was investigated as part of bosco sulla biodiversità nella regione d'estiva- the joint research project AlpFUTUR. An evaluation zione. Una valutazione delle specie bersaglio e of the target and indicator species of the faro degli obiettivi ambientali nell'agricoltura agriculture-related environmental objectives (specie degli OAA) per la regione d'estivazione (AEO species) for the alpine summer pastures mostra che tutte le regioni del Giura e dell'arco shows that all regions of the Jura and the Alps are alpino sono importanti per il mantenimento of equal importance for the conservation of AEO delle specie degli OAA. Sulla base di un modello species. Forest regrowth up to 2021 was estimated probabilistico di modifiche dell'utilizzo dei on the basis of a model describing probabilities of terreni è stato delineato l'avanzamento del land-use change. In the «North-Central Alps», the bosco fino al 2021. Nelle «Alpi centro-settentrio- Tessin and parts of Graubünden, the percentage of nali», in Ticino e in parte dei Grigioni la quota forest regrowth can be as high as 50 %. For the dell'avanzamento del bosco arriva fino al 50 per conservation of AEO species, it is crucial for the cento. Per la salvaguardia delle specie degli species-rich meadows and pastures threatened by OAA è fondamentale che a livello locale siano abandonment and forest regrowth to be identified individuate le superfici ricche di specie minac- locally, and for a locally adapted land-use concept ciate dalla cessazione della gestione e dall'avan- to ensure that they remain under agricultural zamento del bosco e sia garantita la loro management. In the Jura mountains and in the preservazione con un piano di utilizzazione «Northwestern Alps», the percentage of modelled adeguato. Nel Giura e nelle «Alpi nord-occiden- forest regrowth is only between 1 and 5 %. Here, it tali» la quota dell'avanzamento del bosco is important to ensure extensive (i.e. low-input) stimata si aggira soltanto tra l'1 e il 5 per cento. land use on species-rich land, since intensification Si tratta pertanto di garantire un'utilizzazione threatens the AEO species as much as abandon- estensiva sulle superfici ricche di specie, in ment and forest regrowth. quanto l'intensificazione minaccia le specie degli OAA allo stesso modo della cessazione Key words: forest re-growth, impact on species, della gestione e dell'avanzamento del bosco. Swiss Alps, summer pastures, Swiss land-use statistics, modeling. Literatur ▪▪ Tappeiner U., Tasser E., Leitinger G. & Tappeiner G., 2006. Landnutzung ▪▪ BAFU & BLW (2008). Umweltziele Landwirtschaft. Bern: Bundesamt für in den Alpen: historische Entwicklung und zukünftige Szenarien. In: Die Umwelt BAFU und Bundesamt für Landwirtschaft BLW. Alpen im Jahr 2020 (Ed. R. Psenner und R. Lackner). innsbruck university ▪▪ Baur P., 2004. 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