Motion betreffend Offenlegung der Finanzierung von Parteien, Wahl- und Abstimmungskomitees - Stadt Thun

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Motion betreffend Offenlegung der Finanzierung von Parteien, Wahl- und Abstimmungskomitees - Stadt Thun
GEMEINDERAT

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Stadtratssitzung vom 18. März 2021                                    Motion M 1/2021

Motion betreffend Offenlegung der Finanzierung von Parteien, Wahl- und
Abstimmungskomitees
SP-Fraktion, Fraktion Grüne/JG vom 22. Januar 2021; Beantwortung

Wortlaut der Motion

Der Gemeinderat wird beauftragt, dem Stadtrat im Rahmen einer Teilrevision der Stadtverfassung
Bestimmungen für eine transparente Politikfinanzierung vorzulegen. Die Teilrevision soll mindes-
tens folgende Aspekte umfassen:

1. Gesetzliche Grundlage für eine Offenlegungspflicht für alle finanziellen Beiträge und alle geld-
   werten Leistungen an politische Parteien, Kampagnenkomitees, persönliche Wahlkomitees und
   sonstige Organisationen, die sich an kommunalen Abstimmungs- und Wahlkämpfen sowie Wah-
   len beteiligen. Zu den finanziellen Beiträgen zählen insbesondere Spenden und sonstige Zuwen-
   dungen.
2. Ausgenommen von Punkt 1 sind die Stadtratswahlen. Verpflichtend ist die Angabe des Global-
   budgets der politischen Parteien, jedoch nicht der summierten, individuellen (Klein)beträge.
   Ausnahmen sind Zuwendungen sowie individuelle Beiträge der Kandidierenden ab 3'000 Fran-
   ken.
3. Die pro Abstimmung/Wahl und pro Jahr summierten finanziellen Zuwendungen von juristischen
   Personen sowie von natürlichen Personen unterliegen ab 3'000 Franken einer Offenlegungs-
   pflicht unter Bekanntgabe der Identität der jeweiligen Spenderin oder des jeweiligen Spenders.
   Die Annahme von anonymen Spenden ist unzulässig.
4. Zeitraum und Frist für die Offenlegungspflicht vor dem jeweiligen Urnengang.
5. Zweckmässige und möglichst unbürokratische Regelungen zur Überprüfung der Offenlegungs-
   pflicht.
6. Die Stadtkanzlei stellt sicher, dass der Aufwand für die Deklarierung möglichst klein und unbü-
   rokratisch gehalten wird. Beispielsweise, indem ein smartes Online-Formular zur Verfügung ge-
   stellt wird.
7. Regelung zur Sanktionierung von Verletzungen der Offenlegungspflicht.

Begründung

Obwohl das öffentliche Interesse an Fragen der Politikfinanzierung stark zugenommen hat und die
mangelnde Transparenz von Organisation wie Transparency International und auch der GRECO
(Staatengruppe gegen Korruption) mehrfach kritisiert wurde, ist auf nationaler, kantonaler und
kommunaler Ebene lange nichts geschehen. Durch die Einreichung der nationalen Transparenz-Ini-
tiative und dank der gewonnenen Volksinitiativen in den Kantonen Fribourg (2018), Schwyz (2018)
und Schaffhausen (2020) hat das Thema Fahrt aufgenommen. Mit der überdeutlichen Annahme
(88,4%) von Transparenzbestimmungen durch die Stimmbürger:innen der Stadt Bern (2020) nun
auch in der Kommunalpolitik.

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Stadtrat von Thun - Sitzung vom 18.03.2021 - Bericht Nr. M 1/2021 - Offenlegung Finanzierung

Diese Entwicklungen offenbaren ein grosses Bedürfnis der Bevölkerung nach mehr Transparenz in
der Politikfinanzierung, welches wir unserer Ansicht nach auch in Thun nicht weiter ignorieren dür-
fen. In einer Demokratie haben die Bürger:innen das Recht zu wissen, welche Interessen hinter
Wahl- oder Abstimmungskampagnen stehen. Es sollen nicht Klein- und Kleinstbeträge offengelegt
werden, da dies ein unnötiger Aufwand ist und für die Problematik der potentiellen Beeinflussung
irrelevant wäre. Sobald aber grössere Zuwendungen gemacht werden, sollen diese auch klar zuge-
ordnet werden können. Eine transparente Politikfinanzierung stärkt die Demokratie und erhöht die
Glaubwürdigkeit von Parteien, Politiker:innen und unseren demokratischen Institutionen. Diese
Transparenz schafft Vertrauen. Und Vertrauen ist für eine lebendige Demokratie unentbehrlich.

Stellungnahme des Gemeinderates

Der Gemeinderat hat Verständnis für das Anliegen der Motion. Aus demokratiepolitischer Sicht gibt
es gute Gründe, solche Fragen zu diskutieren. Dies gilt insbesondere für diejenigen Staatsebenen,
wo Abstimmungskämpfe mit grossem finanziellem Aufwand betrieben werden. Für die Verhältnisse
in Thun hält der Gemeinderat eine solche Regelung im gegenwärtigen Zeitpunkt aber nicht für er-
forderlich. Der Gemeinderat lehnt die verlangte Teilrevision der Stadtverfassung deshalb ab. Die
Gründe für die Ablehnung werden im Kapitel C näher ausgeführt.

A.    Generelle Ausgangslage

Politische Parteien erfüllen im politischen System zentrale Funktionen. Sie strukturieren die demo-
kratische Debatte vor Wahlen und Abstimmungen, bereiten die Auslese von Kandidatinnen und
Kandidaten vor und prägen ganz allgemein die Meinungsbildung. Die Bedeutung der Parteien wird
sowohl in der Bundesverfassung, in der Kantonsverfassung wie auch in der Stadtverfassung festge-
halten. Die Parteien sind ein wichtiges Bindeglied zwischen den Stimmberechtigten und dem Staat.
Gleichzeitig konkurrieren sie um die Beteiligung an der Macht und die Beeinflussung politischer
Entscheidungen im Sinne ihrer Basis. Dieser politische Wettbewerb wird unter anderem durch die
Finanzierung der einzelnen Parteien und deren finanziellem Einsatz für konkrete Wahl- und Abstim-
mungskämpfe beeinflusst. Gerade in letzter Zeit ist wieder deutlich geworden, mit welch grossem
finanziellen Aufwand in der Schweiz auf Bundesebene Wahl- und Abstimmungskämpfe geführt wer-
den.

Dabei ist auch festzustellen, dass sich insbesondere in Abstimmungskämpfen nicht nur politische
Parteien, Wirtschaftsverbände und Gewerkschaften engagieren, sondern zunehmend auch sog. zi-
vilgesellschaftliche Zusammenschlüsse (z.B. Operation Libero, Allianz Kompass/Europa), Nichtre-
gierungsorganisationen (NGOs) und auch Kirchen. Ein beträchtlicher Teil der demokratischen Aus-
einandersetzung verlagert sich zudem zunehmend ins Internet, wo die Absender von Kampagnen,
Beiträgen und Posts nicht immer klar erkennbar sind. Aus demokratiepolitischer Sicht sind dieses
Engagement und die breite Diskussion zwar zu begrüssen, es zeigt aber auch auf, dass eine Regu-
lierung – insbesondere in finanzieller Hinsicht – immer schwieriger wird.

Der Gemeinderat verschliesst sich einer Transparenzdiskussion nicht. Er ist aber der Ansicht, dass
diese in erster Linie auf Bundesebene und auf Kantonsebene geführt werden sollte. In der Stadt
Thun mit ihren übersichtlichen Verhältnissen haben sich in dieser Beziehung in den letzten Jahren
diesbezüglich keine konkreten Probleme ergeben.

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Stadtrat von Thun - Sitzung vom 18.03.2021 - Bericht Nr. M 1/2021 - Offenlegung Finanzierung

B.    Bemerkungen zur Ausgangslage auf den Ebenen Bund, Kanton Bern und Gemeinden

1.    Bund

Auf Bundebene ist gegenwärtig die Transparenz-Initiative hängig.1 Mit der Volksinitiative «Für mehr
Transparenz in der Politikfinanzierung (Transparenz-Initiative)» soll der Bund gesetzliche Massnah-
men treffen, die zur Offenlegung der Finanzierung von politischen Parteien sowie von Kampagnen
im Hinblick auf Wahlen in die Bundesversammlung und auf Abstimmungen auf Bundesebene ver-
pflichten. Der Bundesrat lehnt die Initiative ab.2 Er begründet dies vor allem damit, dass die Schaf-
fung entsprechender nationaler Regelungen mit den Eigenheiten des schweizerischen politischen
Systems kaum vereinbar ist. Er bezweifelt, dass die finanziellen Mittel einen überwiegenden Ein-
fluss auf den politischen Erfolg haben. Ausserdem ist er der Auffassung, dass eine wirksame Um-
setzung der Initiative einen grossen administrativen Aufwand nach sich ziehen würde, mit hohen
Kosten verbunden wäre und einen Eingriff in die Kompetenzen der Kantone zur Folge hätte. Das
Geschäft ist gegenwärtig in der parlamentarischen Beratung. Der Ständerat möchte der Initiative
einen Gegenvorschlag gegenüberstellen.3 Als Nächstes wird sich in diesem Jahr der Nationalrat wie-
der mit dieser Vorlage befassen. Eine Volksabstimmung über die Transparenz-Initiative ist frühes-
tens im Jahr 2022 zu erwarten.

2.    Kanton Bern

Auf Kantonsebene ist das Thema in den letzten 20 Jahren immer wieder diskutiert worden. Im Jahr
2015 ist die Motion 299/2015 (Transparenz jetzt! Offenlegung der Politikfinanzierung) in der Form
eines Postulates überwiesen worden.4 Gestützt auf dieses Postulat hat der Regierungsrat das An-
liegen geprüft.5 Im Prüfungsbericht vom 16. Mai 2018 hat er das folgende Fazit gezogen: «Obwohl
auch für kantonal wahrnehmbare Kampagnen beträchtliche Geldbeträge eingesetzt werden, ist das
Beeinflussungspotenzial bei den meisten kantonalen Wahlen und Abstimmungen beschränkter als
auf Bundesebene. Entsprechend geringer ist auch das Interesse der Öffentlichkeit, Transparenz
über die Geldflüsse zu erhalten. Der Regierungsrat erachtet insgesamt den finanziellen Aufwand
von griffigen Offenlegungspflichten auf Kantonsebene höher als den zu erwarteten Vorteil für die
freie Meinungsbildung der Wahl- und Stimmberechtigten. Aufgrund der erwähnten Umsetzungs-
schwierigkeiten, der befürchteten Verwaltungskosten und der momentanen Entwicklung auf Bun-
desebene schlägt der Regierungsrat dem Grossen Rat vor, im heutigen Zeitpunkt auf eine weiter-
gehende Umsetzung der als Postulat überwiesenen Motion zu verzichten.» Gestützt auf dieses Fazit
ist der Regierungsrat zum Schluss gekommen, dass im heutigen Zeitpunkt keine gesetzlichen Offen-
legungsregeln im Bereich der Politikfinanzierung ausgearbeitet werden sollen. Bei dieser Ausgangs-
lage ist nicht damit zu rechnen, dass in den nächsten Jahren auf kantonaler Ebene entsprechende
Bestimmungen in Kraft treten werden.

1 18.070 | Für mehr Transparenz in der Politikfinanzierung (Transparenz-Initiative). Volksinitiative | Geschäft | Das
Schweizer Parlament; Transparenz-Initiative (admin.ch); Home - Transparenz-Initiative (transparenz-ja.ch)
2 Botschaft des Bundesrates
3 Politikfinanzierung: Ständerat will mehr Transparenz (nzz.ch); Offenlegung: Parteispenden: Ständerat beharrt auf Ge-

genvorschlag zu Transparenz-Initiative | Aargauer Zeitung; Gegenvorschlag zur Transparenzinitiative ist zahnlos | SP
Schweiz | (sp-ps.ch)
4 Motion 299-2015 (Transparenz jetzt! Offenlegung der Politikfinanzierung); Motion 301-2015 (Transparenz jetzt! Ein-

führung einer kantonalen Parteienfinanzierung); Motion 083-2010 (Transparenz der Parteifinanzen); Motion 321-2007
(Transparenz bei den Parteifinanzen, Abstimmungs- und Wahlkampagnen); Motion 047-2005 (Transparenz bei den Par-
teifinanzen); Motion 059-2000 (Offenlegung der Finanzen bei Wahl- und Abstimmungskampagnen im Kanton Bern)
5 Umsetzung P 299-2015 (Prüfungsbericht)

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Stadtrat von Thun - Sitzung vom 18.03.2021 - Bericht Nr. M 1/2021 - Offenlegung Finanzierung

3.    Gemeinden

Als erste und bisher einzige Schweizer Gemeinde hat die Stadt Bern Transparenzregeln für die Po-
litikfinanzierung eingeführt.6 Die Berner Stimmberechtigten haben der Vorlage am 27. September
2020 deutlich zugestimmt.7 Die Vorlage hat schweizweit hohe mediale Beachtung gefunden. Die
Befürworterinnen und Befürworter von Transparenzregeln erhoffen sich von diesem Beschluss der
Berner Stimmberechtigten eine Signalwirkung (insbesondere auch für die Transparenz-Initiative).
In den letzten Wochen haben SP und Grüne – einzeln oder zusammen – in zahlreichen Schweizer
Städten ähnliche oder gleichlautende Motionen eingereicht. 8 Der Stadtrat von Biel hat am 17. Sep-
tember 2020 eine Motion betreffend Offenlegung der Finanzierung von Partei-, Wahl- und Abstim-
mungskampagnen (vgl. Beilage) angenommen. Der Stadtrat von Burgdorf hat am 8. Februar 2021
eine Motion betreffend Offenlegung der Finanzierung von Partei-, Wahl- und Abstimmungskam-
pagnen (bei einem ablehnenden Antrag des Gemeinderates) mit 20 zu 16 Stimmen (bei 1 Enthal-
tung) angenommen (vgl. Beilage).9

C.    Gründe für die Ablehnung

Zur Begründung der Ablehnung werden die folgenden Gründe aufgeführt:

• Keine Probleme mit Wahl- und Abstimmungskampagnen: In der Stadt Thun gab es in den letzten
  Jahren nie Probleme mit Fragen zur Finanzierung der Wahl- und Abstimmungskampagnen. Die
  Verhältnisse sind überschaubar und es werden in Thuner Wahl- und Abstimmungskämpfen
  keine hohen Beträge eingesetzt. Es sind in den letzten Jahren auch nie Abstimmungsbeschwer-
  den eingereicht worden, bei denen die Höhe der eingesetzten Mittel gerügt worden wäre.
• Verhältnismässig wenige Abstimmungen: In der Stadt Thun kommt es im Vergleich mit Bund,
  Kanton und anderen Städten verhältnismässig selten zu Abstimmungen. In den letzten zehn Jah-
  ren sind in Thun zwölf kommunale Abstimmungen durchgeführt worden.10 Ein Vergleich mit der
  Stadt Bern zeigt, dass in Bern in diesem Zeitraum 87 Vorlagen zur Abstimmung gebracht worden
  sind.11
• Verzicht auf schematische Regeln: Mit der aktuellen Offensive von Motionen zu Transparenzbe-
  stimmungen in zahlreichen Gemeinden wird versucht, die stadtbernischen Regeln in weiteren
  Gemeinden einzuführen. Damit sollen schematisch Regeln eingeführt werden, die den tatsäch-
  lichen Verhältnissen vor Ort gar nicht Rechnung tragen.
• Selbstregulierung: Den Stimmberechtigten darf zugetraut werden, dass sie die Interessen der
  verschiedenen Akteure in Wahl- und Abstimmungskämpfen durchschauen und erkennen, wel-
  che gesellschaftlichen Kräfte hinter den verschiedenen Wahl- und Abstimmungskomitees ste-
  hen (Mündigkeit der Stimmbürgerin und des Stimmbürgers). Die Stimmberechtigten haben in
  der Regel ein feines Sensorium für übermässige Beeinflussung durch finanziell aufwändige Ab-
  stimmungskämpfe. Eine solche wird in der Regel nicht geschätzt und kann eine Vorlage auch

6 Abstimmungsbotschaft vom 27. September 2020.pdf; Medienmitteilung; Stadtratsvortrag
7 Städtische Abstimmungen: Klares Ja zu allen vier Vorlagen — Mediencenter (bern.ch); https://www.srf.ch/news/ab-
stimmung-27-september-2020/stadt-bern-stadt-bern-nimmt-offenlegung-der-parteifinanzierung-an; Parteifinanzen
werden transparenter: Stadt Bern schiebt anonymen Spenden einen Riegel | Aargauer Zeitung
8 z.B. Burgdorf (vgl. Beilage), Köniz, Wil, Aarau, Baden
9 Kommentar in Berner Zeitung ("Über das Ziel hinausgeschossen")
10 Übersicht über Abstimmungsvorlagen der Stadt Thun
11 Übersicht über Abstimmungsvorlagen der Stadt Bern

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Stadtrat von Thun - Sitzung vom 18.03.2021 - Bericht Nr. M 1/2021 - Offenlegung Finanzierung

      gefährden. In Thun ist es in den letzten Jahren einzig bei der Gemeindeabstimmung über die
      «Zonenplanänderung Weststrasse Süd» im Jahr 2014 zu einem Abstimmungskampf gekommen,
      bei dem grössere finanzielle Mittel eingesetzt worden sind. Der für Thuner Verhältnisse aufwän-
      dige Abstimmungskampf der Investoren ist bei den Stimmberechtigten nicht gut angekommen.
      Die deutliche Ablehnung dieser Vorlage war unter anderem auch eine Folge des Verhaltens der
      Investoren im Abstimmungskampf.
•     Umgehungsmöglichkeiten: Transparenzvorschriften machen nur Sinn, wenn sie die Qualität des
      politischen Wettbewerbs tatsächlich verbessern, wenn sie wirklich grössere Transparenz schaf-
      fen und wenn sie kontrolliert werden können. Es besteht allerdings die Gefahr, dass die vorge-
      sehenen Vorschriften verhältnismässig einfach umgangen werden können (z.B. durch Aufteilung
      der Beiträge auf mehrere Jahre oder mehrere Personen, durch eine Verlagerung der Kampagnen
      ins Internet und auf Social Media, durch nicht erfasste anonyme Spenden im Rahmen von Spen-
      dentöpfen an Quartierfesten, Standaktionen und Veranstaltungen). Eine Regulierung von Kam-
      pagnen im Internet auf Gemeindeebene erachtet der Gemeinderat zudem als illusorisch.
•     Gefahr einer Scheintransparenz: Wichtige Finanzierungsquellen der Parteien werden im Moti-
      onstext nicht berücksichtigt. Dazu gehören – je nach Auslegung des Motionstextes – z.B. Mit-
      glieder- und Mandatsbeiträge oder die Unterstützung der Parteien durch Lobbyorganisationen
      sowie Berufs- und Interessenverbände. Gewerkschaften und Wirtschaftsverbände setzen je-
      weils für Wahl- und Abstimmungskämpfe grosse personelle Mittel ein. Diese würden durch die
      Transparenzbestimmungen nicht erfasst. Unklar und kaum zu regulieren wäre zudem der Sach-
      verhalt, dass Arbeitnehmende von Parteien, Gewerkschaften, Wirtschaftsverbänden und grös-
      seren Unternehmungen sich auf Gemeindeebene politisch engagieren und ihre im beruflichen
      Umfeld erworbenen Kenntnisse auch im Interesse der jeweiligen Arbeitgeberin in kommunalen
      Abstimmungs- und Wahlkampagnen einbringen.
•     Unklare Folgen für Parteispenden: Spenden über 3'000 Franken kommen auf Gemeindeebene
      eher selten vor. Für die Parteien besteht aber die Gefahr, dass bei einer Regulierung der Partei-
      spenden in Zukunft allenfalls noch weniger Spenden über 3'000 Franken eingehen werden. Par-
      teispenden könnten plötzlich unter Generalverdacht kommen und etwas Anrüchiges erhalten.
      Dadurch verlieren Parteien wichtige Einnahmequellen.
•     Aufwand für Milizparteien: Die geforderten neuen Regeln würden dazu führen, dass die Parteien
      jährlich Rechenschaft ablegen müssten. In der Stadt Bern gilt die folgende Regel: «Die im Stadt-
      rat vertretenen politischen Parteien legen jährlich ihre Einnahmen und Ausgaben offen. Sie er-
      statten insbesondere Bericht über die Herkunft ihrer Mittel sowie die mitfinanzierten Abstim-
      mungs- und Wahlkampagnen auf städtischer Ebene.»12 Die neuen Vorschriften würden für die
      Parteien regelmässigen Zusatzaufwand auslösen.
•     Aufwand für Verwaltung: Die verlangte Teilrevision der Stadtverfassung würde für die Stadt
      Thun zur Einführung einer neuen Aufgabe führen. Diese hätte für die Stadtkanzlei finanzielle und
      personelle Folgen. Insbesondere die jährliche Kontrolle der neun Berichterstattungen und Jah-
      resrechnungen der im Stadtrat vertretenen politischen Parteien ist nicht zu unterschätzen. Bei
      der Vorlage der Stadt Bern sind zur Frage der erforderlichen Ressourcen die folgenden Ausfüh-
      rungen gemacht worden: «Die Umsetzung der Transparenzvorschriften wird bei der Stadtkanzlei
      als sachlich zuständige Stelle zusätzliche personelle Ressourcen beanspruchen. Eine Abschät-
      zung des damit verbundenen Aufwands bzw. der entsprechenden Personalkosten ist schwierig,
      der jährliche Aufwand dürfte sich unter Vorbehalt der deutlichen Mehraufwände in den Jahren
      mit städtischen Wahlen im Bereich von rund 50’000 Franken pro Jahr bewegen.»13
•     Kontrollaufgaben für die Stadtkanzlei: Die Stadtkanzlei würde mit den neuen Regeln eine neue

12   vgl. Art. 86a Reglement über die politischen Rechte
13   vgl. Stadt Bern, Stadtratsvortrag, S. 15

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Stadtrat von Thun - Sitzung vom 18.03.2021 - Bericht Nr. M 1/2021 - Offenlegung Finanzierung

  Aufgabe als Kontrollinstanz erhalten. Sie wäre verpflichtet, für die Einhaltung der Regeln zu sor-
  gen, und müsste nötigenfalls auch Sanktionen aussprechen. Damit erhält die bisher partner-
  schaftliche Zusammenarbeit zwischen der Stadtkanzlei und den politischen Parteien eine neue
  Komponente.
• Finanzpolitisches Umfeld: Der Stadtrat hat an der Novembersitzung ein Budget mit einem Defizit
  von 15.7 Mio. Franken beschlossen. Bei dieser finanzpolitischen Ausgangslage muss sich die
  Stadt Thun auf ihre Pflichtaufgaben beschränken. Es werden grosse finanzielle und personelle
  Herausforderungen auf die Stadt Thun zukommen. Es wird nicht mehr alles Wünschbare möglich
  sein. Die Stadt Thun muss bei der Übernahme neuer bzw. freiwilliger Aufgaben deshalb in Zu-
  kunft noch zurückhaltender sein, als sie es bisher bereits war. Deshalb hat der Gemeinderat im
  August 2020 auch ein Stellenmoratorium beschlossen. Die Stadtverwaltung muss sich auf die
  vorhandenen Aufgaben konzentrieren. Eine Umsetzung der vorliegenden Motion mit den aktu-
  ellen Ressourcen wird nicht möglich sein.
• Einbeziehen von konkreten Erfahrungen: Zurzeit existieren weder auf Bundesebene noch auf
  kantonalbernischer Ebene Vorschriften zur Offenlegung der Finanzierung von politischen Par-
  teien und Kampagnen. Gemeinwesen, die nun hier vorangehen, werden bei der Umsetzung ihre
  Erfahrungen machen und diese auch evaluieren. Diese Erfahrungen und die Auswirkungen der
  neuen Bestimmungen auf die Qualität des politischen Wettbewerbs sollen abgewartet werden.
• Unklare Formulierung der vorliegenden Motion: Die Ziffern 1 bis 3 sind nicht sehr klar formuliert.
  Bei einer Annahme der vorliegenden Motion müsste noch geklärt werden, wie diese Bestim-
  mungen zu verstehen sind. Aufgrund der vorliegenden Formulierungen ist nicht klar, ob Mitglie-
  der- und Mandatsbeiträge unter bzw. über 3'000 Franken von diesen Regeln überhaupt erfasst
  sein sollen. In Ziffer 1 ist von einer Offenlegungspflicht für alle finanziellen Beiträge und alle
  geldwerten Leistungen die Rede. In Ziffer 3 wird – allerdings nur für Spenden (?) – eine Unter-
  grenze von 3'000 Franken eingeführt. Bezieht sich diese Untergrenze auch auf Ziffer 1? Oder
  bezieht sich Ziffer 3 nur auf Spenden? Die Formulierung von Ziffer 2 für die Stadtratswahlen –
  mit Ausnahme und Gegenausnahme – ist auch nicht klar verständlich. Gestützt auf diese Formu-
  lierungen wüsste der Gemeinderat jetzt allein aufgrund des Motionstextes nicht, was konkret
  ausgearbeitet werden müsste. Er geht aber davon aus, dass wohl einfach die Vorschriften der
  Stadt Bern übernommen werden sollen, allerdings mit einer tieferen Untergrenze (CHF 3'000
  statt CHF 5'000).

Im Falle einer Annahme der vorliegenden Motion müsste die Stadt Thun finanzielle und personelle
Ressourcen einsetzen, um mit einer Teilrevision der Stadtverfassung eine schematische Lösung für
Sachverhalte zu schaffen, die sich in Thun in dieser Form gar nicht einstellen. Der Gemeinderat hält
dies nicht für zielführend. Er möchte die vorhandenen knappen Mittel der Verwaltung in den ge-
genwärtigen schwierigen Zeiten für die Bewältigung konkreter Probleme einsetzen.

Antrag
Ablehnung.

Thun, 10. Februar 2021

Für den Gemeinderat der Stadt Thun

Der Stadtpräsident                      Der Stadtschreiber
Raphael Lanz                            Bruno Huwyler Müller

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Stadtrat von Thun - Sitzung vom 18.03.2021 - Bericht Nr. M 1/2021 - Offenlegung Finanzierung

Beilagen
• Stadt Biel: Motion betreffend Offenlegung der Finanzierung von Partei-, Wahl- und Abstim-
   mungskampagnen (Antwort des Gemeinderates)
• Stadt Burgdorf: Motion betreffend Offenlegung der Finanzierung von Partei-, Wahl- und Abstim-
   mungskampagnen (Antwort des Gemeinderates)

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Beantwortung
der Motion 20190337, Lena Frank, Grüne, "Offenlegung der Finanzierung von Partei-,
Wahl- und Abstimmungskampagnen"

Die Motionärin fordert vom Gemeinderat, ein Reglement zur Offenlegung der Finanzierung von
Parteien sowie von Wahl- und Abstimmungskampagnen auf kommunaler Ebene zu erarbeiten.
Sie führt zur Begründung an, dass die «Groupe d’Etats contre la Corruption» (GRECO) des
Europarates seit Jahren von der Schweiz eine umfassende Regulierung der Politfinanzierung
verlange. Es gebe bereits Kantone, welche solche Transparenzvorschriften erlassen haben und
auf nationaler Ebene seien entsprechende Initiativen hängig. Der Stadtrat von Bern werde diesen
Herbst über neue Transparenzbestimmungen befinden.

Der Gemeinderat unterstützt das Anliegen der Motion zur Schaffung grösstmöglicher
Transparenz über die Einflussfaktoren bei politischen Entscheidprozessen. Die Offenlegung der
Herkunft von Finanzleistungen an Parteien und Abstimmungs- oder Wahlkämpfe stärkt das
Vertrauen der Bevölkerung in die demokratischen Prozesse.
Der Bundesrat hat es bislang abgelehnt, verbindliche Regeln auf Bundesebene zu schaffen und
damit in die föderalen Eigenheiten der politischen Systeme von Kantonen und Gemeinden
einzugreifen. Im Zuge der Behandlung der jüngsten Transparenzinitiative aus dem Jahr 2017,
welche eine Offenlegung von Zuwendungen an Parteien oder Kampagnen von mehr als
CHF 10'000.- verlangt, und dem Vorschlag der staatspolitischen Kommission des Ständerates,
dazu einen indirekten Gegenvorschlag mit einem Schwellenwert von CHF 25'000.- zur
Abstimmung zu bringen, hat er seine Haltung geändert und hält fest, dass die Entwicklung
namentlich in den Kantonen zeigten, dass das Bedürfnis nach mehr Transparenz gestiegen sei
und er sich dem nicht verschliessen werde. Die Initiative dürfte auf Bundesebene im Jahr 2020
oder 2021 an die Urne kommen. Wird diese oder der indirekte Gegenvorschlag angenommen,
werden die Bestimmungen auf Bundesebene voraussichtlich auch für Kantone und Gemeinden,
welche bereits eigene Regeln haben verbindlich. Inwiefern eigene kommunale Regeln weiterhin
gültig wären, lässt sich heute nicht vorhersagen.

Die Stadt Bern will anfangs 2020 erneut einen Vorschlag für eine Teilrevision ihres Reglements
über Abstimmungen und Wahlen mit einer Regelung zur Abstimmungsfinanzierung
(Schwellenwert CHF 5'000.-) an die Urne bringen, nachdem die Einführung von
Transparenzregeln im Jahr 2003 an der Urne scheiterte.

Der Gemeinderat möchte angesichts der Tragweite der Thematik eine Regelung im kommunalen
Recht ebenfalls durch die Stimmberechtigten beschliessen lassen, das heisst in einem Erlass
regeln, welcher zumindest dem fakultativen Referendum unterliegt. Vor diesem Hintergrund und
mit Blick auf die Thematik der verlangten Regelung kommt dafür nur das Reglement über
städtische Abstimmungen und Wahlen in Frage, welches der obligatorischen Volksabstimmung
unterliegt. Das Reglement über Abstimmungen und Wahlen wird voraussichtlich auch im
Zusammenhang mit der gegenwärtig laufenden Totalrevision der Stadtordnung angepasst
werden müssen. Die Aufnahme von Bestimmungen über die Parteien- und
Kampagnenfinanzierung sollte deshalb nach Abschluss der Totalrevision der Stadtordnung an die
Hand genommen werden (das heisst nach dem 1.1.2021). Zu diesem Zeitpunkt wird unter
Umständen auch mehr Klarheit darüber bestehen, welche Auswirkungen eine Regelung auf
Bundesebene auf kantonale und kommunale Lösungen haben wird.
Der Gemeinderat schlägt deshalb vor, die Motion erheblich zu erklären und den Gemeinderat zu
beauftragen, dem Stadtrat nach Abschluss der Totalrevision der Stadtordnung eine Regelung zur
Parteien- und Kampagnenfinanzierung im Rahmen einer Teilrevision des Reglements über
Abstimmungen und Wahlen zu unterbreiten.
Biel, 22.01.2020

Namens des Gemeinderates

Der Stadtpräsident:        Der Vize-Stadtschreiber:

Erich Fehr                 Julien Steiner

Beilage: Motion 20190337
9013 0&3-9-
Üb
H0S00JEB
                                   Vorstoss Nr. / Interv. no:
                                   Termin GR / Delai CM: _
                                   Direktion /Direction:___
                                   Mitbericht / Corapport: _

 Motion: Offenlegung der Finanzierung von Partei-, Wahl- und
Abstimmungskampagnen

 Der Gemeinderat wird aufgefordert, ein Reglement zur Offenlegung der
 Finanzierung von Parteien sowie von Wahl- und Abstimmungskampagnen auf
 kommunaler Ebene zu erarbeiten.

Begründung:
Zurzeit existieren weder auf Bundesebene noch im Kanton Bern Vorschriften zur
Offenlegung der Finanzierung von politischen Parteien und Kampagnen. Das Thema
ist jedoch ein Dauerbrenner, sowohl auf internationaler, nationaler als auch auf
lokaler Ebene.
Der Groupe d'Etats contre la Corruption (GRECO) des Europarates fordert seit
Jahren eine umfassende Regulierung der Politikfinanzierung in der Schweiz
(Rechnungslegungsstandards für Parteien sowie Regeln zur Transparenz der
Spenden an Parteien, Kandidierende und politische Kampagnen). Auf nationaler
Ebene sind eine Volksinitiative und eine parlamentarische Initiative hängig. Auf
kantonaler Ebene gibt es bereits Transparenzvorschriften in den Kantonen Tessin,
Genf und Neuenburg. Jüngst haben zudem die Stimmberechtigten in den Kantonen
Freiburg und Schwyz Initiativen angenommen, welche Offenlegungspflichten bei der
kantonalen Politikfinanzierung fordern. Auch auf kommunaler Ebene wird das Thema
angegangen. So befindet der Berner Stadtrat diesen Herbst über neue
Transparenzbestimmungen.
Die Offenlegungspflicht für die Partei- und Politkampagnenfinanzen ist ein
Kernelement einer funktionierenden Demokratie. Eine entsprechende Regulierung
betrifft die politischen Rechte, bei denen Bund, Kantone und Gemeinden über je
eigene Kompetenzen verfügen, weshalb auch die Stadt Biel eine Verantwortung zur
Unterstützung der laufenden Bemühungen für mehr Transparenz in der
Politikfinanzierung trägt.

Biel, 19.9.2019

Lena Frank, Grüne
Stadtrat

Bericht und Antrag

Datum SR-Sitzung:      8. Februar 2021
Direktion:             Präsidialdirektion
Ressort:               Präsidiales
Verfasser:             Stefan Ghioldi
Version:               GRB: 2021-1594 / 18. Januar 2021

Motion SP-Fraktion betreffend Offenlegung der Finanzierung von Partei-, Wahl- und Ab-
stimmungskampagnen

I.   Bericht

Die SP-Fraktion reichte am 2. November 2020 eine Motion ein:

Wortlaut

Der Gemeinderat unternimmt die nötigen Schritte zur Erarbeitung eines Reglements, welches die
Offenlegung der Finanzierung von Parteien, insbesondere ihrer Wahl- und Abstimmungskampagnen,
auf kommunaler Ebene regelt.

Begründung

Parteienfinanzierung ist in der Schweiz ein Dauerthema. In der Vergangenheit wurde das Thema auf-
gegriffen, dann aber ohne konkretes Resultat begraben. Das Thema beschäftigt die Öffentlichkeit
aber weiterhin, sowohl auf internationaler, nationaler als auch auf kommunaler Ebene. So fordert
z.B. Transparency International Schweiz eine umfassende Regulierung der Politikfinanzierung. Die
Intransparenz in der Schweizer Politik ist nach Auffassung der Organisation ein Defizit des hiesigen
politischen Systems.

Der Schweiz droht neu auch die Aufnahme auf die schwarze Liste des Antikorruptionsorgans des
Europarates Greco (Groupe d'Etats contre la corruption), dem die Schweiz 2006 beigetreten ist. Ob-
wohl die Greco-Standards seit 2003 auf dem Tisch liegen, hat die Schweiz in dieser Sache bisher keine
Schritte unternommen.

Eine Offenlegungspflicht der Finanzen erachten wir als Kernelement einer funktionierenden Demo-
kratie.

Umfragen zeigen, dass ein Grossteil der Bevölkerung von den politischen Parteien, Wahl- und Ab-
stimmungskomitees vermehrte Offenheit bezüglich ihrer Finanzierung erwartet. Bei Wahlen und
Abstimmungen - dies haben die letzten Jahre gezeigt - werden immer höhere Geldsummen einge-

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setzt. Gesellschaftliche Interessengruppen und vermögende Einzelpersonen schrecken nicht davor
zurück, mehr oder weniger anonym die Macht der Medien in der Hoffnung einzusetzen, die Willens-
bildung der Stimmbürgerinnen und Stimmbürger in ihrem Sinne zu beeinflussen. Aktive Werbung um
die Stimme des Bürgers ist nicht verboten, aber unsere Demokratie lebt von der Offenheit. Die
Stimmbürgerinnen und Stimmbürger können ihren Entscheid nur dann gestützt auf einen freien und
umfassenden Prozess der Meinungsbildung treffen, wenn sie wissen, welche Interessen mit welcher
finanziellen Potenz hinter einer bestimmten Partei-, Wahl- oder Abstimmungswerbung stehen. Nur
dann können sie eine Abstimmungsparole einer Partei oder Gruppierung realistisch einschätzen. Die
Parteien, Wahl- und Abstimmungskomitees sollen daher, wie in vielen europäischen und amerikani-
schen Staaten, verpflichtet werden, ihre Finanz- und Sachmittel offen zu legen und für grössere Bei-
träge anzugeben, woher diese stammen oder wer sie ermöglicht hat.

Stellungnahme des Gemeinderats

Formelles
Die Motion ist ein Antrag, durch den der Gemeinderat beauftragt wird, dem Stadtrat eine Vorlage zu
unterbreiten, ihm einen Antrag zu stellen oder eine Massnahme zu treffen (Art. 28 Stadtratsregle-
ment). Motionen können nur über Gegenstände eingereicht werden, die nicht im ausschliesslichen
Zuständigkeitsbereich des Gemeinderates liegen.

Materielles

1. Ausgangslage
Die SP-Fraktion reichte am 2. November 2020 eine Motion mit dem Wortlaut ein:
Der Gemeinderat unternimmt die nötigen Schritte zur Erarbeitung eines Reglements, welches die
Offenlegung der Finanzierung von Parteien, insbesondere ihrer Wahl- und Abstimmungskampagnen,
auf kommunaler Ebene regelt.

1.1 Bundes- und Kantonsebene
Zurzeit existieren weder auf Bundesebene noch im Kanton Bern Vorschriften zur Offenlegung der
Finanzierung von politischen Parteien und Kampagnen. Die Schweiz ist international betrachtet eines
der wenigen Länder, welches weitgehend auf eine Regelung über die Geldmittel verzichtet, die in
Wahl- und Abstimmungskampagnen fliessen.

Seit letztem Herbst (Abstimmung vom 27. September 2020) verfügt neu die Stadt Bern über Bestim-
mungen (Teilrevision Reglement über die politischen Rechte, RPR), welche die Offenlegung der Fi-
nanzierung von Parteien vorschreiben (vgl. Vortrag des Gemeinderats der Stadt Bern an den Stadtrat
vom 3. Juli 2019; Mehr Transparenz bei Parteien- und Kampagnenfinanzierung — Mediencenter
(bern.ch)). Die Vorlage basiert auf einer im Herbst 2012 eingereichten Motion, welche die Ausarbei-
tung eines kommunalen Reglements zur Offenlegung der Finanzierung von Parteien, insbesondere
ihrer Wahl- und Abstimmungskampagnen, in der Stadt Bern forderte. In der Stadtratsdebatte wurde
von den Befürwortenden zwar anerkannt, dass eine Regelung auf Bundes- oder kantonaler Ebene
besser geeignet wäre, die gewünschten Wirkungen zu erzielen. Die Stadt Bern solle jedoch mit gutem

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Beispiel vorangehen, eine «Vorreiterrolle» übernehmen, sich «zu mehr Transparenz bekennen» und
«ein Zeichen setzen», so einzelne Voten im Parlament.

1.2 Kommunaler Ebene
Auf kommunaler Ebene finden sich keine Regelungen, welche den Inhalt der Forderungen der Moti-
onärin wiedergeben würde. Zur Beantwortung der Motion, ist daher vorab die Frage zu klären, wel-
che Anwendungsfälle in der Stadt Burgdorf durch die Motion überhaupt in Betracht zu ziehen wären
resp. wie gross der Umfang der von der Motion berührten Fragestellung ausfällt. Eine Zusammenstel-
lung der in der Stadt Burgdorf seit dem Jahr 2007 erfolgten acht kommunalen Gemeindeabstimmun-
gen ergibt folgendes Bild:

Gemeindeabstimmungen ab 2007

25. November 2007 Überbauungsordnung Scheunenstrasse – Bernstrasse – Schmiedenrain, Umge-
                  staltung und Lärmschutz Ortsdurchfahrt Burgdorf

24. Februar 2008      Teilrevision Gemeindeordnung (GO) und Teilrevision Reglement über die Ur-
                      nenwahlen und –abstimmungen (AbstimmungsR)

17. Mai 2009          Industrielle Partnerschaft mit Verkauf einer Minderheitsbeteiligung der Local-
                      net AG an die BKW FMB Energie AG

11. März 2012         Teilrevision Gemeindeordnung (GO) und Teilrevision Reglement über die Ur-
                      nenwahlen und –abstimmungen (AbstimmungsR)

3. März 2013          Sanierung und Erneuerung Markthalle

5. Juni 2016          Änderung des Abfall- und Gebührenreglements (AbfallR)

24. September 2017 Teilrevision baurechtliche Grundordnung. Änderung des Art. 52 Abs. 8 «ZPP
                   Alpina»

20. Oktober 2019      Teilrevision Gemeindeordnung

Hinzukommend fallen in den sachlichen Anwendungsbereich der eingereichten Motion auch die alle
vier Jahre stattfindenden Gemeindewahlen. Während des gleichen untersuchten Zeitraums (seit
2007) fanden viermal ordentliche Gemeindewahlen statt Wahlen (2008, 2012, 2016 und 2020)

Ein kommunaler Vergleich mit der Stadt Bern zeigt, dass im Zeitraum von 2016 bis 2020 auf kommu-
naler Ebene 45 Vorlagen zur Abstimmung gebracht wurden sowie eine Gemeindewahl stattfand. Im
gleichen Zeitraum in Burgdorf drei kommunale Abstimmungen sowie eine Gemeindewahl durchge-
führt wurden.

2. Möglichkeiten auf kommunaler Stufe
2.1 Regelungsspielraum / rechtliche Schranken
Die in Artikel 34 der Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
(BV; SR 101.1) verankerte Garantie der politischen Rechte sichert die freie Willensbildung und die

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unverfälschte Stimmabgabe (Art. 34 Abs. 2 BV). Es soll kein Abstimmungs- und Wahlergebnis aner-
kannt werden, das nicht den freien Willen der Stimmbürgerinnen und Stimmbürger zuverlässig und
unverfälscht zum Ausdruck bringt. Jede Stimmbürgerin und jeder Stimmbürger soll ihren bzw. seinen
Entscheid gestützt auf einen möglichst freien und umfassenden Prozess der Meinungsbildung treffen
können (BGE 119 Ia 271 E. 3a).

Gemäss den Artikeln 20 und 33 des Gemeindegesetzes vom 16. März 1998 (GG; BSG 170.11) wird die
Regelung der Grundzüge des kommunalen Abstimmungs- und Wahlverfahrens «im Rahmen des
übergeordneten Rechts» den Gemeinden überlassen. Der Bereich der politischen Rechte gilt als typi-
scher Autonomiebereich der Gemeinden (UELI FRIEDERICH, Gemeinderecht, in: Markus Müller/Reto
Feller [Hrsg.], Bernisches Verwaltungsrecht, Bern 2013, S. 166, N 47). Die Stadt Burgdorf hat keine
Regelungskompetenz über die Finanzierungsmodalitäten sämtlicher auf ihrem Territorium stattfin-
denden politischen Aktivitäten. Damit besteht zunächst im Bereich der kommunalen Abstimmungen
und Wahlen Raum für eine städtische Regelung betreffend Offenlegung der Finanzierung von politi-
schen Parteien und Kampagnen. Als weiterer Anknüpfungspunkt kommt die Regelungszuständigkeit
in Bezug auf die öffentlichen Sachen und Leistungen der Stadt Burgdorf in Frage. Insofern könnte
demnach auch die Ausübung politischer Rechte auf Bundes- oder Kantonsebene von den städtischen
Transparenzbestimmungen erfasst werden, indem etwa an die kostenfreie Bereitstellung von städti-
schem Grund für den Wahlplakataushang angeknüpft würde. Zu beachten sind dabei in jedem Fall
die Schranken, welche das übergeordnete Recht vorgibt, namentlich die Grundrechte (Politische
Rechte, Recht auf informationelle Selbstbestimmung) sowie die allgemeinen Rechtsgrundsätze staat-
lichen Handelns, wie insbesondere das Verhältnismässigkeitsprinzip und das Rechtsgleichheitsgebot.
Die Frage, wer in Gemeindeangelegenheiten stimmberechtigt ist, ist auf kantonaler Ebene abschlies-
send geregelt (Art. 114 Verfassung des Kantons Bern vom 6. Juni 1993 [KV; BSG 101.1], Art. 13 GG).
Schon deswegen wäre beispielsweise eine Bestimmung unzulässig, die Personen bei Nichteinhaltung
der städtischen Transparenzbestimmungen von den Wahlen ausschliessen würde.

2.2 Herausforderungen einer kommunalen Regelung
Neben der Stadt Bern wäre Burgdorf soweit ersichtlich eine der ersten Gemeinden, die Transparenz-
bestimmungen auf kommunaler Ebene erlässt. Die beschränkte Regelungskompetenz der Stadt
Burgdorf (siehe Ziffer 2.1 hiervor) bringt Nachteile mit sich. Zwar könnten städtische Parteien, Wahl-
und Abstimmungskampagnen erfasst werden; die Finanzierung z.B. von Kampagnen zu eidgenössi-
schen oder kantonalen Abstimmungen oder Wahlen könnte hingegen nicht oder nur sehr begrenzt
geregelt werden. Ausserdem fehlen auf der kommunalen Ebene wirksame Möglichkeiten der Kon-
trolle und der Durchsetzung: So ist die Anwendung von Zwangsmassnahmen und damit eine wirksa-
me Sanktionierung nur eingeschränkt möglich. Die Bussenandrohung im Gemeinderecht ist auf ma-
ximal CHF 5‘000.00 beschränkt (Art. 58 GG). Zudem wäre eine umfassende Kontrolle sehr aufwändig.
Aufgrund des begrenzten Geltungsbereichs einer städtischen Bestimmung sind schliesslich Umge-
hungsmöglichkeiten kaum vermeidbar. Die städtischen Transparenzbestimmungen müssten diesen
Schwierigkeiten Rechnung tragen, indem sie einerseits möglichst weit gehen, insbesondere was den
Adressatenkreis betrifft. Dadurch werden Umgehungsmöglichkeiten möglichst verhindert. Anderer-
seits müssen die Bestimmungen aber auch möglichst praktikabel sein, damit der Verwaltungsauf-
wand und der Aufwand für die betroffenen Akteurinnen und Akteure in einem vernünftigen Rahmen
gehalten werden kann. Dennoch fehlten in der Stadtverwaltung die erforderlichen Personalressour-
cen um einer rechtskonformen Umsetzung einer künftigen kommunalen Regelung Nachachtung zu
verschaffen. Für den Gemeinderat sind demzufolge das Kosten/Nutzen Verhältnis bei einer Annahme
der Motion und deren Umsetzung nicht gegeben.

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3. Schlussfolgerungen
Aufgrund des Umstandes, dass in der Stadt Burgdorf in den letzten 14 Jahren nicht mehr als acht
kommunalen Abstimmungen1 und vier ordentlichen kommunalen Wahlen stattgefunden haben,
rechtfertigt sich der Aufwand zur Erarbeitung eines entsprechenden Reglements resp. die Anpassung
der entsprechenden bestehenden reglementarischen Rechtsgrundlagen nicht. Dabei ist selbstredend,
dass sich der dahinterstehende administrative Aufwand der Stadtverwaltung zur Erfassung, Prü-
fung/Controlling und Durchsetzung möglicher Bestimmungen zur Offenlegung nicht umfassend mit-
eingerechnet ist. Der zeitliche Aufwand zum Aufbau eines entsprechenden Verwaltungsapparates
und dessen Betrieb (Vollzugsauftrag) vermag die von der Motionärin erhoffte Zielerreichung nicht
aufzuwiegen. Eine solche Regelung für eine Kleinstadt wie Burgdorf mit kleinen Parteien und ent-
sprechend auch tiefen Budgets wäre unverhältnismässig. Abstimmungen werden in solchen kommu-
nalen Strukturen vordergründig nicht mit finanziellen Mitteln gewonnen, sondern mit aktiver, lokal-
politischer „Knochenarbeit“ und im direkten Austausch mit der Bevölkerung („Stadtgespräch“). Dar-
über hinaus stehen auf Bundesebene (Transparenz-Initiative und eine Parlamentarische Initiative als
indirekten Gegenentwurf zur Transparenz-Initiative2) zurzeit ähnliche Diskussionen zur Debatte. Zu-
sätzlich zum oben umschriebenen Umstand erscheint es folglich kaum opportun auf kommunaler
Ebene Regelungen zu erlassen, welche allenfalls in Kürze bereits wieder überholt sein könnten. Dem
Stadtrat wird daher die Ablehnung der Motion beantragt.

II. Antrag

Der Gemeinderat beantragt die Motion zur Ablehnung.

DER GEMEINDERAT

Stefan Berger, Stadtpräsident
Stefan Ghioldi, Stadtschreiber

1
  Von den acht kommunalen Abstimmungen dürfte es sich bei drei Abstimmungen um „rein“ techni-
sche und vom übergeordneten Recht zwingend erforderlichen Gemeindeabstimmungen gehandelt
haben (GO-Teilrevisionen, Art. 23 GG). Vermutungsweise wurde nur ganz vereinzelt ein intensiverer
Abstimmungskampf mit etwas mehr als den üblichen Wahlkampmittel geführt.
2
  Die Staatspolitische Kommission des Ständerates hat am 21. Januar 2019 die Ausarbeitung gesetzli-
cher Grundlagen zur Stärkung der Transparenz in der Politikfinanzierung (Parlamentarische Initiative,
19.400) beschlossen. Die Staatspolitische Kommission des Nationalrates hat dem am 22. Febru-
ar 2019 zugestimmt. Aktuell befindet sich der Entwurf der Vorlage in der Diskussion zwischen den
Räten (BBl 2019 7901). Zur Behandlung der Transparenz-Initiative (18.070) wurde anlässlich der Früh-
jahrssession 2020 eine Fristverlängerung bis am 10. April 2021 beschlossen.

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