MULTIPLE SKLEROSE 25 FRAGEN UND ANTWORTEN - HERAUSGEGEBEN VON DER MS GESELLSCHAFT WIEN
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
Mehr verstehen. Mehr leben. MULTIPLE SKLEROSE 25 FRAGEN UND ANTWORTEN HERAUSGEGEBEN VON DER MSGESELLSCHAFT WIEN
Über den Autor: Über die Herausgeberin: Ao. Univ. Prof. Dr. Fritz Leutmezer ist der Die Multiple Sklerose Gesellschaft Wien Präsident der Österreichischen Multiple ist eine gemeinnützige Non-Profit-Orga- Sklerose Gesellschaft, Neurologe und ar- nisation, deren Aufgabe es ist, Menschen beitet an der Universitätsklinik für Neu- mit MS und deren Angehörige durch In- rologie am Allgemeinen Krankenhaus formation, Beratung und Betreuung zu Wien sowie in eigener Praxis in Wien. unterstützen. Kontaktadresse: Kontaktadresse: Univ. Prof. Dr. Fritz Leutmezer, Multiple Sklerose Gesellschaft Wien Universitätsklinik für Neurologie, Hernalser Hauptstraße 15–17, 1170 Wien Medizinische Universität Wien, Tel. 01/409 26 69 | Email: office@msges.at Währinger Gürtel 18–20, 1090 Wien Homepage: www.msges.at
VORWORT LIEBE LESERIN, LIEBER LESER!* Wien, September 2020 Die Broschüre „MULITPLE SKLEROSE 25 Fragen und Antworten“ soll über die Erkrankung informieren, über deren Mechanismen und Auswirkungen sowie über alle Behandlungsmöglichkeiten, die es zum Zeitpunkt des Erscheinens der Broschüre gibt. Es werden jene 25 Fragen beantwortet, die der Autor und die Mitarbeiterin- nen der MS-Gesellschaft Wien in den vergangenen Jahrzehnten in unzähligen Gesprächen mit Patientinnen* gesammelt haben; Fragen, die auch nach sorg- fältiger ärztlicher Aufklärung immer wieder auftauchen können. Wenn Sie sich für Multiple Sklerose interessieren, sind Sie vielleicht vor nicht allzu langer Zeit mit der Diagnose konfrontiert worden, stehen einem Menschen mit MS nahe oder wollen einfach informiert sein. In jedem Fall kann die Broschüre weiterhelfen, denn sie vermittelt Wissen – und Wissen hilft, davon sind wir von der MS-Gesellschaft Wien überzeugt, ganz nach unserem Motto Mehr verstehen – Mehr Leben. Mein spezieller Dank gilt dem Präsidenten der Österreichischen MS-Gesell- schaft und Autor der Broschüre, Ao. Univ. Prof. Dr. Fritz Leutmezer, der mit seinem Wissen und seinem Einsatz die Herausgabe einer inhaltlich unabhän- gigen medizinischen Informationsbroschüre ermöglicht hat. Ebenso danke ich meinen Mitarbeiterinnen, die ihre Erfahrung und viel Engagement in das Projekt eingebracht haben. Layout und Druck wurde durch die großzügige finanzielle Unterstützung der Firma Biogen ermöglicht, dafür meinen aufrichtigen Dank. Karin Krainz-Kabas, Geschäftsführerin Multiple Sklerose Gesellschaft Wien *Der Text dieser Broschüre ist aufgrund besserer Lesbarkeit über weite Strecken in weiblicher Form geschrieben. Es sind stets beide Geschlechter gemeint.
INHALTSVERZEICHNIS Was ist MS? ................................................................................................... Seite 5 1. Was ist die Ursache der MS?.................................................................. Seite 7 2. Wie häufig ist MS? ................................................................................. Seite 7 3. Wie stellt man MS fest? ......................................................................... Seite 8 4. Was sind die McDonald Kriterien? ..................................................... Seite 13 5. Ist es wirklich MS oder kann es nicht auch etwas Anderes sein? ..... Seite 14 6. Welche Beschwerden treten bei MS auf? ........................................... Seite 15 7. Was ist ein Schub?................................................................................ Seite 17 8. Wie behandelt man einen Schub? ...................................................... Seite 17 9. Muss ich bei einem Schub Kortison nehmen? Was passiert, wenn ich darauf verzichte? .......................................... Seite 17 10. Wie wird die MS bei mir verlaufen? ................................................... Seite 18 11. Was sind immunmodulatorische Therapien? ..................................... Seite 20 12. Was passiert, wenn ich nicht sofort mit einer Immuntherapie beginne?.................................................... Seite 26 13. Symptomatische Therapie ................................................................... Seite 27 14. Was kann die Komplementärmedizin für mich tun?......................... Seite 28 15. Soll ich meine Ernährung umstellen? ................................................. Seite 29 16. Brauche ich mehr Vitamine? ............................................................... Seite 30 17. Muss ich Sonne und Wärme meiden?................................................. Seite 31 18. Darf ich mich impfen lassen? .............................................................. Seite 32 19. Wie beeinflusst Stress die MS? ............................................................ Seite 33 20. Wirkt sich MS auf die Psyche aus? ...................................................... Seite 35 21. Ist MS vererbbar? ................................................................................. Seite 36 22. MS und Schwangerschaft .................................................................... Seite 36 23. Wie finde ich die passende Ärztin? .................................................... Seite 37 24. Wer hilft mir sonst noch weiter? ........................................................ Seite 37 Wichtige Kontaktadressen ........................................................................ Seite 38
5 Was ist MS? Multiple Sklerose gehört zu den sogenannten Autoimmunerkrankungen. Das ist eine Gruppe von Erkrankungen, bei denen das Immunsystem in einer Art Überreaktion auf körpereigenes Gewebe losgeht, in der irrigen Annahme, dass es sich dabei um körperfremde Eindringlinge handeln könnte. Wenn das Immunsystem in diesem Zusammenhang die Haut attackiert, kann eine Schup- penflechte entstehen, bei einem Angriff auf Gelenke kommt es zu Rheuma, und stellen Nervenzellen das Zielorgan dar, kann eine Multiple Sklerose ent- stehen. Warum das Immunsystem körpereigene Zellen irrtümlich angreift, ist nicht ganz klar. Normalerweise werden weiße Blutkörperchen (sog. T-Lymphozyten) im Blut und in Lymphknoten dann aktiviert, wenn Bakterien, Viren oder andere Erreger in den Körper eindringen. Durch diese Aktivierungsvorgänge wird ein rascher Angriff auf die Eindringlinge gestartet, und diese werden im Idealfall vernichtet. Bei MS kommt es möglicherweise zu einer Aktivierung von selbstzerstöreri- schen T-Lymphozyten, weil die Oberfläche von Nervenzellen eine täuschende Ähnlichkeit mit Erregern hat und quasi fälschlich als fremd erkannt wird. Eine andere Erklärung wäre, dass immer auch wenige autoaggressive T-Zellen im Körper unterwegs sind, diese aber durch entsprechende Unterdrückerzellen unschädlich gemacht werden. Bei MS könnte die Funktion dieser Unterdrü- ckerzellen gestört sein, sodass vermehrt T-Zellen gebildet werden, die auf das Nervensystem losgehen. Sobald diese T-Zellen aktiviert sind, durchdringen sie die normalerweise rela- tiv dichte Schranke zwischen Blut und Gehirn und greifen über verschiedene Mechanismen direkt und indirekt die Nervenzellen an. Warum es diesen Zel- len bei der MS gelingt, die normalerweise sehr dichte Blut-Hirn-Schranke zu überwinden, ist nicht klar. Möglicherweise kann auch eine Störung dieser Blut- Hirn-Schranke selbst einen der für MS verantwortlichen Faktoren darstellen. Primäres Angriffsziel der Immunzellen im Gehirn ist immer die Nervenhülle (sog. Myelin, daher ist auch oft von einer demyelinisierenden Erkrankung die Rede), später wird dann aber auch das Innenleben der Nervenzelle (das Axon) beschädigt. Während das Stadium mit alleiniger Beschädigung der Nervenhülle 25 Fragen und Antworten
6 noch teilweise reversibel ist (d. h. Schäden können hier noch bis zu einem ge- wissen Grad repariert werden), stellt das Stadium mit Zerstörung des Axons einen irreparablen Schaden dar. Immer wenn eine solche Angriffswelle von Entzündungszellen auf das Gehirn losgeht, kommt es zu einem Schub (das sind Beschwerden, die Sie selbst und manchmal auch andere Personen bemerken) oder zumindest zum Auftreten von Entzündungsstellen im Gehirn, die man nur mittels MRT-Bildern darstellen kann. Man nennt dieses Stadium der Erkrankung auch schubförmige MS. Bei jedem dieser Entzündungsschübe entstehen aber wahrscheinlich auch schädli- che Substanzen, die sich im Lauf der Zeit im Gehirn ansammeln und im späteren Verlauf der Erkrankung zu einem langsamen, aber stetigen Absterben von Ner- venzellen führen. Dieses Stadium, in dem die Entzündung nur mehr eine un- tergeordnete Rolle spielt, wird auch als sekundär chronisch progrediente MS bezeichnet, weil die Beschwerden nicht mehr abrupt – in Schüben – auftre- ten, sondern es aufgrund des langsamen Absterbens der Nervenzellen zu einer langsam schleichenden Verschlechterung der Beschwerden kommt. Bei 10 bis 15% der MS-Betroffenen verläuft die Erkrankung von Beginn schlei- chend, wobei nur vereinzelt auch zusätzlich Schübe auftreten können. Man spricht in diesem Fall von primär progredienter MS. Die Mechanismen, welche dieser Form der MS zugrunde liegen, dürften andere sein, jedenfalls tritt diese Form erst in späterem Alter auf, betrifft mehr Männer und spricht auf die üb- lichen Therapien nicht an.
7 1. WAS IST DIE URSACHE fig auftretende) Virusinfektionen (wie DER MS? beispielsweise das Eppstein Barr-Virus), Ernährungsgewohnheiten, Vitamin D, Es wird vermutet, dass MS durch eine Rauchen aber auch die zunehmend bes- Mischung aus genetischer Veranlagung seren hygienischen Verhältnisse, die und dem Einwirken bestimmter Umwelt- dazu führen, dass das Immunsystem faktoren in der Kindheit verursacht wird. immer später mit Erregern konfrontiert Die MS ist dabei keine klassische Erb- wird. Diese Umweltfaktoren müssen in krankheit, bei der es ein einzelnes Gen einem relativ engen Zeitfenster vor der gibt, das für das Entstehen der Erkran- Pubertät einwirken, wie man aus Migra- kung verantwortlich ist und bei der man tionsstudien weiß. Wandert ein Mensch die Wahrscheinlichkeit ihres Auftre- aus einer Region, in der MS häufig ist in tens bei Kindern mit einer definierten eine solche aus, wo MS nicht vorkommt, Wahrscheinlichkeit vorhersagen kann. dann reduziert sich sein Erkrankungsri- Vielmehr gibt es eine lange Liste von siko deutlich, wenn er vor der Pubertät Genen, die mit der Erkrankung irgend- auswandert und bleibt dagegen gleich, wie zusammenhängen und von denen wenn er erst später emigriert. möglicherweise eine Reihe verschiede- Nur wenn beide Faktoren – genetische ner (und bei jedem Menschen andere) Disposition und Umweltfaktoren in ei- zusammenspielen müssen, um die gene- nem engen Zeitfenster – vorhanden sind, tische Veranlagung zu prägen. Dass die dürften immunologische Mechanismen Gene eine Rolle spielen, kann aus Be- in Gang gesetzt werden, die dann viele obachtungsstudien abgeleitet werden, Jahre später zur Erkrankung führen. die gezeigt haben, dass das Risiko für die Erkrankung bei eineiigen Zwillingen 20 2. WIE HÄUFIG IST MS? bis 30% beträgt und für Kinder betrof- fener Eltern zwischen 2 und 4% liegt, Generell tritt die Erkrankung in Län- während sich das Risiko in der Gesamt- dern, die nahe am Äquator liegen fast gar bevölkerung auf nur 0,1% beläuft. nicht auf, während sie in Nordamerika Ob dann bei einem genetisch veran- und Europa am weitesten verbreitet ist. lagten Menschen tatsächlich eine MS In Österreich gibt es geschätzte 13.000– entsteht, hängt wahrscheinlich von Um- 14.000 Menschen mit MS. weltfaktoren ab, die bis heute noch nicht Frauen sind drei Mal häufiger betrof- zweifelsfrei identifiziert werden konn- fen und das typische Erkrankungsalter ten. Vermutet werden (banale und häu- liegt zwischen dem 20. und 40. Lebens- 25 Fragen und Antworten
8 jahr, wobei die Erkrankung in Einzel- ben. Dies liegt aber nicht am Unvermö- fällen auch bei Kindern und Menschen gen der behandelnden Neurologin. Ganz über 60 Jahren erstmals auftreten kann. im Gegenteil spricht es für ein sorgfälti- Warum die Erkrankung bei Frauen ges Vorgehen, wenn Ihre Neurologin die häufiger auftritt und die Anzahl Betrof- Diagnose nicht sofort stellen, sondern fener, vor allem unter Frauen, im Laufe Sie nach einigen Monaten, vielleicht der letzten Jahrzehnte weiter angestie- mit neuen Befunden noch einmal sehen gen ist, weiß man nicht sicher. Hormo- möchte, ehe sie sich bezüglich der Diag- nelle Faktoren werden ebenso diskutiert nose festlegen will. Dies verhindert, dass wie bestimmte Umweltfaktoren, wo- frühzeitig eine falsche Diagnose gestellt bei das bei Frauen in den letzten Jahr- und eine nicht notwendige Immunthera- zehnten überproportional angestiegene pie begonnen wird, beides Phänomene, Rauchverhalten als eine der möglichen die in der Praxis leider immer wieder be- Ursachen diskutiert wird. obachtet werden. Am Beginn jeder neurologischen 3. WIE STELLT MAN Untersuchung steht zunächst das Ge- MS FEST? spräch mit der Patientin, in dem diese über ihre jetzigen (und eventuell frü- Oft hört man, die MS sei eine schwierig heren) Beschwerden berichtet. Aus zu diagnostizierende Erkrankung. Dies diesem Gespräch ergeben sich meist trifft aber nur für einen relativ kleinen schon erste wichtige Hinweise: Handelt Teil aller Patientinnen zu. Bei den meis- es sich um einen ersten Schub oder gab ten wird die Neurologin nach genauer es in der Vergangenheit schon welche, Schilderung der aktuellen und eventuell die unter Umständen von selbst wieder früher aufgetretenen Beschwerden, ei- verschwunden sind und denen aus die- ner sorgfältigen neurologischen Unter- sem Grund keine weitere Beachtung ge- suchung und unter Zuhilfenahme der schenkt wurde. Liquor- und MRT-Befunde die Diagnose Im zweiten Schritt folgt nun die ei- rasch stellen können. In manchen Fällen gentliche neurologische Untersuchung, wird dies nicht sofort möglich sein. Vor in deren Rahmen die verschiedenen, allem, wenn die Beschwerden zum ersten von Gehirn und Rückenmark gesteuer- Mal auftreten oder die weiteren Unter- ten Funktionen überprüft werden: Die suchungen keine typischen Befunde er- Sinnesorgane inklusive der Haut, die geben, kann zunächst eine Unsicherheit motorischen Funktionen (inkl. Kraft, bezüglich der Diagnose bestehen blei- Muskelspannung und Sehnenreflexe),
9 die Koordination und das Gleichge- gen können die Bildqualität drastisch wicht sowie eine grobe Prüfung der verschlechtern), die Enge der Röhre in höheren Hirnleistungen (Sprache, Ge- der man liegt oder der relativ hohe Ge- dächtnis, Aufmerksamkeit und andere) räuschpegel, den das Gerät verursacht, aber auch der psychischen Verfassung. als unangenehm empfunden. Ziel dieser Untersuchung ist es ei- Im Rahmen einer Untersuchung wer- nerseits, den Ort der Entzündung im den verschiedene Messungen durch- Gehirn und im Rückenmark zu lokali- geführt, die unterschiedliche Infor- sieren, wodurch der weitere Einsatz ap- mationen über die Erkrankung liefern parativer Untersuchungsmethoden ge- können. In den sogenannten T2-ge- zielt erfolgen kann. Andererseits geht es wichteten Bildern zeigen sich Entzün- darum, Hinweise auf früher stattgehabte dungsnarben heller. Injiziert man zu- Entzündungen zu finden, die so gering sätzlich noch ‚Kontrastmittel’, werden waren, dass sie der Patientin gar nicht auf den T1-gewichteten Bildern jene aufgefallen sind. Um den neurologi- Stellen hell markiert, an denen mo- schen Status bei MS-Patientinnen zwi- mentan gerade eine Entzündung ab- schen verschiedenen Untersuchungen läuft. Alte Narben dagegen, bei denen und verschiedenen Untersucherinnen die abgestorbenen Nervenzellen durch vergleichbar machen zu können, wurde Bindegewebe ersetzt wurden, imponie- eine standardisierte Bewertungsskala, ren auf T1-gewichteten Bildern dunkel, die sogenannte EDS-Skala etabliert. In was ihnen auch den Namen ‚schwarze Abhängigkeit von den festgestellten Be- Löcher’ eingebracht hat. Darüber hin- einträchtigungen wird ein Punktewert aus kann heute mit speziellen Techni- vergeben, der sogenannte EDSS-Wert. ken auch das Hirnvolumen vermessen Nach der neurologischen Untersu- werden, wodurch schon frühzeitig ein chung erfolgt in der Regel eine Magnet diffuser Nervenzelluntergang (sog. resonanztomographie (MRT). Diese Atrophie) nachgewiesen werden kann. erzeugt mithilfe eines sehr starken Ma- Die Atrophie und ihre Messung mittels gnetfeldes Bilder von Gehirn und Rüc- MRT könnte vor allem für die späteren kenmark mit einer sehr guten Auflö- (progredienten) Stadien der Erkran- sung. Die Messung selbst ist, sieht man kung von Bedeutung sein, da in die- von der eventuell notwendigen Punkti- ser Phase neue Entzündungen und die on einer Armvene ab, schmerzlos. Von damit verbundene Entstehung neuer manchen Patientinnen wird das lange Narben nur mehr eine untergeordne- Liegen in ruhiger Position (Bewegun- te Rolle spielen, während der langsam 25 Fragen und Antworten
10 EDSS-Skala Wert Beschreibung 0,0 normaler neurologischer Untersuchungsbefund 1,0 keine Behinderung, geringfügige Störung in einem funktionellen System 1,5 keine Behinderung, geringfügige Störung in mehr als einem funktionellen System 2,0 leichte Behinderung in einem funktionellen System 2,5 leichte Behinderung in mehr als einem funktionellen System 3.0 mäßiggradige Behinderung in einem funktionellen System oder leichte Behinderung in drei oder vier funktionellen Systemen, aber vollständig gehfähig 3,5 mäßiggradige Behinderung in zwei funktionellen Systemen oder mäßiggradige Behinderung in einem funktionellen System und leichte Behinderung in einem oder zwei funktionellen Systemen oder leichte Behinderung in fünf funktionellen Systemen, aber voll gehfähig 4,0 gehfähig ohne Hilfe und Ruhepause mind. 500 m am Tag; während 12 Stunden aktiv trotz relativ schwerer Behinderung 4,5 gehfähig ohne Hilfe und Ruhepause mind. 300 m; ganztägig arbeitsfähig, aber mit gewissen Einschränkungen wegen relativ schwerer Behinderung 5,0 gehfähig ohne Hilfe und Ruhepause für etwa 200 m; Behinderung schwer genug, um tägliche Aktivitäten zu beeinträchtigen 5,5 gehfähig ohne Hilfe und Ruhepause für etwa 100 m; Behinderung schwer genug, um normale tägliche Aktivität zu verhindern 6,0 mit einseitiger oder zeitweiliger Unterstützung (Gehhilfe) ohne Ruhepause gehfähig für etwa 100 m 6,5 mit dauernder, beidseitiger Unterstützung (Gehhilfe) ohne Ruhepause gehfähig für etwa 20 m 7,0 nicht fähig, selbst mit Hilfe, mehr als 5 m zu gehen; weitgehend rollstuhlbedürftig, der aber ohne Hilfe benutzt werden kann, Transfer selbständig möglich 7,5 unfähig, mehr als ein paar Schritte zu gehen; kann Rollstuhl selbst bewegen und den Transfer ohne Hilfe durchführen 8,0 weitgehend auf das Bett beschränkt, kann aber auch noch im Rollstuhl sitzen; pflegt sich weitgehend selbständig mit meist gutem Gebrauch der Arme 8,5 auch während des Tages weitgehend bettlägerig; teilweise selbständige Pflege mit teilweisem Gebrauch der Arme 9,0 Patientin mit Ausnahme der Nahrungsaufnahme und der Kommunikation vollständig auf fremde Hilfe angewiesen 9,5 Patientin kann nicht selbständig essen und kommunizieren 10,0 Tod durch MS
11 chronische Nervenzelluntergang und zur Überprüfung des Therapieeffektes die dadurch bedingte Atrophie im Mit- bei Patientinnen unter laufender The- telpunkt stehen. rapie ist die Methode geeignet. Nach- Die MRT kommt zunächst am Beginn dem die Untersuchung ungefährlich der Erkrankung zum Einsatz und kann und nicht schmerzhaft ist, kann man sie hier einerseits andere Erkrankungen im Laufe der Jahre wiederholen und so wie Hirntumore, Schlaganfälle u. a. aus- eventuelle Veränderungen im zeitlichen schließen helfen und andererseits Auf- Verlauf besser beurteilen. schluss über bereits früher abgelaufene Eine weitere wichtige Untersuchung Entzündungen geben, die von Patientin- zur Sicherung der Diagnose ist die Lum- nen gar nicht bemerkt wurden. Außer- balpunktion mit nachfolgender Unter- dem eignet sich die MRT auch für Ver- suchung des Liquors. Der Liquor ist, im laufsbeobachtungen von Patientinnen, Gegensatz zum Blut, eine zell- und ei- die selbst keinen Schub bemerkt haben. weißarme, klare Flüssigkeit, die das Ge- Nachdem zahlreiche Entzündungsher- hirn und Rückenmark umspült. Sie dient de an Stellen im Gehirn auftreten, die dem Schutz vor Verletzungen, der Er- keine essentielle Funktion besitzen, nährung des Gehirns und dem Abtrans- können sie von Patientinnen auch nicht port von Schadstoffen. Im Fall einer Ent- bemerkt werden. In diesem Fall bietet zündung im Gehirn oder Rückenmark sich die MRT als objektive Methode an, lassen sich im Liquor bestimmte Zellen um solche „stummen“ Entzündungen und Eiweißbestandteile nachweisen, die, dokumentieren zu können. Aber auch je nach Ursache der Entzündung, mehr oder weniger charakteristisch sind. Da MRT Blut und Gehirn durch die sogenannte Blut-Hirn-Schranke relativ dicht vonei- nander abgeschottet sind, können diese Produkte im Blut nicht nachgewiesen werden. Die Entnahme des Liquors erfolgt im Rahmen einer sogenannten Lumbal- punktion. Dabei wird bei der sitzenden Patientin eine innen hohle Nadel zwi- schen zwei Dornfortsätzen der Wirbel- köper im Bereich der Lendenwirbelsäule so weit eingestochen, dass sie im Liquor- 25 Fragen und Antworten
12 raum zu liegen kommt. Sobald ausrei- chend Liquor herausgetropft ist (etwa Lumbalpunktion ein halbes Schnapsglas) wird die Nadel wieder herausgezogen. Unangenehm Rückenmark sind, neben den Schmerzen an der Ein- Nervenwasser stichstelle, die manchmal auftretenden und in ein Bein ausstrahlenden elektri- Punktionskanüle sierenden Schmerzen, die durch das Be- rühren einer Nervenwurzel entstehen können. An relevanten Nebenwirkun- gen sind vor allem Kopfschmerzen zu nennen, die manchmal Stunden bis Tage nach der Punktion auftreten können und dadurch charakterisiert sind, dass sie im Liegen verschwinden, beim Aufstehen aber rasch wieder auftreten. Die Untersuchung des Liquors ver- Zuletzt werden häufig noch visuell folgt 3 Zwecke: (1) können damit erre- evozierte Potentiale (VEP) abgeleitet. gerbedingte Entzündungen des Gehirns, Die Untersuchung selbst ist schmerz- die manchmal mit einer MS verwechselt los, die Patientinnen blicken auf einen werden können, ausgeschlossen wer- Schirm, auf dem rasch wechselnde Kon- den. (2) kann die Untersuchung des Li- traste erscheinen. Mittels Elektroden, quors in Einzelfällen Aufschlüsse über die über der Sehrinde am Hinterhaupt den weiteren Verlauf bzw. über opti- aufgeklebt werden, wird die Zeit gemes- male Therapiemöglichkeiten ergeben. sen, die der optische Reiz braucht, bis er (3) können für MS typische Liquorbe- an der Sehrinde angelangt ist und dort funde die diagnostische Sicherheit ins- ein elektrisches Signal erzeugt. Durch besondere dann erhöhen, wenn sich die Vergleich mit den Normalwerten ge- Erkrankung in einem noch sehr frühen sunder Kontrollpersonen kann so eine Stadium befindet oder wenn die Ergeb- Schädigung der Sehbahn objektiviert nisse anderer Untersuchungen unklar werden. oder zweifelhaft sind. Bis auf ganz we- Auf diese Weise können auch dis- nige Ausnahmen wird die Liquorunter- krete Entzündungen, die von den Pa- suchung nur einmal im Verlauf der Er- tientinnen unter Umständen gar nicht krankung durchgeführt. bemerkt wurden und schon längere
13 Zeit zurückliegen, nachgewiesen wer- Mit ähnlichen Methoden wie den VEP den. 70–90% aller MS-Patientinnen können auch motorische oder sensible entwickeln im Verlauf der Erkrankung Bahnsysteme überprüft werden (soge- pathologische Befunde der VEP. Aller- nannte motorisch oder somatosensibel dings kann mittels der VEP, so wie auch evozierte Potentiale). mittels anderer evozierter Potentiale, nur nachgewiesen werden, dass in der 4. WAS SIND DIE betreffenden Nervenbahn ein Defekt MCDONALD KRITERIEN? besteht. Ob dieser Defekt durch eine Entzündung oder eine andere Art von Bis vor einigen Jahren wurde die Dia- Schädigung hervorgerufen wurde, kann gnose MS fast immer erst nach meh- so nicht eruiert werden. reren Schüben gestellt. Nach einem Eine neuere Methode zur Überprü- ersten Schub durfte man definitionsge- fung der Sehnerven stellt die soge- mäß noch nicht von Multipler Sklerose nannte. optische Kohärenztomographie sprechen, da eine Voraussetzung für die (OCT) dar, die eine schmerzlose und Diagnose war, dass mehrere (multiple) sehr genaue Vermessung der Nerven- Schübe aufgetreten waren. Viele Ärz- faserdicke erlaubt und insbesondere für tinnen begnügten sich daher am Beginn Verlaufsbeobachtungen nützlich ist. der Erkrankung mit eher vagen Anga- Visuell evozierte Potentiale (VEP) Monitor Verstärker Visuell evoziertes Potential 25 Fragen und Antworten
14 ben („Vielleicht etwas Entzündliches“, zum Ausdruck. Trotzdem kommen sie „Mal schauen, ob es überhaupt wieder heute nicht nur im Rahmen von Medi- kommt“) und bestellten die Patientin- kamentenstudien zum Einsatz, sondern nen im besten Fall zu mehr oder min- haben auch in der Routinebehandlung der regelmäßigen Kontrollen. Diese, für Einzug gefunden. Patientinnen oft unbefriedigende Situa- Zentraler Punkt der Diagnose ist und tion mag auch aus dem Umstand heraus bleibt der Nachweis der räumlichen und erklärbar gewesen sein, dass man den zeitlichen Verteilung von Beschwerden Patientinnen ohnedies keine langfristige und Erkrankungszeichen, die in der Therapie anbieten konnte. neurologischen Untersuchung doku- Mit zunehmender Verfügbarkeit im- mentiert werden. Sind diese Zeichen munmodulatorischer Therapien wurde (ganz am Beginn der Erkrankung) sehr immer klarer, dass diese Therapien gering ausgeprägt, kann es erforderlich umso besser wirken, je früher im Verlauf sein, Zusatzuntersuchungen, wie eine der Erkrankung sie eingesetzt werden. MRT oder eine Lumbalpunktion durch- Somit bestand Bedarf, die Erkrankung zuführen, um die Diagnose zu sichern. frühzeitig zu diagnostizieren, um sie in Gleichzeitig müssen auch immer ande- weiterer Folge auch frühzeitig behan- re Erkrankungen, welche ähnliche Be- deln zu können. Damit entstand aber schwerden oder Befunde verursachen auch das Problem, dass die Diagnose können mit hinreichender Sicherheit schwieriger wurde, da man eben nicht ausgeschlossen werden. jahrelang Zeit hatte, Patientinnen zu be- obachten, um zu schauen, ob es tatsäch- 5. IST ES WIRKLICH MS lich ein für MS typischer Verlauf ist. Die ODER KANN ES NICHT Gefahr, die Diagnose fälschlicherweise AUCH ETWAS ANDERES zu stellen, steigt in einem solchen Fall an. SEIN? Es wurde daher versucht, Kriterien zu erarbeiten, welche die Diagnose be- So wie bei vielen anderen Erkrankun- schleunigen helfen sollen, ohne dabei gen auch, gibt es für die meisten Be- aber die Sicherheit dieser Diagnose zu schwerden fast immer unterschiedliche beeinträchtigen bzw. das Risiko von Ursachen. Nachdem die Beschwerden Fehldiagnosen zu erhöhen. Naturge- im Rahmen der MS besonders vielfäl- mäß wird ein solcher Versuch nie per- tig sein können, müssen auch entspre- fekt gelingen, dies kommt auch in meh- chend viele andere Erkrankungen in reren Überarbeitungen dieser Kriterien Betracht gezogen werden. Wenn diese
15 auch insgesamt im Vergleich zur MS denen Beschwerden, die meist Wochen sehr selten sind, sollte doch eine große oder wenige Monate andauern können, Sorgfalt darauf verwendet werden, um werden gefolgt von oft jahrelangen, be- solche Erkrankungen frühzeitig auszu- schwerdefreien Intervallen. Die häufigs- schließen. ten Beschwerden in dieser Phase der Erkrankung sind Gefühls- und Sehstö- rungen, Lähmungen und Koordinations- andere Erkankungen störungen. Nach durchschnittlich 15 bis 20 Jahren Autoimmunerkrankungen SLE, Sjörgen-Syndrom, M. Behcet, ohne Therapie ändert die Erkrankung Sakoidose, Antiphospholipid- langsam ihr Gesicht: Die Schübe wer- Antikörpersyndrom, CIDP den weniger, bilden sich oft nicht mehr Vaskuläre Erkrankungen ganz zurück und es kommt zu einer fast Vaskulitis, spinale durale AV-Fistel, Kavernöse Hämangiome, CADASIL unmerklich langsam-schleichenden Ver- Metabolische Erkrankungen schlechterung von Beschwerden. Diese Vitamin B12-Mangel, Leukodystrophien Phase bezeichnet man auch als sekun- Infektionen där chronisch progrediente MS. Borreliose, HIV-Myleopathie, HTLV-1 Im Vordergrund stehen dann eine zu- spastische Paraparese, PML, Lues, ZNS-Parasitosen nehmende Gangstörung, eine erhöhte Genetische Syndrome Muskelsteifigkeit (sogenannte Spastik), hereditäre Ataxien, spastische Spinalpara- chronische Müdigkeit, aber auch Bla- lyse, LHON, Mitochondriale Erkrankungen senstörungen und verminderte Konzen- Neoplasien tration und Merkfähigkeit.Bei etwa 15% Psychogene, toxische, Malformationen aller Patientinnen verläuft die Erkran- MS-Varianten Isolierte NNO, transverse Myelitis, NMO, kung von Beginn an schleichend, man ADEM, Marburg-Variante, Diffuse (Schilder) spricht auch von primär chronisch pro- und konzentrische (Balo) Sklerose gredienter MS. Diese beginnt meist mit einer langsam zunehmenden Gang- und Koordinationsstörung, die initial oft 6. WELCHE BESCHWERDEN als Ungeschicklichkeit fehlinterpretiert TRETEN BEI MS AUF? wird. Im Gegensatz zur schubförmigen MS, die überwiegend junge Frauen be- Die Erkrankung verläuft bei etwa 85% trifft, sind von der primär chronischen der Betroffenen zunächst in Schüben. MS mehr Männer im mittleren Lebens- Das bedeutet, Episoden mit verschie- alter betroffen. 25 Fragen und Antworten
16 Beschwerden bei MS Symptom Häufigkeit Symptom Häufigkeit Parese 80% Schwindel 19% sensible Symptome 73% Kopfschmerz 17% Ataxie 72% psychische Probleme 16% Blasenstörung 62% Gesichtsschmerz 14% Fatigue 48% Taubheit 13% Krämpfe 44% andere 8% Mastdarmstörungen 37% Dysphagie 7% Visusstörungen 33% Gesichtslähmung 5% Gedächtnisstörungen 27% Black out 4% Doppelbilder 26% Geschmackstörung 2% Dysarthrie 25% Verlaufsformen Grad der Behinderung A schubförmiger Verlauf mit vollständiger Rückbildung der Beschwerden B schubförmiger Verlauf mit unvollständiger Rückbildung der Beschwerden C zunächst schubförmiger Verlauf mit vollständiger Rückbildung der Beschwerden, später sekundär chronisch progredienter Verlauf ohne weitere Schübe D wie C, jedoch zusätzlich einzelne Schübe während der sekundär chronisch progredienten Phase E primär chronisch progredienter Verlauf mit zusätzlichen Schüben F primär chronisch progredienter Verlauf ohne Schübe Dauer der Erkrankung
17 7. WAS IST EIN SCHUB? Neben einer schlechten Magenverträg- lichkeit, welcher durch gleichzeitige Wenn Beschwerden erstmals auftreten Gabe von Medikamenten vorgebeugt oder früher bestandene Beschwerden wird, treten manchmal Stimmungs- wieder auftreten bzw. an Intensität zu- schwankungen und Schlafstörungen nehmen, spricht man von einem Schub. sowie ein metallischer Geschmack auf. Um einen Schub von kurzfristigen Be- Die allerorts gefürchteten Kortison- findlichkeitsstörungen abzugrenzen, wird Nebenwirkungen, wie Gewichtszunah- gefordert, dass die Beschwerden länger me, Abnahme der Knochendichte und als 24 Stunden andauern. Im Idealfall Hautveränderungen treten dagegen bei sollen andere mögliche Ursachen für kurzfristiger Gabe nicht auf. die Beschwerden (beispielsweise Infek- te) mittels Laboruntersuchungen ausge- 9. M USS ICH BEI EINEM schlossen werden und die Beschwerden SCHUB KORTISON NEHMEN? sollen im Rahmen einer neurologischen WAS PASSIERT, WENN ICH Untersuchung auch objektiviert werden. DARAUF VERZICHTE? 8. WIE BEHANDELT MAN Obwohl die Verträglichkeit einer nur EINEN SCHUB? wenige Tage dauernden, hochdosierten Kortisontherapie in den meisten Fällen Standardmäßig behandelt man einen gut ist, gibt es doch einige Patientinnen, Schub mit einer Kortisoninfusionsthe- die unter einer solchen Therapie leiden. rapie (jeweils 1 g Methylprednisolon an Andererseits gibt es auch Menschen, die 5 aufeinander folgenden Tagen). Zeigen eine generelle Abneigung haben, sich die Beschwerden 3–4 Wochen nach „Chemikalien“ in den Körper schütten Therapiebeginn noch keine Besserungs- zu lassen und daher einer solchen The- tendenz, kann ein erneuter Zyklus mit rapie eher ablehnend gegenüberstehen. intravenösem Methylprednisolon (ev. in Generell kann man sagen, dass vor allem höherer Dosierung mit 2 Gramm über 5 Schübe, die nur geringe Beschwerden Tage) erfolgen. Bleibt auch das ohne Er- in einem sehr umschriebenen Teil des folg, sollte eine Blutwäsche (sogenann- Körpers (z. B. Kribbeln an einem Fin- te Plasmapherese) in Betracht gezogen ger) verursachen, auch oft wieder von werden. Die Nebenwirkungen einer selbst verschwinden. Es ist also durch- kurzzeitigen Therapie mit hoch dosier- aus zulässig, in solchen Fällen einige tem Methylprednisolon sind moderat. Tage abzuwarten, ob es nicht zu einem 25 Fragen und Antworten
18 Diese Information ist allerdings für die einzelne Patientin nur von begrenz- tem Wert, da individuelle Patientinnen von diesem durchschnittlichen Verlauf der MS mitunter gewaltig abweichen können. So lag in einer großen französi- schen Untersuchung die mittlere Krank- heitsdauer, bis zu der die Patientinnen, die nie eine Therapie für ihre MS er- halten hatten, nur noch mit Hilfe eines Stockes gehen konnten, bei 20 Jahren. Allerdings erreichten diesen Behinde- spontanen Abklingen der Beschwerden rungsgrad etwa 30% auch schon nach 10 kommt. Andererseits sollte aber bei Jahren, während andererseits 20% der Schüben, bei denen ein Auge betroffen Patientinnen auch nach 40 Jahren noch ist oder auch bei Lähmungen oder Ko- ohne Hilfe gehen konnten. Nachdem ordinationsstörungen doch relativ rasch die Erkrankung individuell also höchst eine Kortisontherapie gestartet werden, unterschiedlich verlaufen kann, ist es für da die Beschwerden damit rascher und die meisten Patientinnen eine der wich- auch vollständiger abheilen als ohne tigsten Fragen, wo auf diesem Kontinu- eine solche Therapie. um zwischen gutartiger, moderater oder aggressiver Verlaufsform sie ihre eigene 10. WIE WIRD DIE MS Erkrankung einordnen können. BEI MIR VERLAUFEN? Auch wenn bis heute keine einzelne Untersuchung und kein einzelnes Detail Aufgrund von Beobachtungsstudien an aus der Krankengeschichte eine indivi- großen Patientinnengruppen weiß man duelle Prognose über den Verlauf der heute relativ gut, wie sich der Verlauf Erkrankung erlaubt, kann doch durch der Erkrankung durchschnittlich ge- das Zusammentragen möglichst vieler staltet, wie hoch das statistische Risiko Daten eine grobe Einschätzung versucht einer Behinderung nach einer bestimm- werden. ten Erkrankungsdauer ist und auch wie Wie der Verlauf unter den mittlerweile viele Schübe durch eine immunmodu- verfügbaren Immuntherapien sein wird, latorische Therapie verhindert werden kann heute noch nicht mit Sicherheit können. gesagt werden, da diese Therapien noch
19 prognostisch günstige Faktoren Als prognostisch günstige Faktoren zählen keine oder nur ganz wenige Narben in der MRT des Gehirns beim ersten Schub, ein junges Alter zu Krankheitsbe- ginn, eine Sehnervenentzündung oder eine Sensibilitätsstörung als erste Be- schwerden, eine lange Dauer zwischen dem ersten und dem zweiten Schub, eine rasche und vollständige Rückbildung des ersten Schubes sowie fehlende oligoklonale Banden im Liquor. nicht lange genug breit angewendet und bleibt auch die MRT-Kontrolle werden, um Aussagen über einen Zeit- nach dieser Zeit ohne neue (vor allem raum von 20 Jahren und mehr tätigen kontrastmittelaufnehmende) Läsionen, zu können. Es scheint aber die weitere dann kann auch mittelfristig von einem Prognose unter laufender immunmo- guten Ansprechen auf die Therapie dulatorischer Therapie – vor allem vom ausgegangen werden. Treten dagegen Verlauf in den ersten 1 bis 2 Jahren – in den ersten 1–2 Jahren unter Thera- abzuhängen: Tritt in dieser Anfangs- pie weitere Schübe auf oder finden sich periode unter Therapie kein Schub auf neue (vor allem kontrastmittelaufneh- 25 Fragen und Antworten
20 mende) Läsionen in der Kontroll-MRT, wurden früher auch als Eskalations- dann sollte ein Therapiewechsel zu ei- therapien bezeichnet, weil sie bei der ner potenteren Substanz überlegt wer- Mehrheit der Patientinnen nicht oder den, da die Langzeitprognose bei Ver- erst in einem späteren Stadium der Er- bleib auf der ursprünglichen Therapie krankung eingesetzt wurden. Damit wahrscheinlich ungünstig sein wird. wollte man in erster Linie vermeiden, dass man Patientinnen einem unnötig 11. WAS SIND IMMUN hohen Risiko von Nebenwirkungen aus- MODULATORISCHE setzt ohne zu wissen, ob die Erkrankung THERAPIEN? im Einzelfall überhaupt einer wirksame- ren und damit auch riskanteren Thera- Diese Therapien werden dauerhaft ver- pie bedarf. abreicht, um das bei der MS überschie- ßende Immunsystem in seiner Funk- DT herapien für den milden bis tion zu dämpfen bzw. auf ein normales moderaten Krankheitsverlauf Ausmaß zurückzuführen. Dadurch sol- der schubförmigen MS len Schübe in der Zukunft, im Idealfall Sie können aufgrund geringer Sicher- langfristig, aber auch bleibende Behin- heitsrisiken bereits in der Frühphase derung vermieden werden. der MS sowie bei geringer bis modera- Generell unterscheidet man Thera- ter Krankheitsaktivität verabreicht wer- pien für einen milden/moderaten Ver- den, wobei es keine allgemein gültige lauf einer MS, die aufgrund ihrer guten Definition des Begriffes mild oder mo- Langzeitsicherheit bereits sehr früh im derat gibt. Dies muss also im Einzelfall Verlauf der Erkrankung verordnet wer- unter Abwägung der Beschwerden der den und daher früher auch gerne als Ba- Patientin, ihrer MRT-Bilder und even- sistherapien bezeichnet wurden. Dane- tuell anderer Zus atzuntersuchungen ben gibt es Therapien für die sogenannte diskutiert und entschieden werden. hochaktiven MS, die verwendet werden, Unterschieden werden ganz generell wenn entweder die Basistherapien nicht Injektionstherapien, die schon seit fast ausreichend wirksam sind oder auf- 20 Jahren in Verwendung sind und von grund bestimmter Faktoren schon von denen ausreichende Daten auch zur Anfang an klar ist, dass die Erkrankung Langzeitsicherheit vorliegen von den aufgrund ihrer hohen Aktivität einer beiden erst kürzlich verfügbaren Tab- (zumindest vorübergehend) aggressi- letten, von denen es keine vergleichba- veren Therapie bedarf. Diese Therapien ren Daten zur Langzeitsicherheit gibt.
21 Interferon-beta 1b (Betaferon®) Nebenwirkungen: Verabreichung: jeden 2. Tag, häufig: Lokalreaktionen an der Ein- subkutane Injektion stichstelle, grippeartige Beschwerden Indikation: Erster Schub, selten: Schilddrüsenfunktionsstörungen, schubförmige MS, sekundär Depression chronisch progrediente MS Wirksamkeit: Schubratenreduktion Pegyliertes Interferon-beta 1a um 30% im Vgl. zu Placebo (Plegridy®) Nebenwirkungen: Verabreichung: 2×/Monat, häufig: Lokalreaktionen an der subkutane Injektion Einstichstelle, grippeartige Indikation: schubförmige MS Beschwerden Wirksamkeit: Schubratenreduktion selten: Schilddrüsenfunktionsstörungen, um 30% im Vgl. zu Placebo Depression Nebenwirkungen: häufig: Lokalreaktionen an der Ein- Interferon-beta 1a (Avonex®) stichstelle, grippeartige Beschwerden Verabreichung:1×/Woche, selten: Schilddrüsenfunktionsstörungen, intramuskuläre Injektion Depression Indikation: Erster Schub, schubförmige MS Glatirameracetat Wirksamkeit: Schubratenreduktion (Copaxone®, Biosimilar: Perscleran®) um 30% im Vgl. zu Placebo Verabreichung: 1× täglich, Nebenwirkungen: subkutane Injektion (ab 2015 auch häufig: grippeartige Beschwerden als 3×/Woche 40mg-Formulierung) selten: Schilddrüsenfunktionsstörungen, Indikation: erster Schub, Depression schubförmige MS Wirksamkeit: Schubratenreduktion Interferon-beta 1a (Rebif®) um 30% im Vgl. zu Placebo Verabreichung: 3×/Woche, Nebenwirkungen: subkutane Injektion häufig: Lokalreaktionen an der Indikation: Erster Schub, Einstichstelle schubförmige MS Wirksamkeit: Schubratenreduktion um 30% im Vgl. zu Placebo 25 Fragen und Antworten
22 Teriflunomid (Aubagio®) Generell gilt für alle Immuntherapien, Verabreichung: 1× täglich, Tablette dass ihre Verordnung und Anwendung Indikation: schubförmige MS einer gewissen regelmäßigen Kontrolle Wirksamkeit: Schubratenreduktion unterliegen sollte, wobei diese Kontrollen um 30% im Vgl. zu Placebo bei den Injektionspräparaten weniger Nebenwirkungen: häufig notwendig sind, da ihre Lang- häufig: Magen-Darm-Beschwerden, zeitsicherheit mittlerweile hinreichend Haarverdünnung belegt ist. Bei den von vielen Patien- selten: Blutdruckerhöhung, Hautrötung tinnen als angenehmer empfundenen Therapien in Tablettenform dagegen Dimethylfumarsäureester (Tecfidera®) ist diese Langzeitsicherheit noch nicht Verabreichung: 2× täglich, Kapsel hinreichend belegt bzw. sind sehr selten Indikation: schubförmige MS auftretende Komplikationen bekannt, Wirksamkeit: Schubratenreduktion die eine engmaschigere Kontrolle er- um 50% im Vgl. zu Placebo forderlich machen. Zu diesen Kontrol- Nebenwirkungen: len gehören regelmäßige neurologische häufig: Magen-Darm-Beschwerden, Untersuchungen ebenso wie ggf. MRT- Hitzewallungen Kontrollen, um die Wirksamkeit der Substanzen kritisch prüfen zu können. Darüber hinaus sind regelmäßige Blut-
23 und Harnuntersuchungen notwendig Fingolimod (Gilenya®) um eventuell Nebenwirkungen, welche Verabreichung: 1× täglich, Kapsel von den Patientinnen oft gar nicht oder Indikation: hoch aktive, viel zu spät bemerkt werden würden, schubförmige MS rechtzeitig erkennen und gegebenenfalls Wirksamkeit: Schubratenreduktion behandeln zu können. Keinesfalls darf um 50% im Vgl. zu Placebo bzw. um eine solche Therapie über Jahre ohne 40% gegen eine Interferontherapie entsprechende Kontrollen eingenom- Nebenwirkungen: men werden, auch wenn sich die Patien- selten: Herpesinfektionen, Änderungen tin wohl fühlt und selbst keinen Bedarf von Blutdruck und Puls sieht, immer wieder zum Arzt zu laufen. Augenerkrankung (Maculaödem), erhöhtes Risiko für bestimmte Formen DT herapien für die hoch von Hautkrebs, Virusinfektion des aktive schubförmige MS Gehirns (PML) mit zeitweise. tödlichem Diese Therapien finden nur Anwen- Verlauf dung, wenn mit den herkömmlichen Medikamenten die Krankheit nicht aus- Alemtuzumab (Lemtrada®) reichend zu stoppen war oder aufgrund Verabreichung: 2 Infusionsserien im bestimmter Parameter der Verdacht Jahresabstand, danach oft mehrere naheliegt, dass diese herkömmlichen Jahre keine Therapie erforderlich Therapien nicht ausreichend wirksam Indikation: hoch aktive, schubförmige sein werden, um eine sehr aggressive MS nach genauer Nutzen-Risiko- Erkrankung ausreichend in den Griff Abwägung und nur dann, wenn andere bekommen zu können. Therapien nicht in Betracht kommen Wirksamkeit: Schubratenreduktion Natalizumab (Tysabri®) um 55% im Vgl. zu einer Interferon- Verabreichung: 1×/Monat, Infusion therapie Indikation: hoch aktive, Nebenwirkungen: schubförmige MS häufig: Infusionsreaktionen Wirksamkeit: Schubratenreduktion (Kopfschmerz, Fieber, …) um 70% im Vgl. zu Placebo Schilddrüsenerkrankungen, Infektionen Nebenwirkungen: selten: Blutungen, Störung der selten: allergische Reaktion Funktion der weißen Blutkörperchen, Virusinfektion des Gehirns (PML) Herzinfarkt, Nierenerkrankungen, mit ztw. tödlichem Verlauf andere Autoimmunerkrankungen 25 Fragen und Antworten
24 Cladribin (Mavenclad®) Ocrelizumab (Ocrevus®) Verabreichung: 2 Zyklen im Jahres- Verabreichung: 2 Infusionen pro Jahr, abstand, die aus zwei je 5-tägigen wobei die allererste Infusion in 2 Teilen Tabletteneinnahmen im Abstand von im Abstand von 14 Tagen verabreicht 4 Wochen erfolgt. Danach ist eine wird. weitere Therapie nur dann notwendig, Indikation: hoch aktive, wenn sich erneut Hinweise für eine schubförmige MS Krankheitsaktivität (Schübe oder Ver- Wirksamkeit: Schubratenreduktion schlechterung in der MRT) ergeben. um 50% im Vgl. zu einer Interferon- Indikation: hoch aktive, therapie schubförmige MS Nebenwirkungen: Wirksamkeit: Schubratenreduktion selten: erhöhte Infektanfälligkeit; noch um 55% im Vgl. zu Placebo nicht ganz ausgeschlossen werden Nebenwirkungen: kann auch ein langfristig erhöhtes häufig: Blutbildveränderungen, Müdig- Risiko für die Entstehung von Tumoren, keit während der kurzen Einnahmedauer auch wenn dies bis heute nicht selten: erhöhte Infektanfälligkeit bestätigt werden konnte
25 Für alle hoch wirksamen Therapien Wirksamkeit: Verlangsamung des Vor- sind prinzipiell die gleichen Sicher- anschreitens der Behinderung um 25% heitsvorkehrungen notwendig wie für Nebenwirkungen: die herkömmlichen Immuntherapien, selten: Herpesinfektionen, Änderungen das heißt regelmäßige Kontrollen bei von Blutdruck und Puls, Augen der Neurologin, MRT-Kontrollen so- erkrankung (Maculaödem), erhöhtes wie Laborkontrollen müssen in regel- Risiko für Hautkrebs und seltene mäßigen Abständen erfolgen. Darüber Virusinfektionen kann derzeit noch hinaus sind aber bei den hoch wirksa- nicht mit Sicherheit beurteilt werden men Therapien je nach Art der Thera- pie noch zusätzliche Untersuchungen D Therapien für die primär notwendig, da das Risikoprofil dieser progrediente MS Substanzen zum Teil ganz spezifische Seit kurzem steht nun auch für diese Sicherheitsvorkehrungen erfordert. Da- Form der MS erstmals eine Therapie zur rüber hinaus ist es bei den meisten die- Verfügung ser Therapien erforderlich, vor Beginn einen Impfstatus zu erheben und gege- Ocrelizumab (Ocrevus®) benenfalls Impfungen nachzuholen, da Verabreichung: 2 Infusionen pro Jahr, während der Therapie der Impferfolg wobei die allererste Infusion in 2 Teilen weniger gut sein kann. im Abstand von 14 Tagen verabreicht wird. DT herapien für die sekundär Indikation: primär progrediente MS progrediente MS mit kurzer Erkrankungsdauer, raschem Seit kurzem gibt es erstmals eine Thera- Fortschreiten der Beschwerden bei pie für diese Form der MS jüngeren Patienten (worunter man solche unter 60 Jahren versteht) Siponimod (Mayzent®) Wirksamkeit: Verlangsamung des Vor- Verabreichung: 1× täglich, Tablette; anschreitens der Behinderung um 30% Dosierung abhängig von genetischen Nebenwirkungen: Faktoren, die mittels Bluttest vor selten: erhöhte Infektanfälligkeit; Therapiebeginn ermittelt werden noch nicht ganz ausgeschlossen Indikation: sekundär progrediente werden kann auch ein langfristig MS mit Krankheitsaktivität (in Form erhöhtes Risiko für die Entstehung von Schüben oder neuer Läsionen in von Tumoren, auch wenn dies bis der MRT) heute nicht bestätigt werden konnte 25 Fragen und Antworten
26 12. WAS PASSIERT, WENN zuholen. Medizinisch betrachtet stellt ICH NICHT SOFORT MIT es überhaupt kein Problem dar, wenn EINER IMMUNTHERAPIE man sich für diese Entscheidung auch BEGINNE? einige Monate Zeit nimmt, dies hat si- cher keine negativen Auswirkungen auf In den letzten Jahren wurde in zahlrei- den langfristigen Verlauf der Erkran- chen Studien gezeigt, dass ein früher kung. Beginn einer immunmodulatorischen Umgekehrt kann es aber auch sein, Therapie das Risiko des Auftretens dass die Ärztin sich am Beginn der Er- weiterer Schübe reduzieren, aber auch krankung nicht ganz sicher ist, ob es den weiteren Krankheitsverlauf posi- sinnvoll ist, mit einer Therapie zu be- tiv beeinflussen kann. Es scheint so zu ginnen und eventuell die Krankheit sein, dass die Wirksamkeit einer Im- noch einige Monate beobachten oder muntherapie umso besser ist, je früher noch eine weitere MRT-Kontrolle sehen man in das Immunsystem korrigierend möchte, bevor sie eine Empfehlung ab- eingreift oder umgekehrt betrachtet: je geben will. Manche Patientinnen wer- länger eine MS schon besteht, desto we- ten dies als Unsicherheit oder Schwäche niger Wirksamkeit kann man sich von oder gar Unwissen der behandelnden einer Immuntherapie erwarten. Ärztin. Ganz im Gegenteil kann dies Dieses Wissen darf aber nicht dazu füh- aber Ausdruck einer besonders sorg- ren, der Patientin eine rasche Entschei- samen Auseinandersetzung mit der Er- dung aufzudrängen, in der irrigen An- krankung und eines besonderen Bemü- nahme es würde jeder Tag zählen, der hens um das Wohlergehen von Ihnen als ohne Therapie verstreicht. Vielmehr Patientin sein. sollte sich jede Patientin vor jeder Ent- Für den Fall, dass Ihnen eine Therapie scheidung umfassend informieren über empfohlen wurde, Sie diese aber (aus die Vor- und Nachteile einer Therapie, welchem Grund auch immer) nicht be- aber auch über mögliche Alternati- ginnen wollen ist es trotzdem wichtig, ven. Ganz wichtig ist auch, keine Ent- in neurologischer Behandlung zu blei- scheidung zu treffen, bei der ein (aus ben und eventuell auch weitere MRT- welchem Grund auch immer) unange- Kontrollen durchführen zu lassen. So nehmes Gefühl zurückbleibt, nicht das kann man die Krankheitsaktivität bes- Richtige getan zu haben. Oft hilft es in ser einschätzen und weitere Argumente dieser Phase, auch andere Ärztinnen zu für oder auch gegen eine Behandlung konsultieren und eine 2. Meinung ein- sammeln.
27 13. SYMPTOMATISCHE Ziel der symptomatischen Therapie ist THERAPIE es, die Lebensqualität von MS-Patien- tinnen unmittelbar zu verbessern. Während die Therapie mit Kortikoste- Zu diesen Therapien zählen: roiden während eines akuten Schubes 1. Physio- und Ergotherapie zur Verbes- und die Behandlung mit immunmo- serung von Lähmungen, Koordinati- dulierenden oder immunsuppressiven onsstörungen und Einschränkungen Substanzen im Intervall zumindest bis der Gehfähigkeit zu einem gewissen Grad in den Ver- 2. Medikamente zur Behandlung von lauf der Erkrankung eingreift, handelt Gangstörungen, Blasenfunktionsstö- es sich bei symptomatischen Thera- rungen, Spastik, Depression, Schmer- pien ausschließlich um Methoden, die zen und chronischer Müdigkeit aktuelle Beschwerden lindern sollen, 3. Nicht medikamentöse Therapien wie ohne dass der Verlauf der Erkrankung Psychotherapie, Fatigue-Management, dadurch beeinflusst wird. Vorrangiges Entspannungstechniken u. v. m. 25 Fragen und Antworten
28 14. WAS KANN DIE lichen Therapie, welche die Beziehung KOMPLEMENTÄRMEDIZIN zwischen Körper und Geist ausreichend FÜR MICH TUN? berücksichtigt und (3) den Wunsch nach Eigeninitiative. Misstrauen gegen- Einer amerikanischen Untersuchung zu- über der Schulmedizin war dagegen nur folge unterziehen sich fast 60% aller MS- bei einem geringen Prozentsatz der Be- Patientinnen alternativmedizinischen fragten ein relevantes Motiv. Behandlungen, zum Teil ergänzend zu Es gibt hunderte komplementärme- konventionellen Therapien, teilweise dizinische Ansätze, die sich mit der Be- aber auch ausschließlich. Ein Grund, handlung der MS befassen. Den meisten warum diese Zahl gerade unter MS-Pa- gemeinsam ist, dass es keine wissen- tientinnen so hoch ist, dürfte sein, dass schaftlichen Untersuchungen zu deren auch die Schulmedizin derzeit nicht in Wirksamkeit bei MS gibt und auch nie der Lage ist, die Erkrankung zu heilen. geben wird, da Studien, die eine Wirk- Als persönliche Beweggründe gaben samkeit beweisen würden, mehr kosten, die befragten Patientinnen an: (1) den als mit diesen Therapien jemals verdient Wunsch, nichts unversucht zu lassen, werden kann. Trotzdem gibt es neben (2) den Wunsch nach einer ganzheit- der Ernährung (sofern man diese zur
29 Komplementärmedizin zählen will und die Zufuhr ungesättigter Fettsäuren, die die an anderer Stelle abgehandelt wird) entzündungshemmende Eigenschaften zahlreiche Verfahren, die geeignet sind, des Immunsystems fördern. um zumindest bestehende Beschwerden Besonders empfehlenswert sind fette im Rahmen der MS zu verringern oder Meeresfische wie Thunfisch, Hering, auch solche, die einfach die Lebensqua- Lachs, weniger dagegen Seelachs, Forel- lität im Allgemeinen verbessern. Es gilt, le und Karpfen. Eine Alternative können in diesem Bereich individuell heraus zu auch Fischölkapseln oder bestimmte finden, was einem guttut aber auch kri- pflanzliche Öle (allen voran Leinöl, Wal- tisch zu hinterfragen, ob der Aufwand nussöl und Rapsöl) sein, um den Anteil (an Zeit und Geld) den erzielten Benefit wichtiger ungesättigter Fettsäuren zu rechtfertigt oder nicht. Generell sollten erhöhen. komplementärmedizinische Ansätze, bei denen Heilpflanzen, Medikamente oder Empfehlungen zum Speiseplan invasive Verfahren im Spiel sind, vorab Fleisch oder Wurstwaren sollten maxi- mit der behandelnden Neurologin be- mal 3 Mal pro Woche auf dem Speise- sprochen werden, um im Einzelfall ab- plan stehen, Fisch mindestens 2 Mal. zuklären, ob ein gesundheitliches Risiko Fettarme Milch und Milchprodukte durch eine solche Behandlung besteht, wie Käse und Joghurt sind wichtig, um aber auch, ob eine eventuell laufende den Körper mit ausreichend Eiweiß schulmedizinische Therapie zu einer aber auch Mineralstoffen zu versorgen, komplementärmedizinischen Behand- welche wichtig zur Vermeidung einer lung dazu passt. Für spezifische komple- Osteoporose sind. Obst, Gemüse und mentärmedizinische Ansätze sei auf die Vollkornprodukte sollten die Basis der Literatur im Anhang verwiesen. Ernährung bilden. Tierische Fette, wie Schmalz und Butter sollten nach Mög- 15. SOLL ICH MEINE lichkeit gegen pflanzliche Öle und Fette ERNÄHRUNG UMSTELLEN? ausgetauscht werden. Rapsöl zum Er- hitzen und Leinöl, Walnussöl und Wei- Man kann durch eine Umstellung der zenkeimöl für kalte Speisen sind hier Ernährung die MS wahrscheinlich po- besonders zu empfehlen. Insgesamt ist sitiv beeinflussen, wenn man die Zu- es wichtig, den Kalorienbedarf an den fuhr von Fleisch und tierischen Fetten Verbrauch anzupassen, insbesondere zugunsten von Fisch und pflanzlichen wenn die Bewegungsfähigkeit einge- Ölen reduziert. Dadurch erhöht man schränkt ist. 25 Fragen und Antworten
Sie können auch lesen