MULTIPLE SKLEROSE 25 FRAGEN UND ANTWORTEN - HERAUSGEGEBEN VON DER MS GESELLSCHAFT WIEN

Die Seite wird erstellt Tilda Geyer
 
WEITER LESEN
MULTIPLE SKLEROSE 25 FRAGEN UND ANTWORTEN - HERAUSGEGEBEN VON DER MS GESELLSCHAFT WIEN
Mehr verstehen. Mehr leben.

MULTIPLE SKLEROSE
25 FRAGEN UND ANTWORTEN

HERAUSGEGEBEN VON DER
MS­GESELLSCHAFT WIEN
MULTIPLE SKLEROSE 25 FRAGEN UND ANTWORTEN - HERAUSGEGEBEN VON DER MS GESELLSCHAFT WIEN
Über den Autor:                               Über die Herausgeberin:
Ao. Univ. Prof. Dr. Fritz Leutmezer ist der   Die Multiple Sklerose Gesellschaft Wien
Präsident der Österreichischen Multiple       ist eine gemeinnützige Non-Profit-Orga-
Sklerose Gesellschaft, Neurologe und ar-      nisation, deren Aufgabe es ist, Menschen
beitet an der Universitätsklinik für Neu-     mit MS und deren Angehörige durch In-
rologie am Allgemeinen Krankenhaus            formation, Beratung und Betreuung zu
Wien sowie in eigener Praxis in Wien.         unterstützen.
Kontaktadresse:                               Kontaktadresse:
Univ. Prof. Dr. Fritz Leutmezer,              Multiple Sklerose Gesellschaft Wien
Universitätsklinik für Neurologie,            Hernalser Hauptstraße 15–17, 1170 Wien
Medizinische Universität Wien,                Tel. 01/409 26 69 | Email: office@msges.at
Währinger Gürtel 18–20, 1090 Wien             Homepage: www.msges.at
MULTIPLE SKLEROSE 25 FRAGEN UND ANTWORTEN - HERAUSGEGEBEN VON DER MS GESELLSCHAFT WIEN
VORWORT
LIEBE LESERIN, LIEBER LESER!*                                               Wien, September 2020

Die Broschüre „MULITPLE SKLEROSE 25 Fragen und Antworten“ soll über die
Erkrankung informieren, über deren Mechanismen und Auswirkungen sowie
über alle Behandlungsmöglichkeiten, die es zum Zeitpunkt des Erscheinens der
Broschüre gibt.
   Es werden jene 25 Fragen beantwortet, die der Autor und die Mitarbeiterin-
nen der MS-Gesellschaft Wien in den vergangenen Jahrzehnten in unzähligen
Gesprächen mit Patientinnen* gesammelt haben; Fragen, die auch nach sorg-
fältiger ärztlicher Aufklärung immer wieder auftauchen können.
   Wenn Sie sich für Multiple Sklerose interessieren, sind Sie vielleicht vor nicht
allzu langer Zeit mit der Diagnose konfrontiert worden, stehen einem Menschen
mit MS nahe oder wollen einfach informiert sein. In jedem Fall kann die
Broschüre weiterhelfen, denn sie vermittelt Wissen – und Wissen hilft, davon
sind wir von der MS-Gesellschaft Wien überzeugt, ganz nach unserem Motto
Mehr verstehen – Mehr Leben.
   Mein spezieller Dank gilt dem Präsidenten der Österreichischen MS-Gesell-
schaft und Autor der Broschüre, Ao. Univ. Prof. Dr. Fritz Leutmezer, der mit
seinem Wissen und seinem Einsatz die Herausgabe einer inhaltlich unabhän-
gigen medizinischen Informationsbroschüre ermöglicht hat. Ebenso danke ich
meinen Mitarbeiterinnen, die ihre Erfahrung und viel Engagement in das
Projekt eingebracht haben.
   Layout und Druck wurde durch die großzügige finanzielle Unterstützung der
Firma Biogen ermöglicht, dafür meinen aufrichtigen Dank.

Karin Krainz-Kabas,
Geschäftsführerin Multiple Sklerose Gesellschaft Wien

*Der Text dieser Broschüre ist aufgrund besserer Lesbarkeit über weite Strecken
 in weiblicher Form geschrieben. Es sind stets beide Geschlechter gemeint.
MULTIPLE SKLEROSE 25 FRAGEN UND ANTWORTEN - HERAUSGEGEBEN VON DER MS GESELLSCHAFT WIEN
INHALTSVERZEICHNIS

Was ist MS? ................................................................................................... Seite 5
1. Was ist die Ursache der MS?.................................................................. Seite 7
2. Wie häufig ist MS? ................................................................................. Seite 7
3. Wie stellt man MS fest? ......................................................................... Seite 8
4. Was sind die McDonald Kriterien? ..................................................... Seite 13
5. Ist es wirklich MS oder kann es nicht auch etwas Anderes sein? ..... Seite 14
6. Welche Beschwerden treten bei MS auf? ........................................... Seite 15
7. Was ist ein Schub?................................................................................ Seite 17
8. Wie behandelt man einen Schub? ...................................................... Seite 17
9. Muss ich bei einem Schub Kortison nehmen?
   Was passiert, wenn ich darauf verzichte? .......................................... Seite 17
10. Wie wird die MS bei mir verlaufen? ................................................... Seite 18
11. Was sind immunmodulatorische Therapien? ..................................... Seite 20
12. Was passiert, wenn ich nicht sofort
    mit einer Immuntherapie beginne?.................................................... Seite 26
13. Symptomatische Therapie ................................................................... Seite 27
14. Was kann die Komplementärmedizin für mich tun?......................... Seite 28
15. Soll ich meine Ernährung umstellen? ................................................. Seite 29
16. Brauche ich mehr Vitamine? ............................................................... Seite 30
17. Muss ich Sonne und Wärme meiden?................................................. Seite 31
18. Darf ich mich impfen lassen? .............................................................. Seite 32
19. Wie beeinflusst Stress die MS? ............................................................ Seite 33
20. Wirkt sich MS auf die Psyche aus? ...................................................... Seite 35
21. Ist MS vererbbar? ................................................................................. Seite 36
22. MS und Schwangerschaft .................................................................... Seite 36
23. Wie finde ich die passende Ärztin? .................................................... Seite 37
24. Wer hilft mir sonst noch weiter? ........................................................ Seite 37
Wichtige Kontaktadressen ........................................................................ Seite 38
MULTIPLE SKLEROSE 25 FRAGEN UND ANTWORTEN - HERAUSGEGEBEN VON DER MS GESELLSCHAFT WIEN
5

   Was ist MS?
Multiple Sklerose gehört zu den sogenannten Autoimmunerkrankungen. Das
ist eine Gruppe von Erkrankungen, bei denen das Immunsystem in einer Art
Überreaktion auf körpereigenes Gewebe losgeht, in der irrigen Annahme,
dass es sich dabei um körperfremde Eindringlinge handeln könnte. Wenn das
Immunsystem in diesem Zusammenhang die Haut attackiert, kann eine Schup-
penflechte entstehen, bei einem Angriff auf Gelenke kommt es zu Rheuma,
und stellen Nervenzellen das Zielorgan dar, kann eine Multiple Sklerose ent-
stehen.
Warum das Immunsystem körpereigene Zellen irrtümlich angreift, ist nicht
ganz klar. Normalerweise werden weiße Blutkörperchen (sog. T-Lymphozyten)
im Blut und in Lymphknoten dann aktiviert, wenn Bakterien, Viren oder andere
Erreger in den Körper eindringen. Durch diese Aktivierungsvorgänge wird ein
rascher Angriff auf die Eindringlinge gestartet, und diese werden im Idealfall
vernichtet.
Bei MS kommt es möglicherweise zu einer Aktivierung von selbstzerstöreri-
schen T-Lymphozyten, weil die Oberfläche von Nervenzellen eine täuschende
Ähnlichkeit mit Erregern hat und quasi fälschlich als fremd erkannt wird. Eine
andere Erklärung wäre, dass immer auch wenige autoaggressive T-Zellen im
Körper unterwegs sind, diese aber durch entsprechende Unterdrückerzellen
unschädlich gemacht werden. Bei MS könnte die Funktion dieser Unterdrü-
ckerzellen gestört sein, sodass vermehrt T-Zellen gebildet werden, die auf das
Nervensystem losgehen.
Sobald diese T-Zellen aktiviert sind, durchdringen sie die normalerweise rela-
tiv dichte Schranke zwischen Blut und Gehirn und greifen über verschiedene
Mechanismen direkt und indirekt die Nervenzellen an. Warum es diesen Zel-
len bei der MS gelingt, die normalerweise sehr dichte Blut-Hirn-Schranke zu
überwinden, ist nicht klar. Möglicherweise kann auch eine Störung dieser Blut-
Hirn-Schranke selbst einen der für MS verantwortlichen Faktoren darstellen.
Primäres Angriffsziel der Immunzellen im Gehirn ist immer die Nervenhülle
(sog. Myelin, daher ist auch oft von einer demyelinisierenden Erkrankung die
Rede), später wird dann aber auch das Innenleben der Nervenzelle (das Axon)
beschädigt. Während das Stadium mit alleiniger Beschädigung der Nervenhülle

                                                              25 Fragen und Antworten
MULTIPLE SKLEROSE 25 FRAGEN UND ANTWORTEN - HERAUSGEGEBEN VON DER MS GESELLSCHAFT WIEN
6

    noch teilweise reversibel ist (d. h. Schäden können hier noch bis zu einem ge-
    wissen Grad repariert werden), stellt das Stadium mit Zerstörung des Axons
    einen irreparablen Schaden dar.
    Immer wenn eine solche Angriffswelle von Entzündungszellen auf das Gehirn
    losgeht, kommt es zu einem Schub (das sind Beschwerden, die Sie selbst und
    manchmal auch andere Personen bemerken) oder zumindest zum Auftreten
    von Entzündungsstellen im Gehirn, die man nur mittels MRT-Bildern darstellen
    kann. Man nennt dieses Stadium der Erkrankung auch schubförmige MS. Bei
    jedem dieser Entzündungsschübe entstehen aber wahrscheinlich auch schädli-
    che Substanzen, die sich im Lauf der Zeit im Gehirn ansammeln und im späteren
    Verlauf der Erkrankung zu einem langsamen, aber stetigen Absterben von Ner-
    venzellen führen. Dieses Stadium, in dem die Entzündung nur mehr eine un-
    tergeordnete Rolle spielt, wird auch als sekundär chronisch progrediente MS
    bezeichnet, weil die Beschwerden nicht mehr abrupt – in Schüben – auftre-
    ten, sondern es aufgrund des langsamen Absterbens der Nervenzellen zu einer
    langsam schleichenden Verschlechterung der Beschwerden kommt.
    Bei 10 bis 15% der MS-Betroffenen verläuft die Erkrankung von Beginn schlei-
    chend, wobei nur vereinzelt auch zusätzlich Schübe auftreten können. Man
    spricht in diesem Fall von primär progredienter MS. Die Mechanismen, welche
    dieser Form der MS zugrunde liegen, dürften andere sein, jedenfalls tritt diese
    Form erst in späterem Alter auf, betrifft mehr Männer und spricht auf die üb-
    lichen Therapien nicht an.
MULTIPLE SKLEROSE 25 FRAGEN UND ANTWORTEN - HERAUSGEGEBEN VON DER MS GESELLSCHAFT WIEN
7

1. WAS IST DIE URSACHE                      fig auftretende) Virusinfektionen (wie
    DER MS?                                  beispielsweise das Eppstein Barr-Virus),
                                             Ernährungsgewohnheiten, Vitamin D,
Es wird vermutet, dass MS durch eine         Rau­chen aber auch die zunehmend bes-
Mischung aus genetischer Veranlagung         seren hygienischen Verhältnisse, die
und dem Einwirken bestimmter Umwelt-         dazu führen, dass das Immunsystem
faktoren in der Kindheit verursacht wird.    immer später mit Erregern konfrontiert
   Die MS ist dabei keine klassische Erb-    wird. Diese Umweltfaktoren müssen in
krankheit, bei der es ein einzelnes Gen      einem relativ engen Zeitfenster vor der
gibt, das für das Entstehen der Erkran-      Pubertät einwirken, wie man aus Migra-
kung verantwortlich ist und bei der man      tionsstudien weiß. Wandert ein Mensch
die Wahrscheinlichkeit ihres Auftre-         aus einer Region, in der MS häufig ist in
tens bei Kindern mit einer definierten       eine solche aus, wo MS nicht vorkommt,
Wahrscheinlichkeit vorhersagen kann.         dann reduziert sich sein Erkrankungsri-
Vielmehr gibt es eine lange Liste von        siko deutlich, wenn er vor der Pubertät
Genen, die mit der Erkrankung irgend-        auswandert und bleibt dagegen gleich,
wie zusammenhängen und von denen             wenn er erst später emigriert.
möglicherweise eine Reihe verschiede-           Nur wenn beide Faktoren – genetische
ner (und bei jedem Menschen andere)          Disposition und Umweltfaktoren in ei-
zusammenspielen müssen, um die gene-         nem engen Zeitfenster – vorhanden sind,
tische Veranlagung zu prägen. Dass die       dürften immunologische Mechanismen
Gene eine Rolle spielen, kann aus Be-        in Gang gesetzt werden, die dann viele
obachtungsstudien abgeleitet werden,         Jahre später zur Erkrankung führen.
die gezeigt haben, dass das Risiko für die
Erkrankung bei eineiigen Zwillingen 20       2. WIE HÄUFIG IST MS?
bis 30% beträgt und für Kinder betrof-
fener Eltern zwischen 2 und 4% liegt,        Generell tritt die Erkrankung in Län-
während sich das Risiko in der Gesamt-       dern, die nahe am Äquator liegen fast gar
bevölkerung auf nur 0,1% beläuft.            nicht auf, während sie in Nordamerika
   Ob dann bei einem genetisch veran-        und Europa am weitesten verbreitet ist.
lagten Menschen tatsächlich eine MS             In Österreich gibt es geschätzte 13.000–
entsteht, hängt wahrscheinlich von Um-       14.000 Menschen mit MS.
weltfaktoren ab, die bis heute noch nicht       Frauen sind drei Mal häufiger betrof-
zweifelsfrei identifiziert werden konn-      fen und das typische Erkrankungsalter
ten. Vermutet werden (banale und häu-        liegt zwischen dem 20. und 40. Lebens-

                                                                     25 Fragen und Antworten
MULTIPLE SKLEROSE 25 FRAGEN UND ANTWORTEN - HERAUSGEGEBEN VON DER MS GESELLSCHAFT WIEN
8

    jahr, wobei die Erkrankung in Einzel-       ben. Dies liegt aber nicht am Unvermö-
    fällen auch bei Kindern und Menschen        gen der behandelnden Neurologin. Ganz
    über 60 Jahren erstmals auftreten kann.     im Gegenteil spricht es für ein sorgfälti-
      Warum die Erkrankung bei Frauen           ges Vorgehen, wenn Ihre Neurologin die
    häufiger auftritt und die Anzahl Betrof-    Diagnose nicht sofort stellen, sondern
    fener, vor allem unter Frauen, im Laufe     Sie nach einigen Monaten, vielleicht
    der letzten Jahrzehnte weiter angestie-     mit neuen Befunden noch einmal sehen
    gen ist, weiß man nicht sicher. Hormo-      möchte, ehe sie sich bezüglich der Diag-
    nelle Faktoren werden ebenso diskutiert     nose festlegen will. Dies verhindert, dass
    wie bestimmte Umweltfaktoren, wo-           frühzeitig eine falsche Diagnose gestellt
    bei das bei Frauen in den letzten Jahr-     und eine nicht notwendige Immunthera-
    zehnten überproportional angestiegene       pie begonnen wird, beides Phänomene,
    Rauchverhalten als eine der möglichen       die in der Praxis leider immer wieder be-
    Ursachen diskutiert wird.                   obachtet werden.
                                                  Am Beginn jeder neurologischen
    3. WIE STELLT MAN                          Untersuchung steht zunächst das Ge-
        MS FEST?                                spräch mit der Patientin, in dem diese
                                                über ihre jetzigen (und eventuell frü-
    Oft hört man, die MS sei eine schwierig     heren) Beschwerden berichtet. Aus
    zu diagnostizierende Erkrankung. Dies       diesem Gespräch ergeben sich meist
    trifft aber nur für einen relativ kleinen   schon erste wichtige Hinweise: Handelt
    Teil aller Patientinnen zu. Bei den meis-   es sich um einen ersten Schub oder gab
    ten wird die Neurologin nach genauer        es in der Vergangenheit schon welche,
    Schilderung der aktuellen und eventuell     die unter Umständen von selbst wieder
    früher aufgetretenen Beschwerden, ei-       verschwunden sind und denen aus die-
    ner sorgfältigen neurologischen Unter-      sem Grund keine weitere Beachtung ge-
    suchung und unter Zuhilfenahme der          schenkt wurde.
    Liquor- und MRT-Befunde die Diagnose          Im zweiten Schritt folgt nun die ei-
    rasch stellen können. In manchen Fällen     gentliche neurologische Untersuchung,
    wird dies nicht sofort möglich sein. Vor    in deren Rahmen die verschiedenen,
    allem, wenn die Beschwerden zum ersten      von Gehirn und Rückenmark gesteuer-
    Mal auftreten oder die weiteren Unter-      ten Funktionen überprüft werden: Die
    suchungen keine typischen Befunde er-       Sinnesorgane inklusive der Haut, die
    geben, kann zunächst eine Unsicherheit      motorischen Funktionen (inkl. Kraft,
    bezüglich der Diagnose bestehen blei-       Muskelspannung und Sehnenreflexe),
MULTIPLE SKLEROSE 25 FRAGEN UND ANTWORTEN - HERAUSGEGEBEN VON DER MS GESELLSCHAFT WIEN
9

die Koordination und das Gleichge-          gen können die Bildqualität drastisch
wicht sowie eine grobe Prüfung der          verschlechtern), die Enge der Röhre in
höheren Hirnleistungen (Sprache, Ge-        der man liegt oder der relativ hohe Ge-
dächtnis, Aufmerksamkeit und andere)        räuschpegel, den das Gerät verursacht,
aber auch der psychischen Verfassung.       als unangenehm empfunden.
  Ziel dieser Untersuchung ist es ei-         Im Rahmen einer Untersuchung wer-
nerseits, den Ort der Entzündung im         den verschiedene Messungen durch-
Gehirn und im Rückenmark zu lokali-         geführt, die unterschiedliche Infor-
sieren, wodurch der weitere Einsatz ap-     mationen über die Erkrankung liefern
parativer Untersuchungsmethoden ge-         können. In den sogenannten T2-ge-
zielt erfolgen kann. Andererseits geht es   wichteten Bildern zeigen sich Entzün-
darum, Hinweise auf früher stattgehabte     dungsnarben heller. Injiziert man zu-
Entzündungen zu finden, die so gering       sätzlich noch ‚Kontrastmittel’, werden
waren, dass sie der Patientin gar nicht     auf den T1-gewichteten Bildern jene
aufgefallen sind. Um den neurologi-         Stellen hell markiert, an denen mo-
schen Status bei MS-Patientinnen zwi-       mentan gerade eine Entzündung ab-
schen verschiedenen Untersuchungen          läuft. Alte Narben dagegen, bei denen
und verschiedenen Untersucherinnen          die abgestorbenen Nervenzellen durch
vergleichbar machen zu können, wurde        Bindegewebe ersetzt wurden, imponie-
eine standardisierte Bewertungsskala,       ren auf T1-gewichteten Bildern dunkel,
die sogenannte EDS-Skala etabliert. In      was ihnen auch den Namen ‚schwarze
Abhängigkeit von den festgestellten Be-     Löcher’ eingebracht hat. Darüber hin-
einträchtigungen wird ein Punktewert        aus kann heute mit speziellen Techni-
vergeben, der sogenannte EDSS-Wert.         ken auch das Hirnvolumen vermessen
  Nach der neurologischen Untersu-          werden, wodurch schon frühzeitig ein
chung erfolgt in der Regel eine Magnet­     diffuser Nervenzelluntergang (sog.
resonanztomographie (MRT). Diese            Atrophie) nachgewiesen werden kann.
erzeugt mithilfe eines sehr starken Ma-     Die Atrophie und ihre Messung mittels
gnetfeldes Bilder von Gehirn und Rüc-       MRT könnte vor allem für die späteren
kenmark mit einer sehr guten Auflö-         (progredienten) Stadien der Erkran-
sung. Die Messung selbst ist, sieht man     kung von Bedeutung sein, da in die-
von der eventuell notwendigen Punkti-       ser Phase neue Entzündungen und die
on einer Armvene ab, schmerzlos. Von        damit verbundene Entstehung neuer
manchen Patientinnen wird das lange         Narben nur mehr eine untergeordne-
Liegen in ruhiger Position (Bewegun-        te Rolle spielen, während der langsam

                                                                 25 Fragen und Antworten
MULTIPLE SKLEROSE 25 FRAGEN UND ANTWORTEN - HERAUSGEGEBEN VON DER MS GESELLSCHAFT WIEN
10

       EDSS-Skala
     Wert Beschreibung
     0,0   normaler neurologischer Untersuchungsbefund
     1,0   keine Behinderung, geringfügige Störung in einem funktionellen System
     1,5   keine Behinderung, geringfügige Störung in mehr als einem funktionellen System
     2,0   leichte Behinderung in einem funktionellen System
     2,5   leichte Behinderung in mehr als einem funktionellen System
     3.0   mäßiggradige Behinderung in einem funktionellen System oder leichte Behinderung
           in drei oder vier funktionellen Systemen, aber vollständig gehfähig
     3,5   mäßiggradige Behinderung in zwei funktionellen Systemen oder mäßiggradige
           Behinderung in einem funktionellen System und leichte Behinderung in einem oder
           zwei funktionellen Systemen oder leichte Behinderung in fünf funktionellen Systemen,
           aber voll gehfähig
     4,0   gehfähig ohne Hilfe und Ruhepause mind. 500 m am Tag;
           während 12 Stunden aktiv trotz relativ schwerer Behinderung
     4,5   gehfähig ohne Hilfe und Ruhepause mind. 300 m; ganztägig arbeitsfähig, aber mit
           gewissen Einschränkungen wegen relativ schwerer Behinderung
     5,0   gehfähig ohne Hilfe und Ruhepause für etwa 200 m;
           Behinderung schwer genug, um tägliche Aktivitäten zu beeinträchtigen
     5,5   gehfähig ohne Hilfe und Ruhepause für etwa 100 m; Behinderung
           schwer genug, um normale tägliche Aktivität zu verhindern
     6,0   mit einseitiger oder zeitweiliger Unterstützung (Gehhilfe)
           ohne Ruhepause gehfähig für etwa 100 m
     6,5   mit dauernder, beidseitiger Unterstützung (Gehhilfe) ohne Ruhepause gehfähig für
           etwa 20 m
     7,0   nicht fähig, selbst mit Hilfe, mehr als 5 m zu gehen; weitgehend rollstuhlbedürftig,
           der aber ohne Hilfe benutzt werden kann, Transfer selbständig möglich
     7,5   unfähig, mehr als ein paar Schritte zu gehen; kann Rollstuhl selbst bewegen und den
           Transfer ohne Hilfe durchführen
     8,0   weitgehend auf das Bett beschränkt, kann aber auch noch im Rollstuhl sitzen;
           pflegt sich weitgehend selbständig mit meist gutem Gebrauch der Arme
     8,5   auch während des Tages weitgehend bettlägerig; teilweise selbständige Pflege mit
           teilweisem Gebrauch der Arme
     9,0   Patientin mit Ausnahme der Nahrungsaufnahme und der Kommunikation vollständig
           auf fremde Hilfe angewiesen
     9,5   Patientin kann nicht selbständig essen und kommunizieren
     10,0 Tod durch MS
11

chronische Nervenzelluntergang und         zur Überprüfung des Therapieeffektes
die dadurch bedingte Atrophie im Mit-      bei Patientinnen unter laufender The-
telpunkt stehen.                           rapie ist die Methode geeignet. Nach-
  Die MRT kommt zunächst am Beginn         dem die Untersuchung ungefährlich
der Erkrankung zum Einsatz und kann        und nicht schmerzhaft ist, kann man sie
hier einerseits andere Erkrankungen        im Laufe der Jahre wiederholen und so
wie Hirntumore, Schlaganfälle u. a. aus-   eventuelle Veränderungen im zeitlichen
schließen helfen und andererseits Auf-     Verlauf besser beurteilen.
schluss über bereits früher abgelaufene      Eine weitere wichtige Untersuchung
Entzündungen geben, die von Patientin-     zur Sicherung der Diagnose ist die Lum-
nen gar nicht bemerkt wurden. Außer-       balpunktion mit nachfolgender Unter-
dem eignet sich die MRT auch für Ver-      suchung des Liquors. Der Liquor ist, im
laufsbeobachtungen von Patientinnen,       Gegensatz zum Blut, eine zell- und ei-
die selbst keinen Schub bemerkt haben.     weißarme, klare Flüssigkeit, die das Ge-
Nachdem zahlreiche Entzündungsher-         hirn und Rückenmark umspült. Sie dient
de an Stellen im Gehirn auftreten, die     dem Schutz vor Verletzungen, der Er-
keine essentielle Funktion besitzen,       nährung des Gehirns und dem Abtrans-
können sie von Patientinnen auch nicht     port von Schadstoffen. Im Fall einer Ent-
bemerkt werden. In diesem Fall bietet      zündung im Gehirn oder Rückenmark
sich die MRT als objektive Methode an,     lassen sich im Liquor bestimmte Zellen
um solche „stummen“ Entzündungen           und Eiweißbestandteile nachweisen, die,
dokumentieren zu können. Aber auch         je nach Ursache der Entzündung, mehr
                                           oder weniger charakteristisch sind. Da
MRT                                        Blut und Gehirn durch die sogenannte
                                           Blut-Hirn-Schranke relativ dicht vonei-
                                           nander abgeschottet sind, können diese
                                           Produkte im Blut nicht nachgewiesen
                                           werden.
                                             Die Entnahme des Liquors erfolgt im
                                           Rahmen einer sogenannten Lumbal-
                                           punktion. Dabei wird bei der sitzenden
                                           Patientin eine innen hohle Nadel zwi-
                                           schen zwei Dornfortsätzen der Wirbel-
                                           köper im Bereich der Lendenwirbelsäule
                                           so weit eingestochen, dass sie im Liquor-

                                                                  25 Fragen und Antworten
12

     raum zu liegen kommt. Sobald ausrei-
     chend Liquor herausgetropft ist (etwa
                                                     Lumbalpunktion
     ein halbes Schnapsglas) wird die Nadel
     wieder herausgezogen. Unangenehm                           Rückenmark
     sind, neben den Schmerzen an der Ein-                               Nervenwasser
     stichstelle, die manchmal auftretenden
     und in ein Bein ausstrahlenden elektri-                                 Punktionskanüle
     sierenden Schmerzen, die durch das Be-
     rühren einer Nervenwurzel entstehen
     können. An relevanten Nebenwirkun-
     gen sind vor allem Kopfschmerzen zu
     nennen, die manchmal Stunden bis Tage
     nach der Punktion auftreten können und
     dadurch charakterisiert sind, dass sie im
     Liegen verschwinden, beim Aufstehen
     aber rasch wieder auftreten.
        Die Untersuchung des Liquors ver-           Zuletzt werden häufig noch visuell
     folgt 3 Zwecke: (1) können damit erre-      evozierte Potentiale (VEP) abgeleitet.
     gerbedingte Entzündungen des Gehirns,       Die Untersuchung selbst ist schmerz-
     die manchmal mit einer MS verwechselt       los, die Patientinnen blicken auf einen
     werden können, ausgeschlossen wer-          Schirm, auf dem rasch wechselnde Kon-
     den. (2) kann die Untersuchung des Li-      traste erscheinen. Mittels Elektroden,
     quors in Einzelfällen Aufschlüsse über      die über der Sehrinde am Hinterhaupt
     den weiteren Verlauf bzw. über opti-        aufgeklebt werden, wird die Zeit gemes-
     male Therapiemöglichkeiten ergeben.         sen, die der optische Reiz braucht, bis er
     (3) können für MS typische Liquorbe-        an der Sehrinde angelangt ist und dort
     funde die diagnostische Sicherheit ins-     ein elektrisches Signal erzeugt. Durch
     besondere dann erhöhen, wenn sich die       Vergleich mit den Normalwerten ge-
     Erkrankung in einem noch sehr frühen        sunder Kontrollpersonen kann so eine
     Stadium befindet oder wenn die Ergeb-       Schädigung der Sehbahn objektiviert
     nisse anderer Untersuchungen unklar         werden.
     oder zweifelhaft sind. Bis auf ganz we-        Auf diese Weise können auch dis-
     nige Ausnahmen wird die Liquorunter-        krete Entzündungen, die von den Pa-
     suchung nur einmal im Verlauf der Er-       tientinnen unter Umständen gar nicht
     krankung durchgeführt.                      bemerkt wurden und schon längere
13

Zeit zurückliegen, nachgewiesen wer-              Mit ähnlichen Methoden wie den VEP
den. 70–90% aller MS-Patientinnen               können auch motorische oder sensible
entwickeln im Verlauf der Erkrankung            Bahnsysteme überprüft werden (soge-
pathologische Befunde der VEP. Aller-           nannte motorisch oder somatosensibel
dings kann mittels der VEP, so wie auch         evozierte Potentiale).
mittels anderer evozierter Potentiale,
nur nachgewiesen werden, dass in der            4. WAS SIND DIE
betreffenden Nervenbahn ein Defekt                 MCDONALD KRITERIEN?
besteht. Ob dieser Defekt durch eine
Entzündung oder eine andere Art von             Bis vor einigen Jahren wurde die Dia-
Schädigung hervorgerufen wurde, kann            gnose MS fast immer erst nach meh-
so nicht eruiert werden.                        reren Schüben gestellt. Nach einem
  Eine neuere Methode zur Überprü-              ersten Schub durfte man definitionsge-
fung der Sehnerven stellt die soge-             mäß noch nicht von Multipler Sklerose
nannte. optische Kohärenztomographie            sprechen, da eine Voraussetzung für die
(OCT) dar, die eine schmerzlose und             Diagnose war, dass mehrere (multiple)
sehr genaue Vermessung der Nerven-              Schübe aufgetreten waren. Viele Ärz-
faserdicke erlaubt und insbesondere für         tinnen begnügten sich daher am Beginn
Verlaufsbeobachtungen nützlich ist.             der Erkrankung mit eher vagen Anga-

           Visuell evozierte Potentiale (VEP)
                                                     Monitor
                                   Verstärker

              Visuell evoziertes
                   Potential

                                                                     25 Fragen und Antworten
14

     ben („Vielleicht etwas Entzündliches“,         zum Ausdruck. Trotzdem kommen sie
     „Mal schauen, ob es überhaupt wieder           heute nicht nur im Rahmen von Medi-
     kommt“) und bestellten die Patientin-          kamentenstudien zum Einsatz, sondern
     nen im besten Fall zu mehr oder min-           haben auch in der Routinebehandlung
     der regelmäßigen Kontrollen. Diese, für        Einzug gefunden.
     Patientinnen oft unbefriedigende Situa-          Zentraler Punkt der Diagnose ist und
     tion mag auch aus dem Umstand heraus           bleibt der Nachweis der räumlichen und
     erklärbar gewesen sein, dass man den           zeitlichen Verteilung von Beschwerden
     Patientinnen ohnedies keine langfristige       und Erkrankungszeichen, die in der
     Therapie anbieten konnte.                      neurologischen Untersuchung doku-
        Mit zunehmender Verfügbarkeit im-           mentiert werden. Sind diese Zeichen
     munmodulatorischer Therapien wurde             (ganz am Beginn der Erkrankung) sehr
     immer klarer, dass diese Therapien             gering ausgeprägt, kann es erforderlich
     umso besser wirken, je früher im Verlauf       sein, Zusatzuntersuchungen, wie eine
     der Erkrankung sie eingesetzt werden.          MRT oder eine Lumbalpunktion durch-
     Somit bestand Bedarf, die Erkrankung           zuführen, um die Diagnose zu sichern.
     frühzeitig zu diagnostizieren, um sie in       Gleichzeitig müssen auch immer ande-
     weiterer Folge auch frühzeitig behan-          re Erkrankungen, welche ähnliche Be-
     deln zu können. Damit entstand aber            schwerden oder Befunde verursachen
     auch das Problem, dass die Diagnose            können mit hinreichender Sicherheit
     schwieriger wurde, da man eben nicht           ausgeschlossen werden.
     jahrelang Zeit hatte, Patientinnen zu be-
     obachten, um zu schauen, ob es tatsäch-        5. IST ES WIRKLICH MS
     lich ein für MS typischer Verlauf ist. Die        ODER KANN ES NICHT
     Gefahr, die Diagnose fälschlicherweise            AUCH ETWAS ANDERES
     zu stellen, steigt in einem solchen Fall an.      SEIN?
        Es wurde daher versucht, Kriterien
     zu erarbeiten, welche die Diagnose be-         So wie bei vielen anderen Erkrankun-
     schleunigen helfen sollen, ohne dabei          gen auch, gibt es für die meisten Be-
     aber die Sicherheit dieser Diagnose zu         schwerden fast immer unterschiedliche
     beeinträchtigen bzw. das Risiko von            Ursachen. Nachdem die Beschwerden
     Fehldiagnosen zu erhöhen. Naturge-             im Rahmen der MS besonders vielfäl-
     mäß wird ein solcher Versuch nie per-          tig sein können, müssen auch entspre-
     fekt gelingen, dies kommt auch in meh-         chend viele andere Erkrankungen in
     reren Überarbeitungen dieser Kriterien         Betracht gezogen werden. Wenn diese
15

auch insgesamt im Vergleich zur MS             denen Beschwerden, die meist Wochen
sehr selten sind, sollte doch eine große       oder wenige Monate andauern können,
Sorgfalt darauf verwendet werden, um           werden gefolgt von oft jahrelangen, be-
solche Erkrankungen frühzeitig auszu-          schwerdefreien Intervallen. Die häufigs-
schließen.                                     ten Beschwerden in dieser Phase der
                                               Erkrankung sind Gefühls- und Sehstö-
                                               rungen, Lähmungen und Koordinations-
     andere Erkankungen                        störungen.
                                                  Nach durchschnittlich 15 bis 20 Jahren
  Autoimmunerkrankungen
  SLE, Sjörgen-Syndrom, M. Behcet,             ohne Therapie ändert die Erkrankung
  Sakoidose, Antiphospholipid-                 langsam ihr Gesicht: Die Schübe wer-
  Antikörpersyndrom, CIDP                      den weniger, bilden sich oft nicht mehr
  Vaskuläre Erkrankungen                       ganz zurück und es kommt zu einer fast
  Vaskulitis, spinale durale AV-Fistel,
  Kavernöse Hämangiome, CADASIL                unmerklich langsam-schleichenden Ver-
  Metabolische Erkrankungen                    schlechterung von Beschwerden. Diese
  Vitamin B12-Mangel, Leukodystrophien         Phase bezeichnet man auch als sekun-
  Infektionen                                  där chronisch progrediente MS.
  Borreliose, HIV-Myleopathie, HTLV-1             Im Vordergrund stehen dann eine zu-
  spastische Paraparese, PML, Lues,
  ZNS-Parasitosen                              nehmende Gangstörung, eine erhöhte
  Genetische Syndrome                          Muskelsteifigkeit (sogenannte Spastik),
  hereditäre Ataxien, spastische Spinalpara-   chronische Müdigkeit, aber auch Bla-
  lyse, LHON, Mitochondriale Erkrankungen
                                               senstörungen und verminderte Konzen-
  Neoplasien
                                               tration und Merkfähigkeit.Bei etwa 15%
  Psychogene, toxische, Malformationen
                                               aller Patientinnen verläuft die Erkran-
  MS-Varianten
  Isolierte NNO, transverse Myelitis, NMO,     kung von Beginn an schleichend, man
  ADEM, Marburg-Variante, Diffuse (Schilder)   spricht auch von primär chronisch pro-
  und konzentrische (Balo) Sklerose            gredienter MS. Diese beginnt meist mit
                                               einer langsam zunehmenden Gang- und
                                               Koordinationsstörung, die initial oft
6. WELCHE BESCHWERDEN                          als Ungeschicklichkeit fehlinterpretiert
   TRETEN BEI MS AUF?                          wird. Im Gegensatz zur schubförmigen
                                               MS, die überwiegend junge Frauen be-
Die Erkrankung verläuft bei etwa 85%           trifft, sind von der primär chronischen
der Betroffenen zunächst in Schüben.           MS mehr Männer im mittleren Lebens-
Das bedeutet, Episoden mit verschie-           alter betroffen.

                                                                      25 Fragen und Antworten
16

                            Beschwerden bei MS
                Symptom                            Häufigkeit          Symptom                        Häufigkeit
                Parese                                   80%           Schwindel                           19%
                sensible Symptome                        73%           Kopfschmerz                         17%
                Ataxie                                   72%           psychische Probleme                 16%
                Blasenstörung                            62%           Gesichtsschmerz                     14%
                Fatigue                                  48%           Taubheit                            13%
                Krämpfe                                  44%           andere                              8%
                Mastdarmstörungen                        37%           Dysphagie                           7%
                Visusstörungen                           33%           Gesichtslähmung                     5%
                Gedächtnisstörungen                      27%           Black out                           4%
                Doppelbilder                             26%           Geschmackstörung                    2%
                Dysarthrie                               25%

                            Verlaufsformen
     Grad der Behinderung

                                                               A schubförmiger Verlauf mit vollständiger
                                                                 Rückbildung der Beschwerden

                                                               B schubförmiger Verlauf mit unvollständiger
                                                                 Rückbildung der Beschwerden
                                                               C zunächst schubförmiger Verlauf mit vollständiger
                                                                 Rückbildung der Beschwerden, später sekundär
                                                                 chronisch progredienter Verlauf ohne weitere Schübe

                                                               D wie C, jedoch zusätzlich einzelne Schübe während
                                                                 der sekundär chronisch progredienten Phase

                                                               E primär chronisch progredienter Verlauf mit
                                                                 zusätzlichen Schüben

                                                               F primär chronisch progredienter Verlauf ohne Schübe
                                  Dauer der Erkrankung
17

7. WAS IST EIN SCHUB?                      Neben einer schlechten Magenverträg-
                                           lichkeit, welcher durch gleichzeitige
Wenn Beschwerden erstmals auftreten        Gabe von Medikamenten vorgebeugt
oder früher bestandene Beschwerden         wird, treten manchmal Stimmungs-
wieder auftreten bzw. an Intensität zu-    schwankungen und Schlafstörungen
nehmen, spricht man von einem Schub.       sowie ein metallischer Geschmack auf.
Um einen Schub von kurzfristigen Be-       Die allerorts gefürchteten Kortison-
findlichkeitsstörungen abzugrenzen, wird   Nebenwirkungen, wie Gewichtszunah-
gefordert, dass die Beschwerden länger     me, Abnahme der Knochendichte und
als 24 Stunden andauern. Im Idealfall      Hautveränderungen treten dagegen bei
sollen andere mögliche Ursachen für        kurzfristiger Gabe nicht auf.
die Beschwerden (beispielsweise Infek-
te) mittels Laboruntersuchungen ausge-     9. M
                                               USS ICH BEI EINEM
schlossen werden und die Beschwerden          SCHUB KORTISON NEHMEN?
sollen im Rahmen einer neurologischen         WAS PASSIERT, WENN ICH
Untersuchung auch objektiviert werden.        DARAUF VERZICHTE?

8. WIE BEHANDELT MAN                      Obwohl die Verträglichkeit einer nur
    EINEN SCHUB?                           wenige Tage dauernden, hochdosierten
                                           Kortisontherapie in den meisten Fällen
Standardmäßig behandelt man einen          gut ist, gibt es doch einige Patientinnen,
Schub mit einer Kortisoninfusionsthe-      die unter einer solchen Therapie leiden.
rapie (jeweils 1 g Methylprednisolon an    Andererseits gibt es auch Menschen, die
5 aufeinander folgenden Tagen). Zeigen     eine generelle Abneigung haben, sich
die Beschwerden 3–4 Wochen nach            „Chemikalien“ in den Körper schütten
Therapiebeginn noch keine Besserungs-      zu lassen und daher einer solchen The-
tendenz, kann ein erneuter Zyklus mit      rapie eher ablehnend gegenüberstehen.
intravenösem Methylprednisolon (ev. in     Generell kann man sagen, dass vor allem
höherer Dosierung mit 2 Gramm über 5       Schübe, die nur geringe Beschwerden
Tage) erfolgen. Bleibt auch das ohne Er-   in einem sehr umschriebenen Teil des
folg, sollte eine Blutwäsche (sogenann-    Körpers (z. B. Kribbeln an einem Fin-
te Plasmapherese) in Betracht gezogen      ger) verursachen, auch oft wieder von
werden. Die Nebenwirkungen einer           selbst verschwinden. Es ist also durch-
kurzzeitigen Therapie mit hoch dosier-     aus zulässig, in solchen Fällen einige
tem Methylprednisolon sind moderat.        Tage abzuwarten, ob es nicht zu einem

                                                                  25 Fragen und Antworten
18

                                                    Diese Information ist allerdings für
                                                 die einzelne Patientin nur von begrenz-
                                                 tem Wert, da individuelle Patientinnen
                                                 von diesem durchschnittlichen Verlauf
                                                 der MS mitunter gewaltig abweichen
                                                 können. So lag in einer großen französi-
                                                 schen Untersuchung die mittlere Krank-
                                                 heitsdauer, bis zu der die Patientinnen,
                                                 die nie eine Therapie für ihre MS er-
                                                 halten hatten, nur noch mit Hilfe eines
                                                 Stockes gehen konnten, bei 20 Jahren.
                                                 Allerdings erreichten diesen Behinde-
     spontanen Abklingen der Beschwerden         rungsgrad etwa 30% auch schon nach 10
     kommt. Andererseits sollte aber bei         Jahren, während andererseits 20% der
     Schüben, bei denen ein Auge betroffen       Patientinnen auch nach 40 Jahren noch
     ist oder auch bei Lähmungen oder Ko-        ohne Hilfe gehen konnten. Nachdem
     ordinationsstörungen doch relativ rasch     die Erkrankung individuell also höchst
     eine Kortisontherapie gestartet werden,     unterschiedlich verlaufen kann, ist es für
     da die Beschwerden damit rascher und        die meisten Patientinnen eine der wich-
     auch vollständiger abheilen als ohne        tigsten Fragen, wo auf diesem Kontinu-
     eine solche Therapie.                       um zwischen gutartiger, moderater oder
                                                 aggressiver Verlaufsform sie ihre eigene
     10. WIE WIRD DIE MS                         Erkrankung einordnen können.
         BEI MIR VERLAUFEN?                         Auch wenn bis heute keine einzelne
                                                 Untersuchung und kein einzelnes Detail
     Aufgrund von Beobachtungsstudien an         aus der Krankengeschichte eine indivi-
     großen Patientinnengruppen weiß man         duelle Prognose über den Verlauf der
     heute relativ gut, wie sich der Verlauf     Erkrankung erlaubt, kann doch durch
     der Erkrankung durchschnittlich ge-         das Zusammentragen möglichst vieler
     staltet, wie hoch das statistische Risiko   Daten eine grobe Einschätzung versucht
     einer Behinderung nach einer bestimm-       werden.
     ten Erkrankungsdauer ist und auch wie       Wie der Verlauf unter den mittlerweile
     viele Schübe durch eine immunmodu-          verfügbaren Immuntherapien sein wird,
     latorische Therapie verhindert werden       kann heute noch nicht mit Sicherheit
     können.                                     gesagt werden, da diese Therapien noch
19

     prognostisch günstige Faktoren
 Als prognostisch günstige Faktoren zählen keine oder nur ganz wenige Narben
 in der MRT des Gehirns beim ersten Schub, ein junges Alter zu Krankheitsbe-
 ginn, eine Sehnervenentzündung oder eine Sensibilitätsstörung als erste Be-
 schwerden, eine lange Dauer zwischen dem ersten und dem zweiten Schub,
 eine rasche und vollständige Rückbildung des ersten Schubes sowie fehlende
 oligoklonale Banden im Liquor.

nicht lange genug breit angewendet       und bleibt auch die MRT-Kontrolle
werden, um Aussagen über einen Zeit-     nach dieser Zeit ohne neue (vor allem
raum von 20 Jahren und mehr tätigen      kontrastmittelaufnehmende) Läsionen,
zu können. Es scheint aber die weitere   dann kann auch mittelfristig von einem
Prognose unter laufender immunmo-        guten Ansprechen auf die Therapie
dulatorischer Therapie – vor allem vom   ausgegangen werden. Treten dagegen
Verlauf in den ersten 1 bis 2 Jahren –   in den ersten 1–2 Jahren unter Thera-
abzuhängen: Tritt in dieser Anfangs-     pie weitere Schübe auf oder finden sich
periode unter Therapie kein Schub auf    neue (vor allem kontrastmittelaufneh-

                                                              25 Fragen und Antworten
20

     mende) Läsionen in der Kontroll-MRT,       wurden früher auch als Eskalations-
     dann sollte ein Therapiewechsel zu ei-     therapien bezeichnet, weil sie bei der
     ner potenteren Substanz überlegt wer-      Mehrheit der Patientinnen nicht oder
     den, da die Langzeitprognose bei Ver-      erst in einem späteren Stadium der Er-
     bleib auf der ursprünglichen Therapie      krankung eingesetzt wurden. Damit
     wahrscheinlich ungünstig sein wird.        wollte man in erster Linie vermeiden,
                                                dass man Patientinnen einem unnötig
     11. WAS SIND IMMUN­                       hohen Risiko von Nebenwirkungen aus-
          MODULATORISCHE                        setzt ohne zu wissen, ob die Erkrankung
          THERAPIEN?                            im Einzelfall überhaupt einer wirksame-
                                                ren und damit auch riskanteren Thera-
     Diese Therapien werden dauerhaft ver-      pie bedarf.
     abreicht, um das bei der MS überschie-
     ßende Immunsystem in seiner Funk-          DT  herapien für den milden bis
     tion zu dämpfen bzw. auf ein normales         moderaten Krankheitsverlauf
     Ausmaß zurückzuführen. Dadurch sol-           der schubförmigen MS
     len Schübe in der Zukunft, im Idealfall    Sie können aufgrund geringer Sicher-
     langfristig, aber auch bleibende Behin-    heitsrisiken bereits in der Frühphase
     derung vermieden werden.                   der MS sowie bei geringer bis modera-
        Generell unterscheidet man Thera-       ter Krankheitsaktivität verabreicht wer-
     pien für einen milden/moderaten Ver-       den, wobei es keine allgemein gültige
     lauf einer MS, die aufgrund ihrer guten    Definition des Begriffes mild oder mo-
     Langzeitsicherheit bereits sehr früh im    derat gibt. Dies muss also im Einzelfall
     Verlauf der Erkrankung verordnet wer-      unter Abwägung der Beschwerden der
     den und daher früher auch gerne als Ba-    Patientin, ihrer MRT-Bilder und even-
     sistherapien bezeichnet wurden. Dane-      tuell anderer Zus atzuntersuchungen
     ben gibt es Therapien für die sogenannte   diskutiert und entschieden werden.
     hochaktiven MS, die verwendet werden,        Unterschieden werden ganz generell
     wenn entweder die Basistherapien nicht     Injektionstherapien, die schon seit fast
     ausreichend wirksam sind oder auf-         20 Jahren in Verwendung sind und von
     grund bestimmter Faktoren schon von        denen ausreichende Daten auch zur
     Anfang an klar ist, dass die Erkrankung    Langzeitsicherheit vorliegen von den
     aufgrund ihrer hohen Aktivität einer       beiden erst kürzlich verfügbaren Tab-
     (zumindest vorübergehend) aggressi-        letten, von denen es keine vergleichba-
     veren Therapie bedarf. Diese Therapien     ren Daten zur Langzeitsicherheit gibt.
21

Interferon-beta 1b (Betaferon®)           Nebenwirkungen:
Verabreichung: jeden 2. Tag,              häufig: Lokalreaktionen an der Ein-
subkutane Injektion                       stichstelle, grippeartige Beschwerden
Indikation: Erster Schub,                 selten: Schilddrüsenfunktionsstörungen,
schub­förmige MS, sekundär                Depression
chronisch progrediente MS
Wirksamkeit: Schubratenreduktion          Pegyliertes Interferon-beta 1a
um 30% im Vgl. zu Placebo                 (Plegridy®)
Nebenwirkungen:                           Verabreichung: 2×/Monat,
häufig: Lokalreaktionen an der            subkutane Injektion
Einstichstelle, grippeartige              Indikation: schubförmige MS
Beschwerden                               Wirksamkeit: Schubratenreduktion
selten: Schilddrüsenfunktionsstörungen,   um 30% im Vgl. zu Placebo
Depression                                Nebenwirkungen:
                                          häufig: Lokalreaktionen an der Ein-
Interferon-beta 1a (Avonex®)              stichstelle, grippeartige Beschwerden
Verabreichung:1×/Woche,                   selten: Schilddrüsenfunktionsstörungen,
intra­muskuläre Injektion                 Depression
Indikation: Erster Schub,
schubförmige MS                           Glatirameracetat
Wirksamkeit: Schubratenreduktion          (Copaxone®, Biosimilar: Perscleran®)
um 30% im Vgl. zu Placebo                 Verabreichung: 1× täglich,
Nebenwirkungen:                           subkutane Injektion (ab 2015 auch
häufig: grippeartige Beschwerden          als 3×/Woche 40mg-Formulierung)
selten: Schilddrüsenfunktionsstörungen,   Indikation: erster Schub,
Depression                                schubförmige MS
                                          Wirksamkeit: Schubratenreduktion
Interferon-beta 1a (Rebif®)               um 30% im Vgl. zu Placebo
Verabreichung: 3×/Woche,                  Nebenwirkungen:
subkutane Injektion                       häufig: Lokalreaktionen an der
Indikation: Erster Schub,                 Einstichstelle
schubförmige MS
Wirksamkeit: Schubratenreduktion
um 30% im Vgl. zu Placebo

                                                                25 Fragen und Antworten
22

     Teriflunomid (Aubagio®)                  Generell gilt für alle Immuntherapien,
     Verabreichung: 1× täglich, Tablette     dass ihre Verordnung und Anwendung
     Indikation: schubförmige MS             einer gewissen regelmäßigen Kontrolle
     Wirksamkeit: Schubratenreduktion        unterliegen sollte, wobei diese Kontrollen
     um 30% im Vgl. zu Placebo               bei den Injektionspräparaten weniger
     Nebenwirkungen:                         häufig notwendig sind, da ihre Lang-
     häufig: Magen-Darm-Beschwerden,         zeitsicherheit mittlerweile hinreichend
     Haarverdünnung                          belegt ist. Bei den von vielen Patien-
     selten: Blutdruckerhöhung, Hautrötung   tinnen als angenehmer empfundenen
                                             Therapien in Tablettenform dagegen
     Dimethylfumarsäureester (Tecfidera®)     ist diese Langzeitsicherheit noch nicht
     Verabreichung: 2× täglich, Kapsel       hinreichend belegt bzw. sind sehr selten
     Indikation: schubförmige MS             auftretende Komplikationen bekannt,
     Wirksamkeit: Schubratenreduktion        die eine engmaschigere Kontrolle er-
     um 50% im Vgl. zu Placebo               forderlich machen. Zu diesen Kontrol-
     Nebenwirkungen:                         len gehören regelmäßige neurologische
     häufig: Magen-Darm-Beschwerden,         Untersuchungen ebenso wie ggf. MRT-
     Hitzewallungen                          Kontrollen, um die Wirksamkeit der
                                             Substanzen kritisch prüfen zu können.
                                             Darüber hinaus sind regelmäßige Blut-
23

und Harnuntersuchungen notwendig          Fingolimod (Gilenya®)
um eventuell Nebenwirkungen, welche       Verabreichung: 1× täglich, Kapsel
von den Patientinnen oft gar nicht oder   Indikation: hoch aktive,
viel zu spät bemerkt werden würden,       schubförmige MS
rechtzeitig erkennen und gegebenenfalls   Wirksamkeit: Schubratenreduktion
behandeln zu können. Keinesfalls darf     um 50% im Vgl. zu Placebo bzw. um
eine solche Therapie über Jahre ohne      40% gegen eine Interferontherapie
entsprechende Kontrollen eingenom-        Nebenwirkungen:
men werden, auch wenn sich die Patien-    selten: Herpesinfektionen, Änderungen
tin wohl fühlt und selbst keinen Bedarf   von Blutdruck und Puls
sieht, immer wieder zum Arzt zu laufen.   Augenerkrankung (Maculaödem),
                                          erhöhtes Risiko für bestimmte Formen
DT  herapien für die hoch                von Hautkrebs, Virusinfektion des
   aktive schubförmige MS                 Gehirns (PML) mit zeitweise. tödlichem
Diese Therapien finden nur Anwen-         Verlauf
dung, wenn mit den herkömmlichen
Medikamenten die Krankheit nicht aus-     Alemtuzumab (Lemtrada®)
reichend zu stoppen war oder aufgrund     Verabreichung: 2 Infusionsserien im
bestimmter Parameter der Verdacht         Jahresabstand, danach oft mehrere
naheliegt, dass diese herkömmlichen       Jahre keine Therapie erforderlich
Therapien nicht ausreichend wirksam       Indikation: hoch aktive, schubförmige
sein werden, um eine sehr aggressive      MS nach genauer Nutzen-Risiko-
Erkrankung ausreichend in den Griff       Abwägung und nur dann, wenn andere
bekommen zu können.                       Therapien nicht in Betracht kommen
                                          Wirksamkeit: Schubratenreduktion
Natalizumab (Tysabri®)                    um 55% im Vgl. zu einer Interferon-
Verabreichung: 1×/Monat, Infusion         therapie
Indikation: hoch aktive,                  Nebenwirkungen:
schubförmige MS                           häufig: Infusionsreaktionen
Wirksamkeit: Schubratenreduktion          (Kopfschmerz, Fieber, …)
um 70% im Vgl. zu Placebo                 Schilddrüsenerkrankungen, Infektionen
Nebenwirkungen:                           selten: Blutungen, Störung der
selten: allergische Reaktion              Funktion der weißen Blutkörperchen,
Virusinfektion des Gehirns (PML)          Herzinfarkt, Nierenerkrankungen,
mit ztw. tödlichem Verlauf                andere Autoimmunerkrankungen

                                                               25 Fragen und Antworten
24

     Cladribin (Mavenclad®)                  Ocrelizumab (Ocrevus®)
     Verabreichung: 2 Zyklen im Jahres-      Verabreichung: 2 Infusionen pro Jahr,
     abstand, die aus zwei je 5-tägigen      wobei die allererste Infusion in 2 Teilen
     Tabletteneinnahmen im Abstand von       im Abstand von 14 Tagen verabreicht
     4 Wochen erfolgt. Danach ist eine       wird.
     weitere Therapie nur dann notwendig,    Indikation: hoch aktive,
     wenn sich erneut Hinweise für eine      schubförmige MS
     Krankheitsaktivität (Schübe oder Ver-   Wirksamkeit: Schubratenreduktion
     schlechterung in der MRT) ergeben.      um 50% im Vgl. zu einer Interferon-
     Indikation: hoch aktive,                therapie
     schubförmige MS                         Nebenwirkungen:
     Wirksamkeit: Schubratenreduktion        selten: erhöhte Infektanfälligkeit; noch
     um 55% im Vgl. zu Placebo               nicht ganz ausgeschlossen werden
     Nebenwirkungen:                         kann auch ein langfristig erhöhtes
     häufig: Blutbildveränderungen, Müdig-   Risiko für die Entstehung von Tumoren,
     keit während der kurzen Einnahmedauer   auch wenn dies bis heute nicht
     selten: erhöhte Infektanfälligkeit      bestätigt werden konnte
25

Für alle hoch wirksamen Therapien          Wirksamkeit: Verlangsamung des Vor-
sind prinzipiell die gleichen Sicher-      anschreitens der Behinderung um 25%
heitsvorkehrungen notwendig wie für        Nebenwirkungen:
die herkömmlichen Immuntherapien,          selten: Herpesinfektionen, Änderungen
das heißt regelmäßige Kontrollen bei       von Blutdruck und Puls, Augen­
der Neurologin, MRT-Kontrollen so-         erkrankung (Maculaödem), erhöhtes
wie Laborkontrollen müssen in regel-       Risiko für Hautkrebs und seltene
mäßigen Abständen erfolgen. Darüber        Virusinfektionen kann derzeit noch
hinaus sind aber bei den hoch wirksa-      nicht mit Sicherheit beurteilt werden
men Therapien je nach Art der Thera-
pie noch zusätzliche Untersuchungen        D Therapien für die primär
notwendig, da das Risikoprofil dieser         progrediente MS
Substanzen zum Teil ganz spezifische       Seit kurzem steht nun auch für diese
Sicherheitsvorkehrungen erfordert. Da-     Form der MS erstmals eine Therapie zur
rüber hinaus ist es bei den meisten die-   Verfügung
ser Therapien erforderlich, vor Beginn
einen Impfstatus zu erheben und gege-      Ocrelizumab (Ocrevus®)
benenfalls Impfungen nachzuholen, da       Verabreichung: 2 Infusionen pro Jahr,
während der Therapie der Impferfolg        wobei die allererste Infusion in 2 Teilen
weniger gut sein kann.                     im Abstand von 14 Tagen verabreicht
                                           wird.
DT  herapien für die sekundär             Indikation: primär progrediente MS
   progrediente MS                         mit kurzer Erkrankungsdauer, raschem
Seit kurzem gibt es erstmals eine Thera-   Fortschreiten der Beschwerden bei
pie für diese Form der MS                  jüngeren Patienten (worunter man
                                           solche unter 60 Jahren versteht)
Siponimod (Mayzent®)                       Wirksamkeit: Verlangsamung des Vor-
Verabreichung: 1× täglich, Tablette;       anschreitens der Behinderung um 30%
Dosierung abhängig von genetischen         Nebenwirkungen:
Faktoren, die mittels Bluttest vor         selten: erhöhte Infektanfälligkeit;
Therapiebeginn ermittelt werden            noch nicht ganz ausgeschlossen
Indikation: sekundär progrediente          werden kann auch ein langfristig
MS mit Krankheitsaktivität (in Form        erhöhtes Risiko für die Entstehung
von Schüben oder neuer Läsionen in         von Tumoren, auch wenn dies bis
der MRT)                                   heute nicht bestätigt werden konnte

                                                                  25 Fragen und Antworten
26

     12. WAS PASSIERT, WENN                     zuholen. Medizinisch betrachtet stellt
          ICH NICHT SOFORT MIT                   es überhaupt kein Problem dar, wenn
          EINER IMMUNTHERAPIE                    man sich für diese Entscheidung auch
          BEGINNE?                               einige Monate Zeit nimmt, dies hat si-
                                                 cher keine negativen Auswirkungen auf
     In den letzten Jahren wurde in zahlrei-     den langfristigen Verlauf der Erkran-
     chen Studien gezeigt, dass ein früher       kung.
     Beginn einer immunmodulatorischen             Umgekehrt kann es aber auch sein,
     Therapie das Risiko des Auftretens          dass die Ärztin sich am Beginn der Er-
     weiterer Schübe reduzieren, aber auch       krankung nicht ganz sicher ist, ob es
     den weiteren Krankheitsverlauf posi-        sinnvoll ist, mit einer Therapie zu be-
     tiv beeinflussen kann. Es scheint so zu     ginnen und eventuell die Krankheit
     sein, dass die Wirksamkeit einer Im-        noch einige Monate beobachten oder
     muntherapie umso besser ist, je früher      noch eine weitere MRT-Kontrolle sehen
     man in das Immunsystem korrigierend         möchte, bevor sie eine Empfehlung ab-
     eingreift oder umgekehrt betrachtet: je     geben will. Manche Patientinnen wer-
     länger eine MS schon besteht, desto we-     ten dies als Unsicherheit oder Schwäche
     niger Wirksamkeit kann man sich von         oder gar Unwissen der behandelnden
     einer Immuntherapie erwarten.               Ärztin. Ganz im Gegenteil kann dies
     Dieses Wissen darf aber nicht dazu füh-     aber Ausdruck einer besonders sorg-
     ren, der Patientin eine rasche Entschei-    samen Auseinandersetzung mit der Er-
     dung aufzudrängen, in der irrigen An-       krankung und eines besonderen Bemü-
     nahme es würde jeder Tag zählen, der        hens um das Wohlergehen von Ihnen als
     ohne Therapie verstreicht. Vielmehr         Patientin sein.
     sollte sich jede Patientin vor jeder Ent-     Für den Fall, dass Ihnen eine Therapie
     scheidung umfassend informieren über        empfohlen wurde, Sie diese aber (aus
     die Vor- und Nachteile einer Therapie,      welchem Grund auch immer) nicht be-
     aber auch über mögliche Alternati-          ginnen wollen ist es trotzdem wichtig,
     ven. Ganz wichtig ist auch, keine Ent-      in neurologischer Behandlung zu blei-
     scheidung zu treffen, bei der ein (aus      ben und eventuell auch weitere MRT-
     welchem Grund auch immer) unange-           Kontrollen durchführen zu lassen. So
     nehmes Gefühl zurückbleibt, nicht das       kann man die Krankheitsaktivität bes-
     Richtige getan zu haben. Oft hilft es in    ser einschätzen und weitere Argumente
     dieser Phase, auch andere Ärztinnen zu      für oder auch gegen eine Behandlung
     konsultieren und eine 2. Meinung ein-       sammeln.
27

13. SYMPTOMATISCHE                       Ziel der symptomatischen Therapie ist
    THERAPIE                             es, die Lebensqualität von MS-Patien-
                                         tinnen unmittelbar zu verbessern.
Während die Therapie mit Kortikoste-     Zu diesen Therapien zählen:
roiden während eines akuten Schubes      1. Physio- und Ergotherapie zur Verbes-
und die Behandlung mit immunmo-             serung von Lähmungen, Koordinati-
dulierenden oder immunsuppressiven          onsstörungen und Einschränkungen
Substanzen im Intervall zumindest bis       der Gehfähigkeit
zu einem gewissen Grad in den Ver-       2. Medikamente zur Behandlung von
lauf der Erkrankung eingreift, handelt      Gangstörungen, Blasenfunktionsstö-
es sich bei symptomatischen Thera-          rungen, Spastik, Depression, Schmer-
pien ausschließlich um Methoden, die        zen und chronischer Müdigkeit
aktuelle Beschwerden lindern sollen,     3. Nicht medikamentöse Therapien wie
ohne dass der Verlauf der Erkrankung        Psychotherapie, Fatigue-Management,
dadurch beeinflusst wird. Vorrangiges       Entspannungstechniken u. v. m.

                                                              25 Fragen und Antworten
28

     14. WAS KANN DIE                            lichen Therapie, welche die Beziehung
         KOMPLEMENTÄRMEDIZIN                     zwischen Körper und Geist ausreichend
         FÜR MICH TUN?                           berücksichtigt und (3) den Wunsch
                                                 nach Eigeninitiative. Misstrauen gegen-
     Einer amerikanischen Untersuchung zu-       über der Schulmedizin war dagegen nur
     folge unterziehen sich fast 60% aller MS-   bei einem geringen Prozentsatz der Be-
     Patientinnen alternativmedizinischen        fragten ein relevantes Motiv.
     Behandlungen, zum Teil ergänzend zu            Es gibt hunderte komplementärme-
     konventionellen Therapien, teilweise        dizinische Ansätze, die sich mit der Be-
     aber auch ausschließlich. Ein Grund,        handlung der MS befassen. Den meisten
     warum diese Zahl gerade unter MS-Pa-        gemeinsam ist, dass es keine wissen-
     tientinnen so hoch ist, dürfte sein, dass   schaftlichen Untersuchungen zu deren
     auch die Schulmedizin derzeit nicht in      Wirksamkeit bei MS gibt und auch nie
     der Lage ist, die Erkrankung zu heilen.     geben wird, da Studien, die eine Wirk-
     Als persönliche Beweggründe gaben           samkeit beweisen würden, mehr kosten,
     die befragten Patientinnen an: (1) den      als mit diesen Therapien jemals verdient
     Wunsch, nichts unversucht zu lassen,        werden kann. Trotzdem gibt es neben
     (2) den Wunsch nach einer ganzheit-         der Ernährung (sofern man diese zur
29

Komplementärmedizin zählen will und         die Zufuhr ungesättigter Fettsäuren, die
die an anderer Stelle abgehandelt wird)     entzündungshemmende Eigenschaften
zahlreiche Verfahren, die geeignet sind,    des Immunsystems fördern.
um zumindest bestehende Beschwerden            Besonders empfehlenswert sind fette
im Rahmen der MS zu verringern oder         Meeresfische wie Thunfisch, Hering,
auch solche, die einfach die Lebensqua-     Lachs, weniger dagegen Seelachs, Forel-
lität im Allgemeinen verbessern. Es gilt,   le und Karpfen. Eine Alternative können
in diesem Bereich individuell heraus zu     auch Fischölkapseln oder bestimmte
finden, was einem guttut aber auch kri-     pflanzliche Öle (allen voran Leinöl, Wal-
tisch zu hinterfragen, ob der Aufwand       nussöl und Rapsöl) sein, um den Anteil
(an Zeit und Geld) den erzielten Benefit    wichtiger ungesättigter Fettsäuren zu
rechtfertigt oder nicht. Generell sollten   erhöhen.
komplementärmedizinische Ansätze, bei
denen Heilpflanzen, Medikamente oder        Empfehlungen zum Speiseplan
invasive Verfahren im Spiel sind, vorab     Fleisch oder Wurstwaren sollten maxi-
mit der behandelnden Neurologin be-         mal 3 Mal pro Woche auf dem Speise-
sprochen werden, um im Einzelfall ab-       plan stehen, Fisch mindestens 2 Mal.
zuklären, ob ein gesundheitliches Risiko    Fettarme Milch und Milchprodukte
durch eine solche Behandlung besteht,       wie Käse und Joghurt sind wichtig, um
aber auch, ob eine eventuell laufende       den Körper mit ausreichend Eiweiß
schulmedizinische Therapie zu einer         aber auch Mineralstoffen zu versorgen,
komplementärmedizinischen Behand-           welche wichtig zur Vermeidung einer
lung dazu passt. Für spezifische komple-    Osteoporose sind. Obst, Gemüse und
mentärmedizinische Ansätze sei auf die      Vollkornprodukte sollten die Basis der
Literatur im Anhang verwiesen.              Ernährung bilden. Tierische Fette, wie
                                            Schmalz und Butter sollten nach Mög-
15. SOLL ICH MEINE                         lichkeit gegen pflanzliche Öle und Fette
     ERNÄHRUNG UMSTELLEN?                   ausgetauscht werden. Rapsöl zum Er-
                                            hitzen und Leinöl, Walnussöl und Wei-
Man kann durch eine Umstellung der          zenkeimöl für kalte Speisen sind hier
Ernährung die MS wahrscheinlich po-         besonders zu empfehlen. Insgesamt ist
sitiv beeinflussen, wenn man die Zu-        es wichtig, den Kalorienbedarf an den
fuhr von Fleisch und tierischen Fetten      Verbrauch anzupassen, insbesondere
zugunsten von Fisch und pflanzlichen        wenn die Bewegungsfähigkeit einge-
Ölen reduziert. Dadurch erhöht man          schränkt ist.

                                                                   25 Fragen und Antworten
Sie können auch lesen