Musikstunde "Good Morning, Your Majesty" - Queen Victoria zum 200. Geburtstag (2)

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Musikstunde

„Good Morning, Your Majesty“ -
Queen Victoria zum 200. Geburtstag (2)

Von Antonie von Schönfeld

Sendung:    26.03.2019
Redaktion: Dr. Ulla Zierau
Produktion: 2019
SWR2 Musikstunde mit Antonie von Schönfeld
25. März – 29. März 2019
„Good Morning, Your Majesty“ - Queen Victoria zum 200. Geburtstag (2)

Ich bin AvS und freue mich, dass Sie zuhören - „Welcome back“!

‚Eine junge Prinzessin im Ränkespiel ihrer Familie‘ – das ist nicht unbedingt der erste
Gedanke, den wir mit Queen Victoria assoziieren. Doch genau das ist die Situation
bis sie Königin ist. In den Musikstunden in dieser Woche folgen wir der großen
englischen Königin durch ihr Leben, Anlass ist der 200. Geburtstag von Queen
Victoria im Mai! Heute in der zweiten Folge Königin werden begleiten wir die
Prinzessin auf dem Weg zum Thron, erleben mit ihr das Ende des „Kensington-
Systems“ und ihre Krönung zur Königin.
Titelmusik
Queen Victoria fasziniert bis heute. Immer wieder werden neue Biographien über sie
geschrieben. Wie eine Person dargestellt wird hat viel mit der Perspektive des
Biographen zu tun und manchmal mit Interessen, die dahinterstehen. Das englische
Königshaus ist bis heute nicht daran interessiert, dass Staub aufgewirbelt wird, auch
nicht um die uralten Geschichten rund um Queen Victoria. Das Bild der Vorbildfamilie
von Victoria und Albert und ihren neun Kindern soll weiterhin bestehen, ein Bild, wie
eingesponnen in den guten alten Kokon viktorianischer Überzeugungen, die alte
Dame mittendrin: altehrwürdig und eine Eminenz.

Doch so brav, so glatt, wie das alles gern dargestellt wird, ist ihr Leben keineswegs
verlaufen. An diesem Image haben schon die Filme der letzten Jahre gekratzt, wenn
man zuschauen kann, wie die Queen bei Tisch schlürft und im Bett schnarcht. Trotz
aller Leinwand-Drastik: Sie war eben auch nur ein Mensch - ein vielseitiger,
emotionaler, kluger, parteiischer, kämpferischer Mensch. Und ein Musik-liebender!

Musik 1             Felix Mendelssohn Bartholdy                     0´46
                    „Durch Fichten am Hügel“ (1823)
                    Carsten Süss, Tenor Gerold Huber, Klavier
M0330835 020        CAvi-music, 8553222
„Durch Fichten am Hügel“ – ein Liebeslied des jungen Felix Mendelssohn, er war
etwa 14 als er es geschrieben hat. Carsten Süss ist am Klavier von Gerold Huber
begleitet worden.

Wenn ich überlege, wie mein Bild von Queen Victoria entstanden ist, bevor ich mich
näher mit ihr und ihrer Zeit beschäftigt habe, dann sind da Randnotizen,
Schulbuchwissen, Zeitungsartikel und Bilder, all das, was man eher en passant
wahrnimmt. Und doch formt sich ein Bild. Mit dem Eintauchen in das Thema
verändert es sich und es wird einem bewusst, wie viele Klischees man unbewusst
übernommen hat.
Lebendig wird eine historische Figur, wenn man ihre Briefe liest, in ihren
Tagebucheinträgen blättert, vielleicht Reiseberichte aus der Zeit zur Hand nimmt und
sich selbst auf den Weg macht. Auf einer Lieblingsbank lässt sich auch gut über die
Person lesen, die gern dort gesessen hat.
Auf dem Stapel der Biographien über Queen Victoria liegen ganz oben zwei aktuelle:
Da ist der gut recherchierte Klassiker von Karina Urbach, neu überarbeitet und
erweitert, kernig geschrieben und mit seinen 250 Seiten im Umfang überschaubar.
Und dann der dicke Band der australischen Historikerin Julia Baird: Auf rund 500
Seiten streut sie in die Chronologie der Ereignisse immer wieder romanhafte Szenen
ein, das liest sich süffig und informativ zugleich.
Im Nachwort bekommt der Leser dazu einen interessanten Einblick in ihre
Recherchearbeit im Königlichen Archiv in England: Zunächst dauert es lange, bis die
Historikerin überhaupt Zugang zum ‚Royal Archive‘ erhält. Bevor sie dann die
hundert Stufen im Round Tower in Windsor Castle hinaufgehen darf muss sie sich
vertraglich verpflichten, dass letztlich das Archiv über die Freigabe von
Textpassagen aus dem eigenen Bestand entscheidet. Soweit nicht ungewöhnlich.

Als Julia Baird fertig ist legt sie zur Sicherheit ihr ganzes Manuskript vor. Die Antwort
nach mehreren Monaten überrascht sie: Soweit ist alles ok. Allerdings soll sie
Passagen streichen, die sich auf Quellen von außerhalb des Archivs stützen. (Vor
allem Material von Victorias letztem Leibarzt Dr. Reid, wovon das Meiste sogar
veröffentlicht ist). - Solche Bemühungen zeigen, wie sehr das Bild von Queen
Victoria heute noch in der Öffentlichkeit kontrolliert werden will.

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Zeitsprung in die 1830er Jahre.
Die Königin ist noch Prinzessin und hat von all dem keine Ahnung. Sie ist ein
Teenager und interessiert sie sich viel mehr für ihr neues Pony und für die nächste
Gesangsstunde bei ihrem verehrten Maestro Luigi Lablache. Victoria hat eine
hübsche Sopranstimme und vielleicht versucht sie sich schon an kleinen
ausdrucksvollen Szenen, wie der folgenden „La Promessa“ – „Das Versprechen“, die
Gioacchino Rossini gerade brandneu geschrieben hat:

Musik 2             Gioachino Rossini                       3´28 CD2
                    „La promessa“
                    Felicity Lott - Sopran
                    Graham Johnson, Klavier
                    EMI 5742062, LC 6646

Felicitiy Lott mit einem Lied von Gioacchino Rossini „La Promessa“.
Graham Johnson hat sie am Klavier begleitet.

Eine junge Adlige im 19. Jahrhundert soll die schönen Künste lernen. Ein
Stundenplan der jungen Prinzessin von 1828 sieht so aus: Geographie, Mathematik,
Französisch, Deutsch, Religion, Geschichte und dazu Dichtkunst, Zeichnen, Tanzen
und Musik. Mit Musik wird für die Neunjährige vermutlich Klavierunterricht gemeint
sein. Ein paar Jahre später aber kommt Gesangsunterricht dazu und für ihren
italienischen Maestro Luigi Lablache schwärmt Victoria geradezu.
Am 9. August 1836 schreibt die Siebzehnjährige an ihren Onkel, Leopold, König von
Belgien:
„My beloved Uncle! (...)
Alle Vergnügungen sind jetzt vorbei.
Am Samstag war die letzte Vorstellung in der Oper – und es war wirklich ein
grandioser Abschluss der Spielzeit!Gestern dann habe ich meine Abschiedsstunde
bei Lablache genommen,was ich sehr bedauert habe. 26 Stunden habe ich bei ihm
gehabt und ich freue mich jetzt schon darauf, den Unterricht im nächsten Frühjahr
wiederaufzunehmen!“
(Soweit Princess Victoria)

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Luigi Lablache kommt aus Neapel, er ist an den Opernhäusern ein gefragter Star,
und das in ganz Europa. Zu seinen Paraderollen gehört die Cavatina aus Rossinis
„La Gazza Ladra“: „Il mio piano è preparato“, hier gesungen von Lorenzo Regazzo.

Musik 3             Gioachino Rossini                   4´48 
                    Cavatina „Il mio piano è preparato“
                    aus: „La Gazza Ladra“
                    Lorenzo Regazzo, Podestà
                    Virtuosi Brunensis
                    Ltg. Alberto Zedda, SWR M0420407 015

Lorenzo Regazzo als Podestà mit der Cavatina aus Rossinis „La Gazza Ladra“: „Il
mio piano è preparato“. Alberto Zedda hat die Virtuosi Brunensis geleitet.

Victoria kommt mit ihrem Gesangslehrer Luigi Lablache bestens aus, sie genießt
jede einzelne Stunde bei ihm. Vermutlich singt ihr der Opernstar auch mal die eine
oder andere Phrase vor mit seinem sonoren Bass. Gesangsstunden gehören
jedenfalls für die Prinzessin zu den kleinen Fluchten in ihrem streng reglementierten
Alltag in Kensington Palace.
Mit 17 durchschaut sie längst das Machtgefüge im Haus: Ihr Vater, der Herzog von
Kent, Bruder des Königs, ist früh gestorben. Ihre Mutter, die Herzogin, wirkt schon
mit der Erziehung der Tochter überfordert. Die Vorbereitung von Victoria auf ihre
spätere Rolle als Königin hat sie abgegeben an Sir John Conroy. Dieser Conroy ist
ein machtgieriger Aufsteiger, ein Stratege. Er hat das sogenannte „Kensington
System“ aufgebaut. Dazu gehören neben der Mutter und ihm noch ein paar Tanten,
ein Onkel und Victorias Halbbruder. Die Idee hinter diesem System ist einfach:
Victoria soll in einer Art Parallelwelt erzogen werden, mit wenig Kontakt nach außen
und schon gar nicht zur englischen Verwandtschaft. Sie wird einerseits behütet,
andererseits kontrolliert. Conroy hofft, dass der kranke William IV., der amtierende
König, stirbt bevor die Prinzessin 18 ist. Dann würde die Herzogin zunächst
Prinzregentin werden und mit Victorias Volljährigkeit könnte er sich als ihr
Privatsekretär etablieren.
Soweit der Plan. Ein wichtiges Detail aber hat Conroy übersehen:
Bei all diesen Überlegungen geht er davon aus, dass die Tochter wie die Mutter ist,
eher schwach und manipulierbar. Die Tochter ist aber nicht wie die Mutter. Die

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Tochter begreift die Machenschaften früh, beispielsweise, dass sie nur mit den
Conroy-Kindern spielen darf, damit die dem Vater später erzählen, was sie, die
Prinzessin, so sagt und denkt.
Als Kind spielt Victoria lieber mit ihren Puppen und tobt mit ihrem Hund. Als
Jugendliche entkommt sie dem engen Korsett, wenn sie ausreitet – natürlich in
angemessenem Abstand von einem Groom begleitet – und wenn sie Klavier spielt.

Musik 4             Josph Haydn                    6‘02
                    1. Satz aus: Sonate Nr. 50 D-Dur Hob XVI:37
                    Ragna Schirmer, Klavier
                    0016302BC, LC 06203, M0089885 001

Joseph Haydn – Ragna Schirmer spielte den ersten Satz aus der Klaviersonate Nr.
50 D-Dur.

Princess Victoria ist etwa zehn als sie erkennt, an welcher Stelle sie in der
englischen Thronfolge steht: Sie ist Nr. 3. Einmal soll sie im Unterricht bei Reverend
Davys den Stammbaum der englischen Könige aufzeichnen. Sie notiert „Onkel
König“ für George IV. und „Onkel William“ für dessen Bruder, der ihm folgen wird.
Und dann? Im Unterricht lässt Victoria die letzte Stelle erstmal frei... Ein anderes Mal
klärt ihre geliebte Baronin von Lehzen, ihre Erzieherin, sie über ihre Stellung auf. „Ich
will gut sein“ soll das Kind gesagt haben und „ich bin dem Thron näher, als ich
dachte!“ - Und dann erstmal Tränen. Auch ein Kind merkt, welches diffuse Gefühl mit
einer solchen Vorstellung verbunden ist und die Last des ‚Kensington Systems‘
überschattet die Kindheit der Prinzessin eigentlich schon genug.

Mit sechzehn hat Victoria ein Schlüsselerlebnis: Sie liegt richtig krank im Bett und
Conroy will diese Schwäche ausnutzen: Fiebernd wie sie ist soll sie ein Dokument
unterschreiben, der seine Position an der Seite der zukünftigen Königin festschreibt.
Im Volksmund heißt es eh schon: „King John“!
Die kranke Victoria – fünf Wochen liegt sie im Bett – zeigt eine erstaunliche
Willensstärke: Sie weigert sich. Damit kippt die Stimmung im Haus endgültig: Conroy
schreit sie an, sie sei selbstsüchtig und mit all ihren Puppen und ihrer Liebe zur Oper
gar nicht fähig zu regieren!

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- Eigentlich ist es genau andersherum: Gesangsunterricht und Opernbesuche und
auch das Basteln von Holzfiguren nach Opernaufführungen zusammen mit ihrer
Erzieherin, das sind Dinge, aus denen die junge Victoria Kraft schöpft.

Musik 5             Wolfgang Amadeus Mozart                3´56 CD3 
                    „Contessa, perdono“             (2´48)
                    „Questo giorno di tormenti”     (1´07)
                    aus: „La Nozze di Figaro“
                    Simone Kermes, Gräfin /Andrei Bondarenko, Graf
                    Musica Aeterna /Ltg. Teodor Currentzis
                    Sony 88883709262-3, LC6868, M0355136 082/083

Die leise intensive Versöhnung zwischen Graf und Gräfin explodiert geradezu in den
Schlusschor „Questo giorno di tormenti”: Das waren in der Schlussszene aus
Mozarts „Figaro“ Andrei Bondarenko und Simone Kermes als Graf und Gräfin
zusammen mit Chor und Orchester von Musica Aeterna, alle zusammen unter der
Leitung von Teodor Currentzis.

Die Turbulenzen in Kensington Palace kommen erst zum Ende, als Victoria Königin
wird. Damit zerrinnt der Plan des ehemaligen Stallmeisters und Soldaten John
Conroy endgültig:
William IV. ist mit Mitte sechzig der älteste König, der je den englischen Thron
bestiegen hat, doch trotz Krankheit lebt er bis die Prinzessin achtzehn wird. Der
König hält regelrecht durch, er will die Folgen des ‚Kensington System‘ unbedingt
verhindern. Bei seinem letzten Geburtstagsdinner in Windsor Castle im Jahr vor
seinem Tod hält er eine kleine Rede. Victoria und ihre Mutter sitzen mit an der Tafel,
als er laut und deutlich verkündet:

„Ich vertraue auf Gott, dass er mir noch neun Monate an Lebenszeit schenken möge
(...) Mir wird es dann eine Genugtuung sein, die königliche Autorität in die Obhut
dieser jungen Dame zu übergeben, die voraussichtliche Thronerbin, und nicht in die
Hände einer mir nahestehenden Person, die von schlechten Ratgebern umgeben
und nicht imstande ist, in der Situation, in die sie dadurch gestellt werden würde, mit
Umsicht und Maß zu handeln. (...) Ich bin der König, und ich bin entschlossen,
meiner Autorität gebührenden Respekt zu verschaffen.“

                                                                                          7
Eine klare Kampfansage bei Kerzenschein: Das geht gegen die Herzogin von Kent,
seine Schwägerin und Victorias Mutter. Der Appetit ist jetzt allen vergangen, die
Gesellschaft löst sich schnell auf.
Nach dem Tod von William wird sich die Mutter zum Opfer stilisieren, sie habe sich
für ihre Tochter aufgerieben – und das sei der Dank...
Bis sich Tochter und Mutter versöhnen dauert es Jahre.

Am 24. Mai 1837, ihrem 18. Geburtstag, wird eine weiße Fahne auf Kensington
Palace gehisst, darauf nur ein einziges Wort: „VICTORIA“!

Musik 6                  Trompeten-Fanfare       0´15
                         CDA67286, LC 7533

24. Mai 1837 - Tagebucheintrag von Victoria:
„Heute ist mein 18. Geburtstag!
Wie alt ich jetzt bin!
Und wie weit ich noch davon entfernt bin, das zu sein, was ich sein soll!
Von diesem Tage an werde ich den festen Entschluss umsetzen, mich mit neuem
Fleiß an die Arbeit zu machen, meine ganze Aufmerksamkeit auf das eine Ziel zu
richten, das mir für die Zukunft vor Augen steht, und mich bemühen, von Tag zu Tag
weniger schlicht und besser vorbereitet zu sein auf das, was ich, so es der Himmel
will, eines Tages sein soll.“

Das Ziel, auf das Victoria anspielt, heißt: Königin zu sein. Sie ist es bereits mit dem
Tod ihres Onkels, gekrönt aber wird sie erst im Jahr darauf.

Vielleicht kennen Sie eine der vielen Darstellungen dieses Moments, in dem die
hohen Herren Victoria die Nachricht vom Tod des Königs überbringen:
Die Herren tragen strenges Schwarz, die junge Königin aber reines Weiß.
Auf manchen Bildern steht sie mit ihrem lang herabfallenden Haar auch noch im
hellen Sonnenschein, geradezu erleuchtet. Vermutlich aber trägt auch sie am
Morgen dieses Junitags 1837 Trauer, also ein schwarzes Kleid.

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Der Ruf des Königshauses ist zu dieser Zeit nicht gut beim Volk, Verschwendung,
Prunksucht haben die Monarchie auf einen Tiefpunkt gebracht. Da kommt die neue
Königin als Hoffnungsträgerin gerade recht und es werden entsprechende Bilder in
Auftrag gegeben, Bilder, die verstanden werden. Tatsächlich ist die Neugierde auf
die neue Königin ungeheuer groß, die allgemeine Trauer über Williams Tod hält sich
dagegen in Grenzen. Doch die Krönung kann erst nach einer gebührenden Zeit der
Trauer stattfinden.
Seinen kurzen „Funeral March“ hat Henry Purcell für die Beerdigung von Queen
Mary gut 120 Jahre früher geschrieben. Für mich gehört er zur eindringlichsten
Musik, die je für dieses endgültige Abschiednehmen geschrieben worden ist.

Musik 7               Henry Purcell                          2´45 
                      „Funeral March“
                      aus: „Funeral Music for Queen Mary“ Z. 860
                      Les Trompettes des Plaisirs
                      RIC 332, LC, M0333795 003

Trauermusik von Henry Purcell, geschrieben auf den Tod von Queen Mary 1694. Nur
acht Monate später wird diese Musik wieder gespielt, jetzt am Grab des
Komponisten, Purcell war überraschend gestorben.

In dem Jahr zwischen dem Tod William IV. und ihrer Krönung ändert sich das Leben
von Victoria komplett. Die junge Monarchin nimmt die neuen Pflichten ernst und
empfindet sie erstaunlicherweise als Freiheit! Sie ist nicht mehr abhängig von ihrer
Mutter und John Conroy, sie ist jetzt 18 und: Königin!
Von Anfang an hält Victoria feste Arbeitszeiten ein: Jeden Tag steht sie um acht auf,
liest in der Bibel, frühstückt und widmet sich dann den Regierungsgeschäften und
jeden Tag empfängt sie ihre Minister genau zwischen 11h und 13.30h. In
Premierminister Lord Melbourne findet sie dabei den idealen Begleiter und Berater.
Der geistreiche und warmherzige Grandseigneur nimmt die völlig unerfahrene
Königin bei der Hand, führt sie in die politischen Verhältnisse ein und berät sie. Dabei
sprechen die beiden auch über Literatur, Theater, Musik und diskutieren über den
Zeitgeist. Victoria saugt das Wissen nicht nur auf wie ein Schwamm, sondern stellt
Fragen, hakt nach und bildet sich eine eigene Meinung.

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Selbst denken - dazu ist Victoria tatsächlich schon in ihrem Goldenen Käfig des
„Kensington-Systems“ ermuntert worden - von ihren Lehrern und ihrer Erzieherin. Die
15-Jährige schreibt damals an ihren Onkel Leopold, dass sie im Unterricht Russells
„History of Modern Europe“ lese, das sehr interessant sei, und Clarendon’s „History
of Rebellion“. Das sei trocken geschrieben, aber sehr lehrreich. Und dann folgt der
Satz:
„Ich mag es, verschiedene Autoren mit unterschiedlichen Meinungen zu lesen, so
lerne ich, nicht einfach eine bestimmte Seite zu übernehmen.“
(22. Oktober 1834)

Victoria ist energiegeladen und kann (wie sich bald herausstellt) auch sehr energisch
sein, was manche der Hohen Herren schon in ihrem ersten Regierungsjahr sehr
überrascht...
Am Tag ihrer Krönung schreitet eine nervöse, aber würdevolle kleine Königin durch
den Mittelgang von Westminster Abbey zu ihrem Thron:

Musik 8              Georg Friedrich Händel                  5´06
                     „A Grand Instrumental Procession“
                     The King’s Consort
                     Ltg. Robert King
                     CDA67286, LC 7533

„A Grand Instrumental Procession“ – prunkvolle Repräsentationsmusik.
Georg Friedrich Händel hat sie zur Krönung von Victorias Vorgänger George II.
komponiert. Robert King hat The King’s Consort geleitet.

Bei den Krönungsfeierlichkeiten von Victoria am 27. Juni 1838 geht überraschend
vieles schief. Zwar wird der genaue Ablauf der Zeremonie festgelegt, doch
erstaunlicherweise gibt es keine einzige Probe! Und das bei einem Großereignis, das
fünf Stunden dauert und bei dem Dutzende von Akteuren zusammenwirken sollen:
Geistliche, Ministranten, Peers und Lords, Sänger, Instrumentalisten und unzählige
Helfer, von der Logistik der vielen Kutschen draußen, in denen die Gäste anfahren,
ganz zu schweigen.
Immerhin kümmert sich Lord Melbourne gerade noch rechtzeitig darum, dass der
Thron für die gerade mal 1.50m große Königin nicht etwa zu hoch sei...doch er passt.
                                                                                      10
Und die goldene Prachtkarosse mit den acht glänzenden Schimmeln fährt ohne
größere Vorkommnisse durch die Menschenmenge, in der Taschentücher und
Fähnchen geschwenkt werden, bis genau vor das Portal von Westminster Abbey.
Drinnen aber stolpern die Schleppenträger über ihre eigenen Schleppen und sie
tuscheln sowieso die ganze Zeit miteinander, einer der Bischöfe überspringt in der
Liturgie zwei Seiten und der Erzbischof von Canterbury schiebt den Krönungsring,
der extra für Victorias kleinen Finger angefertigt worden ist, mit aller Macht auf ihren
Ringfinger. (Das bedeutet später: Eiswasser!). Trotzdem ist es für Victoria der größte
Tag: „Ich werde diesen Tag immer als den stolzesten in meinem Leben in Erinnerung
behalten.“

Musik 9             Fanfare                     0´22
                    Händel, Marsch              1´45
                    The King´s Consort
                    CDA 67286 2, LC 7533

Fanfaren, Böller, Märsche – ganz London ist an diesem Junitag 1838 in
Feierstimmung! 400.000 Menschen sind in der Stadt und erleben das Spektakel der
Krönung mit. Auf dem Weg von Buckingham Palace zur Westminster Abbey und fünf
Stunden später zurück badet die Königin in Jubel. Heute gäbe in den Parks auf
großen Leinwänden „public viewing“, damals gibt es das in anderer Form:

Schauspieler stellen im Hyde Park die Zeremonie nach - es ist ein Fest für´s Volk! An
jeder Straßenecke Musik, Wein, Cider und Bier fließen in Strömen und überall gibt es
Buden, an denen man Essen oder Souvenirs kaufen kann. - Möglichst viele
Menschen wollen an diesem Tag auch verdienen.

Solche Souvenirs von königlichen Ereignissen gibt es auch heute und während der
Vorbereitung zu dieser SWR2-Musikstundenwoche trinke ich gerne meinen Tee aus
der weißen Porzellantasse mit der Queen darauf: In einer Vignette ist
scherenschnittartig das Profil der Königin zu sehen ganz in Gold und mit ein
bisschen dunkelblau in der Krone. In goldenen Lettern steht da: „To celebrate the
Coronation of Queen Elizabeth II.“ – Den Becher gab es 2013 in London, er soll an
Queen Elizabeths Diamantenes Thronjubiläum erinnern. 175 Jahre früher bei Queen
Victoria werden es irdene Krüge gewesen sein und vielleicht bringt auch Felix
                                                                                      11
Mendelssohn, der gerade in England Urlaub macht, einen mit nach Hause. Er steht
an diesem Junitag steht begeistert in der Menge und jubelt der Königin zu, für ihn
sind die Krönungsfeierlichkeiten wie ein „Traum aus Tausendundeiner Nacht“.

Morgen in der SWR2-Musikstunde lernt Victoria ihren Prinzen Albert von Sachsen-
Coburg und Gotha kennen und dann wird schon bald das nächste große „Royal
Event“ gefeiert, ihre Hochzeit. Heute hören wir „Zadok the Priest“, Händels
berühmtestes Krönungs-Anthem - und das ist Musik, die einem Herrscher wahrlich
die Bühne bereitet:

Zunächst setzen nur die Instrumente ein, leise und doch verhalten drängend. Das
steigert sich allmählich, nimmt sich wieder zurück, steigert sich erneut und mündet
schließlich in ein unaufhaltsames Crescendo, bis auf dem Höhepunkt der Chor
strahlend einsetzt: „Zadok the priest!“

Musik 10              Georg Friedrich Händel               5´33 
                      Zadok the priest (Coronation Anthem)
                      Choir of New College, Oxford
                      The King´s Consort
                      Ltg. Robert King

                      CDA 66350, LC 7533
Musik 11              Bells of London          0´25 CD2 
                      CDA67286, LC 7533

Jetzt ist Victoria gesalbte Königin!
Die SWR2-Musikstunde geht zu Ende mit „Zadok, the Priest“ – einem
Krönungsanthem von Georg Friedrich Händel. Sie hörten es mit Chor und Orchester
„The King’s Consort”, die Leitung hatte Robert King.

Im Hintergrund sind noch die Glocken verschiedener Londoner Kirchen zu hören –
das Fest ist zu Ende und draußen wartet die Kutsche.
Schön, dass Sie zugehört haben! Ich bin AvS und sage “Cheers”!

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