Musikstunde Partitur des Lichts - Tiepolos Bilderwelten (1) - Von Doris Blaich - SWR

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Musikstunde
Partitur des Lichts – Tiepolos Bilderwelten (1)

Von Doris Blaich

Sendung:    28. Juni 2021 (Erstsendung: 14. Oktober 2019)
Redaktion: Dr. Bettina Winkler
Produktion: 2019
Diese Woche geht’s hier um den großen Venezianischen Barockmaler Giovanni Battista
Tiepolo, seine Bilder und sein Leben. [Zu Tiepolos 250. Todestag zeigt die Staatsgalerie
Stuttgart eine Ausstellung, am Wochenende war die Eröffnung, hier in der Sendung klingen
die   Bilder   weiter.]    „Partitur   des   Lichts.   Tiepolos   Bilderwelten“   heißt   unsere
Musikstundenwoche – und ich heiße Doris Blaich, guten Morgen.

Mit Farbe und Pinsel Wände durchbrechen, einen unendlichen Raum zaubern und die
Gesetze der Schwerkraft überwinden – Giovanni Battista Tiepolo hat seine Zeitgenossen
begeistert mit seinen illusionistischen Blicken in den Himmel. Sein künstlerischer Wagemut,
der Witz und die Virtuosität seiner Bilder, seine abgestuften Farbpartituren, die die Nuancen
des Lichts auffächern – all das fasziniert die Menschen. Neidlos nennt man ihn „Der beste
Maler Venedigs“. Venedig bleibt sein Lebensmittelpunkt, aber Tiepolos Ruhm wächst schnell
– und bald weit hinaus über seine Heimatstadt. Fürsten, Mächtige und Reiche in ganz
Europa überbieten sich gegenseitig darin, diesen Maler an ihre Höfe zu holen und ihre
Palazzi und Schlösser mit Fresken ausmalen zu lassen. So kommt Tiepolo an den größten
Auftrag, der damals in Europa zu vergeben ist: das Deckenfresko im Treppenhaus der
Würzburger Residenz. Star-Architekt Balthasar Neumann hat es gebaut. Mit seinen 677
Quadratmetern ist Tiepolos Gemälde damals wie heute das größte Deckenfresko der Welt,
in seiner Wirkung schlichtweg überwältigend und noch dazu in Rekordzeit gemalt.
Zur Eröffnung deshalb eine sportliche Ouvertüre: „Olimpiade“ – von einem Zeitgenossen,
den Tiepolo sicher kannte und der ebenfalls zu Venedigs erstrangigen Export-Künstlern
gehört: Antonio Vivaldi.

M0515895       01-A-011                                                                   2’04
Antonio Vivaldi:
Ouvertüre zu L'Olimpiade RV 725
Les Ambassadeurs
Leitung: Alexis Kossenko

Die Ouvertüre zur Oper „L‘Olimpiade“ von Antonio Vivaldi, gespielt von Les Ambassadeurs,
geleitet von Alexis Kossenko.

Welche Musik erklingt zu der Zeit, als Tiepolo an seinen großen Gemälden arbeitet – in
Venedig, wo er geboren ist und sein Atelier unterhält; in Würzburg, wo er Anfang der 1750er
Jahre die Residenz mit seinen Fresken schmückt; in Madrid, wo er malend die letzten
Monate seines Lebens verbringt? Was entspricht musikalisch der Grandezza seiner Helden,
der Anmut seiner Heiligen-Figuren, der Verspieltheit seiner Puttos? Wie haben spätere
Komponisten die Sujets seiner Bilder in Musik gesetzt?

Fangen wir mal an mit den Wolken, einer besonderen Spezialität von Tiepolo – er drapiert
sie zu gigantischen Landschaften, großflächig aufgebauscht und in allen Pastellfarben
schimmernd – vom typischen Tiepolo-rosa bis hin zu Brauntönen.

Tiepolos Zeitgenosse Johann Adolph Hasse hat eine Motette komponiert mit dem Text „Die
Wolke in der Höhe erstrahlt im goldenen Glanz der Sonne. Sie leuchtet auf und färbt sich rot
in ihrem hellen Schein“ – was als Metapher gemeint ist für das göttliche Licht, das die
menschliche Seele erleuchtet, klingt exakt wie die Beschreibung einer Tiepolo-Wolke:

M0571632-020                                                                           9’12
Johann Adolph Hasse:
Arie „Alta nubes illustrata“ aus der gleichnamigen Motette
Diana Haller (Mezzosopran)
Ensemble Diderot
Violine und Leitung: Johannes Pramsohler

G-Dur ist die Tonart dieser Arie – sicher kein Zufall, denn es geht hier um die Strahlen der
Sonne, italienisch il sole, da steckt die Tonsilbe sol fürs G drin, weshalb man G-Dur gerne
als Sonnentonart wählt: sol maggiore. Johann Adolph Hasse, Hamburger mit Zweitwohnsitz
in Venedig, weiß natürlich auch, dass die Sonne am schönsten und hellsten in G-Dur
scheint.

In dieser neuen Aufnahme hörten Sie die Mezzo-Sopranistin Diana Haller und das Ensemble
Diderot, von der ersten Geige aus geleitet von Johannes Pramsohler.

Die CD ist im SWR aufgenommen und gerade eben erschienen – und zwar in
Zusammenarbeit mit der Staatsgalerie Stuttgart. Die verwendet Ausschnitte daraus für den
Audioguide ihrer Ausstellung über den Barockmaler Giovanni Battista Tiepolo – man kann
also im Museum mit den Klängen des 18. Jahrhunderts im Ohr durch Tiepolos Bilderwelten
wandern. [Viele der Bilder finden Sie übrigens auch auf unserer Website unter
swr2.de/tiepolo – denn auch diese Musikstunden-Woche will Malerei und Musik
zusammenbringen und sie synästhetisch in ihrer Wirkung gegenseitig verstärken.]

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Gehen wir zurück ins Geburtsjahr von Tiepolo: 1696 wird er in Venedig geboren, als jüngstes
von neun Kindern. Sein Vater Domenico ist Kapitän und hat sich zum Reeder
hochgearbeitet. Überraschend stirbt er ein Jahr später – die Mutter, Orsetta Tiepolo, muss
sich alleine um ihre große Familie kümmern und kämpft sich recht und schlecht durch. Die
Tiepolos wohnen im Corte San Domenico im Stadtviertel Castello – direkt beim Arsenale,
Venedigs riesiger Schiffswerft.

Das Arsenale ist das Herzstück der Seerepublik Venedig. 1104 gegründet, wächst es
kontinuierlich – genau wie Venedigs Macht über die Jahrhunderte anwächst. Alles, was man
für die Schiff-Fahrt braucht, wird hier in großen Mengen hergestellt: Ruder, Seile, Segel,
Schrauben, Waffen, Schießpulver und Zwieback. Alle Bauteile sind genormt, immer liegen
Bausätze für 25 Schiffe im Depot, man kann sie in Windeseile zusammenbauen. Rund um
die Handwerksbetriebe wohnen die Arbeiter – Tiepolos Nachbarn.

Wenig Gelegenheit also für das Kind, sich mit Malerei und schöngeistiger Kunst zu
beschäftigten. Und trotzdem beginnt Tiepolo als 14-Jähriger eine Ausbildung bei einem der
etablierten Maler Venedigs: Gregorio Lazzarini. 7 oder 8 Jahre bleibt er dort, studiert die
alten Meister und fertigt als einen seiner erste Aufträge Kopien von Gemälden großer
Renaissance- und Barockmaler an, die als Stichvorlagen für eine Buchpublikation dienen.

Sich intensiv mit der Tradition auseinander zu setzen, hat noch keinem geschadet. Viele
Jahre später formuliert es Tiepolo so: „Das Leben des Malers muss ein beständiges Studium
sein“. Musiker aller Zeiten können da nur zustimmen.

M0270348-005                                                                          3'22
Johann Sebastian Bach
(Bearb: Ward Swingle)
Präludium und Fuge Nr. 1 C-Dur BWV 846
Swingle Singers

Johann Sebastian Bach – für alle nach ihm eine der wichtigsten Inspirationsquellen.
Besonders auch dieses Satzpaar: Präludium und Fuge C-Dur aus dem ersten Band des
Wohltemperierten Klaviers, hier in einem Arrangement der Swingle Singers.

Während seiner Ausbildung im Atelier von Lazzarini setzt sich der junge Tiepolo ausgiebig
mit seinen Künstler-Vorgängern auseinander: allen voran Tintoretto, Tizian und Paolo
Veronese. Er absorbiert die Eigenheiten und Kunstgriffe ihrer Bilder und eignet sich schnell

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ein großes Repertoire an Motiven an. Das kommt ihm später sehr zugute und ist eine
entscheidende Voraussetzung für sein schwindelerregendes Arbeitstempo. Schon in seinem
Frühwerk erstaunt Tiepolos Wandlungsfähigkeit; er kann sich auf verschiedenen Stilebenen
bewegen, beherrscht die ganze Palette von Licht und Schatten, macht mit forscher und
schwungvoller Linienführung auf sich aufmerksam und geht frei und dynamisch mit dem
Pinsel um.
Das bemerkt unter anderem auch der Venezianische Doge Giovanni Cornaro. Er ernennt
den jungen Tiepolo zu seinem künstlerischen Berater und bestellt bei ihm Familienporträts
seiner adligen Vorfahren.
Noch als Lehrling bekommt Tiepolo einen Auftrag für mehrere Apostelbilder in der Kirche
Santa Maria dei Derelitti. Die gehört zum Ospedaletto, einem der Kranken- und
Waisenhäuser Venedigs, eine Mischung aus Konservatorium und Kloster, das jungen
Mädchen erstklassigen Musikunterricht anbietet. Venedig hat vier solcher Ospedali. In einem
davon, dem Ospedale della Pietà, arbeitet Antonio Vivaldi als Geigenlehrer.

Das Ospedaletto ist zwei Ecken weiter und steht dazu musikalisch in Konkurrenz. 1715, als
Tiepolo an seinem Bild arbeitet, ist hier Benedetto Vinacessi als Maestro di Coro
verantwortlich für die musikalischen Aktivitäten. Diese Sonate in e-Moll stammt von ihm.

Benedetto Vinacessi:                                                                   1‘23
Prelude aus der Sonate Nr. 3 e-Moll
Ensemble Gli Erranti
Cembalo & Leitung: Alessandro Casari
Label: Stradivarius, 2010, Bestellnummer: 9808304

Prelude aus der Sonate e-Moll von Benedetto Vinacessi, gespielt vom Ensemble Gli Erranti.

Vinacessi ist Maestro di Coro am Ospedaletto von Venedig – bis zum Jahr 1715, als Tiepolo
hier einen seiner ersten Aufträge für ein sakrales Gemälde bekommt. Das Ospedaletto ist
wie gesagt halb Waisen- und Krankenhaus, halb Musikkonservatorium. Musikalisch begabte
junge Mädchen bekommen hier hervorragenden Gesangs- und Instrumentalunterricht. Sie
musizieren jeden Sonntag im Gottesdienst, dazu an etlichen Fest- und Feiertagen. Diese
kirchenmusikalischen Konzerte sind eine Attraktion für die Venezianer und die vielen
Touristen. Die zeitgenössischen Reiseführer listen sie unter den Top Ten auf, und
Venedigreisende aller Couleur schwärmen von den virtuosen Fähigkeiten und den
engelsgleichen Stimmen der Mädchen. Auch Tiepolos spätere Frau Cecilia Maria Guardi ist
Musikschülerin am Ospedaletto. Sie stammt aus einer Malerfamilie, ihr Vater stirbt früh, und

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die Familie vertraut die junge Cecilia eine Zeitlang der Obhut des Ospedaletto an. Es gibt
also schon früh in Tiepolos Leben eine ganz persönliche Verbindung zu dieser wichtigen
musikalischen Institution Venedigs.

Cecilia Guardi und Giovanni Battista Tiepolo heiraten 1719 – er ist damals 23, sie 16 Jahre
alt. 10 Kinder werden die beiden bekommen (wobei man hier in verschiedenen Quellen
unterschiedliche Zahlen findet). Cecilia Tiepolo begegnen wir nachher wieder – wenn sie
ihrem Mann Modell steht.

Aber erst mal ist Tiepolo unterwegs: er hat beste Kontakte zu den einflussreichen
gesellschaftlichen Kreisen – wichtige potenzielle Auftraggeber! Etliche Familien haben sich
für horrende Summen Geldes in den Adelsstand eingekauft und sind jetzt darauf bedacht,
ihre Häuser möglichst repräsentativ zu gestalten. Wer das nötige Kleingeld hat, zieht in einen
Palazzo am Canale Grande, Venedigs mondäner Hauptschlagader. Auf jedem Fall tut es
dem Image gut, wenn der prunkvolle Ballsaal im ersten Stock von einem jungen Malerstar
wie Tiepolo ausgemalt ist. In Padua, das damals zu Venedig gehört, schmückt Tiepolo den
Palazzo von Giambattista Baglioni mit dem Triumph der Aurora, der Göttin der Morgenröte
und zaubert dabei mit lichten Farben die Illusion eines unendlichen Raums. Seine
Auftraggeber lieben sowas.
Der Rechtsanwalt Tommasso Sandi geht noch einen Schritt weiter: in seinem frisch
renovierten Palazzo Sandi lässt er von Tiepolo seine eigenen Tugenden an die Decke
malen: „Der Triumph der Beredsamkeit“ ist der Titel dieses opulenten Freskos. Es
versammelt praktisch alle Figuren aus der antiken Mythologie, die gut reden und überzeugen
können: Orpheus und Herkules, Minerva, die Göttin der Weisheit – Merkur, der Gott der
Beredsamkeit und als weitere Hauptperson Amphion, in theatralischer Künstlerpose auf
einem Felsvorsprung. Mit seinen perfekt gewählten Worten überzeugt Amphion leblose
Steinblöcke davon, sich selbst zu einer Mauer zu fügen – so entsteht völlig schweißfrei die
Stadt Theben; die 7 Stadttore entsprechen dabei den sieben Saiten der Leier, auf der
Amphion seinen Sprechgesang begleitet. Ein imposantes und strahlendes Fresko!

Leider sind Fresken für eine Ausstellung im Museum ja nicht so ideal, man kann sie schlecht
mal schnell abtragen und wieder ankleben. Aber von etlichen Tiepolo-Fresken gibt es zum
Glück Skizzen und Entwürfe – so auch von diesem: ein Modello in Öl auf Leinwand. Das
kann man in der Stuttgarter Tiepolo-Ausstellung bewundern. Die Tiefenschärfe und
Lichtregie des Freskos läßt dieses Modell gut erkennen: typisch für Tiepolo ist es,
figurenreiche Szenen am Rand zu platzieren, der ist eher dunkel gestaltet. In der hellen Mitte
ist dann Platz für die Hauptpersonen: Helden und Heilige.

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Besonders prominent ragt natürlich das Vorbild des Rechtsanwalts Sandi ins Bild: Amphion
mit seiner rhetorischen Zauberkraft.

Dazu passt musikalisch die Arie des Amphion aus der Oper „Niobe, Regina di Tebe“ von
Agostino Steffani. Amphion besingt hier die Harmonie der Sphären – die Planeten, die bei
ihren Kreisbewegungen wunderbare Klänge erzeugen. So einen Palast der Harmonie
erträumt sich Amphion hier auch.

M0315338 – 16                                                                         6’16
Agostino Steffani:
“Sfere amiche, or date al labbro”, Arie des Amphion aus der Oper „Niobe, Regina di Tebe“
Cecilia Bartoli (Mezzosopran)
I Barrochisti
Leitung: Diego Fasolis...

[Bild in der Ausstellung: Der Triumph der Beredsamkeit (Modello für denPalazzo Sandi)]

Cecilia Bartoli, I Barrochisti und Diego Fasolis mit der Arie „Sfere amiche“ von Agostino
Steffani, in der die Musik die kreisenden Bewegungen der Planeten widerspiegelt.
Hineingebettet in diese wunderbare Harmonie: der Gesang des antiken Helden Amphion;
Tiepolo hat ihn 1725 an die Decke des Palazzo Sandi in Venedig gezaubert.

Der Mensch Giovanni Battista Tiepolo bleibt uns merkwürdig fremd. Weder Briefe noch
Tagebuchaufzeichungen verraten uns etwas über seinen Alltag, seine Gedanken und
Gefühle. Und es gibt auch so gut wie keine persönlichen Zeugnisse von anderen über ihn.
Bleiben uns also nur seine Gemälde, um etwas über seine Person und seine künstlerischen
Absichten zu erfahren. Und die zeugen schon früh von dem Willen, etwas anders zu machen
als die anderen. Tiepolo will Neues wagen, und er will dabei der Erste sein. Er gestaltet
seine Szenen dramatisch und expressiv; er steigert Gegensätze und Kontraste, er zeigt
seine Figuren in Ekstase und will auch den Betrachter in emotionale Erregung versetzen.

Und: er würzt seine Bilder immer wieder mit Witz und Ironie. Wenn Tiepolo den hehren
antiken Mythos vom Raub der Europa malt, lässt er einen kleinen nackten Putto im hohen
Bogen von einer Wolke runterpinkeln, in etlichen Bildern kläffen kleine Hunde den Betrachter
an. Oft verleiht Tiepolo einem Sujet durch einen genialen Dreh eine überraschende,
humorvolle Wendung: zum Beispiel in seinem Ölgemälde Apelles und Campaspe. Apelles ist
der bedeutendste Maler der Antike, Alexander der Große bestellt bei ihm ein Bild von seiner

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Geliebten Campaspe. Beim Malen verliebt sich Apelles selbst in die schöne Kurtisane –
Alexander der Große bemerkt es und überlässt sie ihm. Seit der Renaissance ist das ein
beliebtes Sujet, mit dem Maler ihr künstlerisches Selbstverständnis zum Ausdruck bringen.

Als Campaspe stand für Tiepolo seine Frau Cecilia Modell, der Maler Apelles ist ein
Selbstporträt – ein ziemlich witziges: Der Maler starrt sein Modell mit weit aufgerissenen
Augen an, verschlingt sie geradezu mit Blicken, während er mit dem Pinsel in der Hand wie
nebenbei ihre Brustwarze modelliert. Die wiederum Alexander der Große auf der Leinwand
hingebungsvoll bewundert. Seine Soldaten, die eigentlich Wache halten sollten, nutzen die
allgemeine Verzückung und begaffen unverblümt die halbnackte junge Frau. Wer gewinnt
hier? – fragt Tiepolo: Die Malerei, also die Schönheit der Kunst oder die Naturschönheit? Auf
jeden Fall – das verrät die eindeutige Blickachse zwischen Cecilia und Giambattista Tiepolo
– trägt die Liebe den strahlenden Sieg davon. Die Augen des jungen Paars singen förmlich
ein Liebesduett.

CD 3 Take 6                                                                            7’37
Georg Friedrich Händel:
Duett „Vivo in te“ aus der Oper „Tamerlano“
Nancy Argenta (Sopran)
Michael Chance (Countertenor)
The English Baroque Soloists
Leitung: John Eliot Gardiner
Erato
[Bild in der Ausstellung: Tiepolo: Apelles und Campaspe]

Nancy Argenta und Michael Chance mit dem Liebesduett aus Georg Friedrich Händels Oper
„Tamerlano“, begleitet von den English Baroque Soloists und John Eliot Gardiner.

„Partitur des Lichts. Tiepolos Bilderwelten“ heißt unser SWR2 Musikstunden-Thema diese
Woche. Das letzte Bild für heute ist ausgesprochen finster: Die Enthauptung Johannes des
Täufers, 1732/33 für die Cappella Colleoni in Bergamo.
Tiepolo malt die Szene in einem Kellerverlies, schonungslos zeigt er die Wunde des
Geköpften: man blickt direkt auf die Schnittfläche des Halses, auf die durchtrennten Muskeln
und Sehnen und auf die Halsschlagader; daraus rinnt das Blut in Strömen und trieft direkt
runter auf den Betrachter. Über dem leblosen Körper des Johannes: der Henker. Das blutige
Schwert in der rechten Hand, den abgeschlagenen Kopf in der linken. Entsetzt wenden sich
die Menschen drumherum an. Bis auf eine junge Frau – Salome, die Stief-Tochter von König

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Herodes; sie hat diesen Mord aus einer Laune heraus befohlen, als der Heilige ihre Flirt-
Versuche zurückgewiesen hat. Über seinen Tod ist sie sichtlich befriedigt.

Salome ist ein Scheusal – und gleichzeitig eine wunderschöne Frau, die (fast) jeden Mann
mit ihren weiblichen Reizen um den kleinen Finger wickelt. Den Mord an Johannes dem
Täufer hat sie ihrem lüsternen Stiefvater abgepresst, dem sie mit einem lasziven Tanz die
Sinne verwirrt.

Dieser „Tanz der sieben Schleier“ ist einer der Höhepunkte in der Oper „Salome“ von
Richard Strauss. Er bringt die geballte Kraft von Salomes erotischen Reizen zum Klingen. In
einem gigantischen Crescendo, das sich über 10 Minuten allmählich aufbaut, bündelt dieser
Tanz die wesentlichen Motive der Oper wie in einem großen Spiegel. Der arabisch-exotische
Tonfall des Beginns geht nach und nach über in einen Wiener Walzer. Immer wilder, immer
bedrohlicher wird die Kraft, mit der diese Musik sich um sich selber dreht. Kurz vor Schluss
baut Strauss eine abrupte Pause ein: Der Triller und das Oboenmotiv, die dann folgen,
nehmen bereits die Musik vorweg, zu der Salome den Kopf des toten Propheten lustvoll
küssen wird.

M0067931                                                                              10'07
Richard Strauss:
„Tanz der sieben Schleier“ aus „Salome“
Berliner Philharmoniker
Leitung: Herbert von Karajan

[Bild (nicht in der Ausstellung: Enthauptung Johannes des Täufers)]

Der Tanz der sieben Schleier aus „Salome“ von Richard Strauss. Herbert von Karajan
dirigierte die Berliner Philharmoniker.

Morgen geht’s hier in der SWR2 Musikstunde weiter mit unserem Gang durch die
Bilderwelten von Giambattista Tiepolo. Der schwedische König wird ihm ein Angebot
machen, seinen Palast in Stockholm auszumalen. Aber – das kann ich ruhig jetzt schon
verraten – Tiepolo lehnt ab, weil ihm die Bezahlung ihm zu niedrig ist. Arrivederci sagt für
heute Doris Blaich.

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