Nach der "Orangenen Revolution" - DER BÜRGER IM STAAT 55. Jahrgang Heft 4 2005 - Der Bürger im Staat

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Nach der "Orangenen Revolution" - DER BÜRGER IM STAAT 55. Jahrgang Heft 4 2005 - Der Bürger im Staat
DER BÜRGER
              IM STAAT

              55. Jahrgang Heft 4 2005

Nach der
„Orangenen
Revolution”
Nach der "Orangenen Revolution" - DER BÜRGER IM STAAT 55. Jahrgang Heft 4 2005 - Der Bürger im Staat
Herausgegeben von der
                                               Landeszentrale für politische Bildung
 DER BÜRGER                                    Baden-Württemberg

 IM STAAT
                                               Redaktion:
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                                               siegfried.frech@lpb.bwl.de
55. Jahrgang Heft 4 2005                       barbara.bollinger@lpb.bwl.de

Inhaltsverzeichnis

Nach der „Orangenen Revolution”

Marzena Kloka                                   Peter W. Schulze
Die „Orangene Revolution“ –                     Good-bye Putin                                     208
Ein Überblick                            164
                                                Dagmar Meyer
Anna-Halja Horbatsch                            Die Russische Föderation im Überblick 216
Die Literaturelite der Ukraine und die
„Orangene Revolution“                    168    Christian Wipperfürth
                                                Die verunsicherte Großmacht                        219
Serhij V. Morozenko
Die Ukraine unter Kutschma               171    Gerhard Simon
                                                Der Funke der „Orangenen
Dagmar Meyer                                    Revolution“                                        224
Die Ukraine im Überblick                 178

Ernst Lüdemann
Ost-West-Süd in der Ukraine:
Auseinanderstreben oder
Konsolidierung?                          180

Juri Durkot
Europäische Perspektiven der Ukraine     186

Heinz Timmermann
Belarus unter Lukaschenko:
Zwischen Russland und der EU             191

Dagmar Meyer                                    Einzelbestellungen und Abonnements bei der
                                                Landeszentrale (bitte schriftlich)
Belarus (Weißrussland) im Überblick      200
                                                Impressum: Seite 207
Hermann Clement                                 Bitte geben Sie bei jedem Schriftwechsel
Die wirtschaftliche Entwicklung                 mit dem Verlag Ihre auf der Adresse aufgedruckte
in Belarus                               202    Kunden-Nr. an.
Nach der "Orangenen Revolution" - DER BÜRGER IM STAAT 55. Jahrgang Heft 4 2005 - Der Bürger im Staat
Nach der „Orangenen Revolution”

ANHÄNGER DER UKRAINISCHEN OPPOSITION PROTESTIEREN VOR DEM UKRAINISCHEN PARLAMENTSGEBÄUDE (23. NOVEMBER 2004). DAS STADTZENTRUM VON KIEW ERTRINKT IN
ORANGE, DER FARBE DER OPPOSITION – SCHALS, FAHNEN, BÄNDER. DIE VERWENDUNG DIESER FARBE GAB DER FRIEDLICHEN REVOLUTION IHREN NAMEN.  picture alliance / dpa

                                                                                                                                                    161
Nach der "Orangenen Revolution" - DER BÜRGER IM STAAT 55. Jahrgang Heft 4 2005 - Der Bürger im Staat
Die „Orangene Revolution”
in der Ukraine offenbarte eine bisher unbekannte      im Herbst und Winter 2004 nieder. Will man die
Dynamik des demokratischen Aufbruchs und setz-        unterschiedlichen Ausprägungen und Besonder-
te deutliche Zeichen, dass der aus der Sowjetzeit     heiten der ukrainischen Regionen verstehen, ist
geerbte Untertanengeist überwindbar ist – eine        ein Blick auf die historischen Wurzeln unerläss-
Botschaft, die auch die Menschen in den Nachbar-      lich. Die Sowjetisierung, der Einfluss verschiede-
ländern Russland und Belarus erreicht hat. Ausge-     ner Kirchen, eine unterschiedliche wirtschaftliche
wiesene Ukrainekenner und eher nüchterne Uni-         Entwicklung und eine daraus resultierende öko-
versitätsprofessoren sprechen von einer Revolu-       nomische Disparität führten letztlich zur Entwick-
tion, weil die friedliche Bürgerbewegung die gel-     lung unterschiedlicher politischer Kulturen. Auf
tende Ordnung aufheben und eine neue Ordnung          den ersten Blick hatte es den Anschein, dass die
schaffen konnte. Der Wahlsieg von Viktor Jusch-       Ereignisse im Herbst und Winter 2004 diese Un-
tschenko kommt einem Signal für den demokrati-        terschiede verstärkt haben. Zeitweilig wurde im
schen Umbruch in Osteuropa gleich. Marzena Klo-       Wahlkampf gar mit dem Szenario einer Spaltung
ka lässt in dem einleitenden Beitrag des Heftes       des Landes gedroht. Der Beitrag von Ernst Lüde-
„Nach der ,Orangenen Revolution‘ – Ukraine, Bela-     mann zeigt jedoch, dass die vorhandenen Unter-
rus und Russland“ die Ereignisse dieser friedlichen   schiede und der „regionale Faktor“ im Wahlkampf
Revolution noch einmal Revue passieren.               zwar instrumentalisiert wurden, die Geschlossen-
Große Beachtung verdienen Künstler und Per-           heit des Landes aber stärker ist, als gemeinhin dar-
sönlichkeiten aus dem zivilgesellschaftlichen Be-     gestellt. Tendenzen der Annäherung zwischen den
reich, die trotz offensichtlicher Verordnung zum      Regionen sind durch die „Orangene Revolution“
Schweigen öffentlich Partei für die demokratische     eher noch verstärkt worden, dennoch wird die zu-
Bürgerbewegung ergriffen und Viktor Juscht-           künftige Politik weiterhin von der Suche nach ei-
schenko unterstützen. Dies gilt besonders für die     ner Lösung für das Zusammenleben und Zusam-
Mitglieder des ukrainischen PEN-Clubs. Anna-          menwirken der Regionen bestimmt sein.
Halja Horbatsch, die eine Reihe von Anthologien       Im Zuge des Transformationsprozesses war die
ukrainischer Prosa und Lyrik übersetzte und veröf-    Ukraine in den vergangenen Jahren gezwungen,
fentlichte, schildert in ihrem Beitrag die unter-     zweigleisig zu fahren. Kennzeichnend für die
stützende Rolle der literarischen und intellektuel-   Außenpolitik war die stete Suche nach einer Ba-
len Elite der Ukraine. Erstmalig in deutscher Spra-   lance zwischen der EU und Russland. Seit dem Sieg
che veröffentlichte Auszüge aus Verbandsorga-         der „Orangenen Revolution“ strebt die Ukraine ei-
nen und Literaturzeitschriften sind ein Beleg für     nen Beitritt zur EU mit allen sich daraus ergeben-
den mutigen Beitrag zivilgesellschaftlicher Ak-       den Konsequenzen an und räumt den Beziehun-
teure zum Gelingen der „Orangenen Revolution“.        gen zur EU offiziell den Vorrang ein. Gleichwohl
Die Ukraine war nach Russland die reichste Re-        besteht die schwierige Aufgabe der EU darin, der
publik der ehemaligen UdSSR. Trotzdem kann das        Ukraine eine unabhängige Politik und eine Annä-
Land nach schweren Rückschlägen erst seit 2000        herung an Europa zu ermöglichen, ohne dass dar-
ein deutliches Wirtschaftswachstum verzeich-          über die politischen und ökonomischen Verbin-
nen. Versäumte Wirtschaftsreformen und ein            dungen zu Russland in Frage gestellt werden. Die
unzureichendes marktwirtschaftliches Gesamt-          jüngste politische Krise und die Absetzung der Re-
konzept, so eine der zentralen Thesen von Serhij      gierung von Julia Timoschenko werden wohl keine
V. Morozenko, begünstigten den systematischen         großen Auswirkungen auf die außenpolitischen
Machtausbau der Oligarchen im Zuge der Trans-         Prioritäten des Landes haben. Für die europäi-
formation. Am Ende der Amtszeit von Präsident         schen Aspirationen bleiben, so die Hauptthese des
Kutschma war die Entwicklung von der Planwirt-        Beitrags von Juri Durkot, die innenpolitischen Ent-
schaft zur Clanwirtschaft vollzogen. Die unkon-       wicklungen und notwendigen Reformen ent-
trollierte Macht der Clans führte zu Machtmiss-       scheidend.
brauch, Rechtsunsicherheit und Korruption. Eine       Die „Orangene Revolution“ hat auch in den an-
Verschränkung wirtschaftlicher und politischer        grenzenden Ländern die Frage der demokrati-
Interessen ist auf nahezu allen Ebenen festzustel-    schen Mit- und Umgestaltung des politischen Sys-
len. Für Viktor Juschtschenko wird es ein schwieri-   tems auf die Tagesordnung gesetzt. Welche Aus-
ger Balanceakt werden, die Macht und den Ein-         wirkungen hat der politische Umbruch in der
fluss der Oligarchen einzudämmen, gleichzeitig        Ukraine auf die Nachbarstaaten Russland und
aber deren Investitionskraft nicht zu verlieren.      Belarus?
Es ist unbestritten, dass es eine historische Tren-   „Alles um Belarus herum bewegt sich, nur Belarus
nungslinie in der Ukraine gab und wohl noch im-       bewegt sich nicht“ – so beschreibt Heinz Timmer-
mer gibt. Diese zwischen der russisch geprägten       mann die Situation in Weißrussland. Für Präsident
Ostukraine und den westlichen Regionen ein-           Lukaschenko hat der Machterhalt höchste Prio-
schließlich des Zentrums verlaufende Trennlinie       rität. Trotz außenpolitischer Isolierung hält Luka-
schlug sich im Abstimmungsverhalten der Wähler        schenko unbeirrt an seinem innenpolitisch scharf

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Nach der "Orangenen Revolution" - DER BÜRGER IM STAAT 55. Jahrgang Heft 4 2005 - Der Bürger im Staat
Die „Orangene Revolution”

autoritären Kurs fest. Die „Schaukelpolitik“ zwi-      ternationale Bühne zurückführen. Gegenwärtig
schen Ost und West zeitigt allerdings nicht die ge-    weckt nicht nur die innenpolitische Entwicklung
wünschten Ergebnisse. Der Schulterschluss mit          des Landes bei westlichen Beobachtern Bedenken.
Putin will nicht so recht gelingen, und die Bezie-     Im Westen wachsen auch die Sorgen über den
hungen zur EU gestalten sich mehr als schwierig.       außenpolitischen Kurs Russlands. Die Stimmung
Heinz Timmermann analysiert zunächst die zen-          hat sich merklich verschlechtert. Dies gilt in glei-
tralen Ursachen für den Durchbruch und Wahler-         chem Maße für die Einschätzung der Motive und
folg Lukaschenkos im Jahre 1994, zeigt die autori-     des Vorgehens deutscher und westlicher Politik in
tären Mechanismen des Regimes auf und skizziert        Russland. Der Beitrag von Christian Wipperfürth
das geringe Potenzial oppositioneller Kräfte. Es       legt ein Schwergewicht auf das Verständnis der
hat den Anschein, dass ein Regimewandel in             Politik aus russischer Sicht. Er beschreibt die Ent-
nächster Zeit eine Vision bleibt. Belarus wird unter   wicklung der russischen Außenpolitik seit 1991
Lukaschenko wohl weiterhin eine Zone von Unsi-         und erläutert die Politik Russlands gegenüber
cherheit, Unberechenbarkeit und möglichen Kon-         den GUS-Nachbarn sowie das Verhältnis zu den
flikten auf der Achse Russland-EU bleiben.             USA, der EU und zu Deutschland. Gerade diese
Obwohl Lukaschenko am Modell der Kommando-             Innensicht erlaubt tiefere Einsichten in Motive
wirtschaft festhält, verwundert zunächst die in        und Hintergründe russischer Politik und eröffnet
der offiziellen Statistik ausgewiesene Dynamik der     realistische Perspektiven einer zukünftigen Zu-
Wirtschaft, die seit den 1990er-Jahren ein fort-       sammenarbeit.
schreitendes Niveau verzeichnen kann. Belarus          Die „Orangene Revolution“ hat in der Ukraine die
scheint demnach die Grundannahme, dass demo-           Demokratie vorangebracht und der sich formie-
kratische und marktwirtschaftliche Ordnungen           renden Zivilgesellschaft zu mehr Selbstvertrauen
für wirtschaftliches Wachstum und Wohlstand            verholfen. Gerhard Simon geht in seiner Zu-
sorgen, zu widerlegen. Die Analyse von Hermann         sammenschau der spannenden Frage nach, ob im
Clement zeigt aber deutlich, dass ein großer Teil      GUS-Raum angesichts der Vorgänge in der Ukrai-
des Wachstums letztlich auf administrativen Ein-       ne eine neue Welle revolutionärer Umwälzungen
griffen des Staates beruht. Weiterhin könnten das      zu erwarten ist. Ein knapper Blick auf die Vorgän-
Festhalten am Staatsinterventionismus und die          ge in Kirgisistan und Georgien, in denen Wahlfäl-
Präferenzbeziehungen zu Russland eine Reihe von        schungen erstmalig zu politischen Konsequenzen
Wachstums- und Politikrisiken nach sich ziehen.        führten, und ein Vergleich mit den Vorgängen in
Die Präsidentschaft Putins konnte anfänglich auf       der Ukraine zeigen, dass Proteste gegen gefälsch-
eine Reihe von Reformerfolgen zurückblicken. In-       te Wahlen allein offenbar nicht ausreichen. Zu den
zwischen ist jedoch die schleichende autoritäre        Erfolgsfaktoren der „Orangenen Revolution“ ge-
Transformation des russischen Staates unüber-          hörten eine funktionierende Opposition gegen das
sehbar geworden. Russlands Marsch in Richtung          autoritäre Regime Kutschma, ein herausragender
„straffer Staat“ ist in einem Stadium angelangt, in    politischer Führer in Gestalt von Viktor Jusch-
dem eine funktionierende Gewaltenteilung und           tschenko und die nicht zu unterschätzende Wir-
parlamentarische Kontrollmechanismen ebenso            kung des demokratischen Nationalismus. Gleich-
wenig erkennbar sind wie eine öffentliche Kon-         wohl mahnt Gerhard Simon angesichts des abrup-
trolle durch die russischen Medien. Die „Partei der    ten Endes des „orangenen Projektes“ im Septem-
Macht“, Edinaja Rossia, verfügt über eine Zwei-        ber 2005 zu Vorsicht und nüchterner Einschät-
drittelmehrheit in der Staatsduma und der Kreml        zung. Denn das ukrainische Beispiel lehrt, dass
kontrolliert den Föderationsrat. Auch die tradi-       vom Sieg einer demokratischen Volksbewegung
tionellen Großverbände der Unternehmer und             bis zur Befestigung einer stabilen demokratischen
Arbeitnehmer sind in die „Machtvertikale“ der          Ordnung ein weiter Weg zurückzulegen ist.
Kremlführung eingegliedert. Das Korruptionsge-         Die Beiträge dieses Heftes beruhen auf einer Ta-
flecht von käuflicher Staatsbürokratie und Oligar-     gung, die im Sommer 2005 federführend von den
chen funktioniert wie eh und je. Putins Anspruch,      Kolleginnen Angelika Barth, Maria Melnik und
die „Diktatur der Gesetze“ durchzusetzen, ist zur      dem Leiter der Außenstelle Heidelberg der Landes-
reinen Fiktion geworden. Dass der Vertrauensbo-        zentrale für politische Bildung Baden-Württem-
nus von Putin aufgebraucht ist, zeigte sich Anfang     berg organisiert wurde. Ihnen sowie allen Autorin-
des Jahres in massiven sozialen Protesten. Trotz       nen und Autoren, die mit ihren Beiträgen detail-
dieser Proteste schlussfolgert Peter W. Schulze,       lierte Informationen vermitteln und zu einer sach-
dass gegenwärtig keine wirkungsvolle Opposition        lichen Diskussion beitragen, sei an dieser Stelle
in Putins Russland vorhanden ist.                      gedankt. Dank gebührt nicht zuletzt auch dem
Die von Putin forcierte politische Stabilisierung      Schwabenverlag für die gute und effiziente Zu-
und ökonomische Modernisierung soll Russland           sammenarbeit.
als eigenständige und von westlichen Vorgaben                                       Stuttgart / Heidelberg
möglichst unabhängige Großmacht auf die in-                             Siegfried Frech / Ernst Lüdemann

                                                                                                      163
DER DEMOKRATISCHE AUFBRUCH IN DER UKRAINE

     Die „Orangene Revolution“ – Ein Überblick
     M ARZENA K LOKA

                                                   Juschtschenko als Nationalist, Initiator eines         menauszählung nicht berücksichtigt (woge-
                                                   Bürgerkrieges und Sklave des Westens darge-            gen Juschtschenko als Führer des Parteien-
Die Massenproteste der ukrainischen
                                                   stellt.2 Die Präsidentschaftswahl war also eine        bündnisses „Unsere Ukraine“ eine Klage beim
Bevölkerung im Herbst und Winter 2004
                                                   Wahl zwischen dem „Status quo einer korrup-            Obersten Gerichtshof eingereicht hat). Die Exit
offenbarten eine bis dato unbekannte
                                                   ten Herrschaft von Oligarchen-Clans mit einer          Polls (Umfragen der Wähler am Ausgang des
Dynamik demokratischer Mitgestaltung
                                                   quasi-monarchischen Spitze“3 und dem Weg               Wahllokals) wiesen auf einen klaren Sieg
und zivilgesellschaftlicher Aktivitäten.
                                                   einer wirtschaftlichen Modernisierung nach             Juschtschenkos hin. Trotz der Fälschungen er-
In der Ukraine wurden deutliche Zei-
                                                   westlichem Muster. Ein Weg, der eine gleich-           rang der Oppositionskandidat einen knappen
chen gesetzt, dass der aus der Sowjet-
                                                   zeitige Option für Demokratisierung und Eu-            Vorsprung (0,5 Prozent) vor Janukowitsch.
zeit geerbte Untertanengeist zu über-
                                                   ropäisierung bedeutet. Die Entscheidung soll-          Folgendes amtliches Ergebnis wurde veröf-
winden ist. Ging es in der Auseinan-
                                                   te von einer Gesellschaft getroffen werden, die        fentlicht: 39,87 Prozent für Juschtschenko;
dersetzung doch auch um die Korrektur
                                                   jahrelang als apathisch und unpolitisch galt           39,32 Prozent für Janukowitsch; 5,83 Prozent
von Deformationen, die nach 1991 in
                                                   und selbst nicht wusste, wohin sie will.4              für den Sozialisten Moros; 5,03 Prozent für
den postsowjetischen Gesellschaften
                                                   Die Ereignisse zwischen dem ersten Wahlgang            den Vorsitzenden der ukrainischen Kommu-
entstanden. Der Wahlsieg von Viktor
                                                   am 31. Oktober 2004 und der Vereidigung                nistischen Partei Symonenko. Da keiner der
Juschtschenko kommt einem Signal für
                                                   Juschtschenkos als neuer Präsident waren eine          Kandidaten die absolute Mehrheit erreichte,
den demokratischen Umbruch in Osteu-
                                                   Reaktion der ukrainischen Gesellschaft auf die         wurde der Termin des zweiten Wahlganges auf
ropa gleich. Die „Orangene Revolution“
                                                   Ära Kutschma: Zehn Jahre Präsidentschaft ei-           den 21. November festgelegt.
hat die geltende Ordnung in wesent-
                                                   nes Politikers, der zwar die territoriale Integrität
lichen Merkmalen aufgehoben und eine
                                                   des Staates sicherte und die Ukraine als einen
neue Ordnung geschaffen. Die breite
                                                   souveränen Akteur auf der internationalen              DIE HEISSE PHASE DES
Oppositionsbewegung war letztlich ge-
                                                   Bühne einführte, doch auch eine durch Korrup-          WAHLKAMPFES
tragen von der Bereitschaft zum Wandel
                                                   tion zerrüttete Wirtschaft und ein quasi-auto-
und der Überzeugung, dass nur durch
                                                   ritäres, durch Finanz- und Parteieninteressen          Die meisten der übrigen Kandidaten, die im
den Aufbau demokratischer und rechts-
                                                   dominiertes politisches System hinterließ, in          ersten Wahlgang antraten, sprachen sich für
staatlicher Strukturen die Zukunft für
                                                   dem es an freiem demokratischen Wettbewerb             Juschtschenko aus. Auch Intellektuelle, Künst-
die Ukraine gewonnen werden kann.
                                                   mangelte. Mit den Hinweisen vom Herbst 2000,           ler und prominente Sportler erklärten sich
Marzena Kloka lässt in ihrem Beitrag
                                                   wonach die politische Führung in die Ermor-            deutlich als Anhänger der demokratischen Op-
den dramatischen, 57 Tage andauern-
                                                   dung des oppositionellen Journalisten Georgi           position. Aktiv wurden darüber hinaus zahlrei-
den Wahlmarathon und die Ereignisse
                                                   Gongadse involviert war, kam die gewaltvolle           che zivilgesellschaftliche Organisationen, vor
der friedlichen Bürgerrevolution noch
                                                   Seite des Regimes an das Tageslicht.5 Alle diese       allem Jugend- und Studentengruppierungen.
einmal Revue passieren.             Red.
                                                   Faktoren bildeten günstige Bedingungen für             An der Seite Janukowitschs standen dagegen
                                                   die Entstehung und den Aufstieg einer demo-            Bergleute aus den östlichen und südlichen Re-
                                                   kratischen Opposition und für die politische           gionen der Ukraine. Auffällig war in dieser
                                                   Mobilisierung der ukrainischen Zivilgesell-            Phase das allgemeine politische Engagement
                                                   schaft.                                                und politische Interesse der Bevölkerung: 20
ZWEI KANDIDATEN –                                                                                         Millionen Zuschauer verfolgten die Fernseh-
ZWEI POLITISCHE RICHTUNGEN                                                                                diskussion zwischen den beiden Kandidaten –
                                                   VORWAHLPHASE UND ERSTER                                für eine Nachfolgerepublik der Sowjetunion
Die Präsidentschaftswahl in der Ukraine im         WAHLGANG (31. OKTOBER 2004)                            ein phänomenales Ergebnis.7 Die gesellschaft-
Herbst und Winter 2004 war mehr als nur eine                                                              liche Mobilisierung wurde von antidemokrati-
Entscheidung über das zukünftige Staatsober-       Kennzeichnend für den Wahlkampf um die Prä-            schen und rechtlich zweifelhaften Schritten
haupt. Zwei Hauptkandidaten – Viktor Janu-         sidentschaft war eine ungleiche Verteilung von         seitens der Kutschma-Administration beglei-
kowitsch und Viktor Juschtschenko – verkör-        Ressourcen im politischen Wettbewerb. Das              tet: Die Gouverneure der Regionen, in denen
perten unterschiedliche Richtungen der politi-     staatliche Fernsehen, die hauptsächliche Infor-        Juschtschenko im ersten Wahlgang die Mehr-
schen Entwicklung des Landes. Juschtschenko,       mationsquelle der ukrainischen Bevölkerung,            heit gewann, wurden entlassen, und die Uni-
liberaldemokratisch gesinnter Ökonom, ehe-         sorgte für eine hohe Medienpräsenz des Kandi-          versitätsrektoren wurden aufgefordert, die für
maliger Ministerpräsident und Chef der Natio-      daten der Regierung, Viktor Janukowitsch, der          die Opposition protestierenden Studenten von
nalbank, international gelobt für seinen er-       im Wahlkampf auch finanziell begünstigt war.6          den Hochschulen zu verweisen.
folgreichen Kampf gegen die Inflation, sprach      Bekannt sind viele Fälle der Einschüchterung
sich offen für eine westliche Orientierung der     der Anhänger Juschtschenkos: Drohungen, Er-
Ukraine, für umfassende Reformen und für die       pressungen, Verluste des Arbeits- und Studien-         DIE GEFÄLSCHTE STICHWAHL
Bekämpfung der Korruption aus.                     platzes und Verhaftungen. Dieser Mecha-                (21. NOVEMBER 2004)
Janukowitsch, amtierender Regierungschef,          nismus funktionierte dank der „regierungs-
Kutschmas und Putins Lieblingskandidat und         treuen“ Unterordnung der so genannten admi-            Schon am Wahlabend des 21. November 2004
politischer Arm der mächtigen Finanz- und          nistrativen Ressourcen (Behörden, Polizei, Bil-        sprachen die OSZE-Wahlbeobachter den Ver-
Wirtschaftsgruppen aus der ostukrainischen         dungswesen). Einen brutalen Tiefpunkt des un-          dacht aus, das Wahlergebnis werde zu Gunsten
Region Donezk, erteilte der Westintegration        fairen Wahlkampfes bildete der durch den               von Janukowitsch gefälscht. Nachdem zahlrei-
eine deutliche Absage. Stattdessen versprach       ukrainischen Geheimdienst veranlasste Giftan-          che Einschüchterungen gegen die Wähler, Mit-
er im Wahlkampf, Russisch als zweite Amts-         schlag mittels Dioxin auf den Oppositionskan-          arbeiter der Wahllokale und die Wahlbeobach-
sprache der Ukraine zu etablieren, eine sofor-     didaten. An den Folgen der Vergiftung und der          ter selbst bekannt wurden,8 erklärte die OSZE-
tige Rentenerhöhung sowie jedem Kriegsvete-        Entstellung des Gesichtes leidet Juschtschenko         Mission, das offizielle Wahlergebnis nicht an-
ranen ein Auto auf Staatskosten.1 In den west-     sichtbar bis zum heutigen Tag.                         zuerkennen. Die dokumentierten „Techniken“
lich geprägten Regionen der Ukraine wurde          Am Tag der Wahl stellten die OSZE-Beobach-             der Wahlfälschung waren der „Tausch“ ausge-
Janukowitsch mit dem alten Regime und mit          ter unter der Leitung des deutschen Botschaf-          füllter und noch unbenutzter Wahlzettel gegen
allem, was das „System Kutschma“ kennzeich-        ters Geert Ahrens zahlreiche Unregelmäßig-             einen Geldbetrag, der Diebstahl von Wählerlis-
nete (Korruption, Gewalt, Manipulation, Zen-       keiten und Wahlmanipulationen fest. So wur-            ten und Wahlzetteln sowie die missbräuchliche
tralisierung), assoziiert. Im russischsprachigen   den zum Beispiel drei Wahlkreise, in denen             Handhabung der so genannten Abwesenheits-
Schwerindustriegebiet Donezk wurde dagegen         Juschtschenko gewonnen hatte, in der Stim-             zertifikate (mit denen die Wähler in einem be-

164
Die „Orangene Revolution“ – Ein Überblick

liebigen Wahlbüro außerhalb ihres Wohngebie-              Seit Ende November hielten sich Polizei, Solda-   len Abhängigkeit dieser Gruppen vom ukraini-
tes abstimmen können).9 Darüber hinaus fiel               ten und Milizgruppen im Zentrum von Kiew und      schen Staat. Die Vermutung, dass ihnen
eine außergewöhnlich hohe Wahlbeteiligung                 auch in der Umgebung der Stadt bereit. Obwohl     Schweigen verordnet wurde, erscheint plausi-
(99 bis 100 Prozent) in den östlichen Regionen            das düstere Szenario eines Ausnahmezustands       bel.14 Umso größere Beachtung verdienen Per-
auf, die im Verhältnis zum ersten Wahlgang mit            oder Bürgerkriegs während der ganzen Revolu-      sönlichkeiten aus den einzelnen Verbänden,
einer Wahlbeteiligung von 70 Prozent enorm                tion nicht auszuschließen war, kamen aus den      die durch ihre Unterstützung der demokrati-
angestiegen war. Laut offiziellen Wahlergeb-              Kreisen der Polizei und der Armee immer wie-      schen Opposition ihre Karriere aufs Spiel ge-
nissen sprach sich die Bevölkerung in diesen              der diskrete Signale der Unterstützung. Einige    setzt haben. Dies gilt zum Beispiel für ein-
Regionen mit einer mehr als 90-prozentigen                (mutige) Angehörige dieser Dienste kündigten      zelne Mitglieder des ukrainischen PEN-Clubs.
Mehrheit für Janukowitsch aus. Seriöse Nach-              im oppositionsfreundlichen Kanal 5 an, die        Intellektuelle Eliten des Landes sowie Promi-
wahlbefragungen hingegen ergaben für Jusch-               Staatsmacht müsste beim Einsatz von Gewalt        nente aus Kunst (z.B. die Sängerin Ruslana
tschenko einen Vorsprung von über zehn Pro-               mit Befehlsverweigerung rechnen.12 Andere         Lyschitschko) und Sport (z.B. die Brüder Vitali
zent.10 Das offizielle Ergebnis, nach dem Janu-           Militärs stellten sich demonstrativ neben         und Vladimir Klitschko) befürworteten und
kowitsch fast drei Prozent Vorsprung vor                  Juschtschenko auf die Tribüne am Unabhän-         unterstützten die demokratische Bewegung in
Juschtschenko hätte (Janukowitsch: 49,45 Pro-             gigkeitsplatz. Zum zivilen Ungehorsam von         der Ukraine in bisher unbekanntem Maße.
zent; Juschtschenko: 46,61 Prozent), wurde                Staatsbeamten wird auch die Erklärung der         Nach Kiew stellten sich auch andere ukraini-
nicht von allen Mitgliedern der Zentralen Wahl-           ukrainischen Diplomaten in Washington vom         schen Städte hinter Juschtschenko. Die Städ-
kommission unterschrieben. Zwei Mitglieder                24. November 2004 gezählt, in der sie sich „mit   teparlamente von Lwiw (Lemberg), Iwano-
verweigerten ihre Anerkennung, weitere zogen              der Stimme des ukrainischen Volkes“ solidari-     Frankiwsk, Lutsk, Winnyzja und Chmelnyzkyj
ihre Unterschriften zurück. Beginnend mit dem             sierten.13 Dieser Erklärung schlossen sich wei-   wiesen am 26. November 2004 das Wahl-
Tag der Wahl sammelte die Opposition Belege               tere 200 ukrainische Diplomaten an.               ergebnis zurück und erklärten, Viktor Jusch-
für Wahlmanipulationen und Fälschungen.                   Unter den zivilgesellschaftlichen Akteuren,       tschenko als rechtmäßigen Präsidenten der
11.000 Beweise von Verstößen gegen das Wahl-              welche die Revolution getragen haben, fehlten     Ukraine anzuerkennen.
gesetz legte Juschtschenko dem Obersten Ge-               Gewerkschaften, Unternehmensverbände so-          Nach der Veröffentlichung der Ergebnisse
richt mit dem Antrag vor, die Stichwahl für un-           wie traditionelle Nicht-Regierungsorganisa-       durch die Zentrale Wahlkommission am 24.
gültig zu erklären. Ab dem 22. November sam-              tionen. Der Grund dafür liegt in der finanziel-   November 2004, wonach Janukowitsch mit
melten sich die ersten Menschen auf dem Un-
abhängigkeitsplatz in Kiew, von dem aus die Be-
richte des einzigen unabhängigen Fernsehsen-
ders der Ukraine (Kanal 5) ausgestrahlt wurden,
und protestierten gegen die Wahlfälschung.
Bald waren es schon über 100.000 Demon-
stranten.

MASSENMOBILISIERUNG UND DER WEG
ZUR WAHLWIEDERHOLUNG

Der Unabhängigkeitsplatz in Kiew, der Maidan,
wurde zum Zentrum und zum Symbol der
„Orangenen Revolution“. Neben der Leinwand
und der Bühne bauten die Protestierenden trotz
der eisigen Kälte eine Zeltstadt auf. Zahlreiche
Jugendgruppierungen sorgten für die organi-
satorische Seite des Protestes in Form von Ge-
sundheitsdiensten, Reinigung, heißen Geträn-
ken und Speisen. Auch die Minderheit der Janu-
kowitsch-Anhänger sowie die Polizei und Miliz
wurden mitversorgt.11 Darüber hinaus sorgten
die Organisatoren für die „förmlichen Erforder-
nisse“ der Demonstration: Die Beteiligten wur-
den aufgefordert, sich registrieren zu lassen
und ihren Personalausweis dabei zu haben. Zu
den weiteren „Sicherheitsmaßnahmen“ gehör-
te das absolute Alkoholverbot. Der Bürgermeis-
ter der Stadt Kiew stellte den Demonstrieren-
den das Rathaus und auch andere städtische
Gebäude zur Verfügung. Dies stellte einerseits
eine organisatorische Erleichterung dar, stärk-
te andererseits die Präsenz der Protestbewe-
gung im öffentlichen Raum. Alle diese Faktoren
trugen dazu bei, dass es während der „Orange-
nen Revolution“ zu keinen gewaltsamen Aus-
einandersetzungen kam. Die staatliche Gewalt
hätte keinen Grund gehabt, in das Geschehen
einzugreifen.

VIKTOR JUSCHTSCHENKO UND JULIA TIMOSCHENKO, DIE
IKONEN DER „ORANGENEN REVOLUTION“, WÄHREND EINER
KUNDGEBUNG AUF DEM MAJDAN (UNABHÄNGIGKEITSPLATZ)
IN KIEW (4. DEZEMBER 2004).      picture alliance / dpa

                                                                                                                                                     165
MARZENA KLOKA

ABB. 1: CHRONOLOGIE DER „ORANGENEN REVOLUTION“                                                          abgeordneten den Amtseid auf die Bibel, was
                                                                                                        bei internationalen Kommentatoren auf Skep-
                                                                                                        sis und Kritik stieß.15 An dieser Stelle wurde die
  31. Oktober 2004     Erster Wahlgang der Präsidentschaftswahl. Knapper Vorsprung des
                                                                                                        Fernsehübertragung der Parlamentssitzung
                       Oppositionsführers Juschtschenko (39,87%) vor dem Regierungskandidaten
                                                                                                        unterbrochen. Da die Abgeordneten der Regie-
                       Janukowitsch (39,32%). Zahlreiche Zweifel der internationalen Wahlbeobach-
                                                                                                        rungspartei die Sitzung boykottierten und das
                       tungsinstanzen (z.B. OSZE) am rechtmäßigen Verlauf der Abstimmung.
                                                                                                        ukrainische Parlament somit nicht beschluss-
  21. November 2004    Zweiter Wahlgang der Präsidentschaftswahl: Stichwahl zwischen Januko-            fähig war, konnte über den Antrag der Opposi-
                       witsch und Juschtschenko. Die Zentrale Wahlkommission der Ukraine erklärt        tion, den zweiten Wahlgang für ungültig zu er-
                       Janukowitsch zum Sieger, obwohl das genaue Ergebnis noch nicht bekannt           klären, nicht abgestimmt werden. Zu dieser
                       ist. Auch der russische Präsident Putin feiert Janukowitsch als neues Staats-    Entscheidung kam es dagegen in einer weite-
                       oberhaupt. Aufgrund systematischer Manipulationen und Verletzungen des           ren Sondersitzung des Parlamentes: Am 27. No-
                       Wahlgesetzes erkennen die Wahlbeobachter die Stichwahl nicht an.                 vember 2004 forderten 206 Abgeordnete (bei
  22. November 2004    Beginn der demokratischen Mobilisierung auf dem Maidan (Unabhängig-              einer Gegenstimme und 106 Enthaltungen) die
                       keitsplatz) in Kiew. Die Opposition legt dem Obersten Gerichtshof erste Belege   Aufhebung der Stichwahl und die Absetzung
                       für Wahlfälschungen vor und fordert die Annullierung der Wahl.                   der Wahlkommission. Dieser Beschluss war
  23. November 2004    Symbolischer Amtseid Juschtschenkos im ukrainischen Parlament, der               zwar rechtlich nicht bindend, allerdings poli-
                       Werchowna Rada.                                                                  tisch sehr bedeutsam. Während der Oberste Ge-
                                                                                                        richtshof über die Wahlfälschungsbeschwerde
  24. November 2004    Veröffentlichung des amtlichen Stichwahlergebnisses durch die Zentrale           beriet, forderte die gestärkte Opposition im Par-
                       Wahlkommission: Viktor Janukowitsch 49,46%; Viktor Juschtschenko: 46,61%.        lament ein Misstrauensvotum gegen die Regie-
                       Ausweitung der demokratischen Opposition und Protestbewegung.                    rung Janukowitsch. Dieses wurde erst im zwei-
  26. November 2004    Gemeinsame Erklärung von Janukowitsch und Juschtschenko, den Konflikt            ten Versuch (am 1. Dezember 2004) durchge-
                       gewaltfrei lösen zu wollen. Beginn der Verhandlungen der beiden Lager mit        setzt. Janukowitsch widersetze sich dem Be-
                       Beteiligung internationaler Vermittler.                                          schluss und verweigerte den Rücktritt. Der Prä-
  27. November 2004    Parlamentarischer Beschluss der Aufhebung der Stichwahl und der Absetzung        sident Kutschma „beurlaubte“ den Regierungs-
                       der Wahlkommission (rechtlich nicht bindend; politisch jedoch bedeutsam).        chef, der offiziell noch bis zum 31. Dezember
                                                                                                        2005 im Amt blieb.
  28. November 2004    „Anti-Juschtschenko-Mobilisierung“ und Sezessionsdrohung der östlichen
                       Regionen (z.B. Donezk).
  30. November 2004    Präsident Kutschma, Stütze des Janukowitsch-Lagers, befürwortet überra-          INTERNATIONALE UNTERSTÜTZUNG
                       schenderweise die Neuwahlen.
  01. Dezember 2004    Das ukrainische Parlament spricht der Regierung von Janukowitsch das             Die demokratische Mobilisierung in der Ukrai-
                       Misstrauen aus. Der Regierungschef erklärt den Beschluss für illegal und         ne erfuhr breite Unterstützung von außen.
                       verweigert den Rücktritt.                                                        Ende November reisten der EU-Vertreter Javier
  03. Dezember 2004    Entscheidung des Obersten Gerichtshofes: Aufhebung der Stichwahl aufgrund        Solana, der litauische Präsident Valdas Adam-
                       nachgewiesener Fälschungen; Absetzung der Wahlkommission; Anordnung              kus, OSZE-Generalsekretär Jan Kubis sowie der
                       der Wahlwiederholung für den 26. Dezember 2004.                                  polnische Staatschef Aleksander Kwasniewski
                                                                                                        zu Vermittlungsgesprächen nach Kiew („Erster
  08. Dezember 2004    Im Rahmen eines politischen Tausches zwischen der Regierung und der              Runder Tisch“). Schon am 26. November 2004
                       demokratischen Opposition verabschiedet das ukrainische Parlament eine           gaben Juschtschenko und Janukowitsch eine
                       Verfassungsreform, die eine politische Bedingung für notwendige Wahl-            gemeinsame Erklärung ab, den Konflikt ge-
                       gesetzesänderungen darstellt.                                                    waltfrei zu lösen. Der Forderung Juschtschen-
  11. Dezember 2004    Juschtschenkos Ärzte bestätigen, dass der Oppositionskandidat im Laufe des       kos, Neuwahlen abzuhalten, schlossen sich
                       Wahlkampfes mit Dioxin vergiftet wurde.                                          überraschenderweise Präsident Kutschma und
  26. Dezember 2004    Wiederholung der Stichwahl. Sieg der demokratischen Opposition mit               der ehemalige Staatschef Krawtschuk an.
                       51,99% der Stimmen für Juschtschenko gegenüber 44,19% für Janukowitsch.          Auch die internationalen Vermittler begrüßten
                       Akzeptanz der Ergebnisse durch die internationalen Wahlbeobachter.               den Vorschlag. Am 30. November und am 7.
                                                                                                        Dezember 2005 fanden weitere Gipfeltreffen
  31. Dezember 2004    Rücktritt Janukowitschs vom Amt des Regierungschefs
                                                                                                        mit Beteiligung internationaler Politiker statt.
  30. Dezember 2004    Der Oberste Gerichtshof weist die Wahlanfechtungsklagen des Regierungs-
  06. Januar 2005      kandidaten Janukowitsch zurück. Die Prüfung der Klagen verzögert die Amts-
  17. Januar 2005      einführung des neuen Präsidenten.                                                VERSTÄRKUNG DES
  20. Januar 2005                                                                                       OST-WEST-GEGENSATZES
  23. Januar 2005      Vereidigung Juschtschenkos zum Präsidenten der Ukraine; die „Orangene
                       Revolution“ endet nach 57 Tagen.                                                 Die politische Spannung im Lande verstärkte
                                                                                                        zusätzlich der Ost-West-Gegensatz, der wäh-
                                                                                                        rend der Präsidentschaftswahlen deutlich zum
                                                                                                        Ausdruck kam. Auch die Anhänger von Januko-
49,45 Prozent klar über dem Kandidaten der         fälschung. In diesem Zeitraum durfte kein            witsch aus den ostukrainischen Regionen reis-
Opposition mit 46,61 Prozent lag, weitete sich     neuer Präsident ausgerufen werden.                   ten in der Zeit der Mobilisierung nach Kiew, um
der Protest aus. Die Demonstration zog zum                                                              ihren Kandidaten zu verteidigen, wenn nötig
Parlamentsgebäude und zum Präsidialamt. Die                                                             auch mit Gewalt. Am 28. November 2004 gin-
Menschen skandierten gegen den Wahlbetrug          DAS PARLAMENT ALS SCHAUPLATZ                         gen in der Bergbaustadt Donezk schätzungs-
und forderten den Rücktritt der Regierung Ja-      DES KAMPFES                                          weise 150.000 Menschen auf die Straße und
nukowitsch. Es kam zu Verkehrsblockaden. Der                                                            forderten Autonomie für ihre Region im Falle
Aufruf nach einem Generalstreik wurde laut.        Ein weiterer Schauplatz des politischen Kamp-        des Sieges von Juschtschenko. Zwei Tage vor
Gleichzeitig gab der Oberste Gerichtshof der       fes war das ukrainische Parlament (Werchow-          dieser Demonstration beschloss das regionale
Ukraine den Anhängern der demokratischen           na Rada). Hier erklärte sich Juschtschenko wäh-      Parlament, eine Volksabstimmung über die Bil-
Opposition neue Hoffnung. Der Oberste Ge-          rend der Sitzung am 23. November 2004, kurz          dung einer Republik Donezk abzuhalten. Ähn-
richtshof untersagte die Veröffentlichung der      nach der umstrittenen Stichwahl, zum Sieger          lich verlief es in der Krimstadt Odessa. Der Gou-
Wahlergebnisse bis zur Klärung der von der         und bat um internationale Anerkennung. Er            verneur von Charkiw, Kuschnjarow, kündigte im
Opposition vorgebrachten Vorwürfe der Wahl-        leistete sogar symbolisch vor den Parlaments-        Fernsehen an, sein Gebiet werde keine Steuern

166
Die „Orangene Revolution“ – Ein Überblick

mehr an die Hauptstadt abführen. In Sewasto-       pierungen um den Kandidaten Juschtschenko           gegen das Wahlergebnis gewaltsam protestie-
pol wurde die Situation in Kiew als „Pöbelherr-    und seine Verbündete Julia Timoschenko. Ihre        ren, bestätigte sich zum Glück nicht. Der ukrai-
schaft“ bezeichnet.16 Die Gouverneure von          Partei stimmte gegen das Paket; Juschtschen-        nische Wahlmarathon, begleitet durch eine
Charkiw, Donezk und Luhansk trafen sich mit        ko selbst enthielt sich der Stimme. Das Inkraft-    einzigartige und friedliche Bürgerrevolution,
Jurij Luzkow, dem Bürgermeister von Moskau,        treten der Verfassungsreform wurde auf Sep-         endete somit nach 57 Tagen.
und mit Viktor Janukowitsch, um über eine          tember 2005 verschoben, so dass der gewählte
künftige autonome Föderation zu sprechen. Die      Präsident seine Regierung noch nach alten
Oppositionsführerin Julia Timoschenko forder-      Grundsätzen formen konnte (in der Zukunft               LITERATUR
te den Präsidenten auf, diese Gouverneure zu       wird die ukrainische Regierung vom Parlament        Forbig, J./Shepherd, R. (Hrsg.): Ukraine after the Orange
entlassen. Die Generalstaatsanwaltschaft lei-      auf Vorschlag des Präsidenten gewählt). Nach        Revolution. Strenghtening European and Transatlantic
tete eine Ermittlung gegen diese Gouverneure       der Justiz sprach sich auch die Legislative für     Commitments. Washington 2005.
                                                                                                       Kurth, H./Kempe, I. (Hrsg.): Presidential Election and
wegen Separatismus ein. Janukowitsch mach-         eine Wahlwiederholung am 26. Dezember aus.          Orange Revolution. Implications for Ukraine’s Transition.
te sich durch seine demonstrative Unterstüt-                                                           Friedrich-Ebert-Stiftung, Kiew 2005.
zung der separatistischen Bestrebungen in der                                                          Piehl, E.: Hauptphasen und Ergebnisse, wichtigste Akteu-
                                                                                                       re im In- und Ausland sowie Gesamtbewertung der Prä-
Ostukraine unbeliebt und verlor damit zum Teil     DIE STICHWAHL VOM 26. DEZEMBER                      sidentenwahlen 2004 und der ausgelösten revolutionären
das Vertrauen des Präsidenten.                                                                         Wirkungen. In: Piehl, E./Schulze, P. W./Timmermann, H.:
                                                                                                       Die offene Flanke der Europäischen Union. Russische Fö-
                                                   Auf den Sieg Juschtschenkos deuteten schon          deration, Belarus, Ukraine und Moldau. Berlin 2005, S.
                                                   die ersten Umfrageergebnisse hin.18 Nach dem        409-452.
DIE ANNULLIERUNG DER STICHWAHL                     Bericht der OSZE-Wahlbeobachter wies die            Simon, G.: Neubeginn in der Ukraine. Vom Schwanken
                                                                                                       zur Revolution in Orange. In: osteuropa, Heft 1/2005, S.
                                                   Wahl vom 26. Dezember 2004 deutliche Verbes-        16-33.
Am 3. Dezember 2005 kam die erwartete Ent-         serungen gegenüber den vorherigen Wahlgän-
scheidung des Obersten Gerichtes der Ukraine.      gen auf. Die Beobachter empfahlen, das Wahl-            ANMERKUNGEN
Die Richter annullierten die Stichwahl vom 21.     ergebnis anzuerkennen. Am 28. Dezember wur-         1
                                                                                                           Vgl. Die Zeit v. 28.10.2004.
November aufgrund zahlreicher nachgewiese-         de von der Wahlkommission folgendes amtli-          2
                                                                                                           Vgl. Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 27.10.2004.
ner Fälschungen. Auch die Erklärung der Zen-       ches Ergebnis veröffentlicht: Zu den Urnen gin-     3   Vgl. Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 08.01.2005.
tralen Wahlkommission, dass Janukowitsch der       gen wieder über 80 Prozent der Wahlberechtig-       4
                                                                                                           Vgl. Simon 2005, S. 16.
Gewinner der Wahl sei, wurde als ungültig be-      ten, 51,99 Prozent stimmten für Juschtschen-        5
                                                                                                           Im Herbst 2000 kamen Ereignisse an das Tageslicht, in
zeichnet, da zu diesem Zeitpunkt die Beschwer-     ko, 44,19 Prozent für Janukowitsch.                 die Kutschma persönlich involviert war, und die an innen-
                                                                                                       politischer Brisanz und internationaler Kritik alle seitheri-
den der Opposition noch nicht überprüft wor-       Am erfolgreichsten war der Kandidat der Oppo-       gen Machenschaften übertrafen, nämlich die Entführung
den waren. Der dritte Punkt der Entscheidung       sition im Zentrum und im Westen des Landes,         und Ermordung des kritischen Journalisten Georgi Gon-
                                                                                                       gadse und die in diesem Zusammenhang entdeckten
betraf die Wahlwiederholung: sie sollte am 26.     in Donezk und Lugansk konnte er allerdings nur      Tonbandmitschnitte aus dem Führungszirkel. Gerade die-
Dezember 2004 stattfinden. Trotz der Versuche      4,21 Prozent und 6,21 Prozent der Stimmen auf       se Tonbandaufnahmen belasteten Kutschma und drei sei-
                                                                                                       ner engsten Mitarbeiter schwer (vgl. Piehl 2005, S. 359ff.).
politischer Erpressung seitens der Kutschma-       sich vereinen. Der Regierungskandidat ent-          In Anlehnung an die Affäre von Watergate wurde dieser
Administration wurde die Entscheidung des          schied in acht Regionen, in der Stadt Sewasto-      Vorfall in der Folge „Kutschma-Gate“ genannt.
Gerichtshofes allgemein anerkannt. Das höch-       pol und der autonomen Republik Krim die Wahl        6
                                                                                                           Genaueres s. den Bericht der OSZE-Wahlbeobachter-
                                                                                                       mission vom 1. November 2004; abrufbar unter: http://
ste Justizorgan genießt in der Ukraine große       für sich. Die Anhänger von Janukowitsch be-         www.osce.org/documents/odihr/2004/11/3771_en.pdf
Autorität und ist relativ unabhängig, seine Be-    zeichneten die Wahlwiederholung als verfas-         7
                                                                                                           Vgl. Piehl 2005, S. 16.
schlüsse sind unanfechtbar und sofort bindend.     sungswidrig und reichten ab dem 30. Dezem-          8   Siehe Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 23.11.2004
Das ukrainische Wahlrecht regelte nicht, wie im    ber zahlreiche Anfechtungsklagen beim Ober-         sowie der zweite OSZE-Wahlbericht vom 22. November
                                                                                                       2004; abrufbar unter: http://www.osce.org/documents/
Falle einer ungültigen Stichwahl vorzugehen        sten Gerichtshof ein. Zwar wurden diese Klagen      odihr/2004/11/3811_en.pdf
ist. Die Entscheidung des Gerichtes löste eine     als unbegründet zurückgewiesen, aber durch          9
                                                                                                           Beobachtet wurden auch einige Fälle von „Wahltou-
intensive parlamentarische Debatte über die        ihre Prüfung verzögerte sich die offizielle Amts-   rismus“. Wähler von Janukowitsch wurden mit Bussen von
                                                                                                       einem Wahllokal zum anderen gefahren und konnten so-
Änderung des Wahlgesetzes aus. Nach dem            einführung Juschtschenkos. Am 31. Dezember          mit mehrfach ihre Stimmen abgeben; s. Wahlbericht Nr. 3
Entwurf einer Arbeitsgruppe (eingeleitet durch     2004 trat Janukowitsch vom Amt des Minister-        der Konrad Adenauer-Stiftung von Ralf Wachsmuth und
                                                                                                       Igor Plaschkin; abrufbar unter: http://www.kas.de/ db_
die internationalen Vermittler) sollte bis zur     präsidenten zurück. Die offizielle Vereidigung      files/dokumente/laenderberichte/7_dokument_dok_pdf_
wiederholten Stichwahl ein vorübergehendes         des neuen Präsidenten fand im ukrainischen          5738_1pdf
                                                                                                       10 Umfragewerte von Exit-Polls ermittelt durch das Kie-
Wahlgesetz gelten, das den Missbrauch der          Parlament am 23. Januar 2005 statt. Gemäß der
                                                                                                       wer Internationale Institut für Soziologie/Rasumkow-
Abwesenheitsscheine erheblich einschränken         ukrainischen Tradition schwor der Neugewähl-        Zentrum/Fonds „Demokratische Initiativen“: 54 Prozent
und die Stimmabgabe von Behinderten und            te auf Bibel und Verfassung. An der Zeremonie       der Stimmen für Juschtschenko, 43 Prozent für Januko-
                                                                                                       witsch; siehe Wahlbericht Nr. 3 von Ralf Wachsmuth und
Kranken zu Hause neu regeln sollte. Außerhalb      im Parlament nahmen auch ausländische Gäs-          Igor Plaschkin (s. Anm. 9).
des Wahllokals zu wählen, sollte danach aus-       te teil. In seiner Antrittsrede betonte Jusch-      11 Siehe Piehl 2005, S. 421ff.

schließlich für Schwerbehinderte möglich sein.     tschenko die europäischen Ambitionen der            12
                                                                                                           Siehe den Kommentar von Konrad Schuller in der
Janukowitsch kritisierte diese Bestimmung mit      Ukraine sowie die Aufrechterhaltung der Ein-        Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 26.11.2004. In der
                                                                                                       Ausgabe vom 20. Dezember berichtete Schuller vom Be-
dem Argument, ältere Menschen würden ihres         heit des Landes. Der Albtraum, die ostukraini-      fehl des ukrainischen Innenministeriums, die Demonstra-
Wahlrechts beraubt. Gleichzeitig griff die Re-     schen Anhänger Janukowitschs würden in Kiew         tion in Kiew niederzuschlagen, der tatsächlich nicht be-
                                                                                                       folgt wurde.
gierung die Gelegenheit auf, um die von ihr lang                                                       13
                                                                                                           Vgl. Süddeutsche Zeitung vom 25.11.2004.
geplante Verfassungsänderung durchzuset-                                                               14
                                                                                                           Vgl. Piehl 2005, S. 422.
zen.17 So wurde die Änderung des Wahlrechts                                                            15
                                                                                                           Vgl. Die Welt vom 24. November 2004 sowie die Kom-
von einer umfassenden Verfassungsreform ab-                                                            mentare der Phoenix- und Tagesschau-Journalisten am
                                                     UNSERE AUTORIN                                    Tag der Parlamentssitzung.
hängig gemacht, die einen beachtlichen Teil der                                                        16
                                                                                                           Siehe den Kommentar von Konrad Schuller in der
präsidialen Befugnisse an das Parlament abgab.                                Marzena Kloka,           Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 24.11.2004.
Das Ziel dieses Schrittes war offensichtlich,                                 geboren 1983 in          17
                                                                                                           Aufgrund der Gefahr, die Präsidentschaft könnte in die
                                                                                                       Hände der Opposition fallen, strebte Kutschma seit 2002
nämlich den eventuellen Wahlsieger Jusch-                                     Gdansk, studiert         eine Entmachtung des Präsidenten und die Stärkung des
tschenko in seiner Präsidentenmacht zu                                        als DAAD-Stipen-         Parlaments an (vgl. Simon 2005, S. 19).
schwächen. Trotz großer Kontroversen um das                                   diatin Politikwis-       18 Die Ergebnisse der von verschiedenen Instituten

                                                                                                       durchgeführten Exit-Polls lauteten: Kiewer Internationa-
so genannte „Kutschma-Paket“ (Verfassungs-                                    senschaft, Musik-        les Institut für Soziologie/Rasumkow-Zentrum: 56,31%
reform gekoppelt mit der Wahlgesetzände-                                      wissenschaft und         für Juschtschenko und 41,31% für Janukowitsch; Sozia-
rung) stimmte das ukrainische Einkammerpar-                                   Öffentliches Recht       les Monitoring: 58,1% für Juschtschenko und 41% für
                                                                                                       Janukowitsch; ICTV (The Luntz Research Company, Penn,
lament am 8. Dezember 2004 dem politischen                                    an der Ruprecht-         Schoen & Berland): 565% für Juschtschenko und 41% für
Tausch zwischen der Regierung und der demo-                                   Karls-Universität        Janukowitsch; Quelle: Wahlbericht Nr. 4 der Konrad-Ade-
                                                                                                       nauer-Stiftung von Ralf Wachsmuth und Igor Plaschkin;
kratischen Opposition mit 402 von 450 Stim-                                   in Heidelberg.           abrufbar unter: http://www.kas.de/publikationen/2004/
men zu. Dieses Ereignis spaltete jedoch erheb-                                Gegenwärtig ver-         5858_dokument.html
lich das Oppositionslager, vor allem die Grup-      bringt sie einen Studienaufenthalt in Paris.

                                                                                                                                                            167
ZIVILGESELLSCHAFTLICHE AKTEURE UND DIE DEMOKRATISCHE OPPOSITION

     Die Literaturelite der Ukraine und die
     „Orangene Revolution“
     A NNA -H ALJA H ORBATSCH

                                                   literarischen Generation gewisse Perspektiven      zusetzen“. Jaworiswskyi hatte in der Vergan-
Die zivilgesellschaftliche Unterstützung           eröffnet, doch die Zeit des freien Schaffens       genheit immer wieder auf gravierende Proble-
der demokratischen Opposition war eher             war nur von kurzer Dauer, zumal das „Tauwet-       me der aktiven Schriftsteller aufmerksam ge-
verhalten. Dies erklärt sich nicht zuletzt         ter“ im literarischen Bereich schon um die Mit-    macht. Er bezog kritisch Stellung gegen die 15-
durch den Umstand, dass ein Großteil der           te der 1960er-Jahre von neuen eisigen Winden       prozentige Mehrwertsteuer für den Buchdruck.
Nicht-Regierungsorganisationen in der              zum Stillstand gebracht wurde.                     Ein weiterer, von ihm immer wieder geäußerter
Ukraine von staatlichen Subventionen               In den 1920er-Jahren waren die ukrainischen        Kritikpunkt betraf die Überflutung des ukraini-
abhängig ist. Umso größere Beachtung               Autoren auf Europa ausgerichtet gewesen. Po-       schen Buchmarktes mit billigen importierten
verdienen Persönlichkeiten aus dem zi-             pulär war der Ruf: „Weg von Moskau – Europa        russischen Büchern, die zu einer extremen Ver-
vilgesellschaftlichen Bereich, die trotz           ist unser Ziel!“ („Het` wid Moskwy, dawaj Jewro-   teuerung der ukrainischsprachigen Ausgaben
der offensichtlichen Verordnung zum                pu!“) Die in den 1960er-Jahren entstandene         (Schulbücher inbegriffen) führte.
Schweigen öffentlich Partei für die de-            Bürgerrechtsbewegung, die von Dichtern, Lite-      Im Herbst 2004 verübte eine regimetreue
mokratische Bürgerbewegung ergriffen               raturwissenschaftlern und Historikern ins Leben    Autorengruppe nachts durch einen Hinterein-
und Viktor Juschtschenko unterstützten.            gerufen wurde, verfolgte eine Erneuerung des       gang einen Einbruch und warf die wachha-
Dies gilt besonders für einzelne Mitglie-          kulturellen und geistigen Lebens. In mutigen       bende Nachtwächterin hinaus. Dieser gelang
der des ukrainischen PEN-Clubs. Anna-              Texten, die zumeist in handschriftlichen Exemp-    es jedoch, den Vorsitzenden des Verbandes an-
Halja Horbatsch, die eine Reihe von An-            laren kursierten, wurde die Eigenständigkeit der   zurufen und ihn über das Geschehen zu unter-
thologien ukrainischer Prosa und Lyrik             ukrainischen Kultur betont. Diese geistige Er-     richten. Die im Auftrag Kutschmas agierende,
übersetzte und veröffentlichte, schildert          neuerung zeichnete sich durch die Rückbesin-       etwa gut ein Dutzend Personen zählende
in ihrem Beitrag die unterstützende Rol-           nung auf die Kultur der 1920er-Jahre und die       Autorengruppe, die bereits mit einer „neu ge-
le der literarischen und intellektuellen           jahrzehntelang vom Sowjetregime verbotenen         wählten“ Vorsitzenden das Haus besetzte, er-
Elite der Ukraine während der „Orange-             historischen und literarischen Werke aus.          klärte öffentlich, der „alte Schriftstellerver-
nen Revolution“. Erstmalig in deutscher            Diese Aufbruchstimmung der beginnenden             band sei von senilen, irren alten Autoren“ ge-
Sprache veröffentlichte Auszüge aus Ver-           1960er-Jahre wurde nach einem verheißungs-         führt worden. Ein Wechsel des Vorstandes sei
bandsorganen und Literaturzeitschrif-              vollen Jahrzehnt durch erneute Verhaftungen,       daher dringend notwendig gewesen.
ten sind ein Beleg für den aktiven und             Prozesse, langjährige, von Zwangsarbeit beglei-    Die Angelegenheit kam vor ein örtliches Ge-
mutigen Beitrag einzelner zivilgesell-             tete Haftstrafen in entfernten Regionen der        richt, das sich zunächst nicht sonderlich beeil-
schaftlicher Akteure.                Red.          Sowjetunion zum Schweigen gebracht. Etlichen       te, die rechtmäßige Ordnung wieder herzustel-
                                                   bedeutenden jungen Autoren, die frei geblieben     len. Daraufhin versammelten sich vor dem Ge-
                                                   waren, wurde bis zu Beginn der 1980er-Jahre ein    bäude 960 alarmierte Mitglieder des Schrift-
                                                   Veröffentlichungs- und Druckverbot auferlegt.      stellerverbandes der Stadt Kiew und Umge-
                                                                                                      bung, die mit ihren gültigen Verbandsauswei-
                                                                                                      sen in der Hand den alten Vorstand bestätigten.
AUFBRUCH UND RÜCKBESINNUNG                         REPRESSIONEN GEGEN                                 Nach einem wochenlangen Hin und Her ent-
AUF LITERARISCHE TRADITIONEN                       KRITISCHE LITERATEN                                schied das zuständige Gericht, das angeblich
                                                                                                      beschlagnahmte Gebäude an den Schriftstel-
Es war die Wochenschrift Literaturna Ukrajina      Bevor wir zu den Reaktionen der ukrainischen       lerverband mit seinem alten und rechtmäßigen
(Die literarische Ukraine) des Ukrainischen        Literaturelite auf die „Orangene Revolution“       Vorstand zurückzugeben.
Schriftstellerverbandes, die bereits in den be-    kommen, sei ein Vorfall erwähnt, der die Hal-
ginnenden 1980er-Jahren während der Gor-           tung des Kutschma-Regimes zum ukraini-
batschow-Ära mit Veröffentlichungen von            schen Schriftstellerverband sinnfällig illus-      DIE UNTERSTÜTZUNG DER
Texten aus den 1920er-Jahren begonnen hat-         triert. Es geht um den Versuch von Leonid Kut-     „ORANGENEN REVOLUTION“
te. Diese Texte riefen Zeiten in Erinnerung, als   schma, sich das Haus des Schriftstellerverban-
man sich zu gesellschaftspolitischen Fragen        des anzueignen. Dieses Gebäude ähnelt einem        Während der kalten und schneefeuchten Witte-
der Ukraine noch einigermaßen frei äußern          Palais und steht im Regierungsviertel von Kiew     rung in den Wochen der Monate November und
konnte. Gerade in den 1920er-Jahren hatte die      in der Bankiwska-Straße.                           Dezember 2004 diente der geräumige Bau zahl-
Ukraine nach Beendigung des Bürgerkrieges          Gegen Ende des 19. Jahrhunderts vom Besitzer       reichen Maidan-Demonstranten als Schlaf-,
eine wahre Kulturrenaissance erlebt, die unter     einer Zuckerfabrik errichtet, wechselte das        Verpflegungs- und Versorgungsstätte. Auch die
dem diktatorischen Regime Stalins ein tragi-       Haus einige Male den Eigentümer und wurde          Kiewer Autoren nahmen in ihren Wohnungen so
sches Ende finden sollte. Die Autoren und Li-      nach Beendigung des Bürgerkrieges vom Staat        viele Demonstranten auf, wie es nur eben ging.
teraturwissenschaftler, die in diesem Jahr-        beschlagnahmt. Das Zentralkomitee der KPdSU        Der Schriftstellerverband hat kurz vor der Prä-
zehnt zu Wort gekommen waren, fanden in            übertrug es zu Beginn der 1930er-Jahre, als der    sidentschaftswahl als auch während der Wah-
den Jahren ab 1930 ihren Tod durch Exeku-          Sitz der Hauptstadt von Charkiw nach Kiew          len in seiner Wochenzeitschrift eine ganze Rei-
tionskommandos, begingen Selbstmord oder           wechselte, dem Schriftstellerverband, um das       he von Erklärungen veröffentlicht, welche die
wurden zu langjähriger Zwangsarbeit nach Si-       „schreibende Volk“, eine über tausend Men-         Bürger auf die politische Lage im Lande auf-
birien und auf die Solowkiinseln verbannt. Nur     schen zählende Gruppe von Autorinnen und           merksam machten und ehrliche Wahlen forder-
wenige Literaten und Intellektuelle wurden         Autoren, so nah wie möglich an sich zu binden      ten. Die Erklärungen trugen die Unterschriften
während der von Chruschtschows eingeleite-         und unter Kontrolle zu halten.                     bekannter Persönlichkeiten des literarischen
ten Phase des „Tauwetters“1 in der zweiten         Da der im Jahre 2004 amtierende Vorsitzende        und öffentlichen Lebens. Stellvertretend für
Hälfte der 1950er-Jahre rehabilitiert. Verein-     des Ukrainischen Schriftstellerverbandes, der      andere Kulturschaffende seien genannt: Oksa-
zelte Personen, die überlebt hatten, darunter      bekannte Prosaautor Wolodymyr Jaworiwskyj          na Sabutschko, Vizepräsidentin des ukraini-
namhafte Wissenschaftler und Autoren, durf-        und gleichzeitige Abgeordnete des Parlaments,      schen PEN-Clubs, die Schriftsteller Jurij Andru-
ten zwar in die Ukraine zurückkehren, jedoch       in seinen Schriften die regierende Klasse ziem-    chowytsch und Andrij Bondar, die mit weiteren
nur um ein Schattendasein zu fristen.              lich kritisch darstellte, wurde seitens der        zehn Kollegen einen Offenen Brief zur Unter-
Zwar hatten das „Tauwetter“ und die schritt-       Staatsführung beschlossen, im Schriftsteller-      stützung von Juschtschenko schon vor dem
weise Entstalinisierung vor allem der jungen       verband zunächst einen neuen Vorsitz „durch-       ersten Wahlgang versandt hatten.

168
Die Literaturelite der Ukraine und die „Orangene Revolution“

UNTERSTÜTZUNG DURCH DEN                           Der Vorsitzende des Ukrainischen PEN-Clubs,        ihrem Beitrag „My na Majdani, Majdan u na-
POLNISCHEN PEN-CLUB                               Jewhen Swerstjuk, veröffentlichte den Text         schych duschach“ („Wir sind auf dem Maidan,
                                                  dieses Briefes sowie seine – nachfolgend ge-       der Maidan ist in unseren Seelen“) die Atmos-
Besonders wichtig für die Stimmung im             kürzte – Antwort in der gleichen Ausgabe der       phäre auf dem Maidan, dem „Platz der Unab-
Schriftstellerverband der Ukraine war die Ver-    Literaturna Ukrajina mit folgenden, an den         hängigkeit“ in Kiew. Ihr Beitrag (Kozjubynska
öffentlichung eines Briefes des polnischen        polnischen PEN-Club gerichteten Worten:            2005, S. 5-8) ist in der Februarnummer der Li-
PEN-Clubs an den ukrainischen PEN-Club, der                                                          teraturzeitschrift Sutschasnist (Die Gegen-
am 25. Oktober 2004, einige Tage vor dem er-                                                         wart) veröffentlicht. Aus diesem höchst analy-
sten Wahltermin in der Wochenzeitschrift Li-        „Solidarität der Demokratie! Wir stehen          tischen Text lohnt es, einige Textstellen zu zi-
teraturna Ukrajina veröffentlicht wurde. Die-       vor einer historischen Entscheidung. Das         tieren, welche die Atmosphäre und die unge-
sem ins Ukrainische übersetzten Brief war           prokommunistische Regime stellt mittels          wöhnlichen Ereignisses schildern. Mychajlyna
auch die Antwort des Vorsitzenden des ukrai-        der Massenmedien die Vorwahlkämpfe als           Kozjubynska schreibt:
nischen PEN-Clubs, Jewhen Swerstjuk, bei-           ein Ringen zweier Günstlinge dar. Das Volk
gefügt worden. Jewhen Swerstjuk ist ein be-         indes, besonders die Jugend, empfindet
kannter, mit dem Schewtschenko-Literatur-           dies als Bedrohung und Stärkung eines              „Der Maidan hat die bürgerlichen Stereo-
preis2 ausgezeichneter Essayist und Lyriker.        kriminellen Regimes, worauf eine neue              typen bezüglich unserer Jugend hinweg-
Er ist ein ehemaliger Bürgerrechtler, der ab        Fluchtwelle aus der Ukraine folgen würde.          gefegt, die man bis dahin als apolitisch,
1972 sieben Jahre strenge Lagerhaft und fünf        Flucht gerade jener Kräfte, die eine Stütze        zynisch, geistlos dargestellt hatte; er hat
Jahre Verbannung mit Zwangsarbeit in Ost-           der demokratischen Gemeinschaft sein               auch den Abgrund aufgehoben, der an-
sibirien verbüßt hatte. Beide Texte, nach-          müssten.“                                          geblich zwischen den Generationen be-
folgend in deutscher Übersetzung, sind ein                                                             stand. Alles hat sich als völlig anders er-
Zeugnis der politischen Einstellung und mo-                                                            wiesen.“
ralischen Haltung der literarischen Eliten bei-   Für seine zum Ausdruck gebrachte Meinung
der Staaten. Beide Nationen haben in der          musste Jewhen Swerstjuk einige Wochen spä-
Vergangenheit gemeinsam sowohl kriegeri-          ter einen hohen Preis bezahlen. Seine Redak-       Dabei stellt die Literaturwissenschaftlerin eine
sche, schwierige als auch ruhigere Epochen        tion, in der er mit einigen Freunden die zweiwö-   Änderung der russischen öffentlichen Meinung
durchlebt, aus denen Schriftstellerinnen und      chig erscheinende Zeitschrift Nascha Wira (Un-     in Bezug auf die ukrainische Bevölkerung fest,
Schriftsteller beider Länder kluge Lehren gezo-   ser Glaube) der unabhängigen Ukrainischen Or-      die bis dahin nur als schlaue „Chochols“ (ein
gen haben.                                        thodoxen Autokephalen Kirche (UOAK) heraus-        Spottname der Russen für die ukrainische Be-
                                                  bringt, wurde im Februar 2005 von einer Grup-      völkerung) dargestellt wurden. Zudem hat der
                                                  pe angeblicher Bauarbeiter heimgesucht, die im     Maidan das abgedroschene Stereotyp von einer
  „DER POLNISCHE AN DEN                           Namen der Besitzer vorgaben, die Redaktions-       angeblich unüberwindbaren Kluft zwischen
  UKRAINISCHEN PEN-CLUB:                          räume in Ordnung bringen zu wollen. Dabei          den ukrainisch und russisch sprechenden Men-
                                                  wurden in den Redaktionsräumen schriftliche        schen in der Ukraine hinweggefegt. Mychajly-
  Liebe Freunde! In diesen angespannten           Unterlagen, Archivmaterial und die PCs zer-        na Kozjubynska schreibt diesbezüglich:
  Tagen verfolgen wir aufmerksam den Ver-         stört, ferner die protestierenden Redaktions-
  lauf der Ereignisse in der Ukraine. Mit gan-    mitarbeiter hinausgejagt. Die Redaktionsräu-
  zem Herzen und unseren Gedanken sind            me waren in einem Gebäudekomplex der Ukrai-          „Ich habe stets gewusst, dass es falsch ist,
  wir bei euch. Uns verbinden gemeinsame          nischen Orthodoxen Kirche des Heiligen Mi-           die Menschen, die es gewohnt sind, rus-
  Ängste und die Ideale der Charta des            chael untergebracht. Nach dem Überfall muss-         sisch zu sprechen, aus der ukrainischen
  Internationalen PEN-Clubs. Uns ist be-          te der Kirchenraum im Erdgeschoss für die            Gemeinschaft auszuschließen. In diesen
  wusst, was ihr als Intellektuelle und Men-      Gläubigen geschlossen werden.                        Tagen ist den Menschen eine sehr wichti-
  schen des geschriebenen Wortes heute            Kurz danach hatte sich herausgestellt, dass der      ge These ins Bewusstsein gedrungen, die
  gemeinsam mit dem größten Teil der              Metropolit der Ukrainischen Orthodoxen Auto-         mir längst vertraut war: In einer solchen
  ukrainischen Bürger verteidigt. Ihr vertei-     kephalen Kirche ein Günstling Kutschmas war          Ukraine, die aufrichtig, warmherzig, nor-
  digt die Institution eines demokratischen,      und auf dessen Betreiben hin dieser Kirche auf-      mal ist, möchten diejenigen, die Ukrai-
  würdevollen und zeitgemäßen Staates. Ihr        gezwungen worden war. Während der Wahlen             nisch beherrschen auch in dieser Sprache
  verteidigt die Souveränität eines Landes        hatte der Erzbischof den Kanidaten Januko-           reden. Dies ist kein Zwang, keine Konjunk-
  in den schweren Jahren der postkommu-           witsch nach besten Kräften unterstützt. Der          tur, sondern ein innerer Impuls.“
  nistischen Transformation, eines Staates,       innerkirchliche Zwist landete vor dem Gericht
  der von keinem Blut ethnischer Konflikte        und ist bis heute noch nicht entschieden. Inzwi-
  befleckt worden ist. Ihr verteidigt eine bür-   schen hat ein Literaturverlag der Redaktion der    Als eine dritte wichtige Erfahrung führt die
  gerliche Gesellschaft und ein Volk, das kei-    Zeitschrift Nascha Wira, ein im Übrigen gerne      Autorin an, dass vor ihren Augen die teilneh-
  nem anderen Volk das Recht auf Gerech-          gelesenes und tolerantes Blatt, vorübergehend      menden Menschen eine erst entstehende, sich
  tigkeit und Freiheit abspricht. Dies ist Po-    eine Unterkunft angeboten.                         noch im embryonalen Zustand befindende
  len besonders bewusst, das sich mit dem         Auch Vaclav Havel, der ehemalige Präsident         neue Gemeinschaft, gleich einem Phönix aus
  Gedenken an eine gemeinsame Vergan-             Tschechiens, hat dem Vorsitzenden des ukraini-     der Asche emporsteigen sahen. Es ging dabei,
  genheit würdig zu versöhnen vermag. Ihr         schen Schriftstellerverbandes – dem bekann-        wie sie meint, um die Entstehung eines – den
  verteidigt die Menschenrechte, das Recht,       ten Prosaautor Wolodymyr Jaworiwskyj – am          westukrainischen Dichter Iwan Franko (1856-
  sich mit politischen Morden und der krimi-      30. November 2004 eine Solidaritätsbotschaft       1916) zitierend – „selbstbewussten Haus-
  nellen Unterwanderung des gesellschaft-         zugesandt, in der er die Bedeutung der ukraini-    herrn“, der sich „auf eigenem Grund und Bo-
  lichen Lebens nicht abfinden zu wollen. Ihr     schen Autoren für die Herausbildung einer bür-     den befindet.“ Die Autorin erlebte mit einem
  verteidigt die Freiheit des Gedankens, des      gerlichen Gesellschaft unterstrichen hat. Auch     Mal Individuen, die fähig waren, konkrete Din-
  Wortes und einen Rechtsstaat, in dem es         diese Botschaft und die Antwort darauf wurde       ge zu tun, sich konkrete Ziele vorzunehmen
  weder Verbrechen, Provokation, Angst,           in der Zeitschrift Literaturna Ukrajina veröf-     und diese auch durchzusetzen.
  Zynismus, öffentliche Lüge und Bedro-           fentlicht.                                         Schließlich mahnt Mychajlyna Kozjubynska in
  hung geben darf. Ihr verteidigt in eurem                                                           ihrem Beitrag eine Reihe von Verhaltensregeln
  Land Europa, dessen friedliche Zukunft                                                             an: Der Selbstachtung zuliebe solle man einen
  sowie seine besten Traditionen. Wir teilen      DIE LITERARISCHE VERARBEITUNG                      gesunden Objektivismus sowie Selbstkritik
  mit euch eure Hoffnungen und Ängste.            DER EREIGNISSE                                     nicht aus den Augen verlieren. Ihre Gedanken
  Seid euch unserer Solidarität bewusst.                                                             reichen dabei in die 1970er-Jahre zurück, als sie
           Warschau, den 25. Oktober 2004“        Mychajlyna Kozjubynska, eine bekannte ukrai-       und ihre Freunde in Gerichtssälen verurteilten
                                                  nische Literaturwissenschaftlerin, schildert in    Bürgerrechtlern Blumen zuwarfen, ohne dabei

                                                                                                                                                169
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