Nachhaltiger Umgang mit der Natur in der Gemeinde Luzein - Manuel Bigler, David Elsener, Virginia Hart, Tobia Lezuo (Hrsg.)
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USYS TdLab Nachhaltiger Umgang mit der Natur in der Gemeinde Luzein Falldossier zur Lehrveranstaltung Umweltproblemlösen 2020/2021 Manuel Bigler, David Elsener, Virginia Hart, Tobia Lezuo (Hrsg.)
Abkürzungen ALG Amt für Landwirtschaft und Geoinformation, Kanton Graubünden ANU Amt für Natur und Umwelt, Kanton Graubünden ARE Bundesamt für Raumentwicklung ARE (GR) Amt für Raumentwicklung, Kanton Graubünden AWN Amt für Wald und Naturgefahren, Kanton Graubünden AWT Amt für Wirtschaft und Tourismus, Kanton Graubünden BABS Bundesamt für Bevölkerungsschutz BAFU Bundesamt für Umwelt BBV Bündner Bauernverband BD Teilanalyse Biodiversität und ökologische Infrastruktur BFF Biodiversitätsförderflächen BFS Bundesamt für Statistik BLW Bundesamt für Landwirtschaft BUWAL ehem. Bundesamt für Umwelt, Wald und Landschaft, heute Teil des BAFU BV Bundesverfassung DZV Direktzahlungsverordnung GSchG Gewässerschutzgesetz GVG Gebäudeversicherung Graubünden HEV (GR) Hauseigentümerverband Graubünden IRM Integrales Risikomanagement IUCN International Union for Conservation of Nature KRG Kantonales Raumplanungsgesetz für den Kantons Graubünden KRIP Kantonale Richtplanung des Kantons Graubünden KRVO Raumplanungsverordnung für den Kanton Graubünden KwS Teilanalyse Klimawandel und Schnee LwG Landwirtschaftsgesetz NCCS National Centre for Climate Services NL Teilanalyse Naturgefahren Lawinen NGO Non-governmental organization NHG Natur- und Heimatschutzgesetz NHV Natur- und Heimatschutzverordnung OcCC organe consultatif sur les changements climatiques OECD Organisation for Economic Co-operation and Development RCP Representative Concentration Pathway (Referenzszenario) RPG Raumplanungsgesetz RPV Raumplanungsverordnung RW Teilanalyse Ressource Wasser SBV Schweizer Bauernverband SK Teilanalyse Siedlungsentwicklung und Kulturlandschaft SLF Schnee- und Lawinenforschung SRF Schweizer Radio und Fernsehen TG Tourismusgesetz TL Teilanalyse Tourismus und Landwirtschaft TwwV Trockenwiesenverordnung UNESCO United Nations Educational, Scientific and Cultural Organization USG Umweltschutzgesetz WaG Waldgesetz WaV Waldverordnung WSL Eidgenössische Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft
Falldossier zur Lehrveranstaltung Umweltproblemlösen 2020/2021 1 Inhalt Abbildungs- und Tabellenverzeichnis ........................................................................................................................................... 2 Vorwort ............................................................................................................................................................................................... 3 Beteiligte in der Lehrveranstaltung Umweltproblemlösen I ................................................................................................... 3 1 Einleitung ......................................................................................................................................................................................... 4 2 Vorgehensweise ............................................................................................................................................................................. 5 3 Klimawandel und Schnee ............................................................................................................................................................ 6 4 Naturgefahren Lawinen ............................................................................................................................................................. 14 5 Biodiversität und ökologische Infrastruktur ......................................................................................................................... 22 6 Ressource Wasser ...................................................................................................................................................................... 30 7 Tourismus und Landwirtschaft ................................................................................................................................................ 37 8 Siedlungsentwicklung und Kulturlandschaft ........................................................................................................................ 43 9 Rechtliche Grundlagen .............................................................................................................................................................. 49 10 Stakeholder und Stakeholderinnen ...................................................................................................................................... 53 11 Referenzen ................................................................................................................................................................................. 56 Anhang ............................................................................................................................................................................................. 65
2 Nachhaltiger Umgang mit der Natur in der Gemeinde Luzein Abbildungs- und Tabellenverzeichnis Abbildungen Abbildung 1.1 Räumliche Systemgrenze, die Gemeinde Luzein ................................................................................................................ 4 Abbildung 3.1 Temperaturprognosen für Davos ............................................................................................................................................ 8 Abbildung 3.2 Jahresniederschlagsprognosen für Davos .......................................................................................................................... 8 Abbildung 3.3 Prognose für die Häufigkeit von Regentagen der Ostalpenregion .................................................................................. 8 Abbildung 3.4 Prognose für die Intensität von Regentagen der Ostalpenregion ................................................................................... 8 Abbildung 3.5 Neuschneeprognosen der Alpen ............................................................................................................................................. 8 Abbildung 3.6 Modellierung Schneegrenze in Luzein bis 2085 .................................................................................................................. 9 Abbildung 3.7 zukünftige Schneegrenze in Luzein mit RCP 8.5 ................................................................................................................. 9 Abbildung 3.8 100 Tage Regel für Küblis 1960-2020 .................................................................................................................................... 9 Abbildung 3.9 Gefahrenkarte für Rutschungen in Luzein .......................................................................................................................... 10 Abbildung 4.1 Todesfälle aufgrund von Lawinenereignissen in St. Antönien ....................................................................................... 15 Abbildung 4.2 Chüenihorn 1950 und 2020 ..................................................................................................................................................... 15 Abbildung 4.3 Integrales Risikomanagement ............................................................................................................................................... 16 Abbildung 4.4 Ausschnitt der Gefahrenkarte für St. Antönien ................................................................................................................. 16 Abbildung 4.5 Objektschutzmassnahmen in St. Antönien ......................................................................................................................... 17 Abbildung 4.6 Kolktafeln in St. Antönien ....................................................................................................................................................... 18 Abbildung 4.7 Lawinenanbruch-Verbauungen aus Beton und Stahl ...................................................................................................... 18 Abbildung 4.8 Schutzwald in St. Antönien ..................................................................................................................................................... 18 Abbildung 5.1 Biotop- und Landschaftsinventar der Gemeinde Luzein ................................................................................................ 23 Abbildung 5.2 Die neun Gefährdungskategorien der IUCN ....................................................................................................................... 26 Abbildung 6.1 Zustand der grösseren Fliessgewässer in Luzein ........................................................................................................... 30 Abbildung 6.2 Die Bergseen Luzeins ............................................................................................................................................................. 31 Abbildung 6.3 Klimadiagramm der Gemeinde Landquart ........................................................................................................................ 31 Abbildung 6.4 Quellen und Quellschutzzonen ............................................................................................................................................. 32 Abbildung 6.5 Übersichtsplan der Trinkwasserversorgung in Luzein .................................................................................................. 32 Abbildung 6.6 Wasserbilanz Luzein ............................................................................................................................................................... 33 Abbildung 7.1 Auswirkungen des Klimawandels in Luzein ...................................................................................................................... 39 Abbildung 7.2 Leitbild der Gemeinde Luzein ............................................................................................................................................... 40 Abbildung 8.1 Dreistufige Alplandwirtschaft .............................................................................................................................................. 43 Abbildung 8.2 Übersicht der Kulturlandschaft Luzeins ............................................................................................................................ 44 Abbildung 8.3 Landnutzung in Luzein im Vergleich ................................................................................................................................... 45 Tabellen Tabelle 3.1 Übersicht der Referenzszenarien (RCPs) ...............................................................................................................................7 Tabelle 5.1 Vergleich der Fettwiesen/-weiden mit den Trockenwiesen/-weiden .......................................................................... 24 Tabelle 5.2 Vergleich der Hochmoore und Flachmoore ........................................................................................................................ 25 Tabelle 5.3 Beispiele für Chancen und Risiken anhand der Erwärmung und Schneedecke ........................................................ 27 Tabelle 9.1 Übersicht zu den eidgenössischen Gesetzen ..................................................................................................................... 50 Tabelle 9.2 Übersicht zu den kantonalen Gesetzen ............................................................................................................................... 51 Tabelle 9.3 Übersicht zu den kommunalen Gesetzen ........................................................................................................................... 52 Tabelle 10.1 Übersicht der Stakeholder und Stakeholderinnen ........................................................................................................... 53
Falldossier zur Lehrveranstaltung Umweltproblemlösen 2020/2021 3 Vorwort Die Vorlesung «Umweltproblemlösen» begann im Herbstse- Das Falldossier wurde von Manuel Bigler, David Elsener, Virginia mester 2020 mit einer Fallstudie zum Thema «Nachhaltiger Um- Hart und Tobia Lezuo auf Grundlage der Arbeiten der Studieren- gang mit der Natur in der Gemeinde Luzein». Im Rahmen dieses den zusammengestellt. Die Autoren und Autorinnen der Teilanaly- Überthemas wurden die Erstsemestrigen des Studiengangs Um- sen sind im Anhang aufgelistet. Soweit möglich werden im Dossier weltnaturwissenschaften an der ETH Zürich je einer von sechs die Originalquellen angegeben, alle restlichen Aussagen sind in Teilanalysen zugeteilt. Zum Thema ihrer Teilanalyse haben die den Teilanalyse-Berichten wiederzufinden. Studierenden in Projektgruppen von fünf bis sieben Personen recherchiert und ihre Erkenntnisse in einem Bericht zusammen- Wir wünschen euch viel Spass beim Lesen und eine erfolgreiche getragen. Das vorliegende Falldossier ist eine Zusammenfassung Prüfungsvorbereitung! des gesammelten Fachwissens aus den Berichten zur Fallstudie und soll den Studierenden insbesondere als Grundlage für die Prüfung der Lehrveranstaltung dienen. Beteiligte in der Lehrveranstaltung Umweltproblemlösen I Dozierende Expertinnen und Experten der Teilanalysen Christian Pohl, Marlene Mader, BinBin Pearce, Leonhard Späth Reto Hefti (ehem. Amt für Wald und Naturgefahren GR): Teilana- lysen Klimawandel und Schnee, Naturgefahren Lawinen Tutorierende Josef Hartmann (ehem. Amt für Natur und Umwelt GR): Teilanalyse Fabian Bättig, Manuel Bigler, Fabian Duss, David Elsener, Virginia Biodiversität und ökologische Infrastruktur Hart, Livia Hess, Ben Kriesel, Rachel Kunstmann, Tobia Lezuo, Sabine Hoffmann (Transdisziplinäre Forschung eawag): Teilana- Marine Riesterer, Meri Paula, Gina Saccavino, Judith Scherrer, lyse Ressource Wasser Yuri Schmid Silvia Tobias (Zentrum Landschaft WSL): Teilanalyse Siedlungsent- wicklung und Kulturlandschaft Mitglieder der UPL Begleitgruppe Ernst Flütsch (Prättigau Tourismus, Berghäuser Alpenrösli und ETH extern Sulzfluh): Teilanalyse Landwirtschaft und Tourismus Christian Kasper (Gemeinde Luzein), Reto Hefti (ehem. Amt für Wald und Naturgefahren GR), Josef Hartmann (ehem. Amt für Weitere Beteiligte an der ETH Zürich Natur und Umwelt GR), Silvia Tobias (Zentrum Landschaft WSL), Urs Brändle, Raymond Grenacher, Miklos Frank, Andreas Müller, Ernst Flütsch (Prättigau Tourismus, Berghäuser Alpenrösli und Carmenza Robledo Abad Althaus Sulzfluh), Georg Fromm (Region Prättigau/Davos) ETH intern Dozierenden-Team, Vertreter und Vertreterin der Tutorierenden (Gina Saccavino, Tobia Lezuo), Vertreter und Vertreterin der Stu- dierenden (Tanya Schnyder, Yannick Walo)
4 Nachhaltiger Umgang mit der Natur in der Gemeinde Luzein 1 Einleitung Die Gemeinde Luzein liegt im Prättigau im Kanton Graubünden. Im Osten bildet der Gebirgszug des Rätikons mit der Madrisa (2 826 m ü. M.) die Grenze zu Österreich (siehe Abbildung 1.1). Die Land- quart und der Schanielabach sind die zwei wichtigsten Fliessge- wässer in der Gemeinde. Auf einer Gemeindefläche von 8 385 ha wohnen in Luzein 1 609 Einwohner und Einwohnerinnen. 3 947 ha werden für Land- und Alpwirtschaft genutzt, wo etwa ein Drittel der Luzeiner und Luzeinerinnen tätig sind. 44% der Einwohner und Einwohnerinnen sind im Dienstleistungssektor tätig, davon viele in einer wachsenden Tourismusbranche. Die Gemeinde Lu- zein ist charakterisiert durch ein zerstreutes Siedlungsgebiet und den traditionellen Walsersiedlungen in St. Antönien. 2016 fusio- nierte die Gemeinde Luzein mit St. Antönien, welches besonders von Lawinen gefährdet ist und in den Achtzigern auch wegen der schweizweit grössten Lawinenverbauung am Chüenihorn bekannt Abbildung 1.1 wurde (vgl. Gemeinde Luzein, 2020d, 2020a). Räumliche Systemgrenze, die Gemeinde Luzein (Arnet u. a., 2020 basierend auf Swisstopo, 2020). Die Gemeinde Luzein steht heutzutage vor verschiedenen Heraus- forderungen: Der Tourismussektor erlebte in den letzten Jahr- zehnten einen Aufschwung, gerät jedoch zunehmend in Konflikt mit bestehenden Interessen, etwa aus der Landwirtschaft. In den und Expertinnen entwickelt wurden. Diese umfassen die Themen letzten Jahrzehnten lag die Abwanderungsrate in der Gemeinde Klimawandel und Schnee, Naturgefahr Lawinen, Biodiversität und Luzein bei etwa 4% (BFS, 2016). Sowohl Lawinenschutz als auch ökologische Infrastruktur, Landwirtschaft und Tourismus, Res- die Zersiedelung und der Schutz historischer Gebäude schränken source Wasser sowie die Siedlungsentwicklung und Kulturland- Grund- und Hausbesitzer und -besitzerinnen ein und erschweren schaft. Nach Ausführungen zum methodischen Vorgehen werden die Weiterentwicklung der Gemeinde. Hinzu kommen die vielsei- die spezifischen Fragestellungen und Ergebnisse der einzelnen tigen Auswirkungen des Klimawandels auf den lokalen Wasser- Teilanalysen dargestellt, diskutiert und Schlussfolgerungen ge- kreislauf und die sensiblen alpinen Ökosysteme. Es stellt sich zogen. Die jeweils betroffenen Stakeholder und Stakeholderin- somit die Frage, wie ein nachhaltiger Umgang mit der Natur in der nen werden in den Kapiteln zu den Teilanalysen erwähnt und am Gemeinde Luzein in Anbetracht des Klimawandels aussehen kann. Ende des Berichts zusammenfassend dargestellt. Da sich Teile Die Studierenden haben sich dieser Frage anhand von sechs der rechtlichen Grundlagen der Teilanalysen überschneiden, wur- Teilanalysen genähert, welche von der Begleitgruppe der Lehr- den die gesetzlichen Bestimmungen in einem separaten Kapitel veranstaltung in Zusammenarbeit mit den Teilanalyse-Experten zusammengefasst.
Falldossier zur Lehrveranstaltung Umweltproblemlösen 2020/2021 5 2 Vorgehensweise Die Recherche der Teilanalysegruppen stützte sich hauptsäch- fische Literatur finden, sodass regionale und nationale Quellen, lich auf Online-Suchmaschinen für wissenschaftliche Artikel (z.B. wie Berichte kantonaler Ämter und des Bundes, Zeitungen, Web- ETH Bibliothek, NEBIS, Web of Science, Google Scholar) und der sites, Medienmitteilungen und Entwicklungspläne, als Referenz in der Lehrveranstaltung zur Verfügung gestellten Ausgangslite- verwendet wurden. ratur. Die Schneeballmethode und systematische Suche wurden angewendet (vgl. Krämer, 1995). Eine weitere wichtige Informa- Acht Studierende aus der Teilanalyse Klimawandel und Schnee tionsquelle waren lokale Experten und Expertinnen, welche bei modellierten für das Fallgebiet eine kurz-, mittel- und langfristige Einleitungsvorträgen, Fragestunden und der virtuellen Exkursion Vorhersage der Temperaturentwicklung im Vergleich zur Refe- im November 2020 von den Studierenden befragt werden konnten. renzperiode 1981-2010. Diese wurde für die Klimaszenarien RCP Jede Teilanalysegruppe führte basierend auf dem Konzept von 2.6 und RCP 8.5 in Zusammenarbeit mit Reto Hefti (ehemaliger Ackermann & Eden (2011) eine Stakeholderanalyse durch, um die Leiter Amt für Wald und Naturgefahren GR) berechnet. Basierend relevanten Interessensgruppen zu identifizieren. auf Messdaten der Meteo Swiss in Davos wurde die dazugehörige Änderung der Schneefallgrenze in Luzein ermittelt. Dabei wurde Als zentrale Herausforderung gilt der Umgang mit widersprüch- angenommen, dass die Schneefallgrenze 100 m tiefer als die Null- lichen Aussagen von Stakeholdern und Stakeholderinnen und der gradgrenze liegt. Literatur. Ebenso liess sich selten für die Gemeinde Luzein spezi-
6 Nachhaltiger Umgang mit der Natur in der Gemeinde Luzein 3 Klimawandel und Schnee 3.1 Einleitung Nullgradgrenze im Winter um 300-400 m und der seit den 1970er Jahren beobachtete Rückgang der Anzahl Schneetage. Die Anzahl Der Klimawandel wirkt auf Mensch und Umwelt. Dessen Aus- Schneetage auf 2000 m hat um 20% und unterhalb 800 m um 50% wirkungen stellt die Schweiz vor regional differenzierte Heraus- abgenommen. Daraus folgt auch eine Zunahme der Vegetations- forderungen, welche einen spezifischen Umgang fordern (Me- zeit um zwei bis vier Wochen (NCCS, 2018a). teo Schweiz, 2018). Die Basis für die Anpassungsstrategie der Schweiz an den Klimawandel bilden die Klimaszenarien CH2018 Im Auftrag des Bundes wurde der Klimabericht 2018 (NCCS, (NCCS, 2018b). Darin enthaltene Ergebnisse können dann auf die 2018a) erstellt. Darin enthalten sind aktuelle Klimadaten und pro- Gemeinde Luzein übertragen werden. Dies ist relevant, da sich gnostizierte zukünftige Szenarien bis 2035, 2060 und 2085. Sie das Relief der Gemeinde Luzein von 680 m.ü.M. bis zu 2826 m.ü.M. dienen zur Beurteilung der Auswirkungen des Klimawandels in erstreckt und sich alleine durch den Höhenunterschied unter- der Schweiz und liefern eine wichtige Grundlage für Entscheidun- schiedliche Herausforderungen innerhalb der Gemeinde ergeben gen zu Anpassungs- und Minderungsstrategien (vgl. NCCS, 2018a). können (Gemeinde Luzein, 2020c). Im Bericht werden die Auswirkungen des Klimawandels als drei Representative Concentration Pathways (RCPs) dargestellt. Die Mithilfe der Klimaszenarien CH2018 soll die Frage nach der Be- Szenarien RCP 2.6, 4.5 und 8.5 unterscheiden sich hinsichtlich deutung des Klimawandels für die Gemeinde Luzein und deren ihres Masses der angestrebten Emissionsminderung und haben Herausforderungen beantwortet werden. Zunächst werden die dadurch variierende Charakteristika und Entwicklungspfade. In Ausgangslage und die Zukunftsprognosen der nächsten 50 Jahre der Tabelle 3.1 werden die Referenzszenarien (RCPs) erklärt. vorgestellt. Danach liegt der Fokus auf der durch den Klimawan- del hervorgerufenen Verschiebung der Schneegrenze. Des Wei- Klimadiagramme der nächsten 50 Jahre teren werden im Zusammenhang stehende Herausforderungen Um Aussagen über die lokalen Auswirkungen auf die Gemeinde wie Trockenheit, Murgänge und der saisonale Tourismus im Bezug Luzein zu machen, werden im Folgenden die RCPs der Ostalpen zur Gemeinde Luzein besprochen. Zuletzt werden die Klimastra- und Davos bis 2085 als Referenzwerte für Zukunftsprognosen tegien des Kantons Graubünden aufgeführt. In der Diskussion betrachtet. Vereinfachend sind bei den Temperatur- und Nieder- werden die Resultate besprochen und in der Schlussfolgerung schlagsprognosen nur die RCPs bis 2085 aufgeführt. zusammengefasst. Wie in Abbildung 3.1 zu sehen ist, zeigen alle RCPs einen Anstieg 3.2 Resultate der Temperatur, welcher vor allem in den Monaten Mai bis Oktober am stärksten von der Normalperiode abweicht. Die Klimadaten 3.2.1 Klimawandel und Klimaszenarien CH2018 des RCP 8.5 übersteigen mit einer Erwärmung von bis zu 6 °C Um die Auswirkungen des Klimawandels auf die Gemeinde Luzein sogar die in der Tabelle 3.1 aufgeführte Erwärmung von 4–5 °C. zu verstehen, muss die heutige Ausgangslage bekannt sein. Denn Trifft der Anstieg der Temperatur auf eine niederschlagsarme die Auswirkungen des Klimawandels sind bereits jetzt spürbar Periode, welche Wochen bis Monate dauert, ist die Folge Trocken- und ihr Wirken ist in ökonomischen Sektoren wie dem Tourismus, heit (Köllner et al., 2017). der Landwirtschaft aber auch Infrastrukturen wie Wasserver- sorgungssystemen in der gesamten Schweiz sichtbar. Messungen Die Niederschlagswerte in Abbildung 3.2 hingegen sind weniger der letzten 150 Jahre zeigen einen Anstieg der Bodentemperatur deutlich. Zu erkennen ist jedoch ein Trend der abnehmenden Nie- um ca. 2.0 °C. Auch in der Form und Verteilung des Niederschlags derschlagsmenge im Sommer. sind Unterschiede erkennbar, welche aber nicht ausschliesslich auf den Klimawandel zurückzuführen sind, sondern auch einer Die Häufigkeit und Intensität der Regentage werden mit den Da- natürlichen Variabilität zugeschrieben werden können. Dazu ge- ten der Ostalpen dargestellt. Dabei sind für alle RCP-Szenarien hört der Anstieg des Winterniederschlags um 20-30%. Deutlich sämtliche Zeitperioden aufgeführt. In Abbildung 3.3 ist zu sehen, dem Klimawandel zuzuschreiben ist jedoch die zunehmende dass sämtliche Prognosen von der Normalperiode abweichen. Intensität (+12%) und Häufigkeit (+30%) des Niederschlags seit Die Abweichung der Mittelwerte innerhalb der Saison des RCP Anfang des 20. Jahrhunderts. Für die Gemeinde Luzein beson- 2.6 bleiben bis 2085 gering. Vergleicht man sie mit dem RCP 8.5 ders relevant sind Auswirkungen wie der allgemeine Anstieg der sind deutlich stärkere negative Abweichungen von Frühling bis
Falldossier zur Lehrveranstaltung Umweltproblemlösen 2020/2021 7 Tabelle 3.1 Übersicht der Referenzszenarien (RCPs) (Akademien der Wissenschaften Schweiz, 2016 S. 39). Szenario RCP- Charakteristika Entwicklungspfad entsprechende SRES-Sze- Szenario narien Szenario ohne RCP8.5 • keine expliziten Klimaschutz- steigend • SRES-A1F1 explizite Mass- massnahmen • Erwärmung im Jahr 2100: • SRES-A1B und SRES-A2: nahmen zum • Verbesserung der Energie- 4–5°C relativ zum vorindust- auch Szenarien mit hohem Klimaschutz effizienz und Zunahme von riellen Niveau CO2-Ausstoss, dieser ist (kurz: Referenz- CO2-freier Energieerzeugung • Strahlungsantrieb: 8.5 W/m2 jedoch etwas geringer als szenario) soweit wirtschaftlich renta- im Jahr 2100 beim Szenario SRES-A1F1 bel. • CO2-Äquivalent: 1370 ppm und RCP8.5, aber weit unter dem Ausstoss in Stabilisie- rungsszenarien. Szenario mit RCP4.5 • Senkung der Treibhausgas- steigend • SRES-B1 ist sehr ähnlich, schwacher emissionen im Laufe des 21. • Erwärmung im Jahr 2100: wenn man den verlauf der Emissionsmin- Jahrhunderts, aber unzu- ~2.5°C relativ zum vorindust- Erwärmung bis 2100 be- derung (kurz: reichend, um den globalen riellen Niveau trachtet. Stabilisierungs- Temperaturanstieg vor dem • Strahlungsantrieb: 4.5 W/m2 szenario) Jahr 2100 zu stabilisieren. im Jahr 2100 • CO2-Äquivalent: 650 ppm Szenario mit RCP2.6 • Starke Senkung der Treib- Peak und Rückgang • Kein vergleichbares SRES- starker Emis- (oder hausgasemissionen im Laufe • Erwärmung im Jahr 2100: Szenario verfügbar. sionsminderung RCP3PD) des 21. Jahrhunderts ~1.5°C relativ zum vorindust- (kurz: Verminde- • Erhöhte Verbesserung riellen Niveau rungsszenario) der Energieeffizienz und • Strahlungsantrieb: 3 W/m2 Zunahme von CO2-freier vor dem Jahr 2100, danach Energieerzeugung, ohne das sinkend auf 2.6 W/m2 bis im wirtschaftliche Wachstum zu Jahr 2100 gefährden. • CO2-Äquivalent: 490 ppm Herbst im Vergleich zur Normalperiode sichtbar. Für das RCP 8.5 im Vergleich zur Intensität der Normalperiode zu erkennen ist. ist die Abweichung zur Normalperiode bis 2085 im Sommer und In Abbildung 3.5 werden die RCPs bis 2085 der Neuschneetage in Herbst am deutlichsten. den Alpen mit der Normalperiode verglichen. Eine Abnahme der Anzahl Neuschneetage ist deutlich zu erkennen. Sie variiert je Die Intensität der Regentage ist in Abbildung 3.4 dargestellt. Die nach RCP und Höhenlage. Die Abnahmen der RCP 8.5 ist stärker Mittelwerte allen RCPs zeigen einen bis 2085 zunehmenden posi- als die der anderen Szenarien. Auf 800m kann schlimmstenfalls tiven Trend. In RCP 8.5 ist die Veränderung deutlich. Von Herbst mit einem Rückgang von 50% und auf 2000m von bis zu 30% Neu- bis Frühling ist somit mi einer deutlichen Zunahme der Intensität schneetagen gerechnet werden. zu rechnen, wohingegen für den Sommer kaum eine Abweichung
8 Nachhaltiger Umgang mit der Natur in der Gemeinde Luzein Temperatur Temperatur Temperatur 3.2.2 Auswirkungen des Klimawandels auf Davos Davos Davos Normperiode 2085 Normperiode 2085 Normperiode 2085 die Gemeinde Luzein 1981− 2010 RCP2.6 1981− 2010 RCP4.5 1981− 2010 RCP8.5 Verschiebung der Schneegrenze 20 15 20 15 20 15 Wie bereits erwähnt, reicht die Gemeinde Temperatur (°C) Temperatur (°C) Temperatur (°C) 10 10 10 Luzein von 680 m ü. M. bis zu 2826 m ü. M. 5 5 5 0 0 0 Das beträchtliche Relief zeigt, dass innerhalb −5 −5 −5 der Gemeinde dazugehörige Dörfer wie Pany − 10 − 10 − 10 Jan Mär Mai Jul Sep Nov Jan Mär Mai Jul Sep Nov Jan Mär Mai Jul Sep Nov (1250 m ü. M.), Luzein (958 m ü. M) und St. © Klimaszenarien CH2018 © Klimaszenarien CH2018 © Klimaszenarien CH2018 Antönien (1450 m ü. M.) mit mindestens 200 m Höhenunterschied zueinander liegen (Ge- Abbildung 3.1 Temperaturprognosen für Davos (NCCS, 2018). meinde Luzein, 2020c). Es kommt somit auf- grund der Höhenlage zu einer unterschiedli- Niederschlag Niederschlag Niederschlag Davos Davos Davos chen Ausprägung des Klimawandels. Deutlich Normperiode 1981− 2010 2085 RCP2.6 Normperiode 1981− 2010 2085 RCP4.5 Normperiode 1981− 2010 2085 RCP8.5 wird das in Prognosen zur Nullgradgrenze, 200 200 200 Neuschneetagen und der Schneegrenze. Um Niederschlag (mm pro Monat) Niederschlag (mm pro Monat) Niederschlag (mm pro Monat) 150 150 150 die durch den Klimawandel verursachte Ver- 100 100 100 schiebung der Schneegrenze und deren Be- 50 50 50 deutung für Luzein zu verstehen, haben acht Studierende der Modellierungsgruppe mit 0 0 0 Jan Mär Mai Jul Sep Nov Jan Mär Mai Jul Sep Nov Jan Mär Mai Jul Sep Nov Temperaturprognosen für die Messstation Da- © Klimaszenarien CH2018 © Klimaszenarien CH2018 © Klimaszenarien CH2018 vos (Meteo Schweiz, 2020) die Schneegrenze Abbildung 3.2 modelliert. Mit den folgenden Angaben von Jahresniederschlagsprognosen für Davos (NCCS, 2018). Reto Hefti (Fachexperte der Teilanalyse Kli- mawandel und Schnee) wurde gerechnet: Häufigkeit von Regentagen Häufigkeit von Regentagen Häufigkeit von Regentagen Abweichung von der Normperiode 1981− 2010 Abweichung von der Normperiode 1981− 2010 Abweichung von der Normperiode 1981− 2010 Alpen Ost 2035 Alpen Ost 2035 Alpen Ost 2035 1. Die Messstation Davos liegt auf RCP2.6 2060 2085 RCP4.5 2060 2085 RCP8.5 2060 2085 1 596 m ü. M. 30 20 30 20 30 20 2. Der Temperaturgradient beträgt Abweichung (%) Abweichung (%) Abweichung (%) 10 0 10 0 10 0 175 m pro °C. − 10 − 10 − 10 3. Die Schneegrenze liegt 100 m − 20 − 20 − 20 − 30 − 30 − 30 unter der Nullgradgrenze. − 40 − 40 − 40 Winter Frühling Sommer Herbst Winter Frühling Sommer Herbst Winter Frühling Sommer Herbst © Klimaszenarien CH2018 © Klimaszenarien CH2018 © Klimaszenarien CH2018 Daraus ergibt sich die verwendete Formel für Abbildung 3.3 die Schneegrenze (Cheda et al., 2020): Prognose für die Häufigkeit von Regentagen der Ostalpenregion (NCCS, 2018). Schneegrenze = 1 596 m ü. M. + 175 * T −100 m Intensität von Regentagen Intensität von Regentagen Intensität von Regentagen Abweichung von der Normperiode 1981− 2010 Abweichung von der Normperiode 1981− 2010 Abweichung von der Normperiode 1981− 2010 Alpen Ost 2035 Alpen Ost 2035 Alpen Ost 2035 Die Berechnungen wurden jeweils für die RCP RCP2.6 2060 RCP4.5 2060 RCP8.5 2060 2085 2085 2085 2.6 und 8.5 durchgeführt, beziehen sich auf Abweichung (mm pro Tag) Abweichung (mm pro Tag) Abweichung (mm pro Tag) 2 2 2 1.5 1.5 1.5 Veränderungen bis 2085 und werden der Nor- 1 0.5 1 0.5 1 0.5 malperiode (Referenz 1981–2010) gegenüber- 0 0 0 gestellt. Die Modellierung der Schneegrenze − 0.5 − 0.5 − 0.5 −1 −1 −1 in Abbildung 3.6 verdeutlicht den ganzjähr- Winter Frühling Sommer Herbst © Klimaszenarien CH2018 Winter Frühling Sommer Herbst © Klimaszenarien CH2018 Winter Frühling Sommer Herbst © Klimaszenarien CH2018 lichen Anstieg der Schneegrenze, sowohl im Verminderungs- als auch im Referenzszena- Abbildung 3.4 Prognose für die Intensität von Regentagen der Ostalpenregion. rio. Neuschneetage Neuschneetage Neuschneetage Das Verminderungsszenario (RCP 2.6) zeigt Alpen Normperiode 2085 Alpen Normperiode 2085 Alpen Normperiode 2085 einen durchschnittlichen Anstieg von 200 m. 1981− 2010 RCP2.6 RCP4.5 1981− 2010 RCP2.6 RCP8.5 1981− 2010 RCP4.5 RCP8.5 Überträgt man diese Verschiebung auf die Dörfer Pany, Luzein und St. Antönien wird die 2500 m 2500 m 2500 m Veränderung innerhalb der Gemeinde deut- 1500 m 1500 m 1500 m lich. Beispielsweise liegt im November die 800 m 800 m 800 m Schneegrenze auf über 1 200 m und im Janu- ar auf über 800 m. Das bedeutet Luzein wird 0 20 40 60 80 100 0 20 40 60 80 100 0 20 40 60 80 100 Tage pro Jahr © Klimaszenarien CH2018 Tage pro Jahr © Klimaszenarien CH2018 Tage pro Jahr © Klimaszenarien CH2018 im Winter potentiell schneefrei sein und der Schneefall in Pany wird später einsetzen als Abbildung 3.5 in der Normalperiode. Im RCP 8.5 ist die Ver- Neuschneeprognosen der Alpen.
Falldossier zur Lehrveranstaltung Umweltproblemlösen 2020/2021 9 Abbildung 3.6 Modellierung Schneegrenze in Luzein bis 2085 (Cheda et al., 2020). Abbildung 3.8 100 Tage Regel für Küblis 1960-2020 (Pfalzgraf, 2020b mit Daten von SLF, schiebung extremer. Die durchschnittliche Schneegrenze soll sich 2020a). um 600–700 m verschieben. So wäre nicht nur Luzein komplett schneefrei, sondern auch Pany. Das auf 1 450 m liegende Dorf St. und die blauen den drei Zeitperioden. Die dunkelblaue Linie ent- Antönien bleibt zwar verschont, aber es muss mit einer verkürz- spricht den 1995 erhobenen Messdaten und deckt sich mit der ten Schneefallperiode gerechnet werden, da die Schneegrenze Gemeindegrenze. unterhalb 1 500 m erst im Dezember erreicht wird. Die bereits in den letzten 150 Jahren gestiegene Schneegrenze In Abbildung 3.7 ist die Verschiebung der Schneegrenze des RCP bedeutet auch einen Rückgang der Schneetage. Abbildung 3.8 8.5 eingezeichnet. Die rote Linie entspricht der Gemeindegrenze zeigt, dass seit den 1960ern ein Rückgang der Anzahl Schneetage Abbildung 3.7 Zukünftige Schneegrenze in Luzein mit RCP 8.5 (AWN, 2020b).
10 Nachhaltiger Umgang mit der Natur in der Gemeinde Luzein mit mehr als 30 cm Schnee zu verzeichnen ist. Zwar liegt Küblis speichert ist. Es folgen Kriechbewegungen, welche zusätzlich für auf 814 m und entspricht nur einem Teilgebiet der Gemeinde Lu- eine zunehmende Verschlechterung der Hang- und Felsstabilität zein, dennoch kann der statistisch signifikante Rückgang auch auf sorgen (vgl. Marty, Phillips, Lehning, Wilhelm, & Bauder, 2009). die höher liegenden Regionen sinnbildlich übernommen werden Somit steigt mit der zunehmenden Temperatur auch das Risiko von Hangrutschungen und Steinschlägen in der Gemeinde Luzein Herausforderungen (ALG, 2021b). Mit den Zukunftsprognosen können bevorstehende Herausfor- derungen erkannt und Handlungsbedarf festgestellt werden. So Die Gefährdung durch Rutschungen innerhalb der Gemeinde Lu- beeinflusst die steigende Anzahl Extremwetterereignisse die zein ist in Abbildung 3.9 eingezeichnet. Für grosse Gebiete ist die Schneegrenze. Deren Erhöhung wiederum bewirkt ein zuneh- Gefährdung gering (gelbe Bereiche). In St. Antönien sind einige mendes Risiko durch Naturgefahren. Diese können in Form von mittel (violett) bis stark (rote) gefährdete Bereiche eingezeichnet. Hangrutschungen, Steinschlägen, Lawinen, Hochwasser und Mur- Jedoch sieht man anhand der braunen Färbung, dass im Grossteil gängen die Infrastruktur und andere ökonomische Sektoren wie der Gemeinde keine Daten vorhanden sind (ALG, 2021a). den Tourismus und die Landwirtschaft beeinflussen (ALG, 2021a; AWN, 2009; BAFU, 2020a). Im Folgenden werden zunächst die Lawinen Naturgefahren besprochen, danach deren Auswirkungen auf die Die Täler der Gemeinde Luzein sind bekannt als Lawinentäler und Gemeinde Luzein. laut Flütsch (2020b) wurde bereits in Lawinenverbauungen in- vestiert um die Dörfer zu schützen. Im darauffolgenden Kapitel Hangrutschungen und Steinschläge «Naturgefahr Lawinen» wird die Problematik ausführlich behan- Hangrutschungen und Steinschlägen kommen im alpinen Raum delt. Zu den wichtigen Parametern spontaner Lawinen gehören wiederholt vor und auch die Gemeinde Luzein war dieser Gefahr die Schneefallintensität und -dauer, die Schneebeschaffenheit, bereits ausgesetzt (ALG, 2021a). Das Auslösen von Hangrutschun- sowie Windstärke, Temperatur und Regen (Marty et al., 2009). gen und Steinschlägen kann über Jahre oder Jahrzehnte oder in Sämtliche dieser Faktoren werden durch den Klimawandel ver- spontanen Ausbrüchen geschehen. Ein vorantreibender Faktor ändert. Durch die steigende Schneegrenze steigt die Gefahr von stellt die steigende Temperatur dar, da sie die Beschaffenheit von Nassschneelawinen. Sie werden meist spontan und bei starker Wasser und Eis beeinflusst, welches in Böden und Gestein ge- Erwärmung ausgelöst. Nach Hardegger (2020c) sind diese be- Abbildung 3.9 Gefahrenkarte für Rutschungen in Luzein; Massstab: 1:50 000 (ALG, 2021a).
Falldossier zur Lehrveranstaltung Umweltproblemlösen 2020/2021 11 sonders gefährlich, da sie aufgrund ihres nicht linearen Verlaufs dessen nicht rentabel. Folglich sieht Hardegger (UPL ETH Zürich, in Geländeknicks abbrechen und die umliegende Infrastruktur ge- 2020h) neue Möglichkeiten für Einnahmequellen in anderen Tou- fährden können. Grosslawinen können Gebiete der Streusiedlung rismusbereichen. Im Fokus steht die Förderung des Sommer- von der Aussenwelt abschneiden. Laut Hardegger (2020c) kommt tourismus mit zusätzlichen Angeboten wie das Klettern (Fromm, es trotz verbesserten Verkehrswegen und Lawinenverbauungen 2020) Abschn. 7:30min). Gelingt es der Gemeinde, die Trockenpe- bei Starkschneefällen zu Strassensperrungen. riode im Sommer touristisch zu nutzen, bieten sich durchaus auch Chancen für die Gemeinde (ANU, 2015c; Ernst Flütsch, 2020c). Hochwasser und Murgänge Bisher blieb die Gemeinde Luzein von grösseren Schäden durch Biodiversität und Landwirtschaft Hochwasser oder Murgänge verschont (Hardegger, 2020a). In Zu- Im Aktionsplan 2020–2025 (BAFU, 2020a) steht, dass durch die kunft wird jedoch eine Häufung an extremen Niederschlagsereig- steigende Schneefallgrenze zahlreiche Lebensräume verändert nissen (Meteo Schweiz, 2018) prognostiziert, welche zusammen werden. Je nach Höhenlage und lokalen Bedingungen kann dies mit der auftretenden Schneeschmelze im Frühling zu Hochwasser positiv oder negativ auf die Zusammensetzung und Vielfalt der führen. Diese wiederum erhöhen die Erosionen und begünstigen Arten wirken. Mit einem Anstieg der Temperatur leiden gewisse die Bildung von Murgängen (vgl. Marty et al., 2009). Die steigende Artbestände, welche auf feuchte und kühle Lebensräume ange- Schneegrenze beeinflusst den Niederschlag im Winter. Das ver- wiesen sind (Stöckli & Ammann, 2015 S.38). Davon betroffen ist mehrte Auftreten von Niederschlag in Form von Regen anstatt die Moorlandschaft Tratza-Pany (BAFU, 2019b). Die Sommertro- Schnee erhöht das Hochwasserrisiko im Winter (Köllner et al., ckenheit kann in Hochmooren zur Bedrohung von Organismen 2017). Dieser Effekt könnte auch die Hochwassersaison im Früh- führen, die auf eine Tarnung oder den Kälteschutz der Schnee- ling und Herbst verlängern (ANU, 2015d). Auch Starkniederschlä- decke angewiesen sind (vgl. Stöckli, Ammann, & Stal, 2015 S.32- ge erhöhen das Hochwasserrisiko (Akademien der Wissenschaf- 38). Der Verlust von Hochmooren bedeutet auch die Freisetzung ten Schweiz, 2016; Meteo Schweiz, 2019). Hochwasser, welche von von CO2 aufgrund der fehlenden Torfbildung, die als natürlicher Murgängen begleitet werden, könnten laut Hardegger (2020a) für CO2-Speicher dienen (Niedermair et al., 2011). Pany und St. Antönien eine Gefahr darstellen (ALG, 2021b). In Skigebieten mit Kunstschnee ist eine spätere Schneeschmelze Tourismus zu beobachten, die den natürlichen Pflanzenzyklus verzögert und In Luzein ist der Tourismus eine der Haupteinnahmequellen (ANU, einschränkt. Ausserdem sind Veränderungen der Pflanzenzu- 2015d). In Artikel 84 Absatz 1 und 2 der Kantonsverfassung Grau- sammensetzung aufgrund des für die Beschneiung verwendeten bündens ist der Erhalt und die Förderung von Arbeitsplätzen ver- Wassers aus Flüssen und Seen möglich (vgl. Rixen, Stoeckli, & pflichtend und sowohl der Kanton als auch die Gemeinde sind so- Ammann, 2003). mit daran interessiert den Tourismussektor trotz Klimawandel in Zukunft zu erhalten. Im Winter sind Pany und St. Antönien für Ski- Die steigende Anzahl Naturgefahren können sowohl die Biodiver- touren und Schneesportarten bekannt, im Sommer dagegen als sität als auch die Landwirtschaft beeinträchtigen (AWN, 2009). Wander- und Kletterreiseziele beliebt (Gemeinde Luzein, 2020c; Die Auswirkungen auf die Landwirtschaft aufgrund einer länge- UPL ETH Zürich, 2020b). ren Sommerperiode und der ausbleibenden Schneemenge sind eine verlängerte Vegetationsperiode für Pflanzen und Weidezeit Für den Wintertourismus ist der Schnee der wichtigste Entschei- für Tiere auf Alpweiden. Durch den Temperaturanstieg nehmen dungsfaktor (Steiger, Posch, Tappeiner, & Walde, 2020). Die beiden auch die Schadstofforganismen zu (Stöckli & Ammann, 2015 S.25 Skigebiete der Gemeinde Luzein liegen auf 1330 m.ü.M. bis 1656 u. S.38). Weitere Probleme können die im Frühjahr geringere m.ü.M (Skilift Junker AG, 2021). Nach Elsasser and Bürki (2002) Schneeschmelze sein, welche durch Bewässerung aus anderen ist für die Erhaltung des Wintertourismus die Schneesicherheit Quellen ergänzt werden muss (vgl. Qin et al., 2020). entscheidend, welche erreicht wird, wenn eine Schneedecke von mindestens 30 – 50 cm für mindestens 100 Tage liegen bleibt. 3.2.3 Klimastrategien Cheda et al. (2020) zeigen, dass die Anzahl der Tage mit mehr als Die künftige Veränderung ist abhängig von den globalen Treib- 30 cm Schnee in den letzten 60 Jahren zwar eingehalten wurden, hausgasemissionen und wie schnell und umfassend es diese zu aber signifikant zurückgegangen sind und die Schwankungen der senken gelingt. Das CO2-Gesetz beauftragt in Artikel 8 den Bund Anzahl Schneetage pro Jahr immer grösser werden. Es ist somit die Anpassungsmassnahmen zu koordinieren und für die Bereit- mit einer bis 2085 anhaltenden Abnahme der Schneebedeckung stellung der dafür nötigen Grundlagen zu sorgen. Der Klimawan- in Luzein zu rechnen. del wirkt sich direkt und indirekte auf unsere Umweltsysteme aus und dementsprechend werden Massnahmen zur Anpassung Im Vergleich zu höher gelegenen Skigebieten wird die Gemeinde gefordert. Luzein aufgrund der ansteigenden Schneegrenze an Attraktivität verlieren. Kurz- bis mittelfristig kann dies mit dem Einsatz von Die Massnahmen zur Anpassung werden im Aktionsplan «An- Schneekanonen kompensiert werden (Fischlin & Haeberli, 2008) passung an den Klimawandel in der Schweiz» aufgeführt. Darin wie dies heute bereits in Pany geschieht (Kasper, 2020c). Seit 2012 enthaltene Anpassungsmassnahmen werden in dreizehn Sektor- sind einige wenige Beschneiungsanlagen in Betrieb. Längerfristig politiken unterteilt. Darunter fallen der Tourismus, der Umgang ist die Wirtschaftlichkeit des Skigebietes bedroht (Köllner et al., mit Naturgefahren sowie die Landwirtschaft (vgl. BAFU, 2018a, 2017), da in kleinen Skigebieten die Kosten für die Beschneiungs- 2020a). Die jeweiligen Anpassungsstrategien sind vielseitig. Für anlagen enorm hoch sind (Elsasser & Bürki, 2002) und aufgrund den Tourismus wäre beispielsweise die Diversifizierung des tou-
12 Nachhaltiger Umgang mit der Natur in der Gemeinde Luzein ristischen Angebots vorgesehen. Unterstützt werden betroffene 3.2.4 Rechtliche Grundlagen Gebiete durch spezifische Förderprogramme. Ein weiteres Bei- Der in der Bundesverfassung (BV) verankerte Art. 73 BV ver- spiel wäre die Entwicklung und Verbesserung von Früherken- pflichtet den Bund und die Kantone ein auf Dauer ausgewogenes nungs- und Monitoring-Systemen (vgl. BAFU, 2020a). Verhältnis zwischen Natur und Mensch anzustreben. In Art. 74 BV ist verankert, dass der Bund für die Erlassung von Vorschriften Die Schweiz betreibt integrales Risikomanagement. Gearbeitet zum Schutz des Menschen und der natürlichen Umwelt vor schäd- wird dabei mit Gefahrenzonenplänen, technischen Schutzmass- lichem Einwirken verantwortlich ist und solche Einwirkungen ver- nahmen, Aufforstung und Waldpflege (AWN, 2009). Der Bund hindert werden sollen. Darin ist ebenfalls geregelt, dass es die kümmert sich um die Koordination der Anpassungsmassnah- Aufgabe der Kantone ist die Vorschriften einzuhalten. men, stellt notwendige Grundlagen, führt Datenerhebungen aus und beteiligt sich massgebend an der Finanzierung der Schutz- Für das Klima ist das CO2 Gesetz relevant. Es wurde basierend auf massnahmen (BAFU, 2017b). Auf kantonaler Ebene müssen die Art. 74 erlassen und ist 2013 in Kraft getreten (CO2-Gesetz, 2011). Massnahmen an die lokalen Verhältnisse angepasst werden. Die kantonale Gesetzgebung verpflichtet den Kanton und seine Dafür erstellt das BAFU Online-Tools, die als Hilfestellung für Gemeinden in Art. 80 KRG eine nachhaltige Entwicklung des Kan- Gemeinden zur Erstellung lokaler Anpassungspläne dienen (vgl. tonsgebiets anzustreben. In Art. 82 Abs. 2 KRG werden Kanton BAFU, 2020a). Beispielsweise fordert die Zunahme von Lawinen und Gemeinde zum umweltschonenden Umgang mit erneuer- Schutzvorkehrungen wie Schutzwälder und Lawinenverbauun- baren Energien verpflichtet. gen. In Luzein schützen Lawinenbauten aus Beton, die laufend durch Stahlkonstruktionen ersetzt werden, die Gemeinde. Bei 3.2.5 Stakeholder und Stakeholderinnen Murgängen ist die wirksamste Massnahme der Schutzwald und Zum Tourismussektor in Luzein gehören die lokalen Skigebiete, die Verhinderung von Verklausung in Bächen (vgl. AWN, 2009). Gastronomie und Hotellerie sowie die Tourismusverbände. Alle Hochwasserschutzkonzepte hingegen lassen sich mit Renatu- sind auf die Erhaltung des Tourismus angewiesen. Mit einem er- rierungen eindämmen, da Moore als Überschwemmungsflächen warteten Rückgang des Wintertourismus ist der Erhalt der Ski- Wasser zurückhalten (Stiftung Wirtschaft und Ökologie SWO, n.d.). gebiete erschwert. Betreiber und Betreiberinnen der lokalen Der Hochwasserschutz von Luzein liegt gemäss Art. 2 und 3 WBG Skigebiete können zwar wenig Einfluss auf den Erhalt des Win- in der Verantwortung des Kantons Graubünden und wird vom tertourismus nehmen, sind aber interessiert die Auswirkungen Bund gefördert. Die Erstellung von Schutzbauten gegen Hoch- des Klimawandels möglichst gering zu halten. Als Anpassungs- wasser und Murgänge wird vom Amt für Wald und Naturgefahren strategie ist eine Aufwertung des Sommertourismus geplant. So Graubünden koordiniert (AWN, 2021b). sollen künftige Defizite der Wintersaison ausgleichen werden. Die Umgestaltung geschieht durch die Tourismusverbände, welche Bundesamt für Umwelt (BAFU) Bundesamt für Landwirtschaft (BLW) Pro Natura Prättigau Tourismus GmbH Amt für Natur und Umwelt Amt für Wald und Naturgefahren Skilift Junker AG & Skilift Pany AG Gemeinde Luzein Graubünden (ANU) Graubünden (AWN)
Falldossier zur Lehrveranstaltung Umweltproblemlösen 2020/2021 13 den Ort vermarkten. Ihr Gelingen wirkt sich positiv auf Gastro- Kunstschneeproduktion würde zudem den Wasserverbrauch er- nomie und Hotellerie aus. höhen (Rixen et al., 2011). Da der Wintertourismus eine wichtige Einnahmequelle der Gemeinde darstellt, ist der Umgang mit dem Das Amt für Wald und Naturgefahren (AWN) ist die kantonale Klimawandel besonders wichtig, da beispielsweise mit dem RCP Fachstelle für Wald und dem Schutz vor Naturgefahren. Es unter- 2.6 der Wintertourismus erhalten bleiben könnte. stützt die Gemeinde bei Schutz vor Naturgefahren und hat ange- sichts des zunehmenden Risikos eine zunehmende Bedeutung. Die steigende Schneefallgrenze beeinflusst auch die Vegetati- Um die Attraktivität der Gemeinde als Wohnort und Reiseziel zu onsperiode. Eine Verlängerung um zwei bis vier Wochen könnte erhalten, sind Sicherheit und Schutz von zentraler Bedeutung. Chancen für die Landwirtschaft und Biodiversität bedeuten. Es Somit teilen Einwohner und Einwohnerinnen und das AWN das- kann aber auch zu negativen Veränderungen wie Habitats- und selbe Interesse. Der Bund beteiligt sich dabei massgebend an Artenverlust führen. der Finanzierung der Schutzmassnahmen. Dazu gehören sowohl Frühwarnsysteme als auch bauliche Massnahmen. Mit der Veränderung der Häufigkeit und Intensität von Regen- fall werden Naturereignisse wie Nassschneelawinen, Murgänge, Auswirkungen des Klimawandels gefährden die Biodiversität. Hochwasser und Hangrutschungen zunehmen. Dies gefährdet Besonders Naturschutzverbände wie Pro Natura sind daran Anwohner und Anwohnerinnen und die Infrastruktur. Steigt das interessiert die Artenvielfalt zu fördern und Habitate zu schüt- Risiko, verringert sich die Attraktivität der Gemeinde Luzein als zen. Trockenheit bewirkt einen ansteigenden Wasserverbrauch Erholungs- und Freizeitraum. Zudem fallen Kosten für das Erstel- im Sommer, um die Landwirtschaft zu erhalten. Auch kommt es len von Schutzbauten und Frühwarnsystemen an. Da viele Natur- infolge von Hitzewellen zu Ertragsschwankungen. Starknieder- gefahren durch ihre spontanen Ausbrüche schwer vorauszusagen schläge im Winter verursachen Bodenerosion und verstärken das sind, ist die Verwendung von Gefahrenkarten umso wichtiger. So Hochwasserrisiko und die Landwirtschaft als auch Anwohner und wären beispielsweise Monitoring und Datenerhebungen hilfreich Anwohnerinnen sind gefährdet. Vom Bund unterstützte Beobach- um bestehende Gefahrenkarten zu vervollständigen. tungen der klimatischen Bedingungen und Topographie sind von grosser Bedeutung, um Schäden zu verhindern. Der Umgang mit dem Klimawandel ist auf nationaler Ebene durch den Klimabericht und den Aktionsplan 2020–2025 geregelt. Die 3.3 Diskussion Datengrundlage wird somit mit dem Klimabericht zur Verfügung gestellt und muss auf die Herausforderungen des jeweiligen Die Auswirkungen des Klimawandels sind bereits heute spürbar Kantons und dessen Gemeinden heruntergebrochen werden. Das und werden weiter zunehmen. Die Temperaturprognosen zeigen, Ausarbeiten von Lösungsansätzen und Massnahmen ist Sache dass mit einem Anstieg der Temperatur vor allem in den Som- der Gemeinden, diese werden durch den Kanton unterstützt und mermonaten zu rechnen ist. Dadurch steigt das Risiko längerer mitfinanziert. Trockenperioden (Kasper, 2020). Das Ausmass der Erwärmung ist von Szenario zu Szenario anders, aber bereits ein Anstieg der 3.4 Schlussfolgerung Sommertemperatur um wenige °C hat Folgen. Durch die steigen- den Temperaturen wird der Niederschlag beeinflusst. Zwar las- Die RCP Szenarien zeichnen unterschiedlich starke Verände- sen sich keine genauen Prognosen treffen, jedoch wird es häufiger rungen der kommenden Jahrzehnte ab. Durch den Tempera- zu Extremniederschlagsereignissen kommen. Diese begünstigen turanstieg werden andere Faktoren, wie die Nullgrad- und die Naturgefahren und stellen die Gemeinde zunehmend vor Her- Schneefallgrenze nach oben verschoben und beeinflussen die ausforderungen. Ausserdem beeinflusst der Temperaturanstieg Anzahl Schneetage im Jahr. Diese Auswirkungen sind inner- eine Verschiebung der Nullgradgrenze und damit steigt auch die halb der Gemeinde aufgrund ihres beträchtlichen Reliefs zwar Schneefallgrenze. Zur Folge kommt es je nach RCP Szenario zu unterschiedlich stark spürbar, aber durch die Abhängigkeit des einer Verschiebung der Schneegrenze um bis zu 700 m. Dies be- Wintertourismus für alle relevant. Mit Anpassungsstrategien, deutet, dass in Zukunft einige Dörfer der bislang unterhalb der wie die Förderung des Sommertourismus, erfährt Luzein eine Schneegrenze liegenden Gemeinde oberhalb der Schneegrenze Umstrukturierung, deren Ziel der Erhalt des Tourismus ist. Das liegen werden. Dadurch verzögert sich auch der Schneefall, wel- Risiko durch Naturgefahren wird künftig zunehmen. Durch Ex- cher mit dem Temperaturanstieg zusätzlich weniger lange liegen tremwetterereignisse werden Hochwasser, Rutschungen und bleibt. So nehmen auch die Anzahl Schneetage mit über 30 cm Nassschneelawinen vor allem im Winter zunehmend problema- Schnee fortlaufend ab. Dies hat vor allem für den Wintertouris- tisch. Sie gefährden nicht nur Einwohner und Einwohnerinnen und mus negative Konsequenzen. Zwar können kurzfristig ausblei- Infrastrukturen, sondern auch die Attraktivität der Gemeinde als bende Schneemengen durch Kunstschnee mittels Beschneiung Erholungsort. Anpassungen wie Frühwarnsysteme und bauliche ersetzt werden, jedoch erweist sich dies längerfristig nicht als Massnahmen werden vom Bund unterstützt und von den kanto- wirtschaftlich rentabel. Der zusätzliche Wasserbedarf für die nalen Ämtern umgesetzt.
14 Nachhaltiger Umgang mit der Natur in der Gemeinde Luzein 4 Naturgefahren Lawinen 4.1 Einleitung Im gesamten Alpenraum wurden unterschiedliche Lawinen- schutzmassnahmen entwickelt. Anfangs waren Stein- oder Erd- Das Leben im alpinen Raum birgt verschiedene Tücken, darunter haufen direkt hinter dem Gebäude der einzige Schutz vor Lawinen. auch Naturgefahren wie Lawinen. Während Lawinen heute vor Ablenkkeile aus Stein sollten die Lawinen um das Gebäude herum allem als Risikofaktor in der Freizeitbetätigung eine zunehmende lenken. Ebenhöchs ermöglichten es, dass Lawinen über das Ge- Rolle spielen, sind sie in Berggebieten bereits seit Jahrhunderten bäude hinwegrutschen, indem das Dach nahtlos an das Terrain gefürchtet. Grosse Tallawinen können neben Infrastruktur auch oder an eine Anschüttung anschliesst. In Luzein wurde 1797 das Tier- und Menschenleben gefährden. In betroffenen Regionen ist erste Ebenhöch erbaut (Flütsch, 1976). Später wurden Gebäude man deshalb bemüht, das Risiko durch geeignetes Management mit derselben Absicht direkt in den Hang hineingebaut (vgl. Ru- zu minimieren. St. Antönien ist ein solches Risikogebiet und weist dolf-Miklau, 2011) (siehe Abbildung 4.5). Während bis anhin ver- eine aussergewöhnliche und lange Geschichte im Umgang mit sucht wurde, die Lawinen unmittelbar vor dem Aufprall auf das Lawinen auf. Gebäude zu bremsen, setzte man ab dem 18. Jahrhundert auch auf die Prävention im Anrissgebiet. Die Wiederaufforstung der Die Studierenden der Teilanalyse Naturgefahren Lawinen be- Schutzwälder und die Errichtung von Gräben standen dabei im schäftigten sich mit folgender Fragestellung: Welche Bedeutung Fokus (vgl. Rudolf-Miklau, 2011). hatte und hat die Naturgefahr Lawinen für die Entwicklung der Ge- meinde Luzein (St. Antönien) und welche Herausforderungen erge- Die St. Antönier Lawinenchronik, die seit 1668 geführt wird, zeigt, ben sich daraus? Die Studierenden haben sich auf das Gebiet St. dass St. Antönien trotz der Massnahmen immer wieder von La- Antönien beschränkt, da dieses am stärksten von der Lawinen- winenereignissen heimgesucht wurde, bei denen Menschen und gefahr betroffen ist. Sie untersuchten unter anderem wie sich der Tiere ums Leben kamen und Gebäude komplett zerstört wurden Umgang mit Lawinenereignissen im Laufe der Zeit veränderte (siehe Abbildung 4.1) (Flütsch, 1976; Schneebeli et al., 1998). So und welchen Einfluss die Lawinenereignisse auf die Entwicklung starben im Lawinenwinter 1951 ein Mensch und 50 Tiere; 42 Ge- der Raumnutzung hatten. Die Sondernutzungsregelung St. Antö- bäude wurden gänzlich zerstört. Dieses Unglück machte den Ein- niens und das integrale Risikomanagement wurden ebenso be- wohnern und Einwohnerinnen klar, dass weitere präventive Mass- handelt (vgl. UPL ETH Zürich, 2020a). nahmen nötig waren, und gab den Anstoss für das Vorantreiben der Erbauung der Lawinenschutzbauten am Chüenihorn. In St. 4.2 Resultate Antönien wurde eine starke Talflucht befürchtet, wie es bereits 1689 geschah (Brembilla & Enzler, 2010; Thalmann, 2015). 1953 4.2.1 Historischer Lawinenschutz wurde die grösste Lawinenverbauung der Schweiz bewilligt. Die Nicht nur der technologische Fortschritt, sondern auch neue or- Betonverbauungen wurden 1978 auf einer Länge von 12 280 m ganisatorische Konzepte revolutionierten den Lawinenschutz in fertiggestellt und 1964 mit einem Maschendraht erweitert, um der Vergangenheit. Im folgenden Kapitel wird aufgezeigt, wie sich den Schutz zu optimieren. die Strategien im Umgang mit Lawinenereignissen, welche in St. Antönien Anwendung fanden, im Laufe der Zeit veränderten. Zeitgleich wurden 50 Hektare mit rund 450 000 Setzlingen aufge- forstet, um den Schutzwald direkt unter den Lawinenverbauungen Im 13. Jahrhundert besiedelten die Walser das Prättigau und ro- zu erweitern (Abbildung 12) (vgl. Thalmann, 2015). deten so viel Wald, wie sie Land zum Leben brauchten (Brembilla & Enzler, 2010). Mit der Zeit erkannten die Einwohner und Einwoh- Wie in Abbildung 4.2 ersichtlich, zeigten die baulichen und forst- nerinnen die Gefahr, die das Roden eines Schutzwaldes mit sich lichen Lawinenschutzmassnahmen in den letzten Jahrzehnten bringt (Kapitel 4.2.2) und verfassten im 17. Jahrhundert die «Rohr- ihre Wirkung. Dies ist jedoch auch der Kombination verschiedener waldbannbriefe», welche das Abholzen reglementieren sollten raumplanerischer und organisatorischer Mittel zu verdanken, die (Finze-Michaelsen, 1988). Wegen mangelnder Einhaltung zeigte in den letzten Jahrzehnten vermehrt eingesetzt wurden und ein diese Massnahme jedoch kaum Wirkung (Schneebeli, Laternser, wichtiger Bestandteil des heute angewandten integralen Risiko- Föhn, & Ammann, 1998). managements (IRM) sind (vgl. Marty et al., 2009).
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