NACHHALTIGKEIT IM SCHATTEN DER CORONA-PANDEMIE - EHRBARER STAAT? DIE GENERATIONENBILANZ - STIFTUNG ...
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Update 2020 Ehrbarer Staat? die generationenbilanz Nachhaltigkeit im Schatten der Corona-Pandemie Argumente zu Marktwirtschaft und Politik Nr. 152 | August 2020 Lewe Bahnsen Tobias Kohlstruck Gerrit Manthei Bernd Raffelhüschen Stefan Seuffert Florian Wimmesberger
Update 2020 EhrbareR Staat? Die Generationenbilanz Nachhaltigkeit im Schatten der Corona-Pandemie Lewe Bahnsen Tobias Kohlstruck Gerrit Manthei Bernd Raffelhüschen Stefan Seuffert Florian Wimmesberger Argumente zu Marktwirtschaft und Politik, Nr. 152 Inhaltsverzeichnis Vorwort 03 1 Einleitung 04 2 Methodische Grundlagen der Generationenbilanzierung 05 2.1 Das Konzept der Generationenbilanzierung 05 2.2 Berücksichtigte Rahmenbedingungen 06 2.3 Verwendete Nachhaltigkeitsindikatoren 07 3 Die aktuelle Generationenbilanz 09 3.1 Die Corona-Pandemie lässt die Nachhaltigkeitslücke stark ansteigen 09 3.2 Die Politikfelder im Einzelnen 10 4 Konsequenzen der Corona-Pandemie 15 4.1 Die Wachstumsszenarien und ihre Auswirkungen auf die Nachhaltigkeitslücke 15 4.2 Intergenerative Auswirkungen 18 5 Fazit 22 Literatur 23 Executive Summary 24 © 2020 Stiftung Marktwirtschaft (Hrsg.) Charlottenstraße 60 10117 Berlin Die Publikation ist auch über den QR-Code Telefon: +49 (0)30 206057-0 kostenlos abrufbar. Telefax: +49 (0)30 206057-57 info@stiftung-marktwirtschaft.de www.stiftung-marktwirtschaft.de Diese Studie wurde am Forschungszentrum Generationenverträge der Albert- Ludwigs-Universität Freiburg erstellt. Für wertvolle Hinweise und Hilfestellungen ISSN: 1612 – 7072 danken die Autoren Guido Raddatz und Teresa Brinkschmidt. Für alle verbleiben- Titelfoto: © Sergej Khackimullin – Fotolia.com den Fehler zeigen sich die Autoren verantwortlich.
Nachhaltigkeit im Schatten der Corona-Pandemie Vorwort Vorwort Stetiges Wachstum, geringe Arbeitslosigkeit und sprudelnde men zur Eindämmung und ökonomischen Abfederung der Steuereinnahmen haben die deutsche Wirtschaft bis Anfang Corona-Pandemie weitere finanzielle Bürden aufgeladen. des Jahres 2020 gekennzeichnet. Im vergangenen Jahr er- In diesem Zusammenhang stellt sich durchaus die Frage zielte der staatliche Gesamthaushalt zum sechsten Mal in der Verhältnismäßigkeit der politisch verordneten Vollbrem- Folge einen Überschuss. Aufgrund der Corona-Pandemie sung der deutschen Wirtschaft zur Eindämmung der Corona- gerät die deutsche Finanzpolitik allerdings nicht nur kurzfris Pandemie. Angesichts der sich abzeichnenden wirtschaft- tig unter Druck. Die durch die Pandemie bedingten Mehr- lichen Folgen und des Verlaufs der Pandemie in Deutschland ausgaben und insbesondere die resultierenden staatlichen ist zu hinterfragen, ob die Reaktionen zur Eindämmung der Einnahmeausfälle verstärken auch mittel- und langfristig die Pandemie die wirtschaftlichen und sozialen Konsequenzen Herausforderungen, die aufgrund der demografischen Ent- ausreichend berücksichtigt haben. Außer Frage steht, dass wicklung ohnehin zu meistern sein werden. Die entstehenden die Ängste einer bereits erheblich gealterten Bevölkerung fiskalischen Lasten werden sich intergenerativ höchst unter- sehr ernst genommen wurden. Eine dem Prinzip der Verhält- schiedlich verteilen. Darüber hinaus werden weiterhin neue, nismäßigkeit genügende Laissez-faire-Strategie à la Schwe- weit in die Zukunft reichende Leistungsversprechen für ältere den wäre allerdings ebenfalls nicht zielführend gewesen Generationen gemacht, die die fiskalische Nachhaltigkeit der – zumindest dann nicht, wenn nicht alle gemeinsam dieser öffentlichen Haushalte und damit die Generationengerechtig- Strategie gefolgt wären. Für die Zukunft wäre in vergleich- keit zusätzlich infrage stellen. baren Krisensituationen ein weltweit koordiniertes Vorgehen Aufgrund der Entscheidung der Großen Koalition aus – oder zumindest eine engere Zusammenarbeit zwischen dem Jahr 2018, den Nachholfaktor in der Gesetzlichen Ren- den wirtschaftlich intensiv verflochtenen Ökonomien – wün- tenversicherung bis mindestens 2025 auszusetzen, dürfen schenswert. Hinterher ist man bekanntlich immer schlauer, sich Rentner nun trotz der Krise dauerhaft über höhere Bezü- sollte entsprechende Erkenntnisse aber auch in die Zukunft ge freuen. Anstatt die wegen der nominalen Rentengarantie mitnehmen, um auf weitere – mit Sicherheit kommende – unterbliebenen Rentenkürzungen in späteren Jahren nachzu- Pandemien vorbereitet zu sein. holen und mit zukünftigen Rentenerhöhungen zu verrechnen, Unabhängig von dieser Frage müssen die zusätzlichen kommt es nun zu einer Entkoppelung von Renten und Löh- Schulden, die zur Finanzierung der aktuellen Hilfs- und Kon- nen. Die Rentner werden die ökonomischen Belastungen der junkturpakete sowie zur Kompensation der Steuerausfälle Beschäftigten infolge von Kurzarbeit, Arbeitslosigkeit und sta- aufgenommen werden, trotz gegenwärtiger Nullzinsen und gnierenden Löhnen in diesem Jahr kaum zu spüren bekom- eines niedrigeren Wachstumspfades irgendwann zurückge- men. Eine fortschreitende Entsolidarisierung zwischen Alt und führt werden. Zusätzlich werden in den kommenden Jahren Jung ist die Folge. Angestellte im öffentlichen Dienst, Beamte durch den Renteneintritt der Baby-Boomer die impliziten und Pensionäre werden vorerst ebenfalls keine finanziellen Schulden im Haushalt in explizite Schulden überführt. Umso Einbußen hinnehmen müssen. Ein Großteil der erwerbstäti- wichtiger ist bereits heute eine unverhüllte Sicht auf die öf- gen Bevölkerung hat hingegen aufgrund des konjunkturellen fentlichen Finanzen und ihre Nachhaltigkeit, damit die Poli- Einbruchs mit einem Einkommensverlust zu rechnen, der nur tik möglichst schnell die notwendigen Gegenmaßnahmen in für sozialversicherungspflichtige Arbeitnehmer teilweise aus- Form von echten Strukturreformen ergreift. geglichen wird. Neben den Millionen Arbeitnehmern, die von Kurzarbeit und eventuell auch von Arbeitslosigkeit betroffen Wir danken der informedia-Stiftung für die Förderung dieser sind, sehen sich auch viele Unternehmer mit erschwerten Be- Publikation. dingungen konfrontiert. Dies betrifft nicht zuletzt Selbständige und Freiberufler. Die politische Diskussion konzentriert sich somit auf die Einkommensumverteilung und vernachlässigt dabei interge- nerative Aspekte. Die Nutznießer dieser Politik im Zuge der Corona-Pandemie sind einmal mehr die älteren Generati- onen. Die größte Belastung werden demgegenüber Kinder und Jugendliche sowie nachfolgende Generationen zu tra- gen haben. Zusätzlich zu den ohnehin bereits bestehenden Prof. Dr. Michael Eilfort Prof. Dr. Bernd Raffelhüschen zukünftigen fiskalischen Lasten der sozialen Sicherungssys Vorstand Vorstand teme werden ihnen durch die politisch ergriffenen Maßnah- der Stiftung Marktwirtschaft der Stiftung Marktwirtschaft 03
Einleitung Ehrbarer Staat? Die Generationenbilanz – Update 2020 1 Einleitung Die Ende 2019 in der chinesischen Provinz Wuhan ausgebro- Kurzarbeit im Mai stieg im selben Monat die Zahl der Arbeits- chene Corona-Pandemie wirkt sich inzwischen fast überall losen gegenüber dem Vorjahr um knapp 600.000 an (Bun- auf Wirtschaft, Menschen und Gesellschaft aus. Innerhalb von desagentur für Arbeit, 2020a). nur wenigen Monaten haben sich weltweit über 23,4 Millio- Nachdem 2019 bereits das sechste Jahr in Folge ein Fi- nen Menschen infiziert, von denen über 800.000 gestorben nanzierungsüberschuss erzielt werden konnte (Statistisches sind (Johns Hopkins University, 2020). Die Zahl der Länder, Bundesamt, 2020), rechnet der Arbeitskreis „Steuerschät- die über Infektionen berichten, ist rapide angestiegen und die zungen“ laut Bundesministerium der Finanzen (BMF) mit einem hohe Zahl der Todesfälle hat viele Einzelpersonen, Unterneh- Einbruch der gesamtstaatlichen Steuereinnahmen von 799,3 men und Regierungen veranlasst, auf unterschiedliche Weise Milliarden Euro im Jahr 2019 auf 717,7 Milliarden Euro im Jahr zu reagieren, um der Ausbreitung des Virus Herr zu werden. 2020 (BMF, 2020a). Auch wenn das Steueraufkommen bis Die Regierung Italiens verhängte Mitte März einen Lockdown, 2024 voraussichtlich auf 883,3 Milliarden Euro ansteigen wird, dem Deutschland und andere Länder mit ähnlichen Maß- wurden die Zahlen in dieser jüngsten Schätzung aufgrund der nahmen folgten. Dadurch sowie durch die Unterbrechung Corona-Pandemie auch für die Jahre 2021 bis 2024 um je- internationaler Handelsströme und Lieferketten wurde die weils 50 bis 60 Milliarden Euro nach unten korrigiert. Neben Wirtschaft weltweit stark abgebremst. Gleichzeitig haben diesen Mindereinnahmen sind zugleich erhebliche Mehraus- viele Unternehmen ihre Produktion zurückgefahren und ihre gaben zu erwarten. Insbesondere die Arbeitslosenversiche- Mitarbeiter – soweit möglich – dazu ermutigt, im Home-Office rung, aber auch die Grundsicherung für Arbeitssuchende zu arbeiten, um die Infektionsrisiken innerhalb des Unterneh- wirken als automatische Stabilisatoren, deren Ausgaben im mens zu minimieren. Zumindest Letzteres dürfte dazu beige- Konjunkturabschwung steigen. Hinzu kommen die von der tragen haben, dass trotz Lockdown und Social Distancing Bundesregierung diskretionär beschlossenen Ausgaben in wenigstens in einigen Bereichen die wirtschaftliche Aktivität Form des Corona-Schutzschildes sowie des Konjunktur- und aufrechterhalten und (noch) Schlimmeres verhindert werden Krisenbewältigungspakets und des Zukunftspakets. konnte. Darüber hinaus gab und gibt es in vielen Ländern eine Parallel dazu arbeitet die Große Koalition in ihrem dritten Quarantänepflicht für Personen, die kürzlich aus dem Ausland Regierungsjahr weiter daran, die Vereinbarungen des Koali- zurückgekehrt sind oder an bestimmten gesellschaftlichen Er- tionsvertrages in die Realität umzusetzen. Den langfristigen eignissen teilgenommen haben. Ferner wurden die sozialen Folgen der im Koalitionsvertrag formulierten Ziele schenkt Kontakte gesamter Bevölkerungen deutlich eingeschränkt. sie allerdings nach wie vor wenig Aufmerksamkeit. Aus fis- Die Corona-Pandemie ist aus makroökonomischer Perspek- kalischer Sicht beinhalten zahlreiche Maßnahmen und Vorha- tive ein klassischer exogener Schock, bei dem – anders als in ben jedoch – gerade vor dem Hintergrund der Alterung der der Finanzkrise 2008 – Angebot und Nachfrage simultan ein- deutschen Bevölkerung – beträchtliche Risiken für die oh- gebrochen sind. Auf der Angebotsseite sind Unterbrechungen nehin schon angeschlagene Nachhaltigkeit der öffentlichen der internationalen Lieferketten und völlige – teils freiwillige, Finanzen. Der deutliche Konjunktureinbruch verschärft diese teils unfreiwillige – Produktionsstopps zu verzeichnen. Auf der Problematik weiter. Nachfrageseite dominieren im Wesentlichen zwei Effekte. Zum Dementsprechend sollten die langfristigen Herausforde- einen die Einschränkung der Konsummöglichkeiten während rungen der öffentlichen Finanzen nicht aus dem Blick gera- des Lockdowns und zum anderen die erhöhte individuelle ten. Vor diesem Hintergrund stellt die vorliegende Studie die Unsicherheit aufgrund von finanziellen oder gesundheitlichen 14. Aktualisierung der im Jahr 2006 begonnenen „Bilanz des Risiken. Felbermayr et al. (2020) schätzen den Industriepro- ehrbaren Staates“ dar. Auf Basis der Methodik der Generati- duktionsrückgang auf seinem Höhepunkt Anfang April auf 20 onenbilanzierung (siehe Abschnitt 2.1) werden im Folgenden Prozent, wobei sie die Effekte des politisch induzierten Lock- die seit Anfang des Jahres 2018 erzielten Fort- und Rück- downs auf ein Drittel beziffern. schritte auf dem Weg zu nachhaltigen öffentlichen Finanzen In der Folge befindet sich die deutsche Wirtschaft nach dokumentiert. Die Analyse der Nachhaltigkeit – als Leitbild für zehn Jahren Wachstum erstmals wieder in einer Rezession, eine zukunftsfähige Entwicklung der öffentlichen Finanzen – deren Ausmaß und Dauer bislang noch sehr unsicher sind. beinhaltet insbesondere die Analyse der intertemporalen und Nach mehreren revidierten Wachstumsprognosen geht die intergenerativen Auswirkungen der Fiskalpolitik. Im Sinne Bundesregierung für das Jahr 2020 von einem deutlichen Ein- dieser Nachhaltigkeit ist die dauerhafte Finanzierbarkeit der bruch des Bruttoinlandsproduktes (BIP) um kalenderbereinigt öffentlichen Haushalte das Ziel. Im Rahmen des diesjährigen 6,7 Prozent aus (BMWi, 2020). Auch auf dem Arbeitsmarkt Themenschwerpunkts werden die fiskalischen Herausforde- zeichnen sich massive Konsequenzen der Corona-Pandemie rungen der Corona-Pandemie unter Berücksichtigung aktu- ab. Zusätzlich zu den knapp sieben Millionen Beschäftigten in eller Reformen einer Analyse unterzogen. 04
Nachhaltigkeit im Schatten der Corona-Pandemie Methodische Grundlagen der Generationenbilanzierung 2 Methodische Grundlagen der Generationenbilanzierung her lassen sich nicht nur fundierte Aussagen über die finanzi- 2.1 Das Konzept der elle Nachhaltigkeit einer bestimmten Fiskal- und Sozialpolitik, Generationenbilanzierung sondern auch über deren intergenerative Verteilungswir- kungen treffen. Der methodische Ablauf der Generationenbi- Die Methode der Generationenbilanzierung wurde von Auer- lanzierung ist in Abbildung 1 skizziert. bach et al. (1991, 1992, 1994) entwickelt, um die langfris Die derzeitigen öffentlichen Finanzen, d.h. die Einnah- tige Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen sowie die Aus- men und Ausgaben des Staates gemäß Volkswirtschaft- wirkungen von Fiskal- und Sozialpolitik zu analysieren.1 Im licher Gesamtrechnung (VGR), bilden den Ausgangspunkt Kern handelt es sich bei der Generationenbilanzierung um der Generationenbilanzierung. Diese aggregierten Zahlungen eine dynamisierte fiskalische Buchhaltung und damit um ein werden anhand von Mikrodatensätzen als alters- und ge- Instrument zur Projektion der langfristigen Entwicklung der öf- schlechtsspezifische Pro-Kopf-Zahlungen auf die verschie- fentlichen Finanzen sowie deren intergenerativen Verteilungs- denen heute lebenden Kohorten aufgeteilt. Daraufhin werden wirkungen. Die Grundlage der Projektion der Staatsfinanzen diese Pro-Kopf-Zahlungen, unter Berücksichtigung heute in der Generationenbilanzierung bilden Annahmen zur demo- bereits beschlossener Reformen, mit dem Produktivitäts- grafischen Entwicklung sowie zu den wirtschaftlichen und fis- wachstum fortgeschrieben. Mittels einer langfristigen Bevöl- kalpolitischen Rahmenbedingungen in der Zukunft. Auf die- kerungsprojektion zur Berücksichtigung der demografischen ser Basis lässt sich das zukünftige Missverhältnis zwischen Entwicklung werden im nächsten Schritt die zukünftigen ag- der Einnahmen- und Ausgabenentwicklung der öffentlichen gregierten Einnahmen und Ausgaben des Staates berechnet, Haushalte ermitteln. Sofern die zukünftigen Ausgaben die zu- indem die projizierten Pro-Kopf-Zahlungen mit der Bevölke- künftigen Einnahmen übersteigen, wird von einer impliziten rungsentwicklung verknüpft werden. Abschließend werden Staatsverschuldung gesprochen. Diese spiegelt das Ausmaß zur Barwertberechnung alle zukünftigen Einnahmen und Aus- wider, um das die explizite Staatsverschuldung rechnerisch gaben diskontiert, um die Nachhaltigkeitslücke sowie weitere zukünftig noch zunehmen wird, wenn die heutige Politik auf Indikatoren zu ermitteln. Dauer fortgeführt wird. Neben der Ermittlung von aggregierten fiskalischen Neben der Berücksichtigung der impliziten Schulden- Nachhaltigkeitsindikatoren lassen sich auf Basis der Ge- last kann mittels der Generationenbilanzierung sowohl für die nerationenbilanzierung Aussagen zur intergenerativen Ver- heute lebenden als auch für die zukünftigen Generationen der teilung sowie zur Nettolast bzw. zum Nettoertrag einzelner Betrag ermittelt werden, mit dem diese jeweils zu den künf- Altersjahrgänge treffen, indem die Generationenkonten die- tigen Einnahmen und Ausgaben des Staates beitragen. Da- ser Altersjahrgänge ausgewiesen werden. Generationen- Abbildung 1: Die Generationenbilanzierung in fünf Schritten Quelle: Eigene Darstellung. € € Einnahmen Einnahmen Ausgaben Ausgaben Einnahmen Ausgaben Explizit Implizit NHL t t Schritt 1: Schritt 2: Schritt 3: Schritt 4: Schritt 5: Heutige Heutige Zukünftige Zukünftige aggregierte Nachhaltigkeitslücke, Einnahmen und Ausgaben Pro-Kopf-Zahlungen Pro-Kopf-Zahlungen Einnahmen und Ausgaben Generationenkonten und weitere Indikatoren 1 Eine detaillierte Beschreibung der Methodik wie auch der Kritik an der Generationenbilanzierung findet sich in Raffelhüschen (1999), Bonin (2001) und Hagist et al. (2006). 05
Methodische Grundlagen der Generationenbilanzierung Ehrbarer Staat? Die Generationenbilanz – Update 2020 konten sind in monetären Einheiten definiert und geben den Wirtschaftliche Rahmenbedingungen Barwert wieder, den die aufsummierten durchschnittlichen Für die Fortschreibung der alters- und geschlechtsspezi- Pro-Kopf-Zahlungen der jeweiligen Altersjahrgänge an den fischen (Pro-Kopf-)Zahlungen des Basisjahres 2018 un- Staat über den verbleibenden Lebenszyklus haben. Staatli- terstellt die Generationenbilanz in der langen Frist eine che Leistungen fließen dabei mit negativem Vorzeichen ein. einheitliche Trendwachstumsrate von 1,5 Prozent. Für die Ein positives Generationenkonto zeigt somit eine Nettolast Berechnung der Gegenwartswerte der zukünftigen Einnah- für das durchschnittliche Individuum der jeweiligen Altersjahr- men- und Ausgabenströme legt sie einen langfristigen realen gänge auf, während ein negatives Generationenkonto einen Zinssatz von 3,0 Prozent zugrunde. Darüber hinaus fließen entsprechenden monetären Nettoertrag darstellt. die Ergebnisse der aktuellen Steuerschätzung für den Zeit- Die Ergebnisse der Generationenbilanzierung beruhen, raum 2020 bis 2024 (BMF, 2020a) sowie der Gemeinschafts- ähnlich wie die Tragfähigkeitsberichte der Bundesregierung diagnose (2020) ein. (BMF, 2020b) sowie die Tragfähigkeitsanalysen der Europä- ischen Kommission (2019), auf einer langfristigen Projektion Fiskalpolitische Rahmenbedingungen der Finanzentwicklung des öffentlichen Gesamthaushalts. Neben der gegenwärtigen Finanzlage der öffentlichen Hand Dieser umfasst neben den Gebietskörperschaften, also berücksichtigt die vorliegende Generationenbilanz alle bis Bund, Ländern und Gemeinden, auch die Sozialversiche- einschließlich Juni 2020 beschlossenen fiskalpolitischen rungen. Zusätzlich zu den wirtschaftlichen und fiskalpoli- Weichenstellungen. Diese umfassen unter anderem die Teil- tischen Rahmenbedingungen wird die langfristige Entwick- abschaffung des Solidaritätszuschlags, die Einführung der lung der öffentlichen Finanzen zukünftig im Wesentlichen Grundrente am 02.07.2020, die CO2-Bepreisung in Verkehr durch die demografische Alterung geprägt (siehe Abschnitt und Wärme, die Senkung der EEG-Umlage sowie insbeson- 2.2). Während die Einnahmen des Staates maßgeblich aus dere den „Corona-Schutzschild“, das Konjunktur- und Kri- Steuer- und Beitragszahlungen bestehen und hauptsächlich senbewältigungspaket sowie das Zukunftspaket als Reaktion von der erwerbstätigen Bevölkerung erbracht werden, entfällt auf die Corona-Pandemie. ein bedeutender Anteil der Ausgaben in Form von Renten-, Gesundheits- und Pflegeleistungen auf die ältere Bevölke- Demografische Rahmenbedingungen rung. Daher führt die in Abbildung 2 dargestellte Zunahme In Anlehnung an die Annahmen der „mittleren“ Bevölkerung des Altenquotienten zu einem wachsenden Missverhältnis (G2-L2-W2) der 14. koordinierten Bevölkerungsvorausbe- zwischen der langfristigen Einnahmen- und Ausgabenent- rechnung des Statistischen Bundesamtes (2019) unterstellt wicklung des Staates. das Szenario der Bevölkerungsprojektion in der Generatio- nenbilanz 2020, dass die Fertilitätsrate auf dem heutigen Niveau von knapp 1,6 Kindern pro Frau verharrt und die 2.2 Berücksichtigte Rahmenbedingungen Lebenserwartung bei Geburt von Männern/Frauen von mo- mentan 78,5/83,3 bis 2060 auf 84,4/88,1 Jahre ansteigt. Die Ausgangsbasis für die Projektion der öffentlichen Finan- Hinsichtlich der Außenwanderung wird eine langfristige Netto zen in der vorliegenden Generationenbilanz bilden die Ein- zuwanderung von jährlich 206.000 Personen unterstellt.2 Auf nahmen und Ausgaben des öffentlichen Gesamthaushalts dieser Grundlage ist bis zum Jahr 2060 mit einem Bevölke- der Jahre 2018 und 2019 gemäß den Daten der Volkswirt- rungsrückgang von heute gut 83,2 Millionen auf 78,2 Millio- schaftlichen Gesamtrechnung des Statistischen Bundes- nen Personen zu rechnen. Dieser Bevölkerungsrückgang ist amtes (2020). Die projizierte zukünftige Entwicklung wird da- an sich allerdings nicht besorgniserregend. Problematisch rüber hinaus durch die wirtschaftlichen und fiskalpolitischen ist unter den heutigen Gegebenheiten vielmehr die gleichzei- Rahmenbedingungen in der mittleren und langen Frist sowie tige Alterung der Bevölkerung. Wie Abbildung 2 zeigt, wird die langfristigen demografischen Veränderungen geprägt: sich der Altenquotient, d.h. die Anzahl der über 67-jährigen 2 Der Wanderungssaldo von 206.000 Personen entspricht der Annahme W2 der 14. koordinierten Bevölkerungsvorausberechnung und berechnet sich als Durchschnitt der Jahre 1955 bis 2018. 06
Nachhaltigkeit im Schatten der Corona-Pandemie Methodische Grundlagen der Generationenbilanzierung Abbildung 2: Entwicklung des Altenquotienten bis 2060 Quelle: Eigene Berechnungen. 60 Szenario „relativ alte“ Bevölkerung Projektion Altenquotient (über 67-Jährige / 20- bis 66-Jährige) 50 40 Szenario „relativ junge“ Bevölkerung 30 20 10 Standardszenario 0 2005 2010 2015 2020 2025 2030 2035 2040 2045 2050 2055 2060 Personen pro 100 Personen im Alter zwischen 20 und 66 Jahren, bis zum Jahr 2060 deutlich erhöhen. Insbesondere 2.3 Verwendete Nachhaltigkeitsindikatoren bis Ende der 2030er Jahre wird dieser einen starken Anstieg verzeichnen. Auch im Anschluss wird sich der Alterungspro- zess der Bevölkerung weiterhin fortsetzen, allerdings mit re- Ob fiskalpolitische Entscheidungen und Rahmenbedin- duzierter Geschwindigkeit. Entfallen auf eine über 67-jährige gungen als nachhaltig bezeichnet werden können und in wel- Person gegenwärtig noch etwas mehr als drei Personen im chem Ausmaß durch die Fortführung einer bestimmten Politik erwerbsfähigen Alter, so werden dies im Jahr 2060 nur noch intergenerative Lastenverschiebungen entstehen, lässt sich zwei erwerbsfähige Personen sein. mit Hilfe unterschiedlicher Nachhaltigkeitsindikatoren beant- Die in Abbildung 2 blau dargestellte Fläche zeigt die worten: Bandbreite der Entwicklung für alternative Bevölkerungs szenarien. Als Bandbreite der möglichen Entwicklung werden Nachhaltigkeitslücke die Szenarien einer „relativ jungen“ (G3-L1-W3) und einer „re- Im Sinne einer Schuldenquote entspricht die Nachhaltigkeits- lativ alten“ (G1-L3-W1) Bevölkerung, ebenfalls in Anlehnung lücke der tatsächlichen Staatsverschuldung im Verhältnis an die 14. koordinierte Bevölkerungsvorausberechnung, be- zum heutigen BIP. Die tatsächliche Staatsverschuldung setzt trachtet.3 sich dabei aus der heute bereits sichtbaren oder expliziten 3 Im Unterschied zum Standardszenario unterstellt das Szenario der „relativ jungen“ Bevölkerung einen Anstieg der Fertilitätsrate auf 1,7 Kinder je Frau, während sich bei der Lebenserwartung der verlangsamte Anstieg der letzten Jahre fortsetzt und somit die Lebenserwartung bei Geburt bis 2060 bei Jungen/Mädchen auf 82,5/86,4 steigt. Der jährliche Wanderungsüberschuss verbleibt ab 2030 auf einem hohen Niveau von 300.000 Personen. Hingegen geht das Szenario der „relativ alten“ Bevölkerung davon aus, dass die Fertilitätsrate auf 1,4 Kinder je Frau sinkt, die Lebenserwartung von Männern/Frauen auf 86,2/89,6 ansteigt und der Wanderungsüberschuss ab 2030 lediglich 110.500 Personen pro Jahr beträgt. 07
Methodische Grundlagen der Generationenbilanzierung Ehrbarer Staat? Die Generationenbilanz – Update 2020 Staatsschuld und der heute noch unsichtbaren oder implizi- gaben dauerhaft erhöht werden müssten, um die Nachhaltig- ten Staatsschuld zusammen. Eine positive Nachhaltigkeits- keitslücke langfristig zu schließen.4 lücke zeigt an, dass die aktuelle Fiskalpolitik auf Dauer nicht tragfähig ist und daher Steuer- und Abgabenerhöhungen Notwendige Ausgabensenkung oder Einsparungen zukünftig unumgänglich sind. Im Unterschied zur notwendigen Abgabenerhöhung gibt der Indikator notwendige Ausgabensenkung an, wie stark die Implizite Schuld Staatsausgaben – mit Ausnahme der Zinsausgaben – dauer- Im Unterschied zur expliziten Schuld, die vor allem das Aus- haft verringert werden müssten, um die Nachhaltigkeitslücke maß vergangener Haushaltsdefizite widerspiegelt, entspricht langfristig zu schließen. die implizite Schuld der Summe aller zukünftigen (Primär-) Defizite bzw. Überschüsse. Wird in einem zukünftigen Jahr Das Generationenkonto des „-1“-Jährigen ein Überschuss erzielt, so reduziert dies die implizite Schuld, Das Generationenkonto des „-1“-Jährigen ist wie die Nach- während ein Defizit diese erhöht. Die implizite Schuld spiegelt haltigkeitslücke ein Indikator für die fiskalische Nachhaltigkeit. damit den Umfang wider, in dem sich zukünftige Defizite und Wenn ausschließlich für die zukünftigen Generationen die zur Überschüsse (nicht) die Waage halten. Tilgung der Nachhaltigkeitslücke notwendigen staatlichen Abgabenerhöhungen/Ausgabensenkungen vorgenommen Notwendige Abgabenerhöhung würden, hätte das Generationenkonto der im Folgejahr des Der Indikator notwendige Abgabenerhöhung entspricht dem Basisjahres Geborenen den Wert dieses fiktiven Generati- Umfang, um den die Einnahmen aus Steuern und Sozialab- onenkontos des „-1“-Jährigen. 4 Es handelt sich dabei um eine rein statische Betrachtung, d.h. Verhaltensänderungen der Menschen infolge einer Abgabenerhöhung werden vernachlässigt. Dies gilt gleichermaßen für den Indikator notwendige Ausgabensenkung. 08
Nachhaltigkeit im Schatten der Corona-Pandemie Die aktuelle Generationenbilanz 3 Die aktuelle Generationenbilanz Gegenüber den Vorjahresergebnissen aus dem Up- 3.1 Die Corona-Pandemie lässt die date 2019 (Bahnsen et al., 2019) ergibt sich eine Zunahme Nachhaltigkeitslücke stark ansteigen der Gesamtverschuldung um 125,1 Prozentpunkte. Wie Ab- bildung 3 zeigt, sind die negativen Entwicklungen im Hinblick Im Status quo der Generationenbilanz spiegelt sich das wach- auf die Nachhaltigkeit der öffentlichen Finanzen auf einen An- sende Missverhältnis zwischen langfristiger Einnahmen- und stieg der impliziten Verschuldung um 126,2 Prozentpunkte Ausgabenentwicklung des Staates (siehe Abschnitt 2.1) in zurückzuführen. Das kontrafaktische Szenario (vgl. auch Ka- einer impliziten Staatsschuld von 285,2 Prozent des BIP wi- pitel 4.1) bildet die konjunkturelle Entwicklung ab, die ohne der (siehe Abbildung 3). Zusammen mit der expliziten Staats- die Corona-Pandemie zu erwarten gewesen wäre, und dient schuld von 59,8 Prozent beläuft sich die Nachhaltigkeitslücke als Referenzszenario zur Bestimmung der Auswirkungen der der öffentlichen Haushalte damit auf 345,0 Prozent des BIP. Corona-Pandemie. Im Unterschied zum Status quo Szenario Das entspricht einer Summe von rund 11,9 Billionen Euro. Von basiert es hinsichtlich der kurz- und mittelfristigen wirtschaft- dieser Gesamtverschuldung weist der Staat allerdings lediglich lichen und fiskalischen Rahmenbedingungen auf den Kon- 2,1 Billionen Euro, also 17,3 Prozent, als explizite Schulden junkturerwartungen und Steuerschätzungen aus dem Herbst aus. Die restlichen 9,8 Billionen Euro sind implizite und damit 2019. Die Nachhaltigkeitslücke steigt durch den Basisjahr- unsichtbare Schulden. Weniger Schuldentransparenz war nie. Wechsel, die Datenaktualisierung sowie die Aktualisierung Abbildung 3: Nur die Spitze des Eisbergs ist sichtbar – starker coronabedingter Anstieg der Nachhaltigkeitslücke (in Prozent des jeweiligen BIP*) Quelle: Eigene Berechnungen. Update 2019 Kontrafaktisches Szenario Status quo 219,9 235,7 345,0 Explizite 60,9 59,8 59,8 Staatsschuld Update 2019: Implizite Notwendige Einnahmen- Staatsschuld Erhöhung um 9,6% oder Ausgaben-Senkung um 159,0 176,0 8,1% Status quo: 285,2 Notwendige Einnahmen- Erhöhung um 15,8% oder Ausgaben-Senkung um 12,7% 7,4 Billionen 8,1 Billionen 11,9 Billionen Euro Euro Euro * Referenz-BIP für Update 2019 (BIP 2018) = 3,386 Billionen Euro; für Status quo / Kontrafaktisches Szenario (BIP 2019) = 3,435 Billionen Euro. Hinweis: Wert der expliziten Staatsschuld für Update 2019 entspricht Stand 2019. Wert der impliziten Staatsschuld für Update 2019 wurde korrigiert. 09
Die aktuelle Generationenbilanz Ehrbarer Staat? Die Generationenbilanz – Update 2020 Abbildung 4: Entwicklung des expliziten Schuldenstandes seit 1996 (in Prozent des jeweiligen BIP) Quelle: Eurostat (2020); eigene Berechnungen. 82,4 79,8 81,1 78,7 79,8 75,7 73,0 72,1 67,3 66,7 69,2 63,3 65,0 64,0 65,5 65,3 60,1 59,1 61,9 59,8 57,8 58,9 59,5 57,9 59,7 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018 2019 2020 der Steuerschätzung (BMF, 2019) und der Gemeinschafts- (Update 2019: 8,1 Prozent) nötig. Alternativ könnte die Kon- diagnose (2019) gegenüber dem Update 2019 um 15,8 Pro- solidierung der öffentlichen Haushalte auch durch dauerhafte zentpunkte von 219,9 Prozent des BIP auf 235,7 Prozent Erhöhungen der Einnahmen aus Steuern und Sozialabgaben des BIP im Jahr 2020. Im Status quo ergibt sich durch die um 15,8 Prozent (Update 2019: 9,6 Prozent) erfolgen. Corona-Pandemie bedingt ein weiterer Anstieg um 109,3 Prozentpunkte auf insgesamt 345,0 Prozent. 3.2 Die Politikfelder im Einzelnen Dieser enorme Anstieg der Nachhaltigkeitslücke ist zum einen auf die diesjährigen und zukünftig erwarteten Steuer- mindereinnahmen aufgrund des erheblichen durch die Co- Die Einnahmen der Sozialversicherungen sind im Jahr 2019 rona-Pandemie bedingten BIP-Rückgangs zurückzuführen. um 28,7 Milliarden Euro (4,3 Prozent) auf 691,3 Milliarden Zum anderen steigen die Staatsausgaben infolge zahlreicher Euro gestiegen. Demgegenüber steht eine Zunahme der Maßnahmen zur Bewältigung der Corona-Pandemie in nie Sozialversicherungsausgaben um 35,4 Milliarden Euro (5,5 dagewesenem Umfang an. Prozent). Gleichwohl verzeichneten die Sozialversicherungen In diesem Zuge sind die expliziten Staatsschulden um 2,1 in der Summe gemäß VGR – wie auch in den vergangenen Prozentpunkte zurückgegangen. Aufgrund der Corona-Pan- beiden Jahren – noch einen Überschuss (Statistisches Bun- demie dürfte die explizite Staatsschuld jedoch voraussichtlich desamt, 2020). Der Finanzierungssaldo sank allerdings von bis Ende des Jahres 2020 auf knapp 80 Prozent des BIP an- 15,9 Milliarden Euro im Jahr 2018 auf 9,2 Milliarden Euro im steigen. Das wäre der höchste Wert seit dem Jahr 2012. Jahr 2019. Zwar profitierten die Sozialversicherungen auf der Angesichts der gestiegenen öffentlichen Gesamtver- Einnahmenseite weiterhin von der günstigen Lohn- und Be- schuldung besteht ein erheblicher langfristiger Konsolidie- schäftigungsentwicklung; gleichzeitig kam es jedoch auch zu rungsbedarf. Würden heutige und zukünftige Generationen einem deutlichen Anstieg der Ausgaben.5 Auch Bund, Län- gleichermaßen zur Konsolidierung der öffentlichen Haushalte der und Gemeinden profitierten im Jahr 2019 noch von der herangezogen, so wären im Status quo dauerhafte Einspa- günstigen Beschäftigungsentwicklung. Wie in den Vorjahren rungen staatlicher Leistungen im Umfang von 12,7 Prozent konnte die solide Lage auf dem Arbeitsmarkt altersbedingte 5 Nur in der Sozialen Pflegeversicherung stiegen die Einnahmen aufgrund der Beitragssatzerhöhung vom 01.01.2019 zuletzt stärker an. 10
Nachhaltigkeit im Schatten der Corona-Pandemie Die aktuelle Generationenbilanz demografische Effekte noch überwiegen. Allerdings werden Jahren unterstellt wird, sind die langfristigen Auswirkungen sich aufgrund des pandemiebedingten konjunkturellen Ein- auf die Sozialversicherungsbeiträge deutlich weniger stark bruchs und der steuerlichen Maßnahmen der Bundesregie- ausgeprägt. Die impliziten Schulden der Sozialversicherungen rung die öffentlichen Einnahmen im laufenden Jahr merklich steigen dementsprechend coronabedingt lediglich um 11,1 reduzieren. Insbesondere die Einnahmenentwicklung der Prozentpunkte. Insgesamt liegt die implizite Verschuldung der Gebietskörperschaften, die von beachtlich sinkenden Steu- Sozialversicherungen mit 206,3 Prozent des BIP weiterhin auf ereinnahmen geprägt sein wird, belastet sowohl die kurz- als hohem Niveau. auch die langfristige Einnahmensituation des öffentlichen Ge- samthaushalts. Die Gebietskörperschaften Die aktuelle Generationenbilanz zeigt dementsprechend einen deutlichen Anstieg der Nachhaltigkeitslücke des öffent- Im Jahr 2019 stellte sich die Haushaltslage der Gebietskör- lichen Gesamthaushaltes, der vor allem auf die Zunahme der perschaften weiterhin solide dar. Die Einnahmen stiegen laut impliziten Schulden zurückzuführen ist. Verglichen mit dem VGR im Vergleich zum Jahr 2018 um 32,5 Milliarden Euro (3,2 kontrafaktischen Szenario des Ausbleibens der Corona- Prozent) auf 1.050,9 Milliarden Euro, während die Ausgaben Pandemie steigen die impliziten Schulden um 109,2 Prozent- um 37,4 Milliarden Euro (3,9 Prozent) zunahmen. Obwohl die punkte von 176,0 auf 285,2 Prozent des BIP. Abbildung 5 Ausgaben damit stärker als die Einnahmen gewachsen sind, zeigt, dass dies ganz überwiegend auf die Entwicklung in verzeichneten die Haushalte der Gebietskörperschaften im den Gebietskörperschaften zurückzuführen ist, deren impli- vergangenen Jahr einen deutlichen Finanzierungsüberschuss zite Schuld coronabedingt um 98,2 Prozentpunkte ansteigt. von 49,6 Milliarden Euro. Dies entspricht lediglich einem leich- Aus einem impliziten Vermögen wird so eine implizite Schuld ten Rückgang von 4,9 Milliarden Euro gegenüber dem Vorjahr. von 79,0 Prozent des BIP. Da im Status quo Szenario eine Dass gleichwohl das implizite Vermögen von 42,4 Prozent des vollständige Erholung des Arbeitsmarktes in den kommenden BIP im Jahresvergleich zu einer impliziten Schuld von 79,0 Abbildung 5: Implizite Schulden der Sozialversicherungen und der Gebietskörperschaften (in Prozent des jeweiligen BIP) Quelle: Eigene Berechnungen. 285,2 201,4 195,2 206,3 176,0 159,0 91,9 84,0 81,7 80,6 78,1 80,1 79,0 35,6 29,2 28,9 3,7 4,1 4,8 -19,2 -42,4 Gesetzliche Gesetzliche Soziale Sonstige Sozial- Gebiets- Öffentlicher Rentenversicherung Krankenversicherung Pflegeversicherung Sozial- versicherungen körperschaften Gesamthaushalt (GRV) (GKV) (SPV) versicherungen* (Bund, Länder, (= Gebiets- Gemeinden) körperschaften + Sozial- versicherungen) Update 2019 Kontrafaktisches Szenario Status quo * Die sonstigen Sozialversicherungen umfassen die Arbeitslosenversicherung, die landwirtschaftlichen Alterskassen und die Gesetzliche Unfallversicherung; Wert für Update 2019 korrigiert. 11
Die aktuelle Generationenbilanz Ehrbarer Staat? Die Generationenbilanz – Update 2020 Der fehlende Nachholfaktor in der Rentenversicherung Box 1 Grundsätzlich folgt die Anpassung des aktuellen Rentenwertes zur Jahresmitte im Sinne einer Solidargemeinschaft zwi- schen Beitragszahlern und Rentenempfängern der Lohnentwicklung der beiden vorangegangenen Jahre. Dementspre- chend wurden zum 01.07.2020 die Renten der positiven Lohnentwicklung in den Jahren 2018 und 2019 folgend um durchschnittlich 3,6 Prozent angepasst. Die Rentner wurden an der positiven Lohnentwicklung der vergangenen Jahre beteiligt. Im Jahr 2021 würde die zu erwartende Verringerung des Durchschnittslohns im Jahr 2020 laut Rentenanpas- sungsformel eigentlich zu einem Absinken der Renten führen. Die Rentner würden somit im Sinne gegenseitiger Solida- rität an der negativen Lohnentwicklung ebenso beteiligt, wie in den Jahren zuvor an der positiven Entwicklung. Die im Jahr 2007 eingeführte Schutzklausel laut § 68a SGB VI verhindert jedoch ein nominales Absinken des Rentenwertes und sieht stattdessen vor, die Effekte negativer Lohnentwicklungen über mehrere Jahre hinweg an die Rentner weiterzuge- ben, um soziale Härten zu vermeiden. Daher wird der Rentenwert 2021 nicht sinken, sondern konstant bleiben. Um die unterbliebene Rentenabsenkung auszugleichen, sieht die Schutzklausel für die Folgejahre eine gedämpfte Anhebung des Rentenwertes und damit die mittelfristige Anpassung der Rentenentwicklung an die Lohnentwicklung vor. Dieser Ausgleichsmechanismus für die von der Schutzklausel verhinderte Rentensenkungen wurde im Jahr 2018 im Rahmen des RV-Leistungsverbesserungs- und Stabilisierungsgesetzes für den Zeitraum bis zum 30.06.2026 ausgesetzt. Der Rentenwert wird dementsprechend vollumfänglich auf die potenziellen wirtschaftlichen Erholungseffekte reagieren, ohne von den negativen Effekten der Corona-Pandemie betroffen gewesen zu sein. Auf diese Weise wird die Relation von Rentenausgaben und (Beitrags-)Einnahmen dauerhaft verschoben. Dabei ist insbesondere der Effekt der Kurzarbeit auf den Durchschnittslohn zu betonen. Denn die Inanspruchnahme von Kurzarbeitergeld verringert die Lohnsumme, nicht aber die Anzahl der Beschäftigten und dementsprechend den Durchschnittslohn. Dies geschieht unmittelbar und unabhängig von Angebots- und Nachfrageeffekten auf dem Arbeitsmarkt, die bei Veränderungen der Arbeitslosenquote den Durchschnittslohn beeinflussen. Das Instrument der Kurzarbeit spielt eine wichtige Rolle für die Erhaltung des Pro- duktionspotenzials in der Corona-Pandemie und wird in nie dagewesenem Ausmaß in Anspruch genommen. Die un- gewollten Auswirkungen der massiven Inanspruchnahme von Kurzarbeitergeld auf die Rentenwertentwicklung könnten bspw. durch die Verwendung von kurzarbeitsbereinigten Lohnwachstumsraten vermieden werden. Stilisierte Wachstumspfade mit Nachholfaktor Abbildung 6: Stilisierte Wachstumspfade der Renten und Löhne mit und ohne Nachholfaktor Quelle: Eigene Darstellung. Stilisierte Wachstumspfade ohne Nachholfaktor Löhne Renten 12
Nachhaltigkeit im Schatten der Corona-Pandemie Die aktuelle Generationenbilanz Prozent des BIP wird, liegt größtenteils an den einschnei- zurück. Abgesehen von dieser Entwicklung ist der diesjährige denden wirtschaftlichen Auswirkungen der Corona-Pande- Anstieg der Nachhaltigkeitslücke stark von den Folgen der mie. Damit zeigt die Generationenbilanzierung nicht nur für die Corona-Pandemie geprägt. sozialen Sicherungssysteme eine Nachhaltigkeitslücke auf, Die Einnahmen der GRV reagieren dabei aufgrund der sondern attestiert erstmals auch den Gebietskörperschaften Beitragssatzzahlungen der Arbeitslosenversicherung (ALV) im keine langfristig nachhaltige Finanzierung. Rahmen des Kurzarbeitergeldes kurzfristig nur leicht auf die Diese Zäsur ist im Wesentlichen auf den Einbruch der Corona-Pandemie. Bei den Ausgaben ist die Situation eine Steuereinnahmen zurückzuführen. Im Jahr 2020 wird das andere, da im Jahr 2007 unter dem damaligen Bundesar- Steueraufkommen laut aktueller Steuerschätzung insgesamt beitsminister Scholz eine Schutzklausel („Rentengarantie“) gut 98,6 Milliarden Euro geringer ausfallen, als noch nach den eingeführt wurde. Der zu dieser Klausel gehörende Nachhol- Schätzungen im Herbst 2019 angenommen wurde. Für den faktor wurde unter Bundesarbeitsminister Heil im Jahr 2018 Bund ergeben sich dabei Mindereinnahmen von 44,0 Milli- vorläufig ausgesetzt. Im Vergleich zur gleichzeitig beschlos- arden Euro, für die Länder von 35,0 Milliarden Euro und die senen „doppelten Haltelinie“ wurde dieser Aussetzung in der Einnahmen der Gemeinden sinken um 15,6 Milliarden Euro.6 politischen und wissenschaftlichen Diskussion kaum Beach- Dies liegt vor allem an dem durch die Corona-Pandemie tung geschenkt. Sinkende Löhne waren im Jahr 2018 in der bedingten Konjunktureinbruch, der sich maßgeblich in der politischen Debatte schlicht kein wichtiges Thema – und die Steuerschätzung niederschlägt. Gegenüber dem Vorjahr Schutzklausel wird vorrangig bei sinkenden Löhnen relevant. sinken die Körperschaftsteuereinnahmen um 41,3 Prozent, Dennoch sorgte Bundesarbeitsminister Heil dafür, dass die die Gewerbesteuereinnahmen um 24,8 Prozent, die Um- Aussetzung des Nachholfaktors einen eigenen Paragrafen im satzsteuereinahmen um 9,1 Prozent und die Einnahmen aus sechsten Sozialgesetzbuch erhielt und stellte sicher, dass bis der veranlagten Einkommensteuer um 25,3 Prozent. Auch ins Jahr 2025 negative Entwicklungen auf dem Arbeitsmarkt für die Jahre 2021 bis 2024 unterstellt die Steuerschätzung nicht an die Rentner weitergegeben werden. Tatsächlich Steuereinnahmen, die gegenüber der Steuerschätzung aus zielte die Aussetzung des Nachholfaktors wohl eher darauf dem Herbst 2019 um 51,7 bis 59,1 Milliarden Euro reduziert ab, die Wirkung des Nachhaltigkeitsfaktors für die Zukunft sind. Ab dem Jahr 2021 wird dabei zwar angenommen, dass einzuschränken. Denn die Schutzklausel kann auch bei stei- die Steuereinnahmen wieder nominal wachsen werden, al- genden Löhnen greifen, wenn die demografische Entwick- lerdings auf einem deutlich niedrigeren Wachstumspfad als lung über den Nachhaltigkeitsfaktor eine stark dämpfende vorher angenommen. Konnten die Gebietskörperschaften in Auswirkung auf die Rentenentwicklung hat. Insbesondere für der Vergangenheit einen Teil der impliziten Verschuldung der den Fall einer Ausweitung des Wirkungszeitraums der Maß- Sozialversicherungen kompensieren, werden sie nun selbst nahmen von 2018 über das Jahr 2025 hinaus hätte die Aus- von der Corona-Pandemie mit voller Wucht getroffen. setzung des Nachholfaktors eine teilweise Aussetzung des Nachhaltigkeitsfaktors bedeutet. Dass zwischenzeitlich die Die Gesetzliche Rentenversicherung (GRV) Corona-Pandemie sinkende Durchschnittslöhne bewirken würde, konnte 2018 niemand wissen. Aber dass es kurzsich- Die Ausgaben der GRV verzeichnen gegenüber dem Jahr tig ist, bei ruhiger See den Rettungsring über Bord zu werfen, 2018 einen Anstieg um 17,0 Milliarden Euro (5,4 Prozent). dürfte auch ohne Schifffahrtspatent bekannt sein. Diese Entwicklung resultierte im Wesentlichen aus einer er- In der nicht vorhersehbaren Corona-Pandemie bewirkt neuten deutlichen Rentenanpassung zur Jahresmitte 2019 der fehlende Nachholfaktor nun, dass die Solidarität zwi- sowie aus den Leistungsausweitungen und Zugeständnis- schen Beitragszahlern und Rentnern vollkommen einseitig sen der vergangenen Jahre. Insbesondere die im Jahr 2019 ausgestaltet ist. Die Rentner werden an negativen Lohnent- erstmals wirksame „Mütterrente II“ und die Ost-West-Anglei- wicklungen nicht beteiligt, profitieren aber von potenziellen chung des Rentenwertes trugen zu einem Ausgabenanstieg Erholungseffekten (siehe Box 1). Da im Status quo eine Er- der GRV bei, der die Lohn- und folgerichtig auch die Einnah- holung des Arbeitsmarktes angenommen wird, steigen die mensteigerung in der GRV übertraf. So stiegen die Einnah- Renten in diesem Szenario dauerhaft an und bewirken einen men der GRV zwar ebenfalls um 14,0 Milliarden Euro (4,4 Anstieg der impliziten Verschuldung der GRV um 11,8 Pro- Prozent) deutlich an, blieben jedoch hinter den Ausgaben zentpunkte gegenüber dem kontrafaktischen Szenario. 6 Die restlichen 4 Milliarden Euro entfallen auf den deutschen Finanzierungsbeitrag an die EU. 13
Die aktuelle Generationenbilanz Ehrbarer Staat? Die Generationenbilanz – Update 2020 Die Gesetzliche Krankenversicherung (GKV) glichen damit verzeichneten die Ausgaben nur einen Anstieg um 2,6 Milliarden Euro (6,5 Prozent). Damit konnte die SPV Gegenüber 2018 stiegen die Einnahmen der GKV im Jahr nach zwei defizitären Jahren 2019 wieder mit einem positiven 2019 um 8,7 Milliarden Euro (3,5 Prozent) an. Gleichzeitig Saldo von 4,8 Milliarden Euro abschließen. Ob der Beitrag stiegen die Ausgaben um 13,2 Milliarden Euro (5,5 Prozent) wie angekündigt dennoch bis 2022 stabil gehalten werden an, sodass die GKV im vergangenen Jahr erstmals seit 2015 kann, ist auch angesichts der unsicheren Auswirkungen der wieder ein Defizit verzeichnen musste. Corona-Pandemie fraglich.7 Diese Eintrübung der Finanzlage, trotz guter Lohn- und Aufgrund der unterstellten kurzfristigen Natur des Beschäftigungsentwicklung, ist auf deutlich gestiegene Ge- Schocks in den Sozialversicherungen kommt es auch in der sundheitsausgaben zurückzuführen. Diese dürften einerseits SPV nicht zu einem starken negativen Impuls der Corona- aus dem medizinisch-technischen Fortschritt und anderer- Pandemie auf die langfristige Finanzierung. Die Einnahmen- seits aus politischen Maßnahmen, wie unter anderem dem seite profitiert dagegen langfristig von der Beitragssatzanpas- Terminservice- und Versorgungsgesetz oder dem Pflegeper- sung, die sich merklich positiv auf die implizite Verschuldung sonal-Stärkungsgesetz resultieren. Darüber hinaus verzeich- der SPV auswirkt.8 Auf der Ausgabenseite wirken sich zwar neten die Krankenkassen gemäß dem Bundesministerium u.a. die Konzertierte Aktion Pflege und das Pflegepersonal- für Gesundheit (2020) starke Ausgabenanstiege für Kranken- stärkungsgesetz negativ aus, es lassen sich zum jetzigen hausbehandlungen und Heilmittel, wie bspw. Physio- und Zeitpunkt allerdings keine langfristigen pandemiebedingten Ergotherapie. Auswirkungen hinsichtlich der Ausgaben identifizieren. Die vermeintlich positive Entwicklung mit Blick auf die Analog zur Entwicklung in der GKV wirkt sich zudem Nachhaltigkeitslücke – ein Absinken von 84,0 auf 81,7 Pro- auch in der SPV der nicht wirksame Nachholfaktor in der zent des BIP im kontrafaktischen Szenario – liegt unter ande- GRV positiv auf die Einnahmenentwicklung aus. Im Ergebnis rem im Anstieg des durchschnittlichen Zusatzbeitragssatzes verzeichnet die SPV somit eine implizite Verschuldung von zur GKV um 0,2 Prozentpunkte ab 2020 begründet. Ferner 28,9 Prozent des BIP. wirkt sich die Nicht-Wirksamkeit des Nachholfaktors in der GRV positiv auf die Einnahmenentwicklung in der GKV aus. Die sonstigen Sozialversicherungen (SSV) Dies resultiert im Status quo in einer Nachhaltigkeitslücke in Höhe von 80,6 Prozent des BIP. In den SSV, bestehend aus der Arbeitslosenversicherung, den landwirtschaftlichen Alterskassen und der Gesetzlichen Die Soziale Pflegeversicherung (SPV) Unfallversicherung, sanken die Einnahmen im Jahresver- gleich um 3,5 Milliarden Euro (-5,7 Prozent), während die Infolge der Defizite 2017 und 2018, die maßgeblich durch die Ausgaben um 2,5 Milliarden Euro (4,9 Prozent) stiegen. Diese Pflegestärkungsgesetze und die damit verbundene stärkere Entwicklung wurde nicht zuletzt von der erneuten Senkung Inanspruchnahme von Pflegeleistungen geprägt wurden, des Beitragssatzes zur Arbeitslosenversicherung um 0,1 Pro- wurde der Beitragssatz zur SPV zum 01.01.2019 um 0,5 zentpunkte zum 1. Januar 2020 getrieben. Langfristig zeigt Prozentpunkte erhöht. Unterstützt von der positiven Lohn- sich für die SSV ein Anstieg der impliziten Verschuldung von und Beschäftigungssituation stiegen angesichts dessen die 3,7 Prozent des BIP im Update 20199 auf 4,8 Prozent des Einnahmen 2019 um 9,5 Milliarden Euro (25,2 Prozent). Ver- BIP. 7 Bereits vor der Corona-Pandemie haben Bahnsen et al. (2019) gezeigt, dass es aller Voraussicht nach spätestens Mitte der 2020er-Jahre zu einem erneuten Anstieg des SPV-Beitragssatzes kommen müsste. 8 Die Einnahmenentwicklung 2019 stellte sich tatsächlich positiver dar, als im Update 2019 (Bahnsen et al., 2019) unterstellt worden war. 9 Der im Vorjahr veröffentlichte Wert wurde korrigiert. 14
Nachhaltigkeit im Schatten der Corona-Pandemie Konsequenzen der Corona-Pandemie 4 Konsequenzen der Corona-Pandemie Kontrafaktisches Szenario 4.1 Die Wachstumsszenarien und ihre Aus- wirkungen auf die Nachhaltigkeitslücke Im kontrafaktischen Szenario ist eine Entwicklung der deut- schen Volkswirtschaft wiedergegeben, wie sie ohne die Co- Aufgrund der historisch außergewöhnlichen Situation sind rona-Pandemie zu erwarten gewesen wäre. Dieses Szenario Prognosen über die zukünftige wirtschaftliche Entwicklung dient als Referenzszenario zur Bestimmung der Auswirkungen und die zugrundeliegenden Parameter mit besonders gro- der Corona-Pandemie auf den Fiskus. Grundlage des kontra- ßer Unsicherheit behaftet. Das Ausmaß des konjunkturellen faktischen Szenarios sind die fiskalpolitischen Rahmenbedin- Einbruchs hängt wesentlich vom weiteren Verlauf der Pan- gungen der Gemeinschaftsdiagnose (2019) sowie der Steuer demie sowie von den politisch getroffenen Maßnahmen zur schätzung aus dem Herbst 2019 (BMF, 2019). Durch den Eindämmung des Virus ab. Um diesem Umstand Rechnung Basisjahr-Wechsel, die Datenaktualisierung sowie die Aktua- zu tragen, werden im Folgenden drei verschiedene Szenari- lisierung der Steuerschätzung und der Gemeinschaftsdiagno- en präsentiert, anhand derer die Entwicklung der zukünftigen se wäre die Nachhaltigkeitslücke ohne die Corona-Pandemie impliziten Schulden sowie deren intergenerative Verteilungs- gegenüber dem Update 2019 um 15,8 Prozentpunkte von wirkungen projiziert werden. Für die Jahre von 2020 bis 2024 219,9 auf 235,7 Prozent des BIP im Jahr 2020 angestiegen. werden Annahmen bezüglich der Entwicklung des Wirt- schaftswachstums und des Arbeitsmarktes getroffen, die in Status quo Szenario Tabelle 1 dargestellt sind. Die Arbeitsmarkteffekte der Corona- Pandemie im Jahr 2020 werden auf Grundlage des Anstiegs Das Status quo Szenario basiert auf den Daten der aktuellen der Kurzarbeiterzahlen und der Arbeitslosenquote gegenüber Steuerschätzung des Arbeitskreises Steuerschätzungen aus dem Vorjahr laut Bundesagentur für Arbeit (2020b) modelliert. dem Mai 2020 (BMF, 2020a), der die gesamtwirtschaftlichen In Abhängigkeit von der jeweils unterstellten Wachstumsent- Eckwerte der Frühjahrsprojektion 2020 der Bundesregierung wicklung werden die pandemiebedingten Kurzarbeiterzahl zugrunde liegen. Die Bundesregierung erwartet hiernach für und Arbeitslosenquote abgeschmolzen. das Jahr 2020 einen deutlichen Rückgang des realen BIP um Tabelle 1: Projizierte Wachstumsraten und Arbeitslosenquoten (in Prozent) Quelle: Eigene Berechnungen nach BMF (2020a), Wollmershäuser (2020), OECD (2020). Szenario 2020 2021 2022 2023 2024 Veränderung reales BIP -6,7 5,2 1,4 1,4 1,4 Status quo Arbeitslosenquote 5,5 6,1 5,2 4,8 4,8 Veränderung reales BIP -9,3 2,2 1,4 1,4 1,4 Negatives Szenario Arbeitslosenquote 5,6 8,7 8,3 7,4 6,9 Veränderung reales BIP -6,6 10,2 0,5 0,5 0,5 Positives Szenario Arbeitslosenquote 5,3 4,8 4,8 4,8 4,8 15
Konsequenzen der Corona-Pandemie Ehrbarer Staat? Die Generationenbilanz – Update 2020 -6,7 Prozent und im kommenden Jahr 2021 einen Anstieg losigkeit über. Daraus resultiert für das gesamte Jahr 2021 von +5,2 Prozent. Die zugrundeliegenden Annahmen der ein unterstelltes coronabedingtes Kurzarbeitsvolumen von im Mai erschienenen Frühjahrsprojektion basieren auf einer 120.000 ganzjährigen Beschäftigungsäquivalenten und eine vollumfänglichen Beschränkung des öffentlichen Lebens in unterstellte Arbeitslosenquote von 6,1 Prozent. In den Jahren Deutschland von Mitte März bis Anfang Mai, auf die eine „gra- von 2022 bis 2023 sinkt diese Arbeitslosenquote wieder ab duelle Lockerung“ der Maßnahmen zur Pandemiebekämp- und erreicht den Ausgangswert von 4,8 Prozent. Im Status fung folgt, die es der wirtschaftlichen Aktivität erlaubt wieder quo werden dementsprechend keine langfristigen Arbeits- zuzunehmen. Des Weiteren wird eine nicht näher spezifizierte markteffekte modelliert. „Lernkurve“ unterstellt, die zur Folge hat, dass mögliche Neben den beschriebenen Wachstums- und Arbeits- zukünftige einschränkende Maßnahmen zum Gesundheits- marktannahmen fließen sämtliche haushaltswirksamen Sta- schutz besser mit den wirtschaftlichen Entwicklungsmög- bilisierungsmaßnahmen der Bundesregierung, die aufgrund lichkeiten vereinbart werden können. Die Entwicklungen der der Corona-Pandemie ergriffen wurden, in das Status quo unterstellten Arbeitslosenquoten sowie Kurzarbeiterzahlen Szenario ein. Insgesamt umfassen die coronabedingten können Abbildung 7 entnommen werden. Auf Grundlage der Maßnahmen etwa 1,3 Billionen Euro. Davon entfallen etwa angenommenen Wachstumsentwicklung im Status quo Sze- 800 Milliarden Euro auf KfW-Kredite und Bürgschaften, die nario unterstellt die vorliegende Studie für das laufende Jahr voraussichtlich in Gänze zurückgezahlt werden können. Sie eine Arbeitslosenquote von 5,5 Prozent und einen Umfang werden im Rahmen dieser Studie daher nicht als haushalts- der Kurzarbeit von knapp 1,2 Millionen Beschäftigungsäqui- wirksam betrachtet und nicht für die Berechnung der impli- valenten. Im Jahr 2021 gehen die nach einem Jahr in Kurz- ziten Schulden berücksichtigt. Die berücksichtigten Aus- arbeit verbliebenen Beschäftigungsäquivalente in die Arbeits- gaben umfassen 200 Milliarden Euro zur Stabilisierung der Abbildung 7: Arbeitsmarktentwicklung der betrachteten Szenarien (Kurzarbeiterzahl (Säulen) in Beschäftigungsäquivalenten* und Arbeitslosenquote (Linien) in Prozent des Erwerbspersonenpotenzials) Quelle: Eigene Berechnungen. 3.000.000 10,0 9,0 2.500.000 8,0 7,0 2.000.000 Arbeitslosenquote Kurzarbeiterzahl 6,0 1.500.000 5,0 4,0 1.000.000 3,0 Status quo 2,0 500.000 Positives Szenario Negatives Szenario 1,0 0 0,0 2019 2020 2021 2022 2023 2024 2025 * Fiktive Zahl, die angibt, für wie viele Arbeitnehmer sich durch Kurzarbeit ein 100-prozentiger ganzjähriger Arbeitsausfall ergeben hätte. 16
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