Auswirkungen der Corona-Pandemie auf die Gesundheitsförderung - Arbeitspapier 56 Erfahrungen aus der Praxis und Perspektiven, Stand 2021
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September 2021 Arbeitspapier 56 Auswirkungen der Corona-Pandemie auf die Gesundheitsförderung Erfahrungen aus der Praxis und Perspektiven, Stand 2021
Gesundheitsförderung Schweiz ist eine Stiftung, die von Kantonen und Versicherern getragen wird. Mit gesetzlichem Auftrag initiiert, koordiniert und evaluiert sie Massnahmen zur Förderung der Gesundheit (Krankenversicherungsgesetz, Art. 19). Die Stiftung unterliegt der Kontrolle des Bundes. Oberstes Entscheidungsorgan ist der Stiftungsrat. Die Geschäftsstelle besteht aus Büros in Bern und Lausanne. Jede Person in der Schweiz leistet einen jährlichen Beitrag von CHF 4.80 zugunsten von Gesundheitsförderung Schweiz, der von den Krankenversicherern eingezogen wird. Weitere Informationen: www.gesundheitsfoerderung.ch In der Reihe «Gesundheitsförderung Schweiz Arbeitspapier» erscheinen von Gesundheitsförderung Schweiz erstellte oder in Auftrag gegebene Grundlagen, welche Fachleuten in der Umsetzung in Gesundheitsförderung und Prävention dienen. Der Inhalt der Arbeitspapiere unterliegt der redaktio- nellen Verantwortung der Autorinnen und Autoren. Gesundheitsförderung Schweiz Arbeitspapiere liegen in der Regel in elektronischer Form (PDF) vor. Impressum Herausgeberin Gesundheitsförderung Schweiz Autorin Claudia Kessler, Public Health Services (PHS) Begleitgruppe Von Gesundheitsförderung Schweiz: Catherine Favre-Kruit (Auftraggeberin und Leitung Begleit gruppe); Katharina Ackermann; J essica de Bernardini; Dominik Weber Extern: Silvia Steiner, VBGF/GDK; Alexia Fournier Fall, CLASS/CPPS Reihe und Nummer Gesundheitsförderung Schweiz, Arbeitspapier 56 Zitierweise Kessler, C. (2021). Auswirkungen der Corona-Pandemie auf die Gesundheitsförderung: Erfahrungen aus der Praxis und Perspektiven, Stand 2021. Arbeitspapier 56. Bern und Lausanne: Gesundheitsförderung Schweiz. Illustration Titelseite Typopress Bern AG Auskünfte/Informationen Gesundheitsförderung Schweiz, Wankdorfallee 5, CH-3014 Bern, Tel. +41 31 350 04 04, office.bern@promotionsante.ch, www.gesundheitsfoerderung.ch Originaltext Deutsch Bestellnummer 01.394.DE 09.2021 Diese Publikation ist auch in französischer und in italienischer Sprache verfügbar (Bestellnummern 01.394.FR 09.2021 und 01.394.IT 09.2021). Download PDF www.gesundheitsfoerderung.ch/publikationen © Gesundheitsförderung Schweiz, September 2021
Auswirkungen der Corona-Pandemie auf die Gesundheitsförderung: Erfahrungen aus der Praxis und Perspektiven, Stand 2021 3 Inhaltsverzeichnis Management Summary 4 1 Einleitung 5 2 Gesundheitsförderung in Zeiten der Corona-Pandemie 6 2.1 Stark veränderte Rahmenbedingungen 6 2.2 Erfahrungen und Erkenntnisse aus der Praxis 7 3 Wichtigkeit der Gesundheitsförderung im Kontext der Corona-Pandemie 12 4 Handlungsbedarf aus Sicht der Akteure 13 4.1 Themenbereiche 13 4.2 Zielgruppen und Settings 13 4.3 Arbeitsweisen 14 5 Fazit und Empfehlungen 16 Anhang19 Anhang 1: Methodisches Vorgehen 19 Anhang 2: Quellenverzeichnis 20
4 Auswirkungen der Corona-Pandemie auf die Gesundheitsförderung: Erfahrungen aus der Praxis und Perspektiven, Stand 2021 Management Summary Die stark veränderten Rahmenbedingungen im Kon- Es braucht: text der Pandemie bringen für die Gesundheitsför- • einen stärkeren Fokus auf die Förderung der derung enorme Herausforderungen mit sich. Nach psychischen Gesundheit und der sozialen Teil einer Anpassungsphase in der ersten Welle ist es habe, insbesondere bei verletzlichen Personen- den Akteuren1 vielfach gelungen, ein an den Kon- gruppen; text angepasstes Angebot aufrechtzuerhalten und • künftig vermehrt die Kombination von bewährten die verschiedenen Zielgruppen zu erreichen. Unab- Ansätzen mit digitalen Lösungen; hängig vom Themenbereich und den Zielgruppen • mehr interprofessionelle und multisektorielle berichten die Akteure im Rückblick auf das erste Zusammenarbeit zur Förderung der gesundheit- Pandemiejahr über viele Gemeinsamkeiten – bei lichen Chancengleichheit. den Schwierigkeiten, den gefundenen Lösungen und den wichtigsten Lernerfahrungen. Die Gesundheitsförderung, so ist man sich einig, Eine grundlegende Erkenntnis ist, dass die Gesund- braucht es während und nach der Corona-Pandemie heitsförderung in Krisensituationen tendenziell an mehr denn je. Bedeutung gewinnt. Sie birgt viel Potenzial, um im Kontext einer Pandemie günstig auf Belastungen Vier Empfehlungen aus Sicht der Autorin und Ressourcen der Bevölkerung einzuwirken: einer I. Basierend auf den Lernerfahrungen soll seits über positiven Einfluss auf das Verhalten der Bewährtes aus Pandemiezeiten in den Regel Menschen und andererseits über das Einwirken auf betrieb transferiert werden. die Verhältnisebene. II. E s gilt, die Akteure der Gesundheitsförderung im Krisenmanagement stärker zu p ositionieren. Wichtige Erkenntnisse und Handlungsbedarf III. Die Gesundheitsförderung soll vermehrt im aus Sicht der Akteure Kontinuum der Aufgaben des Gesundheits • Zielgruppen und Mittlerinnen und Mittler, welche systems gedacht werden. durch die Pandemie an Stellenwert gewonnen IV. Die Leistungen der Akteure der Gesundheits haben, sind unter anderem: Jugendliche, sozial förderung zugunsten verletzlicher Bevölke- isolierte oder benachteiligte Personen aller rungsgruppen während der Pandemie sind zu Altersklassen, b etreuende Angehörige, Eltern, würdigen. Während und nach der Pandemie Lehrpersonen, Freiwillige und soziokulturelle müssen ihnen die Mittel zur Hand gegeben Mittlerinnen und Mittler. werden, die es für eine nachhaltige Gesund • Settings für die Gesundheitsförderung, die heitsförderung braucht. in der Pandemie an Bedeutung gewonnen haben, sind zum Beispiel: das eigene Zuhause, das H omeoffice, das nahe Wohnumfeld und die sozialen Medien. 1 Siehe Fussnote 2.
Auswirkungen der Corona-Pandemie auf die Gesundheitsförderung: Erfahrungen aus der Praxis und Perspektiven, Stand 2021 5 1 Einleitung Seit Ende Februar 2020 ist die Schweiz von der Zur Struktur des Arbeitspapiers: Im Kapitel 2 wird Corona-Pandemie betroffen. Seither mussten die aufgezeigt, wie unter den stark veränderten Rah- Verantwortlichen der Gesundheitsförderung viele menbedingungen mit den gesprochenen Geldern der bewährten Arbeitsweisen grundsätzlich über- auch in Zeiten der Corona-Pandemie wirkungsvoll denken und sich immer wieder auf neue Gegeben- gearbeitet wird und welche Lernerfahrungen viele heiten und die jeweiligen Möglichkeiten einstellen. Akteure teilen. Informationen zur Relevanz der Ge- In diesem Arbeitspapier, das sich an die grosse sundheitsförderung in Zeiten der Corona-Pandemie Gruppe der Akteure 2 der Gesundheitsförderung finden sich im Kapitel 3. Von den Kapiteln 2 und 3 richtet, geht die Autorin im Auftrag der Stiftung Ge- abgeleitet wird im Kapitel 4 aufgezeigt, wie sich sundheitsförderung Schweiz der Frage nach, wie basierend auf den Erfahrungen der Pandemie der sich die Corona-Pandemie im ersten Jahr zwischen Handlungsbedarf in der Gesundheitsförderung aus März 2020 und März 2021 auf die Gesundheitsförde- Sicht der Akteure verändert hat und wo zukünftig rung ausgewirkt hat und welche Perspektiven sich noch stärker investiert werden sollte. Das Kapitel 5 daraus abzeichnen. Die Aufmerksamkeit wird be- schliesst mit ausgewählten, zukunftsgerichteten sonders auf die Zielgruppen «Kinder», «Jugendli- Empfehlungen an die Akteure der Gesundheitsför- che» und «ältere Menschen» gerichtet. Die Analyse derung. fokussiert dabei vor allem auf Lösungsansätze und Die Analyse, welche dem Arbeitspapier zugrunde Lernerfahrungen. Es wird jedoch auch deutlich, liegt, stützt sich auf Informationen und Erfahrun- dass die Situation die Akteure mit starken Heraus- gen, die über mehrere Monate in Austauschforen forderungen konfrontiert und ihrer Arbeit manch- der Akteure und verschiedenen Quellen gesammelt mal Grenzen gesetzt hat. Ausgewählte Stimmen wurden (siehe Anhang 1 «Methodisches Vorgehen»). aus der Praxis illustrieren die gesammelten Er Das vorliegende Arbeitspapier ergänzt bestehende fahrungen. vertiefte und zielgruppenspezifische Analysen mit einer zielgruppenübergreifenden Synthese. Die Analyse bildet vor allem Erfahrungen aus der ersten und zweiten Pandemiewelle in der Schweiz ab. Die Auswirkungen der Impfkampagne kamen in dieser Zeit noch nicht voll zum Tragen. Zur Zeit der Publi- kation befindet sich die Schweiz in einer vierten Pandemiewelle. 2 Der Begriff «Akteure» wird in diesem Arbeitspapier stellvertretend für Frauen, Männer und Organisationen verwendet, die auf verschiedenen Ebenen des Gesundheitssystems aktiv zur Gesundheitsförderung beitragen, wie zum Beispiel: Mitarbeitende in kantonalen Aktionsprogrammen oder Projekten, staatliche und nichtstaatliche Organisationen, Akteure der Zivilgesellschaft, Behörden, Akteure in Wissenschaft, Politik oder finanzierenden Stiftungen.
6 Auswirkungen der Corona-Pandemie auf die Gesundheitsförderung: Erfahrungen aus der Praxis und Perspektiven, Stand 2021 2 Gesundheitsförderung in Zeiten der Corona-Pandemie 2.1 Stark veränderte Rahmenbedingungen der Zielerreichung bei 16 Projekten als «auf Kurs» ein. Bei einer Mehrheit der Projekte (65) sah man Zu Beginn der Corona-Pandemie im Frühjahr 2020 die Zielerreichung als möglich an, unter der Voraus richteten die Behörden und Organisationen ihre Be- setzung, dass kompensatorische Massnahmen er- mühungen vor allem auf den Schutz besonders ge- griffen werden. So wurden unter anderem Projekt- fährdeter Personengruppen und sensibilisierten die laufphasen verlängert, Ziele angepasst oder Gelder Bevölkerung zu den jeweils geltenden behördlich umgewidmet, um Angebote anzupassen oder um verhängten Massnahmen. Die Themen Infektion, neue Angebote zu schaffen. Bei 9 Projekten können Krankheit und Tod dominierten die Wahrnehmung trotz erheblichem Mehraufwand voraussichtlich nur und erzeugten Ängste in der Bevölkerung. Das zen- einzelne Teilziele erreicht werden. Bei keinem der trale Prinzip der Salutogenese 3 und viele Aktivitäten geförderten Projekte musste man jedoch, Stand im Bereich der Gesundheitsförderung rückten vor März 2021, davon ausgehen, dass keines der Ziele übergehend in den Hintergrund. Statt Vernetzung, erreicht werden kann. Partizipation und soziale Teilhabe zu fördern, wurde Abstandhalten zum neuen Paradigma (Scharinger 2020). ABBILDUNG 1 Es gehört jedoch zum Aufgabenbereich der Gesund- heitsförderung, Menschen in der Bewältigung von Einschätzung der Möglichkeit der Zielerreichung schwierigen Lebensereignissen zu unterstützen bei 90 von Gesundheitsförderung Schweiz geförderten Projekten, Stand März 2021 und zu begleiten. Eine positive Krisenbewältigung stärkt die Gesundheit einzelner Menschen und kann in schwierigen Zeiten zum Empowerment von ver- 9 16 letzlichen Bevölkerungsgruppen beitragen. Wie die Erfahrungsbeispiele aus der Praxis im Kapitel 2.2 zeigen, stellten sich die Akteure der Gesundheits- förderung rasch den neuen Herausforderungen und suchten engagiert und kreativ nach Wegen und Strategien, um die Zielgruppen dabei zu unterstüt- zen, trotz Einschränkungen einen gesunden Le- 65 bensstil zu führen und psychisch stabil zu bleiben. Viele bestehende Angebote wurden an die veränder- ten Rahmenbedingungen angepasst. Neue Ange Zielerreichung auf Kurs bote wurden geschaffen. Es ist aber auch Tatsache, ielerreichung möglich, teils mit kompensatorischen Z dass einige Angebote nicht angepasst werden konn- Massnahmen (wie z. B. Vertragsverlängerung, ten und manchmal, zumindest vorübergehend, sis- Budgetanpassungen) tiert werden mussten. eilzielerreichung möglich, mittlere bis grössere T Probleme, erheblicher Mehraufwand Eine Einschätzung zu 90 Projekten, welche über die Zielerreichung nicht möglich Projektförderung KAP von Gesundheitsförderung Schweiz kofinanziert werden, ergab im März 2021 Quelle: Darstellung basierend auf Auswertung «interne das in der Abbildung 1 festgehaltene Bild. Einschätzung durch Gesundheitsförderung Schweiz» vom Die Projektbegleitenden von Gesundheitsförderung 16.3.2021, aktualisiert mit dem Jahresbericht 2020 Schweiz stuften zu diesem Zeitpunkt die Möglichkeit 3 Für eine Definition siehe https://www.quint-essenz.ch/de/topics/1249.
Auswirkungen der Corona-Pandemie auf die Gesundheitsförderung: Erfahrungen aus der Praxis und Perspektiven, Stand 2021 7 2.2 Erfahrungen und Erkenntnisse an die jeweiligen Möglichkeiten angepasst. Manch- aus der Praxis mal wurden Angebote schrittweise wieder «hoch gefahren». So wurde beispielsweise mit einfacheren Die Akteure der Gesundheitsförderung stiessen auf und kürzeren Formaten gestartet, um zu eruieren, grosse Herausforderungen und Grenzen bei der wie viele Personen bereit waren, das Angebot zu Umsetzung ihrer Projekte. Aber sie fanden auch nutzen. Mit der Zeit wurden hybride Formen ent eine Vielzahl von Lösungen und sammelten wäh- wickelt, die eine Wahl zwischen physischer und rend der ersten beiden Pandemiewellen viele Lern- Online-Teilnahme ermöglichten. Um die Schutz erfahrungen. Es ist bemerkenswert, wie viele Ge- konzepte einzuhalten, arbeiteten die Anbietenden meinsamkeiten sich bei den Schwierigkeiten wie mit neuen (Klein-)Formaten, wie zum Beispiel: auch bei den Lösungsansätzen und Lernerfahrun- mehrfache Durchführung eines Angebots zur Reduk- gen zeigen – unabhängig davon, in welchem Themen tion der Gruppengrösse; Anmeldepflicht zur Kon bereich und mit welcher Zielgruppe gearbeitet wird. trolle der Gruppengrösse; Durchführung in grös Die Erfahrungen aus der Praxis werden im Folgen- seren Räumen unter Wahrung der Abstandsregeln; den anhand von vier ausgewählten Lernfeldern ver- Verlagerung nach draussen an die frische Luft; anschaulicht. Die Auswahl wurde auf der Basis von Bildung von konstanten Tandems älterer Menschen geteilten Erfahrungen und Erkenntnissen getroffen. für gemeinsame Spaziergänge oder gegenseitige Besuche zur Reduktion von Kontakten. Lernfeld 1: Gruppenangebote erhalten und an die Gegebenheiten anpassen Grenzen: Viele der beliebten Intergenerationen-An- gebote mussten über längere Zeit sistiert werden, so Herausforderungen: Die Auswirkungen der Pande- zum Beispiel Schulbesuche oder Mentoringangebote mie erschwerten den Zugang zu allen Zielgruppen durch ältere Menschen. Auch Gruppenangebote zur erheblich. Insbesondere im Lockdown der ersten Bewegungsförderung für ältere Menschen und Trai- Welle mussten viele Gruppenangebote «auf Eis ge- ningsangebote für Jugendliche mussten vor a llem legt werden». Schulen wurden geschlossen und da- in den Wintermonaten pausieren. Tanzangebote oder mit auch ein zentrales Setting für die Zielgruppe der gemeinsames Kochen mit physischen Begegnungen Kinder und Jugendlichen. Ältere Menschen wieder- und andere Angebote, die nicht nach draussen ver- um wurden zu Beginn pauschal als Risikogruppe lagert werden konnten, konnten über längere Zeit eingestuft und sollten zuhause bleiben. Gruppenan- nicht mehr durchgeführt werden. Durch die erfor- gebote und Veranstaltungen mit direkten Kontakten derlichen Anpassungen stiessen die Anbietenden zu den Zielgruppen konnten für alle Altersklassen teils an die Grenzen ihrer finanziellen und perso nicht mehr wie bisher durchgeführt werden. Bei nellen Ressourcen. Auch abschlägige Bescheide zu der Wiederaufnahme der Aktivitäten mussten ein- Finanzierungsanträgen für nötige Anpassungsmass- schränkende Schutzkonzepte eingehalten werden. nahmen oder neue Angebotsideen limitierten die Der Erhalt von bestehenden Gruppenangeboten und Umsetzung. Aus diesen Gründen mussten einige An- ihrer Gruppendynamik stellte eine Herausforderung gebote zumindest vorübergehend sistiert werden. dar, unabhängig vom Alter der Angesprochenen. Die Settings der Gesundheitsförderung mussten zudem Wichtige Lernerfahrungen: rasch mit neuen und alternativen Gruppenangebo- • In der Arbeit mit älteren Menschen stellen sich ten «bespielt» werden. über alle Phasen der Pandemie hinweg grössere Probleme für Gruppenangebote mit physischem Gefundene Lösungsansätze: Vor allem in der ersten Kontakt. Welle wurden viele Gruppenangebote in digitale For- • Sowohl für ältere Menschen als auch für Kinder mate umgewandelt. Nach der Lockerung der Mass- und Jugendliche stellen Online-Gruppenkurse nahmen im Frühsommer 2020 wurden die Gruppen- über eine beschränkte Zeit eine Notlösung dar. angebote zunehmend wieder physisch durchge- Auf die Dauer sind physische Kontakte und Be- führt, für Kinder und Jugendliche früher als für die gegnungen für den Erhalt einer Gruppendynamik älteren Menschen. Die Modalitäten wurden laufend jedoch ein zentraler Erfolgsfaktor.
8 Auswirkungen der Corona-Pandemie auf die Gesundheitsförderung: Erfahrungen aus der Praxis und Perspektiven, Stand 2021 • Die Verantwortlichen erkannten Mitte 2020, dass Beginn der Pandemie das nötige Know-how und die es nicht möglich, aber auch nicht zwingend nötig personalen Ressourcen zur Umstellung auf «digi- war, alle abgesagten Angebote in der zweiten tal». Zudem galt es, die Ansprüche an die Reak Jahreshälfte 2020 nachzuholen. tionsgeschwindigkeit, die Qualität der digitalen Lö- • Trotz der beschriebenen Schwierigkeiten konnten sungen und die Inhalte in eine vernünftige Balance viele Gruppenangebote zur Förderung der Ge- zu bringen. sundheit bis dato erhalten werden. • Alle Zielgruppen haben die angepassten und Gefundene Lösungsansätze: Die Verantwortlichen neuen Angebote mit grosser Dankbarkeit auf schufen, teils mit zugekaufter Expertise oder über genommen und vielfach auch genutzt. gemeinsame Lösungen mit Partnerorganisationen, eine Vielzahl von Websites und Videos zu verschie- Lernerfahrung Gruppenangebote – denen Themen der Gesundheitsförderung. Neben Zielgruppe ältere Menschen digitalen Angeboten für spezifische Zielgruppen ent- «Für das Amt für Gesundheitsvorsorge des wickelten insbesondere die Kantone themenüber- Kantons St. Gallen wurde rasch klar, dass man greifende Plattformen mit Informationen und Ange- in der Pandemie – insbesondere in Phasen boten für verschiedene Altersklassen, für Familien mit einschränkenden Massnahmen – über TV- oder für Schulen. In der Arbeit mit vulnerablen Ziel- Sendungen ‹die Masse› der älteren Menschen gruppen suchten die Verantwortlichen als Ergän- zuhause für die Bewegungsförderung erreichen zung der digitalen Angebote für zuhause auch den und zum Mitmachen motivieren kann. Dank persönlichen Kontakt über alle möglichen Wege. einer professionellen Produktion durch das Ost- «Learning by doing», «einfach anpacken» und nicht schweizer Fernsehen und einer guten Mischung zuwarten, bis man perfekte Lösungen anbieten aus Erlebnisagogik und evidenzbasierten trai- kann, hat sich für die Akteure vielfach bewährt, um ningswirksamen Übungen wurde die Bewegungs den Kontakt zu den Zielgruppen während des Lock- sendung für ältere Menschen «Bliib fit – mach downs oder danach rasch wieder aufzunehmen. mit!» zum Erfolgsschlager. Sie hat sich als gute Alternative zu konventionellen Gruppenange Grenzen: Nicht alle Angebote lassen sich digital boten für ältere Menschen erwiesen.»4 durchführen. Zudem können über digitale Angebote Ursula Meier Köhler, Projektleiterin Stopp Sturz, viele Personen nicht erreicht werden. Einige Ange- Amt für G esundheitsvorsorge des Kantons St. Gallen bote mussten wegen mangelnder Teilnahme abge- sagt werden. Mehrere Ideen für digitale Angebote konnten wegen fehlender Ressourcen nicht umge- Lernfeld 2: Digitale Zugänge zu den setzt werden. Zielgruppen schaffen Wichtige Lernerfahrungen: Herausforderungen: Die rasche Umstellung auf di- • Besonders in der ersten Welle waren viele der gitale Angebote und Kommunikation stellte sowohl digitalen Angebote über alle Zielgruppen hinweg für Personen der Zielgruppen als auch für die Ver- sehr beliebt und wurden oft genutzt. Die Nut- antwortlichen in vielen Organisationen eine Heraus- zung der digitalen Angebote sank jedoch, unab- forderung dar. Zugangsbarrieren für weniger IT- hängig vom Alter, in der zweiten Welle deutlich. affine Personengruppen und für Personen mit • Digitale Angebote kompensierten nicht nur fehlender Ausrüstung drohten, die Problematik der wegbrechende konventionelle Angebote, sondern digitalen Zweiklassengesellschaft und die Chancen- zeigten auch neue Chancen auf: So konnten ungleichheit zu vertiefen (insbesondere für hoch- beispielsweise in der Arbeit mit den Jugendlichen altrige Menschen und Kinder sowie für Personen Treffen online schneller und unkomplizierter aus sozioökonomisch schwächer gestellten Bevöl- organisiert werden; aus der Arbeit mit der Migra- kerungsgruppen). Auch vielen Akteuren fehlten zu tionsbevölkerung wird berichtet, dass die Teil- 4 Für weitere Lernerfahrungen und Erfolgsfaktoren siehe Präsentation (Meier Köhler & Hess 2021).
Auswirkungen der Corona-Pandemie auf die Gesundheitsförderung: Erfahrungen aus der Praxis und Perspektiven, Stand 2021 9 nehmenden über Gruppenangebote via virtuelle Lernfeld 3: Kontakt halten, insbesondere Kanäle (insbesondere WhatsApp) gut erreicht zu verletzlichen Personen werden konnten und teilweise offener redeten als sonst, da sie sich zuhause sicherer fühlten. Ge- Herausforderungen: Viele Personen aus den Ziel- wisse Zielgruppen werden über Online-Zugänge gruppen waren vor allem im Lockdown der ersten sogar besser erreicht, so zum Beispiel die Young Welle, teilweise aber auch danach, für die Akteure Carers. der Gesundheitsförderung nicht mehr in gewohnter • Über die verschiedenen Phasen der Pandemie Weise erreichbar. Insbesondere der Zugang zu ein- lässt sich sagen: Digital ist sicher besser als gar samen und zu hochaltrigen Menschen, aber auch zu nichts und bietet Chancen und eine Lösung für den betreuenden und pflegenden Angehörigen war viele, aber nicht für alle. Digitale Lösungen allein stark erschwert. Dasselbe gilt für den Zugang zu genügen nicht und müssen – auch im Sinne der Kindern und Jugendlichen aus verletzlichen und Chancengleichheit – mit beziehungsgeleiteten sozial benachteiligten Familien. Später schaffte die Angeboten kombiniert werden. Maskenpflicht emotionale Distanz. Sie schränkt die • Bei den Akteuren kam es zu einer raschen Lern- Kommunikation mit den Personen der Zielgruppen kurve mit einer Zunahme an digitalen Kompe ein, was insbesondere in der Arbeit mit Kleinkin- tenzen. Kleinere Organisationen und Anbietende dern in der frühen Förderung, in den Schulen, in der mit geringen Ressourcen sind bei digitalen Arbeit mit hörbeeinträchtigten Personen oder mit Lösungen gegenüber grösseren Akteuren teils Personen, die über geringe Kenntnisse der Landes- benachteiligt, teils jedoch auch schneller und sprachen verfügen, zu Problemen führt. agiler. Über Netzwerkarbeit gelingt es, Synergien für gemeinsame digitale Lösungen zu nutzen. Gefundene Lösungsansätze: Die Akteure arbeiten in Phasen mit stark kontakteinschränkenden Mass- Lernerfahrung digitale Zugänge – nahmen über eine Vielzahl von Kommunikations- Zielgruppe Jugendliche und Beratungskanälen. Verhaltensempfehlungen «Ciao.ch ist eine elektronische Austausch-Platt- und Informationen werden über zielgruppengerech- form für Jugendliche in der Romandie, die schon te Kanäle zu den Menschen nach Hause geschickt: lange vor Corona aufgebaut wurde. Im ersten über Social Media wie beispielsweise Instagram Jahr der Pandemie nahmen die Aktivitäten auf oder TikTok als besonders beliebte Medien bei der Plattform enorm zu. Mehrfach gab es zu- den Jugendlichen; Facebook bei den Personen über dem Beiträge, in welchen Suizidgedanken oder 35 und den jüngeren Seniorinnen und Senioren; Selbstverletzung zur Sprache kamen. Wir sahen Radio- und TV-Sendungen sowie Anschreiben per uns veranlasst, unsere Arbeitsweise zu über- Briefversand oder Telefonanrufe bei den älteren und denken. Durch die Einbindung der Ressourcen insbesondere hochaltrigen Personen; WhatsApp für und Expertise unserer Partnerorganisationen Kontakte mit der Migrationsbevölkerung. Vielfach einerseits und der Jugendlichen selbst, anderer- riefen die Akteure sozial isolierte oder verletzliche seits, konnten wir rasch auf den Bedarf reagie- Personen zuhause an oder unterstützten die Bildung ren. So haben wir beispielsweise ein neues von Telefonketten. Es wurden Hotlines eingerichtet Alarmsystem geschaffen. Jugendliche melden und Fragebögen zur Bedarfserhebung verschickt. problematische Beiträge, welche sie sehen, Beratung wurde so rasch wie möglich wieder auf- oft fast in Echtzeit. Ciao.ch reagiert dann öffent- suchend angeboten. Die Arbeit mit den sogenannten lich und für alle sichtbar. Wir kontaktieren Multiplikatorinnen und Multiplikatoren (wie z. B. auch die Jugendlichen in Not direkt mit Vor Lehrpersonen, Sozialarbeitenden, Schlüsselperso- schlägen, wo sie sich für Unterstützung und nen aus der Migrationsbevölkerung oder der K inder- Beratung hinwenden können.» und Jugendarbeit), mit Peers und Freiwilligen wurde Marjory Winkler, Leiterin von ciao.ch intensiviert, um Zugänge zu besonders verletzlichen Personen zu erhalten. Um die Beeinträchtigung der
10 Auswirkungen der Corona-Pandemie auf die Gesundheitsförderung: Erfahrungen aus der Praxis und Perspektiven, Stand 2021 Kommunikation durch die Maskenpflicht zu umge- baren Zielgruppen bewährt. Eine soziokulturell hen, wurde manchmal von einer physischen auf eine angepasste und zielgruppenspezifische Ver digitale Durchführung gewechselt, da Mimik und mittlung von Informationen und Angeboten zur Gefühlslage in Videotreffen besser sichtbar sind. Gesundheitsförderung ist im Krisenfall wichti- ger denn je. Grenzen: Viele Personen konnten, insbesondere im Lockdown der ersten Welle, trotz aller Bemühungen Lernerfahrung Kontakt halten – nicht erreicht werden. Die Akteure berichten, dass Zielgruppe Migrationsbevölkerung die sogenannt schwer erreichbaren Zielgruppen in «In der Arbeit mit sozial benachteiligten Fami- der Pandemie noch schwerer zu erreichen sind als lien und älteren Menschen hat sich gezeigt, sonst. Zudem wurden die Angebote der Gesund- wie wichtig verständliche, mehrsprachige Infor heitsförderung in allen Altersklassen vor allem mationen für die Bewältigung einer Krisen durch Personen genutzt, zu denen bereits vorgängig situation sind. Erfolgreiche digitale Kommunika- Kontakte bestanden. Es war im ersten Pandemie- tion folgt den Gewohnheiten und Möglichkeiten jahr viel schwieriger als in normalen Zeiten, neue der Zielgruppe. Der Zugang zu den Familien über Kontakte zu weiteren Personen der Zielgruppen zu Videotelefonie oder Messenger-Apps funktio- knüpfen. Fachpersonen sowie Multiplikatorinnen und nierte im Lockdown sehr gut. Denn viele Multi Multiplikatoren kamen durch die intensivierte Kon- plikatorinnen und Gesprächsteilnehmende taktarbeit nach der Lockerung der Massnahmen kannten diese Kommunikationsmittel bereits aufgrund des grossen Arbeitsvolumens manchmal von ihrem Kontakt mit Familienmitgliedern an ihre physischen und psychischen Grenzen. in den Herkunftsländern.» Isabel Uehlinger, Geschäftsführerin Femmes-Tische Schweiz5 Wichtige Lernerfahrungen: • Nur schon den Kontakt aufrechtzuerhalten, ist in diesem Kontext bereits eine wertvolle Inter- Lernfeld 4: Auf Organisationsebene sich vention. laufend an Entwicklungen anpassen • Eine wirksame Informationsvermittlung in Krisen- zeiten baut auf Vertrauen, welches idealerweise Herausforderungen: Die Akteure mussten sich in bereits vor einem Lockdown über eine längere den verschiedenen Phasen der Pandemie immer Zeit aufgebaut und gefestigt wurde. Persönliche wieder neu aufstellen und Angebote und Arbeits- Kontakte und eine beziehungsgeleitete Infor weisen laufend an den jeweiligen Kontext anpassen. mationsvermittlung schaffen in Zeiten einer Pan- Die eingangs aufgezeigten Auswirkungen auf die demie einen Vertrauenszuwachs bei den Ziel- Projekte führten zu massiven Einschränkungen, gruppen. Verzögerungen und teils auch Sistierungen. Dazu • Beratungen konnten nach einer gewissen Anlauf- kam, dass den Akteuren in den Bereichen Dienst- zeit und mit Umstellungen vielfach zielgruppen- leistung und Beratung vor allem in der ersten Welle gerecht wieder angeboten werden, was von den die Klientinnen und Klienten wegbrachen. Dies führ- Zielgruppen mit grosser Dankbarkeit aufgenom- te teils zu erheblichen Einnahmeneinbussen und men wurde. Niederschwellige Beratungsange- einem deutlichen Mehraufwand für das Projektma- bote brauchen etablierte, wenn möglich schlanke nagement. Eine verlässliche Planung ist im Kontext Strukturen, damit sie in Krisenzeiten funktio einer Pandemie kaum noch möglich. Die Pandemie nieren. Viele Akteure berichten, dass Anfragen bedroht etablierte Angebote, die auf eine physische für Beratungen (telefonisch, online, physisch) Durchführung angewiesen sind, sowie die entspre- seit Beginn der Pandemie zugenommen haben. chenden Vereine. • In der Pandemie hat sich die Arbeit mit beste henden Multiplikatorinnen- und Multiplikatoren- Netzwerken für den Zugang zu schwer erreich 5 In Anlehnung an den Bericht von a:primo und Femmes-/Männer-Tische, 2020 (Moors, Meile & Uehlinger 2020).
Auswirkungen der Corona-Pandemie auf die Gesundheitsförderung: Erfahrungen aus der Praxis und Perspektiven, Stand 2021 11 Gefundene Lösungsansätze: Die Herausforderun- Wichtige Lernerfahrungen: gen wurden vielerorts durch hohes persönliches • Der Aufwand für Projektmanagement, Koordi Engagement und Mehrarbeit aufgefangen, sowohl nation und Kommunikation steigt in Zeiten der von Fachpersonen als auch von Akteuren der Zivil- Pandemie auf allen Ebenen um ein Vielfaches. gesellschaft (z. B. Multiplikatorinnen, Multiplikato- • Digitale Austauschforen, Tagungen und Vernet- ren und Freiwillige). Es wurde teils auch Fachexper- zungsanlässe erleichtern Akteuren die Teilnahme tise eingekauft, um gewisse Lösungen zu realisieren. und führen durch den Wegfall von Reisezeiten Die Verantwortlichen begannen, vermehrt in Sze zu Effizienzgewinnen. Vernetzung unter den Ak- narien zu planen, um Unsicherheiten aufzufangen teuren hat sich als wichtige Ressource für die und mögliche Entwicklungen zu antizipieren. Wegen Arbeit in Pandemiezeiten herausgestellt. der Absage von Angeboten konnten Zeitressourcen • Schlüsselpersonen sowie Multiplikatorinnen und nutzbringend umgenutzt werden (z. B. um Penden- Multiplikatoren brauchen nebst den nötigen zen abzuarbeiten, für konzeptionelle Arbeiten oder Kompetenzen vor allem viel Unterstützung. Sie um Evaluationen zu planen). So konnten rasch neue müssen von den Angebotsverantwortlichen Kommunikationsprodukte erstellt werden, wie zum nahe begleitet werden, um die Angebotsqualität Beispiel Videos, Websites oder Flyer. Wie bereits im auch in Krisenzeiten zu wahren. Kapitel 2.1 erwähnt, zeigten geldgebende Instanzen • Die kantonalen Aktionsprogramme, die Projekt- oft Verständnis bezüglich der erschwerten Ziel verantwortlichen und die Anbieterorganisationen erreichung von Projekten. Flexibel und gemeinsam erhalten durch ihr Engagement in der Pandemie wurde nach Lösungen gesucht. vermehrte Sichtbarkeit und Anerkennung – bei den Zielgruppen, den Behörden und anderen Ent- Grenzen: Vielfach fehlte es den Verantwortlichen an scheidungstragenden. den nötigen projektungebundenen respektive zu- sätzlichen finanziellen und personellen Ressour- Lernerfahrung Anpassung auf Organisations- cen, um rasch auf den Anpassungsbedarf reagieren ebene – Zielgruppe betreuende Angehörige zu können. Krankheitsbedingte Ausfälle in den «In den Kantonen Ob- und Nidwalden arbeiten Teams und Quarantäneauflagen schränkten die verschiedene Alters-, Sozial- und Pflegeorga Möglichkeiten der Anbietenden zusätzlich ein. Wich- nisationen seit längerem im Themenbereich tige Akteure für die Gesundheitsförderung, wie zum betreuende und pflegende Angehörige zusam- Beispiel kantonale und kommunale Behörden oder men. Während der Pandemie, in der sich die Hausärztinnen und -ärzte, waren insbesondere in Situation der Angehörigen teils dramatisch zu- der ersten Welle stark mit dem Krisenmanagement spitzte, konnten wir von den vorbestehenden absorbiert und standen über längere Zeit nicht wie Kooperationsbeziehungen profitieren. Wir haben geplant für projektbezogene Kooperationen zur Ver- komplementär, ressourceneffizient und wir- fügung. Aus den Kontaktbeschränkungen und dem kungsvoll im Sinne einer ganzheitlichen Unter- geforderten raschen Handeln resultierten erhebli- stützung und Förderung der Gesundheit von che Abstriche bei dem für Gesundheitsförderung Betroffenen gearbeitet.» so wichtigen Prinzip der Partizipation, sowohl auf Brigitta Stocker, Geschäftsleiterin Pro Senectute Nidwalden6 Ebene der Zielgruppen als auch der zivilgesell- schaftlichen Akteure. Viele Angebote konnten, zu- mindest über längere Zeit, keine Lösung finden, um die Partizipation der Zielgruppen in der angestreb- ten Art zu ermöglichen. 6 In Anlehnung an einen Artikel in der Nidwaldner Zeitung vom 20. April 2021.
12 Auswirkungen der Corona-Pandemie auf die Gesundheitsförderung: Erfahrungen aus der Praxis und Perspektiven, Stand 2021 3 Wichtigkeit der Gesundheits förderung im Kontext der Corona-Pandemie Die Erfahrungen in der Corona-Pandemie zeigen, gungsverhalten liegen wissenschaftliche Studien zu dass die Gesundheitsförderung in Krisensituationen positiven Effekten vor, welche im Kontext der Pan- tendenziell an Bedeutung gewinnt (Fassbind & We- demie von Relevanz sind. Körperliche Inaktivität er- ber 2020, Lutz et al. 2021, Van den Broucke 2020). Im höht nachgewiesenermassen das Risiko für schwere Zuge der Pandemie wurden die Überschneidungen Verläufe bei einer Covid-19-Erkrankung (Sallis et al. zwischen Krisenkonzepten, Krisenbewältigung und 2021). Andere Studien belegen den positiven Effekt den zentralen Grundpfeilern der Gesundheitsförde- von regelmässiger körperlicher Aktivität auf das rung immer deutlicher (Scharinger 2020). Immunsystem und auf die Wirkung von Impfungen Die Akteure können in ihrer Arbeit auf etablierte (Chastin et al. 2021). Ansätze der Gesundheitsförderung zurückgreifen Die Kommunikationskanäle der Gesundheitsförde- und die Bevölkerung dabei unterstützen, die Pande- rung konnten zudem auch für die Corona-Präven mie und ihre Folgen zu bewältigen und gesund zu tion genutzt werden. Erfahrungen aus der Praxis bleiben. In kritischen Lebenssituationen sind die zeigen, dass es sich bewährt hat, Botschaften zur psychischen Ressourcen der Menschen entschei- Corona-Prävention mit solchen zur Förderung der dend im Umgang mit Unsicherheit, Ängsten und Gesundheit zu ergänzen. Denn positive Botschaften Einschränkungen. Es ist ein Kernanliegen der Ge- zur Stärkung von Wohlbefinden und Gesundheit sundheitsförderung, diese Ressourcen zu stärken, können beängstigende Botschaften im Kontext der beispielsweise über die Förderung von Selbstwirk- Pandemie abfedern, Kontrollüberzeugungen stär- samkeit, Resilienz oder Lebenskompetenzen. Auch ken und der sogenannten «Covid-Fatigue» entge die Förderung der sozialen Teilhabe und Unterstüt- genwirken. Anstatt passiv auszuharren, kann die zung stärkt verletzliche Personen und wirkt als Bevölkerung mit Unterstützung der Gesund heits Schutzfaktor für die psychische Gesundheit in Kri- förderung den Lebensalltag in Zeiten der Pandemie senzeiten. proaktiv gestalten. Ihre psychische Widerstands- Die Gesundheitsförderung befasst sich zudem mit kraft kann so gestärkt werden. Verhaltensweisen (insbesondere Bewegung und Er- So erstaunt es nicht, dass fast 80 Prozent von nährung), die wesentlich zur Prävention von nicht- 115 Akteuren, die an einer Studie von Unisanté teil- übertragbaren Krankheiten (NCD) beitragen und genommen haben, die Corona-Pandemie auch als den Verlauf von NCDs günstig beeinflussen können. eine Opportunität für die Gesundheitsförderung und Letztere gelten bekanntlich bei einer Corona-Infek- Prävention sehen7. tion als Risikofaktoren. Vor allem für das Bewe- 7 Siehe Figure 3, Seite 32 in Lutz et al. (2021).
Auswirkungen der Corona-Pandemie auf die Gesundheitsförderung: Erfahrungen aus der Praxis und Perspektiven, Stand 2021 13 4 Handlungsbedarf aus Sicht der Akteure Die Entwicklungen im Kontext der Corona-Pande- • Förderung von Resilienz, Selbstwirksamkeit mie richten ein Brennglas auf bestehende Lücken und sozioemotionalem Lernen in Gruppen; und Schwächen in vielen gesellschaftlichen Berei- Stärkung spezifischer Lebenskompetenzen, chen, so auch in der Gesundheitsförderung. Aus den beispielsweise Kommunikationsfähigkeit oder vielfältigen Anmerkungen der Akteure und aus der Emotionsregulation (vor allem bei der Ziel- ausgewerteten Literatur ergibt sich ein deutliches gruppe der [Klein-]Kinder und Jugendlichen Bild zu den Themenbereichen und Zielgruppen, wel- sowie deren Eltern – speziell psychisch belastete che durch die Pandemie an Bedeutung gewonnen Eltern und sozial benachteiligte Familien); haben. Ihnen sollte künftig aus Sicht der Akteure • interprofessionelle Zusammenarbeit und Beitrag vermehrtes Augenmerk geschenkt werden. Es zur Früherkennung von psychisch belasteten zeichnet sich auch ab, wie sich die Arbeitsweisen oder gefährdeten Personen; Bekanntmachung in der Gesundheitsförderung nachhaltig verändern und je nach Dringlichkeit Zuführung zu nieder- könnten 8 . schwelligen Angeboten oder qualifizierter Bera- tung und Behandlung, inkl. Suizid- und Gewalt- prävention (vor allem für Jugendliche, vulnerable 4.1 Themenbereiche Familien und sozial isolierte Personen aller Altersklassen); Bewegung, Ernährung und psychische Gesundheit • Arbeit an verschiedenen Themen, die Einfluss auf beeinflussen sich gegenseitig. Während der Pan die psychische Gesundheit haben, wie zum Bei- demie und in Zukunft sollte an allen bisherigen spiel: Solidarität, Generationensolidarität und Schwerpunktthemen der Gesundheitsförderung differenzierte Altersbilder, Förderung der An- weitergearbeitet werden, um sowohl chronischen nahme von Unterstützung, vertrauensbildende nichtübertragbaren Krankheiten als auch Infek positive Kommunikation, Umgang mit Ängsten, tionskrankheiten vorzubeugen und um das Wohl Schlaf, Berührung sowie die Themen Lebens befinden und die psychische Gesundheit der Be ende und gesundheitliche Vorausplanung (ACP). völkerung zu stärken. Der positive Effekt von regelmässiger Bewegung und ausgewogener Er- nährung im Kontext der Corona-Pandemie wurde 4.2 Zielgruppen und Settings im Kapitel 3 ausgeführt. Sie bleiben auch künftig wichtige Schwerpunktthemen. Die bisherigen Hauptzielgruppen der kantonalen Die Akteure betonen in diesem Kontext jedoch, dass Aktionsprogramme – Kinder, Jugendliche und ältere der breite Themenbereich der Förderung der psy- Menschen – behalten ihre Relevanz auch in Zukunft. chischen Gesundheit und sozialen Teilhabe für alle Die Pandemie rückt dabei gewisse Untergruppen Zielgruppen eine höhere Priorität erhalten sollte. In stärker in den Fokus. Vor allem die Zielgruppe der diesen Bereich gehören wichtige Aspekte, wie zum Jugendlichen, die sozial isolierten Menschen so- Beispiel: wie sozial benachteiligte Personen aller Alters- • Massnahmen gegen die Einsamkeit (vor allem klassen rücken verstärkt ins Zentrum der Aufmerk- für die Zielgruppen der Jugendlichen und der samkeit. Ebenfalls sollen aus der Sicht der Akteure älteren, insbesondere hochaltrigen, Menschen); Bezugspersonen, wie Eltern, Lehrpersonen oder 8 Die Analyse zum Handlungsbedarf aus Sicht der Akteure stützt sich auf die verschiedenen Austauschforen der Stakeholder und diverse Publikationen, insbesondere Lutz et al. (2021) und Van den Broucke (2020). Die hier aufgezeigten Punkte entsprechen nicht zwingend Schlussfolgerungen von Gesundheitsförderung Schweiz.
14 Auswirkungen der Corona-Pandemie auf die Gesundheitsförderung: Erfahrungen aus der Praxis und Perspektiven, Stand 2021 betreuende und pflegende Angehörige, zu denen tenzen der Zielgruppen zu stärken und besonders auch die Young Carers gehören, vermehrt als Ziel- darauf zu achten, dass Personen mit geringen gruppe der Gesundheitsförderung berücksichtigt digitalen Kompetenzen nicht «abgehängt» werden. werden. Viele Akteure wünschen sich im Kontext der Schulen haben in der Pandemie mit kreativen An- digitalen Transformation mehr Know-how und sätzen auf die neue Situation reagiert und gehören eine Stärkung ihrer Kompetenzen. weiterhin zu den prioritären Settings der Gesund- • Förderung der Chancengleichheit: Unabhängig heitsförderung. Das Setting der Arbeitswelt hat von der Staatsangehörigkeit nahm die Anzahl sich durch die Pandemie stark verändert. Arbeits- Todesfälle im «Corona-Jahr» 2020 bei den Män- orte, -zeiten und -formen werden neu gedacht. Die nern stärker zu als bei den Frauen (in der Schwei- betriebliche Gesundheitsförderung wird sich diesen zer Bevölkerung +13,7 Prozent bei den Männern Veränderungen anpassen und sich zur Förderung und +9,3 Prozent bei den Frauen). Diesen Gender- «gesunder Arbeitsplätze» vermehrt auch dem Set- Gap stellte man auch in der ausländischen Be ting Homeoffice widmen müssen. Die Vernetzung völkerung fest, bei welcher im Vergleich mit der zwischen verschiedenen Settings, wie zum Beispiel Schweizer Bevölkerung ein fast doppelt so Familien/Eltern, Kindertagesstätten, Schulen und hoher Anstieg der Todesfälle zu verzeichnen ist Arbeitswelt/Unternehmen, sollte stärker gefördert (+22,8 Prozent bei den Männern und +20,4 Pro- werden. Dezentrale, kleinräumliche Settings, wie zent bei den Frauen) (Bundesamt für Statistik die Kommunen oder Quartiere, gewinnen durch die 2021). Aus diesem Grund und wegen der sich ab- Pandemie als Interventionsorte für die Gesundheits- zeichnenden sozialen Pandemiefolgen sollte förderung ebenfalls weiter an Bedeutung (Scharin- die Chancengleichheit von den Akteuren der Ge- ger 2020). Durch die Corona-Pandemie wurden zu- sundheitsförderung noch stärker und systema dem das eigene Zuhause und die Social Media tischer als bisher auf zwei Ebenen gefördert wer- wichtige Begegnungs- und Interaktionsorte für die den (Marmot et al. 2020, Kessler & Guggenbühl Gesundheitsförderung. Es stellt sich die Frage, wel- 2021). Primär ist die gesundheitliche Chancenun- chen Stellenwert sie als mögliche Settings nach gerechtigkeit strukturell bedingt. Wie im nächs- dem Ende der Pandemie behalten werden. ten Punkt weiter ausgeführt, braucht es deshalb vermehrt Massnahmen auf der Verhältnisebene bzw. zu den sozialen Gesundheitsdeterminanten. 4.3 Arbeitsweisen Aus Sicht der Akteure braucht es zudem auf der individuellen Ebene mehr Mittel für Angebote, die Bei den Arbeitsweisen möchten die Akteure einige gezielt vulnerable, isolierte und sozial benach der neu entwickelten Ansätze (z. B. digitale Angebo- teiligte Menschen erreichen. Die Arbeit mit Multi- te oder von den Gruppenangeboten abgeleitete neue plikatorinnen, Multiplikatoren und Peers sollte Kleinformate) künftig in Ergänzung mit den gewohn- intensiviert werden. Zudem wird von der Autoren- ten Ansätzen nutzbringend kombinieren. Auch bei schaft in den ausgewerteten Fachartikeln ge den Arbeitsweisen kristallisiert sich durch die Krise fordert, die Akteure der Gesundheitsförderung heraus, wo Handlungsbedarf besteht. Dazu gehören sollten sich künftig noch stärker für die Förde- insbesondere die folgenden A spekte: rung der Gesundheitskompetenzen aller, und • Digitale Lösungen und Kompetenzen: Der durch insbesondere verletzlicher Bevölkerungsgruppen, die Pandemie ausgelöste starke Digitalisierungs- einsetzen. Die Gesundheitskompetenz stellt schub wird von vielen als Chance gesehen. Es in Krisenzeiten eine zentrale Kompetenz für das wurden neue digitale Kommunikations- und Be- Verständnis von Informationen und Empfehlun- gegnungswelten geschaffen. In Zukunft wird gen dar. Sie erlaubt auch, die Vertrauenswürdig- mit einem stärkeren Mix von physischen und digi- keit von Informationsquellen besser einzuschät- talen Angeboten gerechnet. Gleichzeitig wird zen (De Gani et al. 2021). auch auf die mit der Digitalisierung verbundenen Risiken verwiesen. Es gilt, die digitalen Kompe-
Auswirkungen der Corona-Pandemie auf die Gesundheitsförderung: Erfahrungen aus der Praxis und Perspektiven, Stand 2021 15 • Über interprofessionelle und multisektorielle • Austausch und Koordination auf allen Ebenen Zusammenarbeit gemeinsam an den sozialen weiter stärken: Zusammenarbeit und Austausch Gesundheitsdeterminanten ansetzen: Die Pande- stehen bekanntlich am Anfang vieler Lösungen. mie hat den Mehrwert der interprofessionellen Themen- und arbeitsweisenübergreifend besteht Zusammenarbeit für die Bewältigung von gesund- ein besonderes Bedürfnis der Akteure darin, heitlichen Problemen auf Bevölkerungsebene den im Verlauf der Pandemie intensivierten Aus- klar aufgezeigt. Insbesondere gilt es, künftig ver- tausch und die Koordination auf allen Ebenen mehrt an den Schnittstellen zwischen Gesund- weiter zu stärken. Einige Akteure betonen, dass heits- und Sozialwesen zu arbeiten, um die Folgen es wichtig sei, sich in Vernetzungsanlässen nicht der Pandemie auf sozial benachteiligte Personen nur über Erfolge und Lernerfahrungen, son- gemeinsam abzufedern. Die Gesundheitsförde- dern auch über Fehler und Misserfolge auszutau- rung sollte sich zudem aus Sicht von Fachperso- schen. So kann auch in der Gesundheitsförde- nen stärker als bisher für den multisektoriellen rung eine «Fehlerkultur» gefördert werden. Ansatz im Sinne von «Gesundheit in allen Politik- feldern» (Health in all Policies)9 einsetzen (siehe Scharinger 2020, Saam 2021, Levin-Zamir et al. 2021). 9 Siehe z. B. https://www.gesundheit.gv.at/gesundheitsleistungen/gesundheitsfoerderung/hiap.
16 Auswirkungen der Corona-Pandemie auf die Gesundheitsförderung: Erfahrungen aus der Praxis und Perspektiven, Stand 2021 5 Fazit und Empfehlungen Die Pandemie hat die Arbeitsweisen in der Gesund- «Mit Genugtuung können wir feststellen, dass heitsförderung stark verändert. Die Planungsunsi- ein grosser Teil unserer geplanten Projekte 2020 cherheit stellt bis heute für die Akteure eine grosse stattfinden konnte. Dies nicht zuletzt dank dem Herausforderung dar. enormen Engagement der Kantone und unserer Nach einer Anpassungsphase in der ersten Welle ist weiteren Partner. So ist es auch gelungen, innerhalb es vielfach gelungen, ein an den Kontext angepass- kurzer Zeit neue, Covid-19-spezifische Mass- tes Angebot aufrechtzuerhalten und die verschie nahmen zur Gesundheitsförderung zu lancieren.» denen Zielgruppen zu erreichen. Dazu beigetragen Thomas Mattig, Direktor der Stiftung Gesundheitsförderung haben erhebliche Anpassungen der Angebote und Schweiz (Gesundheitsförderung Schweiz 2021) Vorgehensweisen, Lernerfahrungen im Umgang mit den verordneten Massnahmen sowie die zunehmen- Im ersten Halbjahr 2021, als diese Analyse erarbei- de Durchimpfung der älteren Bevölkerung. Das fö- tet wurde, machte sich Hoffnung breit, dass die Pan- deralistische System erlaubt rasches Handeln und demie noch im laufenden Jahr durch den Übergang eine grosse Diversität der Ansätze, abgestützt auf in eine endemische Phase an Brisanz verlieren den lokalen Bedarf und die jeweils zur Verfügung könnte. Zum Zeitpunkt der Publikation im Spätsom- stehenden Ressourcen (Lutz et al. 2021). Die strate- mer 2021 haben sich die Hoffnungen auf ein baldiges gische Einbettung und die Umsetzung der Angebote Ende zerschlagen. Die weitere Entwicklung der Pan- zur Gesundheitsförderung erfolgen in Abhängigkeit demie bleibt ungewiss. Es stellt sich nun die Frage, des Machbaren und im Kontext der regionalen epi- was von dem, was in der Pandemie erarbeitet und demiologischen Lage kantonal sehr unterschiedlich gelernt wurde, auch weiterhin und über das Ende (Fassbind & Weber 2020). der Krise hinaus Bestand haben dürfte. Aus Sicht vieler Akteure ist «nach Corona» nicht ein- «Wir haben gelernt, zwischen Dringlichkeit und fach ein Weiterfahren wie «vor Corona» möglich. Langfristigkeit zu jonglieren.» Die Akteure und viele Autorinnen und Autoren in den «Unsere Diskussion zeigte, dass es im Moment ausgewerteten Publikationen sind sich einig: Um keine ausweglosen Probleme gibt. Alle haben ein die Folgen der Pandemie auf die verletzlichen Per- paar ‹Baustellen›, aber auch schon viele erfolg sonengruppen abzufedern, braucht es die Gesund- versprechende Lösungen.» heitsförderung heute mehr denn je. Zwei Stimmen an Austauschforen von Gesundheitsförderung Aus der Vielzahl von Empfehlungen, die sich aus die- Schweiz mit den Akteuren10 ser Analyse ableiten liessen, hebt die Autorin dieses Arbeitspapiers abschliessend vier Empfehlungen11 Anpassungsfähigkeit, Kreativität und Flexibilität, hervor, die sich sowohl auf den Einschätzungen der eine gute Koordination und Vernetzung sowie das involvierten Akteure als auch auf die Schlussfolge- Lernen voneinander stellten sich in der Krise als rungen in internationalen Publikationen abstützen zentrale Erfolgsfaktoren für die Arbeit in der Ge- (Van den Broucke 2020, Levin-Zamir et al. 2021, sundheitsförderung heraus. Krech 2020). Die Empfehlungen richten sich an die Verantwortlichen der Gesundheitsförderung auf den verschiedenen Ebenen und in den unterschiedlichen Organisationen und Institutionen. 10 Austausch zwischen Gesundheitsförderung Schweiz und den KAPs 10/2020; Workshop an der nationalen Gesundheitsförderungs-Konferenz 1/2021. 11 Die Empfehlungen der Autorin entsprechen nicht zwingend der Sicht von Gesundheitsförderung Schweiz.
Auswirkungen der Corona-Pandemie auf die Gesundheitsförderung: Erfahrungen aus der Praxis und Perspektiven, Stand 2021 17 I. Bewährtes aus der Pandemie in den Akteure für das Krisenmanagement befähigen: Die Regelbetrieb transferieren Akteure brauchen die dafür nötigen Kompetenzen und sollten von Vorgesetzten und Geldgebenden Das Potenzial der Digitalisierung für die Gesund- Unterstützung beim Aufbau krisenbezogener Me- heitsförderung nutzen: Bezogen auf den wichti- chanismen erhalten. gen Aspekt der Digitalisierung wird empfohlen, ihr Finanzierung für rasches Handeln in Krisen bereit- Potenzial für die Gesundheitsförderung zu nutzen, stellen: Um in Krisen rascher und niederschwelli- es aber nicht zu überschätzen. Digitale Angebote ger zusätzliche Mittel zu erhalten, sollten – neben sollten in der Regel zielgruppengerecht mit bezie- der Finanzierung durch die öffentliche Hand – neue hungsgeleiteten Angeboten kombiniert werden. Finanzierungsmechanismen und -quellen identifi- Über Gesundheitsförderung zur Prävention von ziert oder geschaffen werden. chronischen und übertragbaren Krankheiten bei- tragen: An die Frage, was aus den Zeiten der Pande- mie mitgenommen werden kann, knüpft auch die III. Die Gesundheitsförderung vermehrt Empfehlung an, den Bezug der Gesundheitsförde- im Kontinuum der Aufgaben des Gesund- rung sowohl zu den chronischen Krankheiten (NCD) heitssystems denken als auch vermehrt zu den übertragbaren Krank heiten zu schaffen. Für beide Bereiche braucht es Fliessende Übergänge zwischen «gesund» und geeignete Massnahmen auf der Verhaltens- und der «krank» in den Ansätzen berücksichtigen: Die Verhältnisebene (Van den Broucke 2020). Corona-Pandemie zeigt eindrücklich, wie aus bisher Vertrauenszuwachs für die künftige Arbeit nutzen: gesunden Menschen in kurzer Zeit Menschen mit Das Engagement und die Leistungen der Akteure Long Covid und chronischen Krankheiten werden der Gesundheitsförderung während der Pandemie können. Insbesondere bei der Zielgruppe der älte- haben zu einem Vertrauenszuwachs geführt, so- ren Menschen waren die Übergänge von Gesundheit wohl auf der Ebene der Zielgruppen als auch auf zu chronischen Krankheiten und Multimorbidität der Ebene von Behörden und Stiftungen. Auf die- mit zunehmendem Alter schon immer eine Gege- sem Vertrauen lässt sich aufbauen, um die Gesund- benheit im Lebensverlauf. Gleichzeitig waren Risiko heitsförderung in der Schweiz gestärkt in die post- faktoren, wie zum Beispiel Adipositas, an welchen pandemische Ära zu führen. die Gesundheitsförderung seit jeher ansetzt, oft ausschlaggebend für einen schweren Verlauf einer Covid-19-Erkrankung. II. Die Gesundheitsförderung als Akteurs An den Schnittstellen personenzentriert zusam- gruppe im Krisenmanagement stärker menarbeiten: Die Pandemie sollte Anlass geben, positionieren vermehrt an den Schnittstellen zwischen Gesund- heitsförderung, Prävention, Gesundheitsversorgung Anschlussfähige Krisenkonzepte entwickeln: Die und Rehabilitation personenzentriert und bedarfs- Akteure der Gesundheitsförderung haben sich in orientiert zusammenzuarbeiten, um sowohl die Zeiten der Corona-Pandemie als wichtige Partner Gesundheitskompetenzen und das Gesundheitsver- der öffentlichen Gesundheit bewährt. Viele der ge- halten der Menschen als auch die Selbstmanage- machten Erfahrungen werden sich auf zukünftige mentkompetenzen von bereits erkrankten Men- Krisen übertragen lassen. Um bei einer nächsten schen zukünftig ganzheitlicher zu fördern. Pandemie besser vorbereitet zu sein, sollten grös- Chancengleichheit über multisektorielle und inter- sere Organisationen und Institutionen, welche in professionelle Zusammenarbeit fördern: Im Kapi- der Gesundheitsförderung tätig sind, Strategien und tel 4 wird der dringende Handlungsbedarf für eine Konzepte entwickeln, die an übergeordnete Krisen bessere gesundheitliche Chancengleichheit weiter konzepte anschlussfähig sind (siehe z. B. Scharinger ausgeführt. Der dort erwähnte multisektorielle und 2020). interprofessionelle Ansatz sollte nicht nur auf der individuellen, sondern auch vermehrt auf der Ebene der sozialen Gesundheitsdeterminanten ansetzen.
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