Auto tankt Internet ANALYSE - Auswirkungen des automatisierten und vernetzten Fahrens auf den Energieverbrauch von Fahrzeugen, Datenübertragung ...
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Auto tankt Internet Auswirkungen des automatisierten und vernetzten Fahrens auf den Energieverbrauch von Fahrzeugen, Datenübertragung und Infrastruktur ANALYSE
Impressum Auto tankt Internet. Auswirkungen des automatisierten und vernetzten Fahrens auf den Energieverbrauch von Fahrzeugen, Datenübertragung und Infrastruktur. ERSTELLT IM AUFTRAG VON Agora Verkehrswende Anna-Louisa-Karsch-Str. 2 | 10178 Berlin T +49 (0)30 700 14 35-000 F +49 (0)30 700 14 35-129 www.agora-verkehrswende.de info@agora-verkehrswende.de PROJEKTLEITUNG Marena Pützschler Projektmanagerin Neue Mobilität, Agora Verkehrswende marena.puetzschler@agora-verkehrswende.de DURCHFÜHRUNG Auftragnehmer Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung ISI Breslauer Straße 48 | 76139 Karlsruhe Autor Dr. Michael Krail Lektorat: Eva Berié Satz: Juliane Franz und Marica Gehlfuß, Agora Verkehrswende Titelbild: iStock.com/oonal Bitte zitieren als: Agora Verkehrswende (2020): Auto tankt Internet. Version: 1.0 Auswirkungen des automatisierten und vernetzten Fah- Veröffentlichung: Dezember 2020 rens auf den Energieverbrauch von Fahrzeugen, Daten- 52-2021-DE übertragung und Infrastruktur.
Vorwort Liebe Leserinnen, liebe Leser, „Auch das Internet hat einen Auspuff“, so lautete vor etwa Fahrzeuge und der Vernetzung dieser miteinander, mit drei Jahren der Titel eines Artikels im Feuilleton einer Datenplattformen und der Infrastruktur einhergeht. großen deutschen Tageszeitung.1 Es ging darin um die Besonderheiten der Architektur von Rechenzentren und In der Analyse „Die Automatisierung des Automobils um den wachsenden Stromverbrauch durch die alltäg- und ihre Folgen“ von August 2020 haben wir uns bereits liche Nutzung von Smartphones und Computern. Denn übergreifend mit den Chancen und Risiken der Fahr- auch wenn an den Endgeräten keine Abgase zu sehen zeugautomatisierung für nachhaltige Mobilität beschäf- sind, entstehen doch an anderer Stelle Emissionen. Jede tigt. Dabei wurde deutlich, dass die Automatisierung Suchanfrage im Internet, jedes Foto und jeder Film auf nicht von selbst zur Verkehrswende führt; dass es not- Social Media, jede Videokonferenz und jeder Streaming- wendig ist, die Entwicklung und Anwendung der Tech- Abend verbraucht Strom, der erst erzeugt werden muss – nologie im Sinne der Verkehrswende genau zu untersu- im besten Fall aus Windkraft- und Solaranlagen, häufig chen, offen zu diskutieren und, darauf aufbauend, gezielt aber auch aus Gas- und Kohlekraftwerken. zu steuern. Das gilt erst recht in der Frage nach dem Energieverbrauch und den Treibhausgasemissionen. Das Auto wird immer mehr zu einem Teil dieser Glei- chung. Es wandelt sich zu einem Computer auf Rädern. Die vorliegende Analyse soll einen ersten Anstoß geben, Es hilft bereits beim Einparken und Navigieren, mehr und die energierelevanten Aspekte des automatisierten und mehr wird es auch das Fahren übernehmen. Dafür erfasst vernetzten Fahrens ins Auge zu fassen. Ziel ist es, die es Daten vom Fahrzeug und von der Umgebung, lädt Potenziale ganzheitlich zu betrachten, die Herausforde- Informationen über die Verkehrslage aus Datenplattfor- rungen klarer herauszuarbeiten und damit die öffentliche men herunter und gibt selbst Daten an diese Plattformen Diskussion und die politische Entscheidungsfindung zu weiter. So bringt das Auto der Zukunft seine Fahrgäste unterstützen. Denn wenn wir es richtig machen, kann die automatisch, sicher und pünktlich ans Ziel, aber es tankt Automatisierung durchaus einen Beitrag zur Verkehrs- Strom nicht nur für die Fortbewegung, sondern auch für wende leisten und den Energieverbrauch im Verkehr die Datenverarbeitung. Es tankt gewissermaßen Inter- reduzieren. Sie tut es nur nicht automatisch. net – und das hat, siehe oben, auch einen Auspuff. Selbst wenn der Strom komplett aus erneuerbaren Quellen käme Christian Hochfeld und deshalb keine Emissionen verursachen würde, ist der für das Team von Agora Verkehrswende Energieverbrauch ein kritischer Faktor. Denn erneuerba- Berlin, 11. Januar 2021 rer Strom ist ein kostbares Gut und wird an vielen Stellen dringend benötigt, um Klimaneutralität zu erreichen. Die Diskussion über die Auswirkungen des automatisier- ten und vernetzten Fahrens auf den Energieverbrauch steht erst am Anfang. Immerhin, der Digitalgipfel der Bundesregierung stand Ende 2020 im Zeichen der Nach- haltigkeit und ging dabei auch auf Mobilität ein. Die Lite- ratur betont bisher vor allem die Hoffnung, dass automa- tisierte Fahrzeuge effizienter fahren können und deshalb gegenüber herkömmlichen Pkw Energieeinsparpotenzi- ale haben. Wenig Beachtung findet dagegen der zusätz- liche Energieverbrauch, der mit der Automatisierung der 1 Maak, Niklas: Auch das Internet hat einen Auspuff, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung (13.1.2018), S. 9. 3
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Handlungsempfehlungen Automatisierte und vernetzte Pkw und die damit verbundenen Infrastrukturen und Datenströme können sehr unter- schiedliche Auswirkungen auf die Energiebilanz im Verkehr haben. Sie können den Energieverbrauch senken, wenn sie effizient gefahren und eingesetzt werden; sie können den Energieverbrauch aber auch deutlich erhöhen. Die Kriterien für einen effizienten Einsatz der Technologien müssen jetzt, in der Frühphase der Entwicklung, von allen beteiligten Seiten diskutiert und von der Politik definiert werden. Auf Basis der vorliegenden Analyse empfiehlt Agora Verkehrs- wende, dabei auf folgende Punkte zu achten: Zusätzlichen On-board-Energieverbrauch automatisierter Fahrzeuge durch die Auswahl effizienter Komponenten minimieren und dies in den Flottengrenzwerten berücksichtigen. Durch zusätzliche Systemkomponenten steigt der Energieverbrauch automatisierter Fahrzeuge im Vergleich zu konventionellen Fahrzeugen an. Besonders stark ins Gewicht fallen die in den Steuergeräten verbauten Prozessoren (Central Processor Units, CPUs und Graphics Processor Units, GPUs) und Speicher. Für batterieelektrische Fahrzeuge spielt die Energieeffizienz der Komponenten eine bedeutende Rolle: Je weniger Strom sie verbrau- chen, desto größer die Reichweite beim Fahren. Die vorliegende Analyse baut auf Schätzun- gen auf, dass sich der zusätzliche On-board-Energieverbrauch vollständig automatisierter Fahrzeuge bei stetiger Effizienzverbesserung im Jahr 2050 auf 270 Wattstunden pro 100 Kilometer begrenzen lässt. Die europäischen Flottengrenzwerte sollten in Zukunft von einer CO2-Emissionsmetrik auf eine Energieeffizienzmetrik umgestellt werden. Dabei sollte auch der On-Board-Energieverbrauch der Automatisierungskomponenten berücksichtigt werden. Automatisierte Fahrzeuge vernetzen: so viel wie nötig, aber so wenig wie möglich. Je mehr Kommunikation zwischen Fahrzeug und Infrastruktur (Vehicle-to-Infrastructure, V2I) sowie zwischen Fahrzeug und Datenplattform (Vehicle-to-Cloud, V2C) notwendig ist, desto höher sind nicht nur die damit verbunden Investitionskosten, sondern auch der dar- aus resultierende Energieverbrauch. Auch aus Sicherheitsgründen sollten die Fahrzeuge so konzipiert sein, dass sie unabhängig von weiteren Sensoren in der Infrastruktur fahren können. Bei der Optimierung des Gesamtsystems sollten mögliche Vorteile durch eine weitere Vernetzung gegen die Nachteile eines möglichen Anstiegs des Energieverbrauchs abgewogen werden. Eine Datenübertragung per lokalem Funknetz (Wireless Local Area Network, WLAN) sollte einer Übertragung per 5G-Mobilfunknetz aus Effizienzgründen vorgezogen werden, wo dies technisch möglich ist. Big-Data-Analyseverfahren entwickeln, die die Menge der zu übertragenden Daten geringhalten. Aus heutiger Sicht könnten pro automatisiertem Fahrzeug Datenmengen von 1,4 bis 19 Terabyte pro Stunde (TB/h) anfallen. Insbesondere die Datenmengen, die an andere Verkehrsteilnehmer oder die Plattform übertragen werden, sollten möglichst geringge- halten werden, um einen effizienten Betrieb zu ermöglichen. Sie sind eine entscheidende Größe für den Energieverbrauch des Gesamtsystems. Bereits eine übertragene Daten- menge von 0,8 TB/h kann sämtliche Energieeffizienzvorteile, die das automatisierte Fahren an anderer Stelle bringt, zunichtemachen. Daher gilt es für die Pkw-Hersteller, Zulieferer und Softwareentwickler, effiziente Lösungen für den Umgang mit großen Datenmengen zu finden. Nur mit effizienten Big-Data-Analyseverfahren lassen sich die beim automatisierten und vernetzten Fahren gesammelten Daten so nutzen, dass die Verbesserung der Verkehrssicherheit und des Verkehrsflusses nicht gleichzeitig zu einem Anstieg des Energieverbrauchs führt. 5
Auto tankt Internet | Handlungsempfehlungen 4 Automatisierte Fahrzeuge gemeinschaftlich nutzen und in den öffentlichen Verkehr inte grieren, um einem Anstieg der Fahrleistung entgegenzuwirken. Der motorisierte Individualverkehr wird durch automatisierte Fahrzeuge komfortabler und für neue Nutzergruppen zugänglich. Außerdem könnten Fahrzeuge leer herumfahren, statt auf einem kostenpflichtigen Parkplatz zu stehen. Das würde zu einem weiteren Anstieg von Fahrleistung und Energieverbrauch führen. Bereits ein Anstieg der Fahrleis- tung um nur 1 bis 2,6 Prozent im Jahr 2050 würde mögliche Energieeffizienzgewinne der Automatisierung zunichtemachen. Daher gilt es, den Betrieb möglichst effizient zu gestalten, die Fahrzeuge gemeinschaftlich zu nutzen und in den öffentlichen Verkehr zu integrieren. 5 Energieverbrauch der digitalen Infrastruktur gesondert regulieren. Wie automatisierte und vernetzte Pkw sich auf den Energieverbrauch im Verkehr aus- wirken, hängt von vielen Faktoren ab: von Effizienzsteigerungen sowohl im Bereich der Hardware als auch der Software sowie einer Optimierung des Gesamtsystems. In den Anfangsjahren zehrt der Energieverbrauch der Infrastruktur selbst bei optimistischen Annahmen die Effizienzgewinne im Fahrbetrieb weitgehend auf oder überwiegt diese sogar. Erst langfristig erreicht die gesamte Energieeinsparung bei Minimalvernetzung einen Wert von bestenfalls 10 Prozent der Antriebsenergie eines heute üblichen mittleren Elektroautos; bei weitgehender Vernetzung sind es auch unter Berücksichtigung steigen- der Effizienz lediglich 4 Prozent. Deshalb sollte der Energieverbrauch der digitalen Infra- struktur einer gesonderten Effizienzregelung unterworfen werden. Die Auswirkungen solcher Regelungen auf den Energieverbrauch sollten von Anfang an berücksichtigt und fortlaufend ausgewertet werden, damit frühzeitig nachgesteuert werden kann. 6
Inhalt Handlungsempfehlungen5 1 | Einleitung 9 1.1 Definitionen 10 1.2 Vorgehensweise 11 2|A utomatisierungs- und Vernetzungsszenarien13 3 | Wirkungen der Automatisierung und Vernetzung auf den Energieverbrauch 17 3.1 Energieeffizienz im Fahrbetrieb 18 3.2 On-board-Energieverbrauch durch Automatisierungssysteme19 3.3 Energieverbrauch durch die Vernetzung im Mobilfunk 21 3.4 Energieverbrauch durch die Vernetzung mit dem Backend 23 3.5 Gesamte Wirkungen auf den Energieverbrauch 24 3.6 Potenzielle Reboundeffekte durch AVF 26 4 | Handlungsempfehlungen und Ausblick 29 5 | Literatur 31 7
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1 | Einleitung Der Einfluss der zunehmenden Digitalisierung im Ver- beide Technologien prinzipiell unabhängig vonein- kehrssektor ist bereits heute in der alltäglichen Mobilität ander sind, werden Automatisierung und Vernetzung spürbar. Sie beeinflusst die Wahl der Verkehrsmittel, meist in Kombination gedacht. Dies bedeutet, dass bei ermöglicht die Optimierung von Routen und vereinfacht der Entwicklung der Automatisierungsfunktionen die die multimodale Nutzung von Mobilitätsdienstleis- Vernetzung der Fahrzeuge, und damit ein Informations- tungen. Dabei steht der Verkehrssektor erst am Anfang austausch für den sicheren und komfortablen Betrieb eines umfassenden digitalen Wandels. Insbesondere die der Fahrzeuge, nicht zwingend notwendig ist. Allerdings rasante Entwicklung der Automatisierung und Ver- kann der Datenaustausch zwischen den Fahrzeugen ein netzung wird nach Einschätzung von Experten noch wichtiges Puzzlestück hin zu einem energieeffizienten wesentlich weiter reichende Veränderungsprozesse im und noch komfortableren Verkehrssystem sein. Daher Mobilitätsverhalten und Verkehrssystem in Gang setzen. arbeiten nahezu alle Hersteller daran, diese zusätzlichen Informationen in den Systemen zum Mehrwert der Fah- Weltweit arbeiten Automobilhersteller, Zulieferer und rer nutzbar zu machen. IT-Unternehmen seit vielen Jahren bereits an der Idee automatisierter und vernetzter Fahrzeuge. Die Evolution Insgesamt schwingen bei der Entwicklung der Automa- der Fahrzeugautomatisierung vollzieht sich dabei in den tisierung und der Vernetzung im Straßenverkehr weit meisten Fällen über fünf Stufen der Automatisierung mehr Hoffnungen mit als nur der Wunsch nach mehr (SAE-Levels des automatisierten Fahrens) mit unter- Komfort und zusätzlichen Mobilitätsdienstleistungen. schiedlichen Funktionalitäten und Verantwortlichkeiten In der Strategie der Bundesregierung aus dem Jahr für den Fahrer beziehungsweise die Systeme. Bei der 2015 sind diese Hoffnungen formuliert: Man erwartet finalen Stufe (Stufe 5), dem fahrerlosen Fahren, entsteht durch automatisiertes und vernetztes Fahren (AVF) eine dann spätestens ein Wandel: Der Fahrer wird vollum- Steigerung der Verkehrseffizienz, eine Erhöhung der fänglich zum Beifahrer beziehungsweise zum Passagier. Verkehrssicherheit, eine Reduktion mobilitätsbedingter Emissionen und eine Stärkung des Innovations- und Während fahrerloses Fahren auf der Schiene, beispiels- Wirtschaftsstandorts Deutschland (BMVI 2015). Fahrer- weise auf U-Bahn-Linien, bereits seit vielen Jahren lose Verkehrssysteme sollen die Einführung neuer, nach- weltweit Realität ist und es ebenfalle seit Langem bereits frageorientierter Mobilitätsdienstleistungen ermöglichen vollautomatisierte Systeme (Stufe 4) im Luftverkehr gibt, und damit zusätzliche Alternativen für eine multi- und befindet man sich heute im Straßenverkehr noch auf intermodale Mobilität eröffnen. Der Pkw im Privatbe- der Schwelle zum hochautomatisierten Fahren (Stufe 3). sitz könnte dadurch zukünftig an Bedeutung verlieren, Wegen der Komplexität der Anwendung im Straßenver- was den Wandel hin zu einer energieeffizienten und kehr und der geforderten Interaktion mit allen möglichen treibhausgasreduzierten Mobilität beschleunigen kann. Verkehrsteilnehmern sind noch einige Hürden auf dem Gleichzeitig besteht jedoch auch die Gefahr, dass eine Weg zum fahrerlosen Fahren zu überwinden. Die Ein- unregulierte Einführung neuer, automatisierter und schätzungen zum Fahrplan für die Einführung der finalen vernetzter Verkehrssysteme auf der Straße den ohnehin beiden Automatisierungsstufen, dem vollautomatisierten schon dominierenden motorisierten Individualverkehr und dem fahrerlosen Fahren, variieren die Aussagen (MIV) noch attraktiver werden lässt und den Öffentli- der Hersteller und der Forschung. Während ERTRAC die chen Verkehr zunehmend kannibalisiert. Ein Aspekt, Einführung des vollautomatisierten Fahrens in der Stadt der bislang nur unzureichend Beachtung findet, ist der im Zeitraum zwischen 2020 und 2026 erwartet (ERTRAC zusätzliche Energieverbrauch der mit der zunehmenden 2019), rechnet beispielsweise der VDA damit erst zwi- Automatisierung der Fahrzeuge und deren Vernetzung schen 2025 und 2030. mit einem Backend und der Infrastruktur einhergeht. Diese Analyse soll diesen Aspekt näher beleuchten und Parallel zur Entwicklung der Automatisierung im Stra- die Auswirkungen der Automatisierung und Vernet- ßenverkehr arbeitet die Industrie auch an der Vernet- zung im Straßenverkehr auf Fahrzeugebene, aufseiten zung der Fahrzeuge miteinander (V2V), der Vernetzung des Backend sowie des Mobilfunks auf den Energie- mit einer Cloud beziehungsweise einem Backend (V2C) verbrauch quantifizieren. Der Fokus der Analyse liegt und der Vernetzung mit der Infrastruktur (V2I). Obwohl dabei auf der Nutzungsphase der Automatisierung und 9
Auto tankt Internet | Einleitung • Stufe 1 – Assistiertes Fahren: Vernetzung in Pkw. Die Wirkungen der Herstellung und Hierbei übernimmt das System entweder die Längs- Entsorgung von Systemkomponenten auf den Energie- oder die Querführung des Fahrzeugs, wobei der Fahrer verbrauch werden dabei nicht betrachtet. das System dauerhaft überwachen und zum Eingrei- fen bereit sein muss. Die Wirkungsanalyse wird dabei trotz der noch vorherr- • Stufe 2 – Teilautomatisiertes Fahren: schenden Ungewissheit über die Entwicklung des AVF Das System übernimmt sowohl die Längs- als auch als dringend notwendig betrachtet, um mögliche negative die Querführung des Fahrzeugs für einen gewissen Effekte auf den Energieverbrauch und die Treibhaus- Zeitraum oder in spezifischen Situationen. Der Fahrer gasemissionen frühzeitig zu erkennen. Vor diesem muss das System dauerhaft überwachen und jederzeit Hintergrund soll diese Analyse von Agora Verkehrs- zur vollständigen Übernahme der Fahraufgabe in der wende dazu beitragen, die Betrachtung von Klima- und Lage sein. Umwelteffekten automatisierter und vernetzter Fahr- • Stufe 3 – Hochautomatisiertes Fahren: zeuge im politischen und öffentlichen Diskurs zu stärken Das System übernimmt die Längs- und Querführung und die Notwendigkeit etwaiger Effizienzstandards für des Fahrzeugs im spezifischen Anwendungsfall und die Automatisierung von Fahrzeugen zu diskutieren. Zu erkennt Systemgrenzen. Der Fahrer muss das System diesem Zweck werden in diesem Papier die Implikatio- nicht mehr dauerhaft überwachen, aber jederzeit in nen der Automatisierung und Vernetzung des MIV auf der Lage sein, die Fahraufgabe nach Aufforderung Einzelfahrzeugebene mit dem Zeithorizont bis zum Jahr in einer angemessenen Zeit wieder vollständig und 2050 verdeutlicht. Es sollen explizit nicht die Auswir- sicher zu übernehmen. kungen eines eingeschwungenen Systems mit 100 Pro- • Stufe 4 – Vollautomatisiertes Fahren: zent vollautomatisierten beziehungsweise fahrerlosen Beim vollautomatisierten Fahren übernimmt das und vernetzten Pkw untersucht werden, sondern die bis System die Fahrzeugführung in einem definierten 2050 zu erwartende Diffusion der deutschen Pkw-Flotte Anwendungsfall vollständig und bewältigt alle damit unter realen Marktbedingungen. verbundenen Situationen automatisch. • Stufe 5 – Fahrerloses Fahren: Ziel des Papiers ist es darüber hinaus, weiterführenden Beim fahrerlosen Fahren übernimmt das System die Forschungsbedarf und erste mögliche Handlungsoptio- Fahrzeugführung vollständig vom Start bis zum Ziel auf nen aufzuzeigen, um mit der Fahrzeugautomatisierung allen Straßentypen, in allen Geschwindigkeitsberei- und -vernetzung einen Beitrag zu klimafreundlichem chen und bei allen Umfeld- und Wetterbedingungen. Verkehr leisten zu können. Bei der Vernetzung von Fahrzeugen miteinander (V2V), 1.1 Definitionen mit einem Backend/einer Cloud (V2C) oder mit der Verkehrsinfrastruktur (V2I) gibt es zwei grundsätzli- Die Entwicklung der Automatisierung im Verkehr che Möglichkeiten der Datenübertragung: WLAN oder geschieht in den meisten Fällen evolutorisch über fünf Mobilfunk. WLAN wird vom Institute of Electrical and Stufen. Ausnahmen davon stellen Fahrzeugkonzepte dar, Electronics Engineers (IEEE) unter der Bezeichnung die bereits von Anfang an auf den Fahrer verzichten, wie 802.11 standardisiert. Es gibt mittlerweile zahlreiche beispielsweise fahrerlose Kleinbusse. Bei den fünf Stufen Weiterentwicklungsstufen, die sich unter anderem in der Automatisierung orientieren sich die Bundesregie- ihrer Bandbreite und dem genutzten Frequenzband rung, der VDA sowie die Hersteller und Zulieferer an unterscheiden. Mit dem Standard 802.11p wurde für der Systematik der SAE International (2018), die den die Vernetzung von Fahrzeugen untereinander sowie Stufen sowohl Funktionalitäten der Systems als auch mit der Verkehrsinfrastruktur ein eigener Substandard die Verantwortlichkeiten zwischen Fahrer und System festgelegt. Dieser wird in Europa auch als ITS-G5, in den zuordnen: USA hingegen als Dedicated Short Range Communication (DSRC) oder Wireless Access in Vehicular Environments (WAVE) bezeichnet. Er ermöglicht die Kommunikation bei Fahrzeuggeschwindigkeiten von bis zu 200 km/h und 10
Agora Verkehrswende | Einleitung einer Reichweite bis zu 1000 Meter. Die WLAN-Kom- ten und vernetzten Fahrzeugs gegenüber einem Fahrzeug munikation kann zur V2V-, zur V2C- und zur V2I-Ver- ohne diese Funktionalitäten. Um die Storylines hinter den netzung genutzt werden. Neben dem Datentransfer über beiden Szenarien zu validieren beziehungsweise zu ver- WLAN besteht noch die Möglichkeit der Nutzung des feinern, wurden in einem weiteren Arbeitsschritt sechs Mobilfunks. Der Mobilfunk eignet sich beispielsweise nationale und internationale Experten aus den Bereichen ebenfalls für eine V2V- und V2C-Vernetzung. Idealer- Forschung und Industrie befragt. Die Erkenntnisse dieser weise wird dabei der 5G-Standard benutzt, der mit bis Interviews sind dabei sowohl in die Entwicklung der zu 10 Gbit/s einen deutlich schnelleren Datendurchfluss Szenarien als auch in die Berechnung der Wirkungen auf ermöglicht als LTE Advanced mit bis zu 1 Gbit/s (Herr- den Endenergieverbrauch eingeflossen. mann und Brenner 2018). 5G-Netze haben den Vorteil, dass dezentral Rechenoperationen an den Basisstatio- Im finalen Arbeitsschritt wurden für diese Analyse nen durchgeführt werden können. Dadurch sinken die die Auswirkungen des AVF auf die Effizienz der Fahr- Latenzzeiten auf 10 bis 100 Millisekunden, was beson- zeuge im Betrieb sowie deren Endenergieverbrauch ders im hohen Geschwindigkeitsbereich bei automati- durch zusätzliche elektrische Verbraucher (Sensoren, sierten Fahrzeugen die Sicherheit erhöhen kann. etc.) und deren zusätzliches Gewicht auf Ebene der Einzelfahrzeuge berechnet. Um die Wirkungen auf das Da WLAN-Technologie unabhängig von der Netzab gesamte System zu berücksichtigen, wurden sie um die deckung des Mobilfunks ist, eignet sich diese Techno- Implikationen auf den Endenergieverbrauch durch die logie insbesondere für den Einsatz in automatisierten Vernetzung über den Mobilfunk sowie den zusätzlichen Fahrzeugen zur Steigerung der Sicherheit (Kollisions- Endenergieverbrauch für das Backend und die vernetzte warnungen, Unfallvermeidung), aber auch lokal zur Ver- Infrastruktur ergänzt. Auf Basis der Ergebnisse der Wir- besserung der Effizienz und des Verkehrsflusses (Kreu- kungsanalyse und der Erkenntnisse aus den qualitativen zungsmanagement). Mobilfunksysteme sind hingegen Experteninterviews wurden abschließend Handlungs- besonders gut für die Vielzahl von globalen Diensten wie empfehlungen für die Politik und die Industrie erarbeitet Verkehrsmanagementsysteme, Stauprognosen oder dem und weiterer Forschungsbedarf ermittelt. kooperativen Fahren geeignet. Sie ermöglichen auch die Erstellung von Updates oder Erweiterungen des digitalen HD-Kartenmaterials, dass automatisierte Fahrzeuge zum sicheren Fahren benötigen. Letztere lassen sich aber auch über WLAN vor Antritt der Fahrt übertragen. 1.2 Vorgehensweise Die Ermittlung der Auswirkungen der Fahrzeugauto- matisierung auf den Energieverbrauch basiert auf einer Auswertung einschlägiger Sekundärliteratur zum Thema Energieverbrauch sowie zum technischen Design des Systems des automatisierten und vernetzten Fahrens. Ausgehend von den Erkenntnissen dieser Recherche wurden zwei Szenarien erarbeitet, die die unterschied- lichen Entwicklungspfade der Automatisierung und vorrangig der Vernetzung im Straßenverkehr darstellen sollen. Ziel dieser Szenarienentwicklung ist zum einen das Verdeutlichen der heute noch bestehenden Unsicher- heit bezüglich der technischen Entwicklung des Systems in der Zukunft sowie der daraus resultierenden Implika- tionen auf den Endenergieverbrauch eines automatisier- 11
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2|A utomatisierungs- und Vernetzungsszenarien Ein zentraler Aspekt von Technikfolgenabschätzungen geklärt. Bisher gibt es hierzu weder eine Kooperation ist der Umgang mit der Unsicherheit über die zukünftige zwischen den Herstellern noch ist sicher, ob und in Entwicklung von Innovationen. Während man bei den welchem Umfang die öffentliche Hand diese Investiti- Automatisierungsstufen erst die Schwelle zum hochau- onskosten tätigt. Die befragten Experten vertreten sehr tomatisierten Fahren (Stufe 3) überschritten hat, gibt es unterschiedliche Ansichten. Ein weiterer noch nicht bezüglich der Erwartungen des Zeitpunkts der Markt- vollumfänglich geklärter Aspekt, der eine stärkere Nut- einführung von Stufe 4 beziehungsweise Stufe 5 noch zung der Vernetzung behindert, sind die Lizenzgebühren Unsicherheiten. Noch größere Unsicherheiten bestehen für die Nutzung des Mobilfunks für V2X durch Patente. in Bezug auf den Umfang und die Geschwindigkeit der Vernetzung der Fahrzeuge untereinander (V2V), mit Auf der anderen Seite ist der Mehrwert einer kom- dem Backend beziehungsweise der Cloud (V2C) oder der binierten Nutzung der Automatisierung mit Vernet- Verkehrsinfrastruktur (V2I). Neu zugelassene Pkw sind zung unbestritten. Der Datenaustausch der Fahrzeuge heute bereits „keine isolierten Gefährte“ mehr, aber der über Sonderereignisse wie Gefahrensituationen oder Umfang der Vernetzung wird zukünftig deutlich größer gar Unfälle kann die Sicherheit des Gesamtsystems sein (Hermann und Brenner 2018). Ist es heute nur der zusätzlich verbessern. Darüber hinaus ermöglicht die von der EU seit 2018 vorgeschriebene automatische V2X-Vernetzung die Verbesserung des Verkehrsflusses Emergency Call bei Unfällen, eröffnet die Vernetzung und kooperatives Fahren. Dadurch kann die vorhan- zukünftig noch viele weitere Funktionen bis hin zum dene Straßeninfrastruktur effektiver genutzt werden, kooperativen Fahren. Um diese Unsicherheiten und die die Kapazität erhöht sich um bis zu 40 Prozent (Krause Bandbreite der möglichen zukünftigen Entwicklun- et al. 2017). Dies setzt jedoch einen sehr hohen Anteil gen aufzuzeigen, wurden für die Wirkungsanalyse der mindestens vollautomatisierter (Stufe 4) und vernetzter Fahrzeugautomatisierung zwei Szenarien auf Basis der Fahrzeuge in der Fahrzeugflotte voraus. Literarturanalyse und der qualitativen Interviews entwi- ckelt und verfeinert. Bei der Abschätzung des Markthochlaufs gibt es zwi- schen den betrachteten Studien noch Unterschiede Trotz der Unterschiede bei der Entwicklung und dem hinsichtlich der Markteinführungszeitpunkte und Design der Automatisierungssysteme in Pkw zwischen der Geschwindigkeit in der die jeweiligen Automati- den Herstellern und Zulieferern gibt es eine von allen sierungsstufen in den Fahrzeugbestand diffundieren. befolgte Prämisse: Es muss jederzeit ein für die Fahrzeu- Während manche Studien von einer 100-prozentigen ginsassen und die anderen Verkehrsteilnehmer sicherer Diffusion der Stufe 4 und zum Teil sogar der Stufe 5 in die Fahrbetrieb möglich sein. Diese Grundvoraussetzung Fahrzeugbestände bis 2050 ausgehen, kommen andere bei der Entwicklung der Automatisierung bedingt, dass Studien zum Ergebnis, dass bis 2050 nur ein kleiner Teil die Fahrfunktionen bei jeglicher anvisierten Automa- der Pkw-Flotte mit Automatisierungsfunktionen der tisierungsstufe des Fahrzeugs unabhängig sein müssen Stufe 4 oder gar 5 ausgerüstet sein wird. Letztere Studien von zusätzlichen Daten, die über eine mögliche Vernet- berücksichtigen dabei die Nutzerakzeptanz sowie die zung (V2X) dem Fahrzeug bereitgestellt werden. Diese Bereitschaft der Käufer, für diese Ausstattung deutliche Prämisse gilt zumindest so lange, bis alle Fahrzeuge mit Aufpreise zu bezahlen. Trommer et al. (2016) geht bei- entsprechender Vernetzungsfunktion ausgestattet sind, spielweise von einer Durchdringung von Pkw der Stufen ein lückenlos installiertes Backend beziehungsweise 4 und 5 in Deutschland bis zum Jahr 2035 von 17 Prozent eine Cloud aufgebaut ist, die durch einen schnellen und aus. Altenburg et al. (2018) gibt ein mögliches Spektrum ebenfalls lückenlosen Mobilfunk mit 5G-Standard oder der Bestandsanteile von Pkw der Stufen 4 und 5 von WLAN erreichbar sind sowie die Verkehrsinfrastruktur bis zu 35 Prozent im Jahr 2050 aus. Krail et al. (2019) (Verkehrsschilder, Lichtsignalanlagen) vollständig ver- berechnet auf Basis von Nutzerakzeptanz, Mehrpreisbe- netzt sind. Während die Kosten für die Entwicklung der reitschaft und einer detaillierten Analyse der zu erwar- Automatisierung bei den Herstellern, Zulieferern sowie tenden Kostendegression der Automatisierungssysteme den beteiligten IT-Unternehmen durch den Markthoch- einen wahrscheinlichen Anteil von Pkw der Stufen 4 lauf gedeckt werden, ist die Frage der Übernahme der und 5 am deutschen Fahrzeugbestand von 36 Prozent. Investitionskosten für das Backend heute noch nicht Auf Grund der Aktualität und des Detaillierungsgrades 13
Auto tankt Internet | Automatisierungs- und Vernetzungsszenarien wird für beide Szenarien der Markthochlauf aus Krail et kehrsinfrastruktur (V2I) bis 2050 nicht entscheidend al. (2019) übernommen (siehe Abbildung 1). Die Studie vernetzt wird. Das Szenario ist geprägt von der Skepsis, ob geht davon aus, dass Stufe 3 ab dem Jahr 2020, Stufe 4 ab die Investitionskosten in eine vernetzte Infrastruktur bis dem Jahr 2025 und Stufe 5 ab dem Jahr 2035 frühestens 2050 aufgebracht werden können, welche teilweise von und zunächst in den sogenannten Technologieträgern in den befragten Experten geäußert wurde. der Pkw Oberklasse und erst mit zeitlichem Verzug von 5 beziehungsweise 10 Jahren danach in der Mittelklasse Der Gegenpol zur „Minimalvernetzung“ stellt das Szena- beziehungsweise der Kompaktwagen-/Kleinwagenklasse rio „Effiziente Vernetzung“ dar. Hier wird angenommen, verfügbar sein wird. dass sowohl die Vernetzung der Fahrzeuge (V2V) als auch die Vernetzung mit einem Backend beziehungsweise Während der Markthochlauf der Automatisierungsfunkti- einer Cloud (V2C) und die Vernetzung mit der Infra- onen für beide Szenarien identisch ist, unterscheidet sich struktur (V2I) bis 2050 größtenteils realisiert werden die Entwicklung und Ausprägung der Vernetzung in den kann. Die Vernetzung mit dem Backend ist in diesem beiden Szenarien. Im Szenario „Minimalvernetzung“ wird Szenario über den Datentransfer der Fahrzeugdaten zu davon ausgegangen, dass es außer der Vernetzung der und von einem dezentralen, lokalen Frontend-Server Fahrzeuge untereinander (V2V) über Ad-hoc-Netzwerke (Mobile Edge Computing, kurz MEC) via 5G-Mobilfunk mit dem Standard 802.11p oder über Mobilfunk keine oder über den WLAN-Standard 802.11p konzipiert. Die weitere Vernetzung mit einer Cloud beziehungsweise MEC-Technologie ermöglicht es dabei, Informationen zu einem Backend oder der Infrastruktur geben wird. Der Ereignissen, weitere Informationen sowie Updates von Datenaustausch ist hierbei auf den unmittelbaren Umkreis HD-Karten oder Informationen aus herstellerspezifi- der Fahrzeuge (300 bis 1.000 Meter) beschränkt – außer schen Datenbanken von und zu den vernetzten Fahrzeu- im Falle eines benötigen Updates des digitalen Karten gen im Zielgebiet zu transferieren. Entscheidend sind materials. Im Szenario „Minimalvernetzung“ wird davon hierbei die kurzen Latenzzeiten, die mit einer zentralen ausgegangen, dass die Fahrzeuge nur zum Zweck der Cloud/einem zentralen Backend nicht realisierbar sind. Updates der HD-Karten mit einem Backend oder einer Gerade bei höheren Geschwindigkeiten kann dieser Cloud (V2C) über Mobilfunk vernetzt sind und die Ver- Faktor sicherheitsrelevant sein. Die MEC-Technologie Anteile der Automatisierungsstufen am Pkw-Bestand in beiden Szenarien Abbildung 1 40 35 Anteil am Pkw-Bestand [%] 30 25 20 15 10 5 0 2020 2030 2040 2050 Assistiert Teilautomatisiert Hochautomatisiert Vollautomatisiert Fahrerlos Krail et al. (2019) 14
Agora Verkehrswende | Automatisierungs- und Vernetzungsszenarien Visualisierung Szenarien Abbildung 2 Szenario „Minimalvernetzung“ Szenario „Effiziente Vernetzung“ Herstellerspezifische Cloud Herstellerspezifische Cloud MEC-Server V2C per V2C per 5G V2C per Wlan 12 GB/Tag Wlan V2C per Wlan oder 5G 383 GB/Tag V2V V2V V2 I im Szenario „Minimalvernetzung“ berücksichtigt im Szenario „Effiziente Vernetzung“ berücksichtigt Kartenupdates Computing in den MEC-Servern Eigene Darstellung wurde bereits erfolgreich auf verschiedenen Testfel- sind. Neben der Vernetzung dieser beiden Infrastruktur- dern in Forschungsprojekten wie MEC-View (2020) komponenten wird zum Teil entlang von Testfeldern der oder Car2MEC (2019) getestet. Im Szenario wird davon Einsatz von Sensoren entlang der Straßen getestet. Die ausgegangen, dass die MEC-Server entlang der Bundes- Ausstattung der Straßeninfrastruktur mit Sensoren wie autobahnen bis 2050 flächendeckend installiert werden Radaren und deren Vernetzung mit der restlichen Infra- können, bei einer Abdeckung eines Servers von maximal struktur beziehungsweise der lokalen Server erscheint 20 Kilometer Straße. Bei den Bundesstraßen geht das aus heutiger Perspektive jedoch angesichts der immen- Szenario von einer 50-prozentigen Abdeckung bis 2050 sen Investitionskosten selbst für ein Szenario „Effiziente aus, bei Landstraßen von 20 Prozent und Kreisstraßen Vernetzung“ unwahrscheinlich, weshalb dieser Aspekt von 10 Prozent. Der Zeitpfad im Szenario geht von einem nicht berücksichtigt wurde. linearen Markthochlauf bis zum Jahr 2050 aus. Ebenfalls wurden in beiden Szenarien die durch die Bei der Vernetzung mit der Infrastruktur geht das Szena- Vernetzung erst mögliche Nutzung von zusätzlichem rio „Effiziente Vernetzung“ davon aus, dass bis 2050 alle Infotainment innerhalb der Fahrzeuge durch die Insassen für den sicheren und effizienten Betrieb der Fahrzeuge und der dadurch potenziell entstehende zusätzliche relevanten Verkehrsschilder, vorrangig Geschwindig- Endenergieverbrauch nicht berücksichtigt. keitsbegrenzungen und alle Lichtsignalanlagen vernetzt 15
Auto tankt Internet | Automatisierungs- und Vernetzungsszenarien 16
3|W irkungen der Automatisierung und Vernetzung auf den Energieverbrauch Seit einigen Jahren bereits beschäftigt sich die Forschung Endenergieverbrauch außerhalb des Verkehrssektors auf- neben der reinen technischen Entwicklung auch mit den gefressen werden. Um die gesamten Wirkungen auf Ebene potenziellen zukünftigen Wirkungen des AVF auf das eines Einzelfahrzeugs zu beleuchten, hat sich diese Studie Verkehrssystem, die dadurch entstehenden Treibhaus- den folgenden Wirkungen gewidmet: gasemissionen und den Energieverbrauch. Bekannte Arbeiten sind in diesem Zusammenhang insbesondere die • Wirkungen auf die Energieeffizienz im Fahrbetrieb Lissabon-Studie des ITF (OECD/ITF 2015) oder die MEGA- durch das AVF, FON-Studie (Friedrich et al. 2017), bei denen unter ande- • Wirkungen auf den zusätzlichen Endenergiever- rem die Wirkungen einer vollständigen Umstellung des brauch on board durch die AVF Systeme, heutigen Verkehrssystems auf automatisierte, vernetzte • Wirkungen auf den Endenergieverbrauch im Mobil- und geteilte Fahrzeuge untersucht wurden. Andere Stu- funk durch AVF sowie dien wie e-mobil-BW (2017), Lee et al. (2019) oder Krail et • Wirkungen auf den Endenergieverbrauch des ver- al. (2019) betrachten die Wirkungen nicht nur für geteilte netzten Backend und der Verkehrsinfrastruktur. Fahrzeugkonzepte und berücksichtigen dabei neben den verkehrlichen Wirkungen auf den Modal Split auch Effi- Dabei wird für beide Szenarien die Differenz im End zienzgewinne und Effizienzverluste durch AVF. Die Studie energieverbrauch eines einzelnen Mittelklasse-Pkw Krail et al. (2019) geht dabei besonders detailliert auf die mit AVF-Systemen mit einem Mittelklasse-Pkw ohne Effizienzgewinne ein. Nahezu alle betrachteten Studien AVF-System pro 100 gefahrene Kilometer vergli- im Rahmen dieser Analyse haben jedoch gemein, dass die chen. Die Analyse berücksichtigt dabei die potenzielle Wirkungsabschätzungen an der Grenze des Verkehrs- Entwicklung der AVF-Systeme über die Zeit gemäß sektors enden. Potenzielle Wirkungen auf den Endener- der Definition der Szenarien. In den folgenden Kapiteln gieverbrauch durch die Vernetzung (V2X) im Mobilfunk, werden die Vorgehensweise, die zugrundeliegenden im Bereich der IT durch das angeschlossene Backend Annahmen sowie die Ergebnisse für die vier Teilbereiche beziehungsweise durch die vernetzte Verkehrsinfrastruk- beschrieben. tur (V2I) bleiben außen vor. Mögliche Effizienzgewinne im Verkehrssektor könnten daher durch einen steigenden Durchschnittliche Energieeffizienzpotenziale für einen Pkw pro Automatisierungsstufe Abbildung 3 2.500 2.000 [Wh pro 100 km] 1.500 1.000 500 0 2020 2030 2040 2050 Assistiert Teilautomatisiert Hochautomatisiert Vollautomatisiert Fahrerlos Eigene Berechnungen auf Basis von Krail et al. (2019) 17
Auto tankt Internet | Wirkungen der Automatisierung und Vernetzung auf den Energieverbrauch 3.1 Energieeffizienz im Fahrbetrieb Auf Basis dieser Erkenntnisse aus den erwähnten Feld- studien wurde in Krail et al. (2019) eine Abschätzung der Große, herstellerübergreifende europäische Feldstudien gesamten Wirkungen für alle Automatisierungsstufen bis wie euroFOT (Benmimoun et al. 2012), AdaptIVe-IP zum fahrerlosen Fahren vorgenommen. Die betrachteten (Fahrenkrog et al. 2017) oder L3Pilot (2020) haben die Feldstudien sowie weitere Analysen aus der Studie zei- Wirkungen verschiedener Automatisierungsfunktionen gen, dass die Effizienzpotenziale bei automatisierten und in Pkw (Stufe 2 bis Stufe 4) auf den Endenergieverbrauch vernetzten Pkw von zahlreichen Faktoren wie dem Stra- der Fahrzeuge in der Praxis analysiert. Dabei wurden ßentyp, der Verkehrsdichte, der Automatisierungsstufe mit Testfahrzeugen mehrere Millionen Testkilometer sowie dem Anteil automatisierter und vernetzter Fahr- auf europäischen Straßen zurückgelegt, die Ergeb- zeuge am gesamten Fahrzeugbestand abhängen. Daher nisse dokumentiert und mit von Menschen gesteuerten wurden diese Faktoren bei der Ermittlung von repräsen- Fahrzeugen mit vergleichbaren Fahrprofilen verglichen. tativen Effizienzpotenzialen über alle Fahrsituationen Es zeigten sich bereits für assistierte und teilautomati- hinweg anhand von Fahrleistungserhebungen berück- sierte Pkw Effizienzvorteile beim Verbrauch gegenüber sichtigt. Abbildung 3 zeigt die ermittelten durchschnitt- menschlich gesteuerten Pkw. Diese werden bei Pkw, lichen Energieeinsparpotenziale in Wh/100 km für einen die durch AVF-Systeme gesteuert werden vor allem Pkw der Mittelklasse über alle Automatisierungsstufen durch harmonisierte Fahreigenschaften wie angepasstes hinweg bis zum Jahr 2050. Durch die steigende Anzahl Beschleunigen und Abbremsen, durch eine optimierte an Pkw mit Automatisierungsfunktionen bis 2050 Motoransteuerung und eine Berücksichtigung der Topo- steigt bei Pkw auch das Effizienzpotenzial. Dies liegt grafie erzeugt. Zusätzliche Potenziale können durch die darin begründet, dass ineffiziente Fahrsituationen mit aufgrund der beschränkten Reichweite der Sensoren für sinkendem Anteil an menschlich gesteuerten Fahrzeugen automatisierte Fahrzeuge derzeit machbaren Maxi- abnehmen (Krause et al. 2017). Fehlende Einsparpotenzi- malgeschwindigkeiten von 130 km/h gegenüber nicht ale im Jahr 2020 für Stufe 4 und 5 beziehungsweise 2030 automatisierten Fahrzeugen entstehen, sind aber in den für Stufe 5 sind damit begründet, dass die Markteinfüh- Feldstudien durch die Annahme ähnlicher Fahrprofile rung dieser Funktionen erst ab 2025 beziehungsweise nicht berücksichtigt. 2035 angenommen wird. Weitere Effekte in Form eines verbesserten Verkehrs Die sich ergebenden Einsparpotenziale für die beiden flusses können durch kooperatives Fahren entstehen, Szenarien zeigen sich bereits bei assistiertem Fahren welche jedoch in den Feldstudien nicht untersucht (Stufe 1) und steigern sich mit den Automatisierungs- wurden. Kooperatives Fahren bedeutet, dass einzelne stufen von 493 Wh/100 km für Stufe 1 auf bis knapp Fahrzeuge und Fahrer sich kooperativ im Verkehr bewe- über 2.000 Wh/100 km für Stufe 4 und Stufe 5 im Jahr gen und dass die AVF-Systeme individuelle Mikroziele 2050. Umgerechnet auf den Verbrauch eines Diesel-Pkw und deren Ausführung im Sinne einer besseren makro- wären dies ein zwischen 0,2 und 0,8 Liter geringerer skopischen Gesamtwirkung (zum Beispiel zur besseren Verbrauch pro 100 Kilometer. Die ermittelten Einspar Ausnutzung der Kapazität der Infrastruktur) abstimmen. potenziale können jedoch nur dann erreicht werden, Dieses zusätzliche Effizienzpotenzial des AVF lässt sich wenn die in den Pkw vorhandenen Automatisierungs- jedoch erst dann realisieren, wenn nahezu alle Straßen- funktionen durch die Nutzer auch bei allen Fahrsituatio- fahrzeuge vernetzt und zumindest automatisiert sind. Da nen angewendet werden, die dies erlauben. Das bedeutet jedoch bei der Quantifizierung der Szenarien der ange- beispielsweise, dass durch die Annahme der Einführung nommene Markthochlauf verdeutlicht, dass nur ein Teil eines City Pilot erst ab 2035 auch erst ab diesem Zeit- des Pkw-Bestandes bis 2050 diese Eigenschaften erfüllt, punkt automatisiertes Fahren innerhalb geschlossener ist eine Umsetzung dieser Potenziale bis 2050 unrealis- Ortschaften möglich sein wird und erst dann das Poten- tisch und wurde bei der Quantifizierung nicht berück- zial dieser Fahrsituationen eingerechnet wird. sichtigt. Aus diesem Grund ist das Einsparpotenzial durch AVF im Szenario „Minimalvernetzung“ identisch mit dem Szenario „Effiziente Vernetzung“. 18
Agora Verkehrswende | Wirkungen der Automatisierung und Vernetzung auf den Energieverbrauch 3.2 On-board-Energieverbrauch durch spricht die Anzahl der Komponenten denen des Audi A8, Automatisierungssysteme eines der ersten Stufe-3-Serienfahrzeuge. Neben den Effizienzpotenzialen durch AVF im Pkw müs- Im Anschluss an diese Festlegung wurde für jede benö- sen bei einer gesamten Betrachtung der Wirkungen auch tigte Systemkomponente des AVF eine Bandbreite des die gegenteiligen Effekte berücksichtigt werden. Diese Endenergieverbrauchs ermittelt. Die jeweilige Bandbreite entstehen durch den Endenergieverbrauch der AVF-Sys- der Energieverbräuche pro Systemkomponente wurde temkomponenten im Fahrzeug sowie durch einen Mehr- aus Gawron et al. (2018) und Liu et al. (2019) entnommen. verbrauch in Folge eines höheren Fahrzeuggewichts oder Anhand der Bandbreiten und der Annahmen zur Anzahl eines steigenden Luftwiderstands durch Aufbauten, wie der benötigten Sensoren, Funk- und Recheneinheiten beispielsweise Lidare auf dem Dach der Fahrzeuge. Letz- konnten minimale und maximale Energieverbräuche pro tere Auswirkungen wurden bei der Abschätzung jedoch Pkw bezogen auf 100 gefahrene Kilometer berechnet wer- nicht berücksichtigt, weil die Positionierung der Lidare den. Die Ergebnisse dieser Berechnung wurden anschlie- nicht bei allen Herstellern zu einer Verschlechterung des ßend mittels der Angaben aus den qualitativen Interviews Luftwiderstands des Fahrzeugs führen. mit Experten aus der Forschung und der Industrie vali- diert. Ebenfalls eingerechnet wurden dabei der aus dem Für die Abschätzung des Mehrverbrauchs eines auto- zusätzlichen Gewicht der Sensoren, Funk- und Reche- matisierten und vernetzten Pkw gegenüber einem nicht neinheiten resultierende Mehrverbrauch der Fahrzeuge. automatisierten und nicht vernetzten Pkw müssen zunächst Abschätzungen über die Anzahl und die Art Die Ergebnisse der Berechnung sind dabei deutlich näher der verbauten Systemkomponenten getroffen werden. an den Ergebnissen von Gawron et al. (2018) und den Ein- Hierbei zeigen sich zumindest für die bisher auf dem schätzungen der Experten als an den Ergebnissen aus Liu Markt verfügbaren Pkw der Stufen 2 und 3 teils deutliche et al. (2019). Der Grund für diesen Unterschied ergibt sich Unterschiede. Während Tesla stark auf den Einsatz von hauptsächlich aus der angenommen Anzahl der benö- zahlreichen Kameras setzt, bauen deutsche Hersteller tigten Komponenten sowie der Einrechnung bestimmter auf Mittel- und Fernbereichsradare in Kombination mit Komponenten in beiden Studien. Liu et al. (2019) rechnet zumeist einem Lidar und Kameras. Anhand der Exper- beispielweise den Endenergieverbrauch von TFT-Mo- teninterviews und der Annahmen aus Krail et al. (2019) nitoren im Cockpit hinzu, welche aber unabhängig von wurden die in Tabelle 1 dokumentierten Annahmen zur Automatisierungs- und Vernetzungsfunktionen schon in Anzahl und Art der verbauten Systemkomponenten Fahrzeugen verbaut werden. Angesichts der Expertenin- getroffen. Für hochautomatisierte Pkw (Stufe 3) ent- terviews und der Ergebnisse der Stakeholder-Beteiligung Annahmen zur Anzahl der AVF-Systemkomponenten pro Automatisierungsstufe Tabelle 1 Komponenten Stufe 1 Stufe 2 Stufe 3 Stufe 4 Stufe 5 Ultraschall 9 9 9 9 9 Radar 2 4 4 8 8 Lidar 0 0 1 1 1 Kamera 0 2 5 5 5 DSRC 1 1 1 1 1 GNSS-Positioning 1 1 1 1 1 V2X-Modul 1 1 1 1 1 Steuergeräte 1 1 2 3 3 Fraunhofer ISI (abgeleitet aus Krail et al. 2019) 19
Auto tankt Internet | Wirkungen der Automatisierung und Vernetzung auf den Energieverbrauch aus der Studie Krail et al. (2019) kann davon ausgegangen des Energieverbrauchs für die Jahre 2030, 2040 und werden, dass die getroffenen Annahmen valide sind. 2050 einbezogen. Es wird davon ausgegangen, dass die Energieeffizienz der genannten Komponenten bis zum Beim Endenergieverbrauch der Komponenten fallen die Jahr 2050 um 10 Prozent verbessert werden kann. Bei in den Steuergeräten verbauten Recheneinheiten (CPUs den Steuergeräten beziehungsweise den Rechen- und und GPUs) sowie die Speichereinheiten besonders stark Speichereinheiten basiert die Annahme der Entwicklung ins Gewicht. Nach Gawron et al. (2018) wird zwischen der Energieffizienz auf dem Gesetz von Koomey (Koomey 41 und 53 Prozent des gesamten zusätzlichen Ende- et al. 2011). Danach verdoppelt sich die Energieeffizi- nergieverbrauchs durch diese Komponenten erzeugt. enz von Rechnern gemessen an der Rechenleistung alle Sensoren wie Radare, Ultraschall, Lidare oder Kameras 1,57 Jahre seit dem Jahr 1975. Für die Berechnungen in haben dagegen nur zwischen 2 und 7 Prozent Anteil am dieser Studie wurde aber eine konservativere Annahme zusätzlichen Energieverbrauch der AVF Systeme. Das getroffen und eine Verdopplung nur alle 5 Jahre ange- zusätzliche Gewicht der AVF-Komponenten ist für ca. nommen. Parallel geht die Studie aber auch von einer 14 bis 15 Prozent des zusätzlichen Energieverbrauchs Erhöhung der Rechenleistung von 20 Prozent alle 5 Jahre verantwortlich. Nach eigenen Berechnungen auf Basis aus. Neben den erwähnten notwendigen Komponenten von Gawron et al. (2018) verbraucht ein Stufe-3-Pkw ist es durchaus denkbar, dass aus rechtlichen Gründen heute zwischen 310 und 656 Wh/100 km. Ein Stufe-4- die Nutzung eines sogenannten Drive Recorders vorge- Pkw würde aus heutiger Perspektive zwischen 555 und schrieben wird. Sollte diese Speicherung der Fahrdaten 800 Wh/100 km Energie verbrauchen. Für den Ausblick über einen längeren Zeitraum gesetzlich vorgeschrieben auf die Entwicklung des Energieverbrauchs durch die werden, dann kann sich der zusätzliche Endenergiever- AVF-Komponenten on board bis zum Jahr 2050 ist es brauch on board nochmals erhöhen. Die Größenordnung jedoch sinnvoll, die Entwicklung der Energieeffizienz der dieser Erhöhung hängt jedoch vom vorgeschriebenen Komponenten abzuschätzen und einzubeziehen. Hierzu Zeitrahmen für die Datenspeicherung ab und ist daher in wurde für die Sensoren, das DSRC, GNSS-Positioning den Berechnungen nicht berücksichtigt worden. und das V2X-Modul aus Einschätzungen der befragten Experten Annahmen getroffen und in die Berechnung Zusätzlicher Endenergieverbrauch on board für einen Pkw pro Automatisierungsstufe Abbildung 4 500 450 400 350 [Wh pro 100 km] 300 250 200 150 100 50 0 2020 2030 2040 2050 Assistiert Teilautomatisiert Hochautomatisiert Vollautomatisiert Fahrerlos Eigene Berechnungen auf Basis von Krail et al. (2019) 20
Agora Verkehrswende | Wirkungen der Automatisierung und Vernetzung auf den Energieverbrauch Abbildung 4 zeigt die abgeschätzten Wirkungen der kinfrastruktur und die Rechenzentren der Mobilfunkan- AVF-Komponenten in Form des durchschnittlichen bieter zu sehr in die Höhe treiben. zusätzlichen Endenergieverbrauchs gemessen in Wh/100 km für einen Mittelklasse-Pkw. Die Abschät- Um diese Frage zu beantworten, wurde in der Studie zungen unterscheiden sich nach den Automatisierungs- zunächst der durchschnittliche Endenergieverbrauch stufen auf Basis der unterschiedlichen Ausstattung mit durch das Mobilfunksystem inklusive der Rechen- Komponenten. Während sich in 2020 der zusätzliche zentren pro übertragener Datenmenge für das heu- Verbrauch noch zwischen 269 Wh/100 km für assistierte tige Mobilfunksystem, aber auch für ein zukünftiges, Pkw und 460 Wh/100 km für hochautomatisierte Pkw, flächendeckend auf 5G basierendes Mobilfunksystem sinkt der zusätzliche Energieverbrauch bis 2050 auf ermittelt. Nach Einschätzungen der Mobilfunkbetrei- Werte zwischen 170 für assistierte und 270 Wh/100 km ber (zum Beispiel Vodafone 2019) und bestätigt durch für fahrerlose Pkw. Umgerechnet auf den Verbrauch weitere Untersuchungen (zum Beispiel Höfer et al. 2019) eines Diesel-Pkw würde dies einen zusätzlichen Ver- sinkt der Energieverbrauch durch den Umstieg auf 5G brauch zwischen 0,17 und 0,27 Liter/100 km bedeuten. von ca. 3,5 Wh pro übertragenes GB an Daten bei 4G auf 1 Wh pro GB. Dieser Rückgang erscheint auf den ersten Blick überraschend, weil zum Beispiel auch die Berech- 3.3 Energieverbrauch durch die nungen der RWTH Aachen (Höfer et al. 2019) einen Vernetzung im Mobilfunk steigenden Energieverbrauch durch 5G aufzeigen. Dieses Ergebnis ist jedoch maßgeblich durch die Annahmen zur Die Menge der Daten, die ein automatisiertes und ver- Entwicklung der Datenmengen beeinflusst, welche in netztes Fahrzeug mit seinen vielen Sensoren erzeugt, ist den Berechnungen die Entwicklung der Energieeffizienz riesig. Nach Einschätzungen von Experten (u. a. Hein- der Datenübertragung im 5G-Netz deutlich überstei- rich 2017) liegt die gesamte Datenmenge zumindest bei gen. Eigene Berechnungen aus dem Energieverbrauch AVF-Testfahrzeugen zwischen 1,4 TB/h und 19 TB/h. von Telefonica (O2) und der deutschen Telekom und den Intel (2017) geht von ca. 5 TB/h an Datenvolumen aus. jeweils im Mobilfunknetz pro Jahr übertragenen Daten- Alleine der Speicherplatz für eine digitale hochaufgelöste mengen bestätigen jedoch die berücksichtigten Angaben (HD-)Karte für eine Großstadt kann schon bis zu 1,5 TB zur Entwicklung der Energieeffizienz. Für die Berech- betragen und hochaufgelöste Karten sind eine Grundvo- nungen des Endenergieverbrauchs durch AVF wurde raussetzung für sicheres automatisiertes Fahren. Dazu angenommen, dass die Mobilfunksysteme bis 2030 zu müssen diese Karten bei Änderungen regelmäßig aktua- 100 Prozent auf 5G-Standard umgestellt sein werden. lisiert und angepasst werden. Die Menge an generierten Sensorsignalen in einem einzelnen Fahrzeug übersteigt Während die für die Studie definierten Vernetzungs- bei weitem eine kosteneffektive Übertragungs- und szenarien für automatisierte Fahrzeuge sich bei den Speicherkapazität aktueller Technologien (Gatzke et al. Potenzialen der Energieeffizienz im Fahrzeug sowie dem 2016). Heutige Mobilfunknetze mit 4G/LTE-Standard Mehrverbrauch durch die AVF im Fahrzeug nicht unter- und einer Datenübertragungsrate von ca. 300 MB/s wür- scheiden, wurden für den Energieverbrauch im Mobil- den angesichts dieser Datenmengen schon deutlich an funk durch die Vernetzung unterschiedliche Annah- ihre Grenzen stoßen, wenn man davon ausgehen würde, men getroffen. Dies spiegelt die noch vorherrschende dass die Fahrzeuge über Mobilfunk mit der Umwelt alle Unsicherheit über die zukünftig, tatsächlich anfallenden Daten austauschen. Selbst mit dem neuen 5G-Standard Datenmengen aus den Sensoren der AVF wider. Die lässt sich diese Datenmenge bei Datenübertragungsra- Forschung ist sich einig darüber, dass es ein kostenef- ten von 1 bis maximal 10 GB/s nicht immer verarbeiten fektiver Datenaustausch bei V2X nur über den Einsatz beziehungsweise übertragen. Selbst wenn die in automa- von Big-Data-Analyseverfahren möglich ist (Gatzke et tisierten Fahrzeugen gesammelten Daten im Rohzustand al 2016). Wie sehr die zu übertragenden Datenmengen in den abgeschätzten Datenmengen übertragbar wären, sich durch dieses Verfahren jedoch reduzieren lassen, ist stellt sich die Frage, ob diese Datenmengen nicht den aus der verwendeten Sekundärliteratur nicht erkennbar. Endenergieverbrauch im Mobilfunk durch die Mobilfun- Daher geht die Studie im Szenario „Minimalvernet- zung“ davon aus, dass der Datenaustausch zwischen den 21
Auto tankt Internet | Wirkungen der Automatisierung und Vernetzung auf den Energieverbrauch Fahrzeugen nicht über den Mobilfunk realisiert wird und Endenergieverbrauch durch dass die Fahrzeuge nur dann Daten über den Mobilfunk V2X im Mobilfunk – Szenario gesendet bekommen, wenn ein Update des HD-Karten- „Minimalvernetzung” Abbildung 5 materials vonnöten ist. Der Normalfall sowohl im Szena- rio „Minimalvernetzung“ als auch im Szenario „Effiziente 100 Vernetzung“ sieht jedoch vor, dass die benötigten Karten 90 vor Fahrtantritt über WLAN im Heimnetzwerk geladen 80 werden. Es wird dabei angenommen, dass ca. die Hälfte 70 [Wh pro 100 km] aller vernetzten Fahrzeuge darüber ihre Updates aufge- 60 spielt bekommen können. Die für diese Updates anfal- 50 lenden Stromverbräuche der WLAN-Repeater für die 90 40 Garagen werden in Kapitel 3.4 dem Endenergieverbrauch 30 des Backend zugerechnet. Für alle im öffentlichen Raum 20 abgestellten Fahrzeuge besteht diese Möglichkeit nur in 26 26 26 10 Einzelfällen. Für die notwendigen Updates des Kartema- 0 terials dieser Fahrzeuge wird entweder der Mobilfunk 2020 2030 2040 2050 oder im Szenario „Effiziente Vernetzung“ die Vernetzung Alle Automatisierungsstufen mit den MEC-Frontend-Servern genutzt. Durch die beschriebenen Minimalanforderungen wird im Szenario Eigene Berechnungen des Fraunhofer ISI „Minimalvernetzung“ angenommen, dass durchschnitt- lich lediglich 12 GB Daten pro Tag über den Mobilfunk an die AVF übertragen werden. Einige OEMs arbeiten zur- zeit beispielweise mit Kartenanbietern an Möglichkeiten funk eingeht. Eine Annahme in diesem Szenario ist, dass eines effizienten Updates der hochauflösenden Karten die Fahrzeuge nicht permanent und vollumfänglich alle durch den Einsatz der Sensoren in den AVF. Daten aus den Sensoren an das Backend senden, sondern dies nur gezielt tun. Im Gegensatz dazu wird im Szenario „Effiziente Ver- netzung“ angenommen, dass die Vernetzung zwischen Die resultierenden zusätzlichen Endenergieverbräuche den Fahrzeugen (V2V) und dem Backend (V2C) auch zum durch die Datenübertragung im Mobilfunk für das Sze- Teil über Mobilfunk stattfindet, wenn die Systemein- nario „Minimalvernetzung“ und das Szenario „Effiziente schränkungen des WLAN-Standards 802.11p auf- Vernetzung“ pro Fahrzeug pro 100 Kilometer sind in den grund größerer Distanzen der Fahrzeuge überschritten Abbildungen 5 und 6 für den zeitlichen Verlauf bis 2050 werden. Da die zu Beginn des Kapitels beschriebenen skizziert. Der Rückgang des Energieverbrauchs ist das Einschätzungen zu den gesamten Datenmengen aus Resultat aus der Umstellung der Mobilfunksysteme auf den Sensoren eines AVF jedoch weder technisch noch 5G-Technologie. Während die Annahmen im Szenario kostenseitig effizient sind, wird davon ausgegangen, „Minimalvernetzung“ zu einem marginalen zusätzlichen dass sich der Datendurchfluss auf die minimal notwen- Endenergieverbrauch bezogen auf ein Einzelfahrzeug digen Datenmengen beschränkt. Das Automotive Edge in Höhe von 26 Wh pro 100 Fahrzeugkilometer führen, Computing Consortium (AECC), das sich aus zahlreichen verursacht der große Datenfluss im Szenario „Effiziente namhaften Playern aus dem Bereich der IT und dem Vernetzung“ einen spürbaren Anstieg des Endenergie- Mobilfunk zusammensetzt, hat für die Entwicklung der verbrauchs in Höhe von 766 Wh pro 100 Fahrzeugkilo- Datenmengen drei Szenarien entwickelt (AECC 2020). meter im Jahr 2050. Im Low-Range-Szenario wird dabei die Datenmenge, die über die Mobilfunkvernetzung verschickt wird, Würden zukünftig keine Big-Data-Verfahren zur Opti- auf 0,383 TB pro Stunde pro Fahrzeug geschätzt. AECC mierung der Datenmengen aus den Fahrzeugen für die erachtet dabei dieses Szenario am nächsten am koope- Vernetzung angewandt werden, könnten die dadurch rativen Fahren ein, weshalb diese Datenmenge in die entstehenden zusätzlichen Energieverbräuche die in Berechnung des Endenergieverbrauchs für den Mobil- Kapitel 3.1 skizzierten Energieeffizienzpotenziale des 22
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