Auto tankt Internet ANALYSE - Auswirkungen des automatisierten und vernetzten Fahrens auf den Energieverbrauch von Fahrzeugen, Datenübertragung ...

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Auto tankt Internet ANALYSE - Auswirkungen des automatisierten und vernetzten Fahrens auf den Energieverbrauch von Fahrzeugen, Datenübertragung ...
Auto tankt Internet
Auswirkungen des automatisierten und vernetzten Fahrens auf den
Energieverbrauch von Fahrzeugen, Datenübertragung und Infrastruktur

ANALYSE
Impressum
Auto tankt Internet.
Auswirkungen des automatisierten und vernetzten
­Fahrens auf den ­Energieverbrauch von Fahrzeugen,
 Datenübertragung und Infrastruktur.

ERSTELLT IM AUFTRAG VON

Agora Verkehrswende
Anna-Louisa-Karsch-Str. 2 | 10178 Berlin
T +49 (0)30 700 14 35-000
F +49 (0)30 700 14 35-129
www.agora-verkehrswende.de
info@agora-verkehrswende.de

PROJEKTLEITUNG

Marena Pützschler
Projektmanagerin Neue Mobilität,
Agora Verkehrswende
marena.puetzschler@agora-verkehrswende.de

DURCHFÜHRUNG

Auftragnehmer
Fraunhofer-Institut für System- und
Innovationsforschung ISI
Breslauer Straße 48 | 76139 Karlsruhe

Autor
Dr. Michael Krail

Lektorat: Eva Berié
Satz: Juliane Franz und Marica Gehlfuß,
       Agora Verkehrswende
Titelbild: iStock.com/oonal

                                                     Bitte zitieren als:
                                                     Agora Verkehrswende (2020): Auto tankt Internet.
Version: 1.0                                         Auswirkungen des automatisierten und vernetzten Fah-
Veröffentlichung: Dezember 2020                      rens auf den ­Energieverbrauch von Fahrzeugen, Daten-
52-2021-DE                                           übertragung und Infrastruktur.
Vorwort
Liebe Leserinnen, liebe Leser,

„Auch das Internet hat einen Auspuff“, so lautete vor etwa    Fahrzeuge und der Vernetzung dieser miteinander, mit
drei Jahren der Titel eines Artikels im Feuilleton einer      Datenplattformen und der Infrastruktur einhergeht.
großen deutschen Tageszeitung.1 Es ging darin um die
Besonderheiten der Architektur von Rechenzentren und          In der Analyse „Die Automatisierung des Automobils
um den wachsenden Stromverbrauch durch die alltäg-            und ihre Folgen“ von August 2020 haben wir uns bereits
liche Nutzung von Smartphones und Computern. Denn             übergreifend mit den Chancen und Risiken der Fahr-
auch wenn an den Endgeräten keine Abgase zu sehen             zeugautomatisierung für nachhaltige Mobilität beschäf-
sind, entstehen doch an anderer Stelle Emissionen. Jede       tigt. Dabei wurde deutlich, dass die Automatisierung
Suchanfrage im Internet, jedes Foto und jeder Film auf        nicht von selbst zur Verkehrswende führt; dass es not-
Social Media, jede Videokonferenz und jeder Streaming-­       wendig ist, die Entwicklung und Anwendung der Tech-
Abend verbraucht Strom, der erst erzeugt werden muss –        nologie im Sinne der Verkehrswende genau zu untersu-
im besten Fall aus Windkraft- und Solaranlagen, häufig        chen, offen zu diskutieren und, darauf aufbauend, gezielt
aber auch aus Gas- und Kohlekraftwerken.                      zu steuern. Das gilt erst recht in der Frage nach dem
                                                              Energieverbrauch und den Treibhausgasemissionen.
Das Auto wird immer mehr zu einem Teil dieser Glei-
chung. Es wandelt sich zu einem Computer auf Rädern.          Die vorliegende Analyse soll einen ersten Anstoß geben,
Es hilft bereits beim Einparken und Navigieren, mehr und      die energierelevanten Aspekte des automatisierten und
mehr wird es auch das Fahren übernehmen. Dafür erfasst        vernetzten Fahrens ins Auge zu fassen. Ziel ist es, die
es Daten vom Fahrzeug und von der Umgebung, lädt              Potenziale ganzheitlich zu betrachten, die Herausforde-
Informationen über die Verkehrslage aus Datenplattfor-        rungen klarer herauszuarbeiten und damit die öffentliche
men herunter und gibt selbst Daten an diese Plattformen       Diskussion und die politische Entscheidungsfindung zu
weiter. So bringt das Auto der Zukunft seine Fahrgäste        unterstützen. Denn wenn wir es richtig machen, kann die
automatisch, sicher und pünktlich ans Ziel, aber es tankt     Automatisierung durchaus einen Beitrag zur Verkehrs-
Strom nicht nur für die Fortbewegung, sondern auch für        wende leisten und den Energieverbrauch im Verkehr
die Datenverarbeitung. Es tankt gewissermaßen Inter-          reduzieren. Sie tut es nur nicht automatisch.
net – und das hat, siehe oben, auch einen Auspuff. Selbst
wenn der Strom komplett aus erneuerbaren Quellen käme         Christian Hochfeld
und deshalb keine Emissionen verursachen würde, ist der       für das Team von Agora Verkehrswende
Energieverbrauch ein kritischer Faktor. Denn erneuerba-       Berlin, 11. Januar 2021
rer Strom ist ein kostbares Gut und wird an vielen Stellen
dringend benötigt, um Klimaneutralität zu erreichen.

Die Diskussion über die Auswirkungen des automatisier-
ten und vernetzten Fahrens auf den Energieverbrauch
steht erst am Anfang. Immerhin, der Digitalgipfel der
Bundesregierung stand Ende 2020 im Zeichen der Nach-
haltigkeit und ging dabei auch auf Mobilität ein. Die Lite-
ratur betont bisher vor allem die Hoffnung, dass automa-
tisierte Fahrzeuge effizienter fahren können und deshalb
gegenüber herkömmlichen Pkw Energieeinsparpotenzi-
ale haben. Wenig Beachtung findet dagegen der zusätz-
liche Energieverbrauch, der mit der Automatisierung der

1   Maak, Niklas: Auch das Internet hat einen Auspuff, in:
    Frankfurter Allgemeine Zeitung (13.1.2018), S. 9.

                                                                                                                      3
Auto tankt Internet | Agora Verkehrswende

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Handlungsempfehlungen
Automatisierte und vernetzte Pkw und die damit verbundenen Infrastrukturen und Datenströme können sehr unter-
schiedliche Auswirkungen auf die Energiebilanz im Verkehr haben. Sie können den Energieverbrauch senken, wenn sie
effizient gefahren und eingesetzt werden; sie können den Energieverbrauch aber auch deutlich erhöhen. Die Kriterien
für einen effizienten Einsatz der Technologien müssen jetzt, in der Frühphase der Entwicklung, von allen beteiligten
Seiten diskutiert und von der Politik definiert werden. Auf Basis der vorliegenden Analyse empfiehlt Agora Verkehrs-
wende, dabei auf folgende Punkte zu achten:

                    Zusätzlichen On-board-Energieverbrauch automatisierter Fahrzeuge durch die Auswahl
                    effizienter Komponenten minimieren und dies in den Flottengrenzwerten berücksichtigen.
                    Durch zusätzliche Systemkomponenten steigt der Energieverbrauch automatisierter
                    Fahrzeuge im Vergleich zu konventionellen Fahrzeugen an. Besonders stark ins Gewicht
                    fallen die in den Steuergeräten verbauten Prozessoren (Central Processor Units, CPUs und
                    Graphics Processor Units, GPUs) und Speicher. Für batterieelektrische Fahrzeuge spielt die
                    Energie­effizienz der Komponenten eine bedeutende Rolle: Je weniger Strom sie verbrau-
                    chen, desto größer die Reichweite beim Fahren. Die vorliegende Analyse baut auf Schätzun-
                    gen auf, dass sich der zusätzliche On-board-Energieverbrauch vollständig automatisierter
                    Fahrzeuge bei stetiger Effizienzverbesserung im Jahr 2050 auf 270 Wattstunden pro 100
                    Kilometer begrenzen lässt. Die europäischen Flottengrenzwerte sollten in Zukunft von einer
                    CO2-Emissionsmetrik auf eine Energieeffizienzmetrik umgestellt werden. Dabei sollte auch
                    der On-Board-Energieverbrauch der Automatisierungskomponenten berücksichtigt werden.

                    Automatisierte Fahrzeuge vernetzen: so viel wie nötig, aber so wenig wie möglich.
                    Je mehr Kommunikation zwischen Fahrzeug und Infrastruktur (Vehicle-to-Infrastructure,
                    V2I) sowie zwischen Fahrzeug und Datenplattform (Vehicle-to-Cloud, V2C) notwendig ist,
                    desto höher sind nicht nur die damit verbunden Investitionskosten, sondern auch der dar-
                    aus resultierende Energieverbrauch. Auch aus Sicherheitsgründen sollten die Fahrzeuge
                    so konzipiert sein, dass sie unabhängig von weiteren Sensoren in der Infrastruktur fahren
                    können. Bei der Optimierung des Gesamtsystems sollten mögliche Vorteile durch eine
                    weitere Vernetzung gegen die Nachteile eines möglichen Anstiegs des Energieverbrauchs
                    abgewogen werden. Eine Datenübertragung per lokalem Funknetz (Wireless Local Area
                    Network, WLAN) sollte einer Übertragung per 5G-Mobilfunknetz aus Effizienzgründen
                    vorgezogen werden, wo dies technisch möglich ist.

                    Big-Data-Analyseverfahren entwickeln, die die Menge der zu übertragenden Daten
                    geringhalten.
                    Aus heutiger Sicht könnten pro automatisiertem Fahrzeug Datenmengen von 1,4 bis
                    19 Terabyte pro Stunde (TB/h) anfallen. Insbesondere die Datenmengen, die an andere
                    Verkehrsteilnehmer oder die Plattform übertragen werden, sollten möglichst geringge-
                    halten werden, um einen effizienten Betrieb zu ermöglichen. Sie sind eine entscheidende
                    Größe für den Energieverbrauch des Gesamtsystems. Bereits eine übertragene Daten-
                    menge von 0,8 TB/h kann sämtliche Energieeffizienzvorteile, die das automatisierte
                    Fahren an anderer Stelle bringt, zunichtemachen. Daher gilt es für die Pkw-Hersteller,
                    Zulieferer und Softwareentwickler, effiziente Lösungen für den Umgang mit großen
                    Datenmengen zu finden. Nur mit effizienten Big-Data-Analyseverfahren lassen sich die
                    beim automatisierten und vernetzten Fahren gesammelten Daten so nutzen, dass die
                    Verbesserung der Verkehrssicherheit und des Verkehrsflusses nicht gleichzeitig zu einem
                    Anstieg des Energieverbrauchs führt.

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Auto tankt Internet | Handlungsempfehlungen

        4          Automatisierte Fahrzeuge gemeinschaftlich nutzen und in den öffentlichen Verkehr inte­
                   grieren, um einem Anstieg der Fahrleistung entgegenzuwirken.
                   Der motorisierte Individualverkehr wird durch automatisierte Fahrzeuge komfortabler und
                   für neue Nutzergruppen zugänglich. Außerdem könnten Fahrzeuge leer herumfahren,
                   statt auf einem kostenpflichtigen Parkplatz zu stehen. Das würde zu einem weiteren
                   Anstieg von Fahrleistung und Energieverbrauch führen. Bereits ein Anstieg der Fahrleis-
                   tung um nur 1 bis 2,6 Prozent im Jahr 2050 würde mögliche Energieeffizienzgewinne
                   der Automatisierung zunichtemachen. Daher gilt es, den Betrieb möglichst effizient zu
                   gestalten, die Fahrzeuge gemeinschaftlich zu nutzen und in den öffentlichen Verkehr zu
                   integrieren.

         5         Energieverbrauch der digitalen Infrastruktur gesondert regulieren.
                   Wie automatisierte und vernetzte Pkw sich auf den Energieverbrauch im Verkehr aus-
                   wirken, hängt von vielen Faktoren ab: von Effizienzsteigerungen sowohl im Bereich der
                   Hardware als auch der Software sowie einer Optimierung des Gesamtsystems. In den
                   Anfangsjahren zehrt der Energieverbrauch der Infrastruktur selbst bei optimistischen
                   Annahmen die Effizienz­gewinne im Fahrbetrieb weitgehend auf oder überwiegt diese
                   sogar. Erst langfristig erreicht die gesamte Energieeinsparung bei Minimalvernetzung
                   einen Wert von bestenfalls 10 Prozent der Antriebsenergie eines heute üblichen mittleren
                   Elektroautos; bei weitgehender Vernetzung sind es auch unter Berücksichtigung steigen-
                   der Effizienz lediglich 4 Prozent. Deshalb sollte der Energieverbrauch der digitalen Infra-
                   struktur einer gesonderten Effizienzregelung unterworfen werden. Die Auswirkungen
                   solcher Regelungen auf den Energie­verbrauch sollten von Anfang an berücksichtigt und
                   fortlaufend ausgewertet werden, damit frühzeitig nachgesteuert werden kann.

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Inhalt
Handlungsempfehlungen5

1 | Einleitung                                             9
    1.1 Definitionen                                       10
    1.2 Vorgehensweise                                      11

2|A
   utomatisierungs- und
  Vernetzungsszenarien13

3 | Wirkungen der Automatisierung und
     Vernetzung auf den Energieverbrauch                  17
    3.1 Energieeffizienz im Fahrbetrieb                    18
    3.2	On-board-Energieverbrauch durch
         Automatisierungssysteme19
    3.3 Energieverbrauch durch die Vernetzung im Mobilfunk 21
    3.4	Energieverbrauch durch die ­Vernetzung
         mit dem Backend                                   23
    3.5 Gesamte Wirkungen auf den Energieverbrauch         24
    3.6 Potenzielle Reboundeffekte durch AVF               26

4 | Handlungsempfehlungen und Ausblick                    29

5 | Literatur                                             31

                                                                  7
Auto tankt Internet | Agora Verkehrswende

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1 | Einleitung
Der Einfluss der zunehmenden Digitalisierung im Ver-          beide Technologien prinzipiell unabhängig vonein-
kehrssektor ist bereits heute in der alltäglichen Mobilität   ander sind, werden Automatisierung und Vernetzung
spürbar. Sie beeinflusst die Wahl der Verkehrsmittel,         meist in Kombination gedacht. Dies bedeutet, dass bei
ermöglicht die Optimierung von Routen und vereinfacht         der Entwicklung der Automatisierungsfunktionen die
die multimodale Nutzung von Mobilitätsdienstleis-             Vernetzung der Fahrzeuge, und damit ein Informations-
tungen. Dabei steht der Verkehrssektor erst am Anfang         austausch für den sicheren und komfortablen Betrieb
eines umfassenden digitalen Wandels. Insbesondere die         der Fahrzeuge, nicht zwingend notwendig ist. Allerdings
rasante Entwicklung der Automatisierung und Ver-              kann der Datenaustausch zwischen den Fahrzeugen ein
netzung wird nach Einschätzung von Experten noch              wichtiges Puzzlestück hin zu einem energieeffizienten
wesentlich weiter reichende Veränderungsprozesse im           und noch komfortableren Verkehrssystem sein. Daher
Mobilitätsverhalten und Verkehrssystem in Gang setzen.        arbeiten nahezu alle Hersteller daran, diese zusätzlichen
                                                              Informationen in den Systemen zum Mehrwert der Fah-
Weltweit arbeiten Automobilhersteller, Zulieferer und         rer nutzbar zu machen.
IT-Unternehmen seit vielen Jahren bereits an der Idee
automatisierter und vernetzter Fahrzeuge. Die Evolution       Insgesamt schwingen bei der Entwicklung der Automa-
der Fahrzeugautomatisierung vollzieht sich dabei in den       tisierung und der Vernetzung im Straßenverkehr weit
meisten Fällen über fünf Stufen der Automatisierung           mehr Hoffnungen mit als nur der Wunsch nach mehr
(SAE-Levels des automatisierten Fahrens) mit unter-           Komfort und zusätzlichen ­Mobilitätsdienstleistungen.
schiedlichen Funktionalitäten und Verantwortlichkeiten        In der Strategie der Bundesregierung aus dem Jahr
für den Fahrer beziehungsweise die Systeme. Bei der           2015 sind diese Hoffnungen formuliert: Man erwartet
finalen Stufe (Stufe 5), dem fahrerlosen Fahren, entsteht     durch automatisiertes und vernetztes Fahren (AVF) eine
dann spätestens ein Wandel: Der Fahrer wird vollum-           Steigerung der Verkehrseffizienz, eine Erhöhung der
fänglich zum Beifahrer beziehungsweise zum Passagier.         Verkehrssicherheit, eine Reduktion mobilitätsbedingter
                                                              Emissionen und eine Stärkung des Innovations- und
Während fahrerloses Fahren auf der Schiene, beispiels-        Wirtschaftsstandorts Deutschland (BMVI 2015). Fahrer-
weise auf U-Bahn-Linien, bereits seit vielen Jahren           lose Verkehrssysteme sollen die Einführung neuer, nach-
weltweit Realität ist und es ebenfalle seit Langem bereits    frageorientierter Mobilitätsdienstleistungen ermöglichen
vollautomatisierte Systeme (Stufe 4) im Luftverkehr gibt,     und damit zusätzliche Alternativen für eine multi- und
befindet man sich heute im Straßenverkehr noch auf            intermodale Mobilität eröffnen. Der Pkw im Privatbe-
der Schwelle zum hochautomatisierten Fahren (Stufe 3).        sitz könnte dadurch zukünftig an Bedeutung verlieren,
Wegen der Komplexität der Anwendung im Straßenver-            was den Wandel hin zu einer energieeffizienten und
kehr und der geforderten Interaktion mit allen möglichen      treibhausgasreduzierten Mobilität beschleunigen kann.
Verkehrsteilnehmern sind noch einige Hürden auf dem           Gleichzeitig besteht jedoch auch die Gefahr, dass eine
Weg zum fahrerlosen Fahren zu überwinden. Die Ein-            unregulierte Einführung neuer, automatisierter und
schätzungen zum Fahrplan für die Einführung der finalen       vernetzter Verkehrssysteme auf der Straße den ohnehin
beiden Automatisierungsstufen, dem vollautomatisierten        schon dominierenden motorisierten Individualverkehr
und dem fahrerlosen Fahren, variieren die Aussagen            (MIV) noch attraktiver werden lässt und den Öffentli-
der Hersteller und der Forschung. Während ERTRAC die          chen Verkehr zunehmend kannibalisiert. Ein Aspekt,
Einführung des vollautomatisierten Fahrens in der Stadt       der bislang nur unzureichend Beachtung findet, ist der
im Zeitraum zwischen 2020 und 2026 erwartet (ERTRAC           zusätzliche Energieverbrauch der mit der zunehmenden
2019), rechnet beispielsweise der VDA damit erst zwi-         Automatisierung der Fahrzeuge und deren Vernetzung
schen 2025 und 2030.                                          mit einem Backend und der Infrastruktur einhergeht.
                                                              Diese Analyse soll diesen Aspekt näher beleuchten und
Parallel zur Entwicklung der Automatisierung im Stra-         die Auswirkungen der Automatisierung und Vernet-
ßenverkehr arbeitet die Industrie auch an der Vernet-         zung im Straßenverkehr auf Fahrzeugebene, aufseiten
zung der Fahrzeuge miteinander (V2V), der Vernetzung          des Backend sowie des Mobilfunks auf den Energie-
mit einer Cloud beziehungsweise einem Backend (V2C)           verbrauch quantifizieren. Der Fokus der Analyse liegt
und der Vernetzung mit der Infrastruktur (V2I). Obwohl        dabei auf der Nutzungsphase der Automatisierung und

                                                                                                                      9
Auto tankt Internet | Einleitung

                                                            • Stufe 1 – Assistiertes Fahren:
Vernetzung in Pkw. Die Wirkungen der Herstellung und
                                                              Hierbei übernimmt das System entweder die Längs-
Entsorgung von Systemkomponenten auf den Energie-
                                                              oder die Querführung des Fahrzeugs, wobei der Fahrer
verbrauch werden dabei nicht betrachtet.
                                                              das System dauerhaft überwachen und zum Eingrei-
                                                              fen bereit sein muss.
Die Wirkungsanalyse wird dabei trotz der noch vorherr-
                                                            • Stufe 2 – Teilautomatisiertes Fahren:
schenden Ungewissheit über die Entwicklung des AVF
                                                              Das System übernimmt sowohl die Längs- als auch
als dringend notwendig betrachtet, um mögliche negative
                                                              die Querführung des Fahrzeugs für einen gewissen
Effekte auf den Energieverbrauch und die Treibhaus-
                                                              Zeitraum oder in spezifischen Situationen. Der Fahrer
gasemissionen frühzeitig zu erkennen. Vor diesem
                                                              muss das System dauerhaft überwachen und jederzeit
Hinter­grund soll diese Analyse von Agora Verkehrs-
                                                              zur vollständigen Übernahme der Fahraufgabe in der
wende dazu beitragen, die Betrachtung von Klima- und
                                                              Lage sein.
Umwelteffekten automatisierter und vernetzter Fahr-
                                                            • Stufe 3 – Hochautomatisiertes Fahren:
zeuge im politischen und öffentlichen Diskurs zu stärken
                                                              Das System übernimmt die Längs- und Querführung
und die Notwendigkeit etwaiger Effizienzstandards für
                                                              des Fahrzeugs im spezifischen Anwendungsfall und
die Automatisierung von Fahrzeugen zu diskutieren. Zu
                                                              erkennt Systemgrenzen. Der Fahrer muss das System
diesem Zweck werden in diesem Papier die Implikatio-
                                                              nicht mehr dauerhaft überwachen, aber jederzeit in
nen der Automatisierung und Vernetzung des MIV auf
                                                              der Lage sein, die Fahraufgabe nach Aufforderung
Einzelfahrzeugebene mit dem Zeithorizont bis zum Jahr
                                                              in einer angemessenen Zeit wieder vollständig und
2050 verdeutlicht. Es sollen explizit nicht die Auswir-
                                                              sicher zu übernehmen.
kungen eines eingeschwungenen Systems mit 100 Pro-
                                                            • Stufe 4 – Vollautomatisiertes Fahren:
zent vollautomatisierten beziehungsweise fahrerlosen
                                                              Beim vollautomatisierten Fahren übernimmt das
und vernetzten Pkw untersucht werden, sondern die bis
                                                              System die Fahrzeugführung in einem definierten
2050 zu erwartende Diffusion der deutschen Pkw-Flotte
                                                              Anwendungsfall vollständig und bewältigt alle damit
unter realen Marktbedingungen.
                                                              verbundenen Situationen automatisch.
                                                            • Stufe 5 – Fahrerloses Fahren:
Ziel des Papiers ist es darüber hinaus, weiterführenden
                                                              Beim fahrerlosen Fahren übernimmt das System die
Forschungsbedarf und erste mögliche Handlungsoptio-
                                                              Fahrzeugführung vollständig vom Start bis zum Ziel auf
nen aufzuzeigen, um mit der Fahrzeugautomatisierung
                                                              allen Straßentypen, in allen Geschwindigkeitsberei-
und -vernetzung einen Beitrag zu klimafreundlichem
                                                              chen und bei allen Umfeld- und Wetterbedingungen.
Verkehr leisten zu können.

                                                            Bei der Vernetzung von Fahrzeugen miteinander (V2V),
1.1    Definitionen                                         mit einem Backend/einer Cloud (V2C) oder mit der
                                                            Verkehrsinfrastruktur (V2I) gibt es zwei grundsätzli-
Die Entwicklung der Automatisierung im Verkehr              che Möglichkeiten der Datenübertragung: WLAN oder
geschieht in den meisten Fällen evolutorisch über fünf      Mobilfunk. WLAN wird vom Institute of Electrical and
Stufen. Ausnahmen davon stellen Fahrzeugkonzepte dar,       Electronics Engineers (IEEE) unter der Bezeichnung
die bereits von Anfang an auf den Fahrer verzichten, wie    802.11 standardisiert. Es gibt mittlerweile zahlreiche
beispielsweise fahrerlose Kleinbusse. Bei den fünf Stufen   Weiterentwicklungsstufen, die sich unter anderem in
der Automatisierung orientieren sich die Bundesregie-       ihrer Bandbreite und dem genutzten Frequenzband
rung, der VDA sowie die Hersteller und Zulieferer an        unterscheiden. Mit dem Standard 802.11p wurde für
der Systematik der SAE International (2018), die den        die Vernetzung von Fahrzeugen untereinander sowie
Stufen sowohl Funktionalitäten der Systems als auch         mit der Verkehrsinfrastruktur ein eigener Substandard
die Verantwortlichkeiten zwischen Fahrer und System         festgelegt. Dieser wird in Europa auch als ITS-G5, in den
zuordnen:                                                   USA hingegen als Dedicated Short Range Communication
                                                            (DSRC) oder Wireless Access in Vehicular Environments
                                                            (WAVE) bezeichnet. Er ermöglicht die Kommunikation
                                                            bei Fahrzeuggeschwindigkeiten von bis zu 200 km/h und

10
Agora Verkehrswende | Einleitung

einer Reichweite bis zu 1000 Meter. Die WLAN-Kom-           ten und vernetzten Fahrzeugs gegenüber einem Fahrzeug
munikation kann zur V2V-, zur V2C- und zur V2I-Ver-         ohne diese Funktionalitäten. Um die Storylines hinter den
netzung genutzt werden. Neben dem Datentransfer über        beiden Szenarien zu validieren beziehungsweise zu ver-
WLAN besteht noch die Möglichkeit der Nutzung des           feinern, wurden in einem weiteren Arbeitsschritt sechs
Mobilfunks. Der Mobilfunk eignet sich beispielsweise        nationale und internationale Experten aus den Bereichen
ebenfalls für eine V2V- und V2C-Vernetzung. Idealer-        Forschung und Industrie befragt. Die Erkenntnisse dieser
weise wird dabei der 5G-Standard benutzt, der mit bis       Interviews sind dabei sowohl in die Entwicklung der
zu 10 Gbit/s einen deutlich schnelleren Datendurchfluss     Szenarien als auch in die Berechnung der Wirkungen auf
ermöglicht als LTE Advanced mit bis zu 1 Gbit/s (Herr-      den Endenergieverbrauch eingeflossen.
mann und Brenner 2018). 5G-Netze haben den Vorteil,
dass dezentral Rechenoperationen an den Basisstatio-        Im finalen Arbeitsschritt wurden für diese Analyse
nen durchgeführt werden können. Dadurch sinken die          die Auswirkungen des AVF auf die Effizienz der Fahr-
Latenzzeiten auf 10 bis 100 Millisekunden, was beson-       zeuge im Betrieb sowie deren Endenergieverbrauch
ders im hohen Geschwindigkeitsbereich bei automati-         durch zusätzliche elektrische Verbraucher (Sensoren,
sierten Fahrzeugen die Sicherheit erhöhen kann.             etc.) und deren zusätzliches Gewicht auf Ebene der
                                                            Einzelfahrzeuge berechnet. Um die Wirkungen auf das
Da WLAN-Technologie unabhängig von der Netzab­              gesamte System zu berücksichtigen, wurden sie um die
deckung des Mobilfunks ist, eignet sich diese Techno-       Implikationen auf den Endenergieverbrauch durch die
logie insbesondere für den Einsatz in automatisierten       Vernetzung über den Mobilfunk sowie den zusätzlichen
Fahrzeugen zur Steigerung der Sicherheit (Kollisions-       Endenergieverbrauch für das Backend und die vernetzte
warnungen, Unfallvermeidung), aber auch lokal zur Ver-      Infrastruktur ergänzt. Auf Basis der Ergebnisse der Wir-
besserung der Effizienz und des Verkehrsflusses (Kreu-      kungsanalyse und der Erkenntnisse aus den qualitativen
zungsmanagement). Mobilfunksysteme sind hingegen            Experteninterviews wurden abschließend Handlungs-
besonders gut für die Vielzahl von globalen Diensten wie    empfehlungen für die Politik und die Industrie erarbeitet
Verkehrsmanagementsysteme, Stauprognosen oder dem           und weiterer Forschungsbedarf ermittelt.
kooperativen Fahren geeignet. Sie ermöglichen auch die
Erstellung von Updates oder Erweiterungen des digitalen
HD-Kartenmaterials, dass automatisierte Fahrzeuge zum
sicheren Fahren benötigen. Letztere lassen sich aber auch
über WLAN vor Antritt der Fahrt übertragen.

1.2    Vorgehensweise

Die Ermittlung der Auswirkungen der Fahrzeugauto-
matisierung auf den Energieverbrauch basiert auf einer
Auswertung einschlägiger Sekundärliteratur zum Thema
Energieverbrauch sowie zum technischen Design des
Systems des automatisierten und vernetzten Fahrens.
Ausgehend von den Erkenntnissen dieser Recherche
wurden zwei Szenarien erarbeitet, die die unterschied-
lichen Entwicklungspfade der Automatisierung und
vorrangig der Vernetzung im Straßenverkehr darstellen
sollen. Ziel dieser Szenarienentwicklung ist zum einen
das Verdeutlichen der heute noch bestehenden Unsicher-
heit bezüglich der technischen Entwicklung des Systems
in der Zukunft sowie der daraus resultierenden Implika-
tionen auf den Endenergieverbrauch eines automatisier-

                                                                                                                    11
Auto tankt Internet | Einleitung

12
2|A
   utomatisierungs- und
  Vernetzungsszenarien
Ein zentraler Aspekt von Technikfolgenabschätzungen         geklärt. Bisher gibt es hierzu weder eine Kooperation
ist der Umgang mit der Unsicherheit über die zukünftige     zwischen den Herstellern noch ist sicher, ob und in
Entwicklung von Innovationen. Während man bei den           welchem Umfang die öffentliche Hand diese Investiti-
Automatisierungsstufen erst die Schwelle zum hochau-        onskosten tätigt. Die befragten Experten vertreten sehr
tomatisierten Fahren (Stufe 3) überschritten hat, gibt es   unterschiedliche Ansichten. Ein weiterer noch nicht
bezüglich der Erwartungen des Zeitpunkts der Markt-         vollumfänglich geklärter Aspekt, der eine stärkere Nut-
einführung von Stufe 4 beziehungsweise Stufe 5 noch         zung der Vernetzung behindert, sind die Lizenzgebühren
Unsicherheiten. Noch größere Unsicherheiten bestehen        für die Nutzung des Mobilfunks für V2X durch Patente.
in Bezug auf den Umfang und die Geschwindigkeit der
Vernetzung der Fahrzeuge untereinander (V2V), mit           Auf der anderen Seite ist der Mehrwert einer kom-
dem Backend beziehungsweise der Cloud (V2C) oder der        binierten Nutzung der Automatisierung mit Vernet-
Verkehrsinfrastruktur (V2I). Neu zugelassene Pkw sind       zung unbestritten. Der Datenaustausch der Fahrzeuge
heute bereits „keine isolierten Gefährte“ mehr, aber der    über Sonderereignisse wie Gefahrensituationen oder
Umfang der Vernetzung wird zukünftig deutlich größer        gar Unfälle kann die Sicherheit des Gesamtsystems
sein (Hermann und Brenner 2018). Ist es heute nur der       zusätzlich verbessern. Darüber hinaus ermöglicht die
von der EU seit 2018 vorgeschriebene automatische           V2X-Vernetzung die Verbesserung des Verkehrsflusses
Emergency Call bei Unfällen, eröffnet die Vernetzung        und kooperatives Fahren. Dadurch kann die vorhan-
zukünftig noch viele weitere Funktionen bis hin zum         dene Straßeninfrastruktur effektiver genutzt werden,
kooperativen Fahren. Um diese Unsicherheiten und die        die Kapazität erhöht sich um bis zu 40 Prozent (Krause
Bandbreite der möglichen zukünftigen Entwicklun-            et al. 2017). Dies setzt jedoch einen sehr hohen Anteil
gen aufzuzeigen, wurden für die Wirkungsanalyse der         mindestens vollautomatisierter (Stufe 4) und vernetzter
Fahrzeugautomatisierung zwei Szenarien auf Basis der        Fahrzeuge in der Fahrzeugflotte voraus.
Literarturanalyse und der qualitativen Interviews entwi-
ckelt und verfeinert.                                       Bei der Abschätzung des Markthochlaufs gibt es zwi-
                                                            schen den betrachteten Studien noch Unterschiede
Trotz der Unterschiede bei der Entwicklung und dem          hinsichtlich der Markteinführungszeitpunkte und
Design der Automatisierungssysteme in Pkw zwischen          der Geschwindigkeit in der die jeweiligen Automati-
den Herstellern und Zulieferern gibt es eine von allen      sierungsstufen in den Fahrzeugbestand diffundieren.
befolgte Prämisse: Es muss jederzeit ein für die Fahrzeu-   Während manche Studien von einer 100-prozentigen
ginsassen und die anderen Verkehrsteilnehmer sicherer       Diffusion der Stufe 4 und zum Teil sogar der Stufe 5 in die
Fahrbetrieb möglich sein. Diese Grundvoraussetzung          Fahrzeugbestände bis 2050 ausgehen, kommen andere
bei der Entwicklung der Automatisierung bedingt, dass       Studien zum Ergebnis, dass bis 2050 nur ein kleiner Teil
die Fahrfunktionen bei jeglicher anvisierten Automa-        der Pkw-Flotte mit Automatisierungsfunktionen der
tisierungsstufe des Fahrzeugs unabhängig sein müssen        Stufe 4 oder gar 5 ausgerüstet sein wird. Letztere Studien
von zusätzlichen Daten, die über eine mögliche Vernet-      berücksichtigen dabei die Nutzerakzeptanz sowie die
zung (V2X) dem Fahrzeug bereitgestellt werden. Diese        Bereitschaft der Käufer, für diese Ausstattung deutliche
Prämisse gilt zumindest so lange, bis alle Fahrzeuge mit    Aufpreise zu bezahlen. Trommer et al. (2016) geht bei-
entsprechender Vernetzungsfunktion ausgestattet sind,       spielweise von einer Durchdringung von Pkw der Stufen
ein lückenlos installiertes Backend beziehungsweise         4 und 5 in Deutschland bis zum Jahr 2035 von 17 Prozent
eine Cloud aufgebaut ist, die durch einen schnellen und     aus. Altenburg et al. (2018) gibt ein mögliches Spektrum
ebenfalls lückenlosen Mobilfunk mit 5G-Standard oder        der Bestandsanteile von Pkw der Stufen 4 und 5 von
WLAN erreichbar sind sowie die Verkehrsinfrastruktur        bis zu 35 Prozent im Jahr 2050 aus. Krail et al. (2019)
(Verkehrsschilder, Lichtsignalanlagen) vollständig ver-     berechnet auf Basis von Nutzerakzeptanz, Mehrpreisbe-
netzt sind. Während die Kosten für die Entwicklung der      reitschaft und einer detaillierten Analyse der zu erwar-
Automatisierung bei den Herstellern, Zulieferern sowie      tenden Kostendegression der Automatisierungssysteme
den beteiligten IT-Unternehmen durch den Markthoch-         einen wahrscheinlichen Anteil von Pkw der Stufen 4
lauf gedeckt werden, ist die Frage der Übernahme der        und 5 am deutschen Fahrzeugbestand von 36 Prozent.
Investitionskosten für das Backend heute noch nicht         Auf Grund der Aktualität und des Detaillierungsgrades

                                                                                                                    13
Auto tankt Internet | Automatisierungs- und Vernetzungsszenarien

wird für beide Szenarien der Markthochlauf aus Krail et                         kehrsinfrastruktur (V2I) bis 2050 nicht entscheidend
al. (2019) übernommen (siehe Abbildung 1). Die Studie                           vernetzt wird. Das Szenario ist geprägt von der Skepsis, ob
geht davon aus, dass Stufe 3 ab dem Jahr 2020, Stufe 4 ab                       die Investitionskosten in eine vernetzte Infrastruktur bis
dem Jahr 2025 und Stufe 5 ab dem Jahr 2035 frühestens                           2050 aufgebracht werden können, welche teilweise von
und zunächst in den sogenannten Technologieträgern in                           den befragten Experten geäußert wurde.
der Pkw Oberklasse und erst mit zeitlichem Verzug von
5 beziehungsweise 10 Jahren danach in der Mittelklasse                          Der Gegenpol zur „Minimalvernetzung“ stellt das Szena-
beziehungsweise der Kompaktwagen-/Kleinwagenklasse                              rio „Effiziente Vernetzung“ dar. Hier wird angenommen,
verfügbar sein wird.                                                            dass sowohl die Vernetzung der Fahrzeuge (V2V) als auch
                                                                                die Vernetzung mit einem Backend beziehungsweise
Während der Markthochlauf der Automatisierungsfunkti-                           einer Cloud (V2C) und die Vernetzung mit der Infra-
onen für beide Szenarien identisch ist, unterscheidet sich                      struktur (V2I) bis 2050 größtenteils realisiert werden
die Entwicklung und Ausprägung der Vernetzung in den                            kann. Die Vernetzung mit dem Backend ist in diesem
beiden Szenarien. Im Szenario „Minimalvernetzung“ wird                          Szenario über den Datentransfer der Fahrzeugdaten zu
davon ausgegangen, dass es außer der Vernetzung der                             und von einem dezentralen, lokalen Frontend-Server
Fahrzeuge untereinander (V2V) über Ad-hoc-Netzwerke                             (Mobile Edge Computing, kurz MEC) via 5G-Mobilfunk
mit dem Standard 802.11p oder über Mobilfunk keine                              oder über den WLAN-Standard 802.11p konzipiert. Die
weitere Vernetzung mit einer Cloud beziehungsweise                              MEC-Technologie ermöglicht es dabei, Informationen zu
einem Backend oder der Infrastruktur geben wird. Der                            Ereignissen, weitere Informationen sowie Updates von
Datenaustausch ist hierbei auf den unmittelbaren Umkreis                        HD-Karten oder Informationen aus herstellerspezifi-
der Fahrzeuge (300 bis 1.000 Meter) beschränkt – außer                          schen Datenbanken von und zu den vernetzten Fahrzeu-
im Falle eines benötigen Updates des digitalen Karten­                          gen im Zielgebiet zu transferieren. Entscheidend sind
materials. Im Szenario „Minimalvernetzung“ wird davon                           hierbei die kurzen Latenzzeiten, die mit einer zentralen
ausgegangen, dass die Fahrzeuge nur zum Zweck der                               Cloud/einem zentralen Backend nicht realisierbar sind.
Updates der HD-Karten mit einem Backend oder einer                              Gerade bei höheren Geschwindigkeiten kann dieser
Cloud (V2C) über Mobilfunk vernetzt sind und die Ver-                           Faktor sicherheitsrelevant sein. Die MEC-Technologie

          Anteile der Automatisierungsstufen am Pkw-Bestand in beiden Szenarien                                            Abbildung 1

                              40

                              35
  Anteil am Pkw-Bestand [%]

                              30

                              25

                              20

                              15

                              10

                               5

                              0
                               2020                             2030                             2040                                  2050

                                   Assistiert   Teilautomatisiert      Hochautomatisiert         Vollautomatisiert         Fahrerlos

          Krail et al. (2019)

14
Agora Verkehrswende | Automatisierungs- und Vernetzungsszenarien

   Visualisierung Szenarien                                                                                         Abbildung 2

             Szenario „Minimalvernetzung“                                      Szenario „Effiziente Vernetzung“

                   Herstellerspezifische Cloud                                        Herstellerspezifische Cloud

                                                                                                    MEC-Server

        V2C per                              V2C per 5G             V2C per
          Wlan                               12 GB/Tag                Wlan
                                                                                                  V2C per Wlan
                                                                                                  oder 5G
                                                                                                  383 GB/Tag

                                     V2V                                                             V2V
                                                                                                                      V2 I

       im Szenario „Minimalvernetzung“ berücksichtigt                     im Szenario „Effiziente Vernetzung“ berücksichtigt

         Kartenupdates                     Computing in den MEC-Servern

   Eigene Darstellung

wurde bereits erfolgreich auf verschiedenen Testfel-                sind. Neben der Vernetzung dieser beiden Infrastruktur-
dern in Forschungsprojekten wie MEC-View (2020)                     komponenten wird zum Teil entlang von Testfeldern der
oder Car2MEC (2019) getestet. Im Szenario wird davon                Einsatz von Sensoren entlang der Straßen getestet. Die
ausgegangen, dass die MEC-Server entlang der Bundes-                Ausstattung der Straßeninfrastruktur mit Sensoren wie
autobahnen bis 2050 flächendeckend installiert werden               Radaren und deren Vernetzung mit der restlichen Infra-
können, bei einer Abdeckung eines Servers von maximal               struktur beziehungsweise der lokalen Server erscheint
20 Kilometer Straße. Bei den Bundesstraßen geht das                 aus heutiger Perspektive jedoch angesichts der immen-
Szenario von einer 50-prozentigen Abdeckung bis 2050                sen Investitionskosten selbst für ein Szenario „Effiziente
aus, bei Landstraßen von 20 Prozent und Kreisstraßen                Vernetzung“ unwahrscheinlich, weshalb dieser Aspekt
von 10 Prozent. Der Zeitpfad im Szenario geht von einem             nicht berücksichtigt wurde.
linearen Markthochlauf bis zum Jahr 2050 aus.
                                                                    Ebenfalls wurden in beiden Szenarien die durch die
Bei der Vernetzung mit der Infrastruktur geht das Szena-            Vernetzung erst mögliche Nutzung von zusätzlichem
rio „Effiziente Vernetzung“ davon aus, dass bis 2050 alle           Infotainment innerhalb der Fahrzeuge durch die Insassen
für den sicheren und effizienten Betrieb der Fahrzeuge              und der dadurch potenziell entstehende zusätzliche
relevanten Verkehrsschilder, vorrangig Geschwindig-                 Endenergieverbrauch nicht berücksichtigt.
keitsbegrenzungen und alle Lichtsignalanlagen vernetzt

                                                                                                                                  15
Auto tankt Internet | Automatisierungs- und Vernetzungsszenarien

16
3|W
   irkungen der Automatisierung und
  Vernetzung auf den Energieverbrauch
Seit einigen Jahren bereits beschäftigt sich die Forschung                Endenergieverbrauch außerhalb des Verkehrssektors auf-
neben der reinen technischen Entwicklung auch mit den                     gefressen werden. Um die gesamten Wirkungen auf Ebene
potenziellen zukünftigen Wirkungen des AVF auf das                        eines Einzelfahrzeugs zu beleuchten, hat sich diese Studie
Verkehrssystem, die dadurch entstehenden Treibhaus-                       den folgenden Wirkungen gewidmet:
gasemissionen und den Energieverbrauch. Bekannte
Arbeiten sind in diesem Zusammenhang insbesondere die                     • Wirkungen auf die Energieeffizienz im Fahrbetrieb
Lissabon-Studie des ITF (OECD/ITF 2015) oder die MEGA-                      durch das AVF,
FON-Studie (Friedrich et al. 2017), bei denen unter ande-                 • Wirkungen auf den zusätzlichen Endenergiever-
rem die Wirkungen einer vollständigen Umstellung des                        brauch on board durch die AVF Systeme,
heutigen Verkehrssystems auf automatisierte, vernetzte                    • Wirkungen auf den Endenergieverbrauch im Mobil-
und geteilte Fahrzeuge untersucht wurden. Andere Stu-                       funk durch AVF sowie
dien wie e-mobil-BW (2017), Lee et al. (2019) oder Krail et               • Wirkungen auf den Endenergieverbrauch des ver-
al. (2019) betrachten die Wirkungen nicht nur für geteilte                  netzten Backend und der Verkehrsinfrastruktur.
Fahrzeugkonzepte und berücksichtigen dabei neben den
verkehrlichen Wirkungen auf den Modal Split auch Effi-                    Dabei wird für beide Szenarien die Differenz im End­
zienzgewinne und Effizienzverluste durch AVF. Die Studie                  energieverbrauch eines einzelnen Mittelklasse-Pkw
Krail et al. (2019) geht dabei besonders detailliert auf die              mit AVF-Systemen mit einem Mittelklasse-Pkw ohne
Effizienzgewinne ein. Nahezu alle betrachteten Studien                    AVF-System pro 100 gefahrene Kilometer vergli-
im Rahmen dieser Analyse haben jedoch gemein, dass die                    chen. Die Analyse berücksichtigt dabei die potenzielle
Wirkungsabschätzungen an der Grenze des Verkehrs-                         Entwicklung der AVF-Systeme über die Zeit gemäß
sektors enden. Potenzielle Wirkungen auf den Endener-                     der Definition der Szenarien. In den folgenden Kapiteln
gieverbrauch durch die Vernetzung (V2X) im Mobilfunk,                     werden die Vorgehensweise, die zugrundeliegenden
im Bereich der IT durch das angeschlossene Backend                        Annahmen sowie die Ergebnisse für die vier Teilbereiche
beziehungsweise durch die vernetzte Verkehrsinfrastruk-                   beschrieben.
tur (V2I) bleiben außen vor. Mögliche Effizienzgewinne
im Verkehrssektor könnten daher durch einen steigenden

      Durchschnittliche Energieeffizienzpotenziale für einen Pkw pro Automatisierungsstufe                             Abbildung 3

                    2.500

                    2.000
  [Wh pro 100 km]

                    1.500

                    1.000

                     500

                       0
                                    2020                       2030                       2040                       2050

                            Assistiert     Teilautomatisiert          Hochautomatisiert          Vollautomatisiert          Fahrerlos

       Eigene Berechnungen auf Basis von Krail et al. (2019)

                                                                                                                                        17
Auto tankt Internet | Wirkungen der Automatisierung und Vernetzung auf den Energieverbrauch

3.1    Energieeffizienz im Fahrbetrieb                      Auf Basis dieser Erkenntnisse aus den erwähnten Feld-
                                                            studien wurde in Krail et al. (2019) eine Abschätzung der
Große, herstellerübergreifende europäische Feldstudien      gesamten Wirkungen für alle Automatisierungsstufen bis
wie euroFOT (Benmimoun et al. 2012), AdaptIVe-IP            zum fahrerlosen Fahren vorgenommen. Die betrachteten
(Fahrenkrog et al. 2017) oder L3Pilot (2020) haben die      Feldstudien sowie weitere Analysen aus der Studie zei-
Wirkungen verschiedener Automatisierungsfunktionen          gen, dass die Effizienzpotenziale bei automatisierten und
in Pkw (Stufe 2 bis Stufe 4) auf den Endenergieverbrauch    vernetzten Pkw von zahlreichen Faktoren wie dem Stra-
der Fahrzeuge in der Praxis analysiert. Dabei wurden        ßentyp, der Verkehrsdichte, der Automatisierungsstufe
mit Testfahrzeugen mehrere Millionen Testkilometer          sowie dem Anteil automatisierter und vernetzter Fahr-
auf europäischen Straßen zurückgelegt, die Ergeb-           zeuge am gesamten Fahrzeugbestand abhängen. Daher
nisse dokumentiert und mit von Menschen gesteuerten         wurden diese Faktoren bei der Ermittlung von repräsen-
Fahrzeugen mit vergleichbaren Fahrprofilen verglichen.      tativen Effizienzpotenzialen über alle Fahrsituationen
Es zeigten sich bereits für assistierte und teilautomati-   hinweg anhand von Fahrleistungserhebungen berück-
sierte Pkw Effizienzvorteile beim Verbrauch gegenüber       sichtigt. Abbildung 3 zeigt die ermittelten durchschnitt-
menschlich gesteuerten Pkw. Diese werden bei Pkw,           lichen Energieeinsparpotenziale in Wh/100 km für einen
die durch AVF-Systeme gesteuert werden vor allem            Pkw der Mittelklasse über alle Automatisierungsstufen
durch harmonisierte Fahreigenschaften wie angepasstes       hinweg bis zum Jahr 2050. Durch die steigende Anzahl
Beschleunigen und Abbremsen, durch eine optimierte          an Pkw mit Automatisierungsfunktionen bis 2050
Motoransteuerung und eine Berücksichtigung der Topo-        steigt bei Pkw auch das Effizienzpotenzial. Dies liegt
grafie erzeugt. Zusätzliche Potenziale können durch die     darin begründet, dass ineffiziente Fahrsituationen mit
aufgrund der beschränkten Reichweite der Sensoren für       sinkendem Anteil an menschlich gesteuerten Fahrzeugen
automatisierte Fahrzeuge derzeit machbaren Maxi-            abnehmen (Krause et al. 2017). Fehlende Einsparpotenzi-
malgeschwindigkeiten von 130 km/h gegenüber nicht           ale im Jahr 2020 für Stufe 4 und 5 beziehungsweise 2030
automatisierten Fahrzeugen entstehen, sind aber in den      für Stufe 5 sind damit begründet, dass die Markteinfüh-
Feldstudien durch die Annahme ähnlicher Fahrprofile         rung dieser Funktionen erst ab 2025 beziehungsweise
nicht berücksichtigt.                                       2035 angenommen wird.

Weitere Effekte in Form eines verbesserten Verkehrs­        Die sich ergebenden Einsparpotenziale für die beiden
flusses können durch kooperatives Fahren entstehen,         Szenarien zeigen sich bereits bei assistiertem Fahren
welche jedoch in den Feldstudien nicht untersucht           (Stufe 1) und steigern sich mit den Automatisierungs-
wurden. Kooperatives Fahren bedeutet, dass einzelne         stufen von 493 Wh/100 km für Stufe 1 auf bis knapp
Fahrzeuge und Fahrer sich kooperativ im Verkehr bewe-       über 2.000 Wh/100 km für Stufe 4 und Stufe 5 im Jahr
gen und dass die AVF-Systeme individuelle Mikroziele        2050. Umgerechnet auf den Verbrauch eines Diesel-Pkw
und deren Ausführung im Sinne einer besseren makro-         wären dies ein zwischen 0,2 und 0,8 Liter geringerer
skopischen Gesamtwirkung (zum Beispiel zur besseren         Verbrauch pro 100 Kilometer. Die ermittelten Einspar­
Ausnutzung der Kapazität der Infrastruktur) abstimmen.      potenziale können jedoch nur dann erreicht werden,
Dieses zusätzliche Effizienzpotenzial des AVF lässt sich    wenn die in den Pkw vorhandenen Automatisierungs-
jedoch erst dann realisieren, wenn nahezu alle Straßen-     funktionen durch die Nutzer auch bei allen Fahrsituatio-
fahrzeuge vernetzt und zumindest automatisiert sind. Da     nen angewendet werden, die dies erlauben. Das bedeutet
jedoch bei der Quantifizierung der Szenarien der ange-      beispielsweise, dass durch die Annahme der Einführung
nommene Markthochlauf verdeutlicht, dass nur ein Teil       eines City Pilot erst ab 2035 auch erst ab diesem Zeit-
des Pkw-Bestandes bis 2050 diese Eigenschaften erfüllt,     punkt automatisiertes Fahren innerhalb geschlossener
ist eine Umsetzung dieser Potenziale bis 2050 unrealis-     Ortschaften möglich sein wird und erst dann das Poten-
tisch und wurde bei der Quantifizierung nicht berück-       zial dieser Fahrsituationen eingerechnet wird.
sichtigt. Aus diesem Grund ist das Einsparpotenzial
durch AVF im Szenario „Minimalvernetzung“ identisch
mit dem Szenario „Effiziente Vernetzung“.

18
Agora Verkehrswende | Wirkungen der Automatisierung und Vernetzung auf den Energieverbrauch

3.2 On-board-Energieverbrauch durch                               spricht die Anzahl der Komponenten denen des Audi A8,
    Automatisierungssysteme                                       eines der ersten Stufe-3-Serienfahrzeuge.

Neben den Effizienzpotenzialen durch AVF im Pkw müs-              Im Anschluss an diese Festlegung wurde für jede benö-
sen bei einer gesamten Betrachtung der Wirkungen auch             tigte Systemkomponente des AVF eine Bandbreite des
die gegenteiligen Effekte berücksichtigt werden. Diese            Endenergieverbrauchs ermittelt. Die jeweilige Bandbreite
entstehen durch den Endenergieverbrauch der AVF-Sys-              der Energieverbräuche pro Systemkomponente wurde
temkomponenten im Fahrzeug sowie durch einen Mehr-                aus Gawron et al. (2018) und Liu et al. (2019) entnommen.
verbrauch in Folge eines höheren Fahrzeuggewichts oder            Anhand der Bandbreiten und der Annahmen zur Anzahl
eines steigenden Luftwiderstands durch Aufbauten, wie             der benötigten Sensoren, Funk- und Recheneinheiten
beispielsweise Lidare auf dem Dach der Fahrzeuge. Letz-           konnten minimale und maximale Energieverbräuche pro
tere Auswirkungen wurden bei der Abschätzung jedoch               Pkw bezogen auf 100 gefahrene Kilometer berechnet wer-
nicht berücksichtigt, weil die Positionierung der Lidare          den. Die Ergebnisse dieser Berechnung wurden anschlie-
nicht bei allen Herstellern zu einer Verschlechterung des         ßend mittels der Angaben aus den qualitativen Interviews
Luftwiderstands des Fahrzeugs führen.                             mit Experten aus der Forschung und der Industrie vali-
                                                                  diert. Ebenfalls eingerechnet wurden dabei der aus dem
Für die Abschätzung des Mehrverbrauchs eines auto-                zusätzlichen Gewicht der Sensoren, Funk- und Reche-
matisierten und vernetzten Pkw gegenüber einem nicht              neinheiten resultierende Mehrverbrauch der Fahrzeuge.
automatisierten und nicht vernetzten Pkw müssen
zunächst Abschätzungen über die Anzahl und die Art                Die Ergebnisse der Berechnung sind dabei deutlich näher
der verbauten Systemkomponenten getroffen werden.                 an den Ergebnissen von Gawron et al. (2018) und den Ein-
Hierbei zeigen sich zumindest für die bisher auf dem              schätzungen der Experten als an den Ergebnissen aus Liu
Markt verfügbaren Pkw der Stufen 2 und 3 teils deutliche          et al. (2019). Der Grund für diesen Unterschied ergibt sich
Unterschiede. Während Tesla stark auf den Einsatz von             hauptsächlich aus der angenommen Anzahl der benö-
zahlreichen Kameras setzt, bauen deutsche Hersteller              tigten Komponenten sowie der Einrechnung bestimmter
auf Mittel- und Fernbereichsradare in Kombination mit             Komponenten in beiden Studien. Liu et al. (2019) rechnet
zumeist einem Lidar und Kameras. Anhand der Exper-                beispielweise den Endenergieverbrauch von TFT-Mo-
teninterviews und der Annahmen aus Krail et al. (2019)            nitoren im Cockpit hinzu, welche aber unabhängig von
wurden die in Tabelle 1 dokumentierten Annahmen zur               Automatisierungs- und Vernetzungsfunktionen schon in
Anzahl und Art der verbauten Systemkomponenten                    Fahrzeugen verbaut werden. Angesichts der Expertenin-
getroffen. Für hochautomatisierte Pkw (Stufe 3) ent-              terviews und der Ergebnisse der Stakeholder-Beteiligung

  Annahmen zur Anzahl der AVF-Systemkomponenten pro Automatisierungsstufe                                       Tabelle 1

 Komponenten                              Stufe 1       Stufe 2              Stufe 3             Stufe 4             Stufe 5
 Ultraschall                                     9           9                    9                    9                     9
 Radar                                           2           4                    4                    8                     8
 Lidar                                           0           0                     1                   1                     1
 Kamera                                          0           2                     5                   5                     5
 DSRC                                            1            1                    1                   1                     1
 GNSS-Positioning                                1            1                    1                   1                     1
 V2X-Modul                                       1            1                    1                   1                     1
 Steuergeräte                                    1            1                    2                   3                     3

   Fraunhofer ISI (abgeleitet aus Krail et al. 2019)

                                                                                                                             19
Auto tankt Internet | Wirkungen der Automatisierung und Vernetzung auf den Energieverbrauch

aus der Studie Krail et al. (2019) kann davon ausgegangen                 des Energieverbrauchs für die Jahre 2030, 2040 und
werden, dass die getroffenen Annahmen valide sind.                        2050 einbezogen. Es wird davon ausgegangen, dass die
                                                                          Energieeffizienz der genannten Komponenten bis zum
Beim Endenergieverbrauch der Komponenten fallen die                       Jahr 2050 um 10 Prozent verbessert werden kann. Bei
in den Steuergeräten verbauten Recheneinheiten (CPUs                      den Steuergeräten beziehungsweise den Rechen- und
und GPUs) sowie die Speichereinheiten besonders stark                     Speichereinheiten basiert die Annahme der Entwicklung
ins Gewicht. Nach Gawron et al. (2018) wird zwischen                      der Energieffizienz auf dem Gesetz von Koomey (Koomey
41 und 53 Prozent des gesamten zusätzlichen Ende-                         et al. 2011). Danach verdoppelt sich die Energieeffizi-
nergieverbrauchs durch diese Komponenten erzeugt.                         enz von Rechnern gemessen an der Rechenleistung alle
Sensoren wie Radare, Ultraschall, Lidare oder Kameras                     1,57 Jahre seit dem Jahr 1975. Für die Berechnungen in
haben dagegen nur zwischen 2 und 7 Prozent Anteil am                      dieser Studie wurde aber eine konservativere Annahme
zusätzlichen Energieverbrauch der AVF Systeme. Das                        getroffen und eine Verdopplung nur alle 5 Jahre ange-
zusätzliche Gewicht der AVF-Komponenten ist für ca.                       nommen. Parallel geht die Studie aber auch von einer
14 bis 15 Prozent des zusätzlichen Energieverbrauchs                      Erhöhung der Rechenleistung von 20 Prozent alle 5 Jahre
verantwortlich. Nach eigenen Berechnungen auf Basis                       aus. Neben den erwähnten notwendigen Komponenten
von Gawron et al. (2018) verbraucht ein Stufe-3-Pkw                       ist es durchaus denkbar, dass aus rechtlichen Gründen
heute zwischen 310 und 656 Wh/100 km. Ein Stufe-4-                        die Nutzung eines sogenannten Drive Recorders vorge-
Pkw würde aus heutiger Perspektive zwischen 555 und                       schrieben wird. Sollte diese Speicherung der Fahrdaten
800 Wh/100 km Energie verbrauchen. Für den Ausblick                       über einen längeren Zeitraum gesetzlich vorgeschrieben
auf die Entwicklung des Energieverbrauchs durch die                       werden, dann kann sich der zusätzliche Endenergiever-
AVF-Komponenten on board bis zum Jahr 2050 ist es                         brauch on board nochmals erhöhen. Die Größenordnung
jedoch sinnvoll, die Entwicklung der Energieeffizienz der                 dieser Erhöhung hängt jedoch vom vorgeschriebenen
Komponenten abzuschätzen und einzubeziehen. Hierzu                        Zeitrahmen für die Datenspeicherung ab und ist daher in
wurde für die Sensoren, das DSRC, GNSS-Positioning                        den Berechnungen nicht berücksichtigt worden.
und das V2X-Modul aus Einschätzungen der befragten
Experten Annahmen getroffen und in die Berechnung

      Zusätzlicher Endenergieverbrauch on board für einen Pkw pro Automatisierungsstufe                                Abbildung 4

                    500
                    450
                    400
                    350
  [Wh pro 100 km]

                    300
                    250
                    200
                    150
                    100
                     50
                     0
                                  2020                         2030                       2040                       2050

                          Assistiert      Teilautomatisiert           Hochautomatisiert          Vollautomatisiert          Fahrerlos

       Eigene Berechnungen auf Basis von Krail et al. (2019)

20
Agora Verkehrswende | Wirkungen der Automatisierung und Vernetzung auf den Energieverbrauch

Abbildung 4 zeigt die abgeschätzten Wirkungen der            kinfrastruktur und die Rechenzentren der Mobilfunkan-
AVF-Komponenten in Form des durchschnittlichen               bieter zu sehr in die Höhe treiben.
zusätzlichen Endenergieverbrauchs gemessen in
Wh/100 km für einen Mittelklasse-Pkw. Die Abschät-           Um diese Frage zu beantworten, wurde in der Studie
zungen unterscheiden sich nach den Automatisierungs-         zunächst der durchschnittliche Endenergieverbrauch
stufen auf Basis der unterschiedlichen Ausstattung mit       durch das Mobilfunksystem inklusive der Rechen-
Komponenten. Während sich in 2020 der zusätzliche            zentren pro übertragener Datenmenge für das heu-
Verbrauch noch zwischen 269 Wh/100 km für assistierte        tige Mobilfunksystem, aber auch für ein zukünftiges,
Pkw und 460 Wh/100 km für hochautomatisierte Pkw,            flächendeckend auf 5G basierendes Mobilfunksystem
sinkt der zusätzliche Energieverbrauch bis 2050 auf          ermittelt. Nach Einschätzungen der Mobilfunkbetrei-
Werte zwischen 170 für assistierte und 270 Wh/100 km         ber (zum Beispiel Vodafone 2019) und bestätigt durch
für fahrerlose Pkw. Umgerechnet auf den Verbrauch            weitere Untersuchungen (zum Beispiel Höfer et al. 2019)
eines Diesel-Pkw würde dies einen zusätzlichen Ver-          sinkt der Energieverbrauch durch den Umstieg auf 5G
brauch zwischen 0,17 und 0,27 Liter/100 km bedeuten.         von ca. 3,5 Wh pro übertragenes GB an Daten bei 4G auf
                                                             1 Wh pro GB. Dieser Rückgang erscheint auf den ersten
                                                             Blick überraschend, weil zum Beispiel auch die Berech-
3.3 Energieverbrauch durch die                               nungen der RWTH Aachen (Höfer et al. 2019) einen
    Vernetzung im Mobilfunk                                  steigenden Energieverbrauch durch 5G aufzeigen. Dieses
                                                             Ergebnis ist jedoch maßgeblich durch die Annahmen zur
Die Menge der Daten, die ein automatisiertes und ver-        Entwicklung der Datenmengen beeinflusst, welche in
netztes Fahrzeug mit seinen vielen Sensoren erzeugt, ist     den Berechnungen die Entwicklung der Energieeffizienz
riesig. Nach Einschätzungen von Experten (u. a. Hein-        der Datenübertragung im 5G-Netz deutlich überstei-
rich 2017) liegt die gesamte Datenmenge zumindest bei        gen. Eigene Berechnungen aus dem Energieverbrauch
AVF-Testfahrzeugen zwischen 1,4 TB/h und 19 TB/h.            von Telefonica (O2) und der deutschen Telekom und den
Intel (2017) geht von ca. 5 TB/h an Datenvolumen aus.        jeweils im Mobilfunknetz pro Jahr übertragenen Daten-
Alleine der Speicherplatz für eine digitale hochaufgelöste   mengen bestätigen jedoch die berücksichtigten Angaben
(HD-)Karte für eine Großstadt kann schon bis zu 1,5 TB       zur Entwicklung der Energieeffizienz. Für die Berech-
betragen und hochaufgelöste Karten sind eine Grundvo-        nungen des Endenergieverbrauchs durch AVF wurde
raussetzung für sicheres automatisiertes Fahren. Dazu        angenommen, dass die Mobilfunksysteme bis 2030 zu
müssen diese Karten bei Änderungen regelmäßig aktua-         100 Prozent auf 5G-Standard umgestellt sein werden.
lisiert und angepasst werden. Die Menge an generierten
Sensorsignalen in einem einzelnen Fahrzeug übersteigt        Während die für die Studie definierten Vernetzungs-
bei weitem eine kosteneffektive Übertragungs- und            szenarien für automatisierte Fahrzeuge sich bei den
Speicherkapazität aktueller Technologien (Gatzke et al.      Potenzialen der Energieeffizienz im Fahrzeug sowie dem
2016). Heutige Mobilfunknetze mit 4G/LTE-Standard            Mehrverbrauch durch die AVF im Fahrzeug nicht unter-
und einer Datenübertragungsrate von ca. 300 MB/s wür-        scheiden, wurden für den Energieverbrauch im Mobil-
den angesichts dieser Datenmengen schon deutlich an          funk durch die Vernetzung unterschiedliche Annah-
ihre Grenzen stoßen, wenn man davon ausgehen würde,          men getroffen. Dies spiegelt die noch vorherrschende
dass die Fahrzeuge über Mobilfunk mit der Umwelt alle        Unsicherheit über die zukünftig, tatsächlich anfallenden
Daten austauschen. Selbst mit dem neuen 5G-Standard          Datenmengen aus den Sensoren der AVF wider. Die
lässt sich diese Datenmenge bei Datenübertragungsra-         Forschung ist sich einig darüber, dass es ein kostenef-
ten von 1 bis maximal 10 GB/s nicht immer verarbeiten        fektiver Datenaustausch bei V2X nur über den Einsatz
beziehungsweise übertragen. Selbst wenn die in automa-       von Big-Data-Analyseverfahren möglich ist (Gatzke et
tisierten Fahrzeugen gesammelten Daten im Rohzustand         al 2016). Wie sehr die zu übertragenden Datenmengen
in den abgeschätzten Datenmengen übertragbar wären,          sich durch dieses Verfahren jedoch reduzieren lassen, ist
stellt sich die Frage, ob diese Datenmengen nicht den        aus der verwendeten Sekundärliteratur nicht erkennbar.
Endenergieverbrauch im Mobilfunk durch die Mobilfun-         Daher geht die Studie im Szenario „Minimalvernet-
                                                             zung“ davon aus, dass der Datenaustausch zwischen den

                                                                                                                    21
Auto tankt Internet | Wirkungen der Automatisierung und Vernetzung auf den Energieverbrauch

Fahrzeugen nicht über den Mobilfunk realisiert wird und
                                                                     Endenergieverbrauch durch
dass die Fahrzeuge nur dann Daten über den Mobilfunk
                                                                     V2X im Mobilfunk – Szenario
gesendet bekommen, wenn ein Update des HD-Karten-
                                                                     „Minimalvernetzung”                              Abbildung 5
materials vonnöten ist. Der Normalfall sowohl im Szena-
rio „Minimalvernetzung“ als auch im Szenario „Effiziente                        100
Vernetzung“ sieht jedoch vor, dass die benötigten Karten                        90
vor Fahrtantritt über WLAN im Heimnetzwerk geladen                              80
werden. Es wird dabei angenommen, dass ca. die Hälfte
                                                                                70

                                                              [Wh pro 100 km]
aller vernetzten Fahrzeuge darüber ihre Updates aufge-
                                                                                60
spielt bekommen können. Die für diese Updates anfal-
                                                                                50
lenden Stromverbräuche der WLAN-Repeater für die                                      90
                                                                                40
Garagen werden in Kapitel 3.4 dem Endenergieverbrauch
                                                                                30
des Backend zugerechnet. Für alle im öffentlichen Raum
                                                                                20
abgestellten Fahrzeuge besteht diese Möglichkeit nur in                                             26          26          26
                                                                                 10
Einzelfällen. Für die notwendigen Updates des Kartema-
                                                                                 0
terials dieser Fahrzeuge wird entweder der Mobilfunk
                                                                                      2020         2030        2040        2050
oder im Szenario „Effiziente Vernetzung“ die Vernetzung
                                                                                             Alle Automatisierungsstufen
mit den MEC-Frontend-Servern genutzt. Durch die
beschriebenen Minimalanforderungen wird im Szenario                   Eigene Berechnungen des Fraunhofer ISI
„Minimalvernetzung“ angenommen, dass durchschnitt-
lich lediglich 12 GB Daten pro Tag über den Mobilfunk an
die AVF übertragen werden. Einige OEMs arbeiten zur-
zeit beispielweise mit Kartenanbietern an Möglichkeiten     funk eingeht. Eine Annahme in diesem Szenario ist, dass
eines effizienten Updates der hochauflösenden Karten        die Fahrzeuge nicht permanent und vollumfänglich alle
durch den Einsatz der Sensoren in den AVF.                  Daten aus den Sensoren an das Backend senden, sondern
                                                            dies nur gezielt tun.
Im Gegensatz dazu wird im Szenario „Effiziente Ver-
netzung“ angenommen, dass die Vernetzung zwischen           Die resultierenden zusätzlichen Endenergieverbräuche
den Fahrzeugen (V2V) und dem Backend (V2C) auch zum         durch die Datenübertragung im Mobilfunk für das Sze-
Teil über Mobilfunk stattfindet, wenn die Systemein-        nario „Minimalvernetzung“ und das Szenario „Effiziente
schränkungen des WLAN-Standards 802.11p auf-                Vernetzung“ pro Fahrzeug pro 100 Kilometer sind in den
grund größerer Distanzen der Fahrzeuge überschritten        Abbildungen 5 und 6 für den zeitlichen Verlauf bis 2050
werden. Da die zu Beginn des Kapitels beschriebenen         skizziert. Der Rückgang des Energieverbrauchs ist das
Einschätzungen zu den gesamten Datenmengen aus              Resultat aus der Umstellung der Mobilfunksysteme auf
den Sensoren eines AVF jedoch weder technisch noch          5G-Technologie. Während die Annahmen im Szenario
kostenseitig effizient sind, wird davon ausgegangen,        „Minimalvernetzung“ zu einem marginalen zusätzlichen
dass sich der Datendurchfluss auf die minimal notwen-       Endenergieverbrauch bezogen auf ein Einzelfahrzeug
digen Datenmengen beschränkt. Das Automotive Edge           in Höhe von 26 Wh pro 100 Fahrzeugkilometer führen,
Computing Consortium (AECC), das sich aus zahlreichen       verursacht der große Datenfluss im Szenario „Effiziente
namhaften Playern aus dem Bereich der IT und dem            Vernetzung“ einen spürbaren Anstieg des Endenergie-
Mobilfunk zusammensetzt, hat für die Entwicklung der        verbrauchs in Höhe von 766 Wh pro 100 Fahrzeugkilo-
Datenmengen drei Szenarien entwickelt (AECC 2020).          meter im Jahr 2050.
Im Low-Range-Szenario wird dabei die Datenmenge,
die über die Mobilfunkvernetzung verschickt wird,           Würden zukünftig keine Big-Data-Verfahren zur Opti-
auf 0,383 TB pro Stunde pro Fahrzeug geschätzt. AECC        mierung der Datenmengen aus den Fahrzeugen für die
erachtet dabei dieses Szenario am nächsten am koope-        Vernetzung angewandt werden, könnten die dadurch
rativen Fahren ein, weshalb diese Datenmenge in die         entstehenden zusätzlichen Energieverbräuche die in
Berechnung des Endenergieverbrauchs für den Mobil-          Kapitel 3.1 skizzierten Energieeffizienzpotenziale des

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