Nachrichten aus - Pro Longo mai
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Nachrichten aus Nr. 135 Winter 2022 In der Longo maï-Kooperative in Transkarpatien (Ukraine) entsteht eine Baumschule für alte Obstsorten. Ukraine Videos realisiert, die vom lokalen multikulturellen Kontext inspiriert Die Uhren ticken hier anders… sind, Teenager aus der Konfliktzone in der Ostukraine besuchten zum ersten Mal die Karpaten und schlos- sen Freundschaften mit hiesigen Man kann sich kaum etwas Paradoxeres vorstellen als das Leben in einer «Genossenschaft» Kindern. Der militärische Konflikt hat in einem ukrainischen Dorf, doch Longo maï tut dies seit 30 Jahren. die Polarisierung der Menschen in der gesamten Ukraine verstärkt. In Es ist ein Land mit einer komple- und chronisch unter dem Existenzmini- am Leben zu erhalten. Die von ihr acht Jahren Krieg haben wir immer xen Geschichte, in dem gleichzeitig mum bezahlten Frauen. Gleichzeitig ist gegründete Hirtenvereinigung trug zur noch nicht gelernt, nicht abwertend per Gesetz Kunstwerke der sowje- es auch hier eine Gratwanderung, eine Aufwertung des lokalen Schafskäses über die Menschen «von der anderen tischen Moderne zerstört werden soziale und wirtschaftliche Infrastruk- bei und junge Menschen für diesen Seite» zu sprechen. Longo maï schafft und Basisinitiativen die sowjetische tur aufzubauen, aber dabei nicht in unpopulären Beruf zu begeistern. Der sichere Diskussionsräume, in denen Vergangenheit neu überdenken. Ja, koloniale Muster zu verfallen. kürzlich eröffnete Laden «Rakasch» wir über das Gemeinsame sprechen die Ukraine verändert sich; viele der für lokale Produkte funktioniert nach können. Trennlinien sind langweilig, Menschen, die sich für diese Verände- Bereichernde Initiativen ökologischen Grundsätzen und vereint wir wollen herausfinden, was uns rungen engagieren, dürfen wir unsere Unsere grösste Herausforderung derzeit 20 engagierte Produzent*innen eint! Wir leben in einer einzigartigen Freundinnen und Freunde nennen. besteht darin, den Wert der vorhan- im Umkreis von 150 km. Viele aus multikulturellen Region, in der sich Diese Freundschaften, welche in denen Ressourcen aufzuzeigen und unserem Freundeskreis scherzen, ungarische, rumänische, jüdische und den 30 Jahren von Longo maï in der Wege zu finden, diese nachhaltig dass Nischnje Selischtsche das kultu- ukrainische Traditionen überschneiden Ukraine entstanden sind, haben die zu nutzen. So stellt zum Beispiel die relle Zentrum von Transkarpatien sei. und mischen. Menschen sprechen utopische und etwas romantische Initi- Das war nicht immer so. In den 1990er vielleicht unterschiedliche Sprachen, ative westeuropäischer Linker hier erst Jahren gelang es kaum, Menschen aber an Hochzeiten singen sie die glei- möglich gemacht. Kürzlich fragte mich ausserhalb der Kirchenmauern zusam- chen Lieder. Nachbarn streiten über einer der Teilnehmer eines Freiwilli- menzubringen. Heute sind wir dagegen dies und jenes, doch wenn einer in geneinsatzes in unserem Hochstamm- soweit, dass das Dorf Kulturschaffende Schwierigkeiten ist, wird ihm geholfen. Obstgarten, in dem wir schon gut und Theaterleute aus der ganzen Welt Diese grundlegenden menschlichen zehn Hektar mit verschiedenen Apfel empfängt. Seit 15 Jahren öffnet unser Prinzipien finden im seit Generationen sorten anpflanzten, warum unser Kol- internationales Jugendtheaterfestival überlieferten Gesang ihren Ausdruck; lektiv in solch einem langweiligen Dorf, Ptach im monumentalen sowjetischen ehrlich und ohne Angst, missverstan- das kulturell kaum etwas zu bieten Kulturhaus neue Horizonte. Ein funkti- den zu werden. Seit 20 Jahren reist hat, lebt. Mit diesem Artikel möchte ich onierendes Kulturzentrum ist heutzu- die – von Longo maï gegründete – versuchen, diese Frage zu beantwor- tage in einem ukrainischen Dorf eine Hudaki V illage Band mit dieser Musik ten. Nischnje Selischtsche, wohin ich grosse Seltenheit. im Gepäck um die Welt und vermittelt vor mehr als drei Jahren zog, besticht mit den archaischen, unbequemen einerseits durch seine Gastfreund- Junges kulturelles Dorfleben Melodien ein anderes Bild der Ukraine. schaft, andererseits aber auch durch In der Zentral- und Ostukraine sterben Die Ukraine ist anders, wir sind seinen Konservatismus, bspw. mit die Dörfer aus, Millionen Menschen anders, und Longo maï ist ein Ort, an einer strikten Trennung von Frauen- verlassen das Land. Für uns ist eine dem der andere anders bleiben kann. Bild: Maria und Männerarbeit. Für manche Pro- Dezentralisierung der Kultur nicht nur Nailya jekte müssen wir Leute anstellen; möglich, sondern notwendig. Ohne wenn wir dort Männern und Frauen für Infrastruktur geht dies jedoch nicht. Nailya Ibragimova, 33, ist Tatarin und stammt die gleiche Arbeit den gleichen Lohn Nach zehnjähriger Renovierung haben aus Murmansk am Polarkreis. Als Ökoaktivis zahlen, ist dies beinahe eine Provoka- Dorfkäserei, an die vor 27 Jahren noch wir vor vier Jahren im ehemaligen tin erlebte sie in ihrer Heimat, wie immer mehr Gleichgesinnte im Gefängnis landeten tion. Dies mag für Westeuropa banal nicht einmal im Traum zu denken war, Schulgebäude ein Jugendgästehaus und verliess vor 5 Jahren Russland. In der klingen, nicht aber für Transkarpatien nicht nur Qualitätskäse aus Kuhmilch eröffnet. Es heisst Sargorigo (Pirol) Ukraine engagierte sie sich zunächst in (im äussersten Westen der Ukraine von 200 kleinen Familienbetrieben und bietet 24 Personen bequem sozialen Projekten für Jugendliche in der Konfliktzone im Donbas. Wir baten sie, die liegende Region) mit seiner enormen der umliegenden Dörfer her, sondern Platz. Seither haben hier Jugendli- transkarpatische Longo maï-Kooperative zu Arbeitslosigkeit, steter Arbeitsmigration hilft auch, die traditionelle Schafzucht che mit erfahrenen Filmemachern beschreiben, in der sie seit drei Jahren lebt.
Nachrichten aus Nr. 135 Winter 2022 Provence Auf direktem Wege Bisher deckten wir den Grossteil Olivenernte in Grange Neuve unseres Bedarfs (1000 Liter) mit Bio- Olivenöl aus Andalusien. Wir beziehen es bei den Kooperativen der Saison- arbeitenden der SOC-SAT, die gegen Novemberzeit und die Ernte auf der schönen Bio-Parzelle bei Lurs, einem kleinen hochgelegenen die Grossgrundbesitzer dieser Region Dorf oberhalb der Durance, hat begonnen. Mit dem Kauf 200 junger Olivenbäume in Südlage kämpfen und eine Landwirtschaft «im im letzten Jahr erfüllten wir uns einen alten Traum. Interesse der Landarbeiter*innen» ver- teidigen. Doch es ist nicht sehr umwelt- freundlich, Öl, selbst von guter Qualität Die 66 000 Euro dafür sind eine Schnitt entstandene Lücken werden nen» Geschmack wird es am besten und «sozial korrekt» hergestellt, über Investition in die Zukunft und konnte sich schnell wieder füllen. Anfang unerhitzt zum Würzen verwendet! Eine solch weite Distanzen zu transpor- dank der Stiftung Longo Mai erworben November gepresste Oliven ergeben kleine Mühle in der Region presst vor- tieren, während in der Provence seit werden. Das Land um die Longo maï- ein «feuriges», etwas scharfes und mittags die biologischen Oliven und Jahrhunderten Olivenbäume angebaut Kooperative Grange Neuve liegt auf intensiv grünes Öl. Mit seinem «grü- jeder Liefernde erhält sein eigenes Öl. werden. Heute ist der Boden noch 700 m bis 850 m über dem Meeres- etwas feucht, das Wetter ist gut, die spiegel und ist damit für den Anbau Sonne scheint. Alle geben sich grosse von Olivenbäumen zu hoch. Mühe, keine Olive wird vergessen! Man Die neu erworbene Parzelle in hat das Gefühl, Gesten auszuführen, 10 km Entfernung befindet sich ganz die so alt sind wie die Menschheit, und in der Nähe von Elisabeth, einer es liegt eine Art Andacht, Respekt in befreundeten Bäuerin. Wenn nötig dieser Arbeit. Gleich ist Mittagspause leiht sie uns landwirtschaftliches und alle werden lebhafter. Josiane und Gerät: Mulcher oder Grubber zur Martin haben einen reichlichen Imbiss Auflockerung des Bodens, Erntelei- zubereitet. Der Tabakbeutel wird aus tern, Kämme und Netze. Vergangenen den Taschen geholt, die Zungen lösen Winter nahmen einige von uns an sich, die Witze sprudeln. Wir bewun- den zwanzigjährigen Bäumen einen dern die Durance zu unseren Füssen, sorgfältigen «Strukturschnitt» vor. die aus dem Nebel aufgetaucht ist, und Bei jedem Baum musste gut überlegt die Voralpen in der Ferne. Uns geht es werden, welcher Hauptast zu ausla- gut! Das Leben ist schön! Wir können dend, welcher besser ausgerichtet ist, es kaum erwarten, das erste Öl zu ohne einen anderen zu kreuzen, bevor probieren! Die Wetterprognosen für die die Baumsäge zum Einsatz kam. Es nächsten Tage sind verheissungsvoll. sind die letzten hilfreichen Korrektu- Versprochen, wir kommen morgen ren, um zukünftig einen gut ausge- wieder! Die Freiwilligen sind zahlreich; wogenen Baum zu haben, der eine man fühlt sich wohl hier, liegt im Gras wahre Freude fürs Auge ist. Dieser und rekelt sich. Mir jedoch kommen die Schnitt war recht streng und die Ernte Palästinenser in den Sinn, deren tau- wird dieses Jahr mittelmässig sein. sendjährige Olivenbäume ausgerissen Aber der Olivenbaum ist ein kräfti- werden und Wut steigt in mir hoch… ger, grosszügiger Baum; durch den Das Ernten von Oliven in der Provence hat jahrhundertalte Tradition. Jakson Befreundete Projekte einen Hühnerstall samt Werkstatt und Lagerraum. Solarzellen liefern Strom, Zu Besuch bei den Refikler in Zeytinli das Wasser kommt von einem öffent- lichen Wasserkanalsystem ähnlich dem der Longo maï-Kooperative in der Crau. An diesem Ort mit seinem Von den refikler (dt.: die Genoss*innen), einem Kollektiv in der Türkei, hörten wir erstmals vielfältigen Garten (Oliven, Bohnen, in den Berichten einer gemeinsamen Freundin bei ihrem Besuch in der Longo maï-Kooperative Erdnüsse, Heilpflanzen, Gewürze und Grange Neuve (Provence). vieles mehr) ist die Kooperative zu Hause. Sie hat keinerlei legale Form, sondern basiert auf Idee, Anspruch Da wir in Rumänien die Schwarzmeer- und die einfachen Gebäude scheinen senz führte zu grösserer Bekanntheit und Vertrauen. Besprechungen finden Region naturgemäss mehr im Blick genug. Hier leben 12 Leute, meist und Umsätzen. Das wiederum rief die meist morgens statt, ohne grosse haben, suchte ich nach Informationen. Mitte 30, Kinder gibt es keine. Das Behörden auf den Plan und bei einer Formalitäten. Die Zielsetzungen Im letzten Winter kamen wir erstmals Dorf mit einer überwiegend älteren Kontrolle wurden enorme Mengen sind nicht ohne und stets im lokalen näher in Kontakt und schliesslich Bevölkerung liegt nur einige Automi- Produkte beschlagnahmt. Die Refikler Kontext eingebettet. Beispielsweise, besuchten wir den Hof im Ida-Gebirge nuten entfernt. Der Hof bei Fethiye nutzten dies als Chance; Kooperative dass den Leuten konkrete Alternati- (Kazdaglari) im Sommer. Es ist Abend, existiert seit gut zehn Jahren, der in und Verkäufe wurden legalisiert. Es ven zu Abwanderung, Arbeit in den als wir in Bayramiç ankommen. Knapp Zeytinli seit acht; beide Höfe gehören gab auch Solidaritätsaktionen im Aus- Goldminen oder Wasserkraftwerken 1000 km liegen hinter uns – einen als Refikler seit 2016 Jahren zusam- land, schliesslich konnte eine grosse des Idar-Gebirges und Nationalismus Tag zuvor sind wir in Holzmengen men, das heisst gemeinsame Ökono- Halle für Produktion und Verarbeitung angeboten werden müssen. Dafür sind (Rumänien) aufgebrochen. Müge mie, Planung sowie Entscheidungen. gemietet werden. sie sehr pragmatisch, ohne ein Blatt begrüsst uns und zeigt uns mit Meh- «Als Kommune Refikler betreiben vor den Mund zu nehmen. Die Refikler met den Laden der Agrarkooperative. wir Landwirtschaft und produzieren Hohe Ansprüche und diverse Projekte haben einiges vor: Sie möchten gerne Ein geräumiges Geschäft mit kleiner Lebensmittel auf insgesamt sechs Uns beeindruckt die Vielzahl der auch ausserhalb der Türkei verkaufen Terrasse davor. Öl, Sesam, Honig, Hektar Land in Mugla/ Fethiye und Gegensätze und die Dynamik. Vieles und sind gleichzeitig mit finanziellen Tee, eingelegtes Gemüse. Alles produ- Çanakkale/ Bayramiç. Wir handeln mit erschien uns aus Longo maï vertraut und bürokratischen Schwierigkeiten ziert von Mitgliedern der Kooperative einem ökologischen Ansatz und wollen – die Charaktere, die Ansprüche, die konfrontiert. sowie Leuten aus der Region. Der ein gesellschaftlich orientiertes Leben Gemeinsamkeit und Organisation, Wir können die herrlichen Produkte Laden wurde im Frühjahr eingerichtet (...). Gleichzeitig ist uns die Beteiligung allerdings ohne die uns vertraute nur wärmstens empfehlen und zur und ist auch ein Ort, um mit Leuten an sozialen Kämpfen wichtig.» Die prekäre Sicherheit. Der Hof in Zeytinli Kontaktaufnahme ermutigen! in Kontakt zu kommen. Der Refikler- Ökonomie der Refikler entwickelt sich liegt auf keinem Bauland, so wurden Jochen Hof von Zeytinli liegt in einem kleinen rasant. Seit letztem Jahr nehmen sie vor einigen Jahren alle Gebäude auf Tal eingeklemmt zwischen Hang und an zwei Wochen-Basaren in Istanbul behördliche Anweisung niedergeris- Bei Interesse melden Sie sich per E-Mail refiklerciftligi@gmail.com bzw. telefonisch tief eingeschnittenem Bach. Es ist ein und anderen Städten teil. Die Basare sen. Heute gibt es nur eine Küche unter +90-537-223.04.53 (Ufuk Dursun spricht spartanischer Ort, dafür blüht alles entfalteten eine Dynamik; mehr Prä- aus Holz und einige Zimmer sowie Türkisch, Deutsch, Englisch) bei den Refikler
Nachrichten aus Nr. 135 Winter 2022 uns die Lebensweise in ihren Dörfern, die uns für immer verlassen hatten. Wir ihre Methoden der Entscheidungs musizierten, lauschten dem Geigen- findung und Rechtsprechung sowie spiel von Pancho, gedachten gemein- ihr Gesundheits- und Bildungssystem. sam der Verstorbenen und teilten die Im September kam die Delegation von Kosmovision unserer Gäste. 200 Menschen aus Mexiko in Europa an. Die Longo maï-Kooperativen im Die Reise für das Leben geht weiter Südosten Frankreichs, gemeinsam mit Es ist schwer, die Geschichte der anderen Vereinigungen der Region, Zapatistas in wenigen Zeilen empfingen vom 12. Oktober bis zum zusammenzufassen; erzählt von 5. November 2021 eine Gruppe zapa- Menschen einer zweihundertköpfigen tistischer Frauen und Männer sowie Delegation, die über drei Monate mehrere Mitglieder des CNI, des Natio- mehrere europäische Länder nalen Indigenen Kongresses. besuchte. Inzwischen sind die Zapatis- tas wieder nach Chiapas zurückge- Die Jugend macht sich auf kehrt, doch sie wollen später ihre Die Delegation bestand etwa zur Hälfte Reise für das Leben fortsetzen. aus Frauen und überwiegend aus jun- Vielleicht kommen sie noch einmal gen Menschen. Sie erklärten uns, dass nach Europa, bevor sie die anderen sie diese Reise den Kämpfen ihrer Kontinente besuchen: «Wir werden Eltern und Grosseltern zu verdanken segeln und reisen, um dem Planeten hätten. Doch jetzt ginge es darum, in zu sagen, dass es in der Welt, die wir die Zukunft zu blicken und die Jugend in unserem kollektiven Herzen wahr- möchte sich dieser Aufgabe stellen. nehmen, Platz für alle gibt. Ganz Ihre «Reise für das Leben» ist dar- einfach, weil diese Welt nur möglich auf ausgerichtet, uns ihre Ideen und ist, wenn wir alle dafür kämpfen, sie Lebensphilosophie näherzubringen wieder aufzurichten.» und gleichzeitig die unsrigen kennen- Lourdes zulernen. Weitere Informationen finden Sie in der Zeit- Als erstes besuchten sie unser schrift Archipel (Nr. 309, D ezember 2021) Weingut La Cabrery im Luberon; dort (www.forumcivique.org). feierten wir ein Empfangsritual unter Frankreich einem Olivenbaum. Rund um den Stamm legten wir Dinge, die unsere Die Reise für das Leben Aktivitäten symbolisierten: Getreide, Wollprodukte, Kürbisse, Heilpflanzen, Besuch der Zapatistas kommt zu uns Kerzen... Wir waren etwa 50 Personen aus den französischen Longo maï- in der Schweiz Kooperativen mit Freundinnen und Freunden aus der Region. Die Delega- Auch in Undervelier (Schweizer Mit grossem Interesse erfuhren wir im Oktober 2020, dass eine tion nahm auch an einem Treffen teil, Jura) hatten wir zapatistische Grup- Delegation von Zapatistas aus Chiapas in Mexiko ihre Berge bei dem es um die Verteidigung von pen zu Gast. Der Aufenthalt des Agrarland gegen Bodenspekulation Escuadron 421 im September war verlassen und alle fünf Kontinente besuchen will – als erste und Betonierung ging. Dies bot ihnen sehr spontan und als Ruhepause im Etappe Europa. Wir freuten uns darauf, sie in unseren Koope- die Gelegenheit, über die Geschichte Grünen zwischen zwei Städtebesu- rativen empfangen zu können. ihres Widerstands in Chiapas zu chen gedacht. Auf dem Hof Le Mon- erzählen. tois nahmen wir uns Zeit für einen Austausch über unsere jeweiligen Wir organisierten zahlreiche Zusam- regionale Koordination von Briançon Im kollektiven Leben – hier und dort Organisationsformen. Ende Okto- menkünfte innerhalb der verschie- in den französischen Alpen bis nach In der Spinnerei von Chantemerle in ber kamen zwei Frauengruppen mit denen Longo mai-Kooperativen in Marseille. der Nähe von Briançon führten wir ihren Kindern zu uns. Zusätzlich zur Frankreich, trafen uns mit engagierten Unser Ziel war es, ihre Kämpfe unsere Gäste aus Chiapas durch die Hofvisite besuchten die Zapatistas Freundinnen und Freunden aus den in Mexiko kennenzulernen, mit den Etappen der Wollverarbeitung – vom verschiedene Projekte in Underve- umliegenden Dörfern und Städten, um unsrigen hier in Europa zu vergleichen Schaf bis zum fertigen Pullover. Am lier und der Region. Die gemein- den Empfang der Zapatistas vorzu- sowie Gedanken und Ideen auszu- Abend sassen wir mit Freundinnen same Organisation und Begleitung bereiten. Schliesslich entstand eine tauschen. Besonders interessierten und Freunden zusammen, welche den der Zapatistas hat die bestehenden Flüchtlingen helfen, die von Italien Beziehungen zwischen den lokalen den lebensgefährlichen Weg über Projekten und Bewegungen noch die Alpen nach Frankreich wagen verstärkt. Die lokale Gruppe SAAGE Die Zapatistas in Chiapas: der Weg zur Autonomie und dabei oft in Bergnot geraten. Die (Santé en Autonomie – Autonomie, An jedem Ort haben uns die Zapatistas ihre Geschichte erzählt: Zuerst die Zapatistas erzählten uns, dass sie vor Gesundheit, Emanzipation) orga- barbarische Ausbeutung, welche ihre Vorfahren erlebten, die auf riesigen land- Ort mit ähnlichen Problemen konfron- nisierte einen Thementag rund um wirtschaftlichen Betrieben von Grossgrundbesitzern versklavt wurden. Im Jahr tiert sind, welche Menschen betreffen, diese Problematik. Beeindruckend, 1983 gründete dann eine Gruppe von Indigenen im Lakandonischen Urwald die über Mexiko versuchen, ihr Glück wie die Zaptatistas auch in diesem die Zapatistische Armee EZLN und bereitete sich im Untergrund auf den weiter nördlich zu finden. Auf unserem Bereich konsequent ihre Autonomie Kampf für ihre Rechte vor. Am 1. Januar 1994, dem Tag, an dem Mexiko das Weg von den französischen Alpen vorantreiben. Leider erschwerten Freihandelsabkommen mit den USA und Kanada umsetzen wollte, traten die in Richtung Süden begleiteten wir die Coronamassnahmen einen Zapatisten aus dem Urwald und wehrten sich mit einem lautstarken: «NEIN»! die Longo maï-Schafherde bei ihrem engeren und persönlicheren Kon- Seit 2003 ist das Streben nach Autonomie in den zapatistischen Gemeinden Abstieg von der Sömmerungsalp. In takt. Nichtsdestotrotz war der eine Priorität. Jede Familie hat ihr Stück Land, um sich zu ernähren, beteiligt der grössten Longo maï-Kooperative gemeinsame Austausch über sich aber auch an den kollektiven Arbeiten, um durch Einkünfte die Autono- bei Limans (Provence) gab es dann Themen, die uns allen am Herzen mie zu garantieren (Reisen, Gesundheit, Schule, Organisation von Gemein- mehrere Treffen, bei denen wir uns liegen, verbindend und bereichernd. schaftsstrukturen). über Praktiken zur Erreichung von Sicher eint uns auch die gemein- mehr Autonomie in unserem kollek- same Sorge um die Zukunft unseres tiven Leben austauschen konnten. Planeten. Eine Zapatistin fasste Die sieben Prinzipien der zapatistischen Gemeindeorganisation: Der 1. November, Tag der Toten, ist das in folgende Worte: «Wir haben 1. Dienen statt sich Bedienen in Mexiko ein sehr wichtiges Ereignis. bemerkt, dass es unserer Mutter 2. Aufbauen statt Zerstören Im grossen Versammlungssaal der Erde nicht gut geht. Es braut sich 3. Repräsentieren statt Verdrängen Kooperative begingen wir eine feierli- etwas zusammen. Wir sind auch 4. Überzeugen statt Bezwingen che Zeremonie; stellten einen blumen- nach Europa gekommen, um euch 5. Gehorchen statt Befehlen geschmückten Altar mit Namen sowie diese Beobachtung mitzuteilen und 6. Absteigen statt Aufsteigen Fotos der Menschen auf, die bei ihnen Verbündete zu suchen.» 7. Vorschlagen statt Aufzwingen gestorben waren, und von denjenigen, Adrian
Nachrichten aus Nr. 135 Winter 2022 Riace Ukraine Solidarität ist ein Muss! Aufgeben steht ausser Frage Das Dorf Riace in Süditalien ist dank Wir, einfache Kleinbauern einer für Olympia-Bewerbungsstädte. Sie seiner Empfangspolitik für Migran- Bergregion und Mitglieder der erklärte klipp und klar: «Seit Verab- tinnen und Migranten weltbekannt. Longo maï-Kooperative Ukraine, schiedung der Olympischen Agenda Die Kooperativen von Longo maï und werden unseren Kampf zur Rettung 2020 ist Nachhaltigkeit von Anfang an andere Organisationen unterstützen der letzten Urwälder des Swydowets- eine Grundvoraussetzung zur Planung seit vielen Jahren dieses Projekt Massivs fortsetzen. von Olympia-Projekten ... in geschütz- finanziell und mit «solidarischem Als im September vergange- ten Gebieten kann keine dauerhafte Tourismus». nen Jahres bekannt wurde, dass Bebauung erfolgen». Darüber hinaus Doch am 30. September 2021 zum 30-jährigen Unabhängigkeits- sind potenzielle Gastgeber aufge- wurde der Initiator dieser Empfangs- Jubiläum der Ukraine auch Thomas fordert, «bereits bestehende sowie kultur und ehemalige Bürgermeister Bach, Präsident des Internationalen temporäre Veranstaltungsorte so weit Domenico «Mimmo» Lucano zusam- Olympischen Komitees (IOC), nach wie möglich zu nutzen». men mit 17 seiner Weggefährt*innen Kiew käme, wurde uns klar, dass der An dieser Stelle gilt unser Dank vom Gericht in Locri zu hohen Haft- ukrainische Präsident Selenski an allen, die diesen offenen Brief unter- strafen verurteilt. Das Urteil löste seinem Vorhaben, «die Alpen Osteu- stützten und damit zeigen, dass viele Bestürzung und Empörung aus. Ein ropas» zu schaffen, festhalten würde. Menschen unsere Vision von einer beispielloses Urteil für Domenico Bei dieser Gelegenheit und trotz der nachhaltigen Welt teilen. Lucano, 13 Jahre und 2 Monate, unaufhörlichen Gefahr eines Krieges Oreste eine Strafe, die normalerweise nur mit Russland betonte Selenski, dass für hartgesottene Mörder, Mafiosi, land, immer mehr Unterstützungs «die Ukraine fest entschlossen sei, Drogenhändler und andere Gewalt- bekundungen mit dem Ruf «Solidarität Gastgeber der Olympischen Winter- verbrechen verhängt wird. Er wurde ist kein Verbrechen» laut. Es war spiele zu werden, und daher Gesprä- krimineller Machenschaften zur Unter- bewegend, die Strassen voller Men- che mit dem IOC aufnimmt und so bald stützung illegaler Einwanderung, des schen zu sehen, die sich über diesen wie möglich eine Delegation zum Sitz Betrugs, der Veruntreuung und des Gerichtsentscheid empörten. Viele in Lausanne entsendet». Gemeinsam Amtsmissbrauchs für schuldig befun- Kollektive und Verbände waren unter- mit dem Bruno-Manser-Fonds und den. Insbesondere warf man ihm vor, wegs, um Botschaften zu senden, 53 weiteren Organisationen aus 14 Scheinehen organisiert zu haben, um die Grenzen überwinden und in ganz verschiedenen Ländern schrieben wir Frauen zu helfen, deren Asylantrag Europa widerhallen, wo Fremdenfeind- einen offenen Brief an Prinz Albert II. abgelehnt worden war; sowie gegen lichkeit auf dem Vormarsch ist. Ein (Vorsitzender der IOC-Kommission für das Gesetz für Ausschreibungen Europa, abgeschottet mit Stacheldraht, Nachhaltigkeit und Vermächtnis), um verstossen zu haben. Seine Anwälte wie Domenico Lucano es beschreibt. unser Entsetzen sowie unserer Forde- kündigten bereits an, gegen das Urteil Die politisch-administrativen Schika- rung Ausdruck zu verleihen, jegliche in erster Instanz Berufung einzulegen. nen gegen das Riace-Modell gehen Unterstützung für derartige Projekte Fünfzehn Jahre lang haben genau auf die Zeit zurück, in der das einzustellen, welche diesem unberühr- Domenico «Mimmo» Lucano und Dorf zu einem symbolträchtigen Ort ten Berggebiet irreparable Schäden seine Mitstreiter*innen ihre kalabrische in der europäischen Debatte über die zufügen könnten. Glücklicherweise Gemeinde Riace im äussersten Süden Aufnahme von Flüchtlingen wurde, erhielten wir eine klare Antwort seitens Lieber lange Skiwanderungen als riesige neue Italiens zu neuem Leben erweckt, obwohl der Staatsanwalt versuchte, Jacqueline Barrett, Chefkoordinatorin Infrastrukturen indem sie Migrantinnen und Migranten das politische Terrain zu meiden: mit Würde aufnahmen. Riace wurde «... Dies ist nicht der Prozess gegen so in der ganzen Welt zum Symbol für das edle und tatsächliche Ziel der Rumänien eine menschliche Empfangskultur und Aufnahme...» Die unverhältnismässig vermittelte ein anderes Bild von Kala- brien; eine Alternative zu Lagern und Ghettos. «Ich habe auf die Bedürfnisse hohe Strafe löste sofort eine Debatte aus, in der es dringender denn je erscheint, Riace wieder zu einem Sym- Longo maï goes East again der Region hinsichtlich des Arbeits- bol zu machen und die Entmenschli- Oft haben wir in den «Nachrichten aus andere Realitäten hinein. Momentan kräftemangels und der Mafia reagiert chung von Migrant*innen zu beenden. Longo maï» über unser Projekt im sie- sind wir zehn Personen zwischen und zugleich Migrant*innen aufgenom- Man muss wissen, dass die Zahl der benbürgischen Hosman/ Holzmengen 14 und 47 Jahren, die täglich vier oder men, die vor Kriegen geflohen waren. Menschen die bei dem Versuch nach berichtet. Die Beziehungen mit Longo fünf Sprachen sprechen. Es gab Höhen Ich habe niemals aus Geldgier gehan- Europa zu gelangen, ihr Leben liessen, maï reichen dabei bis in die 1990er- und Tiefen, die Alte Mühle in unserem delt», versichert Lucano. sich in diesem Jahr mehr als verdop- Jahre zurück. Ich war damals nach der Dorf wurde zu einem im Land bekann- pelte. Laut Statistiken der Internatio- Eröffnung des Hofs Ulenkrugs in Meck- ten Ort mit anderen Prioritäten. Krisen Solidarität ist kein Verbrechen nalen Organisation für Migration (IOM) lenburg nach Kärnten gelangt und lebte brachten uns manchmal fast zum Riace bewies jahrelang, dass Solida- beläuft sie sich in der ersten Hälfte des einige Jahre auf der Kooperative am Verzweifeln. Wir lernten ganz praktisch, rität fruchtbarer ist als Angst sowie Jahres 2021 auf 1146 Todesfälle, im Hof Stopar. Das waren prägende Jahre dass Solidarität uns und den andern Ablehnung und dass eine andere, Jahr 2020 waren es 513. Wir sind trotz für einen, der noch durcheinander war überleben hilft. Damit das Hosman- entschlossene, offene und grosszügige der extrem harten Urteile weiterhin von den Veränderungen des 1989er- Projekt Bestand haben könnte, wurde Migrationspolitik möglich und für die davon überzeugt, dass die Erfahrun- Herbsts und nicht so recht mit sich was uns die Beziehung mit den Longo maï- meisten Menschen wünschenswert gen von Riace alles andere als uto- anzufangen wusste. In Kärnten wurde Kooperativen auch zu etwas Essentiel- wäre. Dies war ein gefährlicher Prä- pisch sind und werden auch zukünftig ich aufgenommen, erfuhr lebendig die lem. In einem sich über mehrere Jahre zedenzfall für diejenigen, die Gesetze versuchen, diese Willkommenskultur Geschichte der Kooperative und durfte erstreckenden Prozess wagten sich alle der Ausgrenzung befürworten. Wir entgegen aller Widerstände über die mich ausprobieren. Das war die beste Seiten aufeinander zu und seit Oktober wurden quasi Zeuge eines politisch Grenzen hinaus weiterzutragen. Schule, die ich bis dahin besucht hatte! ist unsere Equipe nun tatsächlich Teil motivierten Prozesses. Seit dem Valentina Dennoch – oder gerade deshalb – der Longo maï-Gemeinschaft. Unsere Urteilsspruch werden in ganz Italien, wollte ich weiterziehen. Über ein Buch1 Beziehungen sind natürlich beson- aber auch in Frankreich und Deutsch- Mehr Informationen: www.forumcivique.org gelangte ich 2002 nach Rumänien und ders eng mit Transkarpatien, aber wir wollte mindestens ein Jahr bleiben. strecken unsere Fühler aus bis in die Die Neugierde hatte mich gepackt, Türkei. Dabei bleibt uns der Draht zu nicht nur wegen der Berichte über ein den Menschen in unserem Dorf stets grosses kulturelles Gewusel, sondern zentral. Gerade in der kommenden Zeit Impressum Le Montois 1, CH-2863 Undervelier auch das Leben der Menschen vor den haben wir einiges gemeinsam mit den Tel. +41 (0) 32 426 59 71 Nachrichten aus Longo maï erscheinen Toren der noch jungen Festung Europa Schäfer*innen und Aktiven unserer 3 × jährlich Grange Neuve, F-04 300 Limans Tel.: +33 (0) 4 92 73 05 98 wollte ich näher kennenlernen. Ziemlich Region vor. Redaktion: Elke Furet, Babette Stipp Hof Ulenkrug, Stubbendorf 68, schnell wurde klar, dass ich bleiben Jochen Druck: Ropress, Zürich D-17 159 Dargun wollte. Wir wurden mehr, eine Gruppe www.moara-veche.ro Longo maï, Postfach 1848, CH-4001 Basel Tel.: +49 (0)39 959 23 881 Tel.: +41 (0) 61 262 01 11, PC 40 -17- 9 Hof Stopar, Lobnik 16, A-9135 Eisenkappel unter teils prekären Verhältnissen – 1 Aescht, Georg (Hg.): Siebenbürgen. Europa info@prolongomai.ch Tel.: +43 (0)42 38 87 05 aber immer mit Verbindung in viele erlesen. Klagenfurt, 1999
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