Nairobi Auszug aus der DAAD-Publikation "Berichte der Außenstellen 2015"
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Upper Hill, Standort des DAAD-Büros in Nairobi, Vielerorts im östlichen und südlichen Afrika war einst ein grüner Hügel gleich oberhalb des bricht sich Neues Bahn: Smartphone und Geschäftsviertels, mit Wohnhäusern der Ober- Internet revolutionieren das Geschäftsleben, schicht in parkähnlichen Gärten. Nun schießen die öffentliche Verwaltung („e-citizen“) und die hier die Bürotürme in den Himmel, Tiefgaragen Sozialbeziehungen. Auch entlegene ländliche werden in den Fels getrieben, eine beständige Gebiete werden in den (virtuellen) Austausch Lärmkulisse begleitet den Arbeitstag in der von Information, Geld und Dienstleistungen Außenstelle. Nairobi wächst, in die Höhe und einbezogen. Im Zusammenhang mit der Ent- in die Breite, es wächst um Luxuswohnanlagen deckung bedeutender Öl- und Gasfunde wird und Wellblechhütten – und es wächst das Ver- die Frage des nachhaltigen Umgangs mit diesen kehrschaos, mit dem die Stadt sich zweimal Ressourcen diskutiert. Insbesondere in Kenia täglich selber lahmlegt. In Daressalam, Kigali und Äthiopien führt „Devolution“, die Dezen- und Kampala sieht es nicht anders aus: Ostafrika tralisierung von Verwaltung und politischen boomt. Der von der Afrikanischen Entwick- Entscheidungskompetenzen, zu Entwicklungs- lungsbank, der Organisation für wirtschaftliche fortschritten außerhalb der Metropolen. Der Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) und Integrationsprozess innerhalb der East African dem Entwicklungsprogramm der Vereinten Union gewinnt zunehmend praktische Bedeu- Nationen (UNDP) herausgegebene African tung – so etwa mit der Zielsetzung eines Economic Outlook errechnet für 2015 für den gemeinsamen Bildungs- und Hochschulraums Kontinent insgesamt ein Wirtschaftswachstum in Ostafrika. von 4,5 Prozent. Die entsprechenden Werte für das östliche und südliche Afrika liegen fast alle Es gibt Faktoren, die solchen positiven Entwick- höher und reichen von 5,5 Prozent (Malawi) lungen entgegenstehen: Auch angesichts der über 5,9 Prozent (Uganda), 6,5 Prozent (Kenia), aktuellen Flüchtlingsströme nach Deutschland 7,0 Prozent (Tansania) bis 7,5 Prozent (Mosam- sollte nicht vergessen werden, dass seit Jahr- bik). Am oberen Ende der Skala steht Äthiopien zehnten arme Länder viel größere Zahlen von mit einem Wert von knapp über 10 Prozent. Flüchtlingen aufnehmen und versorgen müssen. Solche Zahlen, seit mehreren Jahren auf ähnli- Uganda, Ruanda, Tansania, Kenia und Äthiopien chem Niveau, beflügeln die Visionen der offizi- beherbergen 2015 zusammen nach Angaben ellen Politik: 2030 (Kenia), 2025 (Tansania) oder des UNHCR 2,5 Millionen Flüchtlinge, die aus gar schon 2020 (Ruanda) wollen diese Länder den „Failing States“ der Region, aus Somalia, in der internationalen Zweiten Liga, bei den Südsudan, DR Kongo, Eritrea und zunehmend „Middle Income Countries“, angekommen sein. auch aus Burundi stammen. In Südafrika haben ausländerfeindliche Ausschreitungen mit mehr als 20 Toten im April den Teufelskreis
aus schlechten Bildungschancen, Arbeitslosig- keit und gewaltbereiter Xenophobie erneut ins Blickfeld gerückt. Die Wut richtete sich gegen illegale Einwanderer aus den umliegenden afri- kanischen Ländern. Seitdem Kenias Militär im Oktober 2011 in Somalia einmarschierte, um im Rahmen der „African Union Mission to Somalia“ (AMISOM) gegen die islamistische Al-Shabaab-Miliz zu kämpfen, werden Kenias Nordosten, Teile der Küstenregion und auch Nairobi von terroris- tischen Anschlägen heimgesucht. Einen Höhe- punkt erreichte dieser „Rachefeldzug“ am 2. April 2015: Am frühen Morgen verschafften sich vier Terroristen Zugang zum Campus des Garissa University College und töteten in äußerst grausamer Weise in einer sich über viele Stunden hinziehenden Besetzung 142 nichtmuslimische Studierende, die durch reli- giöse Testfragen segregiert wurden. Für einige Wochen erstarrte Kenia im Schock. Dieser Schlag traf den Nerv eines Landes, in welchem Aufstieg durch Bildung zu den wenigen, alle
Kenianer einigenden Perspektiven gehört. Neben drängten auf eine konsequente Strafverfolgung der Trauer gab es auch heftige Kritik an den und kündigten Einreiseverbote für überführte Sicherheitskräften, die erst nach vielen Stunden Täter an. in der Lage waren, dem Geschehen ein Ende zu bereiten. Wie groß die Sehnsucht nach einem Ende der Selbstbedienungsmentalität im Staatsapparat Schließlich muss unter den Übeln, die die Region und nach integren Führungsfiguren ist, zeigten immer wieder zurückwerfen, die Korruption die Reaktionen auf den Amtsantritt eines neuen genannt werden, die auf eine Plünderung „von Präsidenten in Tansania im November 2015. Amts wegen“ der ohnehin knappen öffentlichen Obwohl John Pombe Magufuli der gleichen Partei Ressourcen hinausläuft. In Kenia entschlossen angehört wie sein Vorgänger Jakaya Kikwete, sich im November die Botschafter von elf west- ist dieser friedliche Machtwechsel keine Selbst- lichen Industrieländern, darunter Deutschland, verständlichkeit. Nicht alle afrikanischen Staats- zu einem drastischen Schritt: In einem gemein- spitzen halten sich an die verfassungsgemäße samen öffentlichen Auftritt erklärten sie, dass Zahl von Amtsperioden. In Burundi sind 2015 die Korruption in Kenia die wirtschaftliche blutige Auseinandersetzungen aufgeflammt, Entwicklung, die staatlichen Dienstleistungen weil Präsident Pierre Nkurunziza entgegen der und die öffentliche Sicherheit gefährde. Sie Verfassung und bei gewaltsamer Unterdrückung
der Opposition seine Kandidatur und Wieder- wahl für eine dritte Amtszeit erzwang. Magufuli dagegen machte von sich reden, weil er die geplanten Festlichkeiten zu seiner Amtsein- führung und zum Unabhängigkeitstag zusam- menstrich. Stattdessen ließ er dringend benö- tigte Krankenhausbetten kaufen und rief zu Reinigungsaktionen in Wohngebieten auf, bei denen er dann selbst Hand anlegte. Spekta- kulär ist sein Vorgehen gegen Privilegien der Staatsbeamten, denen er die wegen ihrer üppi- gen Spesen geschätzten Auslandsdienstreisen untersagte. Beobachter rätseln noch, ob es sich hier um symbolträchtigen Aktionismus oder um eine politische Wende handelt. In Afrikas sozialen Medien wurde der neue Präsident jedenfalls zum Shootingstar. Unter dem Twitter-Hashtag „#What would Magufuli do?“ werden – seinem Vorbild folgend – ernsthafte und absurde Sparvorschläge für alle Lebens- lagen zusammengetragen. Damit aus dem anhaltenden Wirtschaftswachs- tum ein gesellschaftlicher Aufbruch werden kann, brauchen die Länder des östlichen und densten treibt Äthiopien dieses Wachstum voran: südlichen Afrika eine Bildungsoffensive, in der Laut Ministerratsbeschluss sollen zu den beste- den Universitäten eine Schlüsselrolle zukommt. henden 33 Hochschulen weitere elf hinzukom- Sie müssen in mehrfacher Hinsicht über sich men. Überall in der Region bleiben aber nach hinauswachsen: schnell steigende Zahlen von internationalen Standards ausgebildete Hoch- qualifizierten Schulabgängern aufnehmen, die schullehrer ein knappes Gut: Im Durchschnitt Lehre modernisieren, praxisorientierter ausbilden verfügt nur etwa ein Drittel der Lehrkräfte über – und neben dem eigenen wissenschaftlichen eine Promotion. Über die Kapazitäten und die Nachwuchs auch qualifiziertes Personal für die Qualität der Doktorandenausbildung in Sub- zahlreichen neu entstehenden Universitäten, sahara-Afrika ist wenig bekannt, obwohl sie für für Sekundar- und Berufsschulen bereitstellen. die Hochschulentwicklung strategische Bedeu- Der Druck auf die Hochschulen ist immens, es tung hat. In Kooperation mit dem British Council grenzt an die Quadratur des Kreises, alle an sie hat der DAAD eine wissenschaftliche Studie in gerichteten Erwartungen bei notorisch knappen Auftrag gegeben, die zu diesem Thema qualita- Budgets zu erfüllen. tive und quantitative Daten liefern soll. In allen Ländern der Region expandieren die In Südafrika schafften im Oktober demons- tertiären Bildungssysteme weiter. Am entschie- trierende Studierende, was noch keiner
einzulösen, mit denen sämtliche ANC-Regierun- gen nach Ende der Apartheid angetreten waren. Kenia erlebte eine nationale „education crisis“ mit einem wochenlangen Streik der Lehrenden an staatlichen Schulen. Streitpunkt war eine Gehaltserhöhung von 60 Prozent, die die Regie- rung verweigerte, obwohl die Lehrergewerk- schaften sie vor Gericht erstritten hatten. Der Streik wurde schließlich ausgesetzt, aber gelöst ist der Konflikt nicht. Auch in anderen Berei- chen wurden Zahlungsverpflichtungen seitens der Staatskasse nicht oder nur mit großer Ver- zögerung eingehalten. Dies bekamen auch die 50 Stipendiaten zu spüren, die in einem von DAAD und kenianischem Bildungsministerium gemeinsam finanzierten Stipendienprogramm in Deutschland promovieren. Sie gerieten durch das Ausbleiben des kenianischen Stipen- Oppositionsbewegung je gelang: eine Regierung dienanteils mehrfach in unzumutbare Notla- des African National Congress (ANC) zum Ein- gen. Die gleichen Schwierigkeiten entstanden lenken zu bewegen. Die von den Medien getitelte in einem mit Tansania vereinbarten Stipendien- „Student Revolution“ richtete sich gegen die programm. Derzeit wird darüber verhandelt, Erhöhung von Studiengebühren, die schließ- ob und wie diese Probleme zu lösen sind. In lich abgewehrt werden konnte. Politisch aber beiden Fällen gefährdet administratives Unver- ging es um mehr: die unerfüllten Versprechen mögen erfolgreiche und politisch eigentlich von Chancengleichheit und Bildung für alle gewollte Programme.
Dieser Aufwuchs wurde als Chance genutzt, um erstmals die Stipendienkontingente aus- zuschreiben und Hochschulen die Möglichkeit zu geben, sich um die Aufnahme von DAAD- Stipendiaten zu bewerben. Damit wurde ein Zeichen für Qualität und Wettbewerb gesetzt, wie es so in Ostafrika bisher unbekannt war. Das internationale Gutachterteam des DAAD hatte sich mit der bemerkenswerten Zahl von 86 Anträgen aus Kenia, Tansania, Uganda, Ruanda und Äthiopien auseinanderzusetzen. Ausgewählt wurden 36 Institutionen mit jeweils einem oder mehreren Master- und PhD-Pro- grammen, denen jeweils eine Quote zu verge- bender Stipendien zugesprochen wurde. Nach Ausschreibung der Stipendienplätze wurde gemeinsam von Hochschulen und DAAD-Gut- achtergremium die Endauswahl der Stipendiaten vorgenommen. Eine große Fachtagung in Kenia markierte im Mai 2015 den Abschluss eines zehnjährigen Projekts: Die Einführung von Standards und Verfahren der Qualitätssicherung in grundstän- digen (Bachelor-)Studiengängen. Dies geschah grenzüberschreitend innerhalb der Mitglied- staaten der Ostafrikanischen Union, zu deren politischen Zielen die Errichtung eines „ostafri- 1.000 zusätzliche Stipendien hatte Entwick- kanischen Hochschulraums“ mit ungehinderter lungsminister Gerd Müller Anfang 2014 dem Mobilität von Lehrenden und Lernenden gehört. DAAD für Afrika zugesagt. Damit geriet auch Finanziert wurde das Projekt vom BMZ im das sogenannte Surplace/Drittland-Stipendien- Rahmen des von DAAD und Hochschulrektoren- programm in den Fokus, das der DAAD weltweit konferenz verantworteten DIES-Programms in Entwicklungsländern zur Qualifizierung von (Dialogue on Innovative Higher Education Hochschullehrernachwuchs anbietet: durch Strategies). Afrikanische Partner waren der Inter- Förderung von Master- oder Promotionsstudium University Council for East Africa (IUCEA) als an ausgewählten Universitäten und Forschungs- ostafrikanischer Hochschulverbund, die natio- einrichtungen im Heimat- oder Drittland. Durch nalen Regulierungsstellen für das Hochschul- die zusätzlichen Mittel des Bundesministeriums wesen sowie 67 Hochschulen in der gesamten für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Ent- Region. Die Autoren der ebenfalls 2015 erschie- wicklung (BMZ) konnte alleine im östlichen nenen Abschlussevaluation stellen dem Projekt Afrika die Stipendienzahl 2015 auf 300 erhöht ein gutes Zeugnis aus: „The general approach und damit mehr als verdoppelt werden. assumed and the outputs so far recorded give
us considerable confidence in stating that a strong, robust and sustainable quality assurance culture in East Africa has been successfully introduced as a result of this project.“ Das Pro- jekt gilt inzwischen afrikaweit als Modell, und DAAD und IUCEA werden die Zusammenarbeit zu diesem und anderen Themen fortsetzen. Die Entdeckung bedeutender Öl- und Gaslager- stätten werden die Entwicklung in Ostafrika maßgeblich prägen. Ein Entwicklungsschub für die Region wird als möglich erachtet, wenn es gelingt, neben der Rohstoffförderung auch die weiterverarbeitende Industrie in der Region aufzubauen und mit einheimischen Fach- und Führungskräften zu betreiben. Dabei stehen die Hochschulen vor der Herausforderung, schnell die bisher nicht vorhandenen praxisorientier- ten und mit der Industrie koordinierten Kapazi- täten zu entwickeln, um Ingenieure, Ökonomen und Lehrkräfte für die ebenfalls notwendigen berufsbildenden Schulen auszubilden. Als Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier im Februar Kenia besuchte, schlug er, abgestimmt mit dem DAAD, ein deutsch- kenianisches Kooperationsprojekt vor, das eine technisch orientierte kenianische Universität mit einer deutschen Fachhochschule zusam- menbringt. Ziel ist die Entwicklung und Imple- mentierung von praxisnahen Ingenieur- und Managementstudiengängen, die Etablierung einer engen Zusammenarbeit mit der Industrie sowie die Beratung bei der technischen Ausstat- tung der kenianischen Partnerhochschule.
Unter Mitwirkung des kenianischen Bildungs- ministeriums und der National Commission for Science, Technology and Innovation (NACOSTI) wurde das Projekt in Deutschland und in Kenia ausgeschrieben. Am Ende eines mehrstufigen Die Studierenden, die den Anschlag auf das Bewerbungs- und Begutachtungsprozesses stan- Garissa University College überlebt hatten, set- den dann im Dezember die Partnerhochschulen zen ihre Ausbildung überwiegend an der Moi- fest: In Kenia das Taita Taveta University Col- Universität in Eldoret fort. lege in Voi, in Deutschland die Hochschule für Technik und Wirtschaft Dresden. Die Projekt- Mit Zustimmung des BMZ entschied der DAAD arbeit soll im Februar 2016 beginnen. kurzfristig, Stipendienmittel einzusetzen, um ein Hilfsprogramm für besonders bedürftige Überlebende (Waisen, Alleinerziehende, Kinder aus Familien ohne regelmäßiges Einkommen) des Garissa College zu starten. 300 dieser Stu- dierenden erhielten ab Mai für ein Jahr DAAD- Stipendien in Höhe von umgerechnet 100 Euro pro Monat, ferner übernimmt der DAAD die Studiengebühren und die Kosten für Unter- bringung. Für Mitarbeiter der Moi-Universität, die die vielfach traumatisierten Studierenden betreuen, hat der DAAD gemeinsam mit kenia- nischen Psychologen eine Fortbildung in psychosozialer Supervision und Intervention organisiert. In einer bewegenden, in der kenianischen Öffentlichkeit stark beachteten Veranstaltung an der Moi-Universität wurden die Stipendien- urkunden gemeinsam von Hochschulleitung, Deutscher Botschaft und DAAD an die Studie- renden übergeben. Es war eine Geste der Solida- rität, aber auch eine klare politische Botschaft: „Wir wollen mit unserem Hilfsangebot ein Zei- chen setzen“, sagte DAAD-Präsidentin Margret Wintermantel in einer Pressemitteilung: „Zugang zu guter Ausbildung ist eine starke Waffe gegen den Terrorismus. Viele der Studie- renden aus Garissa kommen aus einfachen Ver- hältnissen. Oft sind sie die Ersten ihrer Familie oder ihres Dorfes, die ein Studium aufgenom- men haben. Wir wollen sie darin bestärken, trotz des Erlebten an ihren Zukunftshoffnungen festzuhalten.“
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