Neue Impfempfehlungen der Ständigen Impfkommission

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Neue Impfempfehlungen der Ständigen Impfkommission
Fortbildung -- Schwerpunkt

Neue Impfempfehlungen der
Ständigen Impfkommission
Wichtige Hausarztrolle: Impflücken schließen -- Autorin: L. Sanftenberg

Gerade während einer Pandemie ist es wichtig, an alle empfohlenen Impfungen zu denken.
Nachfolgend werden die aktuellen Neuerungen der Impfmedizin entsprechend der Ständigen
Impfkommission (STIKO) – mit Ausnahme von Impfungen gegen COVID-19 – skizziert.
                                                                                                                                     © Halfpoint / stock.adobe.com (Symbolbild mit Fotomodellen)

                                                                               Wesentliche inhaltliche Ergänzungen zu den
                           In Deutschland gibt es sowohl für Erwachsene als
                                                                               Empfehlungen 2021 der STIKO
                           auch für Kinder allgemein empfohlene Impfungen,
                           die der Gefahr von Ausbrüchen verschiedener         Die aktuellen Empfehlungen der Ständigen Impf-
                           impfpräventabler Erkrankungen neben COVID-19        kommission (STIKO) am Robert-Koch-Institut wur-
                           vorbeugen sollen. Verordnungsdaten aus dem          den am 27.01.2022 im Epidemiologischen Bulletin
                           Jahr 2021 zeigen jedoch für Routineimpfungen der    04/2022 veröffentlicht [2]. Inhaltliche Ergänzungen
                           gesetzlich Versicherten einen Rückgang von bis zu   im Vergleich zu den bisherigen Empfehlungen be-
                           59% [1].                                            treffen die Aktualisierung des Abschnitts „Hinweise

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Neue Impfempfehlungen der Ständigen Impfkommission
FORTBILDUNG -- SCHWERPUNKT

                             zur Durchführung von Schutzimpfungen“ inkl.
                                                                                      Abb. 1 Impfschema der HPV-Impfung
                             einem neuen Teil zu „Impfungen zum Schutz der re-
                             produktiven Gesundheit, bei Kinderwunsch und
                                                                                             Standardempfehlung: 2-Dosen-Schema
                             während Schwangerschaft und Stillzeit“.                         Kinder und Jugendliche von 9–14 Jahre
                             Impfungen zum Schutz vor sexuell                                             5–13 Monate
                             übertragbaren Krankheiten
                                                                                                Nachholimpfung: 3-Dosen-Schema
                             Impfungen gegen die sexuell übertragbaren Krank-
                                                                                                  Jugendliche von 14–17 Jahre
                             heiten Hepatitis B und Humanes Papillomvirus

                                                                                                                                                  © L. Sanftenberg
                             (HPV) sind Teil des Standardimpfkalenders von
                             Säuglingen im 1. Lebensjahr (Hepatitis B) bzw.                  1–2 Monate                 6–12 Monate
Dr. rer. nat.
Linda ­S anftenberg          Kindern im Alter von 9–14 Jahren (HPV) [2].
Institut für Allge-
meinmedizin, LMU             Die meisten Hepatitis-B-Infektionen werden sexuell
Klinikum München             übertragen und treten bei jungen Erwachsenen auf.       Auch darüber hinaus kann noch geimpft werden,
                             Andere Übertragungswege (z. B. Kontakt mit infi-        wenn bereits sexuelle Erfahrungen gemacht wurden
                             zierten Körperflüssigkeiten oder Bagatellverletzun-     oder Kontakt mit einem HPV-Typ bestand. Die Imp-
                             gen) sind aber grundsätzlich möglich und daher          fung ist ohne Altersbegrenzung zugelassen [6]. Aller­
                             auch für Kinder relevant. Die Impfempfehlung gegen      dings zeigt sich in Studien, dass sich etwa 40% der
                             Hepatitis B im Säuglings­a lter ist aber nicht in der   Frauen in den ersten 1 bis 2 Jahren nach Beginn der
                             Häufigkeit begründet, sondern dem besonders ho-         sexuellen Aktivität infizieren. Laut Bundeszen­trale
                             hen Risiko für chronische Verläufe. Während es bei      für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) waren 2019
                             infizierten Erwachsenen in 10% der Fälle zu einem       64% der 18-jährigen Frauen deutscher Herkunft und
                             chronischen Verlauf mit einer möglichen Entwick-        64% der 18-jährigen Männer deutscher Herkunft
                             lung von Leberzirrhosen oder Leberzellkarzinomen        sexuell aktiv [7]. Weiterhin konnte gezeigt werden,
                             kommt, liegt der Anteil bei einer Erkrankung im         dass jüngere Kinder und Jugendliche deutlich bes­
                             Säuglings- und Kindes­a lter bei bis zu 90%.            sere Immunantworten nach der Impfung entwickeln
                             Weiterhin ist der Impfschutz gegen Hepatitis B          als ältere – ein weiteres Argument für einen frühen
Bis zu                       als 6-fach-Kombinationsimpfung im Säuglingsalter        Start der HPV-Impfserie [3, 8].

59%                          leicht im Rahmen einer U-Untersuchung (Früherken-
                             nungsuntersuchung beim Kinderarzt) zu integrie-
                             ren, sodass ein geringer organisatorischer Aufwand
                                                                                     Nachholimpfungen bei Frauen im
                                                                                     gebärfähigen Alter
ging die Zahl der Routine­
impfungen von gesetzlich     entsteht. Die Impfung muss nur verschoben werden,       Die STIKO empfiehlt Frauen im gebärfähigen Alter
Versicherten im Jahr 2021    wenn das Kind eine schwere, behandlungsbedürf­t ige     die zweimalige Impfung gegen Röteln mit einem
zurück [1].                  Erkrankung hat. Falls die Impfung im Säuglings­a lter   Kombinationsimpfstoff gegen Mumps, Masern und
                             versäumt wurde, wird eine Nachholimpfung bis zum        Röteln (MMR-Impfstoff). Eine fehlende Zweitimp-
                             18. Geburtstag empfohlen.                               fung sollte unbedingt nachgeholt werden. Die zeit-
                             Das Ziel der HPV-Impfung von Mädchen und Jun-           gleiche Immunisierung gegen Masern ist sinnvoll,
                             gen ist die Reduktion der Krankheitslast durch HPV-     da an Masern erkrankte Schwangere ein erhöhtes
                             induzierte Tumore. Persistierende HPV-Infektionen       Pneumonierisiko haben. Es wurden auch vermehrt
                             können neben Genitalwarzen zu Zellveränderungen         vorzeitige Wehen, Frühgeburten und Spon­tanaborte
                             und Krebserkrankungen im Bereich des Gebärmut-          beobachtet. Eine Maserninfektion am Ende des
                             terhalses, der Vagina und Vulva, des Penis, des Anus    3. Trimenons bzw. perinatal kann beim Kind zu neo-
                             und im Rachenraum führen.                               natalen Masern führen. [9] Weiterhin wird serone-
                             Für einen zuverlässigen Schutz ist der Impfzeitpunkt    gativen Frauen eine zweimalige Varizellenimpfung
                             entscheidend: Die Impfserie sollte vor Aufnahme         empfohlen, um eine schwere Erkrankung des unge-
                             jeglicher sexueller Kontakte abgeschlossen sein [2]     borenen Kindes zu vermeiden [10].
                             (Abb. 1). Dann kann eine Reduktion des Auftretens       Gegen Masern, Mumps, Röteln und Varizellen ste-
                             von Gebärmutterhalskrebs um bis zu 87% und den          hen nur Lebendimpfstoffe zur Verfügung, die in der
                             entsprechenden Krebsvorstufen (z. B. CIN 3 um bis       Schwangerschaft kontraindiziert sind. Deshalb soll-
                             zu 97%) erwartet werden [3, 4]. Weiterhin konnte in     ten bei Frauen im gebärfähigen Alter bestehende
                             Deutschland ein statistisch signifikanter Rückgang      Impflücken rechtzeitig geschlossen werden. Nach
                             des Risikos für die Entwicklung von Genitalwarzen       einer Impfung mit einem Lebendimpfstoff sollte eine
                             bei Frauen im Alter von 24–27 Jahren auf die Imp-       Schwangerschaft für einen Monat vermieden wer-
                             fung gegen HPV zurückgeführt werden (4,7% gegen-        den. Erfolgte eine versehentliche Impfung mit einem
                             über 1,7%; p = 0,0018) [5]. Eine Nachholimpfung         Lebend­impfstoff in der frühen Schwangerschaft, ist
                             wird bis zum 18. Geburtstag empfohlen (Abb. 1).         ein Schwangerschaftsabbruch jedoch nicht indiziert.

                                                                                                           MMW Fortschr Med. 2022; 164 (8)   37
FORTBILDUNG -- SCHWERPUNKT

                                                                                                     häufigen Spontanaborte damit in Zusammenhang
                                            Abb. 2 Kokon-Impfstrategie gegen Pertussis
                                                                                                     gebracht werden. Impfungen gegen saisonale Influ-
                                                                                                     enza und Pertussis werden in jeder Schwangerschaft
                                                                                                     von der STIKO ausdrücklich empfohlen.
                                                                                                     Das primäre Impfziel der Influenza-Impfung von
                                                                                                     Schwangeren ist die Vermeidung schwerer Krank-
                                                                                                     heitsverläufe, während die Pertussis-Impfung in der
                                                                                                     Schwangerschaft die Erkrankungen bei Neugebore-
                                                                                                     nen und jungen Säuglingen reduzieren soll. Ist die in
                                           Schwangere         Bei erhöhter           Haushalts-
                                               im 3.            Gefahr von           mitglieder      der Schwangerschaft empfohlene Impfung gegen
                                            Trimenon           Frühgeburt:          und künftige     Pertussis nicht erfolgt, sollte die Mutter bevorzugt in
                                                              vorziehen ins       Bezugspersonen:    den ersten Tagen nach der Geburt geimpft werden.
                                                               2. Trimenon          spätestens 4     Speziell vor Geburt eines Kindes sollte überprüft
                        ©L. Sanftenberg

                                                                                    Wochen vor       werden, ob ein adäquater Immunschutz (Impfung
                                                                                      Geburt         innerhalb der vergangenen 10 Jahre) gegen Pertussis
                                                                                                     für enge Haushaltskontaktpersonen und enge Kon-
                                                                                                     taktpersonen des Neugeborenen besteht (soge­nannte
                                           Fehlende oder unvollständige Impfungen gegen              „Kokon-Strategie“) (Abb. 2).
                                           Tetanus, Diphtherie und Polio sollten ebenfalls ent-
                                           sprechend den allgemeinen Empfehlungen der                Impfungen in der Stillzeit
                                           STIKO nachgeholt werden. Bei fehlendem Impf-              Stillende können alle von der STIKO empfohlenen
Impfungen mit                              schutz sollte eine Impfung gegen Hepatitis B erfol-       Impfungen mit Ausnahme der Gelbfieber-Impfung
einem                                      gen. Die Übertragung von der meist chronisch infi-        erhalten. Die Mutterschaftsnachsorge-Untersuchung
Lebendimpf-                                zierten Mutter auf das Kind ist die Hauptursache der      am Ende des Wochenbetts bietet sich besonders für
stoff sind in der                          Hepatitis B bei infizierten Kindern. Im Gegensatz zu      die Impfprophylaxe an. Müttern, bei denen keine
Schwanger-                                 Lebendimpfungen ist nach erfolgter Impfung mit            2 Impfstoffdosen gegen Röteln dokumentiert sind,
schaft                                     einem Totimpfstoff kein Zeitabstand zum möglichen         sollten 2 MMR-Impfstoffdosen im (Mindest-)Ab-
grundsätzlich                              Eintritt einer Schwangerschaft zu berücksichtigen.        stand von 4 Wochen verabreicht werden.
kontraindiziert.                           Impfungen in der Schwangerschaft                          Hepatitis A & B als Teil der
                                           Impfungen mit einem Lebendimpfstoff (z. B. MMR            Gesundheitsuntersuchung bei Erwachsenen
                                           oder Varizellen) sind in der Schwangerschaft grund-       Besser als jede Therapie ist eine erfolgreiche Präven-
                                           sätzlich kontraindiziert. Eine Impfung mit dem Le-        tion. Folgerichtig hat der Gemeinsame Bundesaus-
                                           bendimpfstoff gegen Gelbfieber darf in der Schwan-        schuss (G-BA) die Gesundheitsuntersuchung (GU)
                                           gerschaft nur bei eindeutiger Indikation und nur          für Erwachsene in den 1980er-Jahren eingeführt und
                                           nach sorgfältiger Risiko-Nutzen-Abwägung verab-           danach immer wieder angepasst [11, 12]. Die letzte
                                           reicht werden.                                            Neuerung trat am 12.02.2021 in Kraft und empfiehlt
                                           Totimpfstoffe gelten als sicher für die Schwangere        u. a. ein Screening auf eine Hepatitis-B- (HBV) und
                                           und den Fetus. Daher stellt die Schwangerschaft           eine Hepatitis-C-Virusinfektion (HCV). Die Suche
                                           keine Kontraindikation für die Gabe von Totimpf-          nach Risikofaktoren wird nun also um die Suche
                                           stoffen dar (z. B. gegen Influenza, Tetanus, Diph­        nach spezifischen Erkrankungen ergänzt und kann
                                           therie, Pertussis, Hepatitis A und B). Im ersten Drit-    seit Oktober 2021 durchgeführt und zu Lasten der
                                           tel der Schwangerschaft sollten nur dringend in­          gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) abgerech-
                                           dizierte Impfungen durchgeführt werden, um zu             net werden.
                                           vermeiden, dass die in der Frühschwangerschaft            Das Screening auf eine Hepatitis-B- und eine Hepa-
                                                                                                     titis-C-Virusinfektion ist wichtig, da diese unerkannt
                                                                                                     zu massiven Organschäden führen können. Im
                                                                                                     äußersten Fall kann eine Lebertransplanta­tion not-
                                            Abb. 3 Empfohlenes Impfschema bei positivem
                                                                                                     wendig werden. Gleichzeitig sind beide Infektionen
                                            HBV/HCV-Befund
                                                                                                     zuverlässig diagnostizierbar und therapierbar [13].
                                           HBV positiv                                 HCV positiv   Auf internationaler Ebene soll das standardisierte
                                                                                                     Screening helfen, das Ziel der Weltgesundheitsorga-
                                                            Bei positivem Befund:                    nisation (WHO) zu erreichen: Die Elimination der
                                                         Impfung wegen medizinischer
                        © L. Sanftenberg

                                                                                                     beiden Virusstämme weltweit bis 2030 [14].
                                                              Indikation gegen
                                                                                                     Abhängig vom jeweiligen Screeningergebnis kann
                                              HAV                                      HAV und HBV   eine Hepatitis-Impfung gegen den jeweils anderen

38     MMW Fortschr Med. 2022; 164 (8)
FORTBILDUNG -- SCHWERPUNKT

                                                                                                              Patienten ohne passenden Immunschutz identifiziert
 Abb. 4 Modell der partizipativen Entscheidungsfindung
                                                                                                              werden.
                                                                                                              Die ausreichende Immunisierung der Patienten ist
                                                                                                              ohne Zweifel eine der wertvollsten Präventionsmaß-
                                  Partizipative                                                               nahmen. Wichtig ist, die Patienten schon bei der Ter-
                             Entscheidungsfindung                                                             minvergabe an das Mitbringen des Impfpasses zu
                                                                                                              erinnern. Viel zu häufig wird dieser zu Hause ver-
                                                       Medizinisches                                          gessen, sodass eine vollumfängliche Impfberatung
              Patient                                                                                         sowie -dokumentation unnötig erschwert werden.
                                                       Fachpersonal
                                 Dialogbasierter
                                  Informations-                                                               Vorgehen bei fehlender Impfdokumentation
                                    austausch                                                                 Ist der Impfausweis nicht auffindbar, sollte versucht
                                 Dialogbasiertes                                                              werden, die Informationen zu früher durchgeführ-
                                  Abwägen von                                                                 ten Impfungen aus ärztlichen Unterlagen zu ermit-
                                    Optionen                                                                  teln. Ggf. kann auf Basis der dokumentierten Impf­
                                                                                                              anamnese ein neuer Impfausweis ausgestellt werden.
    Subjektive Bedürfnisse       Entscheidungs-      Klinische Kompetenz und                                  Bei unbekanntem Impfstatus, d. h. bei fehlender oder

                                                                                  Modifiziert nach [19, 21]
       und Präferenzen              findung          evidenzbasiertes Wissen                                  unvollständiger Dokumentation von Impfungen, ist
                                                                                                              im Interesse der zu schützenden Person von fehlen-
                                 Partnerschaft                                                                den Impfungen auszugehen. Anamnestische Anga-
                                                                                                              ben zu bisherigen Impfungen oder durchgemachten
                                                                                                              Krankheiten sind mit Ausnahme von Varizellen oft
                                                                                                              unzuverlässig und sollten bei der Planung von Nach-
                        Virusstamm bei den Betroffenen sowie engen Kon-                                       holimpfungen nicht berücksichtigt werden. In Ein-
                        taktpersonen indiziert sein (Abb. 1). Es gilt also: Ein                               zelfällen ist ein hiervon abweichendes Vorgehen ver-
                        positiver HBV-Nachweis sollte zu einer Impfung                                        tretbar [2].
                        gegen Hepatitis A bei den Betroffenen und engen
                        Kontaktpersonen führen, ein positiver HCV-Nach-                                       Wann sind Antikörperbestimmungen indiziert?
                        weis zu einer Impfung gegen Hepatitis A & B (ggf.                                     Serologische Kontrollen zur Klärung der Notwen-
                        Kombipräparate einsetzen). Gegen Hepatitis C und                                      digkeit von Nachholimpfungen sind nur in Ausnah-
                        andere Formen der Virushepatitis steht kein Impf-                                     mefällen sinnvoll, da die in klinischen Laboratorien
                        stoff zur Verfügung (Abb. 3).                                                         verwendeten Testmethoden häufig keine ausreichen-
                        Weiterhin haben seit 2021 alle gesetzlich Versicher-                                  de Sensitivität und Spezifität aufweisen. Für manche
                        ten zwischen dem vollendeten 18. und dem vollen-                                      impfpräventablen Krankheiten (z. B. Pertussis) exis-
                        deten 35. Lebensjahr einen Anspruch auf eine ein-                                     tiert kein sicheres serologisches Korrelat, das als Sur-
                        malige GU. Für Versicherte ab 35 Jahren wurde das                                     rogatmarker für Immunität geeignet wäre. Ferner
                        Untersuchungsintervall von 2 auf 3 Jahre verlängert.                                  lässt die Antikörperkonzentration keinen Rück-
Die Etablierung         Darüber hinaus wurden inhaltliche Erweiterungen,                                      schluss auf eine möglicherweise bestehende zellu­läre
von                     u. a. die Impfanamnese, beschlossen [3]. Fehlende                                     Immunität zu. Grundsätzlich gilt, dass routine­
Recall-                 Impfungen sollen möglichst vollständig nach den                                       mäßige Antikörperbestimmungen vor oder nach
Systemen in             aktuellen Empfehlungen der STIKO nachgeholt wer-                                      Standardimpfungen nicht angebracht sind [2]. Aus-
der ärztlichen          den [2]. Dabei gehört die Impfung gegen Hepatitis A                                   nahmen bilden die Überprüfung des Impferfolges
Praxis führt            nicht zu den Standardimpfungen, ist also eine reine                                   bei Personen mit Immundefizienz [16] sowie zum
nachweislich            Indikationsimpfung.                                                                   Nachweis des Schutzes gegen Hepatitis B bei Perso-
zur Steigerung          Die Impfung gegen Hepatitis B wird seit 1995 für alle                                 nen mit einer Impfindikation [2].
von                     Säuglinge, Kinder und Jugendliche als Kombina­
Impfquoten.             tionsimpfung empfohlen. Seit Einführung der                                           Impfmanagement und Impfkommunikation
                        6-fach-Impfstoffe im Jahr 2000, die auch Hepatitis B                                  in der täglichen Praxis
                        abdecken und seit 2020 nach STIKO-Empfehlung in                                       Da es vielen Patienten schwerfällt, den Überblick
                        einem reduzierten 2+1-Schema verimpft werden sol-                                     über nötige Impfungen zu behalten und selbst­
                        len, wird diese Option stärker wahrgenommen [15].                                     ständig Termine zu vereinbaren, ist es sinnvoll, ein
                        Es ist davon auszugehen, dass die meisten der heute                                   (digitales) Impfmanagementsystem in der ärzt­lichen
                        20-Jährigen (und jüngere Menschen) eine Impfung                                       Praxis zu implementieren. Mit Hilfe von Erin­
                        gegen Hepatitis B erhalten haben. Da das Screening                                    nerungsschreiben, Anrufen oder Kurznachrichten
                        im Rahmen der GU aber erst ab einem Alter von 35                                      werden Patienten an fällige Impfungen erinnert. Sol-
                        Jahren vorgesehen ist, werden hierbei noch einige                                     che Recall-Systeme lassen sich mit Hilfe der ver-

                                                                                                                                    MMW Fortschr Med. 2022; 164 (8)   39
FORTBILDUNG -- SCHWERPUNKT

                                                                                               schiedenen Arztsoftware-Systeme leicht etablieren
                                                                                               [17]. Sie führen nachweislich zu einer Steigerung von
                                                                                               Impfquoten, gerade auch bei vulnerablen Patienten
                                                                                               wie chronisch Kranken [18].

                                                                                               Partizipative Entscheidungsfindung
                                                                                               Neben dieser technischen Unterstützung ist es aber
                                                                                               auch besonders wichtig, Patienten partizipativ in die
                                                                                               Entscheidungsfindung mit einzubeziehen. Es konn-
                                                                                               te gezeigt werden, dass Impfquoten bei Erwachsenen
                                                                                               in der ambulanten Versorgung (z. B. gegen Influen-
                                                                                               za und Pneumokokken) am effektivsten erhöht wer-
                                                                                               den konnten, wenn ein nicht-ärztlicher Praxismitar-
                                                                 Impfberatung:                 beiter die Patientenaktivierung (z. B. in Form von Er-
                                                                 Werden Patienten in
                                                                 die Entscheidungs-            innerungen bei der Terminvereinbarung) übernahm
                                                                 findung partizipativ          und erste Fragen zu anstehenden Impfungen beant-
                                                                 mit einbezogen,               wortete. Die finale Entscheidung über die an­stehende
                                                                 erhöht dies die Impf-
                                                                 bereitschaft.                 Impfung sollte aber zwischen Arzt und Patient ge-
                                                                                               troffen werden. [19]
                                                                                               Studien, in welchen alle Schritte der partizipativen
                                                                                               Entscheidungsfindung (Patientenaktivierung, dialog­
                                                                                               basierter Informationsaustausch, verantwortungs-
                                                                                               bewusste Entscheidungsfindung) ausschließlich
                                                                                               durch den Arzt erfolgten, waren weniger effektiv [19,
                                                                                               20]. Dieser Ansatz fußt auf der Vorstellung einer
                                                                                               partnerschaftlichen Beziehung zwischen Pa­tient und
                                                                                               Praxismitarbeitern [21] (Abb. 4).
                                                                                               Insgesamt bieten sich also zahlreiche Möglichkeiten
                                                                                               in der täglichen Praxis, das Impfangebot für ver-
                                                                                               schiedene Patienten in unterschiedlichen Lebens-
                                                                                               phasen zu optimieren. Dabei ist der Abbau prakti-
                                                                 Literatur                     scher Barrieren ein wichtiger Schritt, die zuverläs­sige
                                                                 als Zusatz­material unter     Erinnerung an ausstehende Impfungen und eine ver-
                                                                 springermedizin.de/mmw
                                                                                               trauensvolle Gesprächsführung weitere Bausteine.
                                                                 Title:
                                                                 Vaccination without COVID -   So können Patienten gemeinsam mit Praxismitar-
                                                                 recommendations from the      beitern und Ärzten eine verantwortungsbewusste
                                                                 STIKO                         Impfentscheidungen treffen.                           ■
                                                                 Keywords:
                                                                 Adolescents, pregnant         Autorin:
                                                                 women, health examination,    Dr. rer. nat. Linda Sanftenberg
                                                                 shared decision making        Institut für Allgemeinmedizin
                                                                                               LMU Klinikum, Campus Innenstadt
                                                                                               Pettenkoferstraße 8a (Post: 10), D-80336 München,
                                                                                               linda.sanftenberg@med.uni-muenchen.de

                                                                                               FAZIT FÜR DIE PRAXIS
                                                                                               1. Der Impfstatus bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen
© MCG (Medical Consulting Group) (Symbolbild mit Fotomodellen)

                                                                                                  sollten v. a. vor Beginn des ersten Sexualkontakts bzw. vor
                                                                                                  Beginn einer möglichen Schwangerschaft regelmäßig über-
                                                                                                  prüft und ggf. komplettiert werden.
                                                                 INTERESSEN­                   2. Vorsorgeuntersuchungen wie z. B. die Gesundheitsunter­
                                                                 KONFLIKT                         suchung (GU) bei Erwachsenen schaffen hierfür einen ge-
                                                                 Es bestehen keinerlei            eigneten Rahmen.
                                                                 Interessenkonflikte.
                                                                                               3. Neben digitalen Impfmanagementsystemen ist v. a. eine
                                                                                                  vertrauensvolle und partizipative Gesprächsführung eine
                                                                                                  wichtige Grundlage, um Impflücken zu schließen.

                                                                                                                              MMW Fortschr Med. 2022; 164 (8)   41
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