NEUE THERAPIEN BEI PÄDIATRISCHEN EPILEPSIEN
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Fortbildung NEUE THERAPIEN BEI PÄDIATRISCHEN EPILEPSIEN Judith Kröll, Alexandre N. Datta Einleitung Das Ziel jeder antiepileptischen oder anfallsprä- Trotz der Entwicklung zahlreicher neuer Medikamente ventiven Behandlung ist in erster Linie, weitere An- in den letzten Jahrzehnten hat sich die Zahl der Pati- fälle zu verhindern. Zusätzlich zu einer anfallspräven- enten mit pharmakorefraktären Epilepsien kaum ver- tiven Wirkung möchte man auch eine frühe sog. ändert. Das zunehmend bessere Verständnis der Ätio- antiepileptogene Wirkung erzielen, um eine Chronifi- logie von Epilepsien, einschließlich genetischer und zierung der Epilepsie zu verhindern. Obwohl dieser Ef- struktureller Ursachen, ermöglicht es, bei einigen Pa- fekt für einige AED (antiepileptic drugs) im Tiermodell tienten spezifische molekulare Targets für Therapien nachgewiesen wurde, konnte dies beim Menschen bis- zu identifizieren, die über die Anfallshemmung hin- her nicht repliziert werden. Neuroprotektion ist ein Judith Kröll ausgehen und die Behandlung der Ursache der Epi- weiterer Effekt, den AED haben sollten, um einen ne- lepsie ermöglichen. Die grösste Herausforderung wird gativen Einfluss von wiederholten Anfällen oder kon- es weiterhin sein, die Ursachen der Epilepsie frühzei- tinuierlicher epileptischer Aktivität auf die Entwick- https://doi.org/ tig zu identifizieren und so dem Patienten die beste lung und Kognition zu verhindern. Der Nachweis die- 10.35190/d2021.3.3 Therapieoption zu ermöglichen. ses Therapieziels bleibt von vielen Confoundern abhängig und ist daher schwierig. Die Rationale für die Auswahl von Antiepileptika (AED) im Kindes- und Jugendalter sollte in Abhängig- Die Auswahl der besten bzw. möglichst massge- keit von deren Wirkmechanismen (Abbildung 1) so in- schneiderten Therapie kann auf 3 Stufen erfolgen: dividuell wie möglich gestaltet werden. Dabei werden sowohl altersspezifische Aspekte der Pharmakokine- • Anfallsspezifische Therapie (Auswahl des AED tik und -dynamik als auch anfallsspezifische, ggf. Epi- empirisch nach Anfallstyp, fokal, generalisiert lepsiesyndrom spezifische Überlegungen berücksich- oder unbekannt) tigt, im Idealfall auch Überlegungen zur molekularge- netischen und damit funktionellen Ursache der • Epilepsiesyndrom-spezifische Therapie Epilepsie auf Zellebene. Letzteres öffnet Perspektiven für eine individualisierte Therapie, die neben den An- • Genspezifische Therapie (individualisiert bzw. fällen z.B. auch eine assoziierte Entwicklungsstörung personalisierter Therapiezugang) positiv beeinflussen kann. INHIBITORY NEUROTRANSMITTER SYSTEM and antiepileptic drugs Synaptic vesicle GABA Succinic Semialdehyde GABA Tiagabine Neurotransmitter Reuptake GABA transaminase GABA pump (GABA transporter) Vigabatrin Valproate (+other modes of action) Barbiturate Benzodiazepine, Topiramated (+ other modes of action) GABA receptor Korrespondenz: judith.kroell@glkn.de Vol. 32 | 3-2021 7
Fortbildung EXCITATORY NEUROTRANSMITTER SYSTEM and antiepileptic drugs Carbamazepine/Oxcarbazapine High voltage CA Phenytoin channel Lamotrigine Topiramate (+ other modes Phenytoin Voltage Voltage of action) Lacosamide (slow gated Na Gated Ca Zonisaminde inactivation of voltage channel channel alpha2delta gated Na channel) (L-type) subunit: Valproate (+ other modes of action) Pregabalin Gabapentin Synaptic vesicle Synaptic vesicle protein 2A Glutamate Glutamate Levetiracetam Glutamate Brivaracetam K+ K+ Topiramate Perampanel K+ (+ other modes of action) Ca ++, Na + Ca ++, Na + Ca ++, Na + NMDA receptor AMPA receptor Kainate receptor Abbildung 1: Mögliche Wirkmechanismen antiepileptischer/anfallspräventiver Medikamente 15) A) Neue Epilepsiesyndrom-spezifische beachten, insbesondere kann der aktive Metabolit des Therapien Benzodiazepins Clobazam um bis zu 50% ansteigen, 2020 bzw. 2021 wurden zwei sog. Orphan Drugs zur so dass die Dosis für eine Sedierung reduziert werden Behandlung von seltenen pädiatrischen Epilepsiesyn- muss. dromen in der Schweiz und/oder der EU zugelassen: In einer doppelblinden Placebo-kontrollierten Stu- 1. Cannabidiol die, die 120 Kinder, Jugendliche und junge Erwach- Ein anfallspräventiver Effekt des nicht-psychoaktiven sene (Durchschnittsalter 9.8 Jahre, Range 2.3 bis 18.4 Cannabinoids Cannabidiol (CBD) wird bereits seit vie- Jahre) mit DS eingeschlossen hat, zeigten in der CBD- len Jahrzehnten beschrieben. Tierexperimentell konn- Gruppe 43% eine mindestens 50%-ige Reduktion kon- ten zwischenzeitlich verschiedene molekulare Targets vulsiver Anfälle vs. 27% in der Placebo-Gruppe, 3% identifiziert werden, über die CBD die neuronale Hy- wurden anfallsfrei. Unter Berücksichtigung der Grun- perexzitabilität beeinflusst. Ein möglicher anfallsprä- derkrankung, ist dieses Ergebnis für die Betroffenen ventiver Effekt der Substanz beruht u.a. darauf, dass als positiv zu werten. Die häufigsten Nebenwirkungen der erregende Neurotransmitter Glutamat synaptisch waren Müdigkeit und Durchfall 3). weniger ausgeschüttet wird (Antagonismus an einem G protein-gekoppelten-Rezeptor) 1). Das Dravet-Syndrom (DS) ist ein seltenes Nach Durchführung von mehreren doppelblinden pädiatrisches Epilepsiesyndrom, das 1/15.700 und Placebo-kontrollierten Studien (RCTs) ist das bis 1/40.000 Kinder betrifft4). Beim klassischen Cannabidiol-Monopräparat Epidyolex® seit dem DS treten die ersten Anfälle typischerweise 10.2.2021 als Zusatztherapie bei epileptischen An- zwischen dem 4. und 8. Lebensmonat auf. fällen bei Patienten mit Lennox-Gastaut-Syndrom Sie sind klonisch, generalisiert oder unilateral (LGS) oder dem Dravet-Syndrom (DS) ab dem Alter und es besteht ein hohes Risiko für prolon- von 2 Jahren in der Schweiz zugelassen und seit Au- gierte Anfälle oder Status epilepticus. gust 2021 erhältlich. Beide Epilepsiesyndrome sind Die Anfälle werden oft durch (leichtes) Fieber sehr selten und die Anfälle sind bei den meisten Be- ausgelöst. Im Alter von 2 bis 5 Jahren können troffenen pharmakorefraktär. myoklonische Anfälle, (atypische) Absencen und fokale Anfälle auftreten. Gleichzeitig Das Präparat ist eine ölige Lösung (100 mg/ml). verschlechtern sich die motorischen Funktionen CBD ist lipophil und zeigt bei oraler Einnahme einen und eine kognitive Einschränkung wird deutlich. hohen first-pass-Metabolismus in der Leber mit einer Bioverfügbarkeit von ca. 6%. Es interagiert mit meh- De novo-Mutationen im SCN1A-Gen werden bei reren Cytochrom P450-Enzymen (CYP) und hat eine 75-85% der Patienten mit DS nachgewiesen. Halbwertszeit von 18-32 Stunden 2). Die Interaktion mit CYP-Enzymen ist bei Kombinationstherapien zu 8 Vol. 32 | 3-2021
Fortbildung langfristige Behandlungsoption für diese Patienten- gruppen darstellt. Die mediane Behandlungsdauer be- Das SCN1A-Gen kodiert die α-Untereinheit des trug 78,3 (Range 4,1-146,4) Wochen. Zwischen Woche wichtigsten spannungsabhängigen Typ-I-Natri- 12 und 96 lag die mediane add-on CBD-Dosis zwischen umkanals (NaV1.1) im Gehirn, der spezifisch in 21 und 25 mg/kg/Tag. Nach 12 Wochen reduzierte GABA-ergen, inhibitorischen Interneuronen diese add-on Gabe von CBD die monatlichen motori- lokalisiert ist Krampfanfälle bei DS sind refrak- schen Anfälle im Median um 50 % und die Gesamt- tär gegenüber konventionellen Antikonvulsiva. zahl der Anfälle um 44 %, wobei die Anfallsreduktion Die Behandlung des DS kann daher lediglich über 96 Wochen hinweg konstant blieb. 20% der LGS/ auf die Reduktion der Anfallslast abzielen, DS-Patienten setzen CBD wieder ab hauptsächlich we- insbesondere von prolongierten Anfällen und gen mangelnder Wirksamkeit. 5, 6, 8) Status epilepticus, auf die Vermeidung negati- ver Nebenwirkungen der antikonvulsiven 2. Fenfluramin («Über»-) Behandlung, die Verringerung des Fenfluramin ist ein Wirkstoff aus der Gruppe der SUDEP (plötzlicher Tod bei Epilepsie) -Risikos Amphetamine, der die Ausschüttung des Neurotrans- und die Verbesserung der Komorbiditäten. mitters Serotonin erhöht. Ursprünglich wurde Fenflu- ramin als Appetitzügler eingesetzt. Wegen schwerwie- gender kardiovaskulärer Nebenwirkungen (pulmonale Bei Patienten mit LGS konnte in zwei randomisier- arterielle Hypertonie, Verdickung der Herzklappen) ten und kontrollierten Studien mit add-on CBD (10 und wurde die Substanz 1997 vom Markt genommen. Wäh- 20 mg/kg/d während 14 Wochen im Vergleich mit Pla- rend der Zeit der Zulassung als Appetitzügler wurde cebo) gezeigt werden, dass sich die Zahl der Sturzan- bei Epilepsie-Patienten die antiepileptische Wirkung fälle (tonisch, atonisch oder unbekannt) reduzierte. beobachtet. Die mittlere prozentuale Reduktion der Anfallshäufig- keit während des Behandlungszeitraums betrug 41,9 Das Medikament Fintepla® enthält eine orale Fen- % in der 20-mg-CBD-Gruppe, 37,2 % in der 10-mg- fluramin-Lösung (2,2 mg/ml). Das Medikament wurde CBD-Gruppe und 17,2 % in der Placebo-Gruppe am 18.12.2020 als sog. Orphan Drug zur Behandlung (p=0,005 für die 20-mg-Cannabidiol-Gruppe) 5, 6). des Dravet-Syndroms als add-on Therapie ab dem Al- ter von 2 Jahren in der EU zugelassen. Das Lennox-Gastaut-Syndrom (LGS) ist eine In zwei RCTs konnte gezeigt werden, dass Fenflu- der schwersten epileptischen und entwick- ramin die Häufigkeit von Anfällen bei Kindern und jun- lungsbedingten Enzephalopathien. Es macht gen Erwachsenen mit Dravet-Syndrom, die mindes- 1-10% aller Epilepsien im Kindesalter aus. Es tens ein anderes Epilepsie-Medikament einnehmen, gibt mehrere gleichzeitig auftretende Anfallsty- verringert. Bei insgesamt 206 Patienten mit Dra- pen einschließlich plötzlicher Sturzanfälle vet-Syndrom (Studie 1 mit 119 Patienten und Studie 2 (kurze tonische oder atonische Anfälle) mit mit 87 Patienten) wurde als Hauptindikator für die hohem Verletzungsrisiko, atypische Absencen, Wirksamkeit die Änderung der monatlichen Anzahl die in einen nicht konvulsiven Status epilepticus von Anfällen beurteilt. In der ersten Studie reduzierte übergehen können, und andere Anfallstypen, sich in der Gruppe mit einer täglichen Fenfluramin-Do- die fokal, generalisiert, tonisch-klonisch oder sierung von 0,7 mg/kg die mittlere monatliche An- einseitig klonisch sind. Der vorherrschende fallshäufigkeit der Baseline-Phase in der Erhaltungs- Anfallstyp kann sich im Laufe der Zeit ändern. phase signifikant um 62,3% (95%-CI [47,7-72,8]; Das LGS ist immer mit einem kognitiven Abbau, p
Fortbildung sige echokardiographische Untersuchungen vorge- involviert sind (MTOR, PIK3CA, TSC1, TSC2 und PTEN schrieben. Die Dosierung des Antikonvulsivums ist Gene sowie die GATOR1-Komplex-Gene DEPDC5, deutlich niedriger verglichen mit dem Einsatz als Ap- NPRL2 und NPRL3). petitzügler. In den oben aufgeführten Studien wurden keine kardiologischen Nebenwirkungen beobachtet. Bei therapierefraktären Anfällen bei TSC ist eine ätiologiebasierte Therapie bereits möglich. In der mul- B) Individualisierte molekulare tizentrischen EXIST 3 Studie konnte gezeigt werden, und Genspezifische Therapien dass die adjuvante Gabe des mTOR -Inhibitors Evero- Individualisierte molekulare und genspezifische limus bei pädiatrischen TSC-Patienten mit therapie- Therapien ermöglichen eine personalisierte Medizin. refraktären Anfällen zu einer anhaltenden Reduktion Mit der Identifikation von sog. Epilepsiegenen in den der Anfallshäufigkeit nach 1 Jahr führte und gut ver- letzten Jahrzenten konnten zunehmend die moleku- träglich war 13, 14). laren Mechanismen entschlüsselt werden, die dem kli- nischen Erscheinungsbild zugrunde liegen. So verbes- Normalisierung der Leitfähigkeit serte sich nicht nur das Verständnis dieser Epilepsien, von Ionenkanälen sondern es werden auch zielgerichtete Therapien Bei den Epilepsien, die zu der Gruppe sog. Ionenka- möglich. nalerkrankungen gehören, d.h. vor allem Natrium- und Kaliumkanalopathien, gibt es sowohl selbstlimitie- Drei Arten von zielgerichteten Therapien können rende Epilepsien als auch epileptische Enzephalopa- in der Behandlung von Epilepsien unterschieden wer- thien mit katastrophalen Verläufen. den: erstens Substitutionstherapien, zweitens Thera- pien, die Signalwege blockieren, und drittens Thera- Spannungsabhängige Natriumkanäle vermitteln pien, die die Leitfähigkeit von Ionenkanälen normali- die Entstehung und Propagation von Aktionspotenti- sieren 11). alen. Viele konventionelle Antikonvulsiva antagonisie- ren diese Funktion. Von Mutationen, die eine Epilep- Substitutionstherapien spielen bei den metabo- sie verursachen, sind in absteigender Häufigkeit die lischen Epilepsien und Enzephalopathien eine Rolle. Natriumkanalgene SCN1A, SCN2A und SCN8A betrof- Beispiele sind der Einsatz der ketogenen Diät bei dem fen Die Aktivierung von Kaliumkanälen reduziert die sog. Glukose-Transporter-Defekt-Typ 1 oder die Be- neuronale Erregbarkeit, so dass die Kaliumkanal-as- handlung der Pyridoxin und Pyridoxal-phosphat-ab- soziierten Epilepsien meist mit loss-of-function-Muta- hängigen Epilepsien (weitere Erkrankungen s. auch tionen assoziiert sind (s. Tabelle 1). Tabelle). Die frühe Diagnose und gezielte Substituti- onsbehandlung ist mehr als nur eine Anfallsbehand- Exemplarisch werden nachfolgend SCN1A- und SC- lung, sondern sie soll auch die Entwicklungsprognose N2A-assoziierte Epilepsien vorgestellt. Heterozygote der betroffenen Kinder verbessern. loss-of-function Mutationen im SCN1A-Gen finden sich beim sog. klassischen Dravet-Syndrom (s. oben). Es Für die spät-infantile neuronale Zeroidlipofuszi- kommt zu einem Ungleichgewicht zwischen Inhibition nose Typ 2 (CLN2, Beginn mit 2-4 Jahren, Mutation und Exzitation, was zu einer erhöhten Anfallsbereit- im TPP1 Gen), einer lysosomalen Erkrankung, die auch schaft führt. Da die loss-of-function Mutation vorwie- als kindliche Demenz bezeichnet wird und die typi- gend die inhibitorischen Interneurone betrifft, kann scherweise im Kleinkindalter mit Anfällen beginnt und man es sich gut vorstellen, dass die Gabe typischer mit einer raschen kognitiven und motorischen Ent- Natriumkanalblocker wie Carbamazepin, Oxcarbazepin wicklungsregression einhergeht, wurde eine Enzymer- oder Phenytoin die Anfallskontrolle verschlechtert. satztherapie entwickelt. Cerliponase Alpha (Bri- neura®), ein rekombinantes Proenzym der menschli- Das SCN2A-Gen kodiert ebenfalls für einen span- chen Tripeptidyltranferase 1 wird als intraventrikuläre nungsabhängigen Natriumkanal. SCN2A-assoziierte Infusion alle 2 Wochen appliziert. Bei 23 behandelten Erkrankungen kann man in 3 Gruppen unterteilen: Kindern im Alter von 3-16 Jahren konnte gezeigt wer- den, dass durch die Behandlung die Verschlechterung 1) Frühkindliche epileptische Enzephalopathie (mit ei- der motorischen und Sprachfunktionen verlangsamt nem Auftreten der ersten Anfälle meist bereits in- wird im Vergleich mit historischen Kontrollen. Die Be- nerhalb der ersten 3 Lebensmonate gefolgt von ei- handlung ist spezialisierten Kliniken vorbehalten 12). ner schweren Entwicklungsstörung. Beispiel für die Blockade eines Signalwegs ist 2) Benigne/selbstlimitierende (familiäre) neonatale der Einsatz von Everolimus zur Blockade des sog. oder infantile Anfälle, charakterisiert durch Auftre- mTOR-Pathway. ten von Anfällen im Neonatalalter oder vor dem 12. Lebensmonat, die Epilepsie verläuft bis zum Alter Der mTOR-Pathway spielt u.a. eine Schlüsselfunk- von 2 Jahren selbstlimitierend ohne erkennbare tion in der Hirnentwicklung. Seine Hyperexpression Langzeitfolgen. führt zu Störungen der Entwicklung des zerebralen Kortex bei Tuberöse Sklerose Komplex (TSC), aber 3) Autismus-Spektrum-Störung/intellektuelle Behin- auch bei fokalen kortikalen Dysplasien oder der He- derung (ASD/ID) mit oder ohne Epilepsie. Die ear- mimegalenzephalie. Mittlerweile sind zahlreiche Muta- ly-onset-Gruppe kann von dem Einsatz von Natri- tionen in Genen identifiziert, die in diesem Signalweg umkanalblockern profitieren. Es gibt Hinweise, dass 10 Vol. 32 | 3-2021
Fortbildung Epilepsiesyndrom Gen Treatment Veränderungen in Natriumkanälen Vermeide Natriumkanalblocker: Dravet Syndrome, GEFS+ SCN1A CBZ, OXC, PHT, LTG BFNE, BFNIE SCN2A CBZ, OXC, PHT, (LTG) BFNE, BFNIE SCN8A CBZ, OXC, PHT, (LTG) Veränderungen in Kaliumkanälen BFNE KCNQ2 CBZ, OXC, PHT, (LTG) BFNE KCNQ3 CBZ, OXC, PHT, (LTG) BFNIE PRTT2 CBZ, OXC, PHT, (LTG) Veränderungen in Natriumkanälen DEE, Epilepsy in infancy with migrating focal s. SCN2A CBZ, OXC, PHT, LTG DEE, Epilepsy in infancy with migrating focal s. SCN8A CBZ, OXC, PHT, LTG Veränderungen in Kaliumkanälen DEE KCNQ2, KCNQ3 CBZ, OXC, PHT, LTG; Retigabin (LoF) DEE, Epilepsy in infancy with migrating focal s. KCNT1 Quinidin (GoF), Brom DEE, Epilepsy in infancy with migrating focal s. KCNT2 Quinidin (GoF), Brom Idiopathisch generalisierte Epilepsie, Veränderungen in Kalziumkanälen DEE, West-Syndrom CACNA1A ETX, LTG (GoF) GEFS+, DEE HCN1 LoF LTG, GBP GEFS+, DEE HCN1 GoF Ketamin, Propofol VPA-assoziiertes Leberversagen POLG1 kein Valproat Carbamazepin und Steven Johnson Syndrom HLAB*1502 kein Carbamazepin /Oxcarbazepin Glucose-Transporter 1 Defizienz SLC2A1 ketogene Diät (KD) Pyridoxin-abhängige Epilepsie ALDH7A1, ALDH7A Pyridoxin Pyridoxal-5 Phospate abhängige Epilepsie PNPO Pyridoxal-5 Phosphat Folinsäure-responsive Anfälle FOLR1 Folinsäure Cerebrales Kreatin Defizienz-Syndrom 1 SLC6A8 Kreatin + L-Arginine and L-Glyzin Cerebrales Kreatin Defizienz-Syndrom 2 GAMT Kreatin Cerebrales Kreatin Defizienz-Syndrom 3 AGAT Kreatin CAD Defizienz, Pyrimidin-Synthese-Defizienz CAD Uridin-Monophosphat Molybdän-Kofaktor Mangel (MOCOD) MOCS1 Cyclic pyranopterin monophosphate Spätinfantile Zeroidlipofuszinose CLN2 TPP1 Cerliponase Alpha Familiäre fokale Epilepsie mit variablen Foci, DEPDC5, GATOR1 Rapamycin und Rapamycin-Derivate familiäre mesiale Temporallappenepilepsie, Komplex-Untereinheit (z.B. Everolimus, Sirolimus, West Syndrom Temsirolimus, Ridaforolimus Familiäre fokale Epilepsie mit variablen Foci NPRL2 and 3, GATOR1 Rapamycin und Rapamycin-Derivate Komplex-Untereinheit Tuberöse Sklerose Komplex, TSC1, TSC2 Rapamycin und Rapamycin- fokale kortikale Dysplasie Derivate, VGB, KD GEFS+: Generalized epilepsy with febrile seizures + BFNE: self-limiting (benign) neonatal epilepsy BFNIE: self-limiting (benign) neonatal infantile epilepsy DEE: Developmental and epileptic encephalopathy LoF: Loss of function Mutation GoF: Gain of function Mutation CBZ = Carbamazepin, ETX = Ethosuximid, GBP = Gabapentin, LTG = Lamotrigin, OXC = Oxcarbazepin, PHT = Phenytoin, VPA = Valproat, VGB = Vigabatrin Tabelle 1: Gen-spezifische Therapien bei Epilepsien 15) es sich hierbei um gain-of-function-Mutationen Ausblick handelt. Bei den später auftretenden Epilepsien Neue Substanzen wie Eslicarbazepin 16) und Cenoba- (Gruppe 3) handelt es sich eher um loss-of functi- mate 17) werden in Zukunft auch bei Kindern durch on-Mutationen, so dass AED wie Levetiracetam, erweiterte Wirkmechanismen die Verträglichkeit Benzodiazepine und Valproat zu bevorzugen sind, verbessern, resp. auch therapeutische Optionen ver- die keine Natriumkanalblockade bewirken. grössern. Vol. 32 | 3-2021 11
Fortbildung Für monogenetische Epilepsien werden im Tier- modell sog. antisense oligonucleotide (ASO)-Thera- pien getestet. Bei SCN1A-loss-of-function, SC- N8A-gain-of-function oder KCNT1-gain of functi- on-Mutationen gibt es erste positive Ergebnisse aus Mausmodellen. Diese neuen Therapien zielen darauf ab, die Ionenkanalfunktion wiederherzustellen, so dass nicht nur die Anfälle besser kontrolliert, sondern auch die Komorbiditäten wie z.B. die kognitive Ent- wicklungsstörung, positiv beeinflusst werden. Weiter gibt es auch erste ermutigende Ansätze für Genthe- rapien mittels Vektoren in einem Mausmodell mit Dra- vet-Syndrom 18), Angelman Syndrom 19) und anderen genetischen Epilepsien. Zusammengefasst ist die Identifizierung der Ur- sache und damit der zugrundeliegenden Funktions- störungen der Epilepsien nicht nur entscheidend für Diagnose und Prognose, sondern auch die Vorausset- zung für einen möglichst individualisierten Thera- pieansatz. Für das Literaturverzeichnis verweisen wir auf unsere Online Version des Artikels. Autoren Dr. med. Judith Kröll, Sozialpädiatrisches Zentrum Konstanz Dr. med. Alexandre N. Datta, Abteilung Neuro- und Entwicklungspädiatrie, Universitätskinderspital beider Basel (UKBB), Basel und Consultant für die Firmen Neurocrine, Idorsia und Epilog und in Advisory Boards von Eisai und Idorsia Interessenkonflikt: 01-2021 Teilnahme an der online Arbeitskreistagung «Ketogene Ernahrungstherapie» der Fa. Nutricia; Interessenkonflikt: 02-2021 Teilnahme an einem online Advisory Board GWPharmaceuticals. 12 Vol. 32 | 3-2021
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