Neue Klimaszenarien für die Schweiz - Die Volkswirtschaft
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KLIMAWANDEL Neue Klimaszenarien für die Schweiz Die neusten Klimaszenarien für die Schweiz bilden eine Entscheidungsgrundlage für Wirtschaft und Politik. Dabei gilt es die Veränderung auch als Chance zu betrachten. David Bresch, Andreas Fischer, Angela Michiko Hama Abstract Die aktuellsten Schweizer Klimaszenarien erlauben einen de- es heute nur noch etwa halb so viel wie in den taillierten Einblick in die mögliche Zukunft des Klimas und erläutern, wo Siebzigerjahren. und wie der Klimawandel die Schweiz trifft. In Kombination mit sozioöko- Der Klimawandel ist primär vom Men- nomischen Daten liefern die Szenarien eine Entscheidungsgrundlage für schen verursacht. Ein Grossteil der seit Mitte Politik und Wirtschaft. Dank Kenntnis der Klimaentwicklung können ziel- des 19. Jahrhunderts beobachteten Erwärmung gerichtete Massnahmen für die Anpassung an den Klimawandel und den Klimaschutz erarbeitet werden. Für diese gesellschaftlich höchst relevante ist auf den menschengemachten Ausstoss von Herausforderung bedarf es einer engen Kooperation zwischen einer Viel- Treibhausgasen zurückzuführen. Die weite- zahl von Akteuren aus Wirtschaft, Verwaltung, Forschung und Politik. re Entwicklung der Klimaänderung hängt vom künftigen globalen Treibhausgasausstoss ab, welcher wiederum direkt mit den Klimaschutz- K limawandel findet statt. Eine Reihe von In- dikatoren zeigt: Die Jahresdurchschnitts- temperatur der Schweiz ist seit 1864 um rund bemühungen verbunden ist. Für ein Szenario ohne globalen Klimaschutz sagen die Klima- szenarien aus dem Jahr 2011 gegenüber der Re- 2°C angestiegen. Damit ist der Anstieg in der ferenzperiode 1981–2010 einen Temperatur- Schweiz gut doppelt so gross wie derjenige anstieg bis Ende Jahrhundert von etwa 2,5 bis der mittleren globalen Temperatur. Seit rund 5 Grad Celsius voraus. 30 Jahren war kein Jahr in der Schweiz mehr Klar ist: Die Schweiz muss sich auf eine Fort- kühler als der Durchschnittswert der Jahre 1961 setzung der Klimaänderung einstellen. Denn bis 1990 (siehe Abbildung). Eine Folge der Er- selbst bei starken globalen Klimaschutzan- wärmung sind häufigere und intensivere Hitze- strengungen muss die Schweiz mit einer wei- perioden, wie wir sie im Sommer 2018 erlebt ha- teren Erwärmung um 2 Grad Celsius rechnen. ben. Gleichzeitig hat sowohl die Stärke wie auch Um die damit verbundenen Herausforderun- die Häufigkeit von Starkregen in den letzten 100 gen in Umwelt, Wirtschaft und Gesellschaft Jahren deutlich zugenommen. optimal anzugehen, sind bereits heute Mass- Ein weiterer Indikator sind die Alpenglet- nahmen gefragt. Strategien zur Anpassung an scher. Deren Volumen ist seit Mitte des 19. Jahr- den Klimawandel müssen in verschiedensten hunderts um rund 60 Prozent zurückgegangen. Sektoren – wie beispielsweise Landwirtschaft, Ebenso nimmt die Anzahl Schneefalltage ab: Gesundheit, Raumplanung oder Tourismus – Unterhalb von 800 Metern über Meer schneit erarbeitet werden. Das National Centre for Climate Services (NCCS) Das National Centre for Climate leistungen und fördert den Dialog für Umwelt (Bafu), Bundesamt für Be- and Climate Change (Proclim) und die Services (NCCS) ist das Netzwerk des zwischen den beteiligten Akteuren. völkerungsschutz (Babs), Bundesamt Universität Bern. Die Geschäftsstelle Bundes für Klimadienstleistungen. Mit der Lancierung des NCCS Ende für Landwirtschaft (BLW), Bundesamt ist bei Meteo Schweiz angesiedelt. Als nationale Wissensdrehscheibe 2015 folgte der Bund den Empfehlun- für Gesundheit (BAG), Bundesamt für Hauptzielgruppen des NCCS sind die unterstützt es klimakompatible Ent- gen der World Meteorological Organi- Lebensmittelsicherheit und Veteri- nationale bis kommunale Verwaltung scheidungsfindungen, welche zum zation (WMO). Das NCCS ist im Sinne närwesen (BLV) sowie ETH Zürich und und Politik, die Wirtschaft und for- Ziel haben, die Risiken zu minimieren, eines virtuellen Zentrums organisiert Eidgenössische Forschungsanstalt für schungsorientierte Anwender sowie die Chancen zu maximieren und die und besteht derzeit aus acht Verwal- Wald, Schnee und Landschaft (WSL). internationale Akteure im Bereich der Kosten zu optimieren. Das NCCS ko- tungseinheiten des Bundes: Bundes- Weitere Partner sind Agroscope, das Klimadienstleistungen. ordiniert die gemeinsame Entwicklung amt für Meteorologie und Klima- Forschungsinstitut für biologischen und Bereitstellung von Klimadienst- tologie (Meteo Schweiz), Bundesamt Landbau (Fibl), das Forum for Global 16 Die Volkswirtschaft 11 / 2018
FOKUS KEYSTONE Wir müssen uns auf trockene Sommer Der Bundesrat will die Chancen nutzen, die das Mandat des Bundesrats, nationale Klima- einstellen. Lac des sich aufgrund des Klimawandels ergeben. Dies szenarien in regelmässigen Abständen zu er- Brenets im Neuen- ist ein erster zentraler Punkt seiner «Strategie stellen und auf die Bedürfnisse der Nutzer aus- burger Jura Mitte September. zur Anpassung an den Klimawandel» aus dem zurichten. Jahr 2012. Zweitens geht es darum, die Risiken Die aktuellsten Schweizer Klimaszenarien zu minimieren und insbesondere die Bevölke- (CH2018) werden am 13. November 2018 veröf- rung, Sachwerte und natürliche Lebensgrundla- fentlicht. Sie bilden einen Themenschwerpunkt gen zu schützen. Drittens will der Bundesrat die des National Centre for Climate Services (NCCS; Anpassungsfähigkeit von Gesellschaft, Wirt- siehe Kasten). Der Zeitpunkt der Veröffentli- schaft und Umwelt steigern. Die Anpassung chung ist so abgestimmt, dass die Erkenntnisse an den Klimawandel betrifft alle Sektoren und in den zweiten Aktionsplan zur «Strategie An- Staatsebenen – vom Kleinbetrieb bis zum inter- passung an den Klimawandel in der Schweiz» national tätigen Konzern sowie vom Bund bis zu einfliessen. Die Modelle weisen gegenüber den den Gemeinden. bisherigen Szenarien aus dem Jahr 2011 einen höheren räumlichen Detaillierungsgrad auf und Präzisere Klimaszenarien berücksichtigen die Erkenntnisse aus dem fünf- ten Sachstandsbericht des UNO-Weltklimarats Die Basis für mögliche Anpassungsstrategien von 2013. der Schweiz bilden regionale und lokale Klima- Der vergangene Hitzesommer 2018 offenbart szenarien. Seit 2014 hat das Bundesamt für Me- ein recht typisches Bild der erwarteten Zukunft. teorologie und Klimatologie (Meteo Schweiz) Die Klimaszenarien zeigen, dass zusammen mit Die Volkswirtschaft 11 / 2018 17
KLIMAWANDEL der weiteren Temperaturzunahme die Verduns- kunft weiter fortsetzen, wobei das Ausmass tung steigt. Auch ohne Niederschlagsänderung vom künftigen Verlauf der globalen Treibhaus- ist in den nächsten Jahrzehnten entsprechend gasemissionen abhängt. Ohne Gegenmassnah- häufiger mit Sommertrockenheit zu rechnen. men zum Klimaschutz wird Ende des Jahrhun- Dies wird ab 2050 durch die gleichzeitige Ab- derts an tief gelegenen Orten des Mittellandes nahme der Sommerregenmenge weiter akzen- wie beispielsweise dem st.-gallischen Buchs tuiert. Im Sommer 2018 wurden beispielsweise oder in Genf, wenn überhaupt, nur noch eine an der Messstation Locarno-Monti 18 Tropen- Handvoll Tage Schneefall registriert werden. nächte registriert. In solchen Nächten sinkt die Die jüngsten Klimaszenarien liefern eine Temperatur nicht unter 20 Grad Celsius. Nor- Fülle an Daten und Informationen zum zukünf- mal für diese Station sind 8 bis 9 Tropennäch- tigen Klima. Diese wurden benutzergerecht te pro Jahr. Die Anzahl Tropennächte für 2018 aufbereitet und stehen ab Mitte November auf entspricht somit in etwa dem, was wir aufgrund der Website Nccs.ch frei zugänglich zur Verfü- der Klimamodelle für die Zukunft um 2035 ohne gung. Dort finden sich unter anderem Grafiken Klimaschutzmassnahmen erwarten. Um die in Form eines Web-Atlas sowie Zusatzinforma- Mitte des 21. Jahrhunderts dürften in Locarno tionen wie Datensätze. Zudem lassen sich die während mehr als eines Drittels des Sommers Resultate nach Wetterereignissen oder nach Tropennächte vorherrschen – was sich auf das Grossregionen ordnen. Wohlbefinden und die Produktivität auswirkt. Auch die Winter sind vom Klimawandel be- Szenarien als Analysegrundlage troffen. Die Nullgradgrenze hat sich seit den 1960er-Jahren in der Schweiz um etwa 300 bis Die Klimaszenarien stellen den Ausgangspunkt 400 Meter nach oben verschoben. Damit fällt einer ganzen Wertschöpfungskette dar. Sie hel- vermehrt Niederschlag als Regen statt Schnee – fen Behörden, Politik und Wirtschaft, klima- mit entsprechenden Konsequenzen für die Win- kompatible Entscheidungen zu treffen und da- tersportorte. Diese Tendenz wird sich in Zu- mit die gesellschaftliche und wirtschaftliche Sommertemperaturen in der Schweiz (1864–2018): Abweichungen vom Durchschnitt der Jahre 1961–1990 6 Abweichung in °C 5 03 20 4 3 2 1 0 METEOSCHWEIZ / DIE VOLKSWIRTSCHAFT –1 –2 –3 1880 1900 1920 1940 1960 1980 2000 Jahre über dem Durchschnitt 1961–1990 Jahre unter dem Durchschnitt 1960–1990 Linearer Trend 1864–2018 Durchschnitt 1981–2010 Durchschnittstemperaturen der Monate Juni, Juli, August. Informationen zum zukünftigen Verlauf sind ab 13. November unter www.nccs.ch abrufbar. 18 Die Volkswirtschaft 11 / 2018
FOKUS Resilienz zu stärken. Bereits in Arbeit sind eine zern von Klimadienstleistungen nötig. Neben Reihe von Folgeprojekten wie beispielsweise zur den Entscheidungsträgern aus der kommuna- Wasserverfügbarkeit, zum Gletscherschwund len bis nationalen Politik und Verwaltung und oder zu den Folgen für die Land- und Forstwirt- Akteuren aus der Wirtschaft schliesst dies ins- schaft und den Schutz vor Hochwassern. Eben- besondere auch Zwischennutzer wie beispiels- so bilden die Klimaszenarien eine Grundlage im weise Berufs- und Interessenverbände mit ein. Pilotprogramm «Anpassung an den Klimawan- Diese bereiten die Informationen zur Klimazu- del» des Bundesamtes für Umwelt (Bafu). kunft – in enger Zusammenarbeit mit den Pro- Eine Klimadienstleistung geht von natur- duzenten und Kommunikationsexperten – sek- wissenschaftlichen Daten und Aussagen über tor- und branchenspezifisch auf und vermitteln das vergangene, das heutige und das zukünfti- sie. Relevante Stakeholder wurden bereits von ge Klima aus, bezieht jedoch die Kopplung mit Anfang an bei der Entwicklung der Klimaszena- sozioökonomischen Informationen mit ein. rien konsultiert. Nur so können auch Aussagen zu den Folgen für Umwelt, Wirtschaft und Gesellschaft getrof- Austausch verstärken fen werden. Erst dank der sozioökonomischen Verknüpfung wird Klimainformation in Ent- Dieser Dialog muss in den kommenden Jahren scheidungsprozessen im Klimaschutz und der intensiviert werden. Mit der Etablierung des Na- Klimaanpassung direkt nutzbar. Nur mithilfe tional Centre for Climate Services bestehen die von Klimadienstleistungen können Behörden, nötigen institutionellen Strukturen. Ab nächs- Politik und Wirtschaft gezielt Massnahmen tem Jahr startet ein breit angelegter Prozess mit entwickeln und umsetzen. So tragen Klima- Stakeholdern aus Wirtschaft, Verbänden, Bund, dienstleistungen zur nötigen gesellschaftlichen Kantonen und Gemeinden, um die Bedürfnisse Transformation im Hinblick auf eine nachhal- an Klimadienstleistungen genauer zu eruieren. tige Entwicklung direkt bei. Das gesamte Spek- Darauf aufbauend, wird das NCCS die nutzer- trum von Klimadienstleistungen reicht von spezifische Entwicklung von Klimadienstleis- Klimaszenarien über sektorspezifische Vulne- tungen für eine resiliente Schweiz vorantrei- rabilitäten bis hin zur Bewusstseinsbildung, ben – wozu es auf die aktive Mitwirkung aller dem Aufzeigen von Handlungsoptionen und Akteure angewiesen ist. dem Aufbau von Kapazitäten. Zentrale Fragen von Entscheidungsträgern lauten deshalb: – Was ist der mögliche Einfluss von Wetter und Klima auf unsere Volkswirtschaft und ihre Akteure heute und in den kommenden Dekaden? – Wie können wir mit den damit verbundenen Chancen und Risiken vorausschauend um- gehen, welche Massnahmen bieten sich an? David Bresch Andreas Fischer Angela Michiko Hama – Welche Investitionen sind nötig – und: Über- Professor für Weer- und Dr. sc., Leiter Klimasze- Dr. rer. nat., Geschä sfüh- Klimarisiken, Institut für narien CH2018, Bundes- rerin National Centre for wiegt der Nutzen im Vergleich zu den Kosten? Umweltentscheidungen amt für Meteorologie Climate Services, Bundes- ETH Zürich / Meteo- und Klimatologie amt für Meteorologie Zur Beantwortung dieser Fragen ist ein inten- Schweiz MeteoSchweiz, Zürich und Klimatologie MeteoSchweiz, Zürich siver Dialog zwischen den Anbietern und Nut- Die Volkswirtschaft 11 / 2018 19
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