Neue Methoden der Mobilitätsanalyse: Die Verbindung von GPS-Tracking mit quantitativen und qualitativen Methoden im Kontext des Tourismus
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Raumforsch Raumordn (2013) 71:99–113 DOI 10.1007/s13147-013-0218-y Wissenschaftlicher Beitrag Neue Methoden der Mobilitätsanalyse: Die Verbindung von GPS-Tracking mit quantitativen und qualitativen Methoden im Kontext des Tourismus Hans-Jörg L. Weber · Michael Bauder Eingegangen: 5. September 2012 / Angenommen: 18. Februar 2013 / Online publiziert: 12. März 2013 © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2013 Zusammenfassung Die Analyse von Mobilitätspfaden konkreten Beispielen erläutert. Es wird nachgewiesen, dass erfordert aufgrund deren strukturellen Komplexität eine qualitative und quantitative Methoden gemeinsam verwen- Kombination von Einzelmethoden. Im ersten Teil des Bei- det, GPS-Daten anhand sozialwissenschaftlicher Variablen trags werden sozialwissenschaftliche Methoden zur Erfas- sinnvoll differenziert werden können und somit Praktiken sung von Mobilität im Kontext des Tourismus diskutiert. und Individuen im Raum verbunden sind. Es wird nachgewiesen, dass Einzelmethoden den Forde- rungen nach sozialwissenschaftlichen Differenzierungs- Schlüsselwörter GPS-Tracking · Mobilität · möglichkeiten von Mobilitätspfaden nicht gerecht werden Hauptkomponentenanalyse · Geoinformationssystem · können. Erst die Verwendung eines konsistenten Metho- Mobilitätspfade · Tourismus dendesigns, bestehend aus GPS-Tracking, Fragebogener- hebung und Textanalyse, ermöglicht die Analyse auf einer Ebene, die Individuum, Handlung und Mobilität im Raum New Methods in Mobility Analysis: The Combination vereint. Im zweiten Teil wird die methodische Differen- of GPS-Tracking with Quantitative and Qualitative zierung von Mobilitätspfaden erläutert. Es zeigt sich, dass Methods in the Context of Tourism die Variable (touristische) Praktik im Sinne Bourdieus als Erklärung für individuelle Aktivität erfolgreich verwendet werden kann und für die Differenzierung von Mobilitäts- Abstract Due to its structural complexity, the analysis of mo- pfaden geeignet ist. Die Verbindung von Individualdaten bility patterns requires a combination of individual methods. (Fragebogenerhebung) und Raumdaten (GPS-Tracking) In the first part the socio-scientific methods of mobility acqui- erfolgt anhand der explorativen Hauptkomponentenana- sition will be discussed in the context of tourism. It will be de- lyse. Es wird gezeigt, wie die daraus entwickelten charakte- monstrated, that individual methods cannot cope with the de- ristischen Gruppen in einem Geographischen Informations- mand for socio-scientific differentiation of mobility patterns. system anhand der GPS-Daten räumlich abgebildet und im Analysis on this new level will only be possible when using Folgeschritt über die Textanalyse (Reiseführer) an den Ort a consistent method design, composed of GPS-Tracking, rückgebunden und analysiert werden können. Die erfolg- questionnaire and text analysis, which unions the individual reiche Kombination von GPS-Tracking mit quantitativen person, activity and mobility in space. In the second part of und qualitativen Methoden wird im dritten Teil anhand von this paper, the method of differentiating mobility patterns will be explained. It will be shown, that the variable (touristic) practice in terms of Bourdieu is suitable for the explanation of M. Bauder () Institut für Umweltsozialwissenschaften und Geographie, individual activity and for the differentiation of mobility pat- Albert-Ludwigs-Universität Freiburg, Werthmannstraße. 4, terns. The combination of individual (questionnaire) and spa- 79098 Freiburg, Deutschland tial data (GPS-Tracking) is based on the principal component E-Mail: michael.bauder@geographie.uni-freiburg.de analysis. It will be shown how the characteristic groups can Dr. H.-J. L. Weber be spatially represented in a Geographic Information System E-Mail: hjweber@geographie.uni-freiburg.de using the GPS-data and fed back with the results of the text
100 H.-J. L. Weber, M. Bauder analysis (guidebook). The successful combination of GPS- Mobilität als ein verbindendes Element zwischen Handlung Tracking with quantitative and qualitative methods will be ex- und Struktur verstanden werden. plained in the third section on the basis of practical examples. Dem Thema Mobilität methodisch gerecht zu werden, It will be provided evidence, that qualitative and quantitative bedeutet die Vielfalt an Methoden in ihrer jeweiligen Reich- methods can be successfully used together, GPS data can be weite zu kennen und diese einschätzen zu können. Der differentiated based on socio-scientific variables and practices vorliegende Beitrag hat das Ziel, Methoden, die für die and individuals are interlinked in space. Erfassung von individueller menschlicher Mobilität ver- wendet werden, zu sichten (Stand Juni 2012), kritisch zu Keywords GPS-Tracking · Mobility · Principal diskutieren und zu bewerten. Dabei wird insbesondere auf component analysis · Geographic information system · Differenzierungsmöglichkeiten von Bewegungsdaten ein- Mobility patterns · Tourism gegangen. Aus der Fragestellung, mit welchen alleinste- henden Methoden bzw. in welcher Methodenkombination diese Differenzierungsmöglichkeit erreicht werden kann, 1 Einleitung: Zur Komplexität des Mobilitätsbegriffes ergibt sich die Forschungsfrage des Beitrags: Kann unter der obigen Auslegung des Mobilitätsbegriffs eine Diffe- Der Mobilitätsbegriff ist in seiner Bedeutung von sozia- renzierung der Mobilitätspfade anhand von sozialwissen- ler (vertikaler und horizontaler) Mobilität (Korte/Schäfers schaftlichen, handlungsbeschreibenden Variablen mittels 1995; Jahr/Schomburg/Teichler 2002; Zschocke 2005) einer Methodenkombination erfolgen? Der Kernpunkt der über räumliche Mobilität in unterschiedlichsten Zeitskalen folgenden Überlegungen basiert auf Untersuchungen zur (Ewers/Tegner 1997; Scherer/Strauf 2007; Groß 2011) bis Mobilität von Touristen. Während der Begriff Tourismus hin zu virtueller Mobilität (Zoche/Kimpeler/Joepgen 2002) in dieser Arbeit nach der allgemein anerkannten Definition breit gefächert. Er nimmt in der globalisierten Welt eine der Welttourismusorganisation (UNWTO) verwendet wird elementare Bedeutung ein, die auf eine Beschleunigung des (vgl. Freyer 2011: 2) und den Tagesbesucher damit explizit Lebenstempos in Bezug auf die technische Entwicklung und ausschließt, wird der Mobilitätsbegriff in Anlehnung an den den sozialen Wandel zurückzuführen ist (vgl. Rosa 2005: Begriff der touristischen Mobilität als Schnittstelle von Tou- 460). Die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem rismus und Verkehr1 (vgl. Groß 2005: 1 ff.; Jain 2006: 39; Mobilitätsbegriff findet in verschiedenen Disziplinen statt, Groß 2008: 206 f.; Bieger 2010: 191; Groß 2011: 10 ff.) in wie z. B. im Transportmanagement (Stopka 2009), den Ver- An- und Abreiseverkehr sowie Verkehr innerhalb der touris- kehrswissenschaften (Kagermeier 2007; Kummer 2010), bei tischen Destination geteilt und die folgenden Betrachtungen Infrastrukturentwicklungen (Noori 2011), bei touristischen auf die Bewegung vor Ort, also innerhalb der Destination, Mobilitätsmustern (Ahas/Aasa/Mark et al. 2007; Shoval/ weiter eingeengt. Isaacson 2007; Freytag 2010) bis hin zu medizinisch-ger- Abschließend wird anhand des Fallbeispiels der Stadt iatrischen Forschungsvorhaben (Najafi/Aminian/Paraschiv- Berlin gezeigt, welches Potenzial die hier vorgestellte Form Ionescu et al. 2003; Shoval/Auslander/Freytag et al. 2008; der Methodenkombinationen bietet und welche Besonder- Hempel/Schewel/Wolf 2011). heiten im Zuge der technischen Umsetzung und des Ana- In diesem Beitrag rekurriert der Begriff der Mobilität lyseschemas zu berücksichtigen sind. zunächst auf einem metrisch-absoluten Raumverständnis als Durchführung eines Ortswechsels von A nach B (Knox/ Marston 2008: 152). Diesem Raumverständnis entspre- 2 Eindimensionale Methoden der Mobilitätserfassung chend wird auf eindimensionale Methoden zurückgegriffen, bei denen es um die räumlich-metrische Fixierung der von In den vergangenen Jahrzehnten ist in der Mobilitäts- den Touristen gegangenen Wege geht. Mit der Hinzunahme forschung eine Vielfalt an quantitativen und qualitativen einer textanalytischen Ebene in Kap. 3.2 und der damit ver- Methoden entwickelt worden. Im Folgenden werden die bundenen Zuschreibung von Handlung und Struktur an den sechs am häufigsten in der tourismusgeographischen For- Raum erweitert sich die Raumperspektive um ein relatio- schung eingesetzten Methoden zur Erfassung von Mobilität nales Verständnis. In diesem Sinne konstituiert sich Raum vorgestellt und kritisch diskutiert. Dabei wird der jeweilige über das Zusammenspiel von Ort (als bestimmter Punkt Wert für die Erfassung von Mobilitätspfaden beleuchtet. im metrisch-absoluten Raum), Individuum und Handlung (Deinet 2009: 54). Der Begriff Mobilität bedeutet in die- ser Auslegung eine Präferenz des Individuums für einen bestimmten Pfad gegenüber einem anderen, um von A nach B zu gelangen. Mit dieser Entscheidung verhilft die Mobi- 1 Verkehr wird hier als „realisierte Mobilität […] und als Instrument, lität Handlung zu einer räumlichen Struktur. Somit kann das Mobilität ermöglicht“ (Jain 2006: 11) verstanden.
Neue Methoden der Mobilitätsanalyse 101 2.1 Beobachtendes Tracking sowie Unternehmungen und Verhalten eigenständig festhal- ten. In den Verkehrswissenschaften (vgl. Projekt „Mobili- Unter den Methoden der Mobilitätserfassung von Indivi- tät in Deutschland“ in: Kagermeier 2007: 739) sowie in der duen spielte lange Zeit das „beobachtende Tracking“, bei touristischen Mobilitätsforschung findet diese Methode in dem ein Experte eine ausgewählte Person eine bestimmte den letzten drei Dekaden kontinuierliche Anwendung (z. B. Zeit verfolgt, verdeckt beobachtet und deren Bewegung Pearce 1988; Fennell 1996; Thornton/Williams/Shaw 1997; und Verhalten notiert, ein wichtige Rolle. Im Bereich der Novák/Sykora 2007). Tourismusgeographie sind dabei viele Arbeiten sowohl im Die Nachteile der Tagebuchmethode resultieren in ers- Schwerpunkt der Verhaltensbeobachtung (Murphy 1992; ter Linie aus der notwendigen Beteiligungsbereitschaft der Bödeker 2003; Gali-Espelt/Donaire-Benito 2006) als auch Probanden. Speziell bei Touristen übersteigt der notwendige im Schwerpunkt der Erfassung von Pfaden (Hartmann 1988; Arbeitsaufwand für die Notation von Orten und Aktionen Keul/Kühberger 1996; Keul/Kühberger 1997) entstanden. schnell das Maß der Bereitschaft. Zudem ist die Motivation Die Methode des beobachtenden Trackings erfordert auf- bezüglich valider und präziser Ergebnisse häufig deutlich grund der notwendigen Eins-zu-eins-Situation von Forscher niedriger, als für die Untersuchung eigentlich notwen- zu Proband einen hohen Personal- und Zeiteinsatz und bedarf dig wäre. Ein weiteres Problem ist, dass die Methode, im deswegen entweder einer Begrenzung der Beobachtungszeit Gegensatz zum einfachen Ankreuzen bei geschlossenen auf meist zweistellige Minutenzahlen oder einer Begrenzung Fragen auf Fragebögen, ein Maß an Artikulations- und Ab‑ des Umfanges der Probe (Bödeker 2003: 53). Dies führt straktionsvermögen zur Kommunikation von Aktivität und dazu, dass oftmals nur Teilaspekte des Verkehrs innerhalb Verhalten von Seiten der Teilnehmer verlangt, welches nicht einer Destination in die Untersuchung einfließen können von allen Touristen geleistet werden kann (Kracht 2004: 3; und die Mehrzahl der Beobachtungen nicht an ein reguläres Bauder 2012: 421). Wird zudem bei der Untersuchung auf Beobachtungsende geführt werden kann, da Zielpersonen in eine zur Bewegung parallele Aufzeichnung verzichtet, tre- unübersichtlichen Situationen aus den Augen verloren wer- ten häufig Erinnerungslücken auf. Groß (2008: 209) limitiert den können. Ferner kommt es beim beobachtenden Track- daher die Abfrage nach konkreten Aufenthaltsorten auf den ing zu einer Verzerrung der Untersuchung, da bereits bei der vorangegangenen Tag. Damit existiert eine große zeitliche Auswahl der Probanden eine Selektion nach offensichtlichem und räumliche Beschränkung der Untersuchung. Ein wei- touristischem Habitus erfolgen muss. Wiederholungsbesu- teres Problem ist, dass Aufenthaltsorte nicht benannt oder cher führen oftmals keine Kamera und keinen Reiseführer einem Gebiet zugeordnet werden können. Hinzu kommen mit sich, um nicht dem Bild des stereotypen Touristen zu ent- unterschiedliche Interpretationen von Raumzusammenhän- sprechen. Somit entziehen sich diese Touristen der Untersu- gen. Eindeutige Zuordnungen sind so nur schwer oder gar chung. Zudem finden bereits im Augenblick der Beobachtung nicht möglich und die Folge ist ein großer Verlust an Posi- selektive Wahrnehmungen und Interpretationen des Verhal- tionsgenauigkeit und damit an Datenqualität. tens bezüglich vorher definierter Fragestellungen statt. Ein entscheidender Punkt, der die Ablehnung des beob- 2.3 Mental Maps achtenden Trackings als wissenschaftliche Methode impli- ziert, ist, dass Personen ohne ihre Einwilligung verfolgt Ein dem „time-space budget“ nahestehendes Vorgehen stel- werden. Nach § 238 Abs. 1 Strafgesetzbuch (StGB) (Straf- len die Mental Maps dar. Anstatt Touristen ihre Erlebnisse taten gegen die persönliche Freiheit) kann das mehrfache und Aktivitäten verschriftlichen zu lassen, erfolgt hier eine verdeckte Verfolgen von Personen ohne deren Einwilligung graphische Erfassung. Mental Maps sind geistige Reprä- mit einer Freiheitsstrafe bis zu 3 Jahren belegt werden. Häu- sentationen der Umwelt, welche von Individuen anhand fig fühlen sich Probanden auch beobachtet und ändern dann ihrer Erinnerung graphisch dargestellt werden. Der Begriff ihr Verhalten oder ihre Route. Dies führt zu unerwünschten „Mental Maps“ wurde von dem Psychologen Tolman (1948) Abbrüchen der Beobachtung und fehlerhaften Ergebnissen. geprägt. Er ging davon aus, dass räumliches Verhalten auf Der Vorteil dieser Methode ist, dass das Verhalten der eine innere Repräsentation der Umwelt im Bewusstsein von Probanden auf kleinräumiger Ebene erfasst und kategori- Individuen zurückzuführen ist. Anfang der 1980er Jahre siert werden kann. Zudem ist die Positionsgenauigkeit der wurden Mental Maps als Bindeglied zwischen der Psycho- Aufzeichnungen fast beliebig wählbar. logie und Geographie angesehen (Downs/Stea 1982), was zu einer regen Perzeption dieser Methode in der Humangeo- 2.2 Tagebücher graphie und der Tourismusforschung führte (Hennig 1997; Walmsley/Young 1998; Steinbach 2003; Barth-Scalmani/ Ein zweiter Ansatz zur Mobilitätserfassung sind „time-space Scharr 2004). budgets“ (Tagebücher). Die Probanden willigen dabei ein, Bei der Mental Maps-Methode wird der Teilnehmer auf- dass sie parallel zu oder im Anschluss an ihre Bewegung ihre gefordert, aus seiner Erinnerung unbeeinflusst von Dritten zu Aufenthaltsorte, Aufenthaltsdauer und gegangenen Wege einem spezifischen Thema eine Karte auf einem leeren Blatt
102 H.-J. L. Weber, M. Bauder anzufertigen. Das ergebnis einer solchen Mental Map „gibt Viele Untersuchungen benutzen zur Feststellung von unser spezielles Verständnis der Welt wieder, und sie ist viel- touristischen Mobilitätsmustern Daten von Foto-Sharing- leicht nur von ferne der Welt ähnlich, wie sie auf topogra- Anbietern wie Flickr, Picasa oder Panoramio. Auch bei phischen Karten oder fotos gezeigt wird“ (Downs/stea 1982: guter Datenqualität ergibt sich jedoch keine Eignung für den 24). Dieses Verfahren erzeugt eindrucksvolle ergebnisse, wie Einsatz zur Feststellung von Mobilitätspfaden – entgegen individuen denselben Ort unterschiedlich wahrnehmen. den Aussagen von z. B. Girardin/Calabrese/Dal Fiore et al. Werden Mental Maps für die aufzeichnung von Mobi- (2008) und Kisilevich/Krstajic/Keim et al. (2010). Insbe- lität verwendet, ergibt sich zwangsläufig eine deutliche sondere die darin enthaltene Aussage, dass Verhalten und Unschärfe hinsichtlich der real stattgefundenen Bewegung, Aktivität bestimmt werden können (Girardin/Calabrese/Dal da menschliche Wahrnehmung und Erinnerung spezifisch Fiore et al. 2008: 37; Kisilevich/Krstajic/Keim et al. 2010: sind und ständig einer Überschreibung unterliegen (singer 289), muss deutlich zurückgewiesen werden und zwar aus 2001: 18). ein weiterer nachteil besteht darin, dass die Qua- folgenden Gründen: lität der Mental Maps stark von der zeichnerischen fähigkeit In den Untersuchungen werden aus den Massendaten sowie dem erinnerungsvermögen der teilnehmer abhängt. nur die vorhandenen Metadaten extrahiert (gespeicherte hinzu kommt, dass bei einer angestrebten hohen fallzahl Schlagworte, Bildtitel, Aufnahmedatum und Aufnahmeko- und einer Digitalisierung in einem geographischen infor- ordinaten), das eigentliche Bild wird in der automatischen mationssystem (gis) mit einem großen ressourceneinsatz Verarbeitung nicht betrachtet. Was genau der Grund für den zu rechnen ist. Wird eine möglichst exakte aufzeichnung Aufenthalt und die Aufnahme war, bleibt im Verborgenen. von Mobilität gewünscht, scheidet dieses Verfahren auf- Zudem kann keine trennscharfe Unterscheidung zwischen grund des stark konstruktiven charakters aus. Tourist und Nicht-Tourist und schon gar nicht zwischen verschiedenen touristischen Gruppen stattfinden, da keine 2.4 Volunteered geographic information (crowdsourcing) Aussagen über den Grund des Besuchs sowie Angaben zur Person vorliegen. Bedenklich wird eine vorgenommene Die wissenschaftliche Verwendung von freiwillig abgege- Trennung, wenn sie den gängigen Definitionen von Touris- benen räumlichen Daten – sogenannter „Volunteered geo- ten (vgl. z. B. Freyer 2011: 2 ff.) widerspricht. So wird bei graphic information“ (Vgi) – ist keineswegs ein neues Girardin/Calabrese/Dal Fiore et al. (2008: 37) eine Person Phänomen. Bereits in den 1930er Jahren gab es forschun- als Tourist definiert, wenn alle seine Fotos eines bestimmten gen, die auf einer aktiven Beteiligung von laien beruhten, Gebietes (z. B. Rom) innerhalb von 30 Tagen aufgenom- allerdings nach strikten handlungsanweisungen. Mit der men wurden. Ist dies nicht der Fall, ist er Bewohner. Dar- wachsenden Verbreitung des internets und dem damit ver- über hinaus befindet sich die Nutzung der verorteten Fotos bundenen aufkommen von Datenbanken, die ausschließlich zumindest in einer rechtlichen Grauzone. Sofern die Positio- von laien gespeist werden (sogenannter „User-genera- nen der Aufnahmen bei einer kartographischen Darstellung ted content“), gab es eine grundlegende Änderung in der nicht aggregiert werden, sodass die Identifizierung eines Datenerfassung: Die Datenüberprüfung erfolgt nicht mehr einzelnen Punktes noch möglich ist, kommt die Anwendung durch einzelne experten, sondern anhand einer Vielzahl des Datenschutzrechts in Betracht (Weichert 2007: 17) und von laien. in diesem fall wird innerhalb der „Voluntee- die Nutzung personenbezogener Informationen kann nur red geographic information“ (Vgi) von „crowdsourcing“ nach Einwilligung der betroffenen Person geschehen (Recht gesprochen, das im folgenden betrachtet werden soll (vgl. auf informationelle Selbstbestimmung). Gegen diese Aus- elwood/goodchild/sui 2012: 572). Über die Qualität von legung spricht allerdings, dass es in der Rechtsprechung nur Crowdsourcing-Daten gibt es viele Untersuchungen (u. a. darauf ankommt, ob „eine Zuordnung zu einer natürlichen heipke 2010; girres/touya 2010), die letztlich alle die Person mit einem ‚unverhältnismäßig großem Aufwand‘ Datenqualität in Zusammenhang zu der anzahl der mit- möglich ist oder nicht. Unerheblich ist, ob die Zuordnung arbeitenden Personen setzen: Je mehr Personen die Daten zulässig wäre oder nicht“ (Weichert 2007: 19). Das ent- editieren oder betrachten, desto höher ist die Datenqualität scheidende Argument für die Ablehnung als Methode zur (haklay/Basiouka/antoniou et al. 2010: 316). Das Problem Mobilitätserfassung ist, dass der Upload von Fotos eine für die nutzung der Daten bei Untersuchungen mit dem selektive Wiedergabe touristischer Orte bedeutet und keine Ziel einer repräsentativen Probandengruppe ergibt sich kontinuierliche Aufzeichnung des Bewegungsmusters ist. aus der existierenden Ungleichheit bei internetzugang und Bedeutende Orte (significant places) werden, als Beweis der -nutzung, dem sogenannten „digital divide“, der auch auf Anwesenheit vor Ort, vermehrt fotografiert (Urry/Larsen kleinen skalen wie städtetouristischen Destinationen eine 2011: 178 f.) und alle Aufnahmen bezüglich einer öffent- Überrepräsentation von bestimmten gruppen in herausra- lichen Wiedergabe selektiert. Insbesondere touristische genden gebieten verursacht. Nicht-Orte (in Anlehnung an Augé 2010), also Orte, die auf- grund mangelnder Identität, Relation und Geschichte nicht
Neue Methoden der Mobilitätsanalyse 103 Abb. 1 Gegenüberstellung von VGI- und GPS-Daten. (Quelle: Linkes Bild: verändert nach Fischer (2012), rechtes Bild: eigene Darstellung) zu den touristischen „Spots“ zählen, werden in der Regel suchung touristischer Mobilität auf der Grundlage von nicht abgebildet (vgl. Abb. 1). GSM-Daten wurde von Ahas/Aasa/Mark et al. (2007) und Neben der festgestellten mangelnden Eignung für die Ahas/Aasa/Roose et al. (2008) mittels GSM-Roaming- Wiedergabe der tatsächlichen Mobilitätspfade und Auf- Daten von Estlandreisenden durchgeführt. Sie verfolgten enthalte besteht nach Meinung der Autoren in der Analyse dabei den Ansatz, Roaming-Daten aus dem Mobilfunk- von Crowdsourcing-Fotodaten ein interessanter Ansatz für netz für die Aufzeichnung von Bewegungsmustern zu ver- Untersuchungen zu den Aspekten der Raumwahrnehmung wenden. Dabei konnte innerhalb der Funkzellen und somit bzw. der Raumwiedergabe. Weitere Forschungen müssen in den verschiedenen Landesteilen eine unterschiedliche dies aber erst untersuchen. Dichte an Reisenden nachgewiesen werden. Ahas/Aasa/ Ein möglicher Crowdsourcing-Ansatz zur Erfassung von Roose et al. (2008: 469) weisen aber darauf hin, dass das Mobilitätspfaden via GPS-Tracking mit Hilfe von Smart- verwendete Verfahren keine personenbezogenen Daten phones muss zurzeit negativ beurteilt werden. Dies liegt erfasst und die dadurch gewonnenen Daten folglich inhalts- nicht nur an der deutlich schlechteren Positionsgenauig- leer bleiben. Auch konnten aufgrund des Methodendesigns keit aufgrund der eingeschränkten Platzierungsmöglichkeit über die Roaming-Einwahl nur Besucher mit ausländischer der GPS-Antenne neben den primären Mobilfunkantennen Mobilfunknummer erfasst werden. Bei Kracht (2004: 4) fin- (Wi-Fi, GSM u. a.), sondern auch an den Kosten der Pro- det sich zudem der Hinweis, dass mit einem Fehler in der grammentwicklung (Software) für die unterschiedlichen Positionsbestimmung von circa 100 m zu rechnen ist, selbst Systemplattformen (iPhone, Android, Windows Phone). in Gebieten mit bestmöglichem Empfang. Des Weiteren wird die Zusammensetzung einer Untersu- Theoretisch besteht die Möglichkeit, die Mobilfunk- chungsgruppe durch die notwendige Verwendung eines kunden via E-Mail oder Short Message Service (SMS) mit Smartphones und den Download einer entsprechenden der Bitte um Teilnahme an einer Online-Umfrage zu kon- Applikation, der der Definition des Begriffes Crowdsour- taktieren, um an personenbezogene Daten zu gelangen. cing folgend auch freiwillig, ohne direkte Ansprache erfol- Aber neben ungelösten methodischen Fragen (Erfassung gen muss, auf eine nicht repräsentative Gruppe eingegrenzt. von nationalen Touristen) und einem sehr hohen Ressour- ceneinsatz, sind vor allem datenschutzrechtliche Gründe 2.5 GSM-Tracking als ultimative Hürde anzusehen. Die aktuellen Debatten hinsichtlich des Datenschutzes bei deutschen Mobilfunk- Den GSM-Mobilfunk-Standard für die Aufzeichnung von anbietern lassen die wissenschaftliche Verwendung von Mobilitätsdaten zu verwenden ist aufgrund der fast welt- GSM-Daten in weite Ferne rücken. weiten Verbreitung naheliegend. Eine landesweite Unter-
104 H.-J. L. Weber, M. Bauder 2.6 GPS-Tracking Tab. 1 Reichweite ausgewählter Methoden GPS- Fragebogen- Reisefüh- Bei der Methode des GPS-Tracking werden die Probanden Tracking erhebung reranalyse mit „Datenloggern“ ausgestattet. Moderne GPS-Datenlog- Hochaufgelöste √ × × ger sind ungefähr so groß wie eine Streichholzschachtel und Raum-Zeit-Daten √ × × werden vor dem Einsatz programmiert, in welchem Auf- Erfassung von Orten und Pfaden zeichnungsrhythmus und ab wann (Schwellenwerte, z. B. √ √ Hohe Fallzahl möglich (mitt- × schneller als 5 km/h) das GPS-Signal aufgezeichnet werden lerer 3-stelliger Bereich) √ √ √ soll. Da die gängigen Logger (z. B. i-Blue 747A + oder Win- Universelle Verfügbarkeit tec WBT-202) passive Systeme sind, müssen diese von den √ Sozialwissenschaftliche × × Probanden nur alle 24–40 h (je nach Aufzeichnungsrhyth- Differenzierung mus) aufgeladen werden. Schnittstelle zwischen Indivi- √ √ × Die notwendige technische Infrastruktur für das GPS- dual- und Raumdaten √ √ Tracking ist seit Mitte der 1990er Jahre verfügbar. Trotzdem Langzeiterfassung × ist diese Methode erst im Anfangsstadium zur Erfassung Erfassung von × √ √ von raum-zeit-gebundenen Daten menschlicher Individuen Ortszuschreibungen √ √ im Einsatz. Bauder (2012: 421) führt dies hauptsächlich auf Erfassung von (touristischen) × den lange existierenden Mangel geeigneter Analyse- und Praktiken Auswertungsprogramme zurück. Zudem spielt die erst im Dargestellt ist, ob die jeweils alleinstehende Methode die in den Spalten gelisteten Punkte erfüllen kann (Haken) oder nicht (Kreuz) Jahr 2000 erfolgte Abschaltung der künstlichen Signalver- fälschung (selective availability) eine Rolle. Die Unter- suchung der Bewegung von menschlichen Individuen in abgegrenzten räumlichen Systemen mittels GPS-basiertem 3 Mehrdimensionale Methodenkombination zur Tracking wurde erstmals von Kracht (2004) und Shoval/ Mobilitätserfassung Isaacson (2006) wissenschaftlich behandelt. Der Vorteil der GPS-Tracking-Methode liegt in einer Die in Kap. 2 vorgestellten Methoden werden in verschie- räumlich und zeitlich nahezu unbegrenzten Mobilitätser- denen Arbeiten für die Erfassung von Mobilität verwendet. fassung. Der limitierende Faktor ist dabei in der Regel die Doch weisen alle Methoden für sich genommen unauflös- Speicherkapazität der Datenlogger. Des Weiteren kann im bare Defizite auf, weil das konstruktive Element, also die Vergleich zum beobachtenden Tracking, der Tagebücher Beeinflussung der Probanden hinsichtlich Reaktivität bzw. und der Mental Maps eine sehr hohe Fallzahl erreicht wer- Antwortverzerrung durch charakteristische Elemente der den, da in kurzer Zeit viele Geräte gleichzeitig in Umlauf jeweils verwendeten Methode, stark vorherrschend ist (z. B. gebracht werden können (Bauder 2012: 422 ff.). Darüber Tagebuch, Mental Map), sozialwissenschaftlich relevante hinaus kann für die in dieser Arbeit verfolgten Ziele (vgl. Daten nicht erhoben werden können (z. B. GSM-Tracking) Kap. 1) selbst in Großstädten (vgl. für London: Edwards/ oder eine Differenzierung bei alleinigen GPS-Daten nur Hayllar 2010) mit einer ausreichenden Positionsgenauigkeit anhand der zeitlichen Dimension möglich ist. gerechnet werden (6–10 m, an einzelnen Stellen (worst site Die GPS-Methode bietet allerdings die Möglichkeit, position) < 17 m für 95 % der Punkte). Für eine detaillierte objektive Mobilitätsdaten mit sozialwissenschaftlichen Analyse der Genauigkeiten der GPS-Positionsbestimmung Fragebogendaten zu verbinden. Aus Tab. 1 wird ersicht- in Städten sei auf Bauder (2011: 12 ff.) verwiesen. Zuletzt lich, dass eine Methodenkombination erforderlich ist, wenn ist auch die universelle und unentgeltliche Verfügbarkeit anhand von sozialwissenschaftlich relevanten Variablen der satellitengestützten Ortung ein großer Vorteil. Da beim Mobilität differenziert werden soll. GPS-Tracking die Teilnahme an der Untersuchung freiwil- lig erfolgt und die Aufzeichnung jederzeit durch das Aus- 3.1 Kombination von GPS-Tracking und schalten des Gerätes beendet werden kann, existieren im Fragebogenanalyse Gegensatz zum GSM-Tracking keine datenschutzrechtliche Bedenken.2 Die Kombination von Fragebogenerhebung und GPS- Tracking ermöglicht die gewünschte Verknüpfung von Individual- mit Raumdaten. Die Vorgehensweise des Informationsaustausches zwischen den Daten lässt sich in Abb. 2 nachvollziehen. Alle Fragebögen wurden mit einer 2 Für weitere Ausführungen über die Privatsphäre im Rahmen von fortlaufenden ID versehen, mittels welcher eindeutige Ver- GPS-Tracking vgl. Weber (2012b: 71 ff.) und Bauder (2011: 2 f.). knüpfungen zwischen Fragebogen und GPS-Track inner-
Neue Methoden der Mobilitätsanalyse 105 Abb. 2 Prozess der GPS-Fragebogen-Methodensynthese halb eines Geographischen Informationssystems hergestellt die die Analyse und insbesondere den Vergleich von zurück- werden können. Mit dieser Methodenkombination können gelegten Wegen sehr weit in den Bereich des Spekulativen Mobilitätsmuster auf der Grundlage von Fragebogenvaria- verlagert. Da sich selbst neuere Arbeiten auf die optische blen erfolgreich differenziert werden (vgl. Abb. 3 und 4). Interpretation einzelner Tracks beschränken (vgl. Edwards Das technische Vorgehen zur Differenzierung von Mobi- 2009; Edwards/Griffin/Hayllar et al. 2009; Edwards/Hayllar litätsmustern basiert hauptsächlich auf der Schaffung einer 2010) besteht ein großer Bedarf, die Methode der GIS-Ana- digitalen Schnittstelle zwischen Fragebogen- und Track- lysen wie im Folgenden beschrieben weiterzuführen. ing-Daten. Dazu werden die Tracking-Daten umgewandelt Eine Differenzierung von Mobilitätsmustern erfordert (z. B. von .nmea zu .shp), in ein GIS importiert, von Fehlern somit eine Differenzierungsmöglichkeit für die Fragebo- bereinigt und mit zusätzlichen Informationen, wie z. B. der gendaten. Die Differenzierung anhand der Hauptkompo- Geräte-ID, versehen. Anschließend werden die Tracks über nentenanalyse (HKA) stellt ein gängiges Verfahren in den ein engmaschiges Raster aggregiert (vgl. „aggregierte Dar- Tourismuswissenschaften dar (vgl. Hirtenlehner/Mörth/ stellung“ in Abb. 5) und mit den Daten aus den Fragebögen Steckenbauer 2002; Yfantidou/Costa/Michalopoulos 2008; verknüpft. Für die Darstellung der Aufenthaltsorte werden Meng/Tepanon/Uysal 2008; Höpken/Gretzel/Law 2009). die signifikanten touristischen Aufenthaltsorte berech- Zielführend hierzu sind die Überlegungen von Hirtenlehner/ net und über eine Dichtefunktion gegen nicht signifikante Mörth/Steckenbauer (2002), dass Touristentypen anhand Gebiete abgegrenzt. Mit der Aggregation der Tracks und von Faktorenanalysen grundsätzlich erfolgreich bestimmt der Verknüpfung mit den Fragebögen ist es nun möglich, werden können. Das Verfahren der Hauptkomponenten- bestimmte Gruppen aus dem gesamten Datensatz a poste- analyse ermöglicht auf explorativem Wege, charakteris- riori zu selektieren und deren Bewegungsmuster separiert tische Typen zu eruieren, welche für die Differenzierung von der Grundgesamtheit darzustellen und weitergehend zu der GPS-Raumdaten eingesetzt werden können. Dabei interpretieren. Im Gegensatz zu den Varianten der a priori- gehen jedoch keineswegs alle Probanden in charakteristi- Segmentierungen (vgl. Tchetchik/Fleischer/Shoval 2009) schen Gruppen auf. Dies bedeutet, dass mittels der Haupt- ist es nun denkbar, direkt mit den Persönlichkeitsattributen komponentenanalyse methodisch nachvollziehbar Gruppen der Touristen zu arbeiten und diese bei Bedarf im Nachhi- identifiziert werden können, deren Mobilität im weiteren nein zusammenzufassen, neu zu klassifizieren und zu ver- Verlauf kartographisch visualisiert wird. Weitere Differen- gleichen. Die rein deskriptive Darstellung der Tracks, ohne zierungsmöglichkeiten können auch unabhängig von der Verknüpfung mit den Daten aus den Fragebögen als rein Hauptkomponentenanalyse sein, z. B. Alter, Bildungsstand quantitative Methode über direkte bildgebende Verfahren oder Nationalität. Der Vorteil der Typisierung mittels dem (z. B. anhand von Google Earth; vgl. „quantitative Darstel- explorativen Verfahren der Hauptkomponentenanalyse ist, lung“ in Abb. 5), ermöglicht nur eine optische Untersuchung, dass ein konsistentes Forschungsdesign besteht, in welchem
106 H.-J. L. Weber, M. Bauder Abb. 3 GPS-Tracks des Typs 1 anhand der Ergebnisse der Hauptkomponentenanalyse quantitative Personen- und GPS-Daten schlüssig zu einem 3.2 Methodentriangulation von GPS-Tracking, Ganzen verbunden werden, aber dennoch differenzierbar Fragebogen- und Textanalyse sind. Die rein optische Interpretation kann mit dieser Metho- Die Überwindung der Grenze der GPS-Fragebogen-Kom- denkombination überwunden werden. Dennoch soll die bination kann über die Verbindung von qualitativer Text- innovative Kombination nicht darüber hinwegtäuschen, dass analyse und den verwendeten quantitativen Methoden auch dieses Verfahren Grenzen aufweist. Es kann statistisch geschehen. Die Berücksichtigung der qualitativ gewonne- valide mittels der Hauptkomponentenanalyse oder einzel- nen Daten der Textanalyse gibt die Möglichkeit, Informa- nen Variablen nachgewiesen werden, wo sich bestimmte tionen hinsichtlich Ortszuschreibungen für einen weiteren Mobilitätstypen bewegt haben. Für die Beantwortung der Abgleich zu erhalten. Frage nach den konkreten Aktivitäten vor Ort und dem Im Gegensatz zur GPS-Fragebogen-Kombination erfolgt Anlass des Besuchs bedarf es weiterer Informationen. Hier- bei der Methodentriangulation die Auswertung der differen- für bietet der Fragebogen nur eine unzureichende Antwort an, zierten Mobilitätsmuster unter Hinzunahme einer text-her- denn ein Fragebogen kann den notwendigen Detailreichtum für meneutischen Ebene. Das bedeutet, dass die Interpretation die Beantwortung der Frage nach möglichst allen Aktivitäten der Karten zuerst visuell und im Folgeschritt anhand der und allen besuchten Orten nicht befriedigen (Kracht 2004: Textebene geschieht. Der Einsatz dieser Methodensynthese 3). Deswegen soll im Folgenden eine erweiterte Form der wurde von Weber (2012a) erstmals durchgeführt und dis- Methodenkombination vorgestellt werden, mit welcher die kutiert. Wie Weber (2012b: 144) nachgewiesen hat, sind im Rahmen der Differenzierung identifizierten Orte näher Reiseführer für die Analyse von touristischen Orten und untersucht werden können. Praktiken besonders geeignet, weil diese Kondensate media- ler Repräsentationen darstellen und im Gegensatz zu digita- len Medien umfassender und vergleichbarer gestaltet sind. Die Reiseführeranalyse dient in diesem Zusammenhang
Neue Methoden der Mobilitätsanalyse 107 Abb. 4 GPS-Tracks des Typs 2 anhand der Ergebnisse der Hauptkomponentenanalyse ausschließlich als Referenz, um spezifische Mobilitätsmus- werden, anhand derer in Schritt 2 über die Schnittstelle zu ter zu erklären, und nicht um Zusammenhänge zwischen ArcGIS eine Karte generiert werden kann (Bauder 2011: Mobilitätsmustern und Reiseführern zu konstatieren. Neben 23 ff.). Der dritte Schritt ist die Identifikation von charak- der komparativen Analyse von verorteten touristischen teristischen Orten, gefolgt von der Benennung und Abgren- Praktiken wird bei der Analyse ein besonderes Augenmerk zung des Gebietes in Schritt 4. Der fünfte Schritt stellt die auf das Element der Konstruktion von Orten und damit ver- Recherche in Texten – wie z. B. Reiseführern – nach Ortszu- bundenen Praktiken gelegt. Die Auswahl der Reiseführer schreibungen identifizierter Gebiete und Orte dar und greift erfolgte in einem mehrstufigen Schema (vgl. Weber 2012b: auf den Informationsgehalt der Texte zurück. Idealerweise 61), das die Vergleichbarkeit hinsichtlich Relevanz (Ver- kann dann, ausgehend von den Zuschreibungen aus Schritt kaufszahlen), Aktualität (möglichst gleiches Erscheinungs- 5, die gewählte touristische Praktik aus Schritt 1 verifiziert jahr) und Übereinstimmung des behandelten Raumes unter und in einem sechsten Schritt synthetisiert werden. den Reiseführern gewährleistet. Die Vorgehensweise der Um im Folgenden die Potenziale und die Signifikanz der beschriebenen Methodentriangulation ist in Abb. 6 darge- beschriebenen Methodentriangulation darzulegen, ist ein stellt. Das methodische Vorgehen beinhaltet sechs Schritte zusammenfassender Blick zielführend. Die Vielfalt an Ver- und wurde für die Analyse im Rahmen der Erfassung städ- fahren zur Mobilitätserfassung (vgl. Abb. 5) darf nicht dar- tetouristischer Mobilität entwickelt, weswegen in Schritt 1 über hinwegtäuschen, dass sich in den letzten Jahrzehnten der Begriff touristische Praktik3 gewählt wird. Hier können zwei große Strömungen gebildet haben, welche sich metho- der Forschungsfrage entsprechend Prädiktoren ausgewählt disch gesehen gegenüberstehen: analoge versus digitale Datenerfassung. Es konnte in diesem Beitrag nachgewiesen 3 Der Begriff „Praktik“ beschreibt gegenständliche oder strukturge- werden, dass beobachtende Verfahren Beschränkungen hin- bende Handlungen von Individuen und findet seinen Ursprung bei dem sichtlich der Fallzahl, der Differenzierung und der Legali- Soziologen Bourdieu (1982) und wurde von Freytag (2008) anhand tät des Verfahrens aufweisen. Tagebücher und Mental Maps der Destination Paris auf den touristischen Kontext übertragen. Wei- terführende Überlegungen zur theoretischen Einbettung und empiri- weisen nicht die Präzision, geschweige denn die Möglich- schen Integration finden sich bei Weber (2012b: 151 ff.). keit einer Differenzierung auf, wie dies bei einer Methoden-
108 H.-J. L. Weber, M. Bauder Abb. 5 Entwicklung der Trackingmethoden zur Erfassung der Mobilität von Touristen während des Aufenthaltes innerhalb der letzten 25 Jahre. (Die Begriffe „quantitative Darstellung“ und „aggregierte Darstellung“ beziehen sich auf die in Kap. 3.1 beschriebenen Darstellungsformen.) Abb. 6 Ablaufplan für die Verwendung von Reiseführern in der Mobilitätsanalyse kombination der Fall ist. Auch die alleinige Verwendung von abzuleiten. Wie in Abb. 1 zu erkennen ist, weist diese Form GPS-Daten führt in die Sackgasse der Deskription (Shoval/ der Mobilitätserfassung nicht zu kompensierende methodi- Isaacson 2007) und ist für die Sozialwissenschaften nicht sche Defizite gegenüber dem Einsatz von GPS-Daten auf. von großem Erkenntnisgewinn. Die Verwendung von VGI- Die beschriebenen Defizite aller vorgestellten Methoden Daten wird unter anderem von Kisilevich/Krstajic/Keim et kulminieren in dem für Sozialwissenschaften relevanten Kri- al. (2010) und Girardin/Calabrese/Dal Fiore et al. (2008) pro- terium der fehlenden Differenzierbarkeit von Mobilitätsdaten. pagiert. Doch sind sie dem Fehlschluss erlegen, aus subjekti- Die in einer quantitativen Arbeitsausrichtung geforderte hohe ven, selektierten Daten Aussagen zu Verhalten und Aktivität Fallzahl kann bei den Fragebogen- und GPS-Daten und damit
Neue Methoden der Mobilitätsanalyse 109 Abb. 7 Bewegungsprofil von Berlinbesuchern auch in deren Synthese eingehalten werden. Dadurch gewinnt 4 Fallbeispiel: Touristische Mobilitätspfade in Berlin die Erfassung der Mobilitätsdaten und insbesondere deren Differenzierung anhand der explorativ gewonnenen Prädik- Im Sommer 2010 wurde eine Erhebung im Rahmen des von toren in der eben beschriebenen Form eine Signifikanz im der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) finanzierten Sinne des Gesetzes der großen Zahlen und eine Relevanz für Projektes „Aktuelle Entwicklungen des europäischen Städte- sozialwissenschaftliche Fragestellungen im Hinblick auf die tourismus in Berlin“ durchgeführt. Die Ansprache der Pro- Mobilitätsanalyse. Das vorgestellte Verfahren weist zudem ein banden fand an zwei permanenten Standorten (Meininger Alleinstellungsmerkmal auf, indem eine nahtlose Kombination Hotel Berlin Hauptbahnhof sowie Berlin Tourist Info im der verschiedenen Methoden angestrebt und erreicht werden Hauptbahnhof) für eine Dauer von 14 Tagen statt. Angespro- kann (vgl. Abb. 2 und Russo/Clave/Shoval 2010). Über die chen wurden in regelmäßigen zeitlichen Abständen zufällig statistische Auswertung der Fragebogendaten, z. B. anhand des ausgewählte Personen, welche Berlin für länger als einen Tag explorativen Verfahrens der Hauptkomponentenanalyse, kön- besuchten. Für die Analyse standen nach Abschluss der Erhe- nen im Folgeschritt Bewegungsmuster der auf diesem Wege bung 498 Fragebögen und 253 GPS-Tracks zu Verfügung. gewonnenen Typen kartographisch visualisiert werden. Dieses Das 2:1 Verhältnis von Fragebögen zu Tracks resultiert aus Vorgehen konnte z. B. in den Forschungsvorhaben von McKer- den Tatsachen, dass bei Gruppen (Familien, Partnern etc.) cher/Shoval/Ng et al. (2010), Orellana/Bregt/Ligtenberg mehrere Fragebögen ausgefüllt, aber nur ein Datenlogger et al. (2012) und Wolf/Hagenloh/Croft (2012) nicht realisiert mitgeführt wurde und dass ausgefüllte Fragebögen auch bei werden. Verweigerung der Teilnahme am Tracking akzeptiert wurden. Im Folgenden wird anhand des Fallbeispiels des multime- Das Ziel dieser Untersuchung war die Analyse touristischer thodalen Mobilitätstrackings von Touristen in Berlin anhand Mobilität. Im Mittelpunkt stand dabei die Frage nach Dif- konkreter Beispiele gezeigt, wie die Anwendung dieser ferenzierungsmöglichkeiten von Mobilitätspfaden anhand Methodenkombination erfolgreich eingesetzt werden kann. von sozialwissenschaftlichen Variablen wie z. B. touristische Praktiken im Sinne von Bourdieu (1982) (vgl. Kap. 3.2).
110 H.-J. L. Weber, M. Bauder Das Ziel, Mobilitätspfade anhand geeigneter Variab- Vorgehen ermöglicht das Bewegungsprofil des Typ 2-Tou- len aus Fragebögen über eine Schnittstelle zwischen dem risten mit den Informationen aus Tab. 3 zu verbinden. Somit Programm SPSS und ArcGIS zu differenzieren, konnte erhalten wir für die differenzierten Bewegungsmuster sta- erreicht werden (vgl. Abb. 3 und 4). Es zeigte sich, dass tistisch valide soziodemographische Daten. Anhand der bei- touristische Praktiken besonders geeignet sind, bestehende den identifizierten Typen wird im Folgenden der Mehrwert Unterschiede, aber auch Konzentrationen hinsichtlich der der Methodenkombination von GPS-Tracking, Fragebogen- Mobilitätsmuster offenzulegen. und Textanalyse erläutert. Hierzu werden die Mobilitäts- Folgende drei Ziele konnten in dem multimethodalen pfade der Typen 1 und 2 in Berlin interpretiert. Verfahren vereint werden (vgl. Weber 2012b): Typ 1 weist eine deutliche Konzentration in Berlin-Mitte auf (vgl. Abb. 3). Einer Ameisenstraße gleich können die • Erfassung und aggregierte Darstellung der GPS-Tracks S-Bahn-Linien (S5, S7, S75) zwischen dem Hauptbahnhof • Differenzierung der GPS-Daten anhand von spezifischen und dem Alexanderplatz ausgemacht werden, welche bei Gruppen (Hauptkomponentenanalyse) der Auswertung von Flickr-Daten nicht auftauchen (vgl. • Erklärung von Verhalten und Aktivität der spezifischen Abb. 1). Des Weiteren sind die Pfade im Bereich Unter den Mobilitätsmuster Linden und angrenzenden Straßen deutlich zu erkennen. Die aggregierte Darstellung konnte für die Gesamtheit der Interessant ist, dass im Osten eine „Brachfläche“ touristi- GPS-Fragebogen-Daten aufzeigen, wo sich die Berlinbe- scher Mobilitätspfade mit Ausnahmen im Bereich des Ost- sucher vorrangig aufgehalten haben und welche Gebiete bahnhofes und des Boxhagener Platzes zu verzeichnen ist. gemieden wurden. Bis hin zu einer Netzweite von 10 m Das identifizierte Muster um den Boxhagener Platz taucht bezüglich der Aggregation (vgl. Kap. 3.1 und Bau- in den Mobilitätspfaden des Typ 2-Touristen nicht auf (vgl. der 2012: 424) konnte somit ein recht genaues Bild von den Abb. 4). Vielmehr scheinen Orte im Osten Berlins außerhalb kollektiven Bewegungsmustern der Städtetouristen erzeugt der Wahrnehmung der Typ-2-Touristen zu sein. Ein Erklä- werden (vgl. Abb. 7). rungsansatz wird über die Reiseführeranalyse im nächsten Die Fragebogen-Daten (n = 498) wurden über eine Haupt- Abschnitt angeboten. Die Konzentration der Mobilitätspfade komponentenanalyse differenziert und die Mobilitäts- lässt sich auch hier im Zentrum finden, aber weniger inten- pfade der jeweiligen Touristentypen als Karte visualisiert. siv im Bereich Unter den Linden, sondern in den drei großen Die explorative Typengewinnung basiert dabei auf touris- Bereichen Alexanderplatz, Hauptbahnhof mit einer Achse in tischen Praktiken. Der Itempool der Hauptkomponenten- Richtung Reichstag und Brandenburger Tor. Auf dem Weg analyse setzt sich aus 17 Variablen zusammen (vgl. Tab. 2), zum Potsdamer Platz führt dieser „touristische Trampel- welche likertskaliert im Rahmen der Erhebung abgefragt pfad“ am Denkmal für die ermordeten Juden Europas vorbei. wurden. Aus der Hauptkomponentenanalyse resultieren zwei Besonders prominent tritt dabei im Westen der Bahnhof Zoo- charakteristische Gruppen, die aus dem Screeplot (vgl. Jans- logischer Garten mit dem Kurfürstendamm in den Fokus. Der sen/Laatz 2010: 565) identifiziert werden konnten und von Typ 2-Tourist bewegt sich auf einer Art Kreispfad, der sicher- 14 bzw. 25 Personen repräsentiert werden. Diese Personen lich durch das Verkehrsnetz, aber auch durch die Verortung bilden dabei zwei signifikante Typen von Touristen, da eine von Sehenswertem, welches auf einer Achse liegt, erklärt Zuordnung nur bei mathematischer Signifikanz erfolgte, um werden kann. Die Analyse zeigt deutlich, dass der Osten für eine hohe innere Konsistenz zu erhalten. Diese ist bei Typ den Typ 2 weniger von Bedeutung ist, als für den Typ 1. 1 mit einem Cronbachs Alpha von 0,75 und bei Typ 2 mit Was an den jeweiligen Orten erlebt wurde, lassen die Kar- einem Cronbachs Alpha von 0,69 gegeben. Aufgrund der ten vermuten, aber nicht beweisen. Es ist daher notwendig, hohen Ausgangsfallzahl sind die Ergebnisse mit diesen Wer- eine weitere Methode zu berücksichtigen. Die Reiseführer- ten als aussagekräftig einzuordnen (Janssen/Laatz 2010: analyse konnte hierzu erfolgreich eingesetzt werden. Wird 586 ff.). Typ 1 zeichnet sich besonders durch fünf Items aus z. B. der Westen analysiert, so wird das identifizierte Gebiet (vgl. Tab. 2), bevorzugt aktive außeralltägliche Praktiken im „Marco Polo Reiseführer“4 als ein „Shoppingzentrum, und lässt sich mit den Schlagworten „Hedonist“ und „Unter- Gourmetviertel und Dorado für Kulturhungrige“ (Berger haltung“ umschreiben. Typ 2 besitzt vier Items (vgl. Tab. 2) 2010: 51) beschrieben. Hier ist die „Restaurantdichte um und vereint vorrangig passive, alltägliche Routinehandlun- den Savignyplatz rekordverdächtig, der Ku’damm ist immer gen auf sich. Touristen dieses Typs sind tendenziell „Genie- noch die traditionelle Einkaufsmeile für die Besserverdie- ßer“ und bevorzugen „Erholung“ (vgl. Weber 2012b: 169). nenden, während im Schatten der Gedächtniskirche die Jün- Die räumliche Analyse dieser beiden charakteristischen geren bummeln und sich günstig einkleiden“ (Berger 2010: Gruppen ergibt, dass in beiden eine räumliche Konzentration 51). Beide Zitate spiegeln die Begriffe wider, die dem Typ im Stadtteil Mitte festgestellt werden konnte, dass aber Typ 2-Touristen zugeordnet werden können. Der Reiseführer 2 sich nicht im Osten Berlins aufhält und eher den Westen „Lonely Planet“ kommt zu einem ähnlichen Ergebnis und bevorzugt. Typ 1 befindet sich dagegen sowohl im Westen als auch im Osten Berlins (Friedrichshain). Das gewählte 4 Zur Auswahl der Reiseführer vgl. Kap. 3.2.
Neue Methoden der Mobilitätsanalyse 111 Tab. 2 Der in die Hauptkomponentenanalyse als Basis eingehende Tab. 3 Darstellung der Touristentypologie anhand ausgewählter Va- Itempool (linke Spalte) und die aus der Hauptkomponentenanalyse re- riablen (linke Spalte) ausgehend von den charakteristischen Praktiken sultierende charakteristische Zuordnung der Items zu Typ 1 und Typ 2 (rechte Spalte) Items Charakteristisch Charakte- Touristentypologie Typ 2 für Typ 1 ristisch für Genießer und Erholung Typ 2 √ Passive, alltägliche Routinehandlungen Reisestil: Zeit für Shoppen Touristentypologie Relevante touristische Praktiken Reisestil: Budget ist von Typ 2 entscheidend Aufenthaltsdauer circa 4 Tage Einkaufsbummel „Shoppen“ Reisestil: sich treiben lassen Mehrheitlich weiblich Im Café sitzen, in der Strandbar Reisestil: Planung bereits im chillen Voraus abgeschlossen Kommt vorrangig mit dem „Während Städtereisen habe ich Reisestil: Unternehmen, was zu Partner oder in der Gruppe Zeit für gemütliches Shoppen, Hause nicht möglich ist √ die mir im Alltag fehlt“ Reisestil: clubben und feiern √ Durchschnittlich 35 Jahre alt Gutes Essen und Trinken Reisestil: sexuelle Orientierung genießen ausleben Überwiegend deutsche Aktivität: kulturelle Nationalität Veranstaltungen Überdurchschnittlich hoher Aktivität: Geschichte erleben Bildungsstand Aktivität: Flair genießen √ Es wurden nur Variablen berücksichtigt, die einen spezifischen Aktivität: Einkaufsbummel Erklärungsanteil in der Faktorenmatrix von > 0.85 aufweisen (vgl. √ Janssen/Laatz 2010: 563 ff.) Aktivität: Café/Strandbar √ Aktivität: gutes Essen/Trinken genießen Sehenswürdigkeit East Side Gallery ein „Touristenmagnet“ Aktivität: Mode und Kunst der besonderen Art: „die Beach Bars entlang der East Side Aktivität: gleichgeschlechtliche √ Gallery, eine Art Venusfliegenfalle für Nachtgewächse und Szene aufsuchen √ alle, deren Lebensinhalt sich auf das Nichtstun beschränkt“ Aktivität: „richtig abfeiern“ √ (Schulte-Peevers/Haywood/O’Brien 2009: 127). Aktivität: was zu Hause nicht möglich ist Für die abschließende Interpretation der Ergebnisse ist es wichtig, auch die Datengenese in die Überlegungen mit- einzubeziehen. Von großer Bedeutung ist, dass die gesamte merkt zusätzlich rückblickend an, dass „in Charlottenburg GPS-Erhebung auf Teilnehmern basiert, die nicht verweigert im Kalten Krieg das glamouröse Herz Westberlins [schlug]. haben. Dies führt, wie bei jeder befragenden Untersuchung, Hier schwelgte der Jetset in den Früchten des Kapitalismus zu einer leichten Beeinflussung der Zusammensetzung der […]“ (Schulte-Peevers/Haywood/O’Brien 2009: 126). Probanden. Ziel ist es, für zukünftige Studien aufzuzeigen, Die Mobilitätspfade des Typ 1-Touristen, mit einer Präfe- welche Verweigerungsgründe aufgetreten sind. Eine aus- renz im Stadtteil Friedrichshain und einem Hang zu außerall- führliche Auseinandersetzung mit Verweigerung bei GPS- täglichen Praktiken sowie einer Tendenz zum Hedonismus Tracking-Studien findet sich bei Weber (2012b: 71 ff.). und Unterhaltung, erklären die Autoren des „Lonely Planet“ Hervorzuheben ist, dass die Mehrheit der ablehnend einge- wie folgt: „Richtig gute Clubs sind [im Westen] selten, dafür stellten Personen weiblichen Geschlechts ist. Angst, Perso- gibt’s viele Bars, darunter etablierte Schönheiten“ (Schul- nen ausgesetzt zu sein, welche aus niedrigen Beweggründen te-Peevers/Haywood/O’Brien 2009: 127). Somit kann eine das Privat- und Intimleben Dritter auskundschaften wollen, Erklärung angeboten werden, warum Typ 1 sich nicht nur im ist ein wichtiges Argument, die Teilnahme zu verweigern. Westen wie Typ 2, sondern zusätzlich im Osten aufhält. Die Kontrastierend zu den Aussagen der Verweigerer gaben Beschreibung von Friedrichshain im „Lonely Planet“ lässt 98,6 % der teilnehmenden Personen an, dass sie wäh- vermuten, warum Typ 2-Touristen dort keine Mobilitäts- rend des Aufenthalts ohne das Gerät keinen anderen Weg spuren hinterlassen haben. Denn in diesem Stadtteil Berlins zurückgelegt hätten. Wir können nicht ausschließen, dass es gibt es so gut wie keine touristischen Sehenswürdigkeiten: entgegen der Aussagen nicht doch zu einer leichten Beein- „Die touristische Sehenswürdigkeit beschränkt sich auf die flussung, eventuell unbewusst, gekommen ist. Festzuhalten East Side Gallery und die Karl-Marx-Allee, ein Paradebei- ist, dass sich Teilnehmer der GPS-Studie in Berlin durch das spiel stalinistischer Monumentalarchitektur“ (Schulte-Pee- Mitführen des GPS-Loggers nicht in ihrer Freiheit einge- vers/Haywood/O’Brien 2009: 154). Vielmehr befindet sich schränkt gefühlt haben. laut „Lonely Planet“ entlang der „offiziellen“ touristischen
112 H.-J. L. Weber, M. Bauder 5 Fazit Deinet, U. (2009): „Aneignung“ und „Raum“ – zentrale Begriffe des sozialräumlichen Konzepts. In: Deinet, U. (Hrsg.): Sozialräum- liche Jugendarbeit. Grundlagen, Methoden und Praxiskonzepte. Der vorliegende Beitrag zur Mobilitätserfassung im Kontext Wiesbaden, 27–57. des Tourismus konnte deutlich machen, dass trotz der exis- Downs, R.; Stea, D. (1982): Kognitive Karten. Die Welt in unseren tierenden Methodenvielfalt die Erfassung personenbezoge- Köpfen. New York. ner Mobilität bis dato über die mangelnde Differenzierung Edwards, D. (2009): Using GPS to Track Tourists Spatial Behaviour in Urban Destinations. Online unter: http://papers.ssrn.com/sol3/ von Individuen limitiert wurde. Dieser methodische Man- papers.cfm?abstract_id=1905286 (letzter Zugriff am 28.01.2013). gel ist durch die vorgestellte Methodentriangulation gelöst Edwards, D.; Griffin, T.; Hayllar, B.; Dickson, T. (2009): Making worden. Es konnte nachgewiesen werden, dass anhand von Tracks and Collecting Images: New Methods for Examining statistischen Verfahren auf der Grundlage von Fragebogen- Tourists’ Spatial Behaviour in Cities. In: Council for Australian University Tourism and Hospitality Education (Hrsg.): CAUTHE daten (touristische Praktiken) erfolgreich Mobilitätspfade 2009: See Change: Tourism & Hospitality in a Dynamic World. differenziert und unter Hinzunahme einer Textanalyse die Perth, 2023–2026. identifizierten Mobilitätsmuster und Aktionen inhaltlich Edwards, D.; Hayllar, B. (2010): Tracking the Paths of Visitors to Lon- erklärt werden können. Der vorgestellte Ansatz bietet damit don. In: Council for Australian University Tourism and Hospita- lity Education (Hrsg.): CAUTHE 2010: Tourism and Hospitality: die Möglichkeit, touristische Aktivität und raumbezogene Challenge the Limits. Hobart, 1761–1764. Mobilität zusammenhängend zu betrachten. Dieser Ansatz Elwood, S.; Goodchild, M. F.; Sui, D. Z. 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