Neue Methoden der Mobilitätsanalyse: Die Verbindung von GPS-Tracking mit quantitativen und qualitativen Methoden im Kontext des Tourismus

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Neue Methoden der Mobilitätsanalyse: Die Verbindung von GPS-Tracking mit quantitativen und qualitativen Methoden im Kontext des Tourismus
Raumforsch Raumordn (2013) 71:99–113
DOI 10.1007/s13147-013-0218-y

 Wissenschaftlicher Beitrag

Neue Methoden der Mobilitätsanalyse: Die Verbindung von
GPS-Tracking mit quantitativen und qualitativen Methoden im
Kontext des Tourismus
Hans-Jörg L. Weber · Michael Bauder

Eingegangen: 5. September 2012 / Angenommen: 18. Februar 2013 / Online publiziert: 12. März 2013
© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2013

Zusammenfassung Die Analyse von Mobilitätspfaden                      konkreten Beispielen erläutert. Es wird nachgewiesen, dass
erfordert aufgrund deren strukturellen Komplexität eine               qualitative und quantitative Methoden gemeinsam verwen-
Kombination von Einzelmethoden. Im ersten Teil des Bei-               det, GPS-Daten anhand sozialwissenschaftlicher Variablen
trags werden sozialwissenschaftliche Methoden zur Erfas-              sinnvoll differenziert werden können und somit Praktiken
sung von Mobilität im Kontext des Tourismus diskutiert.               und Individuen im Raum verbunden sind.
Es wird nachgewiesen, dass Einzelmethoden den Forde-
rungen nach sozialwissenschaftlichen Differenzierungs-                Schlüsselwörter GPS-Tracking · Mobilität ·
möglichkeiten von Mobilitätspfaden nicht gerecht werden               Hauptkomponentenanalyse · Geoinformationssystem ·
können. Erst die Verwendung eines konsistenten Metho-                 Mobilitätspfade · Tourismus
dendesigns, bestehend aus GPS-Tracking, Fragebogener-
hebung und Textanalyse, ermöglicht die Analyse auf einer
Ebene, die Individuum, Handlung und Mobilität im Raum                 New Methods in Mobility Analysis: The Combination
vereint. Im zweiten Teil wird die methodische Differen-               of GPS-Tracking with Quantitative and Qualitative
zierung von Mobilitätspfaden erläutert. Es zeigt sich, dass           Methods in the Context of Tourism
die Variable (touristische) Praktik im Sinne Bourdieus als
Erklärung für individuelle Aktivität erfolgreich verwendet
werden kann und für die Differenzierung von Mobilitäts-               Abstract Due to its structural complexity, the analysis of mo-
pfaden geeignet ist. Die Verbindung von Individualdaten               bility patterns requires a combination of individual methods.
(Fragebogenerhebung) und Raumdaten (GPS-Tracking)                     In the first part the socio-scientific methods of mobility acqui-
erfolgt anhand der explorativen Hauptkomponentenana-                  sition will be discussed in the context of tourism. It will be de-
lyse. Es wird gezeigt, wie die daraus entwickelten charakte-          monstrated, that individual methods cannot cope with the de-
ristischen Gruppen in einem Geographischen Informations-              mand for socio-scientific differentiation of mobility patterns.
system anhand der GPS-Daten räumlich abgebildet und im                Analysis on this new level will only be possible when using
Folgeschritt über die Textanalyse (Reiseführer) an den Ort            a consistent method design, composed of GPS-Tracking,
rückgebunden und analysiert werden können. Die erfolg-                questionnaire and text analysis, which unions the individual
reiche Kombination von GPS-Tracking mit quantitativen                 person, activity and mobility in space. In the second part of
und qualitativen Methoden wird im dritten Teil anhand von             this paper, the method of differentiating mobility patterns will
                                                                      be explained. It will be shown, that the variable (touristic)
                                                                      practice in terms of Bourdieu is suitable for the explanation of
M. Bauder ()
Institut für Umweltsozialwissenschaften und Geographie,               individual activity and for the differentiation of mobility pat-
Albert-Ludwigs-Universität Freiburg, Werthmannstraße. 4,              terns. The combination of individual (questionnaire) and spa-
79098 Freiburg, Deutschland                                           tial data (GPS-Tracking) is based on the principal component
E-Mail: michael.bauder@geographie.uni-freiburg.de
                                                                      analysis. It will be shown how the characteristic groups can
Dr. H.-J. L. Weber                                                    be spatially represented in a Geographic Information System
E-Mail: hjweber@geographie.uni-freiburg.de                            using the GPS-data and fed back with the results of the text
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analysis (guidebook). The successful combination of GPS-           Mobilität als ein verbindendes Element zwischen Handlung
Tracking with quantitative and qualitative methods will be ex-     und Struktur verstanden werden.
plained in the third section on the basis of practical examples.      Dem Thema Mobilität methodisch gerecht zu werden,
It will be provided evidence, that qualitative and quantitative    bedeutet die Vielfalt an Methoden in ihrer jeweiligen Reich-
methods can be successfully used together, GPS data can be         weite zu kennen und diese einschätzen zu können. Der
differentiated based on socio-scientific variables and practices   vorliegende Beitrag hat das Ziel, Methoden, die für die
and individuals are interlinked in space.                          Erfassung von individueller menschlicher Mobilität ver-
                                                                   wendet werden, zu sichten (Stand Juni 2012), kritisch zu
Keywords GPS-Tracking · Mobility · Principal                       diskutieren und zu bewerten. Dabei wird insbesondere auf
component analysis · Geographic information system ·               Differenzierungsmöglichkeiten von Bewegungsdaten ein-
Mobility patterns · Tourism                                        gegangen. Aus der Fragestellung, mit welchen alleinste-
                                                                   henden Methoden bzw. in welcher Methodenkombination
                                                                   diese Differenzierungsmöglichkeit erreicht werden kann,
1 Einleitung: Zur Komplexität des Mobilitätsbegriffes             ergibt sich die Forschungsfrage des Beitrags: Kann unter
                                                                   der obigen Auslegung des Mobilitätsbegriffs eine Diffe-
Der Mobilitätsbegriff ist in seiner Bedeutung von sozia-           renzierung der Mobilitätspfade anhand von sozialwissen-
ler (vertikaler und horizontaler) Mobilität (Korte/Schäfers        schaftlichen, handlungsbeschreibenden Variablen mittels
1995; Jahr/Schomburg/Teichler 2002; Zschocke 2005)                 einer Methodenkombination erfolgen? Der Kernpunkt der
über räumliche Mobilität in unterschiedlichsten Zeitskalen         folgenden Überlegungen basiert auf Untersuchungen zur
(Ewers/Tegner 1997; Scherer/Strauf 2007; Groß 2011) bis            Mobilität von Touristen. Während der Begriff Tourismus
hin zu virtueller Mobilität (Zoche/Kimpeler/Joepgen 2002)          in dieser Arbeit nach der allgemein anerkannten Definition
breit gefächert. Er nimmt in der globalisierten Welt eine          der Welttourismusorganisation (UNWTO) verwendet wird
elementare Bedeutung ein, die auf eine Beschleunigung des          (vgl. Freyer 2011: 2) und den Tagesbesucher damit explizit
Lebenstempos in Bezug auf die technische Entwicklung und           ausschließt, wird der Mobilitätsbegriff in Anlehnung an den
den sozialen Wandel zurückzuführen ist (vgl. Rosa 2005:            Begriff der touristischen Mobilität als Schnittstelle von Tou-
460). Die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem             rismus und Verkehr1 (vgl. Groß 2005: 1 ff.; Jain 2006: 39;
Mobilitätsbegriff findet in verschiedenen Disziplinen statt,       Groß 2008: 206 f.; Bieger 2010: 191; Groß 2011: 10 ff.) in
wie z. B. im Transportmanagement (Stopka 2009), den Ver-           An- und Abreiseverkehr sowie Verkehr innerhalb der touris-
kehrswissenschaften (Kagermeier 2007; Kummer 2010), bei            tischen Destination geteilt und die folgenden Betrachtungen
Infrastrukturentwicklungen (Noori 2011), bei touristischen         auf die Bewegung vor Ort, also innerhalb der Destination,
Mobilitätsmustern (Ahas/Aasa/Mark et al. 2007; Shoval/             weiter eingeengt.
Isaacson 2007; Freytag 2010) bis hin zu medizinisch-ger-              Abschließend wird anhand des Fallbeispiels der Stadt
iatrischen Forschungsvorhaben (Najafi/Aminian/Paraschiv-           Berlin gezeigt, welches Potenzial die hier vorgestellte Form
Ionescu et al. 2003; Shoval/Auslander/Freytag et al. 2008;         der Methodenkombinationen bietet und welche Besonder-
Hempel/Schewel/Wolf 2011).                                         heiten im Zuge der technischen Umsetzung und des Ana-
    In diesem Beitrag rekurriert der Begriff der Mobilität         lyseschemas zu berücksichtigen sind.
zunächst auf einem metrisch-absoluten Raumverständnis
als Durchführung eines Ortswechsels von A nach B (Knox/
Marston 2008: 152). Diesem Raumverständnis entspre-                2 Eindimensionale Methoden der Mobilitätserfassung
chend wird auf eindimensionale Methoden zurückgegriffen,
bei denen es um die räumlich-metrische Fixierung der von           In den vergangenen Jahrzehnten ist in der Mobilitäts-
den Touristen gegangenen Wege geht. Mit der Hinzunahme             forschung eine Vielfalt an quantitativen und qualitativen
einer textanalytischen Ebene in Kap. 3.2 und der damit ver-        Methoden entwickelt worden. Im Folgenden werden die
bundenen Zuschreibung von Handlung und Struktur an den             sechs am häufigsten in der tourismusgeographischen For-
Raum erweitert sich die Raumperspektive um ein relatio-            schung eingesetzten Methoden zur Erfassung von Mobilität
nales Verständnis. In diesem Sinne konstituiert sich Raum          vorgestellt und kritisch diskutiert. Dabei wird der jeweilige
über das Zusammenspiel von Ort (als bestimmter Punkt               Wert für die Erfassung von Mobilitätspfaden beleuchtet.
im metrisch-absoluten Raum), Individuum und Handlung
(Deinet 2009: 54). Der Begriff Mobilität bedeutet in die-
ser Auslegung eine Präferenz des Individuums für einen
bestimmten Pfad gegenüber einem anderen, um von A nach
B zu gelangen. Mit dieser Entscheidung verhilft die Mobi-          1
                                                                    Verkehr wird hier als „realisierte Mobilität […] und als Instrument,
lität Handlung zu einer räumlichen Struktur. Somit kann            das Mobilität ermöglicht“ (Jain 2006: 11) verstanden.
Neue Methoden der Mobilitätsanalyse: Die Verbindung von GPS-Tracking mit quantitativen und qualitativen Methoden im Kontext des Tourismus
Neue Methoden der Mobilitätsanalyse                                                                                      101

2.1 Beobachtendes Tracking                                     sowie Unternehmungen und Verhalten eigenständig festhal-
                                                                ten. In den Verkehrswissenschaften (vgl. Projekt „Mobili-
Unter den Methoden der Mobilitätserfassung von Indivi-          tät in Deutschland“ in: Kagermeier 2007: 739) sowie in der
duen spielte lange Zeit das „beobachtende Tracking“, bei        touristischen Mobilitätsforschung findet diese Methode in
dem ein Experte eine ausgewählte Person eine bestimmte          den letzten drei Dekaden kontinuierliche Anwendung (z. B.
Zeit verfolgt, verdeckt beobachtet und deren Bewegung           Pearce 1988; Fennell 1996; Thornton/Williams/Shaw 1997;
und Verhalten notiert, ein wichtige Rolle. Im Bereich der       Novák/Sykora 2007).
Tourismusgeographie sind dabei viele Arbeiten sowohl im             Die Nachteile der Tagebuchmethode resultieren in ers-
Schwerpunkt der Verhaltensbeobachtung (Murphy 1992;             ter Linie aus der notwendigen Beteiligungsbereitschaft der
Bödeker 2003; Gali-Espelt/Donaire-Benito 2006) als auch         Probanden. Speziell bei Touristen übersteigt der notwendige
im Schwerpunkt der Erfassung von Pfaden (Hartmann 1988;         Arbeitsaufwand für die Notation von Orten und Aktionen
Keul/Kühberger 1996; Keul/Kühberger 1997) entstanden.           schnell das Maß der Bereitschaft. Zudem ist die Motivation
   Die Methode des beobachtenden Trackings erfordert auf-       bezüglich valider und präziser Ergebnisse häufig deutlich
grund der notwendigen Eins-zu-eins-Situation von Forscher       niedriger, als für die Untersuchung eigentlich notwen-
zu Proband einen hohen Personal- und Zeiteinsatz und bedarf     dig wäre. Ein weiteres Problem ist, dass die Methode, im
deswegen entweder einer Begrenzung der Beobachtungszeit         Gegensatz zum einfachen Ankreuzen bei geschlossenen
auf meist zweistellige Minutenzahlen oder einer Begrenzung      Fragen auf Fragebögen, ein Maß an Artikulations- und Ab‑
des Umfanges der Probe (Bödeker 2003: 53). Dies führt           straktionsvermögen zur Kommunikation von Aktivität und
dazu, dass oftmals nur Teilaspekte des Verkehrs innerhalb       Verhalten von Seiten der Teilnehmer verlangt, welches nicht
einer Destination in die Untersuchung einfließen können         von allen Touristen geleistet werden kann (Kracht 2004: 3;
und die Mehrzahl der Beobachtungen nicht an ein reguläres       Bauder 2012: 421). Wird zudem bei der Untersuchung auf
Beobachtungsende geführt werden kann, da Zielpersonen in        eine zur Bewegung parallele Aufzeichnung verzichtet, tre-
unübersichtlichen Situationen aus den Augen verloren wer-       ten häufig Erinnerungslücken auf. Groß (2008: 209) limitiert
den können. Ferner kommt es beim beobachtenden Track-           daher die Abfrage nach konkreten Aufenthaltsorten auf den
ing zu einer Verzerrung der Untersuchung, da bereits bei der    vorangegangenen Tag. Damit existiert eine große zeitliche
Auswahl der Probanden eine Selektion nach offensichtlichem      und räumliche Beschränkung der Untersuchung. Ein wei-
touristischem Habitus erfolgen muss. Wiederholungsbesu-         teres Problem ist, dass Aufenthaltsorte nicht benannt oder
cher führen oftmals keine Kamera und keinen Reiseführer         einem Gebiet zugeordnet werden können. Hinzu kommen
mit sich, um nicht dem Bild des stereotypen Touristen zu ent-   unterschiedliche Interpretationen von Raumzusammenhän-
sprechen. Somit entziehen sich diese Touristen der Untersu-     gen. Eindeutige Zuordnungen sind so nur schwer oder gar
chung. Zudem finden bereits im Augenblick der Beobachtung       nicht möglich und die Folge ist ein großer Verlust an Posi-
selektive Wahrnehmungen und Interpretationen des Verhal-        tionsgenauigkeit und damit an Datenqualität.
tens bezüglich vorher definierter Fragestellungen statt.
   Ein entscheidender Punkt, der die Ablehnung des beob-        2.3 Mental Maps
achtenden Trackings als wissenschaftliche Methode impli-
ziert, ist, dass Personen ohne ihre Einwilligung verfolgt       Ein dem „time-space budget“ nahestehendes Vorgehen stel-
werden. Nach § 238 Abs. 1 Strafgesetzbuch (StGB) (Straf-        len die Mental Maps dar. Anstatt Touristen ihre Erlebnisse
taten gegen die persönliche Freiheit) kann das mehrfache        und Aktivitäten verschriftlichen zu lassen, erfolgt hier eine
verdeckte Verfolgen von Personen ohne deren Einwilligung        graphische Erfassung. Mental Maps sind geistige Reprä-
mit einer Freiheitsstrafe bis zu 3 Jahren belegt werden. Häu-   sentationen der Umwelt, welche von Individuen anhand
fig fühlen sich Probanden auch beobachtet und ändern dann       ihrer Erinnerung graphisch dargestellt werden. Der Begriff
ihr Verhalten oder ihre Route. Dies führt zu unerwünschten      „Mental Maps“ wurde von dem Psychologen Tolman (1948)
Abbrüchen der Beobachtung und fehlerhaften Ergebnissen.         geprägt. Er ging davon aus, dass räumliches Verhalten auf
   Der Vorteil dieser Methode ist, dass das Verhalten der       eine innere Repräsentation der Umwelt im Bewusstsein von
Probanden auf kleinräumiger Ebene erfasst und kategori-         Individuen zurückzuführen ist. Anfang der 1980er Jahre
siert werden kann. Zudem ist die Positionsgenauigkeit der       wurden Mental Maps als Bindeglied zwischen der Psycho-
Aufzeichnungen fast beliebig wählbar.                           logie und Geographie angesehen (Downs/Stea 1982), was
                                                                zu einer regen Perzeption dieser Methode in der Humangeo-
2.2 Tagebücher                                                 graphie und der Tourismusforschung führte (Hennig 1997;
                                                                Walmsley/Young 1998; Steinbach 2003; Barth-Scalmani/
Ein zweiter Ansatz zur Mobilitätserfassung sind „time-space     Scharr 2004).
budgets“ (Tagebücher). Die Probanden willigen dabei ein,           Bei der Mental Maps-Methode wird der Teilnehmer auf-
dass sie parallel zu oder im Anschluss an ihre Bewegung ihre    gefordert, aus seiner Erinnerung unbeeinflusst von Dritten zu
Aufenthaltsorte, Aufenthaltsdauer und gegangenen Wege           einem spezifischen Thema eine Karte auf einem leeren Blatt
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anzufertigen. Das ergebnis einer solchen Mental Map „gibt            Viele Untersuchungen benutzen zur Feststellung von
unser spezielles Verständnis der Welt wieder, und sie ist viel-   touristischen Mobilitätsmustern Daten von Foto-Sharing-
leicht nur von ferne der Welt ähnlich, wie sie auf topogra-       Anbietern wie Flickr, Picasa oder Panoramio. Auch bei
phischen Karten oder fotos gezeigt wird“ (Downs/stea 1982:        guter Datenqualität ergibt sich jedoch keine Eignung für den
24). Dieses Verfahren erzeugt eindrucksvolle ergebnisse, wie      Einsatz zur Feststellung von Mobilitätspfaden – entgegen
individuen denselben Ort unterschiedlich wahrnehmen.              den Aussagen von z. B. Girardin/Calabrese/Dal Fiore et al.
    Werden Mental Maps für die aufzeichnung von Mobi-             (2008) und Kisilevich/Krstajic/Keim et al. (2010). Insbe-
lität verwendet, ergibt sich zwangsläufig eine deutliche          sondere die darin enthaltene Aussage, dass Verhalten und
Unschärfe hinsichtlich der real stattgefundenen Bewegung,         Aktivität bestimmt werden können (Girardin/Calabrese/Dal
da menschliche Wahrnehmung und Erinnerung spezifisch              Fiore et al. 2008: 37; Kisilevich/Krstajic/Keim et al. 2010:
sind und ständig einer Überschreibung unterliegen (singer         289), muss deutlich zurückgewiesen werden und zwar aus
2001: 18). ein weiterer nachteil besteht darin, dass die Qua-     folgenden Gründen:
lität der Mental Maps stark von der zeichnerischen fähigkeit         In den Untersuchungen werden aus den Massendaten
sowie dem erinnerungsvermögen der teilnehmer abhängt.             nur die vorhandenen Metadaten extrahiert (gespeicherte
hinzu kommt, dass bei einer angestrebten hohen fallzahl           Schlagworte, Bildtitel, Aufnahmedatum und Aufnahmeko-
und einer Digitalisierung in einem geographischen infor-          ordinaten), das eigentliche Bild wird in der automatischen
mationssystem (gis) mit einem großen ressourceneinsatz            Verarbeitung nicht betrachtet. Was genau der Grund für den
zu rechnen ist. Wird eine möglichst exakte aufzeichnung           Aufenthalt und die Aufnahme war, bleibt im Verborgenen.
von Mobilität gewünscht, scheidet dieses Verfahren auf-           Zudem kann keine trennscharfe Unterscheidung zwischen
grund des stark konstruktiven charakters aus.                     Tourist und Nicht-Tourist und schon gar nicht zwischen
                                                                  verschiedenen touristischen Gruppen stattfinden, da keine
2.4 Volunteered geographic information (crowdsourcing)            Aussagen über den Grund des Besuchs sowie Angaben zur
                                                                  Person vorliegen. Bedenklich wird eine vorgenommene
Die wissenschaftliche Verwendung von freiwillig abgege-           Trennung, wenn sie den gängigen Definitionen von Touris-
benen räumlichen Daten – sogenannter „Volunteered geo-            ten (vgl. z. B. Freyer 2011: 2 ff.) widerspricht. So wird bei
graphic information“ (Vgi) – ist keineswegs ein neues             Girardin/Calabrese/Dal Fiore et al. (2008: 37) eine Person
Phänomen. Bereits in den 1930er Jahren gab es forschun-           als Tourist definiert, wenn alle seine Fotos eines bestimmten
gen, die auf einer aktiven Beteiligung von laien beruhten,        Gebietes (z. B. Rom) innerhalb von 30 Tagen aufgenom-
allerdings nach strikten handlungsanweisungen. Mit der            men wurden. Ist dies nicht der Fall, ist er Bewohner. Dar-
wachsenden Verbreitung des internets und dem damit ver-           über hinaus befindet sich die Nutzung der verorteten Fotos
bundenen aufkommen von Datenbanken, die ausschließlich            zumindest in einer rechtlichen Grauzone. Sofern die Positio-
von laien gespeist werden (sogenannter „User-genera-              nen der Aufnahmen bei einer kartographischen Darstellung
ted content“), gab es eine grundlegende Änderung in der           nicht aggregiert werden, sodass die Identifizierung eines
Datenerfassung: Die Datenüberprüfung erfolgt nicht mehr           einzelnen Punktes noch möglich ist, kommt die Anwendung
durch einzelne experten, sondern anhand einer Vielzahl            des Datenschutzrechts in Betracht (Weichert 2007: 17) und
von laien. in diesem fall wird innerhalb der „Voluntee-           die Nutzung personenbezogener Informationen kann nur
red geographic information“ (Vgi) von „crowdsourcing“             nach Einwilligung der betroffenen Person geschehen (Recht
gesprochen, das im folgenden betrachtet werden soll (vgl.         auf informationelle Selbstbestimmung). Gegen diese Aus-
elwood/goodchild/sui 2012: 572). Über die Qualität von            legung spricht allerdings, dass es in der Rechtsprechung nur
Crowdsourcing-Daten gibt es viele Untersuchungen (u. a.           darauf ankommt, ob „eine Zuordnung zu einer natürlichen
heipke 2010; girres/touya 2010), die letztlich alle die           Person mit einem ‚unverhältnismäßig großem Aufwand‘
Datenqualität in Zusammenhang zu der anzahl der mit-              möglich ist oder nicht. Unerheblich ist, ob die Zuordnung
arbeitenden Personen setzen: Je mehr Personen die Daten           zulässig wäre oder nicht“ (Weichert 2007: 19). Das ent-
editieren oder betrachten, desto höher ist die Datenqualität      scheidende Argument für die Ablehnung als Methode zur
(haklay/Basiouka/antoniou et al. 2010: 316). Das Problem          Mobilitätserfassung ist, dass der Upload von Fotos eine
für die nutzung der Daten bei Untersuchungen mit dem              selektive Wiedergabe touristischer Orte bedeutet und keine
Ziel einer repräsentativen Probandengruppe ergibt sich            kontinuierliche Aufzeichnung des Bewegungsmusters ist.
aus der existierenden Ungleichheit bei internetzugang und         Bedeutende Orte (significant places) werden, als Beweis der
-nutzung, dem sogenannten „digital divide“, der auch auf          Anwesenheit vor Ort, vermehrt fotografiert (Urry/Larsen
kleinen skalen wie städtetouristischen Destinationen eine         2011: 178 f.) und alle Aufnahmen bezüglich einer öffent-
Überrepräsentation von bestimmten gruppen in herausra-            lichen Wiedergabe selektiert. Insbesondere touristische
genden gebieten verursacht.                                       Nicht-Orte (in Anlehnung an Augé 2010), also Orte, die auf-
                                                                  grund mangelnder Identität, Relation und Geschichte nicht
Neue Methoden der Mobilitätsanalyse                                                                                                       103

Abb. 1 Gegenüberstellung von VGI- und GPS-Daten. (Quelle: Linkes Bild: verändert nach Fischer (2012), rechtes Bild: eigene Darstellung)

zu den touristischen „Spots“ zählen, werden in der Regel               suchung touristischer Mobilität auf der Grundlage von
nicht abgebildet (vgl. Abb. 1).                                        GSM-Daten wurde von Ahas/Aasa/Mark et al. (2007) und
   Neben der festgestellten mangelnden Eignung für die                 Ahas/Aasa/Roose et al. (2008) mittels GSM-Roaming-
Wiedergabe der tatsächlichen Mobilitätspfade und Auf-                  Daten von Estlandreisenden durchgeführt. Sie verfolgten
enthalte besteht nach Meinung der Autoren in der Analyse               dabei den Ansatz, Roaming-Daten aus dem Mobilfunk-
von Crowdsourcing-Fotodaten ein interessanter Ansatz für               netz für die Aufzeichnung von Bewegungsmustern zu ver-
Untersuchungen zu den Aspekten der Raumwahrnehmung                     wenden. Dabei konnte innerhalb der Funkzellen und somit
bzw. der Raumwiedergabe. Weitere Forschungen müssen                    in den verschiedenen Landesteilen eine unterschiedliche
dies aber erst untersuchen.                                            Dichte an Reisenden nachgewiesen werden. Ahas/Aasa/
   Ein möglicher Crowdsourcing-Ansatz zur Erfassung von                Roose et al. (2008: 469) weisen aber darauf hin, dass das
Mobilitätspfaden via GPS-Tracking mit Hilfe von Smart-                 verwendete Verfahren keine personenbezogenen Daten
phones muss zurzeit negativ beurteilt werden. Dies liegt               erfasst und die dadurch gewonnenen Daten folglich inhalts-
nicht nur an der deutlich schlechteren Positionsgenauig-               leer bleiben. Auch konnten aufgrund des Methodendesigns
keit aufgrund der eingeschränkten Platzierungsmöglichkeit              über die Roaming-Einwahl nur Besucher mit ausländischer
der GPS-Antenne neben den primären Mobilfunkantennen                   Mobilfunknummer erfasst werden. Bei Kracht (2004: 4) fin-
(Wi-Fi, GSM u. a.), sondern auch an den Kosten der Pro-                det sich zudem der Hinweis, dass mit einem Fehler in der
grammentwicklung (Software) für die unterschiedlichen                  Positionsbestimmung von circa 100 m zu rechnen ist, selbst
Systemplattformen (iPhone, Android, Windows Phone).                    in Gebieten mit bestmöglichem Empfang.
Des Weiteren wird die Zusammensetzung einer Untersu-                      Theoretisch besteht die Möglichkeit, die Mobilfunk-
chungsgruppe durch die notwendige Verwendung eines                     kunden via E-Mail oder Short Message Service (SMS) mit
Smartphones und den Download einer entsprechenden                      der Bitte um Teilnahme an einer Online-Umfrage zu kon-
Applikation, der der Definition des Begriffes Crowdsour-               taktieren, um an personenbezogene Daten zu gelangen.
cing folgend auch freiwillig, ohne direkte Ansprache erfol-            Aber neben ungelösten methodischen Fragen (Erfassung
gen muss, auf eine nicht repräsentative Gruppe eingegrenzt.            von nationalen Touristen) und einem sehr hohen Ressour-
                                                                       ceneinsatz, sind vor allem datenschutzrechtliche Gründe
2.5 GSM-Tracking                                                      als ultimative Hürde anzusehen. Die aktuellen Debatten
                                                                       hinsichtlich des Datenschutzes bei deutschen Mobilfunk-
Den GSM-Mobilfunk-Standard für die Aufzeichnung von                    anbietern lassen die wissenschaftliche Verwendung von
Mobilitätsdaten zu verwenden ist aufgrund der fast welt-               GSM-Daten in weite Ferne rücken.
weiten Verbreitung naheliegend. Eine landesweite Unter-
104                                                                                                        H.-J. L. Weber, M. Bauder

2.6 GPS-Tracking                                                  Tab. 1 Reichweite ausgewählter Methoden
                                                                                                 GPS-     Fragebogen- Reisefüh-
Bei der Methode des GPS-Tracking werden die Probanden                                            Tracking erhebung    reranalyse
mit „Datenloggern“ ausgestattet. Moderne GPS-Datenlog-             Hochaufgelöste                √        ×           ×
ger sind ungefähr so groß wie eine Streichholzschachtel und        Raum-Zeit-Daten
                                                                                                 √        ×           ×
werden vor dem Einsatz programmiert, in welchem Auf-               Erfassung von Orten und
                                                                   Pfaden
zeichnungsrhythmus und ab wann (Schwellenwerte, z. B.                                            √        √
                                                                   Hohe Fallzahl möglich (mitt-                       ×
schneller als 5 km/h) das GPS-Signal aufgezeichnet werden
                                                                   lerer 3-stelliger Bereich)    √        √           √
soll. Da die gängigen Logger (z. B. i-Blue 747A + oder Win-
                                                                   Universelle Verfügbarkeit
tec WBT-202) passive Systeme sind, müssen diese von den                                                    √
                                                                   Sozialwissenschaftliche          ×                    ×
Probanden nur alle 24–40 h (je nach Aufzeichnungsrhyth-            Differenzierung
mus) aufgeladen werden.                                            Schnittstelle zwischen Indivi-
                                                                                                    √      √             ×
   Die notwendige technische Infrastruktur für das GPS-            dual- und Raumdaten              √      √
Tracking ist seit Mitte der 1990er Jahre verfügbar. Trotzdem       Langzeiterfassung                                     ×
ist diese Methode erst im Anfangsstadium zur Erfassung             Erfassung von                    ×      √             √
von raum-zeit-gebundenen Daten menschlicher Individuen             Ortszuschreibungen
                                                                                                             √            √
im Einsatz. Bauder (2012: 421) führt dies hauptsächlich auf        Erfassung von (touristischen) ×
den lange existierenden Mangel geeigneter Analyse- und             Praktiken
Auswertungsprogramme zurück. Zudem spielt die erst im              Dargestellt ist, ob die jeweils alleinstehende Methode die in den
                                                                   Spalten gelisteten Punkte erfüllen kann (Haken) oder nicht (Kreuz)
Jahr 2000 erfolgte Abschaltung der künstlichen Signalver-
fälschung (selective availability) eine Rolle. Die Unter-
suchung der Bewegung von menschlichen Individuen in
abgegrenzten räumlichen Systemen mittels GPS-basiertem             3 Mehrdimensionale Methodenkombination zur
Tracking wurde erstmals von Kracht (2004) und Shoval/                 Mobilitätserfassung
Isaacson (2006) wissenschaftlich behandelt.
   Der Vorteil der GPS-Tracking-Methode liegt in einer             Die in Kap. 2 vorgestellten Methoden werden in verschie-
räumlich und zeitlich nahezu unbegrenzten Mobilitätser-            denen Arbeiten für die Erfassung von Mobilität verwendet.
fassung. Der limitierende Faktor ist dabei in der Regel die        Doch weisen alle Methoden für sich genommen unauflös-
Speicherkapazität der Datenlogger. Des Weiteren kann im            bare Defizite auf, weil das konstruktive Element, also die
Vergleich zum beobachtenden Tracking, der Tagebücher               Beeinflussung der Probanden hinsichtlich Reaktivität bzw.
und der Mental Maps eine sehr hohe Fallzahl erreicht wer-          Antwortverzerrung durch charakteristische Elemente der
den, da in kurzer Zeit viele Geräte gleichzeitig in Umlauf         jeweils verwendeten Methode, stark vorherrschend ist (z. B.
gebracht werden können (Bauder 2012: 422 ff.). Darüber             Tagebuch, Mental Map), sozialwissenschaftlich relevante
hinaus kann für die in dieser Arbeit verfolgten Ziele (vgl.        Daten nicht erhoben werden können (z. B. GSM-Tracking)
Kap. 1) selbst in Großstädten (vgl. für London: Edwards/           oder eine Differenzierung bei alleinigen GPS-Daten nur
Hayllar 2010) mit einer ausreichenden Positionsgenauigkeit         anhand der zeitlichen Dimension möglich ist.
gerechnet werden (6–10 m, an einzelnen Stellen (worst site            Die GPS-Methode bietet allerdings die Möglichkeit,
position) < 17 m für 95 % der Punkte). Für eine detaillierte       objektive Mobilitätsdaten mit sozialwissenschaftlichen
Analyse der Genauigkeiten der GPS-Positionsbestimmung              Fragebogendaten zu verbinden. Aus Tab. 1 wird ersicht-
in Städten sei auf Bauder (2011: 12 ff.) verwiesen. Zuletzt        lich, dass eine Methodenkombination erforderlich ist, wenn
ist auch die universelle und unentgeltliche Verfügbarkeit          anhand von sozialwissenschaftlich relevanten Variablen
der satellitengestützten Ortung ein großer Vorteil. Da beim        Mobilität differenziert werden soll.
GPS-Tracking die Teilnahme an der Untersuchung freiwil-
lig erfolgt und die Aufzeichnung jederzeit durch das Aus-          3.1 Kombination von GPS-Tracking und
schalten des Gerätes beendet werden kann, existieren im                 Fragebogenanalyse
Gegensatz zum GSM-Tracking keine datenschutzrechtliche
Bedenken.2                                                         Die Kombination von Fragebogenerhebung und GPS-
                                                                   Tracking ermöglicht die gewünschte Verknüpfung von
                                                                   Individual- mit Raumdaten. Die Vorgehensweise des
                                                                   Informationsaustausches zwischen den Daten lässt sich in
                                                                   Abb. 2 nachvollziehen. Alle Fragebögen wurden mit einer
2
 Für weitere Ausführungen über die Privatsphäre im Rahmen von      fortlaufenden ID versehen, mittels welcher eindeutige Ver-
GPS-Tracking vgl. Weber (2012b: 71 ff.) und Bauder (2011: 2 f.).   knüpfungen zwischen Fragebogen und GPS-Track inner-
Neue Methoden der Mobilitätsanalyse                                                                                    105

Abb. 2 Prozess der GPS-Fragebogen-Methodensynthese

halb eines Geographischen Informationssystems hergestellt       die die Analyse und insbesondere den Vergleich von zurück-
werden können. Mit dieser Methodenkombination können            gelegten Wegen sehr weit in den Bereich des Spekulativen
Mobilitätsmuster auf der Grundlage von Fragebogenvaria-         verlagert. Da sich selbst neuere Arbeiten auf die optische
blen erfolgreich differenziert werden (vgl. Abb. 3 und 4).      Interpretation einzelner Tracks beschränken (vgl. Edwards
    Das technische Vorgehen zur Differenzierung von Mobi-       2009; Edwards/Griffin/Hayllar et al. 2009; Edwards/Hayllar
litätsmustern basiert hauptsächlich auf der Schaffung einer     2010) besteht ein großer Bedarf, die Methode der GIS-Ana-
digitalen Schnittstelle zwischen Fragebogen- und Track-         lysen wie im Folgenden beschrieben weiterzuführen.
ing-Daten. Dazu werden die Tracking-Daten umgewandelt              Eine Differenzierung von Mobilitätsmustern erfordert
(z. B. von .nmea zu .shp), in ein GIS importiert, von Fehlern   somit eine Differenzierungsmöglichkeit für die Fragebo-
bereinigt und mit zusätzlichen Informationen, wie z. B. der     gendaten. Die Differenzierung anhand der Hauptkompo-
Geräte-ID, versehen. Anschließend werden die Tracks über        nentenanalyse (HKA) stellt ein gängiges Verfahren in den
ein engmaschiges Raster aggregiert (vgl. „aggregierte Dar-      Tourismuswissenschaften dar (vgl. Hirtenlehner/Mörth/
stellung“ in Abb. 5) und mit den Daten aus den Fragebögen       Steckenbauer 2002; Yfantidou/Costa/Michalopoulos 2008;
verknüpft. Für die Darstellung der Aufenthaltsorte werden       Meng/Tepanon/Uysal 2008; Höpken/Gretzel/Law 2009).
die signifikanten touristischen Aufenthaltsorte berech-         Zielführend hierzu sind die Überlegungen von Hirtenlehner/
net und über eine Dichtefunktion gegen nicht signifikante       Mörth/Steckenbauer (2002), dass Touristentypen anhand
Gebiete abgegrenzt. Mit der Aggregation der Tracks und          von Faktorenanalysen grundsätzlich erfolgreich bestimmt
der Verknüpfung mit den Fragebögen ist es nun möglich,          werden können. Das Verfahren der Hauptkomponenten-
bestimmte Gruppen aus dem gesamten Datensatz a poste-           analyse ermöglicht auf explorativem Wege, charakteris-
riori zu selektieren und deren Bewegungsmuster separiert        tische Typen zu eruieren, welche für die Differenzierung
von der Grundgesamtheit darzustellen und weitergehend zu        der GPS-Raumdaten eingesetzt werden können. Dabei
interpretieren. Im Gegensatz zu den Varianten der a priori-     gehen jedoch keineswegs alle Probanden in charakteristi-
Segmentierungen (vgl. Tchetchik/Fleischer/Shoval 2009)          schen Gruppen auf. Dies bedeutet, dass mittels der Haupt-
ist es nun denkbar, direkt mit den Persönlichkeitsattributen    komponentenanalyse methodisch nachvollziehbar Gruppen
der Touristen zu arbeiten und diese bei Bedarf im Nachhi-       identifiziert werden können, deren Mobilität im weiteren
nein zusammenzufassen, neu zu klassifizieren und zu ver-        Verlauf kartographisch visualisiert wird. Weitere Differen-
gleichen. Die rein deskriptive Darstellung der Tracks, ohne     zierungsmöglichkeiten können auch unabhängig von der
Verknüpfung mit den Daten aus den Fragebögen als rein           Hauptkomponentenanalyse sein, z. B. Alter, Bildungsstand
quantitative Methode über direkte bildgebende Verfahren         oder Nationalität. Der Vorteil der Typisierung mittels dem
(z. B. anhand von Google Earth; vgl. „quantitative Darstel-     explorativen Verfahren der Hauptkomponentenanalyse ist,
lung“ in Abb. 5), ermöglicht nur eine optische Untersuchung,    dass ein konsistentes Forschungsdesign besteht, in welchem
106                                                                                                    H.-J. L. Weber, M. Bauder

Abb. 3 GPS-Tracks des Typs 1 anhand der Ergebnisse der Hauptkomponentenanalyse

quantitative Personen- und GPS-Daten schlüssig zu einem            3.2 Methodentriangulation von GPS-Tracking,
Ganzen verbunden werden, aber dennoch differenzierbar                   Fragebogen- und Textanalyse
sind.
   Die rein optische Interpretation kann mit dieser Metho-         Die Überwindung der Grenze der GPS-Fragebogen-Kom-
denkombination überwunden werden. Dennoch soll die                 bination kann über die Verbindung von qualitativer Text-
innovative Kombination nicht darüber hinwegtäuschen, dass          analyse und den verwendeten quantitativen Methoden
auch dieses Verfahren Grenzen aufweist. Es kann statistisch        geschehen. Die Berücksichtigung der qualitativ gewonne-
valide mittels der Hauptkomponentenanalyse oder einzel-            nen Daten der Textanalyse gibt die Möglichkeit, Informa-
nen Variablen nachgewiesen werden, wo sich bestimmte               tionen hinsichtlich Ortszuschreibungen für einen weiteren
Mobilitätstypen bewegt haben. Für die Beantwortung der             Abgleich zu erhalten.
Frage nach den konkreten Aktivitäten vor Ort und dem                  Im Gegensatz zur GPS-Fragebogen-Kombination erfolgt
Anlass des Besuchs bedarf es weiterer Informationen. Hier-         bei der Methodentriangulation die Auswertung der differen-
für bietet der Fragebogen nur eine unzureichende Antwort an,       zierten Mobilitätsmuster unter Hinzunahme einer text-her-
denn ein Fragebogen kann den notwendigen Detailreichtum für        meneutischen Ebene. Das bedeutet, dass die Interpretation
die Beantwortung der Frage nach möglichst allen Aktivitäten        der Karten zuerst visuell und im Folgeschritt anhand der
und allen besuchten Orten nicht befriedigen (Kracht 2004:          Textebene geschieht. Der Einsatz dieser Methodensynthese
3). Deswegen soll im Folgenden eine erweiterte Form der            wurde von Weber (2012a) erstmals durchgeführt und dis-
Methodenkombination vorgestellt werden, mit welcher die            kutiert. Wie Weber (2012b: 144) nachgewiesen hat, sind
im Rahmen der Differenzierung identifizierten Orte näher           Reiseführer für die Analyse von touristischen Orten und
untersucht werden können.                                          Praktiken besonders geeignet, weil diese Kondensate media-
                                                                   ler Repräsentationen darstellen und im Gegensatz zu digita-
                                                                   len Medien umfassender und vergleichbarer gestaltet sind.
                                                                   Die Reiseführeranalyse dient in diesem Zusammenhang
Neue Methoden der Mobilitätsanalyse                                                                                              107

Abb. 4 GPS-Tracks des Typs 2 anhand der Ergebnisse der Hauptkomponentenanalyse

ausschließlich als Referenz, um spezifische Mobilitätsmus-             werden, anhand derer in Schritt 2 über die Schnittstelle zu
ter zu erklären, und nicht um Zusammenhänge zwischen                   ArcGIS eine Karte generiert werden kann (Bauder 2011:
Mobilitätsmustern und Reiseführern zu konstatieren. Neben              23 ff.). Der dritte Schritt ist die Identifikation von charak-
der komparativen Analyse von verorteten touristischen                  teristischen Orten, gefolgt von der Benennung und Abgren-
Praktiken wird bei der Analyse ein besonderes Augenmerk                zung des Gebietes in Schritt 4. Der fünfte Schritt stellt die
auf das Element der Konstruktion von Orten und damit ver-              Recherche in Texten – wie z. B. Reiseführern – nach Ortszu-
bundenen Praktiken gelegt. Die Auswahl der Reiseführer                 schreibungen identifizierter Gebiete und Orte dar und greift
erfolgte in einem mehrstufigen Schema (vgl. Weber 2012b:               auf den Informationsgehalt der Texte zurück. Idealerweise
61), das die Vergleichbarkeit hinsichtlich Relevanz (Ver-              kann dann, ausgehend von den Zuschreibungen aus Schritt
kaufszahlen), Aktualität (möglichst gleiches Erscheinungs-             5, die gewählte touristische Praktik aus Schritt 1 verifiziert
jahr) und Übereinstimmung des behandelten Raumes unter                 und in einem sechsten Schritt synthetisiert werden.
den Reiseführern gewährleistet. Die Vorgehensweise der                     Um im Folgenden die Potenziale und die Signifikanz der
beschriebenen Methodentriangulation ist in Abb. 6 darge-               beschriebenen Methodentriangulation darzulegen, ist ein
stellt. Das methodische Vorgehen beinhaltet sechs Schritte             zusammenfassender Blick zielführend. Die Vielfalt an Ver-
und wurde für die Analyse im Rahmen der Erfassung städ-                fahren zur Mobilitätserfassung (vgl. Abb. 5) darf nicht dar-
tetouristischer Mobilität entwickelt, weswegen in Schritt 1            über hinwegtäuschen, dass sich in den letzten Jahrzehnten
der Begriff touristische Praktik3 gewählt wird. Hier können            zwei große Strömungen gebildet haben, welche sich metho-
der Forschungsfrage entsprechend Prädiktoren ausgewählt                disch gesehen gegenüberstehen: analoge versus digitale
                                                                       Datenerfassung. Es konnte in diesem Beitrag nachgewiesen
3
  Der Begriff „Praktik“ beschreibt gegenständliche oder strukturge-    werden, dass beobachtende Verfahren Beschränkungen hin-
bende Handlungen von Individuen und findet seinen Ursprung bei dem     sichtlich der Fallzahl, der Differenzierung und der Legali-
Soziologen Bourdieu (1982) und wurde von Freytag (2008) anhand
                                                                       tät des Verfahrens aufweisen. Tagebücher und Mental Maps
der Destination Paris auf den touristischen Kontext übertragen. Wei-
terführende Überlegungen zur theoretischen Einbettung und empiri-      weisen nicht die Präzision, geschweige denn die Möglich-
schen Integration finden sich bei Weber (2012b: 151 ff.).              keit einer Differenzierung auf, wie dies bei einer Methoden-
108                                                                                                             H.-J. L. Weber, M. Bauder

Abb. 5 Entwicklung der Trackingmethoden zur Erfassung der Mobilität von Touristen während des Aufenthaltes innerhalb der letzten 25 Jahre.
(Die Begriffe „quantitative Darstellung“ und „aggregierte Darstellung“ beziehen sich auf die in Kap. 3.1 beschriebenen Darstellungsformen.)

Abb. 6 Ablaufplan für
die Verwendung von
Reiseführern in der
Mobilitätsanalyse

kombination der Fall ist. Auch die alleinige Verwendung von            abzuleiten. Wie in Abb. 1 zu erkennen ist, weist diese Form
GPS-Daten führt in die Sackgasse der Deskription (Shoval/              der Mobilitätserfassung nicht zu kompensierende methodi-
Isaacson 2007) und ist für die Sozialwissenschaften nicht              sche Defizite gegenüber dem Einsatz von GPS-Daten auf.
von großem Erkenntnisgewinn. Die Verwendung von VGI-                       Die beschriebenen Defizite aller vorgestellten Methoden
Daten wird unter anderem von Kisilevich/Krstajic/Keim et               kulminieren in dem für Sozialwissenschaften relevanten Kri-
al. (2010) und Girardin/Calabrese/Dal Fiore et al. (2008) pro-         terium der fehlenden Differenzierbarkeit von Mobilitätsdaten.
pagiert. Doch sind sie dem Fehlschluss erlegen, aus subjekti-          Die in einer quantitativen Arbeitsausrichtung geforderte hohe
ven, selektierten Daten Aussagen zu Verhalten und Aktivität            Fallzahl kann bei den Fragebogen- und GPS-Daten und damit
Neue Methoden der Mobilitätsanalyse                                                                                      109

Abb. 7 Bewegungsprofil von Berlinbesuchern

auch in deren Synthese eingehalten werden. Dadurch gewinnt      4 Fallbeispiel: Touristische Mobilitätspfade in Berlin
die Erfassung der Mobilitätsdaten und insbesondere deren
Differenzierung anhand der explorativ gewonnenen Prädik-        Im Sommer 2010 wurde eine Erhebung im Rahmen des von
toren in der eben beschriebenen Form eine Signifikanz im        der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) finanzierten
Sinne des Gesetzes der großen Zahlen und eine Relevanz für      Projektes „Aktuelle Entwicklungen des europäischen Städte-
sozialwissenschaftliche Fragestellungen im Hinblick auf die     tourismus in Berlin“ durchgeführt. Die Ansprache der Pro-
Mobilitätsanalyse. Das vorgestellte Verfahren weist zudem ein   banden fand an zwei permanenten Standorten (Meininger
Alleinstellungsmerkmal auf, indem eine nahtlose Kombination     Hotel Berlin Hauptbahnhof sowie Berlin Tourist Info im
der verschiedenen Methoden angestrebt und erreicht werden       Hauptbahnhof) für eine Dauer von 14 Tagen statt. Angespro-
kann (vgl. Abb. 2 und Russo/Clave/Shoval 2010). Über die        chen wurden in regelmäßigen zeitlichen Abständen zufällig
statistische Auswertung der Fragebogendaten, z. B. anhand des   ausgewählte Personen, welche Berlin für länger als einen Tag
explorativen Verfahrens der Hauptkomponentenanalyse, kön-       besuchten. Für die Analyse standen nach Abschluss der Erhe-
nen im Folgeschritt Bewegungsmuster der auf diesem Wege         bung 498 Fragebögen und 253 GPS-Tracks zu Verfügung.
gewonnenen Typen kartographisch visualisiert werden. Dieses     Das 2:1 Verhältnis von Fragebögen zu Tracks resultiert aus
Vorgehen konnte z. B. in den Forschungsvorhaben von McKer-      den Tatsachen, dass bei Gruppen (Familien, Partnern etc.)
cher/Shoval/Ng et al. (2010), Orellana/Bregt/Ligtenberg         mehrere Fragebögen ausgefüllt, aber nur ein Datenlogger
et al. (2012) und Wolf/Hagenloh/Croft (2012) nicht realisiert   mitgeführt wurde und dass ausgefüllte Fragebögen auch bei
werden.                                                         Verweigerung der Teilnahme am Tracking akzeptiert wurden.
   Im Folgenden wird anhand des Fallbeispiels des multime-      Das Ziel dieser Untersuchung war die Analyse touristischer
thodalen Mobilitätstrackings von Touristen in Berlin anhand     Mobilität. Im Mittelpunkt stand dabei die Frage nach Dif-
konkreter Beispiele gezeigt, wie die Anwendung dieser           ferenzierungsmöglichkeiten von Mobilitätspfaden anhand
Methodenkombination erfolgreich eingesetzt werden kann.         von sozialwissenschaftlichen Variablen wie z. B. touristische
                                                                Praktiken im Sinne von Bourdieu (1982) (vgl. Kap. 3.2).
110                                                                                                        H.-J. L. Weber, M. Bauder

   Das Ziel, Mobilitätspfade anhand geeigneter Variab-         Vorgehen ermöglicht das Bewegungsprofil des Typ 2-Tou-
len aus Fragebögen über eine Schnittstelle zwischen dem        risten mit den Informationen aus Tab. 3 zu verbinden. Somit
Programm SPSS und ArcGIS zu differenzieren, konnte             erhalten wir für die differenzierten Bewegungsmuster sta-
erreicht werden (vgl. Abb. 3 und 4). Es zeigte sich, dass      tistisch valide soziodemographische Daten. Anhand der bei-
touristische Praktiken besonders geeignet sind, bestehende     den identifizierten Typen wird im Folgenden der Mehrwert
Unterschiede, aber auch Konzentrationen hinsichtlich der       der Methodenkombination von GPS-Tracking, Fragebogen-
Mobilitätsmuster offenzulegen.                                 und Textanalyse erläutert. Hierzu werden die Mobilitäts-
   Folgende drei Ziele konnten in dem multimethodalen          pfade der Typen 1 und 2 in Berlin interpretiert.
Verfahren vereint werden (vgl. Weber 2012b):                       Typ 1 weist eine deutliche Konzentration in Berlin-Mitte
                                                               auf (vgl. Abb. 3). Einer Ameisenstraße gleich können die
•	Erfassung und aggregierte Darstellung der GPS-Tracks
                                                               S-Bahn-Linien (S5, S7, S75) zwischen dem Hauptbahnhof
•	Differenzierung der GPS-Daten anhand von spezifischen
                                                               und dem Alexanderplatz ausgemacht werden, welche bei
   Gruppen (Hauptkomponentenanalyse)
                                                               der Auswertung von Flickr-Daten nicht auftauchen (vgl.
•	Erklärung von Verhalten und Aktivität der spezifischen
                                                               Abb. 1). Des Weiteren sind die Pfade im Bereich Unter den
   Mobilitätsmuster
                                                               Linden und angrenzenden Straßen deutlich zu erkennen.
Die aggregierte Darstellung konnte für die Gesamtheit der      Interessant ist, dass im Osten eine „Brachfläche“ touristi-
GPS-Fragebogen-Daten aufzeigen, wo sich die Berlinbe-          scher Mobilitätspfade mit Ausnahmen im Bereich des Ost-
sucher vorrangig aufgehalten haben und welche Gebiete          bahnhofes und des Boxhagener Platzes zu verzeichnen ist.
gemieden wurden. Bis hin zu einer Netzweite von 10 m               Das identifizierte Muster um den Boxhagener Platz taucht
bezüglich der Aggregation (vgl. Kap. 3.1 und Bau-              in den Mobilitätspfaden des Typ 2-Touristen nicht auf (vgl.
der 2012: 424) konnte somit ein recht genaues Bild von den     Abb. 4). Vielmehr scheinen Orte im Osten Berlins außerhalb
kollektiven Bewegungsmustern der Städtetouristen erzeugt       der Wahrnehmung der Typ-2-Touristen zu sein. Ein Erklä-
werden (vgl. Abb. 7).                                          rungsansatz wird über die Reiseführeranalyse im nächsten
   Die Fragebogen-Daten (n = 498) wurden über eine Haupt-      Abschnitt angeboten. Die Konzentration der Mobilitätspfade
komponentenanalyse differenziert und die Mobilitäts-           lässt sich auch hier im Zentrum finden, aber weniger inten-
pfade der jeweiligen Touristentypen als Karte visualisiert.    siv im Bereich Unter den Linden, sondern in den drei großen
Die explorative Typengewinnung basiert dabei auf touris-       Bereichen Alexanderplatz, Hauptbahnhof mit einer Achse in
tischen Praktiken. Der Itempool der Hauptkomponenten-          Richtung Reichstag und Brandenburger Tor. Auf dem Weg
analyse setzt sich aus 17 Variablen zusammen (vgl. Tab. 2),    zum Potsdamer Platz führt dieser „touristische Trampel-
welche likertskaliert im Rahmen der Erhebung abgefragt         pfad“ am Denkmal für die ermordeten Juden Europas vorbei.
wurden. Aus der Hauptkomponentenanalyse resultieren zwei       Besonders prominent tritt dabei im Westen der Bahnhof Zoo-
charakteristische Gruppen, die aus dem Screeplot (vgl. Jans-   logischer Garten mit dem Kurfürstendamm in den Fokus. Der
sen/Laatz 2010: 565) identifiziert werden konnten und von      Typ 2-Tourist bewegt sich auf einer Art Kreispfad, der sicher-
14 bzw. 25 Personen repräsentiert werden. Diese Personen       lich durch das Verkehrsnetz, aber auch durch die Verortung
bilden dabei zwei signifikante Typen von Touristen, da eine    von Sehenswertem, welches auf einer Achse liegt, erklärt
Zuordnung nur bei mathematischer Signifikanz erfolgte, um      werden kann. Die Analyse zeigt deutlich, dass der Osten für
eine hohe innere Konsistenz zu erhalten. Diese ist bei Typ     den Typ 2 weniger von Bedeutung ist, als für den Typ 1.
1 mit einem Cronbachs Alpha von 0,75 und bei Typ 2 mit             Was an den jeweiligen Orten erlebt wurde, lassen die Kar-
einem Cronbachs Alpha von 0,69 gegeben. Aufgrund der           ten vermuten, aber nicht beweisen. Es ist daher notwendig,
hohen Ausgangsfallzahl sind die Ergebnisse mit diesen Wer-     eine weitere Methode zu berücksichtigen. Die Reiseführer-
ten als aussagekräftig einzuordnen (Janssen/Laatz 2010:        analyse konnte hierzu erfolgreich eingesetzt werden. Wird
586 ff.). Typ 1 zeichnet sich besonders durch fünf Items aus   z. B. der Westen analysiert, so wird das identifizierte Gebiet
(vgl. Tab. 2), bevorzugt aktive außeralltägliche Praktiken     im „Marco Polo Reiseführer“4 als ein „Shoppingzentrum,
und lässt sich mit den Schlagworten „Hedonist“ und „Unter-     Gourmetviertel und Dorado für Kulturhungrige“ (Berger
haltung“ umschreiben. Typ 2 besitzt vier Items (vgl. Tab. 2)   2010: 51) beschrieben. Hier ist die „Restaurantdichte um
und vereint vorrangig passive, alltägliche Routinehandlun-     den Savignyplatz rekordverdächtig, der Ku’damm ist immer
gen auf sich. Touristen dieses Typs sind tendenziell „Genie-   noch die traditionelle Einkaufsmeile für die Besserverdie-
ßer“ und bevorzugen „Erholung“ (vgl. Weber 2012b: 169).        nenden, während im Schatten der Gedächtniskirche die Jün-
   Die räumliche Analyse dieser beiden charakteristischen      geren bummeln und sich günstig einkleiden“ (Berger 2010:
Gruppen ergibt, dass in beiden eine räumliche Konzentration    51). Beide Zitate spiegeln die Begriffe wider, die dem Typ
im Stadtteil Mitte festgestellt werden konnte, dass aber Typ   2-Touristen zugeordnet werden können. Der Reiseführer
2 sich nicht im Osten Berlins aufhält und eher den Westen      „Lonely Planet“ kommt zu einem ähnlichen Ergebnis und
bevorzugt. Typ 1 befindet sich dagegen sowohl im Westen
als auch im Osten Berlins (Friedrichshain). Das gewählte       4
                                                                   Zur Auswahl der Reiseführer vgl. Kap. 3.2.
Neue Methoden der Mobilitätsanalyse                                                                                                       111

Tab. 2 Der in die Hauptkomponentenanalyse als Basis eingehende         Tab. 3 Darstellung der Touristentypologie anhand ausgewählter Va-
Itempool (linke Spalte) und die aus der Hauptkomponentenanalyse re-    riablen (linke Spalte) ausgehend von den charakteristischen Praktiken
sultierende charakteristische Zuordnung der Items zu Typ 1 und Typ 2   (rechte Spalte)
Items                              Charakteristisch Charakte-          Touristentypologie Typ 2
                                   für Typ 1         ristisch für      Genießer und Erholung
                                                     Typ 2
                                                     √                 Passive, alltägliche Routinehandlungen
Reisestil: Zeit für Shoppen
                                                                       Touristentypologie              Relevante touristische Praktiken
Reisestil: Budget ist                                                                                  von Typ 2
entscheidend
                                                                       Aufenthaltsdauer circa 4 Tage     Einkaufsbummel „Shoppen“
Reisestil: sich treiben lassen
                                                                       Mehrheitlich weiblich             Im Café sitzen, in der Strandbar
Reisestil: Planung bereits im                                                                            chillen
Voraus abgeschlossen
                                                                       Kommt vorrangig mit dem           „Während Städtereisen habe ich
Reisestil: Unternehmen, was zu                                         Partner oder in der Gruppe        Zeit für gemütliches Shoppen,
Hause nicht möglich ist            √                                                                     die mir im Alltag fehlt“
Reisestil: clubben und feiern      √                                   Durchschnittlich 35 Jahre alt     Gutes Essen und Trinken
Reisestil: sexuelle Orientierung                                                                         genießen
ausleben                                                               Überwiegend deutsche
Aktivität: kulturelle                                                  Nationalität
Veranstaltungen                                                        Überdurchschnittlich hoher
Aktivität: Geschichte erleben                                          Bildungsstand
Aktivität: Flair genießen                           √                  Es wurden nur Variablen berücksichtigt, die einen spezifischen
Aktivität: Einkaufsbummel                                              Erklärungsanteil in der Faktorenmatrix von > 0.85 aufweisen (vgl.
                                                    √                  Janssen/Laatz 2010: 563 ff.)
Aktivität: Café/Strandbar                           √
Aktivität: gutes Essen/Trinken
genießen                                                               Sehenswürdigkeit East Side Gallery ein „Touristenmagnet“
Aktivität: Mode und Kunst                                              der besonderen Art: „die Beach Bars entlang der East Side
Aktivität: gleichgeschlechtliche   √
                                                                       Gallery, eine Art Venusfliegenfalle für Nachtgewächse und
Szene aufsuchen                    √                                   alle, deren Lebensinhalt sich auf das Nichtstun beschränkt“
Aktivität: „richtig abfeiern“
                                   √                                   (Schulte-Peevers/Haywood/O’Brien 2009: 127).
Aktivität: was zu Hause nicht
möglich ist
                                                                           Für die abschließende Interpretation der Ergebnisse ist
                                                                       es wichtig, auch die Datengenese in die Überlegungen mit-
                                                                       einzubeziehen. Von großer Bedeutung ist, dass die gesamte
merkt zusätzlich rückblickend an, dass „in Charlottenburg              GPS-Erhebung auf Teilnehmern basiert, die nicht verweigert
im Kalten Krieg das glamouröse Herz Westberlins [schlug].              haben. Dies führt, wie bei jeder befragenden Untersuchung,
Hier schwelgte der Jetset in den Früchten des Kapitalismus             zu einer leichten Beeinflussung der Zusammensetzung der
[…]“ (Schulte-Peevers/Haywood/O’Brien 2009: 126).                      Probanden. Ziel ist es, für zukünftige Studien aufzuzeigen,
   Die Mobilitätspfade des Typ 1-Touristen, mit einer Präfe-           welche Verweigerungsgründe aufgetreten sind. Eine aus-
renz im Stadtteil Friedrichshain und einem Hang zu außerall-           führliche Auseinandersetzung mit Verweigerung bei GPS-
täglichen Praktiken sowie einer Tendenz zum Hedonismus                 Tracking-Studien findet sich bei Weber (2012b: 71 ff.).
und Unterhaltung, erklären die Autoren des „Lonely Planet“             Hervorzuheben ist, dass die Mehrheit der ablehnend einge-
wie folgt: „Richtig gute Clubs sind [im Westen] selten, dafür          stellten Personen weiblichen Geschlechts ist. Angst, Perso-
gibt’s viele Bars, darunter etablierte Schönheiten“ (Schul-            nen ausgesetzt zu sein, welche aus niedrigen Beweggründen
te-Peevers/Haywood/O’Brien 2009: 127). Somit kann eine                 das Privat- und Intimleben Dritter auskundschaften wollen,
Erklärung angeboten werden, warum Typ 1 sich nicht nur im              ist ein wichtiges Argument, die Teilnahme zu verweigern.
Westen wie Typ 2, sondern zusätzlich im Osten aufhält. Die                 Kontrastierend zu den Aussagen der Verweigerer gaben
Beschreibung von Friedrichshain im „Lonely Planet“ lässt               98,6 % der teilnehmenden Personen an, dass sie wäh-
vermuten, warum Typ 2-Touristen dort keine Mobilitäts-                 rend des Aufenthalts ohne das Gerät keinen anderen Weg
spuren hinterlassen haben. Denn in diesem Stadtteil Berlins            zurückgelegt hätten. Wir können nicht ausschließen, dass es
gibt es so gut wie keine touristischen Sehenswürdigkeiten:             entgegen der Aussagen nicht doch zu einer leichten Beein-
„Die touristische Sehenswürdigkeit beschränkt sich auf die             flussung, eventuell unbewusst, gekommen ist. Festzuhalten
East Side Gallery und die Karl-Marx-Allee, ein Paradebei-              ist, dass sich Teilnehmer der GPS-Studie in Berlin durch das
spiel stalinistischer Monumentalarchitektur“ (Schulte-Pee-             Mitführen des GPS-Loggers nicht in ihrer Freiheit einge-
vers/Haywood/O’Brien 2009: 154). Vielmehr befindet sich                schränkt gefühlt haben.
laut „Lonely Planet“ entlang der „offiziellen“ touristischen
112                                                                                                                 H.-J. L. Weber, M. Bauder

5 Fazit                                                                 Deinet, U. (2009): „Aneignung“ und „Raum“ – zentrale Begriffe des
                                                                              sozialräumlichen Konzepts. In: Deinet, U. (Hrsg.): Sozialräum-
                                                                              liche Jugendarbeit. Grundlagen, Methoden und Praxiskonzepte.
Der vorliegende Beitrag zur Mobilitätserfassung im Kontext                    Wiesbaden, 27–57.
des Tourismus konnte deutlich machen, dass trotz der exis-               Downs, R.; Stea, D. (1982): Kognitive Karten. Die Welt in unseren
tierenden Methodenvielfalt die Erfassung personenbezoge-                      Köpfen. New York.
ner Mobilität bis dato über die mangelnde Differenzierung                Edwards, D. (2009): Using GPS to Track Tourists Spatial Behaviour
                                                                              in Urban Destinations. Online unter: http://papers.ssrn.com/sol3/
von Individuen limitiert wurde. Dieser methodische Man-                       papers.cfm?abstract_id=1905286 (letzter Zugriff am 28.01.2013).
gel ist durch die vorgestellte Methodentriangulation gelöst              Edwards, D.; Griffin, T.; Hayllar, B.; Dickson, T. (2009): Making
worden. Es konnte nachgewiesen werden, dass anhand von                        Tracks and Collecting Images: New Methods for Examining
statistischen Verfahren auf der Grundlage von Fragebogen-                     Tourists’ Spatial Behaviour in Cities. In: Council for Australian
                                                                              University Tourism and Hospitality Education (Hrsg.): CAUTHE
daten (touristische Praktiken) erfolgreich Mobilitätspfade                    2009: See Change: Tourism & Hospitality in a Dynamic World.
differenziert und unter Hinzunahme einer Textanalyse die                      Perth, 2023–2026.
identifizierten Mobilitätsmuster und Aktionen inhaltlich                 Edwards, D.; Hayllar, B. (2010): Tracking the Paths of Visitors to Lon-
erklärt werden können. Der vorgestellte Ansatz bietet damit                   don. In: Council for Australian University Tourism and Hospita-
                                                                              lity Education (Hrsg.): CAUTHE 2010: Tourism and Hospitality:
die Möglichkeit, touristische Aktivität und raumbezogene                      Challenge the Limits. Hobart, 1761–1764.
Mobilität zusammenhängend zu betrachten. Dieser Ansatz                   Elwood, S.; Goodchild, M. F.; Sui, D. Z. (2012): Researching Volun-
verhilft nicht nur der Tourismusforschung, sondern auch                       teered Geographic Information: Spatial Data, Geographic
anderen Disziplinen z. B. innerhalb der Humangeographie                       Research, and New Social Practice. In: Annals of the Association
                                                                              of American Geographers 102, 3, 571–590.
zu einem Zugewinn, da Vermutungen und Thesen im physi-                   Ewers, H.-J.; Tegner, H. (1997): What Type of Strategic Planning? In:
schen Raum lokalisiert und mit immateriellen Zuschreibun-                     European Conference of Ministers of Transport (ECMT): Which
gen in Verbindung gebracht werden können.                                     Changes for Transport in the Next Century? 14th International
                                                                              Symposium on Theory and Practice in Transport Economics.
                                                                              Innsbruck, 21.–23. October 1997. Paris, 281–312.
                                                                         Fennell, D. (1996): A tourist space-time budget in the Shetland Islands.
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