Neue Modelle ermöglichen - Regulierung für Datentreuhänder böll.brief

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böll.brief
GRÜNE ORDNUNGSPOLITIK #16
Juli 2021

Neue Modelle
ermöglichen
Regulierung für
Datentreuhänder

ALINE BLANKERTZ
PROF. DR. LOUISA SPECHT-RIEMENSCHNEIDER
Das   böll.brief – Grüne Ordnungpolitik bietet Analysen, Hintergründe und
programmatische Impulse für eine sozial-ökologische Transformation.
Der Fokus liegt auf den Politikfeldern Energie, Klimaschutz, Digitalisierung,
Stadtentwicklung sowie arbeits- und wirtschaftspolitische Maßnahmen
zum nachhaltigen Umbau der Industriegesellschaft.

Das   böll.brief der Abteilung Politische Bildung Inland der Heinrich-Böll-Stiftung
erscheint als E-Paper im Wechsel zu den Themen «Teilhabegesellschaft»,
«Grüne Ordnungspolitik», «Demokratie & Gesellschaft» und «Öffentliche Räume».

Inhaltsverzeichnis

Zusammenfassung                                                                        3

1 Die Datentreuhand als Alternativmodell kann breit definiert werden                   4

2 Systematische Analyse der Risiken betrachtet die Zentralität und
  Freiwilligkeit von Datentreuhandmodellen                                             5

3 Regulierung sollte auf die Risiken und die Potenziale von Datenaustausch
  abgestimmt sein                                                                      7

4 Warum Monetarisierung und vertikale Integration nicht kategorisch
  auszuschließen sind                                                                  7

5 Gesundheitsdatentreuhand: Weniger Einwilligung bei verringertem
  Missbrauchspotenzial                                                                10

6 PIMS: Zertifizierte AGBs für weniger Einwilligung und verpflichtende
  Zusammenarbeit                                                                      11

7 Datentreuhänderregulierung sollte nicht nur Missbrauch verhindern,
  sondern auch neue Modelle ermöglichen                                               12

Literaturverzeichnis                                                                  14

Die Autorinnen                                                                        15

Impressum                                                                             15
Zusammenfassung
Eine Datentreuhand ist gewünscht, so lautet der Kanon aus Politik, Wirtschaft und
Gesellschaft (vgl. Datenethikkommission 2019; Bundesregierung 2021: Abschnitt 2.3;
Rat für Informationsstrukturen 2021). Diese soll als Alternativmodell unter anderem
zu großen Plattformen dienen, denen vorgeworfen wird, Datenmacht anzusammeln und
primär zum eigenen Nutzen auszuüben. Erste Konzepte von «neuen» Dateninter-
mediären gibt es an vielen Stellen, von Personal Information Management Systems (PIMS)/
Einwilligungsassistenten, dem Gesundheitskontext, Forschungsdatenzentren hin zu
Datenhubs für vernetzte Autos. Jedoch hat sich noch keiner der Ansätze durchgesetzt,
und die Hoffnungen auf ihr transformatives Potenzial stehen einer zögerlichen Adaption
in der Praxis gegenüber.

Zugleich werden, getrieben durch die problematischen Erfahrungen mit etablierten Daten-
händlern, die Rufe laut nach einer Regulierung, die sicherstellt, dass eine Datentreuhand
vertrauenswürdig ist. Besonders deutlich wird dies im Entwurf des Data Governance Acts
(DGA), der Datendienste auf europäischer Ebene regulieren soll. Allerdings riskieren solche
übergreifenden Regulierungsvorhaben, die noch zarten Datentreuhand-Entwicklungen im
Keim zu ersticken. In diesem Fall profitieren die etablierten Anbieter, und zugleich bleibt
das Ziel auf der Strecke, mehr produktiven Datenaustausch zu ermöglichen (vgl. Specht-
Riemenschneider et al. 2021).

In diesem Papier beschreiben wir, wie anstelle einer One-size-fits-all-Lösung eine risiko-
basierte Regulierung sektorspezifische Risiken und Probleme adressieren kann, um damit
die Entwicklung von Datentreuhändern zu ermöglichen. Dazu erfassen wir den Begriff
der Datentreuhand zunächst definitorisch, bevor wir einen risikobasierten Ansatz vor-
schlagen. Mit diesem leiten wir mögliche Elemente einer Regulierung für bestimmte
Anwendungsfälle ab.

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1 Die Datentreuhand als Alternativmodell
  kann breit definiert werden

Bisher gibt es keine allgemein akzeptierte Begriffsbestimmung von «Datentreuhändern».
Da der Begriff momentan sehr breit verwendet wird, ist es sinnvoll, eine seinen Gebrauch
erfassende Mindestdefinition zu entwickeln. Die vorliegenden Grundmodelle lassen sich
dann bedarfsweise z.B. nach Sektoren weiter spezifizieren.

Wir verstehen den Begriff der Datentreuhand zunächst als Oberbegriff sämtlicher Modelle,
die heute als Datentreuhand gedacht werden. Die möglichen Ziele einer Datentreuhand
sind vielfältig und umfassen unter anderem Datenverwaltung mit Unparteilichkeit und/oder
Loyalität, Stellung als Vertrauensanker zwischen Datengebenden und Datennutzenden,
Ausschluss von unbefugtem Datenzugriff, Erfüllung von Datenschutzbestimmungen und/oder
Stärkung, Gewährleistung oder Wiederherstellung individueller oder kollektiver Kontrolle
über Daten (vgl. Blankertz et al. 2020).

Aus diesen Zielen lassen sich folgende drei Anforderungen an eine Datentreuhand ableiten:

  Ȼ   (auch) Datenintermediär: Eine Datentreuhand übernimmt zumindest auch eine Funk-
      tion der Datenzugangsmittelung, darüber hinaus möglicherweise auch die Daten-
      verwaltung, -durchleitung und/oder -aufbereitung zum Nutzen einer anderen Partei
      (oder mehrerer).

  Ȼ   Erfüllung rechtlicher Anforderungen: Eine Datentreuhand ist mindestens an den
      bestehenden Rechtsrahmen gebunden. Das heißt, ihre Aktivitäten erfüllen sowohl
      allgemeine rechtliche Anforderungen (z.B. Datenschutz, Kartellrecht) als auch
      spezifisch ausgestaltete Vereinbarungen zwischen beteiligten Parteien in Form
      eines Vertrags.

  Ȼ anwendungsabhängige Vertrauens-/Neutralitätsanforderungen: Je nach Einsatzbereich
    einer Datentreuhand können unterschiedliche Mechanismen sinnvoll und geboten
    sein, um Vertrauen/Neutralität und eine wünschenswerte Verteilung des aus Daten
    gewonnenen Wertes zu erzielen. Aufgrund der Vielfalt möglicher Ziele sind diese
    Anforderungen nicht allgemein, sondern in Abhängigkeit von Anwendungsfällen zu
    bestimmen.

Daraus ergibt sich folgende Definition:

          Eine Datentreuhand ist eine natürliche oder juristische Person oder eine
          Personengesellschaft, die den Zugang zu von Datentreugebern bereitgestellten
          oder bereitgehaltenen Daten nach vertraglich vereinbarten oder gesetzlich
          vorgegebenen Daten-Governance-Regelungen (auch) im Fremdinteresse mittelt.

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2 Systematische Analyse der Risiken
  betrachtet die Zentralität und Freiwilligkeit
  von Datentreuhandmodellen
Es lassen sich aus diesem Oberbegriff vier Grundmodelle mit unterschiedlichem Risiko-
potenzial entwickeln, das jeweils maßgeblich für die Regulierungsintensität sein sollte:

Tabelle 1: Risikobasierte Unterscheidung von Datentreuhandmodellen
höheres Risiko

                                 Freiwillige Nutzung                    Verpflichtende Nutzung

                   Zentrale           Freiwillig                            Verpflichtend
                 Datenhaltung        und zentral                             und zentral

                  Dezentrale          Freiwillig                            Verpflichtend
                 Datenhaltung       und dezentral                           und dezentral

                                                                                            höheres Risiko

Quelle:   Eigene Darstellung.

Es gibt Beispiele für alle Varianten. PIMS verfolgen sowohl zentrale als auch dezentrale
Ansätze, und bisher sind sie für alle Seiten freiwillig in ihrer Nutzung. So ist das Gateway
für den australischen Energiesektor eine Datenzugangsstelle, die Unternehmen nutzen
müssen, um zu den weiter dezentral vorliegenden Daten Zugang zu gewähren. Bei Daten
aus vernetzten Autos ist es möglich, dass sich ein zentraler und verpflichtender Ansatz
durchsetzt (vgl. Gesamtverband der deutschen Versicherungswirtschaft 2018).

Darüber hinaus ist die Verarbeitung personenbezogener Daten durch die Datentreuhand
ein wichtiger Risikofaktor. Dieser wird allerdings durch das Datenschutzrecht bereits
umfassend regulatorisch erfasst. Das betrifft insbesondere die Datenschutzgrundverord-
nung (DSGVO), das Bundesdatenschutzgesetz und die Landesdatenschutzgesetze
sowie Spezialregelungen wie beispielsweise im Zehnten Sozialgesetzbuch.

Zentral oder dezentral: Eine zentrale Datenspeicherung beim Datentreuhänder ist mit
höheren Risiken verbunden. Bei immensen Anforderungen an die zugrunde liegende Infra-
struktur ermöglicht sie allerdings zusätzliche Formen der Datennutzung. So verspricht
sie eine einfachere Verwaltung der Daten durch den Datentreuhänder. Weitergehende
Befugnisse sind möglich, wie zum Beispiel auch, Datenverarbeitende vom Zugang
auszuschließen. Die Datentreuhand kann im Falle einer zentralen Speicherung die Daten
umfassend nutzen (zum Beispiel analysieren) oder verändern (zum Beispiel löschen).
Wenn eine Datentreuhand Daten anonymisiert oder pseudonymisiert, können diese dezen-
tral gehalten werden. Sie kann zentral Zugang zu den entsprechend anonymisierten
oder pseudonymisierten Daten an (vertraglich definierte) Dritte gewähren.

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Bei einer zentralen Datenspeicherung durch eine Datentreuhand sind die Risiken tendenziell
höher. Die Kontrolle über die Daten ist zumindest teilweise bei der Datentreuhand, was
mehr Absicherung gegenüber den Datengebenden erforderlich macht. Auch der Datenschutz
ist, sofern personenbezogene Daten vorliegen, schwieriger zu gewährleisten, wenn Daten
explizit und unverschlüsselt mit einer Datentreuhand geteilt werden. Außerdem kann diese
über die Zusammenführung großer Datenmengen eine «Datenmacht» erlangen, die das
Risiko des Missbrauchs birgt (z.B. dass so erlangte Erkenntnisse nicht zum Vorteil der Daten-
gebenden verwendet werden). Auch das Sicherheitsrisiko ist bei zentral vorgehaltenen
Daten größer, denn bei Angriffen gegen den Intermediär ist der potenzielle Schaden höher.

Freiwillig oder verpflichtend: Als Ausgangspunkt wird allgemein angenommen, dass
Beteiligte frei sind in ihrer Entscheidung, ob sie eine Datentreuhand nutzen wollen, sofern
nicht besondere Gründe vorliegen, die eine Verpflichtung begründen. Bei freiwilliger
Nutzung lässt sich die Datentreuhand über einen Datentreuhandvertrag regeln, der die
rechtliche Grundlage des Datenaustauschs darstellt (vgl. Specht-Riemenschneider
et al. 2021). Eine Pflicht zur Nutzung einer Datentreuhand hingegen kann dadurch be-
gründet werden, dass das Ziel durch freiwillige Maßnahmen nicht zu erreichen ist.
Zudem muss das Ziel eine regulatorische Intervention rechtfertigen. Hier können ver-
schiedene Faktoren eine Rolle spielen, darunter:

  Ȼ   ein ausgeprägtes öffentliches Interesse an dem mit der Datentreuhand verfolgten
      Ziel, beispielsweise aufgrund von Nähe zur staatlichen Daseinsfürsorge (wie in den
      Bereichen Gesundheit, Bildung oder Mobilität),

  Ȼ   eine hohe Konzentration auf einem der an der Datentreuhand beteiligten Märkte
      beziehungsweise ein deutliches Ungleichgewicht zwischen den Beteiligten, sodass
      Verhandlungsmacht überwiegend bei einer Partei liegt.

Beispiele für verpflichtende Datentreuhandmodelle gibt es im medizinischen Bereich mit
dem Krebsregister und dem Transplantationsregister.

Bei einer verpflichtenden Datentreuhand ergibt sich ein höheres Risiko dadurch, dass
die Datentreuhand nicht umgangen werden kann und recht stark in die Beziehung zwischen
den Beteiligten eingegriffen wird. Dadurch kann eine problematische Ausgestaltung,
z.B. durch unzureichende Sicherheitsstandards, größeren Schaden anrichten als bei einem
freiwilligen Modell.

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3 Regulierung sollte auf die Risiken
  und die Potenziale von Datenaustausch
  abgestimmt sein
Aktuelle Regulierungsbestrebungen sehen vor allem zusätzliche Auflagen für Datentreu-
händer und andere alternative Datenmodelle vor. So fordert die Datenethikkommission
Qualitätsstandards, ein Zertifizierungs- und Überwachungssystem für Datentreuhänder
sowie, dass ein Betreiber «nicht an der Nutzung der Daten verdient» (Datenethikkom-
mission 2019: 134). Der Verbraucherzentrale Bundesverband fordert, dass PIMS «unab-
hängig, neutral und ohne ein wirtschaftliches Eigeninteresse an der Verwertung der
im Auftrag der Verbraucher verwalteten Daten agieren» (vzbv 2020: 11). Der DGA sieht
ebenfalls eine Neutralitätspflicht vor, der zufolge die Bereitstellung, die Vermittlung
und die Nutzung von Daten institutionell voneinander getrennt werden müssen. Allerdings
sind diese Auflagen in ihrer Allgemeinheit weder notwendig noch hinreichend, um die
Risiken und Potenziale von Datenaustausch in Einklang zu bringen

4 Warum Monetarisierung und
  vertikale Integration nicht kategorisch
  auszuschließen sind
Die Vermittlung, Verwaltung und ge­ge­be­nen­falls Aufbereitung von Daten sind mit
Aufwand verbunden, der wiederum mit Kosten einhergeht. Diese können auf verschiedene
Weisen gedeckt werden: Einerseits besteht die Möglichkeit staatlicher Finanzierung
oder mindestens Subventionierung, wodurch eine Umlegung auf steuerzahlende Personen
und Organisationen erfolgt. Andererseits können private Organisationen Dienste gegen
einen Preis anbieten und mit den Umsätzen einen Gewinn (oder Verlust) erzielen oder auch
eine Gewinnerzielung ausschließen (z.B. über die Organisationsform einer gemein-
nützigen GmbH oder eines gemeinnützigen Vereins).

Abbildung 1 zeigt, dass es ein Spektrum an Funktionen bzw. Aktivitäten gibt, die eine
Datentreuhand mit Daten ausüben kann, sowie ein Spektrum an Monetarisierungs-
ansätzen. Je weiter links diese liegen, umso eher werden sie üblicherweise als unkritisch
gesehen. Allerdings schränken die links angesiedelten Aktivitäten und Geschäfts-
modelle tendenziell stärker ein, in welchem Umfang Mehrwert aus Daten generiert werden
kann. Es besteht also das Risiko, dass eher solche Modelle befürwortet werden, die
sich darauf beschränken, Daten zu speichern, und nur in geringem Umfang zum Gewinn
neuer Erkenntnisse beitragen.

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Abbildung 1: Spektrum der Aktivitäten und Monetarisierung von Datentreuhandmodellen

                                                   DATENTREUHAND

                                                  Art der Datennutzung
    keine                                                                                                       intensiv
              Daten-         Verwaltung       Sicherstellung    Pseudonymisierung/       Bereitstellung
             speicher       Datenzugang       Datenqualität      Anonymisierung      Datenanalyseergebnisse

                                            Umfang der Datenmonetarisierung
    keine                                                                                                       intensiv
             keine kommerzielle                     datenmengen-                            datenmengen-
                 Verwertung                          unabhängig                               abhängig

                                                                     Quelle: Stiftung Neue Verantwortung; eigene Darstellung.

Im Kontext der Monetarisierung wird insbesondere eine vom Datenvolumen abhängige
Bezahlung als problematisch angesehen, da sie tendenziell den Anreiz schafft, mehr
Daten(zugang) an mehr Datennutzende zu «verkaufen» (vgl. vzbv 2020). Gleichzeitig sollte
aber auch das Risiko einer Unternutzung Beachtung finden, das entsteht, wenn die
Datentreuhand zu passiv ist und das mit ihr verfolgte Ziel nur unvollständig erreicht.
Dies kann der Fall sein, wenn gerade der Zugang zu oder der Austausch größerer
Datenmengen sinnvoll ist, um bspw. die Hürden für neue Anbieter von Trainingsalgorithmen
zu senken. Außerdem bedeutet der prinzipielle Ausschluss von Monetarisierung, dass
Kosten in möglicherweise unnötigem Umfang auf das Kollektiv umgelegt werden (wenn
staatliche Finanzierung genutzt wird).

Ähnlich ist auch eine vertikale Integration von Datentreuhändern mit vor- oder nachge-
lagerten Aktivitäten nicht immer problematisch. Der DGA sieht eine Abspaltung von
Datendiensten vor, was eine (Über-)Nutzung der Daten für eigene Zwecke und Bevorzugung
integrierter Dienste verhindern soll. Allerdings führt vertikale Integration nicht immer
zu Selbstbevorzugung, und selbst dann, wenn sie es tut, ist Selbstbevorzugung nicht immer
problematisch. Ungleichbehandlung von Plattformen ist vor allem dann kritisch zu be-
trachten, wenn Anbieter marktmächtig sind und/oder Nutzende nur einen Dienst verwen-
den und Wechselkosten hoch sind (vgl. Graef et al. 2021). Eine Regulierung sollte
sich auf solche Konstellationen beschränken, in denen es klares Missbrauchspotenzial gibt.

In wiederum anderen Konstellationen kann ein gewisses Maß an vertikaler Integration
nötig sein, um bestimmte Aktivitäten wirtschaftlich sinnvoll bzw. skalierbar zu machen.
Das gilt insbesondere für Dienste, die ihre Daten für Dritte nutzbar machen, ge­ge­be­nen­-
falls in Kombination mit Daten anderer. Dies ist der Fall z.B. bei Tony's Chocolonely, einem
niederländischen Schokoladenhersteller, der seine Plattform Open Chain zum Nachvollzug
von fair hergestelltem Kakao auch für andere Schokoladenhersteller geöffnet hat.
Ein Verbot vertikaler Integration bzw. ein Gebot vertikaler Entflechtung kann verhindern,
dass solche Datentreuhandmodelle entstehen.

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Allgemeine Neutralitätsanforderungen unterbinden zwar Missbrauch mit hoher Wahr-
scheinlichkeit, jedoch verringern sie auch den Spielraum für mögliche Entwicklungspfade
und Geschäftsmodelle von neuen Datentreuhändern. Stattdessen sind passgenauere
Regeln sinnvoll, um den Risiken von bestimmten Datentreuhandanwendungen entgegen-
zuwirken. So kann Transparenz über Einnahmequellen sinnvoll sein oder eine separate
Einwilligung für Monetarisierung von Daten. Im Weiteren untersuchen wir, welche regula-
torischen Erleichterungen sinnvoll sind für Datentreuhänder von Gesundheitsdaten und
in Form von PIMS, sofern an diese über den bestehenden Rechtsrahmen hinausgehende
Anforderungen gestellt werden.

böll.brief Neue Modelle ermöglichen – Regulierung für Datentreuhänder                9 /15
5 Gesundheitsdatentreuhand:
	 Weniger Einwilligung bei verringertem
  Missbrauchspotenzial
Medizinische Daten bergen ein enormes Potenzial für die medizinische Forschung, bei-
spielsweise für die Entwicklung neuer Formen von Diagnose und Therapie. Es gibt vielfache
Bestrebungen, Gesundheitsdaten besser systematisch nutzbar zu machen, von der
Medizininformatik-Initiative über das Krebsregister hin zum Transplantationsregister.
Gleichzeitig bestehen Risiken dadurch, dass Individuen reidentifiziert werden können,
was zu selbstzensierendem Verhalten oder Diskriminierung durch private Kranken- oder
Berufsunfähigkeitsversicherungen oder auch Werbeunternehmen führen kann.

Um einen stärkeren Datenaustausch zu ermöglichen, der gleichzeitig diese Risiken adressiert,
schlagen wir vor, eine gesetzliche Regelung von Datentreuhändern für medizinische Daten,
die einen Erlaubnistatbestand für die Datenverarbeitung zum Zweck medizinischer Forschung
schafft, zu etablieren. Um die Datenverarbeitung weiterhin vertrauenswürdig zu gestalten,
sind folgende Elemente geeignet:

  Ȼ   eine Zertifizierung der IT-Sicherheit durch eine staatlich beaufsichtigte Stelle,

  Ȼ   eine forschungsprojektspezifische Ausgestaltung des Datenzugangs in Form
      von Federated Learning, Aggregierung oder Pseudonymisierung,

  Ȼ eine Begrenzung des Datentreuhand-Status und des Datenzugangs auf (wissen-
    schaftliche oder kommerzielle) Institutionen, die medizinische Forschung betreiben
    und nicht in einem der für Diskriminierung besonders anfälligen Bereiche
    (Versicherungen und Werbung) tätig sind.

Derzeit basiert die Verarbeitung medizinischer Daten (Routinedaten und Forschungsdaten)
überwiegend auf Einwilligungslösungen. Wenn die beschriebenen Elemente zur Sicherstellung
der Vertrauenswürdigkeit umgesetzt werden, können Anforderungen an die Erlaubnis
zur Datenverarbeitung verringert werden. Aktuell geschieht dies über eine enge zweckge-
bundene Einwilligung der Patient/innen. Damit Routine- und Forschungsdaten auch
über die in der Einwilligung genannten Zwecke hinaus verarbeitet werden dürfen, wird ein
Erlaubnistatbestand benötigt. Dieser soll die Verarbeitung personenbezogener Daten
zum Zwecke der wissenschaftlichen Forschung über eine Datentreuhand gestatten. Er tritt
damit an die Stelle alternativer Broad-Consent-Lösungen. Um die berechtigten Interessen
der Patient/innen zu wahren, bedarf es auch bei dieser Lösung einer Widerspruchsmöglichkeit.

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6 PIMS: Zertifizierte AGBs
  für weniger Einwilligung und
  verpflichtende Zusammenarbeit
Es wird große Hoffnung in das Potenzial von PIMS gesetzt, effektiver die Rechte und
Interessen von Verbraucher/innen durchzusetzen. Allerdings hält sich ihr Erfolg bisher in
Grenzen, da Verbraucher/innen die Dienste nur zögerlich nutzen und Unternehmen wie
große Plattformen es leicht haben, PIMS zu umgehen. Zugleich liegt gerade im direkten
Umgang mit Verbraucher/innen das Risiko von Missbrauch (z.B. durch irreführende
Informationen und Menüführung) auf der Hand.

Um die Risiken zu kontrollieren und gleichzeitig Dienste zu ermöglichen, schlagen wir vor,
Muster-Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGBs) für PIMS zur Grundlage für eine
Zertifizierung zu machen und eine verpflichtende Zusammenarbeit mit zertifizierten PIMS
unternehmensseitig vorzusehen. Die Zertifizierung, durchzuführen durch eine staatliche
Stelle (z.B. den Bundesbeauftragten für den Datenschutz und die Informationsfreiheit oder
die Bundesdruckerei), dient dazu, die PIMS umfassend an die Interessen der Nutzer/innen
zu binden. Hierzu geeignete Elemente sind:

  Ȼ   Mindeststandards für IT-Sicherheit (analog zu denen für Gesundheitsdaten);

  Ȼ   Restriktionen in Bezug auf die Monetarisierung personenbezogener Daten durch
      die Datentreuhand, sodass diese nur mit expliziter Einwilligung erfolgen darf;

  Ȼ   Restriktionen in Bezug auf Datenzugang für verbundene Dienste, sodass dieser nur
      zu gleichen Bedingungen stattfindet wie zu externen Diensten;

  Ȼ   Transparenzvorgaben hinsichtlich der monetären und nichtmonetären Übermittlung
      von Daten.

Wenn diese Standards erfüllt sind, ist das Risiko von für Nutzer/innen nachteilhaften
Datenpraktiken deutlich verringert. Dies wiederum ist die Voraussetzung, um den PIMS
Befugnisse wie z.B. die Erklärung und den Widerruf von Einwilligungen sowie die
Ausübung von Nutzer/innenrechten zu erteilen. Als positives Beispiel hierfür dienen bei-
spielsweise authorized agents unter dem Californian Consumer Protection Act (CCPA),
die im Namen von Individuen den Verkauf von Daten oder ihre Löschung durchsetzen
können. Zudem kann es zielführend sein, mindestens bestimmten datenverarbeitenden
Diensten eine Pflicht zur Kooperation aufzuerlegen. Hier ist ge­ge­be­nen­falls eine Beschrän-
kung auf besonders wichtige Unternehmen sinnvoll, wie z.B. Browser-Anbieter und/oder
Zielgruppen von Wettbewerbsregulierung wie Adressaten des Digital Markets Act oder
des Artikels 19a des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen.

böll.brief Neue Modelle ermöglichen – Regulierung für Datentreuhänder                       11 /15
7 Datentreuhänderregulierung sollte
  nicht nur Missbrauch verhindern,
  sondern auch neue Modelle ermöglichen
Bei der Ausgestaltung der aktuellen Regulierungsvorhaben um Datentreuhänder und
andere alternative Datenmodelle ist es wichtig, nicht ein vermeintlich optimales Modell
«herbeiregulieren» zu wollen. Stattdessen sollte die Regulierung konkrete Risiken
und Probleme lösen. Dabei sind insbesondere die folgenden Punkte zu berücksichtigen:

Eine Regulierung sollte bestehende Rechtsunsicherheit und Komplexität auf keinen Fall
erhöhen, sondern senken. Dies ist nötig, um einen Anreiz für die Entwicklung neuer Modelle
zu schaffen:

  Ȼ   Vertrauenstiftende Maßnahmen sollten Risiken absichern und die Verringerung
      anderer Hürden begründen. Dies ist der Fall z.B. bei einem Erlaubnistatbestand
      für Gesundheitsdaten über eine Datentreuhand, der auch ohne eine Einwilligung die
      Nutzung der Daten für medizinische Forschung ermöglicht. In ähnlicher Form
      kann es PIMS erlaubt werden, Nutzer/innen umfassender zu vertreten, wenn
      weitere Absicherungsmechanismen vorliegen, die Missbrauch verhindern.

  Ȼ   Übermäßig restriktive Neutralitätsanforderungen führen zwangsläufig zu einer
      Bereitstellung von Datentreuhändern durch den Staat, was aus verschiedenen Grün-
      den je nach Anwendungsfall problematisch sein kann. Neutralität in Bezug auf
      Monetarisierung sowie auf vertikale Integration entsprechen nicht der Realität von
      bestehenden PIMS und anderen Datentreuhandmodellen. Vorzuziehen sind Be-
      stimmungen zur Vermeidung konkreter Interessenkonflikte, wie der Ausschluss von
      Versicherungen und Werbeunternehmen als Nutzer von Daten aus z.B. einer
      medizinischen Datentreuhand.

Zertifizierung kann ein sinnvolles Instrument sein, um Transparenz bezüglich konkret
definierter Anforderungen zu erhöhen. Sie kann dort zum Einsatz kommen, wo das Risiko
einer zu restriktiven Regulierung zu hoch ist:

  Ȼ   Im IT-Sicherheitsbereich ist Zertifizierung bereits etabliert und kann besonders
      dort sinnvoll sein, wo Verbraucher/innen die Dienste nutzen, da diese tendenziell
      weniger Expertise und Ressourcen haben, um einen Anbieter zu beurteilen. Dies
      ist v.a. bei medizinischen Daten und PIMS der Fall.

  Ȼ   Für PIMS ist die Zertifizierung von AGBs eine Möglichkeit, um die Vertrauens-
      würdigkeit von Diensten zu erhöhen, ohne Dienste zu verbieten, die bestimmte Kriterien
      nicht erfüllen. Das gilt z.B. für die volle Transparenz von Datenmonetarisierung
      und Gleichbehandlung vertikal integrierter Dienste.

böll.brief Neue Modelle ermöglichen – Regulierung für Datentreuhänder                     12 /15
Eine pragmatische Möglichkeit, Datentreuhandmodelle zu fördern, sind die Nutzung von
Pilotprojekten und der strategische Einsatz staatlicher Nachfrage. Allerdings ersetzt dies
nicht die Entwicklung von neuen Modellen und insbesondere Geschäftsmodellen:

  Ȼ   Die Erfahrung mit authorized agents im CCPA zeigt, dass die Repräsentierung von
      Verbraucher/innen durch zum Beispiel PIMS ein sinnvolles Instrument zur Stärkung
      von Datenrechten sein kann.

  Ȼ Im Kontext von Gesundheitsdaten stellen das Krebs- und das Transplantationsregister
    hilfreiche erste Ansätze dar, um mehr Datenteilen auf vertrauenswürdige Art und
    Weise zu ermöglichen. Ähnliche Initiativen sollten in anderen Forschungsbereichen
    umgesetzt werden.

Zusammengefasst: Es gibt es viele Wege, die Entwicklung von Datentreuhändern zu fördern,
um Datennutzung und Datenschutz besser vereinbar zu machen. Die aktuellen Regulie-
rungsvorhaben sind hierbei allerdings eher kontraproduktiv. Regulierung sollte sich auf
konkrete Risiken fokussieren, die durch den bestehenden Rechtsrahmen nicht abgedeckt
sind, und auch eine Absenkung mancher Hürden in Erwägung ziehen, wenn zusätzliche
Regulierung die Risiken bereits ausreichend adressiert.

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Literaturverzeichnis
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Die Autorinnen
Aline Blankertz leitet das Projekt «Datenökonomie» bei der Stiftung Neue Verantwortung,
einem unabhängigen Thinktank. Dort untersucht sie ökonomische, technische und ge-
sellschaftliche Fragestellungen, um innovative datenpolitische Handlungsempfehlungen zu
entwickeln. Sie ist Expertin für Plattformökonomie, digitalen Wettbewerb, Datenschutz
und Fairness im E-Commerce und ist auch Mitgründerin und Vorstandsmitglied der SINE
Foundation, einem Think-and-Do-Tank für neue Formen des Datenteilens.

Prof. Dr. Louisa Specht-Riemenschneider ist Inhaberin des Lehrstuhls für Bürgerliches
Recht, Informations- und Datenrecht an der Universität Bonn und Leiterin der Forschungs-
stelle für Rechtsfragen neuer Technologien sowie Datenrecht. Sie ist außerdem stell-
vertretende Vorsitzende des Sachverständigenrates für Verbraucherfragen beim Bundes-
ministerium der Justiz und für Verbraucherschutz.

Impressum
Herausgeberin: Heinrich-Böll-Stiftung e.V., Schumannstraße 8, 10117 Berlin
Kontakt: Referat Digitale Ordnungspolitik, Vérane Meyer E meyer@boell.de

Erscheinungsort: www.boell.de
Erscheinungsdatum: Juli 2021
Lizenz: Creative Commons (CC BY-NC-ND 4.0)
https://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/4.0

Verfügbare Ausgaben unter: www.boell.de/de/boellbrief
Abonnement (per E-Mail) unter: boell.de/news

Die vorliegende Publikation spiegelt nicht notwendigerweise die Meinung
der Heinrich-Böll-Stiftung wider.

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