Neugründung von Stadtwerken - worauf kommt es an?
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ENERGIEMARKT – EVU/EDU Neugründung von Stadtwerken – worauf kommt es an? Kurt Berlo, Christian Herr, Oliver Wagner und Michael Companie Zwischen 2005 und 2016 gab es in Deutschland über 150 Stadtwerke-Neugründungen im Energiebereich. Die insgesamt rund 900 Stadtwerke, die heute im Energiesektor tätig sind, spielen für die Energiewende eine zentrale Rolle. Denn sie stellen weit über die Hälfte der Versorgung an Strom, Gas und Wärme sicher. Zudem haben Stadtwerke aufgrund ihrer kommunalen Verankerung eine besondere Position im Spannungsgefüge von Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft. Dieser Beitrag zeigt auf, welche Gründe und Motive zu dieser Gründungswelle führten und welche Erfolgsfaktoren für Stadtwerke-Neugründungen ausschlaggebend waren. Erfolgsfaktoren für neugegründete Stadt- Abbildung in "et", 2019, Heft 1/2, verfügbar werke Die Frage nach erfolgreichem Handeln für neugegründete Unternehmen im Allgemeinen wird im Umfeld der Gründungsforschung be- reits hinreichend diskutiert und differenziert gewürdigt. Die gesonderte Betrachtung von Stadtwerken als Neugründung rückt gerade in den letzten Jahren stark in den Vorder- grund [1]-[4]. Durch ihre typische Charak- teristik, die sich aus dem wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Auftrag speist, lassen sich bestehende Erfolgsfaktoren klassischer Gründungen nicht gänzlich übertragen. Da- her bietet es sich an, Stadtwerke hinsichtlich weiterer ausgewählter Erfolgsfaktoren zu be- leuchten. Dazu haben die Autoren elf neuge- gründete Stadtwerke in einem explorativen Forschungsansatz befragt. In den letzten Jahren haben zahlreiche For- Diese Auswahl zeigt, dass die übergeordnete Unternehmen steuern. Wendet man nun schungsdiskussionen zu Stadtwerken stattge- Zielfunktion von Stadtwerken gegenüber an- diese Aspekte konkret auf den Public Value funden [5]-[8]. Die dort aufgezeigten Ergeb- deren Unternehmen breiter ist, was bei der eines Stadtwerks an, ergeben sich nisse lassen sich in einen gemeinsamen Rah- Diskussion von Erfolgsfaktoren zu berück- ■■ der Wert für die Bürger, der aus den men bzw. eine allgemein zugrundeliegende sichtigen ist. Dienstleistungen und der Art ihrer Erbrin- Zielfunktion einbetten – den Trend zur Grün- gung resultiert; dung neuer Stadtwerke. Dabei werden von den Relevanz von Public ■■ der Wert für die Kommune als Gesell- Kommunen mit der Neugründung von Stadt- Value für Stadtwerke schafter mit Aufgaben, die über den Kern werken (als Vehikel der Rekommunalisierung) der Energieversorgung hinausgehen; unter anderem folgende Zielsetzungen verfolgt: Ziel des Public-Value-Ansatzes ist es, „eine ■■ der wirtschaftliche Wert für die Region, ■■ Demokratisierung der Energieversor- Struktur der praktischen Argumentation der zugleich wichtige Legitimation für die gung und stärkere Ausrichtung auf das Ge- zur Orientierung von Managern öffentlicher Kommune als unternehmerisch handelnder meinwohl (Public Value); Unternehmen“ zu entwickeln [9]. Zentrales Akteur im Wettbewerb ist. ■■ Erreichung ökologischer Ziele und Ge- Erfolgskriterium für öffentliche Unterneh- staltung der Energiewende vor Ort; men ist daher nicht (nur) die Erzielung eines So können sich für den Public Value die in ■■ Verbesserung der lokalen Wertschöp- unternehmerischen Gewinns, sondern auch Abb. 1 (exemplarisch) gezeigten Bestandtei- fung und stärkere Einbindung örtlicher die bestmögliche Erfüllung eines öffentlichen le ergeben. Da der Public Value für Stadt- Marktpartner; Zwecks. Wichtig ist in diesem Zusammen- werke eine wichtige Erfolgsgröße darstellt, ■■ Wahrnehmung sozialer Verantwortung hang die Ausgewogenheit zwischen Bürgern stellt sich die Frage, wie dieser gemessen bei der Energieversorgung. und gewählten Politikern, die das öffentliche werden kann und wie bedeutend er im Ver- ENERGIEWIRTSCHAFTLICHE TAGESFRAGEN 69. Jg. (2019) Heft 1/2 99
ENERGIEMARKT – EVU/EDU gleich zu klassischen Erfolgsmaßen einge- werden wie der EBIT. Das ist insofern nach- Bei der Beurteilung von Erfolgsmaßen und schätzt wird. vollziehbar, da gerade die Kundengewinnung Zielen fällt auf, dass die Wichtigkeit zum und der damit verbundene Umsatz eine zent- größten Teil höher eingeschätzt wird als die Ergebnisse der subjektiven rale, wenn nicht sogar kritische, Erfolgsgröße Zufriedenheit (siehe Abb. 2). Zudem zeigt Performance-Messung darstellt. Im Vergleich dazu spielt das Erfolgs- Abb. 2, dass die Ziele durchweg höher be- maß des Cost-to-Serve eine eher untergeord- wertet werden als die Erfolgsmaße. Die Ziele Mit dem Ansatz der subjektiven Performance- nete Rolle. Vor dem Hintergrund, dass die haben dabei folgende Rangfolge [10]: Messung wurde im Rahmen der durchgeführ- operativen Prozesse zunächst etabliert und 1. Realisierung von Kunden- bzw. Bürgernähe; ten Befragung eine Methode verwendet, die stabilisiert werden müssen, verwundert es 2. Ökologische Ziele und Gestaltung der Ener- sich bei der Untersuchung von Firmengrün- nicht, dass ein Fokus auf Prozesskosten bei giewende vor Ort; dungen in anderen Branchen bereits bewährt neugegründeten Stadtwerken nachrangig ist. 3. Verbesserung der lokalen Wertschöpfung hat. Sie ermöglicht es, auch jenseits der klas- und stärkere Einbindung der örtlichen sischen betriebswirtschaftlichen Kennzahlen Im Rahmen der ökonomischen Kennzahlen Marktpartner; weitere Determinanten einer validen Erfolgs- umfasst die vorgenommene Erhebung auch 4. Realisierung von Synergien mit anderen messung zu berücksichtigen. die Einschätzung der Bedeutung des Public (kommunalen) Sparten; Value. Obgleich dieser Kennwert keiner allge- 5. Wahrnehmung sozialer Verantwortung bei Die Frage nach der Erfolgsmessung gliedert meingültigen Definition unterliegt und somit der Energieversorgung. sich in ökonomische Erfolgsmaße sowie nicht zwingend identisch interpretiert wird, Erfolgsgrößen, die sich aus den Zielen der ordnen ihm die befragten Stadtwerke eine Nachdem nun die Erfolgsmaße und Ziele Stadtwerkegründung ableiten lassen. Unsere ähnliche hohe Relevanz zu. Das überrascht neuer Stadtwerke konkreter umrissen sind, Umfrageergebnisse bestätigen einerseits die insofern, als dass ein Public Value üblicher- wird folgend der Frage nachgegangen, wel- Erkenntnisse vorangegangener Studien [7], weise in den Jahres- und Geschäftsberichten che Handlungsfelder positiv auf den Erfolg [11], zeigen aber andererseits, dass Letztere weder erfasst noch bewertet wird und eine wirken können. alleine nicht ausreichen, um den Erfolg eines wettbewerbsvergleichende Interpretation des Stadtwerks in allen erforderlichen Dimensio- Public Value schwierig ist. Jedoch können Ableitung von erfolgs- nen zu messen. Denn die klassischen Erfolgs- einzelne Aspekte des Public Value, wie Wert- wirksamen Handlungs- maße allein berücksichtigen nur einen Teil schöpfungs- und Beschäftigungseffekte als feldern des mit der Gründung eines Stadtwerks ver- Kennzahl (auch beim Vergleich mit anderen folgten Zielekanons. In Bezug auf die ökono- Stadtwerken) herangezogen werden. Auf der Im Rahmen unserer Untersuchung wurden mischen Kennzahlen zeigt unsere Erhebung, Basis berechneter Effekte legen z.B. die Stadt- bei der Befragung vier Handlungsfelder in dass die Bedeutung von Kundenzahl und werke Erkrath einen sog. Wertschöpfungsbe- den Vordergrund gerückt, um erste Aussa- Umsatzwachstum ähnlich stark gewichtet richt vor [12]. gen zu deren Relevanz machen zu können: Kooperationen, Resilienz, Digitalisierung und Soziale Verantwortung. Die Ergebnisse zeigen, dass Kooperatio- nen einen Erfolgsfaktor für neugegrün- dete Stadtwerke darstellen. Beispielsweise können sog. strategische Partnerschaften zu einem reibungslosen Geschäftsaufbau beitragen und die Vergabe von Aufträgen an lokale Partner schafft die Möglichkeit, schnell Erfolge bei der Realisierung der ört- lichen Wertschöpfung zu erreichen. Als Rahmen für die Entwicklung des Stadt- werks ist es in Bezug auf Resilienzaspekte sinnvoll, schon zur Gründung (vor Auf- nahme der operativen Tätigkeit) mit den Organen des Unternehmens ein Leitbild (Mission Statement) zu entwickeln [10]. Dadurch lässt sich zum einen ein klares Bild zum Selbstverständnis nach innen und außen transportieren sowie zum an- Abb. 1 Public Value von Stadtwerken deren ein Eckpfeiler der strategischen Quelle: [10] Ausrichtung verankern. Bei der Selbstein- 100 ENERGIEWIRTSCHAFTLICHE TAGESFRAGEN 69. Jg. (2019) Heft 1/2
ENERGIEMARKT – EVU/EDU schätzung der gewählten Geschäftsstra- antwortung innerhalb der Kommune eine ne als Gemeinschaft und seine Bedeutung tegie ist auffallend, dass neugegründete wichtige Rolle spielt. Das spiegelt sich bei- für die regionale Wirtschaft. Stadtwerke überwiegend der Geschäfts- spielsweise dadurch wider, dass im Rahmen ■■ Horizontale Kooperationen, also die strategie einer Qualitätsführerschaft fol- einer Corporate Social Responsibility (CSR) Zusammenarbeit mit Städten und Gemein- gen und weniger mit ihren Wettbewerbern öffentliche bzw. gemeinnützige Angebote den bzw. Stadt- und Gemeindewerken aus über den Preis konkurrieren. und Veranstaltungen unterstützt, familien- der Nachbarschaft, sind ein wichtiger Er- freundliche Arbeitsplätze sowie hochwer- folgsfaktor bei der Neugründung von Stadt- Unsere Ergebnisse zeigen ferner, dass tige Ausbildungsplätze und Weiterbildungs- werken. Stadtwerke der Fähigkeit, sich gegenüber angebote geschaffen werden (siehe Abb. 3). ■■ Die Untersuchungsergebnisse unter- externen äußeren Einflüssen widerstands- Aus unseren Untersuchungsergebnissen bei streichen die Relevanz der Resilienz für fähig zu zeigen, eine gewisse Wichtigkeit neu gegründeten Stadtwerken kann dies neugegründete Stadtwerke. Insbesondere beimessen. Weit über die Hälfte der Teil- allerdings zunächst nicht abgeleitet werden, gut ausgearbeitete Geschäftsstrategien für nehmer setzen in der Erzeugung auf ein was in erster Linie daran liegt, dass die die beabsichtigten Tätigkeitsfelder, die Ent- diversifiziertes Portfolio. Zudem stimmen Möglichkeiten zur Übernahme sozialer Ver- wicklung von Energiedienstleistungen und Dreiviertel der Aussage zu, dass sie konti- antwortung einen ökonomischen Erfolg des die Formulierung eines Mission Statements nuierlich in den Auf- und Ausbau von eige- Unternehmens voraussetzt, der erst noch sind dazu wichtige Instrumente. nen erneuerbaren Erzeugungskapazitäten erreicht werden muss. investieren. Ziel ist es dabei, die Risiken, In einem nächsten Untersuchungs- die mit dem externen Bezug von Strom bzw. Fazit schritt ist es sinnvoll, den verwendeten fossiler Energieträger verbunden sind, wie Untersuchungs-Ansatz der subjektiven beispielsweise Schwankungen der Preis- Aufgrund der durchgeführten Befragung Performance-Messung durch eine brei- konditionen, zu reduzieren. neugegründeter Stadtwerke lassen sich vor tere Berücksichtigung der Interessen allem folgende Aspekte hervorheben: verschiedener Anspruchsgruppen zu Unsere Befragung ergab, dass viele Digita- erweitern, damit die Erfolgsmessung lisierungsthemen für junge Stadtwerke nur ■■ Stadtwerke-Neugründungen sind ein ein mehrdimensionales Ergebnis liefern von geringer Bedeutung sind. Dies liegt auch Kennzeichen dafür, dass viele Kommunal- kann. daran, dass die neuen Unternehmen vielfach politiker zunehmend die Chancen und Mög- noch nicht in allen Wertschöpfungsstufen lichkeiten erkennen, die Energiewende vor operativ tätig sind. So setzt beispielsweise Ort proaktiv mitzugestalten. Dabei können eine Smart-Grid-Strategie voraus, dass man eigene Stadtwerke eine Schlüsselfunktion Die komplette Studie kann kostenfrei auch bereits als Netzbetreiber aktiv ist. einnehmen. unter folgendem Link bezogen werden: ■■ Der Public Value hat für Stadtwerke ei- https://nbn-resolving.org/ Für etablierte Stadtwerke zeigt sich generell, nen hohen Stellenwert in Bezug auf den Nut- urn:nbn:de:bsz:wup4-opus-71566 dass die Wahrnehmung einer sozialen Ver- zen für die Bürger, den Wert für die Kommu- Abb. 2 Beurteilung von Erfolgsmaßen und Zielen im Rahmen der Gründung eines Stadtwerks Quelle: eigene Darstellung ENERGIEWIRTSCHAFTLICHE TAGESFRAGEN 69. Jg. (2019) Heft 1/2 101
ENERGIEMARKT – EVU/EDU Abb. 3 Erfolgswirksame Handlungsfelder für neugegründete Stadtwerke Quelle: [10] Quellen [7] F. Pieper, Finanzwirtschaftliche Erfolgsanalyse Dr.-Ing. K. Berlo, und Dipl.-Soz. Wiss. O. deutscher Stadtwerke. Frankfurt am Main Bern Bru- Wagner, Projektleiter, Forschungsgruppe [1] S. Becker, R. Beveridge, und M. Naumann „Remuni- xelles: PL Academic Research, 2016. „Energie-, Verkehrs- und Klimapolitik“, cipalization in German cities: contesting neoliberalism [8] Ernst & Young, „Stadtwerkestudie 2017 - Der Ver- Wuppertal Institut für Klima, Umwelt and reimagining urban governance?“, Space Polity, Bd. teilnetzbetreiber der Zukunft - Enabler der Energie- gGmbH; Dr. rer. pol. C. Herr, Projektma- 19, Nr. 1, S. 76–90, 2015. wende“, Dortmund, Juni 2017. nager, MBA M. Companie, Senior Projekt- [2] J. Libbe, „Transformation städtischer Infrastruktur [9] M. H. Moore, Creating public value: strategic ma- berater, BLUBERRIES GmbH, München Inhaltsverzeichnis“, Dissertation, Universität Leipzig, nagement in government. Cambridge, Mass: Harvard kurt.berlo@wupperinst.org 2014. Universi-ty Press, 1995. christian.herr@bluberries.de [3] K. Berlo, O. Wagner, F. Merten, N. Richter, und [10] K. Berlo, C. Herr, O. Wagner, und M. Companie, michael.companie@bluberries.de S. Thomas, „Perspektiven dezentraler Infrastrukturen „Explorative Untersuchung zu Erfolgspotentialen bei oliver.wagner@wupperinst.org im Spannungsfeld von Wettbewerb, Klimaschutz und neugegründeten Stadtwerken : eine Sondierungsstu- Qualität : Ergebnisse für die Energiewirtschaft“, Wup- die zur kommunalen Energieversorgung ; Ergebnisse pertal Inst. für Klima, Umwelt, Energie, Wuppertal, einer Befragung bei neugegründeten Stadtwerken im 2008. Energiebereich“, Wuppertal Inst. für Klima, Umwelt, [4] N. Richter und S. Thomas, Perspektiven dezent- Energie, Wuppertal, 2018. raler Infrastrukturen im Spannungsfeld von Wettbe- [11] H. Wildemann, Stadtwerke: Erfolgsfaktoren euro- werb, Klimaschutz und Qualität : Endbericht der For- päischer Infrastruktur- und Versorgungsdienstleister, schungspartnerschaft INFRAFUTUR, Bd. 16. Frankfurt 1. Aufl. München: TCW, Transfer-Centrum, 2009. am Main: Lang, 2009. [12] Eduard Pestel Institut für Systemforschung e.V., [5] PricewaterhouseCoopers, „Stadtwerke 2030 – Her- „Was bleibt - Wertschöpfungsbericht der Stadtwerke ausforderungen der Energieversorgung in Kooperatio- Erkrath“, Stadtwerke Erkrath GmbH, Erkrath, Bro- nen meistern“, Jan. 2018. schüre, 2016. [6] YourSales, „Stadtwerk der Zukunft I - Update Pers- pektiven kommunaler Energieversorgung 2020/2025“, 2011. 102 ENERGIEWIRTSCHAFTLICHE TAGESFRAGEN 69. Jg. (2019) Heft 1/2
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