NICHT OHne uns - Winter 2020 - Oxfam Shops

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NICHT OHne uns - Winter 2020 - Oxfam Shops
eins
DAS MAGAZIN DER ENTWICKLUNGSORGANISATION OXFAM

Winter 2020

NICHT
OHne
uns
Krieg,Klima, Katastrophen:
Wie Menschen vor Ort
Veränderung gestalten

Das wirkliche Leben
Ein geflüchteter Fotograf dokumentiert
das Leben im Camp in Cox΄s Bazar

Mit vereinten Kräften
Nach der Explosion in Beirut setzt
Oxfam auf lokale Partner
NICHT OHne uns - Winter 2020 - Oxfam Shops
CORONA KENNT KEINEN UNTERSCHIED.
ARMUT SCHON!

                                                            © Fabeha Monir | Oxfam, © Adrian Seliga | seligaa. *Name geändert
JETZT SPENDEN!
www.oxfam.de/jetztspenden

Zahera Khatun* (links) lebt in einem der weltweit größten
Geflüchtetencamps in Cox‘s Bazar (Bangladesch). Wie
Millionen andere Menschen in Armut treffen die Folgen
der weltweiten Pandemie sie ungleich härter als uns
Menschen im Globalen Norden.

    Spendenkonto:
    IBAN: DE87 3702 0500 0008 0905 00
    Stichwort: Armut
NICHT OHne uns - Winter 2020 - Oxfam Shops
Seite 4
Liebe*r
Leser*in,
                                                                                                                                                               Vor 20 Jahren verabschiedeten die Vereinten Nationen die Resolution 1325
                                                                                                                                                               zur Achtung von Frauenrechten in Friedensprozessen – ein Meilenstein für
                                                                                                                                                               Geschlechtergerechtigkeit. Weltweit gestalten Frauen heute die Friedens-
                                                                                                                                                               prozesse ihres Landes mit. Safa Elagib Adam Ayour, die Aktivistin auf
                                                                                                                                                               dem Titelbild, im Sudan zum Beispiel, und Masuma Jami (dieses Bild) in
der Friedensprozess im Heimatland, das Leben im                                                                                                                Afghanistan. „Wir haben genug von Krieg und Konflikten. Ich möchte
Geflüchtetencamp, Nothilfe und Wiederaufbau nach                                                                                                               eine friedliche Zukunft für meine Kinder“, sagt sie.
einer Katastrophe, die Klimakrise und die COVID-19-
Pandemie: Safa Elagib Adam Ayour aus dem Sudan,
Azad Mohammed aus Myanmar, Celine El Kik aus
dem Libanon und Hindou Oumarou Ibrahim aus
dem Tschad beschäftigen ganz unterschiedliche
Themen. Doch sie alle haben etwas gemeinsam:                                                                                                                             INHALT
Sie wollen sich einmischen, ihre Ansichten einbringen,                                                                                                             04 Kein Frieden ohne Frauen
mitgestalten, etwas verändern: Safa Elagib Adam Ayour,                                                                                                                   Ein Meilenstein: 20 Jahre UN-Resolution
                                                                Titelbild: © Susan Schulman | Oxfam. Diese Seite: © iKlicK Fotostudio, © Elaha Sahel | Oxfam

die Aktivistin auf dem Titelbild, kämpft für Frieden in ihrem                                                                                                            zu Frauenrechten in Friedensprozessen
Heimatland (S. 4). Azad Mohammed floh in das Camp in
Cox´s Bazar und dokumentierte dort als Fotograf das Leben                                                                                                          07 Das wirkliche Leben
der Menschen (S. 7). Celine El Kik unterstützt die Menschen                                                                                                              Ein geflüchteter Fotograf dokumentiert
im Libanon nach der verheerenden Explosion im Hafen                                                                                                                      das Leben im Camp in Cox's Bazar
der Hauptstadt (S. 10) und Hindou Oumarou Ibrahim
setzt sich dafür ein, dass bei den Reaktionen auf die
Klimakrise die Perspektive der indigenen Völker ernst
                                                                                                                                                                  10 MIT vereinten Kräften
                                                                                                                                                                         Nach der Explosion in Beirut setzt
genommen und nicht über ihren Kopf hinweg entschieden
                                                                                                                                                                         Oxfam auf lokale Partner
wird. Was sie vor den Vereinten Nationen für die indigenen
Völker einforderte, kann für alle Aktivist*innen in dieser
EINS-Ausgabe stehen: „Nicht ohne uns über uns!“                                                                                                                   12 NICHT OHNE UNS
                                                                                                                                                                         Warum sich Feministinnen für
Als wir diese EINS-Ausgabe planten, nahmen wir uns                                                                                                                       Klimagerechtigkeit einsetzen
vor, diesen Satz selbst ernst zu nehmen. Die Menschen,
mit denen wir zusammenarbeiten und die wir in dieser                                                                                                              13 KLIMAKILLER REICHTUM
Winter-Ausgabe der EINS vorstellen, sollten selbst zu                                                                                                                    Je reicher, desto klimaschädlicher:
Wort kommen, selbst berichten – in Zitaten, Statements,                                                                                                                  Wo Klimagerechtigkeit ansetzen muss
Artikeln und Fotostrecken. Entstanden ist ein Heft nicht
nur über, sondern auch von beeindruckenden, mutigen,                                                                                                              14 Oxfam und das „kleingedruckte*“
tatkräftigen Menschen, die die Welt verändern.                                                                                                                           Emöke Ebner wagte dank Oxfam
                                                                                                                                                                         den Weg in die Selbstständigkeit
Ich wünsche Ihnen eine spannende Lektüre.
                                                                                                                                                                  15 EINE FRAGE, DREI MENSCHEN
Ihre                                                                                                                                                                     Was soll sich nie ändern?

                                                                                                                                                                  16 Letzte Seite
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Marion Lieser
Geschäftsführende Vorstandsvorsitzende,
Oxfam Deutschland e.V.
                                                                                                                                                                                                                                          3
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Cherkaoui
                                                                       SylvainDavis         Catada | Oxfam
                                                                                    & Rhea| Oxfam

                         „Frauen sind stark – deshalb bin ich eine
                                                                     © Becky

                         Menschenrechtsaktivistin“, sagt Riya
                         William Yuyuda. Im Südsudan setzt sie
                                                                     ©

                         sich für Frauenrechte und Frieden ein.

4   EINS | Winter 2020
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SÜDsudan, Sudan und Afghanistan

Ihre Verabschiedung war ein Meilenstein auf dem Weg zu Geschlechtergerechtigkeit: die UN-
Resolution 1325, nach der Frauen gleichberechtigt in Friedensprozesse einzubeziehen sind.
20 Jahre später gestalten weltweit zunehmend Frauen den Frieden in ihrem Land mit. Drei Beispiele.

   Franziska Rötzsch

Riya William Yuyuda hat eine Mission: Sie    hat meine Familie entzweit. Einer der
setzt Frauen in ihrem Heimatland eine        Gründe, warum ich Crown the Woman
Krone auf. „Die Frauen im Südsudan sollen    gegründet habe, war, dass ich mich für
sich stark fühlen – gekrönt zu Königinnen.   Frieden einsetzen wollte – Frieden, den
Denn sie haben es verdient, Königinnen       ich als Kind nie erleben durfte.“
zu sein“, sagt sie.
                                            Crown the Woman stellt sich gegen Gewalt
2016 gründete die Friedensaktivistin        gegen Frauen, versucht Menschen für das

                                                                                                                                         © Susan Schulman | Oxfam
gemeinsam mit sechs anderen jungen          Thema zu sensibilisieren und unterstützt
Südsudanesinnen die Organisation Crown      traumatisierte Frauen. Und die Organisa-
the Woman (deutsch: „Krönt die Frau“).      tion bietet Frauen Schulungen an, um
16 Jahre zuvor hatte der UN-Sicherheitsrat ihnen den Weg in die Selbstständigkeit zu
einstimmig seine Resolution 1325 verab-     ermöglichen. „Frauen sollen für sich selbst
schiedet. Sie gilt als Meilenstein auf dem  sorgen können“, sagt Riya William Yuyuda.
Weg zur Durchsetzung von Frauenrechten „Ich bin überzeugt, dass eine Frau, die
                                                                                          Erhielt als erste Frau Afrikas den Preis für
und Geschlechtergerechtigkeit: Frauen       wirtschaftlich gestärkt ist, auch die Kraft   Frieden und Menschenrechte in Bern: Safa
müssen in Kriegen und Krisen nicht nur      hat, sich vor vielen Formen von Gewalt zu     Elagib Adam Ayour.
geschützt und ihre Rechte gesichert wer-    schützen.“
den, sie sollen sich auch gleichberechtigt                                                ihre Kinder gebären. Frieden heißt Sicher-
in politische Prozesse, in Friedensmaß-     Auch über ihre Organisation hinaus enga-      heit für die Menschen“, sagt die Aktivistin.
nahmen sowie die Verhinderung neuer         giert sich die Aktivistin für den Frieden.    Dass in ihrem Heimatland Präsident Omar
Konflikte einbringen können und die         Sie gehört einem Zusammenschluss              al-Bashir im Jahr 2019 abgesetzt wurde,
Nachkriegsgesellschaft mitgestalten.        südsudanesischer Frauen an, die den           war vor allem ein Verdienst der Frauen.
Genau darum geht es auch Crown the          Friedensprozess mitgestalten wollen.          Sie organisierten Kundgebungen, führten
Woman. Die Organisation will Mädchen und „Frauen sind die Basis des Südsudans, sie        Demonstrationen an, sorgten mit Slogans
Frauen so stärken, dass sie ihre Potenziale machen 60 Prozent der Bevölkerung aus“,       und Gedichten für den Zusammenhalt der
nutzen und den Südsudan politisch, wirt-    sagt sie. „Wenn unsere Stimmen nicht Teil     Menschenmengen. Im jetzigen Übergangs-
schaftlich und sozial mitgestalten können. des Entscheidungsprozesses sind, wird          prozess des Landes wollen sie weiter Gehör
                                            der Südsudan sein volles Potenzial nicht      finden und setzen sich für positive Verän-
Auch nach der Unabhängigkeit vom Sudan      ausschöpfen.“                                 derungen ein.
in 2011 hielt der Bürgerkrieg im Südsudan,
einem der ärmsten Länder der Welt, an.      „MAN FÜHLT SICH WIE IN                        Das Engagement von Safa Elagib Adam
Gewalt und Hunger bestimmen seit Jahr-      EINER KISTE GEFANGEN“                         Ayour begann schon viel früher – als sie
zehnten den Alltag der Menschen. „Als ich                                                 1985 an die Universität in der Hauptstadt
nur wenige Wochen alt war, brachte meine Auch Safa Elagib Adam Ayour will ihr Land        Khartum ging. Aufgewachsen war sie in
aus Uganda stammende Mutter mich und        mitgestalten. Sie setzt sich im nördlich      Darfur, einer konfliktgeschüttelten Region
meine Schwester aus dem Südsudan nach angrenzenden Sudan für Frieden ein. „Frie-          im Westen des Sudans. „Dort gab es keine
Uganda in Sicherheit, während mein Vater    den bedeutet für mich, dass Kinder nicht      Elektrizität und nur wenig Bildungsmöglich-
zurückbleiben musste“, erzählt die heute    auf der Straße schlafen und Frauen nicht      keiten – noch weniger für Mädchen“, erin-
29-jährige Riya William Yuyuda. „Der Krieg  betteln müssen oder sterben, wenn sie         nert sie sich. „Mach dies nicht und tu das

                                                                                                                    EINS | Winter 2020                              5
NICHT OHne uns - Winter 2020 - Oxfam Shops
Helfen Sie mit!                                             nicht! Frauen mussten zuhause bleiben,
                                                                nur zuhause. Man fühlt sich wie in einer
                                                                                                                  Wir müssen mutig sein und die Steine, die
                                                                                                                  uns die Gesellschaft in den Weg legt, über-
    In Ländern wie Südsudan,                                    Kiste gefangen.“                                  winden“, sagt sie.
    Sudan und Afghanistan
                                                                Während ihrer Zeit als Studentin in Khar-        Wegen ihrer Arbeit erhält sie immer wieder
    unterstützt Oxfam die                                       tum sorgte eine anhaltende Dürre für eine        Todesdrohungen. Doch die Aktivistin gibt
    Menschen auf dem Weg                                        humanitäre Katastrophe in Darfur. Safa           nicht auf. Um Konflikte aufzulösen, sucht
    zum Frieden. Außerdem                                       Elagib Adam Ayour erlebte, wie Menschen          sie das Gespräch mit den Menschen
                                                                auf der Flucht nach Khartum kamen. „Wir          vor Ort, mit Familien, verschiedenen
    versorgt Oxfam Menschen                                     beschlossen, unser Essen den Geflüch-            Ethnien, mit der Jirga, den traditionellen
    in Not mit dem Nötigsten.                                   teten zu geben. Aus Darfur wusste ich,           Versammlungen.
                                                                wie es ist, nichts zu essen zu haben, wie
                                                                Menschen Löcher graben, um Ameisen zu             Die Aktivistin ist überzeugt, dass Friedens-
                                                                finden, die sie essen können“, erinnert           bemühungen auch die lokale Ebene im Blick
                                                                sich die heute 50-Jährige. „Ich begann,           haben müssen, entstehen doch dort die
                                                                mit Frauen zu arbeiten. Sie waren die             meisten Konflikte: „Politischer Frieden ist
                                                                Empfängerinnen von Hilfsgütern. Ich merk-         wichtig, aber es braucht auch eine Kultur
                                                                te schnell, dass das nicht genug war. Auch,       des Friedens. Es braucht lokale Friedens-
                                                                wenn diese Frauen wie Bettlerinnen wirken,        komitees, in die Frauen und benachteiligte
                                                                sie sind keine. Sie sind Bäuerinnen und           Gruppen einbezogen werden.“
                                     © Tim Bierley | Oxfam

                                                                Produzentinnen. Das hat mich zur Femini-
                                                                stin gemacht.“                                   Auch auf nationaler Ebene muss das
                                                                                                                 Engagement für den Frieden weitergehen.
                                                                Zwanzig Jahre später führte Safa Elagib          Ende Februar 2020 unterzeichneten die
      21€                                                       Adam Ayour die Frauen aus Darfur bei den         USA und die militante Gruppierung der
                                                                Friedensverhandlungen für die Region an.         Taliban eine Vereinbarung zur Aufnah-
                                                                2009 wurde sie mit dem Preis für Frieden         me von Friedensgesprächen zwischen
    21 Euro kosten Saatgut und                                  und Menschenrechte in Bern ausgezeich-           den Taliban und der afghanischen Regie-
    Werkzeuge für eine Familie.                                 net – als erste Frau Afrikas. Auch an den        rung. Doch deren Erfolg ist fraglich und
                                                                aktuellen Friedensverhandlungen ist die          die Gewalt geht weiter, auch nachdem im
    Damit kann sie sich selbst mit                              Aktivistin beteiligt. „Ich kämpfe dafür, dass    September der innerafghanische Dialog
    Lebensmitteln versorgen und                                 Frauen Teil der neuen Regierung werden“,         begonnen hat. Viele Frauen im Land fürch-
    eigene Produkte auf Märkten                                 sagt sie.                                        ten zudem, dass in Friedensgesprächen
    verkaufen.                                                                                                   ihre Rechte beschnitten und die Freihei-
                                                                „WIR MÜSSEN MUTIG SEIN“                          ten, die sie in den vergangenen 20 Jahren
                                                                                                                 erlangt haben, geopfert werden.
                                                                Masuma Jami setzt sich ebenfalls dafür
                                                                ein, dass Frauen im Friedensprozess ihres „Die Veränderungen, die Frauen erreicht
                                                                Heimatlandes Gehör finden. Die Aktivistin    haben, müssen im Friedensvertrag aner-
                                                                stammt aus Herat in Afghanistan. „Die        kannt und garantiert werden“, sagt Masu-

                                                                                                                                                                 © Elaha Sahel | Oxfam
                                                                Traditionen, Normen und Vorurteile in        ma Jami. „Wir haben genug von Krieg und
                                                                unserer Gesellschaft erlauben es Frauen      Konflikten. Ich möchte eine friedliche
                                        © Rhea Catada | Oxfam

                                                                nicht, sich als Aktivistinnen zu engagieren. Zukunft für meine Kinder.“

                                                                Masuma Jami engagiert sich in Afghanistan für Frieden.
                                     © Oxfam

      75€
    75 Euro sorgen dafür, dass
    15 Menschen Zugang zu
    sauberem Wasser erhalten.

         Jetzt spenden:
         www.oxfam.de/jetztspenden

6    EINS | Winter 2020
NICHT OHne uns - Winter 2020 - Oxfam Shops
Bangladesch

                  Das wirkliche Leben
                  Azad Mohammed lebte mit seiner Familie zwei Jahre im Geflüchteten-
© Azad Mohammed

                                                                                                             Der Blick auf das Balukhali Geflüchtetencamp
                                                                                                             in Cox’s Bazar, Bangladesch. Nach drei Jahren
                  camp in Cox’s Bazar in Bangladesch. Als Fotograf dokumentierte er                          wachsen wieder erste Bäume im Camp.
                  den Alltag der Menschen im Camp.

                     Azad Mohammed

                  Ich bin in Myanmar in einem Dorf namens        erste Nacht war am schlimmsten, ich war     Gemeinschaft durch meine Fotografie inspi-
                  Taung Bazar geboren und aufgewachsen.          sehr nervös. Am Morgen fragte ich nach      rieren kann. Mit meinen Bildern wollte ich
                  Wenn ich zurückdenke, vermisse ich den         einer Toilette. Meine Mutter sagte: „Nimm   zeigen, wie der Alltag im Camp aussieht
                  Markt in meinem Heimatdorf am meisten.         Wasser mit und geh in diese Richtung,       und wie die Menschen darunter leiden. Ich
                                                                 dort gibt es eine.“ Als ich die Toilette    habe versucht, das wirkliche Leben zu
                  Am 25. August 2017 saß ich im Büro der         endlich fand, standen schon mehr als        fotografieren.
                  Rohingya Human Rights Initative (ROHRIn-       zehn Leute Schlange.
                  gya) in Neu-Delhi, Indien. Plötzlich erhielt                                               Ich war insgesamt zwei Jahre im Camp. Im
                  ich einen Anruf mit der Vorwahl für Myan-      AM ANFANG HABEN DIE                         März 2020 konnte ich zu einem Treffen in
                  mar. Ich erschrak, als ich die Nummer sah,     LEUTE MICH AUSGELACHT                       Genf bei den Vereinten Nationen reisen. Ich
                  weil diese Anrufe so teuer sind. Meine                                                     beschloss, offiziell Asyl zu beantragen, und
                  Mutter war am Telefon, sie weinte und          Im Geflüchtetencamp habe ich viele Dinge    lebe mittlerweile in Deutschland. Meine
                  bat mich, für sie zu beten. „Alles brennt!“,   gesehen, die mich schockiert haben. Ich     ganze Familie ist allerdings noch immer in
                  sagte sie. Danach brach der Anruf ab. Ich      wollte, dass die Welt sieht, was mit uns    einem Geflüchtetencamp in Bangladesch.
                  sah in den sozialen Netzwerken, dass           geschieht. Ich war der erste Fotograf aus   Ich vermisse meinen zehn Monate alten
                  mein Zuhause zu einem Schlachtfeld             unserer Gemeinschaft. Ich hatte keine       Sohn sehr.
                  wurde. Danach hatte ich 14 Tage lang           gute Kamera und kein gutes Smartphone
                  keine Informationen über den Verbleib          und es war sehr schwer, mir das Foto-       Ich möchte den Menschen in Cox's Bazar
                  meiner Familie. Irgendwann erhielt ich         grafieren selbst beizubringen. Am Anfang    sagen: Verliert nicht die Hoffnung! Eines
                  wieder einen Anruf. Es war meine Mutter,       haben die Leute mich ausgelacht, wenn       Tages können wir wieder nach Hause,
                  die mir sagte, dass sie es sicher nach         ich fotografierte. Einige sagten, es sei    und wir werden alle Rechte haben. Den
                  Bangladesch geschafft hatten. Ich wollte       ja einfach, Fotos zu machen. Ich habe       Menschen hier in Deutschland möchte
                  bei meiner Familie sein, also machte ich       hunderte Bilder aufgenommen und ich         ich sagen, dass ich froh über ihr Mitgefühl
                  mich ebenfalls auf nach Cox‘s Bazar. Die       hoffe, dass ich eines Tages unsere          bin. Ich bin stolz darauf, hier zu sein.

                                                                                                                                      EINS | Winter 2020     7
NICHT OHne uns - Winter 2020 - Oxfam Shops
„Ein Paar knüpft gemeinsam ein
                                                                                            Fischernetz in ihrer Unterkunft.
                                                                                            Auch in schwierigen Zeiten
                                                                                            müssen wir zusammenhalten
                                                                                            und gemeinsam nach vorne
                                                                                            schauen.“

                                               „Ein Junge sucht in Camp 18 nach Empfang
                                               für sein Handy. Wir haben in Myanmar alles
                                               verloren und wurden von Menschen, die wir
                                               lieben, getrennt. Deshalb ist der Zugang
                                               zum Internet besonders wichtig.“

PERSPEKTIV-                                              BLINDTEXT ZWEILZIELIG
WECHSEL                                                  Der Fotograf Azad
Der Fotograf Azad Mohammed                               Mohammed floh aus
floh aus Myanmar ins Camp in                             Myanmar ins Camp Cox's
Cox’s Bazar in Bangladesch.
In seinen Bildern und kurzen                             Bazar in Bangladesch. In
Bildbeschreibungen hat er das                            seinen Bildern und mit
Leben im Camp festgehalten.                              kurzen Bildbeschrei-
                                                         bungen hat er das Leben
                                                         im Camp festgehalten.
„Eine junge Frau im Geflüchtetencamp
in Cox’s Bazar. Sie trägt ein traditionelles
Kopftuch, das sie auch vor der Sonne
schützt.“
NICHT OHne uns - Winter 2020 - Oxfam Shops
„Blick auf einen Randbereich des
                                                                                     Camps. Die meisten Behausungen
                                                                                     bestehen aus Planen und Holz.“

                                                        „Es gibt keine Bäume und
                                                        damit wenig Schatten im
                                                        Geflüchtetencamp. Die        Fotograf Azad
                                                        Menschen bleiben deshalb     Mohammed
                                                        oft in ihren Behausungen,    zeigt seinen Blick
                                                        wie dieser Mann. Doch auch   auf das Leben im
                                                        hier ist es sehr warm.“      Camp in Cox´s Bazar.
© Azad Mohammed

                  „Amir Ali ist ein bekannter Flöten-
                  spieler und für mich eine große
                  Inspiration. Ich habe von ihm
                  gelernt, wie man in schwierigen
                  Situationen zuversichtlich bleibt.“

                                                                                                    EINS | Winter 2020   9
NICHT OHne uns - Winter 2020 - Oxfam Shops
Libanon

     Um nach der Explosion in Beirut schnell und wirksam Nothilfe leisten
     zu können, setzte Oxfam von Anfang an auf die Zusammenarbeit mit
     lokalen Organisationen. Celine El Kik und Rita Saade schildern, wie
     diese funktioniert und sprechen über die Situation vor Ort.

                                                                                                                                      © Privat
                                                                                                Celine El Kik leitet ein
                                                                                                Zentrum der libanesischen Organi-
                                                                                                sation KAFA (Arabisch für „genug!“)
                                                                                                für Betroffene geschlechtsspezi-
                                                                                                fischer Gewalt. Die 2005 gegrün-
       Interview: Julia Jahnz
                                                                                                dete Organisation unterstützt und
                                                                                                stärkt Frauen und Kinder, die
     Anfang August blickte die Welt nach        glieder verloren. Für diejenigen, die keine
                                                                                                Gewalt und Ausbeutung erfahren
     Beirut: Im Hafen gingen riesige Mengen     Arbeit haben, ist es jetzt noch schwieriger,
                                                                                                mussten, und tritt unter anderem
     Sprengstoff in die Luft. Welche Folgen     neue zu finden. Einige haben mit psychi-
                                                                                                für eine Gesetzesreform ein. Seit
     hat die Explosion für die Menschen?        schen Belastungsstörungen zu kämpfen.
                                                                                                2017 arbeiten KAFA und Oxfam
     Rita Saade: Die Auswirkungen auf Beirut
                                                                                                zusammen.
     und auch auf das Land sind verheerend.     Nach der Explosion war schnelle Unterstüt-
     Sie werden die Stadt, die schon vorher     zung wichtig. Oxfam hatte jedoch vorher
     unter einer Krise im wirtschaftlichen,     keine Nothilfe in Beirut geleistet. Wie seid
     politischen und Gesundheitsbereich         ihr vorgegangen?
     litt, noch lange prägen. Mehr als 70.000   Rita Saade: Wir haben Partnerschaften mit
     Menschen haben Schätzungen zufolge         verschiedenen lokalen Organisationen
     ihren Arbeitsplatz verloren. 178 Schulen   geschlossen, die das nötige Fachwissen
     wurden beschädigt. Die Explosion hat       mitbringen. Zu ihnen gehört KAFA. Sie waren
     auch eines der wichtigsten Kranken-        bereits dabei, die Bedürfnisse der betroffen-

                                                                                                                                      © Privat
     häuser der Stadt zerstört und traf viele   en Frauen und Mädchen zu ermitteln und
     weitere Gesundheitseinrichtungen.          leisteten vom zweiten Tag nach der
                                                Explosion an Unterstützung.
     Celine El Kik: Die Häuser vieler Frauen,
     mit denen wir arbeiten, wurden zerstört    Celine El Kik: Nachdem wir die notwendigen      Rita Saade arbeitet bei Oxfam
     oder beschädigt. Manche Frauen erlitten    Informationen gesammelt hatten, begannen        im Libanon als Beraterin zum
     Verletzungen oder haben Familienmit-       wir mit der direkten Nothilfe. Dazu gehören     Thema Schutz und Sicherheit
                                                Nahrungsmittel, Bargeld und Reparaturen         besonders vulnerabler Menschen.
                                                der beschädigten Häuser, um Frauen und          Gemeinsam mit libanesischen
            Lokale Organi-                      Mädchen Sicherheit zu geben und sie zu          Partnerorganisationen führt Oxfam
                                                stärken. Traumatisierte bekamen auch            im Libanon Entwicklungsprojekte
         sationen kennen                        psychologische Unterstützung.                   und politische Kampagnen durch.
        die Bedürfnisse der                                                                     Nothilfe leistete Oxfam vor der
                                                Meist geben in solchen Partnerschaften          Explosion in Beirut vor allem für
           Menschen.                            die internationalen Organisationen den Ton      syrische Geflüchtete und bedürf-
                                                an. Welchen Einfluss haben lokale Organisa-     tige Gemeinschaften in der Region
                  CELINE EL KIK                 tionen auf Oxfams Nothilfe in Beirut?           Bekaa und im Norden des Landes.

10     EINS | Winter 2020
Partnerschaften
                                              Rita Saade: Es hilft uns, besser zu verste-    KURZ NOTIERT
                                              hen, was die Menschen wirklich brauchen,
  helfen uns besser zu                        und was die Ursachen ihrer Probleme sind.      820.000 Unterschriften für
                                              Partnerschaften fördern zudem die Nach-        einen Schuldenstopp
   verstehen, was die                         haltigkeit, weil die lokalen Organisationen    In vielen Ländern nehmen die Schuldenzah-
   Menschen wirklich                          schon lange im Libanon arbeiten und dies       lungen mehr Platz im Haushalt ein als Inve-
                                              auch tun werden, wenn es internationalen       stitionen in Bildung, Gesundheit und soziale
      brauchen.                               Organisationen einmal nicht möglich sein       Sicherung. Damit fehlt den Ländern nicht nur
                                              sollte.                                        finanzieller Spielraum, um gegen die Corona-
               RITA SAADE                                                                    Krise vorzugehen, es droht der Staatsban-
                                              Durch die COVID-19-Pandemie ist der            krott. Bereits im Oktober hatte Oxfam mit
                                              Hunger auf dem Vormarsch. Was können           weiteren Organisationen Finanzminister Olaf
Celine El Kik: Oxfam und KAFA diskutieren     lokale Organisationen wie KAFA hier tun?       Scholz mehr als 820.000 Unterschriften für
über mögliche Projekte und planen alle        Rita Saade: Sie können die Stimmen             einen sofortigen Stopp der Schuldendienst-
Aktivitäten gemeinsam. Das Oxfam-Team         der Menschen in Not verstärken, sie mit        zahlungen übergeben. Nach dem G20-Gipfel
ist sehr kooperativ und hilfsbereit.          Nahrungsmitteln und Bargeld unterstützen       Mitte November ist klar: Einen Schuldener-
                                              und längerfristig die lokale Landwirtschaft    lass wird es vorläufig nicht geben; zu mehr
Rita Saade: Die lokalen Partner sind dieje-   und Nahrungsmittelproduktion fördern, um       als einer Stundung waren die Gläubiger nicht
nigen, die nach der Explosion in Beirut die   dem Hunger nachhaltig zu begegnen.             bereit. Oxfam-Finanzexperte Tobias
notwendigen Maßnahmen ermittelt haben.                                                       Hauschild kritisiert: „Die G20 riskieren eine
Die Partner sind es auch, die alle Aktivi-    Celine El Kik: Sie können ihre Arbeit um       weitere Verschärfung der Schuldenkrise –
täten in Beirut nach ihren eigenen Metho-     Nothilfeleistungen ergänzen, um existen-       mit unabsehbaren Folgen für Millionen von
den durchführen. Oxfams Rolle besteht vor     zielle Bedürfnisse zu befriedigen und das      Menschen. Bleibt zu hoffen, dass die Welt-
allem in der Koordination.                    Armutsrisiko abzumildern. Umgekehrt kann       gemeinschaft beim nächsten Meilenstein –
                                              die wirtschaftliche Stärkung von Frauen        der Frühjahrstagung von IWF und Weltbank –
Wie kann das Machtverhältnis zwischen         aber auch dazu beitragen, Ungleichheiten       verantwortungsvoller handelt.“
lokalen und internationalen Organisati-       zwischen den Geschlechtern zu verringern.
                                                                                              Jetzt mehr erfahren:
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                                                                                              www.oxfam.de/schuldenstopp
Celine El Kik: Wir empfinden das Machtver-    Danke für den interessanten Einblick
hältnis dort als ausgeglichen, wo unsere      in eure Arbeit. Gibt es etwas, das ihr
Beiträge und Ideen bei der Planung neuer      unseren Leser*innen in Deutschland             „zeitgerecht“:
Aktivitäten einfließen und gemeinsames        sagen möchtet?                                 Oxfam im Podcast
Lernen und Partizipation gestärkt werden.     Rita Saade: Vielen Dank, dass Sie sich         Der Oxfam-Podcast ist da: In den vier Folgen
                                              für die Situation im Libanon interessieren.    von „zeitgerecht“ geht es um Ungleichheit
Rita Saade: In den vergangenen Jahren         Sie ist viel komplizierter als die Medien es   und Feminismus. Der Podcast zeigt, was
haben lokale Organisationen im Libanon        zeigen können, und dies war ein besonders      Aktivist*innen und Organisationen erreichen
eine führende Rolle im Diskurs und auf        schwieriges Jahr für die Menschen im Land      können und wo strukturelle Veränderungen
ihren Fachgebieten übernommen. Für            und für alle, die im Hilfssektor arbeiten.     in Politik und Institutionen notwendig sind.
Oxfam im Libanon geht es vor allem darum,     Bitte denken Sie weiter an uns und spre-       Anlässlich des Welttoilettentags geht es in
unsere Kräfte zu vereinen und voneinander     chen Sie mit anderen über den Libanon!         der ersten Folge darum, was Toiletten mit
zu lernen. Wir stellen sicher, dass unsere                                                   Geschlechtergerechtigkeit zu tun haben.
Partner ihre Maßnahmen unabhängig und         Celine El Kik: Wir danken Ihnen sehr für       Auch in einem zweiten Podcast ist Oxfam
eigenverantwortlich durchführen können        Ihre großzügige Unterstützung, durch die       präsent: In einem Podcast des Arbeitsmini-
und bieten dort Unterstützung, wo es          wir unsere Arbeit zum Schutz von Frauen        steriums sprach Oxfam-Kampagnenbot-
notwendig und erforderlich ist.               und Mädchen fortführen können.                 schafter und Koch Ole Plogstedt mit
                                                                                             Arbeitsminister Hubertus Heil über das
Welche Vorteile hat diese partnerschaft-                                                     geplante Lieferkettengesetz.
liche Art der Zusammenarbeit?
Celine El Kik: Lokale Organisationen            Jetzt spenden:                               Jetzt reinhören:
kennen die Bedürfnisse der Menschen,            Unterstützen Sie Oxfams Partner-             „zeitgerecht – Der Oxfam-Podcast zu
sie kennen die Traditionen und Probleme         organisationen dabei,Menschen                Ungleichheit und Feminismus“ ist unter
vor Ort. KAFA hat 15 Jahre Erfahrung im         in Not mit dem Nötigsten zu                  anderem auf Spotify, Deezer und Apple
Umgang mit geschlechtsspezifischer              versorgen:                                   Podcasts zu finden. Mehr Infos zum Podcast
Gewalt und genießt im Libanon große                                                          des Arbeitsministeriums gibt es unter
Bekanntheit, Glaubwürdigkeit und                       www.oxfam.de/jetztspenden             www.bmas.de/podcast
Vertrauen.

                                                                                                            EINS | Winter 2020      11
© Artwork by Maanya Dhar @maanya_dhar
     Betty Barkha gehört zum Vorstand der Association for Women's                  Hindou Oumarou Ibrahim gründete die Vereinigung von
     Rights in Development (AWID) und der CIVICUS Alliance, einer Vereinigung      Indigenen Frauen und Völkern des Tschads (AFPAT). Sie repräsentiert
     zivilgesellschaftlicher Organisationen und Aktivist*innen. Aktuell arbeitet   bei den UN-Klimaverhandlungen die Initiativen indigener Völker und
     sie an der australischen Monash University an ihrer Doktorarbeit.             engagierte sich mit Oxfam Deutschland als „Klimazeugin“.

     FiDSCHI-Inseln und Tschad

     Klimakrise, Diskriminierung, Armut und sich durch COVID-19 verschärfende Ungleichheit sind
     verschiedene Facetten einer großen Herausforderung. Über diese schreiben die Feministinnen
     Betty Barkha von den Fidschi-Inseln und Hindou Oumarou Ibrahim aus dem Tschad.

     „WIR MÜSSEN MACHT-                                  Zyklon Harold im März 2020 auf Vanuatu,           den, die Veränderungen vorantreibt. Auch
     STRUKTUREN VERÄNDERN“                               Fidschi und Tonga traf, wurden die Häuser         Frauen haben Führungsrollen übernommen
     „Der Klimawandel ist für uns im pazifischen         der Menschen weggeblasen. Wie willst du           und lassen nicht zu, dass Entscheidungen
      Raum alltägliche Realität. Sechs Monate im         Abstand halten, wenn du kein Zuhause              über ihre Köpfe hinweg gefällt werden.
     Jahr hat meine Familie ständig Angst vor            hast und die Evakuierungszentren über-
     Zyklonen oder Überschwemmungen. Egal                füllt sind? Wie immer waren die Frauen am  Lösungen müssen kurzfristig ganz gezielt
     wie sehr wir unsere Häuser sichern, wir             schlimmsten betroffen: Sie waren zusam-    ansetzen, aber auch langfristig und nach-
      müssen jedes Jahr mit ansehen, wie sie             men mit Männern eingesperrt, von denen     haltig wirksam sein. Wir müssen die unter-
     weggeblasen und zerstört werden. Meine              sie missbraucht werden. Sie waren mit      drückenden und einschränkenden Macht-
      Familie macht immer Witze darüber und              Hausarbeit, Kinderbetreuung und Pflege     strukturen verändern. Die Menschen, die
     die Aufräumarbeiten sind inzwischen zum             überlastet.                                auf die Straße gehen, geben mir Hoffnung.
      Ritual geworden. Humor ist eine sehr pazi-                                                    Ganz gleich, ob es eine antirassistische
     fische Art und Weise, der Krise zu begeg-           Mit ganz anderen Problemen und Diskri-     oder eine Klima-Demonstration ist. Die
      nen. So kommen die Menschen damit klar.            minierungen sind transsexuelle Frauen      Menschen stehen nun auf für ihre Über-
                                                         und Männer, Menschen ohne binäres          zeugungen, sie stellen etablierte Strukturen
     Es gibt keine Klimagerechtigkeit ohne               Geschlecht und andere aus der LGBTQI-      infrage und erheben ihre Stimmen. Sie
     Gendergerechtigkeit und andersherum –               Community konfrontiert. Viele wurden nicht werden nicht länger schweigen.“
     so sagen wir hier im Pazifik. Nur weil die          in die Evakuierungszentren gelassen, mit
     ganze Welt im Lockdown ist, heißt das               der Begründung, Gott wolle sie für ihre    Betty Barkha
     nicht, dass auch der Klimawandel oder               Sünden bestrafen. Aber diese Community     Aktivistin von den
     das Patriarchat im Lockdown sind. Als der           ist zu einer lebendigen Bewegung gewor-    Fidschi-Inseln

12     EINS | Winter 2020
„ES BRAUCHT RADIKALE
VERÄNDERUNG“
„Ich war noch in der Grundschule, als ich
 angefangen habe, für die Rechte indigener
Völker zu kämpfen – weil es meine eige-
 nen Rechte sind. Mit 16, als ich die Verei-
 nigung von Indigenen Frauen und Völkern
 des Tschads (AFPAT) gründete, wurde mir       Die Corona-Pandemie dominiert die Schlagzeilen, doch die
 klar, dass ich nicht über Menschenrechte      Klimakrise macht deshalb keine Pause. Ein neuer Oxfam-
 sprechen kann, ohne über Umweltrechte zu      Bericht zeigt, wo wir ansetzen müssen.
 sprechen. Wenn die Umwelt zerstört wird,
 sind unsere Identität, unsere Kultur, unser
 Leben ernsthaft in Gefahr. Heute spreche         Ellen Ehmke
 ich über Menschenrechte, die Rechte indi-
 gener Völker und Umweltschutz zugleich.       Der Weltklimarat hat berechnet, wie         Zehntel senkten, würde dies die globalen
Was wir als indigene Völker gemeinsam          viel CO2 die Menschheit noch in die Luft    Emissionen um ein Drittel verringern. Ein
 haben, ist unsere Abhängigkeit von der        blasen darf, bevor die Erderwärmung         Hebel hierfür ist der viele Co2-Emissionen
 Umwelt, von der wir leben. Mit dem Klima-     über die kritische Grenze von 1,5 Grad      verursachende Verkehr: Die reichsten
wandel haben sich die Jahreszeiten sehr        steigt, mit katastrophalen Folgen für       zehn Prozent sind für fast die Hälfte des
 geändert. Die Regenzeiten wurden viel,        Milliarden Menschen, vor allem im Glo-      Energieverbrauchs im Verkehr über Land
viel kürzer. Auf heftige Regenfälle folgten    balen Süden. Dieses Emissionsbudget         und für drei Viertel im Flugverkehr verant-
 Dürren und dann Überflutungen. 1960 war       werden wir in neun Jahren aufgebraucht      wortlich. Zu jenen reichsten zehn Prozent
 der Tschad-See 25.000 Quadratkilometer        haben, wenn wir nicht jetzt einschnei-      der Welt zählt fast die Hälfte der deut-
 groß, heute sind es nur noch etwa 2.000.      dende Veränderungen auf den Weg             schen Bevölkerung. Es liegt also auch an
40 Millionen Menschen hängen von dem See       bringen.                                    uns, etwas dafür zu tun, dass die Klima-
 ab – Rinderhalter*innen, Fischer*innen,                                                   krise nicht weiter außer Kontrolle gerät.
 Bäuer*innen.                                  Zwischen 1990 und 2015 haben sich           Es liegt an jedem*r Einzelnen und an der
                                               die CO2-Emissionen in der Atmosphäre        Politik.
Wenn wir über Klimagerechtigkeit reden,        verdoppelt. Für über die Hälfte der Emis-
 geht es für uns nicht nur darum, den Aus-     sionen sind die reichsten zehn Prozent      GERECHTER UMBAU DER
stoß von Treibhausgasen zu stoppen. Es         der Weltbevölkerung verantwortlich. Mit     GLOBALEN WIRTSCHAFT
 geht um die sozialen, ökonomischen und        anderen Worten: Es sind jene, denen es
 politischen Zusammenhänge. Es geht um         ohnehin schon gut oder sehr gut geht,       Um das Klima vor dem Kollaps zu retten,
den Kampf meiner Leute für soziale Gerech-     die durch ihren CO2-intensiven Lebens-      brauchen wir einen klima- und sozialge-
tigkeit, weil die Umweltzerstörung Konflikte   stil, die Klimakrise verschärfen – zulas-   rechten Umbau der globalen Wirtschaft
 und Ungleichheit schafft. Das traditionelle   ten insbesondere von Menschen, die in       und unserer Gesellschaften, der allen
Wissen indigener Völker ist sehr wichtig       Armut und Unsicherheit leben.               Menschen politische, wirtschaftliche und
für die Menschheit und hat Beachtung                                                       soziale Teilhabe ermöglicht. Steuern auf
verdient. Dazu müssen zuerst die Rechte        Allein das reichste eine Prozent der        klimaschädliche SUVs und häufiges Flie-
 der indigenen Völker respektiert werden.      Menschheit schädigt das Klima doppelt       gen wären ein erster Schritt. Die Einnah-
 Den Vereinten Nationen haben wir gesagt:      so stark wie die gesamte ärmere Hälfte      men müssen in klimaeffiziente Mobilität,
„Ihr könnt nicht ohne uns über uns             der Weltbevölkerung zusammen.               öffentliche Infrastruktur und soziale
sprechen.“                                                                                 Absicherung fließen. Das lässt nicht nur
                                               ES LIEGT AN UNS,                            die Emissionen sinken, sondern hilft auch,
Meine Sorge ist, dass wir keine Zeit mehr      ETWAS ZU TUN                                Armut und Ungleichheit zu überwinden.
haben. Wenn wir jetzt nicht den Klimawan-
del gleichzeitig mit COVID-19 bekämpfen,       Verantwortlich ist eine Politik, die
werden noch mehr Pandemien kommen, die
                                                                                            Jetzt mehr erfahren:
                                               auf Konsum setzt, immerwährendes
wir nicht mehr stoppen können. Gegen den       Wachstum verspricht und die Welt in          Die Berichte „Extreme Carbon
                                                                                            Inequality“ und „Climate, Covid &
Klimawandel helfen keine Masken, Lock-         Gewinner*innen und Verlierer*innen
                                                                                            Care“ sind beide auf Englisch
downs oder Mauern. Es braucht radikale         spaltet. Damit muss endlich Schluss          online erschienen.
Veränderung.“                                  sein! Um das Ruder herumzureißen,
                                                                                                  www.oxfam.de/carboninequality
                                               sollten wir bei jenen anfangen, für die
Hindou Oumarou Ibrahim                         Konsumverzicht verkraftbar ist. Wenn               www.oxfam.org/en/take-
                                                                                                  action/campaigns/climate/
Aktivistin aus der indigenen                   die reichsten zehn Prozent ihre Pro-
                                                                                                  climate-zine-feminist-journeys
Mbororo-Gemeinschaft im Tschad                 Kopf-Emissionen bis 2030 auf ein

                                                                                                                                         13
Oxfam und das
     „kleingedruckte*“

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     Emöke Ebners ehrenamtliches Engagement im Erfurter Oxfam Shop                                Ausgezeichneter Buchladen: Emöke Ebner
                                                                                                  (rechts) hat sich mit einer eigenen Buchhandlung
     war ihr Startschuss für die Selbstständigkeit: Heute hat sie einen                           selbständig gemacht. Das Engagement im Oxfam
     eigenen Buchladen.                                                                           Shop Erfurt gab den Anstoß. Dort lernte sie auch
                                                                                                  ihre heutige Mitarbeiterin Claudia Arnhold (links)
                                                                                                  kennen.

        Andrea Frey

     „Gemütlich wie ein Wohnzimmer, das zum          ehemaligen Buchhändlerin, und den Spaß
     Schmökern einlädt“ – so beschreibt Emöke        am Gespräch mit Kund*innen kam der                Ohne Oxfam hätte
      Ebner ihren 40 Quadratmeter großen Buch-       Literaturwissenschaftlerin die Idee zum
      laden in Erfurt. Das finden nicht nur ihre    „kleingedruckten*“.                           ich nie die Idee gehabt,
      lesehungrigen Kund*innen spitze, sondern
      auch die Beauftrage der Bundesregierung       „Bei Oxfam habe ich wichtige Erfahrungen
                                                                                                    mich selbstständig
     für Kultur und Medien, die den Buchhan-         im Einzelhandel gesammelt. Damit kann-            zu machen.
      delspreis vergibt: Sie hat das „kleinge-      te ich mich vorher nicht aus“, so Emöke
      druckte*“ – so hat Emöke Ebner den Laden       Ebner. Weiteres Wissen habe sie sich,
      mit einem Augenzwinkern genannt – im           als die Idee zum Buchladen entstanden                        EMÖKE EBNER
      Oktober für die Auszeichnung nominiert. Ein   war, in Weiterbildungen angeeignet. Den
      Erfolg, über den sich Emöke Ebner freut –      Buchshop mit Wohnzimmerflair hat sie
      und mit großem Dank betont: „Ohne Oxfam        in der Rekordzeit von sechs Monaten
     wäre das nicht möglich gewesen. Denn            eröffnet.                                    Oxfams Ziele ein. Und ich mag das Konzept
      ohne das Ehrenamt im Oxfam Shop hätte                                                       vom ´kleingedruckten*´: Es ist klein, aber
      ich nie die Idee gehabt, mich selbstständig   ERFAHRUNGEN IM EINZELHANDEL                   fein.“ Aus Platzgründen fokussiert das
     zu machen.“                                                                                  Sortiment im Laden auf Belletristik – und
                                                    „Das war ein mutiger Schritt – und Emöke      stellt Bezüge zur Heimat von Emöke Ebner
     Als der Oxfam Shop in der Altstadt von         ist ihn zielstrebig gegangen“, lobt Clau-     her: mit Autor*innen, Schokolade und
     Erfurt 2015 eröffnete, war Emöke Ebner         dia Arnhold. Kennengelernt hat sie Emöke      Naturweinen aus Ungarn.
     arbeitssuchend: „Ich wollte etwas Sinn-         Ebner im Oxfam Shop, wo die 64-Jährige
     volles tun“, erklärt sie. Deshalb engagier-    weiter für Lesenswertes aus zweiter Hand      „Wir freuen uns für Emöke Ebner über den
     te sie sich im Secondhand-Laden. „Dass         zuständig ist. Außerdem bildet sie mit         Erfolg ihres Buchladens“, sagt Regional-
     das die Weichen für mein Berufsleben            Emöke ein Dreamteam im „kleingedruck-         leiter Matthias Scholl. „Oxfam unterstützt
     stellen würde, habe ich nicht geahnt“,         ten*“, denn dort arbeitet sie ebenfalls ein    Menschen im Globalen Süden, ihr Leben
     sagt die 43-Jährige. Über die Arbeit in         paar Tage pro Woche. „Beides gefällt mir      aus eigener Kraft zu verändern. Manchmal
     der Buchabteilung, den Austausch mit           sehr. Im Oxfam Shop arbeite ich mit tollen     gelingt das auch hier – quasi vor der eige-
     ihrer Shop-Kollegin Claudia Arnhold, einer      Leuten zusammen und setze mich für            nen Haustür.“

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                                                       EINKAUFEN, SACHEN SPENDEN, MITMACHEN www.oxfam-shops.de
LEONIE MÜLLER
                                                                                                   EHRENAMTLICHE MITARBEITERIN IM
                                                                                                   OXFAM SHOP MOVE IN BERLIN

                                                                                                           Es ist ganz schön schwierig, diese      Frage nicht leicht zu beantworten. Es wäre
                                                                                                           Frage zu beantworten, denn es           langweilig und nicht gut, wenn sich nichts
                                                                                                   gibt aktuell so viel, bei dem man dringend      mehr und auch man selbst sich nicht mehr
                                                                                                   Veränderung möchte: die Klimakrise, die         verändert. Am ehesten sind es schöne
                                                                                                   Corona-Pandemie, Konflikte, in denen es         Erinnerungen, die so bleiben sollen, wie
                                                                                                   Frieden geben soll, zum Beispiel. Was sich      sie sind. Wenn sich zum Beispiel die
                                                                                                   hier niemals ändern darf, ist die Einstellung   Intro-Musik meiner Lieblingskinderserie
                                                                                                   und die Motivation, dass sich etwas ändern      ändern würde, das wäre schrecklich.
                                                                                                   soll. Wenn es die Hoffnung, dass wir Dinge      Auch wünsche ich mir, dass gute Freund-
                                                                                                   besser machen können, nicht mehr gäbe –         schaften halten – gerade wenn nach dem
                                                                                                   das wäre der Anfang vom Ende. Auch mit          Abi viel auseinandergeht und sich viel
                                                                                                   Blick auf mein persönliches Leben ist die       verändert.

                                                 EINE FRAGE, DREI MENSCHEN

                                                 DEEPAK L. XAVIER
                                                 LEITER DER KAMPAGNE GEGEN SOZIALE UNGLEICHHEIT BEI OXFAM INTERNATIONAL

                                                        Was sich nie ändern sollte, ist             Diskriminierung zu besiegen, müssen wir
                                                        die Möglichkeit, den Mächtigen die          das dahinterliegende System abschaf-
                                                 Wahrheit ins Gesicht zu sagen. Die soziale         fen. Wir brauchen eine gerechte Vertei-
                                                 Ungleichheit ist völlig außer Kontrolle            lung der Unternehmensgewinne, und wir
                                                 geraten, und sie ist das Ergebnis eines            müssen Unternehmen aufs Gemeinwohl
                                                 Wirtschaftssystems, das viele diskriminiert        verpflichten. Das ist die unbequeme
                                                 und wenige bevorzugt. Während weltweit             Wahrheit. Indem wir die Mächtigen mit
                                                 unzählige Menschen in Armut abrutschen,            dieser Wahrheit konfrontieren, machen
                                                 verdienen sich wenige Aktionär*innen               wir die Wahrheit mächtiger und die Macht
                                                 eine goldene Nase. Um Ungleichheit und             wahrhaftiger.

                                                                                                            Unsere Strategie ist es, Verände-      Veränderungen, die dem ökologischen
                                                                                                            rungen nur zu unterstützen, wenn       Gleichgewicht schaden oder es stören
© Jana Schindler, © Tom Dixon, © Leonie Müller

                                                                                                   die Menschen diese auch selbst wollen,          würden, z.B. durch einen unkontrollierten
                                                                                                   damit sie selbstbestimmt ihre Lebens-           Einsatz chemischer Düngemittel, Abhol-
                                                                                                   bedingungen verbessern. Dabei ist es für        zung oder die übermäßige Freisetzung von
                                                                                                   uns als Organisation und für mich persön-       Treibhausgasen. OAP beteiligt sich außer-
                                                                                                   lich sehr wichtig, unsere positiven traditi-    dem bewusst nicht an der Verbreitung
                                                                                                   onellen Werte zu bewahren – wie Ubuntu          genetisch veränderter Organismen für die
                                                 ERNEST NIYONZIMA                                  (Nächstenliebe) und Ubushingantahe              Nahrungsmittelproduktion, da diese zwar
                                                 GESCHÄFTSFÜHRER VON OXFAMS                        (friedliche Konfliktlösung). Essenziell für     die Produktion selbst deutlich steigern,
                                                 PARTNERORGANISATION OAP IN                        die Menschheit ist es aus unserer Sicht         aber gleichzeitig negative Auswirkungen
                                                 BURUNDI*                                          auch, eine stabile und gesunde Umwelt zu        auf das Erbgut des Menschen haben
                                                                                                   bewahren. Wir stellen uns deswegen gegen        könnten.

                                                 * ORGANISATION D’APPUI À L’AUTO PROMOTION                                                                               EINS | Winter 2020     15
                                                   deutsch: Organisation zur Unterstützung der Selbsthilfe
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                                                                                                bescheren: Hier und bei
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 WAS IST OXFAM?                                                                           IMPRESSUM
                                                                                          Herausgeber: Oxfam Deutschland e. V.
 Oxfam vereint Menschen in aller Welt, die sich nicht damit                               Am Köllnischen Park 1, 10179 Berlin
 abfinden wollen, dass es Armut und extreme Ungleichheit gibt.                            Tel: (030) 45 30 69 - 0

                                                                                          V.i.S.d.P.: Marion Lieser
 Als internationale Nothilfe- und Entwick-   mit Partnerorganisationen, der Bevölkerung   Chefredakteur: Steffen Küßner
 lungsorganisation unterstützen wir          vor Ort – und Ihnen – arbeiten wir für ein   Redaktion: Franziska Rötzsch
 Menschen in armen Ländern dabei, sich       großes Ziel: Die Armut weltweit abzuschaf-   Gestaltung: martinbrombacher.de
 eine bessere Zukunft zu schaffen.           fen.
                                                                                          Druck: Oktoberdruck, Berlin
                                                                                          Gedruckt auf 100% Recyclingpapier.
 Bei Krisen und Katastrophen retten wir      Zur Finanzierung dieser Arbeit tragen rund
 Leben und helfen, Existenzen wieder         3.400 ehrenamtliche Mitarbeiter*innen in     www.oxfam.de/eins
 aufzubauen. Gemeinsam mit Menschen          derzeit 55 Oxfam Shops bei. Diese werden     www.twitter.com/oxfam_de
 in Nord und Süd erheben wir unsere          von der Oxfam Deutschland Shops gGmbH        www.facebook.com/oxfam.de
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 von der alle profitieren. Seite an Seite    terunternehmen des Oxfam Deutschland e.V.
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