Nutzung von Sekundärdaten zur Qualitätsverbesserung in der Medizin
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Nutzung von Sekundärdaten zur gefördert von : Qualitätsverbesserung in der Medizin Mögliche Interessenskonflikte Mitglied der DEGAM, GHA, DNebM, HÄV und der AkdÄ, Jean-François Chenot kassenärztlich tätig als angestellter Arzt Abteilung Allgemeinmedizin Behandlungsfehlergutachten für MDK, Gerichte, Legalia arriba Genossenschaftler, Drittmittel von DFG, BMBF und verschiedenen Stiftungen Bezahlte Fortbildungen für das IhF
Lernziele Themen • Definition Qualität • Verstehen was eine Qualitätsindikator ist und wie er entwickelt wird • Probleme und Konsequenzen der Qualitätsmessung kennen • Beispiele Abteilung Allgemeinmedizin © Copyright Universitätsmedizin Greifswald 28.06.2021 2
Warum Qualitätsmessung? Gesellschaftliche Perspektive • Gesundheitssystem ist solidarisch finanziert • Controlling Gesundheitsausgaben • Verschwendung erkennen • Nur für notwendiges und wirksames bezahlen 11% Gesundheits- • Konkurrierende Ziele bei limitierten Ressourcen ausgaben Leistungserbringer 5,3% Bildung • möchten Leistung darstellen ⇒ Grundlage für Preiaverhandlungen • möchte Defizite erkennen und sich verbessern Krankenkassen • möchten gute Leistungserbringer identifizieren • Sachwalter des Gemeinwohls Anteil am Bruttosozialprodukt Leistungsempfänger • möchte nur zu „guten“ Leistungserbringern Abteilung Allgemeinmedizin © Copyright Universitätsmedizin Greifswald 28.06.2021 3
Domänen der Qualität Prozessqualität Strukturqualität Ergebnisqualität • Behandlungsergebnis Arvid Donabedian Krankheit • Komplikationen 1919-2002 Management Problem • Kosten • Arbeitsunfähigkeit Leitlinien Geld sparen Vergütungsvorschriften (Richtlinien) Vermeiden von Über- und ⇒ pay for performance Fehlversorgung Abteilung Allgemeinmedizin © Copyright Universitätsmedizin Greifswald 28.06.2021 Donabedian A. Evaluating the quality of medical care. Milbank Memorial Fund Q. 1966;44(3)(suppl):166‐206. 4
Domänen der Versorgungsqualität • Wichtig unter Marketingaspekt • Reflektiert nicht notwendigerweise Qualität Institute of Medicine (US) Committee on Quality of Health Care in America. Crossing the Quality Chasm: A New Health System for the 21st Century. Washington (DC): National Academies Press (US); 2001. Abteilung Allgemeinmedizin © Copyright Universitätsmedizin Greifswald 28.06.2021 5
Gesetzliche Vorgaben § 70 SGB V Qualität, Humanität und Wirtschaftlichkeit (1) Die Krankenkassen und die Leistungserbringer haben eine bedarfsgerechte und gleichmäßige, dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechende Versorgung der Versicherten zu gewährleisten. (2) Die Versorgung der Versicherten muss ausreichend und zweckmäßig sein, darf das Maß des Notwendigen nicht überschreiten und muss in der fachlich gebotenen Qualität sowie wirtschaftlich erbracht werden. § 135a SGB V Verpflichtung der Leistungserbringer zur Qualitätssicherung (1) Die Leistungserbringer sind zur Sicherung und Weiterentwicklung der Qualität der von ihnen erbrachten Leistungen verpflichtet. Die Leistungen müssen dem jeweiligen Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse entsprechen und in der fachlich gebotenen Qualität erbracht werden. Abteilung Allgemeinmedizin © Copyright Universitätsmedizin Greifswald 28.06.2021 6
Realität der Qualitätssicherung • Berichtspflicht von Krankenhäusern und auch Praxen • Wird ambulant noch wenig praktisch geprüft • Müsste von der Kassenärztlichen Bundesvereinigung und Landes-KVen durchgesetzt werden • Die Vertreter der KV werden gewählt von den Mitgliedern https://iqtig.org/qs-verfahren/ 2014 zur sektorenübergreifenden Qualitätssicherung gegründet worden https://www.kbv.de/media/sp/KBV_Qualitaetsbericht_2020.pdf Abteilung Allgemeinmedizin © Copyright Universitätsmedizin Greifswald 28.06.2021 7
Realität der Qualitätssicherung https://www.kbv.de/media/sp/KBV_Qualitaetsbericht_2020.pdf Abteilung Allgemeinmedizin © Copyright Universitätsmedizin Greifswald 28.06.2021 8
Entwicklung Qualitätsindikatoren Evidenzsynthese Evidenz- • Erstellen der potentiellen QI auf Basis der Deckert S, et al. synthese Leitlinienempfehlungen Methodischer Standard für die Entwicklung von Qualitätsindikatoren im Rahmen von S3-Leitlinien • Recherche nach existieren QI – Ergebnisse einer strukturierten Konsensfindung. Z Evid Fortbild Qual Gesundhwes. 2021;160:21-33. Delphi Befragung 1. Runde Strukturierte Konsensfindung • Bewerten jedes QI (QALIFY) • Ggf. Modifikation der QI Delphi Befragung 2. Runde • Rückspiegelung der Ergebnisse aus Runde 1 Vorläufige • Erneute Bewerten jedes QI QI-Sets • Ggf. Modifikation der QI Abschlusskonferenz (Präsenz) • Präsentation der Ergebnisse Finale • Moderierte Diskussion QI-Sets • Endgültige Abstimmung Abteilung Allgemeinmedizin © Copyright Universitätsmedizin Greifswald 28.06.2021 9
Qualitätsindikatoren I Beschreibung • Aussage sollten • Begründung • Valide sein • Zielstellung • Messbar sein • Einbezogene • Beinflussbar sein Fachgruppen • Müssen evaluiert werden • Voraussetzungen II Berechnung des • Betrachtungszeitraum Indikators • Bezugsebene • Formel • Zähler • Nenner • Ausschlusskriterien • Datenquellen • Verfügbarkeit der Daten Abteilung Allgemeinmedizin © Copyright Universitätsmedizin Greifswald 28.06.2021 10
Bewertung von Qualitätsindikatoren QUALIFY Deutsches Instrument zur Bewertung von QIs Reiter A, et al. QUALIFY: Ein Instrument zur Bewertung von Qualitätsindikatoren. Z Arztl Fortbild Qualitatssich. 2007;101:683-8. Abteilung Allgemeinmedizin © Copyright Universitätsmedizin Greifswald 28.06.2021 11
Domänen der Qualität Prozessqualität Strukturqualität Ergebnisqualität • Behandlungsergebnis Krankheit • Komplikationen Management Problem • Kosten • Arbeitsunfähigkeit Leitlinien Geld sparen Vergütungsvorschriften (Richtlinien) Vermeiden von Über- und Fehlversorgung Abteilung Allgemeinmedizin © Copyright Universitätsmedizin Greifswald 28.06.2021 12
Beispiel Rückenschmerzen • Strahlenschutz • Komplikationen Management • Kosten Rücken- • Körperliche • Schmerzfreiheit schmerzen Untersuchung • Arbeitsunfähigkeit • Bildgebung • …. ca. 25% aller Erwachsenen Mindestens jährlich beim Arzt NVL-Kreuzschmerzen http://www.leitlinien.de/nvl/kreuzschmerz Strahlenschutzverordnung Chenot et al. Nichtspezifischer Kreuzschmerz. Dtsch Arztebl. 2017;114:883-90 Abteilung Allgemeinmedizin © Copyright Universitätsmedizin Greifswald 28.06.2021 13
Leitlinienempfehlungen Positive Empfehlung etwas soll gemacht werden Negative Empfehlung etwas soll nicht gemacht werden Abteilung Allgemeinmedizin © Copyright Universitätsmedizin Greifswald 28.06.2021 14
Datenerfassung zur Qualitätsmessung • Dokumentation ist unbeliebt und kostet Zeit und Geld • Zusätzliche Dokumentation ist noch unbeliebter • Nicht digital verfügbare Daten sind nur schwer zu erhalten und auszuwerten • Nutzung von Daten die sowieso dokumentiert werden müssen ist am besten • Dokumentation oft grob, Grundlage für ärztliche Entscheidung subtil • Datenschutz kann Hindernis sein § 284 SGB V ermöglicht die Nutzung von Abrechnungsdaten zu Qualitätssicherungszwecken § 67b SGB X ermöglicht es unter bestimmten Voraussetzungen Daten auch ohne Zustimmung der Patienten zu benutzen Abteilung Allgemeinmedizin © Copyright Universitätsmedizin Greifswald 28.06.2021 15
Körperliche Untersuchung (I) Beschreibung Aussage: Anteil der Patienten mit Rückenschmerzen, bei denen ein Mindeststandard an Anamnese und körperlicher Untersuchung durchgeführt und dokumentiert ist. Begründung: Bei allen Patienten mit Rückenschmerzen soll durch Anamnese und körperliche Untersuchung das Vorliegen einer bedeutsamen Pathologie mit besonderem Handlungsbedarf erkannt werden. (NVL 2017). Zielstellung: Ziel ist es, mit einem gestuften diagnostischen Vorgehen bedeutsame Pathologien zu einem Zeitpunkt zu erkennen, an dem diese therapeutisch noch beeinflussbar sind und unnötige weiterführende Untersuchungen zu vermeiden. Einbezogene Fachgruppen: Ärzte, die Patienten mit Rückenschmerzen versorgen (Praxis oder Gruppe) Abteilung Allgemeinmedizin © Copyright Universitätsmedizin Greifswald 28.06.2021 16
Körperliche Untersuchung L4 L5 • Kraftprüfung • Sensibilität • Reflexe S1 • Nervenwurzelreizung Chenot JF. Rückenschmerz: gezielte Anamnese und klinische Untersuchung. Abteilung Allgemeinmedizin Dtsch Med Wochenschr. 2018;143:1556-63. © Copyright Universitätsmedizin Greifswald 28.06.2021 17
Körperliche Untersuchung Nur sehr aufwendig zu erheben Leicht aus Praxis-EDV oder Kassendaten zu ermitteln • Es wird nicht Untersuchungsqualität sondern Dokumentation • Kein Standard für Untersuchungsbefund 86% der Patienten mit • Untersuchungsbefund nicht strukturiert auswertbar Rückenschmerzen geben • Aufwendiger stichprobenartiger Aktenaudit notwendig an körperlich untersucht worden zu sein Chenot J, in; Szecsenyi J (Hrsg.), Broge B (Hrsg.), Stock J (Hrsg.) Chenot JF, Kochen MM, Schmidt CO. Rückenschmerz. Version 2.0. Qualitätsindikatoren für die Behandlung von Patientinnen und Das Einhalten von Leitlinien und die Qualität Patienten mit Rückenschmerzen. der ambulanten Versorgung von 2. Berlin: KomPart Verlagsgesellschaft mbH & Co. KG; 2020. 96 p. Serie: QISA Volume: C4 Rückenschmerzpatienten. In: Gesundheitsmonitor 2009, Bertelsmann-Stiftung Abteilung Allgemeinmedizin © Copyright Universitätsmedizin Greifswald 28.06.2021 18
Bildgebung Pathologie Klinischer Hinweis • Schmerzausstrahlung in die Beine • Fußheberschwäche Häufigkeit bedeutender • Reflexabschwächung im Bandscheiben Seitenvergleich (Sensitivität 50%, 1-3% vorfall Spezifität 60%) • Positiver Lasègue-Test (Sensitivität 80%, Spezifität 40%) • Alter > 70 Jahre Spinalkanalste • Schmerzausstrahlung in beide Beine 1-5% nose • Symptombesserung beim Vorbeugen • Reithosenanästhesie Cauda equina • Mastdarmschwäche 0,0001 % Syndrom • Blasenschwäche • Krebs in der Anamnese Neoplasie • unerklärlicher Gewichtsverlust • Alter> 50 oder < 17 Jahre < 1% • Nacht- oder Ruheschmerzen • persistierendes Fieber Infektion • intravenöse Drogen < 1% • systemische Steroidmedikation Fraktur • Trauma Henschke N et al. • V.a. Osteoporose < 1% A systematic review identifies five "red flags“ • Alter > 70 Jahre to screen for vertebral fracture in patients • Morgensteifigkeit with low back pain. Rheumatisch • Schmerzen > 3 Monate < 1% J Clin Epidemiol. 2008; 61:110-18 entzündliche • Extravertebrale Begleiterkrankungen (z.B. Uveitis, Psoriasis) Henschke N et al. Prevalence of and Screening for Serious Spinal Pathology in Patients Presenting to Primary Care Settings With Acute Low Back Pain Arthritis & Rheumatism 2009; 60: 3072–80 Abteilung Allgemeinmedizin © Copyright Universitätsmedizin Greifswald 28.06.2021 19
Bildgebung Anzahl Bildgebung je 1000 Versicherte mit Rückenschmerzen Quelle: Bertelsmann Faktencheck Rücken 2016 Jenkins HJ, et al. Jeder mit Rückenschmerzen sollte eine Bildgebung bekommen Understanding patient beliefs regarding the use of imaging in the management of low back pain. Eur J Pain. 2016;20:573-80. Bildgebung ist notwendig für die optimale Versorgung Abteilung Allgemeinmedizin von Rückenschmerzen © Copyright Universitätsmedizin Greifswald 28.06.2021 20
Bildgebung Ziel ist es nicht keine Bildgebung bei Rückenschmerzen, sondern ein sog. Zielbereich International hohe Varianz 2-60% Chenot J, in; Szecsenyi J (Hrsg.), Broge B (Hrsg.), Stock J (Hrsg.) Rückenschmerz. Version 2.0. Qualitätsindikatoren für die Behandlung von Patientinnen und Patienten mit Rückenschmerzen. Abteilung Allgemeinmedizin © Copyright Universitätsmedizin Greifswald 28.06.2021 2. Berlin: KomPart Verlagsgesellschaft mbH & Co. KG; 2020. 96 p. Serie: QISA Volume: C4 21
Nebenwirkungen Qualitätsmessung • Bestimmte Anteile der Patientenversorgung sind nicht messbar oder werden nicht gemessen • Verschiebung von Leistungen in den messbaren Bereich ⇒ Leistungen werden aus anderen Bereichen verschoben • Kann erhöhten Ressourcenverbrauch induzieren (Routinekontrollen) • Benachteiligung von Praxen und Krankenhäusern die sozial schwierigen Bevölkerungsgruppen versorgen Beispiele: QOF (Qualitiy outcome framework) in UK Health utility review US Abteilung Allgemeinmedizin © Copyright Universitätsmedizin Greifswald 28.06.2021 22
Eine ungute Kombination von Blutdruckmedikamenten VA-Nephron-D-Studie Ärzteblatt: Meta-Analyse ONTARGET-Studie ACEI-ARB-Kombinationen EMA-Warnung: Kombi ACE, Fachartikel NEJM ARB, Aliskiren Ärzteblatt: Kanadische VA NEPHRON D-Studie Heart and Stroke Foundation Fachartikel Aktualisierte Produktinformationen 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 ALTITUDE-Studie Fachartikel Aliskiren-Kombinationen Rote-Hand-Brief ATMOSHPERE-Studie Rote-Hand-Brief Fachartikel Duale RAS-Blockade hat keinen Überlebensvorteil aber vermehrte Komplikationen Abteilung Allgemeinmedizin © Copyright Universitätsmedizin Greifswald 28.06.2021 23
Wie lange dauert die Umsetzung Ontarget EMA-Warnung Studie VA NEPHRON D Studie Ontarget Studie EMA-Warnung VA NEPHRON D Studie Anzahl der Versicherte mit dualer RAS-Blockade Anzahl der Versicherte neu verordneter pro 100 Versicherte dualer RAS-Blockade pro 100 Versicherte Angelow A, Ploner T, Grimmsmann T, Walker J, Chenot JF. Dual renin-angiotensin-aldosterone blockade: Implementation of published research and Dear Doctor letters in ambulatory care: A retrospective observational study using prescription data. Abteilung Allgemeinmedizin © Copyright Universitätsmedizin Greifswald 28.06.2021 Pharmacoepidemiol Drug Saf. 2020;29:530-37. 24
Ausblick • Qualitätsmessung und Controlling wird zunehmen • Erstellen von Qualitätsindikatoren wird wichtiger • Man muss stärker nachdenken was man mit Abweichungen macht • Bestrafungssystem vs. Belohnungssystem • Nudging • Begleitforschung notwendig Abteilung Allgemeinmedizin © Copyright Universitätsmedizin Greifswald 28.06.2021 25
Sie haben … • gelernt Welche Dimensionen der Versorgungsqualität es gibt • gelernt was eine Qualitätsindikator ist und wie man in optimalerweise macht • gelernt wie schwierig es ist Qualität zu messen • verstanden warum man es trotzdem versuchen soll Abteilung Allgemeinmedizin © Copyright Universitätsmedizin Greifswald 28.06.2021 26
Universitätsmedizin Greifswald * KöR Prof. Dr. med. Jean-François Chenot, MPH Abteilungsleiter Abteilung Allgemeinmeidizin Fleischmannstraße 6 * 17475 Greifswald www.medizin.uni-greifswald.de © Copyright 2019. All rights reserved. © Copyright Universitätsmedizin Greifswald
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